Eine Familiensaga zwischen Hamburg und Brooklyn
Wie das Leben ihres Großonkels als Inspiration diente, die Geschichte ihrer Familie aufzuschreiben, darüber spricht Agnes Krup im Interview.
Als Grundlage Ihres Romans diente Ihnen die Lebensgeschichte Ihres Großonkels zwischen Hamburg und Brooklyn. Wollten Sie immer darüber schreiben?
Ja, schon immer. Als ich aufwuchs, kamen er und seine Frau uns alle paar Jahre in Finkenwerder besuchen. Das waren absolute Höhepunkte meiner Kindheit. Er trug elegante Anzüge und zweifarbige Schuhe, machte Witze und klaute uns Kindern das letzte Kuchenstückchen vom Teller. Ich war völlig von ihm hingerissen – wir alle waren es.
Sie haben eine große Menge an Dokumenten, Zeitungsausschnitten und Fotos zusammen-getragen. Wann begannen Sie gezielt für den Roman zu recherchieren?
Sehr lange gab es nur meinen persönlichen Eindruck von ihm und die Geschichten, die über ihn in der Familie kursierten, und die besonders meine Tante, seine Nichte, sorgsam hütete und pflegte. Das waren Motive, aber nicht mehr. Das änderte sich schlagartig nach dem Tod seiner Witwe. Eines Tages, das muss ungefähr 2004 gewesen sein, stand eine ihrer Nichten bei mir in Brooklyn vor der Tür, mit einer große Nylon-Sporttasche voller Briefe. Sie erklärte, dass ich sie haben solle, weil sie ohnehin auf Deutsch seien. Es war ein regelrechter Familienschatz alter Briefe aus den 30-er und 40-er Jahren, alte Fotos, Zeitungsausschnitte, Dokumente. Ich habe noch eine Weile recherchiert, aber dann schrieb sich die Geschichte praktisch von selbst.
Wie genau folgt der Roman der Biographie Ihres Onkels?
Meine Tante hatte zwar alle Briefe von ihm aufbewahrt, aber er keine von ihr. Ich musste also viel erfinden. Viele Details beruhen aber auf Tatsachen. Den Koch Schmaj Liebreich, der mit meinem damals 18-jährigen Onkel auf der Hansa fuhr, und den Kaplan Mackels, der auf die Seemannsschule gegangen ist und ihn 1947 getraut hat, hat es gegeben. Andererseits habe ich über die schöne Pastorenwitwe, die auf der goldenen Hochzeit meiner Urgroßeltern auftauchte und fester Bestandteil unserer Familienlegende ist, nichts gefunden. Ich habe benutzt, was die Legende hergab, und ihr einen Namen gegeben: Thea. Es ist mir überhaupt sehr viel leichter gefallen, den Roman von meiner Familie wegzuschreiben, nachdem ich allen Figuren neue Namen gegeben hatte.
Was hat es mit dem Bücherschrank auf sich, der auf einem Ihrer Fotos zu sehen ist?
Der Bücherschrank war das Gesellenstück meines Onkels, das er vor seiner Abreise nach Amerika seinem ältesten Bruder schenkte – meinem Großvater. Später erbte ich, die Literaturstudentin, den Schrank. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich damit umgezogen bin, glücklicherweise lässt er sich auseinandernehmen. Jetzt steht er schon viele Jahre in meiner Wohnung in Brooklyn. Bis heute schließen die Türen nicht richtig, weil sie sich in der Hamburger Sturmflut von 1962 verzogen haben, damals stand der Schrank bis zur Hälfte im Wasser.
Der Schrank war immer eine Art Symbol für mich, eine Art Versprechen an mich selbst, irgendwann endlich dieses Buch zu schreiben. Der Schrank hat so sehr seine eigene Geschichte, dass ich ihm einen eigenen Essay gewidmet habe.
Sie haben mehr als zwanzig Jahre im New Yorker Verlagswesen gearbeitet. Inwiefern hat Sie die deutsch-amerikanische Lebensgeschichte Ihres Großonkels beeinflusst?
Mein Umzug nach New York hatte vor allem berufliche Gründe. Mein Großonkel lebte damals schon nicht mehr. Aber ich war natürlich in Kontakt mit seiner Witwe, die noch mehrere Jahre allein in ihrem altmodischen, abgelegenen Farmhaus in upstate New York gewohnt hat – obwohl sie nicht einmal einen Führerschein hatte. Das Haus gibt es noch, ich fahre alle paar Jahre einmal daran vorbei, es hat eine traumhafte Lage.
Gibt es den Obsthof in Finkenwerder noch?
Das Haus in Finkenwerder, in dem mein Großvater und seine Brüder aufgewachsen sind, kenne ich nur aus Erzählungen. Aber das Haus an der Landscheide, in dem im Roman der Lehrer Johann mit seiner Familie lebt, steht noch. Ich kenne es sehr gut – mein Großvater hat es gebaut, und ich bin darin aufgewachsen.
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Sehr geehrte Frau Krup,
als frühere, sehr enge Freundin zum Zeitpunkt der Studentenzeit, der erstem Ehejahre und zum Schluss der letztem Lebensphase Ihrer Mutter habe ich mit großen Emotionen Ihr Buch nach der Flut gelesen.
Viele Erinnerungen wurden wachgerufen durch die genaue Beschreibung Ihrer Großeltern und Ihrer Tante, des Hauses am Landscheideweg und Umgebung.
Ihre Mutter, meine Freundin Gertrud, habe ich nicht entdeckt, nur in Andeutungen in anderen Personen. Die Sprache aber, viele Ausdrucksweisen, bestimmte Formulierungen brachten mir meine Freundin ganz nahe.
Ich habe Sie, Agnes Krup, als Kind erlebt. Sie werden sich nicht an mich erinnern. Sollte Ihre Tante Hildegard Langecker noch am Leben sein, wird sie sich vielleicht erinnern. Ich bin ganz aufgewühlt und fasziniert davon, dass auf diese Weise Sie als Tochter von Gertrud mir meine für mich so wichtig gewesene Freundin ganz nahe brachte.
Renate Dietrich (85)