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Bücher von Bill Gates

Bill Gates Biografie

Die große Autobiografie des Microsoft-Gründers

In Source Code geht es nicht um Microsoft, die Gates Stiftung oder die Zukunft der Technologie. Es ist die menschliche, persönliche Geschichte, wie Bill Gates zu dem wurde, was er heute ist: seine Kindheit, seine frühen Leidenschaften und Ziele.

Es ist die Geschichte seiner prinzipientreuen Großmutter und seiner ehrgeizigen Eltern, seiner ersten tiefen Freundschaften und des plötzlichen Todes seines besten Freundes; von seinen Kämpfen, sich anzupassen, und seiner Entdeckung der Welt des Programmierens und der Computer in der Morgendämmerung einer neuen Ära; von seinem Start als Teenager auf einem Weg, der ihn von nächtlichen Eskapaden in einem nahegelegenen Computerzentrum bis in sein Studentenwohnheim führte, wo er eine Revolution auslöste, die die Welt für immer verändern sollte.

Blick ins Buch
Source CodeSource Code

Meine Anfänge

Die ganz persönliche Geschichte eines Jahrhundertcharakters

Die geschäftlichen Erfolge von Bill Gates sind weithin bekannt: der 20-Jährige, der sein Studium in Harvard abbrach, um ein Softwareunternehmen zu gründen, das zu einem Branchenriesen wurde und die Art und Weise, wie die Welt arbeitet und lebt, veränderte; der mehrfache Milliardär, der sich philanthropischen Aufgaben zuwandte, um den Klimawandel, die globale Gesundheit und die Bildung anzugehen.  

In Source Code geht es nicht um Microsoft, die Gates Stiftung oder die Zukunft der Technologie. Es ist die menschliche, persönliche Geschichte, wie Bill Gates zu dem wurde, was er heute ist: seine Kindheit, seine frühen Leidenschaften und Ziele.

Es ist die Geschichte seiner prinzipientreuen Großmutter und seiner ehrgeizigen Eltern, seiner ersten tiefen Freundschaften und des plötzlichen Todes seines besten Freundes; von seinen Kämpfen, sich anzupassen, und seiner Entdeckung der Welt des Programmierens und der Computer in der Morgendämmerung einer neuen Ära; von seinem Start als Teenager auf einem Weg, der ihn von nächtlichen Eskapaden in einem nahegelegenen Computerzentrum bis in sein Studentenwohnheim führte, wo er eine Revolution auslöste, die die Welt für immer verändern sollte.

Bill Gates erzählt zum ersten Mal seine eigene Geschichte: weise, warmherzig, aufschlussreich - ein faszinierendes Porträt eines amerikanischen Lebens

Prolog

Mit dreizehn schloss ich mich einer Jungengruppe an, die sich regelmäßig zu langen Wanderungen in den Bergen rund um Seattle traf. Eigentlich hatten wir uns bei den Pfadfindern kennengelernt und waren mit ihnen auch viel wandern und zelten gegangen, aber dann hatte sich unser kleiner Trupp abgespalten, um eigene Expeditionen zu unternehmen – ja, Expeditionen, nichts anderes sahen wir darin. Wir wünschten uns mehr Freiheit und mehr Wagnis, als die Pfadfinderausflüge uns boten.

Meist waren wir zu fünft unterwegs – Mike, Rocky, Reilly, Danny und ich. Mike war der Anführer; er war ein paar Jahre älter als wir anderen und hatte viel mehr Erfahrung mit dem Leben im Freien. Innerhalb von rund drei Jahren sind wir viele Hundert Meilen zusammen gewandert. Wir haben den Olympic National Forest westlich von Seattle und die Glacier Peak Wilderness nordöstlich durchquert und haben Touren entlang der Pazifikküste unternommen. Oft waren wir sieben Tage oder länger am Stück unterwegs, unsere topografischen Karten führten uns durch alte Wälder und über felsige Strände, wo wir die Gezeiten beachten mussten, wenn wir Landzungen umrundeten. In den Winterferien unternahmen wir ausgedehnte Ausflüge und wanderten und zelteten bei jedem Wetter, was in diesem Gebiet im pazifischen Nordwesten durchnässte, kratzende Wollhosen aus Armeebeständen, die immerfort verschrumpelt waren, bedeutete. Es gab keine Kletterpartien an Felswänden, weder mit Seil noch ohne, es war einfach nur stures, anstrengendes Wandern. Unsere Touren waren nicht gefährlich, abgesehen davon, dass da eine Gruppe Halbwüchsiger mitten in den Bergen unterwegs war, Hilfe mehrere Stunden entfernt lag und an Handys nicht zu denken war.

Mit der Zeit wuchsen wir zu einem vertrauensvollen, eingeschworenen Team zusammen. Wenn wir uns nach einem langen und anstrengenden Wandertag für einen Schlafplatz entschieden, brauchte es keine langen Worte zur Verteilung der Aufgaben. Mike und Rocky befestigten die Plane, die uns für die Nacht als Dach dienen würde, Danny suchte trockenes Holz zusammen, Reilly und ich brachten mit einem Anzünder und Zweigen ein Lagerfeuer zum Brennen.

Und dann gab es Essen. Günstige Lebensmittel, die leicht zu transportieren waren, uns aber ordentlich stärkten. Nichts hat jemals besser geschmeckt. Zum Abendessen öffneten wir eine Dose Pökelfleisch und mischten ihm eine Fertigtüte „Hamburger Helper“ oder „Beef Stroganoff“ unter. Morgens gab es „Carnation Instant Breakfast“ oder ein anderes Pulver, das sich unter Zugabe von Wasser in ein Western-Omelett verwandelte – zumindest laut Verpackung. Mein Lieblingsfrühstück waren „Oscar Mayer Smokie Links“: geräucherte Würstchen, beworben als „100 % Fleisch“, die heute nicht mehr erhältlich sind. Wir hatten nur eine Bratpfanne für die Zubereitung des Essens und aßen aus leeren Konservendosen, die bei jedem von uns am Rucksack hingen. Diese Dosen waren Wassereimer, Kochtopf und Haferflockenschüssel in einem. Ich weiß nicht, wer von uns das heiße Himbeergetränk erfunden hat. Eine großartige kulinarische Innovation war es zwar nicht, man musste nur Wackelpuddingpulver in kochendes Wasser geben, aber es war perfekt als Dessert oder als morgendlicher Zuckerschub vor einem Wandertag.

Wir waren ohne Aufsicht unserer Eltern, ohne jede Kontrolle durch Erwachsene, wir entschieden selbst, wohin wir gingen, was wir aßen und wann wir schliefen, und auch welche Risiken wir eingingen. In der Schule gehörten wir nicht etwa zu den Coolen. Nur Danny war in einer Sportmannschaft, er spielte Basketball, aber er gab es bald auf, um Zeit für unsere Touren zu haben. Ich war der dünnste in der Gruppe und meist der kälteste, und ich hatte immer das Gefühl, dass ich schwächer war als die anderen. Aber ich mochte die körperliche Herausforderung und das Gefühl der Autonomie. Wandern wurde damals in unserer Gegend zwar immer beliebter, aber Jugendliche, die acht Tage allein durch die Wälder stapften, traf man nicht so oft.

Allerdings war das in den 1970er Jahren, und die Einstellung zur Kindererziehung war lockerer als heute. Kinder hatten im Allgemeinen mehr Freiheiten. Und als ich in meinen frühen Teenagerjahren war, hatten meine Eltern akzeptiert, dass ich anders war als viele meiner Altersgenossen, und sie hatten sich mit der Tatsache abgefunden, dass ich ein gewisses Maß an Unabhängigkeit brauchte, um mir meinen Weg durch die Welt zu bahnen. Diese Akzeptanz war hart erkämpft, vor allem für meine Mutter, aber sie sollte eine entscheidende Rolle dabei spielen, wer ich werden sollte.

Wenn ich jetzt zurückblicke, bin ich mir sicher, dass wir alle auf diesen Ausflügen etwas anderes suchten als Kameradschaft und das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Wir waren in dem Alter, in dem Kinder ihre Grenzen austesten, mit verschiedenen Identitäten experimentieren – und manchmal auch eine Sehnsucht nach größeren, sogar transzendenten Erfahrungen verspüren. Ich hatte begonnen, eine klare Sehnsucht zu spüren, um herauszufinden, was mein Weg sein würde. Ich war mir nicht sicher, in welche Richtung es gehen sollte, aber es musste etwas Interessantes und Bedeutsames sein.

Auch mit einer anderen Jungengruppe verbrachte ich damals viel Zeit: Kent, Paul, Ric und ich gingen auf dieselbe Schule, die Lakeside School, die eine Möglichkeit für Schüler eingerichtet hatte, sich über eine Telefonleitung mit einem Großrechner zu verbinden. Dass Teenager überhaupt Zugang zu einem Computer hatten, war damals eine absolute Seltenheit. Wir vier waren begeistert und verbrachten unsere gesamte Freizeit damit, immer komplexere Programme zu schreiben und zu erforschen, was wir mit dieser elektronischen Maschine alles anstellen könnten.

Oberflächlich betrachtet hätte der Unterschied zwischen Wandern und Programmieren nicht größer sein können. Aber beides fühlte sich an wie ein Abenteuer. Mit beiden Freundesgruppen erkundete ich neue Welten und reiste an Orte, die selbst viele Erwachsene nicht erreichen konnten. Wie das Wandern passte auch das Programmieren zu mir, weil es mir erlaubte, mein eigenes Maß an Erfolg zu definieren, und es schien grenzenlos zu sein, nicht davon abhängig, wie schnell ich laufen oder wie weit ich werfen konnte. Die Logik, die Konzentration und die Ausdauer, die man braucht, um lange, komplizierte Programme zu schreiben, waren für mich selbstverständlich. Anders als beim Wandern war ich in diesem Freundeskreis der Anführer.

 

Gegen Ende meines zweiten Studienjahres, im Juni 1971, rief mich Mike mitten im Dezember an und erzählte mir, welche Tour als Nächstes geplant war: 50 Meilen durch die Olympic Mountains. Die von ihm ausgewählte Route hieß „Press Expedition Trail“, benannt nach einer Gruppe, die im Jahr 1890, von einer Zeitung finanziert, die Gegend erkundet hatte. Ob er die Unternehmung meinte, bei der die Teilnehmer fast verhungert wären und ihnen die Kleidung am Körper verrottet war? Ja, bestätigte er, aber das sei doch lange her.

Acht Jahrzehnte später ist die Wanderung immer noch anstrengend; in jenem Jahr gab es eine Menge Schnee, was sie zu einem besonders entmutigenden Unterfangen machte. Da aber alle anderen – Rocky, Reilly und Danny – Feuer und Flamme waren, konnte ich mich wohl kaum drücken. Außerdem war ein jüngerer Pfadfinder namens Chip bereit, sich uns anzuschließen. Ich musste mit.

Geplant war, den Low Divide Pass zu erklimmen, zum Quinault River hinabzusteigen und dann denselben Weg zurückzuwandern, wobei wir in Blockhütten entlang des Weges übernachten würden. Die Tour würde sieben oder acht Tage in Anspruch nehmen. Der erste Tag war noch recht leicht, wir verbrachten die Nacht auf einer wunderschönen schneebedeckten Wiese. Während der nächsten ein, zwei Tage, beim Aufstieg zum Low Divide, wurde der Schnee tiefer. Als wir unser Nachtquartier erreichten, lag die Hütte unter Schnee begraben. Innerlich freute ich mich schon. Bestimmt würden wir umkehren, dachte ich, und zu der weitaus einladenderen Schutzhütte absteigen, an der wir schon vorbeigekommen waren. Dort würden wir ein Feuer machen, uns aufwärmen und essen.

Mike meinte, wir sollten abstimmen: umkehren oder weiterwandern bis zum Fluss. Beide Optionen bedeuteten eine mehrstündige Wanderung. „Die Schutzhütte, an der wir vorbeigekommen sind, liegt 500 Meter weiter unten. Wir können dorthin zurückkehren, oder aber wir wandern weiter zum Quinault River“, erklärte Mike. Dass wir mit dem Abstieg unsere Mission, nämlich den Fluss zu erreichen, aufgeben müssten, brauchte er nicht weiter auszuführen.

„Was meinst du, Dan?“, fragte Mike. Danny war der inoffizielle stellvertretende Anführer unserer kleinen Gruppe. Er war größer als alle anderen, ein ausdauernder Wanderer mit langen Beinen, die offenbar nie ermüdeten. Was auch immer er antwortete, würde die Entscheidung beeinflussen.

„Gehen wir weiter, wir sind fast da, vielleicht sollten wir einfach weitergehen“, sagte Danny. Als die Hände hochgingen, war klar, dass ich in der Minderheit war. Wir würden weitermachen.

Später, als wir schon wieder durch den Schnee stapften, sagte ich zu ihm: „Danny, ich bin echt enttäuscht von dir. Du hättest das hier verhindern können.“ Das meinte ich im Scherz, aber nur halb.

Ich erinnere mich deutlich, wie kalt und elend mir an diesem Tag war. Und ich erinnere mich auch, was ich dagegen tat: Ich zog mich in meine Gedanken zurück.

Vor meinem inneren Auge hatte ich Programmiersprache.

Etwa zur selben Zeit hatte jemand der Lakeside einen Computer überlassen, einen sogenannten PDP-8, hergestellt von der Digital Equipment Corporation. Das war 1971, und obwohl ich mich bereits intensiv mit der aufkommenden Welt der Computer beschäftigte, hatte ich noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Bis dahin hatten meine Freunde und ich nur riesige Großrechner genutzt, mit denen mehrere Personen gleichzeitig arbeiteten. Entweder standen diese in einem gesonderten Raum, oder aber wir stellten über eine Telefonleitung eine Verbindung zu ihnen her. Der PDP-8 aber war für die direkte Nutzung durch eine Person konzipiert und immerhin so klein, dass er neben einem auf einem Tisch stand. Die 36 Kilo schwere, 8500 Dollar teure Maschine war wahrscheinlich das, was den ein Jahrzehnt später auf den Markt kommenden Personal Computern am nächsten kam. Ich nahm mir vor, eine Version der BASIC-Programmiersprache für den neuen Computer zu schreiben.

Vor der Wanderung hatte ich an dem Teil des Programms gearbeitet, der dem Computer die Reihenfolge vorgibt, in der er Operationen ausführen soll, etwa wenn jemand eine Rechenaufgabe wie 3(2 + 5) × 8 – 3 eingibt oder auch ein Spiel erstellen will, das komplexe Mathematik erfordert. Beim Programmieren spricht man hier von einem „Formula Evaluator“, also einer Art „Ausdrucksauswertung“. Nun stapfte ich also durch den Schnee, hatte den Blick auf den Boden geheftet und grübelte darüber nach, welche Schritte für die Ausführung der Operationen erforderlich waren. Die Devise lautete: So wenige wie möglich. Computer hatten damals nur sehr wenig Speicher, daher mussten Programme schlank sein und mit wenig Befehlen auskommen, um den Speicher nicht zu überlasten. Der PDP-8 hatte nur 6 Kilobyte Arbeitsspeicher. Ich ging im Kopf durch, wie der Computer meine Befehle befolgen würde. Der Rhythmus meiner Schritte half mir beim Denken, ähnlich wie meine Angewohnheit, auf der Stelle zu wippen. Den restlichen Tag über war ich in mein Programmierrätsel vertieft. Als wir ins Tal hinabstiegen, wich der Schnee einem sanft abfallenden Pfad durch einen alten Fichten- und Tannenwald. Wir erreichten den Fluss, schlugen unser Lager auf, aßen unseren Spam Stroganoff und konnten endlich schlafen.

Früh am nächsten Morgen stiegen wir wieder zum Low Divide hinauf, der Wind peitschte uns die Graupel ins Gesicht. Wir hielten lange genug unter einem Baum an, um uns eine Packung Ritz Crackers zu teilen, und gingen weiter. Jedes Lager, das wir fanden, war voll mit anderen Wanderern, die den Sturm abwarteten. Also gingen wir einfach weiter und fügten einem unendlich langen Tag weitere Stunden hinzu. Beim Überqueren eines Baches stürzte Chip und schlug sich das Knie auf. Mike säuberte die Wunde und verband sie mit einem Schmetterlingsverband; wir kamen nur noch so schnell voran, wie Chip humpelte. Die ganze Zeit über analysierte ich schweigend meinen Code. Während der zwanzig Meilen, die wir an diesem Tag gewandert sind, habe ich kaum ein Wort gesprochen. Schließlich kamen wir zu einem Unterstand, der Platz für uns bot, und schlugen unser Lager auf.

Wie der berühmte Ausspruch „Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich einen kürzeren Brief geschrieben“ nahelegt, ist es einfacher, ein Programm in unpräzisem Code zu schreiben, der sich über mehrere Seiten erstreckt, als für dasselbe Programm nur eine Seite zu benötigen. Die unpräzise Version läuft langsamer und verbraucht mehr Speicherplatz. Unsere Wanderung bot mir genug Zeit, mich kurz zu fassen. An diesem langen Tag konnte ich mein Programm weiter reduzieren, so als würde ich kleine Stücke von einem Stock schnitzen, um seine Spitze zu schärfen. Das Ergebnis erschien mir effizient und erfreulich simpel. Es war mit Abstand der beste Code, den ich je geschrieben habe.

Als wir uns am nächsten Nachmittag auf den Rückweg zum Ausgangspunkt machten, wich der Regen endlich einem klaren Himmel und der Wärme des Sonnenlichts. Ich fühlte das Hochgefühl, das mich nach einer Wanderung immer überkommt, wenn die ganze harte Arbeit hinter mir liegt.

Als die Schule im Herbst wieder anfing, hatte derjenige, der uns den PDP-8 geliehen hatte, ihn zurückverlangt. Ich habe mein BASIC-Projekt nie beendet. Aber der Code, den ich auf dieser Wanderung schrieb, mein Ausdrucksauswerter und seine Schönheit blieben mir erhalten.

Dreieinhalb Jahre später war ich Student im zweiten Semester und wusste nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte, als Paul, einer meiner Freunde aus Lakeside, mit der Nachricht von einem bahnbrechenden Computer in mein Wohnheimzimmer platzte. Ich wusste, dass wir eine BASIC-Sprache für ihn schreiben konnten: Wir hatten einen Vorsprung. Das erste, was ich tat, war, mich an diesen elenden Tag auf der Low Divide zu erinnern und den von mir geschriebenen Auswertecode aus meinem Gedächtnis zu holen. Ich tippte ihn in einen Computer ein und legte damit den Grundstein für eines der größten Unternehmen der Welt und den Beginn eines neuen Industriezweigs.


kapitel eins 
Trey

Irgendwann würde es ein großes Unternehmen geben, würden Millionen Zeilen lange Softwareprogramme in Milliarden von überall auf der Welt verwendeten Computern stecken. Es würde Reichtum und Rivalen geben und die ständige Sorge, wie man sich an der Spitze einer technologischen Revolution behauptet.

Vor all dem aber gab es ein Kartenspiel und nur ein Ziel: meine Großmutter zu schlagen.

In meiner Familie konnte man besonders schnell zu Ruhm kommen, wenn man ein guter Spieler war. Gerade Kartenspiele hatten es uns angetan. Wer Rommé, Bridge oder Canasta beherrschte, dem war unser Respekt sicher. Meine Großmutter mütterlicherseits, Adelle Thompson, machte diese Spielebegeisterung zu einer Familienlegende. „Die beste Kartenspielerin ist und bleibt Gami“, hieß es in meiner Kindheit immer.

Gami wuchs in der Eisenbahnstadt Enumclaw im Bundesstaat Washington auf. Der Ort liegt weniger als 50 Meilen von Seattle entfernt, aber im Jahr 1902, dem Jahr ihrer Geburt, war er vollkommen abgeschieden. Gamis Vater arbeitete als Telegrafist bei der Eisenbahn, und ihre Mutter Ida Thompson – Lala genannt – verdiente sich mit dem Backen von Kuchen und dem Verkauf von Kriegsanleihen in der örtlichen Sägemühle ein bescheidenes Einkommen. Schon Lala spielte gern. Ihre Bridge-Partnerinnen, zu denen Bankiersgattinnen und die Frau des Sägemühlenbesitzers gehörten, kamen aus der feinen Gesellschaft. Diese Damen hatten vielleicht mehr Geld oder einen höheren sozialen Status, aber Lala glich das Gefälle aus, indem sie sie beim Kartenspielen besiegte. Dieses Talent wurde an Gami und bis zu einem gewissen Grad an deren einziges Kind, meine Mutter, weitergegeben.

Meine Einführung in die familiäre Spielkultur begann früh. Ich lag noch in den Windeln, da nannte Lala mich schon „Trey“, im Kartenspielerjargon das Wort für die „Drei“. Der Name lehnte daran an, dass ich nach meinem Vater und Großvater der dritte Bill Gates der Familie war. (Eigentlich bin ich Nummer vier, aber mein Vater entschied sich für den „Junior“, also wurde ich Bill Gates III genannt.) Als ich fünf war, brachte Gami mir das Quartettspielen bei. Darauf folgten Jahre mit unzähligen Kartenrunden. Wir spielten zum Spaß, wir spielten, um uns gegenseitig zu ärgern und zum Zeitvertreib. Aber meine Großmutter spielte vor allem, weil sie gewinnen wollte. Und sie gewann immer.

Ihre Überlegenheit erstaunte mich. Warum war sie nur so gut? War das schon immer so gewesen? Vielleicht war es eine Art Gottesgabe? Schließlich war sie ein gläubiger Mensch. Lange fand ich keine Antwort darauf. Ich wusste nur, dass sie jedes Mal gewann. Egal bei welchem Spiel. Egal wie sehr ich mich anstrengte.

Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Religionsgemeinschaft der Christian Scientists immer mehr Verbreitung an der Westküste fand, wurden sowohl die Familie meiner Mutter als auch die meines Vaters zu frommen Anhängern. Ich nehme an, die Eltern meiner Mutter schöpften Kraft aus der „Christlichen Wissenschaft“ und teilten deren Überzeugung, dass die wahre Identität eines Menschen im Spirituellen und nicht im Materiellen zu finden sei. Für die Mitglieder der Christian Science ist das chronologische Alter nicht von Bedeutung, und so feierte Gami keine Geburtstage und gab ihr Alter nicht preis, ja noch nicht einmal ihr Geburtsjahr. Dabei drängte meine Großmutter ihre Überzeugungen anderen nicht auf. Meine Mutter und unsere Kernfamilie hingen der Religion nicht an. Gami versuchte jedoch nie, uns dazu zu überreden.

Wahrscheinlich trug ihr Glaube dazu bei, dass sie so starke Prinzipien an den Tag legte. Schon damals konnte ich erkennen, dass Gami strenge persönliche Anforderungen in Bezug auf Fairness, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit hatte. Ein gutes Leben war für sie ein einfaches Leben, in dem man seinen Mitmenschen Zeit und Geld schenkte und vor allem auch seinen Verstand benutzte und sich mit der Welt beschäftigte. Meine Großmutter verlor nie die Beherrschung, sie tratschte und kritisierte nicht. Sie war zu keiner Hinterlist fähig. Oft war sie die klügste Person im Raum, aber sie achtete darauf, niemanden in den Schatten zu stellen. Sie war im Grunde eine schüchterne Person, doch sie besaß ein inneres Selbstvertrauen, das sich in einer Zen-ähnlichen Gelassenheit zeigte.

Zwei Monate vor meinem fünften Geburtstag starb mein Großvater J. W. Maxwell Jr. an Krebs. Er wurde nur 59 Jahre alt. Als Anhänger der Christian Science hatte er moderne medizinische Eingriffe abgelehnt. Seine letzten Jahre waren qualvoll, und Gami als seine Pflegerin hatte ebenso zu leiden. Wie ich später erfuhr, bildete sich mein Großvater ein, er sei so krank geworden, weil Gami etwas getan hatte, das Gott als Sünde ansah und nun ihn bestrafte. Trotzdem stand sie stoisch an seiner Seite und pflegte ihn bis zu seinem Tod. Zu meinen deutlichsten Kindheitserinnerungen gehört, dass meine Eltern mich nicht zu seiner Beerdigung gehen ließen. Ich ahnte nur, was da vor sich ging, bekam aber mit, dass meine Mutter, mein Vater und meine ältere Schwester ihn verabschieden durften, während ich mit einem Babysitter zurückblieb. Ein Jahr später starb meine Urgroßmutter Lala, als sie gerade bei Gami zu Besuch war.

Von da an konzentrierte Gami all ihre Liebe und Aufmerksamkeit auf mich und meine ältere Schwester Kristi, später dann auch auf meine jüngere Schwester Libby. Sie hat uns durch Kindheit und Jugend begleitet und unsere Persönlichkeit tiefgreifend geprägt. Sie las mir vor, bevor ich ein Buch halten konnte, und auch noch in den Jahren danach, Klassiker wie Der Wind in den Weiden, Die Abenteuer des Tom Sawyer und Wilbur und Charlotte. Nach dem Tod meines Großvaters brachte Gami mir das Lesen bei und ließ mich zunächst die Wörter aus damals beliebten amerikanischen Kinderbüchern wie The Nine Friendly Dogs und It’s a Lovely Day nachsprechen. Später fuhr sie mit mir zur Bibliothek und versorgte uns so mit weiteren Büchern. Mir war klar, dass sie viel las und über viele Dinge Bescheid wusste.

Meine Großeltern hatten ein Haus in Windermere gebaut, einem gehobeneren Viertel Seattles. Es sollte genug Platz für Enkelkinder und Familienfeiern haben. Gami blieb dort wohnen, nachdem mein Großvater gestorben war. An manchen Wochenenden übernachteten Kristi und ich in dem Haus, abwechselnd hatte einer von uns das Privileg, in Gamis Zimmer zu schlafen. Der andere schlief im Zimmer nebenan, in dem alles, von den Wänden bis zu den Vorhängen, hellblau war. Das Straßenlicht und vorbeifahrende Autos warfen unheimliche Schatten in diesen blauen Raum. Ich hatte Angst, dort zu übernachten, und war immer erleichtert, wenn ich in Gamis Zimmer bleiben durfte.

Diese Wochenendbesuche waren etwas Besonderes. Das Haus meiner Großmutter lag nur ein paar Meilen von unserem entfernt, aber die Zeit dort fühlte sich an wie Urlaub. Gami hatte einen Pool und einen kleinen Minigolfplatz, den mein Großvater angelegt hatte. Außerdem durften wir fernsehen – ein Vergnügen, das bei uns zu Hause streng dosiert wurde. Gami war für alles zu haben. Dank ihr wurden meine Schwestern und ich zu begeisterten Spielern, die alles – Monopoly, Risiko, Memory – zu einem Wettkampfsport machten. Manchmal kauften wir zwei Exemplare eines Puzzles und wetteiferten, wer zuerst fertig würde. Wir wussten jedoch, was sie am liebsten spielte: An den meisten Abenden teilte sie nach dem Essen die Karten aus und zeigte uns wieder einmal, was eine Harke ist.

Mit etwa acht Jahren bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung davon, wie sie das machte. Ich erinnere mich noch genau an den Tag: Ich saß meiner Großmutter am Esstisch gegenüber, Kristi neben mir. Im Zimmer stand eines dieser riesigen alten Holzradios, das schon damals ein Relikt der Vergangenheit war. An einer anderen Wand thronte ein großer Schrank, in dem Gami das gute Geschirr aufbewahrte, das nur sonntags benutzt wurde.

Es ist ruhig, man hört nur, wie die Karten auf den Tisch klatschen, die wir im Schnellfeuer aufdecken und ablegen. Wir spielen Pounce, eine Art schnelles Solitaire mit mehreren Spielern. Ein Pounce-Dauergewinner weiß nicht nur, was er auf der Hand hat, sondern auch welche Karten in den einzelnen Stapeln der Spieler auftauchen und was in den gemeinsamen Stapeln auf dem Tisch liegt. Das Spiel belohnt ein gutes Arbeitsgedächtnis und die Fähigkeit, Muster zu erkennen, wodurch man sofort weiß, wie eine aufgedeckte Karte zu dem passt, was man auf der Hand hat. Ich aber weiß davon nichts. Ich weiß nur, dass Gami irgendetwas besitzt, womit sie das Glück auf ihre Seite zieht.

Ich starre meine Karten an und versuche verzweifelt, Anlegemöglichkeiten zu finden. Dann höre ich Gami sagen: „Deine Sechs passt.“ Und dann: „Deine Neun passt.“ Sie leitet meine Schwester und mich an, während sie gleichzeitig ihr eigenes Blatt spielt. Sie bekommt irgendwie alles mit, was am Tisch passiert, und scheint sogar die Karten zu kennen, die jeder von uns auf der Hand hält. Wie macht sie das bloß? Für echte Kartenspieler ist das nichts Besonderes: Je genauer man das Blatt seines Gegners verfolgt, desto besser sind die Gewinnchancen. Für mich kleinen Jungen ist es dennoch eine Offenbarung. Ich erkenne zum ersten Mal, dass es bei all dem Rätselraten und Glückhaben auch Dinge gibt, die ich lernen kann, um meine Gewinnchancen zu erhöhen. Mir wird klar, dass Gami nicht nur Glück oder Talent hat. Sie hat ihr Gehirn trainiert. Und das kann ich auch.

Von da an begann ich ein Kartenspiel mit dem Bewusstsein, dass jedes ausgeteilte Blatt die Möglichkeit bietet, etwas zu lernen. Ich musste diese Möglichkeit nur ergreifen. Genau das wusste auch Gami. Dennoch machte sie es mir nicht leicht. Sie hätte sich auch einfach mit mir hinsetzen und mir die Strategien und Taktiken verschiedener Spiele erklären können. Aber das war nicht ihre Art. Sie war nicht belehrend. Lieber ging sie mit gutem Beispiel voran. Wir spielten einfach immer weiter.

Wir spielten Pounce, Gin Rummy, Hearts und Sevens, mein Lieblingsspiel. Und wir spielten ihr Lieblingsspiel, eine komplizierte Variante von Gin, die sie Coast Guard Rummy nannte. Ein wenig Bridge spielten wir auch. Wir spielten uns von vorne bis hinten durch Edmond Hoyles Official Rules of Card Games und probierten bekannte wie unbekannte Kartenspiele, bis hin zu Binokel.

Die ganze Zeit behielt ich meine Großmutter genau im Auge. In der Informatik gibt es einen sogenannten Zustandsautomaten, wobei es sich um einen Programmteil handelt, der eine Eingabe erhält und basierend auf dem aktuellen Zustand einer Reihe von Bedingungen die optimale Aktion ausführt. Meine Großmutter besaß einen fein abgestimmten Zustandsautomaten für Karten. Ihr gedanklicher Algorithmus arbeitete sich methodisch durch Wahrscheinlichkeiten, Entscheidungsbäume und Spieltheorie. Solche Konzepte hätte ich damals nie artikulieren können, ich begann jedoch, sie intuitiv zu erfassen. Ich bemerkte, dass sie selbst in unvorhergesehenen Momenten eines Spiels, bei einer nie da gewesenen Kombination aus möglichen Zügen und Chancen, meist treffsicher den optimalen Zug machte. Wenn sie mal eine gute Karte verlor, erkannte ich im Nachhinein, dass sie sie aus einem bestimmten Grund geopfert hatte: nämlich um ihren Sieg vorzubereiten.

Wir spielten und spielten, und ich verlor eine Partie nach der anderen. Aber ich beobachtete alles und verbesserte mich. Gami hörte nicht auf, mich zu ermutigen. „Denk smart, Trey. Denk smart“, sagte sie, während ich meinen nächsten Zug abwog. Wenn ich meinen Verstand benutzte und konzentriert blieb, so die Idee dahinter, würde ich schon herausfinden, welche Karte ich spielen musste. Ich hatte die Chance, zu gewinnen.

Was ich eines Tages auch tat.

Es gab keine Fanfare. Keinen Hauptpreis. Kein Abklatschen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, welches Spiel wir gespielt haben, als ich zum ersten Mal mehr Partien gewann als sie. Ich weiß aber, dass meine Großmutter sich freute. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie anerkennend lächelte, weil ich mich offenbar weiterentwickelte.

Irgendwann – es brauchte noch fünf Jahre – gewann ich regelmäßig. Ich war fast ein Teenager, das Wetteifern lag mir. Ich genoss das mentale Ringen ebenso wie das befriedigende Gefühl, das das Erlernen einer neuen Fähigkeit mit sich bringt. Vor allem hat mich das Kartenspiel gelehrt: Ganz gleich, wie kompliziert oder gar rätselhaft etwas erscheint, man kann meist dahinterkommen. Die Welt kann begriffen werden.

 

Ich wurde am 28. Oktober 1955 als zweites von drei Kindern geboren. Meine Schwester Kristi, Jahrgang 1954, war 21 Monate älter; meine Schwester Libby erschien erst knapp ein Jahrzehnt später auf der Bildfläche. Als Baby wurde ich „Happy Boy“ genannt, weil mir angeblich ständig ein breites Grinsen im Gesicht stand. Bestimmt war es so, dass ich auch mal geweint habe, aber die sichtliche Freude überwog wohl. Eine weitere Eigenschaft, die ich als Kind an den Tag legte, könnte man als überschüssige Energie einordnen: Ich wippte gern. Zuerst auf einem Gummipferd, und das über Stunden. Als ich älter wurde, ging es ohne das Pferd weiter, ich wippte im Sitzen und im Stehen und wann immer ich Zeit hatte, mich in Gedanken zu vertiefen. Schaukeln war wie ein Metronom für mein Gehirn. Das ist es immer noch.

Schon früh merkten meine Eltern, dass sich der Takt in meinem Kopf von dem anderer Kinder unterschied. Kristi zum Beispiel tat, was man ihr sagte, spielte problemlos mit anderen Kindern und hatte von Anfang an gute Noten. Ich tat nichts dergleichen. Meine Mutter machte sich Sorgen um mich, und als ich in die Vorschule, die Acorn Academy, kommen sollte, warnte sie die Lehrer vorsichtshalber vor. Am Ende meines ersten Jahres schrieb der Schulleiter: „Seine Mutter hatte uns vorbereitet, denn sie ahnte wohl, dass er in deutlichem Kontrast zu seiner Schwester steht. Wir können uns dieser Einschätzung nur von Herzen anschließen, denn er wirkte entschlossen, uns mit seiner vollkommenen Sorglosigkeit gegenüber sämtlichen Aspekten des Schullebens zu beeindrucken. Er wusste nicht oder wollte nicht wissen, wie man eine Schere benutzt oder wie man seine Jacke anzieht, war damit aber absolut zufrieden.“ (Lustig auch, dass zu Kristis frühesten Erinnerungen gehört, dass sie die frustrierende Aufgabe hatte, mich in meinen Anorak zu zwingen, und sie mich am Ende auf den Boden legte, damit ich stillhielt und sie den Reißverschluss zumachen konnte.)

Mein zweites Jahr an der Acorn Academy begann ich als „neuerdings aggressives, rebellisches Kind“: ein Vierjähriger, der gern vor sich hinsang und imaginäre Reisen unternahm. Ich raufte mit anderen Kindern und war „die meiste Zeit frustriert und unglücklich“, berichtete der Direktor. Immerhin wurden meine Lehrer von meinen Zukunftsplänen wohlwollend gestimmt: „Wir fühlen uns von ihm sehr akzeptiert, da er uns als Passagiere auf seinem geplanten Mondflug vorsieht“, schrieben sie. (Ich war Kennedy wohl um ein paar Jahre voraus.)

Was den Pädagogen und meinen Eltern da auffiel, waren frühe Hinweise auf das, was kommen würde. Mit demselben Nachdruck, mit dem ich später das Rätsel um Gamis Kartenspielerfolge lösen wollte, verfolgte ich alles, was mich interessierte – und beachtete alles andere nicht. Zu den Dingen, die mich interessierten, gehörten Lesen, Mathematik und meinen Gedanken nachzugehen. Zu den Dingen, die mich nicht interessierten, gehörten die täglichen Abläufe des Lebens und der Schule, Handschrift, Kunst und Sport. Außerdem fast alles, was meine Mutter von mir verlangte.

Der Kampf meiner Eltern mit ihrem überaktiven, intelligenten und oft widerspenstigen, ungestümen Sohn sollte einen Großteil ihrer Energie während meiner Kindheit absorbieren und unsere Familie unauslöschlich prägen. Je älter ich werde, desto mehr verstehe ich, wie sehr sie dazu beigetragen haben, meinen unkonventionellen Weg ins Erwachsenenleben zu ebnen.

Mein Vater war ein zwei Meter großer sanfter Riese. Er besaß eine zurückgenommene Höflichkeit, die man von einem Mann, der meist alle anderen überragte, nicht erwarten würde. Im direkten Umgang war er geradeheraus und entschlossen, was ihm in seinem Beruf entgegenkam: Als Rechtsanwalt beriet er Unternehmen und Vorstände, später war er unser erster Stiftungsrat. Er war ein höflicher Mensch, zugleich aber scheute er sich nicht, seine Anliegen klar zu äußern. Und als Student war es ihm ein dringendes Anliegen, eine Tanzpartnerin zu haben.

Im Herbst 1946 hatte er zu den Millionen Veteranen gehört, denen ein großzügiges Regierungsprogramm eine Ausbildung ermöglichte. Aus Sicht meines Vaters war der einzige Nachteil der Maßnahme, dass sich auf dem Campus der University of Washington nun viel mehr Männer als Frauen befanden. Es bestanden daher eher geringe Chancen, eine Tanzpartnerin zu finden. Irgendwann bat er eine Freundin um Hilfe. Ihr Name war Mary Maxwell.

Er wusste, dass sie der studentischen Frauenverbindung Kappa Kappa Gamma angehörte und dort vielleicht jemanden kannte, der Interesse daran haben könnte, mit einem ziemlich großen Mann tanzen zu gehen. Sie versprach nachzufragen. Als sich daraufhin längere Zeit nichts tat und die beiden eines Tages direkt vor dem Verbindungshaus spazieren gingen, fragte mein Vater sie erneut, ob sie nicht jemanden kenne.

„Ich habe da eine Person im Sinn“, sagte sie. „Mich.“

Meine Mutter war 1,70 Meter groß, und mein Vater sagte ihr, sie sei dem Job als Tanzpartnerin buchstäblich nicht gewachsen. „Mary“, antwortete er, „du bist zu klein.“

Meine Mutter hüpfte an ihn heran, stellte sich auf Zehenspitzen, legte die flache Hand auf den Kopf und erwiderte: „Bin ich nicht! Ich bin groß.“

Der Annahme, er habe meine Mutter nur gebeten, ihm eine Tanzpartnerin zu besorgen, um sich ihr anzunähern, widersprach mein Vater beharrlich. Aber genau so geschah es. „Donnerwetter“, sagte er, „dann gehen wir doch zusammen aus.“ Die Dinge nahmen ihren Lauf, zwei Jahre später heirateten die beiden.

Ich habe diese Geschichte immer gern gehört, weil sie die Charaktere meiner Eltern so wunderbar treffend einfängt. Mein Vater: überlegt und unverblümt pragmatisch, manchmal sogar in Herzensangelegenheiten. Meine Mutter: kontaktfreudig und auch nicht gerade schüchtern, wenn es darum ging, zu bekommen, was sie wollte. Es war eine lustige Begebenheit, die sich in die größere Geschichte fügte, welche von Unterschieden handelte, die über die Körpergröße hinausgingen und beeinflussen sollten, wer ich wurde.

Die prägenden Jahre eines der einflussreichsten und umwälzendsten Wirtschaftsführer und Philanthropen der Neuzeit

Bill Gates erzählt zum ersten Mal seine eigene Geschichte: weise, warmherzig, aufschlussreich – ein faszinierendes Porträt eines amerikanischen Lebens.

– Ausgestattet mit Leseband und 72 Farb- und Schwarz-Weiß-Abbildungen –

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Wie wir die nächste Pandemie verhindern

Die COVID-19-Pandemie ist noch nicht überstanden. Doch während Regierungen auf der ganzen Welt noch versuchen, sie unter Kontrolle zu bringen, wird bereits diskutiert, wie es weitergehen kann und was als nächstes passieren sollte. Wie können wir verhindern, dass eine weitere Pandemie Millionen von Menschen tötet und der Weltwirtschaft verheerende Schäden zufügt? Können wir das überhaupt schaffen?

Bill Gates glaubt, dass das möglich ist, und er legt in seinem zuversichtlichen Buch klar und überzeugend dar, was die Welt von der COVID-19-Pandemie lernen sollte. Er erklärt die Wissenschaft hinter der Pandemiebekämpfung und liefert Vorschläge, was wir alle tun können, um solch eine weitere Katastrophe zu verhindern. Angesichts des weltweiten Erfolgs von „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“ (das auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste stand) wird Gates mehr denn je für seinen Beitrag zur Lösung der größten Herausforderungen der Welt respektiert.

Einführung

Als ich 2020 an einem Freitagabend Mitte Februar beim Dinner saß, wurde mir klar, dass sich COVID-19 zu einer globalen Katastrophe auswachsen würde.

Seit einigen Wochen war ich mit Experten[1] der Bill & Melinda Gates Foundation im Gespräch über eine neue ansteckende Atemwegserkrankung, die zuerst in China aufgetaucht war, sich inzwischen aber auch anderswo ausbreitete. Wir haben das Glück, ein Team von hervorragenden Fachleuten mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Erkennung, Behandlung und vorbeugenden Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu haben, und dieses Team hat die Ausbreitung von COVID-19 genau beobachtet. Das Virus war schnell auch in Afrika aufgetaucht, und aufgrund der ersten Lagebeurteilung der Stiftung und entsprechender Anfragen von afrikanischen Regierungen hatten wir Mittel bereitgestellt, um zu helfen, die weitere Ausbreitung des Virus zu bekämpfen, und um die Länder darin zu unterstützen, vorbereitet zu sein, falls die Seuche um sich greifen sollte. Wir hofften zwar, das Virus werde sich nicht über die ganze Welt ausbreiten, doch wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen, solange wir es nicht besser wussten.

Zu diesem Zeitpunkt gab es noch Gründe für die Hoffnung, dass die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden konnte und es keine Pandemie entfesseln würde. Die chinesische Regierung hatte beispiellose Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Millionenstadt Wuhan abzuriegeln – die Stadt, in der das Virus erstmals aufgetaucht war. Schulen und öffentliche Plätze wurden geschlossen, und die Bürger erhielten Ausgangskarten, mit denen sie jeden zweiten Tag für jeweils eine halbe Stunde aus dem Haus gehen durften.[i] Die Ausbreitung des Virus war noch so begrenzt, dass die meisten Länder die Menschen ohne Einschränkungen reisen ließen. Ich war noch Anfang Februar nach Südafrika geflogen, um an einem Prominenten-Tennismatch für wohltätige Zwecke teilzunehmen.

Als ich nach meiner Rückkehr aus Südafrika wieder in der Gates Foundation war, wollte ich mich in einem ausführlichen Gespräch über COVID-19 informieren lassen. Ich hatte eine zentrale Frage, an die ich ständig denken musste und über die ich mich gründlich informieren wollte: Konnte COVID-19 eingedämmt werden, oder würde sich die Seuche über die ganze Welt ausbreiten?

Ich griff zu einer bevorzugten Taktik, die ich seit Jahren immer wieder einsetze: das Arbeitsdinner. Eine Agenda ist dafür nicht nötig; man lädt einfach ein paar kluge Menschen ein, vielleicht ein Dutzend oder so, versorgt sie mit Essen und Getränken, stellt ein paar Fragen in den Raum und hört zu, wenn sie anfangen, laut darüber nachzudenken. Ein paar der besten Gespräche meines Arbeitslebens habe ich mit einer Gabel in der Hand und einer Serviette auf dem Schoß erlebt.

Ein paar Tage nach meiner Rückkehr aus Südafrika fragte ich also per E-Mail an, ob es am nächsten Freitag passen würde: „Wir könnten versuchen, uns mit den Leuten, deren Arbeit etwas mit dem Coronavirus zu tun hat, zum Dinner zu treffen, um uns auszutauschen.“ Trotz ihrer vollen Terminkalender waren fast alle so nett, zuzusagen, und so kamen an jenem Freitagabend ein Dutzend Experten von der Gates Foundation und anderen Organisationen zum Dinner in meinem Büro etwas außerhalb von Seattle zusammen. Bei Rippchen und verschiedenen Salaten wandten wir uns der Schlüsselfrage zu: Würde COVID-19 sich zu einer Pandemie ausweiten?

Wie ich an diesem Abend erfuhr, ließen die Zahlen nichts Gutes für die Menschheit erwarten. Vor allem, weil COVID-19 durch die Luft übertragen wird – wodurch es ansteckender ist als ein Virus, das durch Körperkontakt übertragen wird wie HIV oder Ebola –, bestand kaum Hoffnung, die Ausbreitung des Virus auf einige wenige Länder beschränken zu können. Innerhalb weniger Monate würden sich viele Millionen Menschen in aller Welt mit der Krankheit infizieren, und Millionen würden daran sterben.

Ich war fassungslos, dass die meisten Regierungen angesichts dieser drohenden Katastrophe nicht stärker beunruhigt waren, und fragte in die Runde: „Warum handeln die Regierungen nicht entschiedener?“

Ein Wissenschaftler im Team, der südafrikanische Forscher Keith Klugman, der von der Emory University zu unserer Stiftung gekommen war, sagte nur: „Eigentlich müssten sie das.“

Ansteckende Krankheiten – sowohl solche, die sich zu Pandemien ausweiten können, als auch solche, bei denen das nicht der Fall ist – sind für mich eine Art Obsession. Im Gegensatz zu den Themen meiner vorigen Bücher, Software und Klimawandel, sind tödliche Infektionskrankheiten im Allgemeinen nichts, worüber die Menschen nachdenken wollen. (COVID-19 ist die Ausnahme, die diese Regel bestätigt.) Ich musste lernen, auf Partys meine Begeisterung für Gespräche über AIDS-Therapien und Malaria-Impfstoffe zu zügeln.

Meine Leidenschaft für dieses Thema nahm vor 25 Jahren ihren Anfang, und zwar im Januar 1997, als Melinda und ich in der New York Times einen Artikel von Nicholas Kristof lasen. Nick berichtete darin, dass jedes Jahr 3,1 Millionen Menschen an Durchfall (Diarrhö) sterben, fast alle von ihnen Kinder.[ii] Wir waren schockiert – drei Millionen Kinder pro Jahr. Wie konnten so viele Kinder an etwas sterben, das, soweit wir wussten, kaum mehr als eine unbequeme Lästigkeit ist?

Aus dem Artikel erfuhren wir, dass die einfache, lebensrettende Medizin gegen Durchfall – eine preisgünstige Flüssigkeit, welche die verlorenen Nährstoffe ersetzt – für viele Millionen Kinder unerreichbar ist. Dies schien uns ein Problem zu sein, das zu lösen wir helfen konnten, und so begannen wir, Hilfsgelder bereitzustellen, um das Mittel in größeren Mengen zu verbreiten und die Entwicklung eines Impfstoffs zu fördern, der Durchfallerkrankungen von vornherein verhindern kann.[2]

Ich wollte mehr wissen. Ich nahm zu Bill Foege Kontakt auf, einem der Epidemiologen, dem wir die Ausrottung der Pocken zu verdanken haben, und ehemaligem Chef der Centers for Disease Control and Prevention (CDC, US-Behörde für Seuchenschutz und -prävention). Bill gab mir einen Stapel von 81 Lehrbüchern und Fachartikeln über Pocken, Malaria und öffentliche Gesundheit in armen Ländern; ich las alles, so schnell ich konnte, und bat ihn um mehr. Eines der Bücher, die mich am stärksten beeindruckten, trug den profanen Titel World Development Report 1993: Investing in Health, Volume 1 („Weltentwicklungsbericht 1993: Investieren in Gesundheit, Band 1“).[iv] Meine Obsession für Infektionskrankheiten – und vor allem Infektionskrankheiten in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen – hatte begonnen.

Wenn man beginnt, sich über Infektionskrankheiten zu informieren, kommt man schnell auf das Thema Ausbrüche, Epidemien und Pandemien. Die Definitionen für diese Begriffe sind weniger genau, als Sie vielleicht denken. Als Faustregel kann man sagen, dass ein Ausbruch vorliegt, wenn eine Krankheit in einem lokalen Gebiet ausbricht, eine Epidemie, wenn sich ein Ausbruch innerhalb eines Landes oder einer Region weiter ausbreitet, und eine Pandemie, wenn eine Epidemie weltweit auftritt und mehr als einen Kontinent betrifft. Und es gibt Krankheiten, die nicht kommen und gehen, sondern ständig in einer bestimmten Region anzutreffen sind – sie sind als endemische Krankheiten bekannt. So ist zum Beispiel Malaria in vielen äquatornahen Regionen endemisch. Falls COVID-19 nie ganz verschwinden sollte, wird es über kurz oder lang als endemische Krankheit klassifiziert werden.

Es ist nichts Ungewöhnliches, wenn ein neuer Krankheitserreger entdeckt wird. Laut Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) haben Wissenschaftler in den vergangenen fünfzig Jahren über 1500 davon identifiziert, von denen die meisten zunächst bei Tieren auftraten und dann auf Menschen übergriffen (Zoonose).

Einige davon haben kaum Schaden verursacht; andere, etwa HIV, sind zu Katastrophen geworden. Durch HIV/AIDS sind über 36 Millionen Menschen ums Leben gekommen; heute leben über 37 Millionen Menschen mit HIV. Im Jahr 2020 kamen 1,5 Millionen neue Fälle hinzu; allerdings sinkt die Zahl neuer Fälle von Jahr zu Jahr, da Infizierte, die in geeigneter Weise mit einem antiviralen Medikament (Virostatikum) behandelt werden, die Krankheit nicht weitergeben.[v] Und mit Ausnahme der Pocken – der einzigen Krankheit des Menschen, die jemals vollständig ausgerottet wurde – sind die alten Infektionskrankheiten nach wie vor unter uns. Selbst die Pest, welche die meisten von uns mit dem Mittelalter assoziieren, kommt immer noch vor; 2017 zum Beispiel brach sie in Madagaskar aus, infizierte über 2400 Menschen und forderte über 200 Todesopfer.[vi] Bei der WHO gehen jedes Jahr Berichte über mindestens vierzig Cholera-Ausbrüche ein. Zwischen 1976 und 2018 kam es zu 24 lokalisierten Ausbrüchen und einer Epidemie von Ebola. Wenn man die kleineren davon mitzählt, treten jedes Jahr vermutlich über 200 Ausbrüche von Infektionskrankheiten auf.

AIDS und andere „stille Epidemien“, wie sie genannt werden – Tuberkulose, Malaria und andere – sowie Durchfallerkrankungen und Müttersterblichkeit stehen im Mittelpunkt der weltweiten Arbeit der Gates Foundation zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit. Im Jahr 2000 forderten diese Krankheiten insgesamt über 15 Millionen Todesopfer, viele von ihnen Kinder, und dennoch wurde erschreckend wenig Geld für ihre Bekämpfung ausgegeben.[viii] Melinda und ich erkannten dies als den Bereich, in dem unsere Ressourcen und unser Wissen darüber, wie man Teams aufbaut, um neue Innovationen zu schaffen, die größte Wirkung erzielen können.

Dies ist das Thema eines weitverbreiteten Missverständnisses über die Arbeit unserer Stiftung zur Förderung der öffentlichen Gesundheit: Sie konzentriert sich keineswegs darauf, Menschen in reichen Ländern vor Krankheiten zu schützen, sondern hat vielmehr das Ziel, die Lücke in der medizinischen Versorgung zwischen Hoch- und Niedriglohnländern zu verkleinern. Zwar haben wir im Zuge dieser Arbeit eine Menge über Krankheiten gelernt, die auch reichen Ländern zusetzen können, und ein Teil der von uns bereitgestellten Mittel wird zur Bekämpfung dieser Krankheiten beitragen, aber sie stehen nicht im Zentrum unserer Fördertätigkeit. Die Privatwirtschaft, die Regierungen reicher Länder und andere Philanthropen stellen umfangreiche Ressourcen für solche Initiativen zur Verfügung.

Pandemien betreffen natürlich alle Länder, und ich habe viel über dieses Thema nachgedacht, seit ich begann, mich mit ansteckenden Krankheiten zu beschäftigen. Viren, die die Atemwege angreifen, sogenannte „respiratorische Viren“ oder „Atemwegsviren“ – darunter auch die Influenza-Familie (Grippeerreger) und die Coronavirus-Familie – sind besonders gefährlich, weil sie sich so schnell ausbreiten können.

Und die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pandemie ausbrechen wird, steigt ständig. Das liegt unter anderem daran, dass der Mensch infolge des Wachstums der Städte immer weiter in natürliche Lebensräume eindringt, immer häufiger mit Tieren interagiert und dadurch mehr Gelegenheiten für Krankheitserreger entstehen, vom Tier auf den Menschen überzuspringen. Ein anderer Grund ist, dass der internationale Reiseverkehr rapide zunimmt (zumindest bis COVID-19 dessen Wachstum verlangsamte): Im Jahr 2019, also vor COVID-19, gab es 1,4 Milliarden internationale Ankünfte pro Jahr – 1950 waren es nur 25 Millionen.[x] Die Tatsache, dass es seit einem Jahrhundert keine katastrophale Pandemie mehr gegeben hat – die letzte war die Grippe von 1918, die ungefähr fünfzig Millionen Menschen das Leben kostete –, ist zum großen Teil reinem Glück geschuldet.

Im Jahr 2019 war die Möglichkeit einer Grippepandemie relativ gut bekannt; viele Menschen hatten von der Grippe von 1918 zumindest schon einmal gehört, und vielleicht konnten sie sich auch noch an die Schweinegrippe-Pandemie von 2009 bis 2010 erinnern. Als ich mir all dieses Wissen aneignete, in den frühen 2000er-Jahren, wurde über Coronaviren – die eine der drei Virusarten sind, welche die meisten einfachen Erkältungen verursachen – nicht annähernd so oft gesprochen wie über Grippe.

Je mehr ich erfuhr, desto klarer wurde mir, wie schlecht die Welt auf eine schwere Epidemie durch Atemwegsviren vorbereitet war. Ich las einen Bericht über die Reaktion der WHO auf die Schweinegrippe-Pandemie von 2009, der mit einer geradezu prophetischen Warnung endete: „Die Welt ist schlecht vorbereitet, um auf eine schwere Influenza-Epidemie oder eine andere, ähnlich globale, anhaltende und bedrohliche Notlage der öffentlichen Gesundheit wirkungsvoll reagieren zu können.“ Der Bericht enthielt einen Plan, der Schritt für Schritt aufzeigte, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, damit ein Gemeinwesen vorbereitet ist. Nur wenige dieser Schritte wurden tatsächlich umgesetzt.

Im darauffolgenden Jahr begann mein Freund Nathan Myhrvold mir von seinen Forschungen zu den größten Bedrohungen für die Menschheit zu erzählen. Auch wenn eine menschengemachte Biowaffe – eine im Labor erzeugte Krankheit – seine größte Sorge war, standen in der freien Natur vorkommende Viren doch ebenfalls ziemlich weit oben auf seiner Liste.

Ich kenne Nathan seit Jahrzehnten. Er hat Microsofts richtungweisende Forschungsabteilung aufgebaut und ist ein Universalgelehrter, der über Kochen (!), Dinosaurier, Astrophysik und diverse andere Themen geforscht hat. Er neigt nicht dazu, Risiken zu übertreiben. Nachdem er mir erklärt hatte, dass Regierungen in aller Welt praktisch nichts taten, um sich auf Pandemien jedweder Art – seien sie natürlichen Ursprungs oder menschengemacht – vorzubereiten, unterhielten wir uns darüber, wie sich das ändern ließe.[3]


[1] Anmerkung des Übersetzers: Um den Lesefluss nicht zu stören, wird in diesem Buch der Einfachheit halber bei der Bezeichnung von Personen oder Personengruppen in den meisten Fällen nur die männliche oder weibliche Form verwendet. Selbstverständlich ist dabei stets die jeweils andere Form gleichrangig miteinbezogen.

[2] In Kapitel 3 werde ich berichten, was daraus geworden ist.

[3] Schließlich verfasste Nathan einen Beitrag über diese Ideen, der unter dem Titel „Strategic Terrorism: A Call to Action“ („Strategischer Terrorismus: ein Aufruf zum Handeln“) in dem Blog Lawfare erschien. Sie können den Text hier finden: papers.ssrn.com. Ich würde empfehlen, ihn nicht vorm Schlafengehen zu lesen – er ist ernüchternd.



[i] Hien Lau et al., „The Positive Impact of Lockdown in Wuhan on Containing the COVID-19 Outbreak in China“, in: Journal of Travel Medicine 27, Nr. 3, April 2020.

[ii] Nicholas D. Kristof, „For Third World, Water Is Still a Deadly Drink“, in: The New York Times, 9. Januar 1997.

[iii] Aus der New York Times. © 1997 The New York Times Company. Alle Rechte vorbehalten. Abgedruckt mit Genehmigung.

[iv] World Bank, World Development Report 1993, elibrary.worldbank.org.

[v] World Health Organization (WHO), „Number of New HIV Infections“, www.who.int.

[vi] WHO, „Managing Epidemics: Key Facts About Major Deadly Diseases“, 2018, www.who.int.

[vii] Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington, Global Burden of Disease Study 2019.

[viii] Institute of Health Metrics, Global Burden of Disease Compare, vizhub.healthdata.org/gbd-compare.

[ix] Foto: Eye Ubiquitous/Universal Images Group via Getty Images.

[x] Our World in Data, „Tourism“, www.ourworldindata.org.

Wir haben jetzt die Chance, aus unseren Fehlern zu lernen!


Bill Gates

Wie wir die Klimakatastrophe verhindernWie wir die Klimakatastrophe verhindern

Welche Lösungen es gibt und welche Fortschritte nötig sind

In diesem dringlichen, maßgebenden Buch legt Bill Gates einen weitreichenden, praktischen – und zugänglichen – Plan dafür vor, wie die Welt die Treibhausgasemissionen rechtzeitig auf null senken kann, um eine Klimakatastrophe zu verhindern.

Seit einem Jahrzehnt untersucht Bill Gates die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels. Mithilfe von Experten aus Physik, Chemie, Biologie, Ingenieurwesen, Politikwissenschaft und Finanzwesen hat er sich auf das konzentriert, was getan werden muss, um die Umweltkatastrophe zu verhindern, die unserem Planeten bevorsteht. In diesem Buch erklärt er nicht nur, warum wir auf eine Netto-null-Emission der Treibhausgase hinarbeiten müssen, sondern auch, was wir konkret tun müssen, um dieses überaus wichtige Ziel zu erreichen.
Mit klarem Blick beschreibt er die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Ausgehend von seinem Verständnis von Innovation und dem, was nötig ist, um neue Ideen auf den Markt zu bringen, beschreibt er die Bereiche, in denen die Technologie bereits zur Emissionsreduzierung beiträgt, wo und wie die aktuelle Technologie effektiver gestaltet werden kann, wo bahnbrechende Technologien benötigt werden und wer an diesen wesentlichen Innovationen arbeitet. Abschließend legt er einen konkreten, praktischen Plan vor, wie sich die Emissionen auf null reduzieren lassen. Er empfiehlt nicht nur politische Maßnahmen, die Regierungen ergreifen sollten, sondern zeigt auch, was wir als Einzelne tun können, um unsere Regierung, unsere Arbeitgeber und uns selbst in diesem entscheidenden Unterfangen in die Pflicht zu nehmen.
Bill Gates macht deutlich, dass das Ziel der Emissionsfreiheit nicht leicht zu erreichen sein wird, aber wenn wir dem Plan folgen, den er hier vorlegt, ist dieses Ziel, durchaus erreichbar. Wie Bill Gates deutlich macht, wird das Ziel von null Emissionen nicht einfach oder leicht zu erreichen sein, aber wenn wir den von ihm hier dargelegten Plan befolgen, ist es ein Ziel, das durchaus in unserer Reichweite liegt.

Einführung
Von 51 Milliarden auf null

Es gibt zwei Zahlen, die Sie über den Klimawandel kennen sollten. Die erste ist 51 Milliarden. Die andere ist null.
Die 51 Milliarden beziffern die Menge der Tonnen an Treibhausgasen, die typischerweise weltweit jedes Jahr in die Atmosphäre freigesetzt werden. Diese Zahl kann von Jahr zu Jahr ein bisschen steigen oder fallen, aber im Großen und Ganzen nimmt sie zu. Das ist der Stand der Dinge heute.
Null ist das Ziel, das wir uns setzen müssen. Um die Erderwärmung zu stoppen und die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern – und diese Folgen werden verheerend sein –, müssen die Menschen aufhören, der Atmosphäre Treibhausgase zuzuführen.
Das klingt schwierig, denn es wird schwierig sein. Die Menschheit hat noch nie etwas so Großes unternommen. Es bedeutet, dass jedes Land seine Gewohnheiten wird ändern müssen. Bei so gut wie allen Aktivitäten des modernen Lebens – Landwirtschaft, Industrie, Transport und Verkehr – werden Treibhausgase freigesetzt, und nach und nach werden immer mehr Menschen diesen modernen Lebensstil übernehmen. Das ist gut, weil es bedeutet, dass ihr Leben besser wird. Wenn sich aber nichts anderes ändert, wird die Menschheit immer weiter Treibhausgase produzieren, der Klimawandel wird sich immer weiter verschärfen, und seine Folgen für die Menschheit werden aller Wahrscheinlichkeit nach katastrophal sein.
Aber „Wenn sich nichts anderes ändert“ ist ein großes „Wenn“. Ich glaube, die Dinge können sich ändern. Wir verfügen schon jetzt über einige der Werkzeuge, die wir dafür benötigen – und was jene angeht, über die wir noch nicht verfügen, bin ich aufgrund von all dem, was ich über Klima und Technologie gelernt habe, optimistisch, dass wir sie erfinden, einsetzen und eine Klimakatastrophe verhindern können, wenn wir nur schnell genug handeln.
In diesem Buch geht es darum, was getan werden muss, um das zu erreichen, und warum ich glaube, dass wir es schaffen können.

Vor zwanzig Jahren hätte ich nie erwartet, dass ich eines Tages Vorträge über den Klimawandel halten, geschweige denn ein Buch darüber schreiben würde. Mein Background ist Softwareentwicklung, nicht Klimawissenschaften, und heutzutage ist mein Vollzeitjob, gemeinsam mit meiner Frau Melinda für die Gates Foundation zu arbeiten, wo wir uns voll und ganz auf globale Gesundheit und Entwicklung sowie das Bildungswesen in den USA konzentrieren.
Mein Interesse am Klimawandel entstand auf einem Umweg – und zwar über das Problem von Energiearmut.
Anfang der 2000er-Jahre, als unsere Stiftung gerade mit ihrer Arbeit begann, fing ich an, in einkommensschwache Länder in Subsahara-Afrika und in Südasien zu reisen, um mir vor Ort ein Bild zu machen über Kindersterblichkeit, HIV und die anderen großen Probleme, mit denen wir uns beschäftigen. Doch auf solchen Reisen dachte ich nicht nur an Krankheiten. Hin und wieder, wenn ich in einer Großstadt angekommen war, schaute ich abends aus dem Fenster und dachte: Warum ist es bloß so dunkel da draußen? Wo sind all die Lichter, die ich sehen würde, wenn das hier New York, Paris oder Peking wäre?
In Lagos, der größten Stadt Nigerias, kam ich durch unbeleuchtete Straßen, wo die Menschen sich um Feuer drängten, die sie in alten Öltonnen entfacht hatten. In abgelegenen Dörfern sprachen Melinda und ich mit Frauen und Mädchen, die jeden Tag stundenlang Feuerholz sammeln mussten, um vor ihrer Hütte im Dorf über einem offenen Feuer kochen zu können. Wir trafen Kinder, die ihre Hausaufgaben bei Kerzenlicht machen mussten, weil es im Dorf keinen Strom gab.
Melinda und ich treffen oft Kinder wie den neunjährigen Ovulube Chinachi, der in Lagos, Nigeria lebt und seine Hausaufgaben bei Kerzenlicht macht.

Ich erfuhr, dass weltweit etwa eine Milliarde Menschen keinen zuverlässigen Zugang zum Stromnetz hatten und dass die Hälfte von ihnen in Subsahara-Afrika lebte. (Seither hat sich die Lage ein bisschen verbessert; heute haben noch etwa 860 Millionen Menschen keinen Strom.) Ich dachte an das Motto unserer Stiftung – „Jeder Mensch verdient die Chance, ein gesundes und produktives Leben zu führen“ –, und mir wurde klar, wie schwierig es ist, gesund zu bleiben, wenn die örtliche Klinik Impfstoffe nicht kühlen kann, weil der Kühlschrank keinen Strom hat. Es ist schwierig, produktiv zu sein, wenn man kein Licht hat, um zu lesen. Und es ist unmöglich, eine Wirtschaft aufzubauen, in der jeder Mensch die Chance auf einen Arbeitsplatz hat, wenn für Büros, Fabriken und Callcenter kein erschwinglicher Strom zuverlässig und in großen Mengen zur Verfügung steht.
Ungefähr zu dieser Zeit schickte mir der Wissenschaftler David MacKay von der University of Cambridge, der leider inzwischen verstorben ist, eine Grafik, in der die Beziehung zwischen Einkommen und Energieverbrauch dargestellt ist: zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen eines Landes und dem Stromverbrauch seiner Menschen. In der Grafik war auf der einen Achse das Pro-Kopf-Einkommen diverser Länder aufgetragen und auf der anderen der Energieverbrauch pro Person – und sie machte mir unmissverständlich klar, dass die beiden Zahlen zusammenhängen:
((Abbildung))
Während ich all diese Informationen sacken ließ, begann ich darüber nachzudenken, wie die Menschheit es schaffen könnte, Energie für die Armen der Welt erschwinglich und zuverlässig zu machen. Für unsere Stiftung war es nicht sinnvoll, dieses riesige Problem anzupacken – wir mussten auf unsere eigentliche Mission fokussiert bleiben –, doch ich fing an, mich mit einigen Erfindern in meinem Freundeskreis über verschiedene Ideen zu unterhalten. Ich las sehr viel zu diesem Thema, unter anderem einige sehr aufschlussreiche Bücher des Wissenschaftlers und Historikers Vaclav Smil, der mir klarmachte, was für eine kritische Rolle Energie für eine moderne Zivilisation spielt.
Damals hatte ich noch nicht verstanden, dass wir auf null kommen müssen. Die reichen Länder, die für den größten Teil der Emissionen verantwortlich sind, hatten begonnen, den Klimawandel zur Kenntnis zu nehmen, und ich dachte, das würde genügen. Mein Beitrag, so glaubte ich, würde darin bestehen, mich dafür einzusetzen, dass eine zuverlässige Stromversorgung auch für Arme erschwinglich wird.
Zum einen würden sie am meisten davon profitieren. Für sie würde billigere Energie nicht nur bedeuten, abends Licht zu haben, sondern auch günstigere Düngemittel für ihre Felder und Zement für ihre Häuser. Und zum anderen haben die Armen durch den Klimawandel am meisten zu verlieren. Die meisten von ihnen sind Kleinbauern, die ohnehin schon am Rande des Existenzminimums leben und noch mehr Dürren und Überflutungen nichts entgegenzusetzen haben.
Doch dann änderte ich meine Perspektive, als ich mich Ende 2006 mit zwei früheren Microsoft-Kollegen traf, die im Begriff waren, Non-Profit-Organisationen im Bereich Energie und Klima ins Leben zu rufen. Sie hatten zwei Klimawissenschaftler mitgebracht, die sich mit diesen Problemen gut auskannten, und die vier zeigten mir die Daten, die Treibhausgasemissionen mit dem Klimawandel verknüpften.
Ich wusste, dass Treibhausgase die Temperaturen steigen lassen, aber ich hatte angenommen, dass es zyklische Schwankungen oder andere Faktoren geben müsse, die eine echte Klimakatastrophe auf natürlichem Wege verhindern würden. Und es fiel mir schwer zu akzeptieren, dass die Temperaturen immer weiter steigen werden, solange der Mensch weiterhin Treibhausgase freisetzt – ganz egal, in welchen Mengen.
Ich traf mich noch einige Male mit dieser Gruppe, weil ich weitere Fragen hatte. Und schließlich begriff ich: Die Menschheit muss mehr Energie bereitstellen, damit die Ärmsten besser leben können, doch wir müssen diese Energie erzeugen, ohne noch mehr Treibhausgase freizusetzen.
Jetzt kam mir das Problem noch gewaltiger vor. Es genügte nicht, billige und zuverlässige Energie für Arme zu liefern – sie musste auch noch sauber sein.
Ich sog weiterhin möglichst viele Informationen über den Klimawandel auf. Ich traf mich mit Experten für Themen wie Klima, Landwirtschaft, Ozeane, Meeresspiegel, Gletscher, Stromnetze und anderes mehr. Ich las die Berichte, die vom Intergovernmental Panel on Climate Change ((IPCC) veröffentlicht werden, dem Ausschuss der Vereinten Nationen, der den wissenschaftlichen Konsens zu diesem Thema herstellt. Ich sah mir Earth’s Changing Climate an, eine Reihe von fantastischen Video-Vorlesungen von Professor Richard Wolfson, die im Rahmen der Serie „Great Courses“ erhältlich sind. Ich las Weather for Dummies – nach wie vor eines der besten Bücher zum Thema Wetter, die ich gefunden habe.
Mir wurde klar, dass unsere heutigen Quellen erneuerbarer Energien – hauptsächlich Wind- und Solarenergie – ein großer Schritt zur Lösung des Problems sein könnten, wir aber nicht genug tun, um sie einzusetzen. Und mir wurde auch klar, warum diese Quellen allein nicht reichen werden, um uns den weiten Weg bis zur Null hinunterzubringen. Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht immer, und wir haben keine bezahlbaren Batterien, die so große Energiemengen, wie sie zur Versorgung einer Stadt gebraucht werden, lange genug speichern könnten. Davon abgesehen entfallen nur etwa 27 Prozent aller Treibhausgasemissionen auf die Stromerzeugung. Selbst wenn wir einen riesigen Durchbruch in der Batterietechnologie erreichten, müssten wir immer noch die restlichen 73 Prozent loswerden.
Nach einigen Jahren war ich von drei Tatsachen überzeugt:
1. Um eine Klimakatastrophe zu vermeiden, müssen wir auf null kommen.
2. Wir müssen die Tools, die wir schon haben – etwa Sonnen- und Windenergie –, schneller und klüger zum Einsatz bringen.
3. Und wir müssen bahnbrechende Technologien entwickeln und in der Praxis einsetzen, mit denen wir den Rest des Weges schaffen können.

Die Argumente für „null“ standen – und stehen – so fest wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Wenn wir nicht aufhören, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen, wird die Temperatur immer weiter steigen. Hier ist eine Analogie, die ich besonders anschaulich finde: Das Klima ist wie eine Badewanne, die langsam voll Wasser läuft. Selbst wenn wir den Wasserhahn bis auf ein Tröpfeln zudrehen, wird die Badewanne doch irgendwann voll sein und überlaufen, sodass der Fußboden überschwemmt wird. Das ist die Katastrophe, die wir verhindern müssen. Wenn wir uns das Ziel setzen, unsere Emissionen nur zu reduzieren, sie aber nicht zu eliminieren, wird das nicht ausreichen – das einzig vernünftige Ziel ist die Null. (Mehr über die Null, was ich damit meine und über die Folgen des Klimawandels ist in Kapitel 1 zu finden.)
Doch als mir das damals alles klar wurde, war ich nicht auf der Suche nach einem weiteren Problem, das es anzupacken galt. Melinda und ich hatten globale Gesundheit und Entwicklung sowie das US-Bildungswesen als die beiden Bereiche ausgewählt, in denen wir eine Menge lernen, Expertenteams engagieren und unsere Ressourcen einsetzen wollten. Zudem sah ich, dass viele bekannte Persönlichkeiten den Klimawandel auf ihre Agenda setzten.
Also engagierte ich mich zwar stärker, machte jedoch den Klimawandel nicht zu einer meiner Top-Prioritäten. Wenn ich konnte, las ich mehr zu diesem Thema und sprach mit Experten. Ich investierte in einige Start-ups im Bereich saubere Energie und stellte mehrere 100 Millionen Dollar zur Verfügung, um ein Unternehmen zu gründen, das ein Atomkraftwerk der nächsten Generation entwickeln sollte, das saubere Energie erzeugt und bei dem kaum Atommüll anfällt. Im Jahr 2010 hielt ich einen TED-Talk zum Thema „Innovating to Zero!“, doch hauptsächlich konzentrierte ich mich auf die Arbeit der Gates Foundation.
Dann, im Frühjahr 2015, beschloss ich, dass ich mehr tun und mich vernehmbarer äußern müsste. In den Nachrichten hatte ich Berichte gesehen über Studenten, die Sit-ins abhielten und forderten, dass die Stiftungen ihrer Hochschulen ihre Investitionen im Bereich fossiler Brennstoffe abstoßen. Im Zuge dieser Initiative startete die britische Tageszeitung The Guardian eine Kampagne, die von unserer Stiftung forderte, den geringen Anteil ihres Stiftungsvermögens, der in Öl-, Gas- und Kohlekonzernen angelegt war, zu verkaufen. Es wurde ein Video gedreht, das Menschen aus aller Welt zeigt, wie sie mich auffordern, solche Aktien abzustoßen.
Ich kann verstehen, warum der Guardian ausgerechnet unsere Stiftung und mich aufs Korn nahm. Und ich bewunderte die Leidenschaft der Aktivisten – vor vielen Jahren hatte ich Studenten gesehen, die gegen den Vietnamkrieg protestierten und später gegen das Apartheidregime in Südafrika, und ich wusste, dass sie tatsächlich etwas bewirkt hatten. Es war inspirierend für mich zu sehen, wie diese Art von gesellschaftlicher Energie sich gegen den Klimawandel richtet.
Aber andererseits musste ich immer wieder daran denken, was ich auf meinen Reisen gesehen hatte. Indien zum Beispiel hat eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen, von denen viele zu den ärmsten der Welt zählen. Ich hielt es nicht für fair, dass irgendjemand daherkommt und den Indern sagt, ihre Kinder dürften kein Licht haben, um Hausaufgaben zu machen, oder dass bei jeder Hitzewelle Tausende von Indern sterben müssten, weil es umweltschädlich sei, Klimaanlagen zu installieren. Die einzige Lösung, die ich mir vorstellen konnte, war, saubere Energie so billig zu machen, dass jedes Land sie lieber nutzen würde als fossile Brennstoffe.
So sehr ich auch den leidenschaftlichen Einsatz der Protestierenden bewunderte, konnte ich nicht verstehen, wie allein das Abstoßen von Aktien den Klimawandel aufhalten oder Menschen in armen Ländern helfen könnte. Es war eine Sache, Aktien von Großkonzernen zu verkaufen, um gegen Apartheid zu kämpfen – also gegen eine politische Institution, die auf wirtschaftlichen Druck reagieren würde (und reagiert hat). Doch es ist ganz etwas anderes, das weltweite Energiesystem – eine Industrie, die jedes Jahr etwa 5 Billionen Dollar umsetzt und das Fundament der modernen Wirtschaft bildet – nur dadurch transformieren zu wollen, dass man Aktien von Ölkonzernen verkauft.
Das sehe ich auch heute noch so. Doch mir ist klar geworden, dass es andere Gründe gibt, warum ich keine Aktien von Unternehmen besitzen sollte, die fossile Energieträger produzieren – nämlich weil ich nicht davon profitieren will, wenn ihre Aktien steigen, weil wir keine CO2-freien Alternativen entwickeln. Ich würde mich schlecht fühlen, wenn ich von einer Verzögerung auf dem Weg zur Null profitieren würde. Also habe ich 2019 alle meine direkten Beteiligungen an Öl- und Gaskonzernen abgestoßen, ebenso wie die Treuhandgesellschaft, die das Vermögen der Gates Foundation verwaltet. (Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon seit etlichen Jahren kein Geld mehr in Kohlekonzerne investiert.)
Dies ist eine persönliche Entscheidung, die zu treffen ich glücklicherweise in der Lage bin. Doch mir ist durchaus bewusst, dass sie keinen nennenswerten Beitrag zur Reduzierung der Emissionen leisten wird. Es erfordert eine wesentlich breiter angelegte Strategie, um auf null zu kommen: Wir müssen einen umfassenden Wandel bewirken, indem wir alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, darunter staatliches Handeln, aktuelle Technologien, neue Erfindungen und die Fähigkeit der Privatwirtschaft, unzählige Menschen mit Gütern zu versorgen.
Etwas später im Jahr 2015 bot sich mir eine Gelegenheit, mich für Innovation und neue Investitionen einzusetzen: die COP 21, eine bedeutende Klimakonferenz, die von den Vereinten Nationen im November/Dezember jenes Jahres in Paris abgehalten wurde. Einige Monate vor der Konferenz traf ich mich mit François Hollande, dem damaligen Präsidenten Frankreichs. Er zeigte sich interessiert, private Investoren für die Teilnahme am Kongress zu gewinnen, und ich wollte erreichen, dass Innovation auf die Tagesordnung gesetzt wird. Wir sahen beide eine Chance: Er dachte, ich könnte helfen, Investoren an den Tisch zu bringen; ich sagte ihm, das sei sehr gut möglich, aber es könnte leichter erreicht werden, wenn auch Regierungen sich verpflichten würden, ihre Forschungsetats im Bereich Energie zu erhöhen.
Das würde nicht unbedingt ein Spaziergang werden. Selbst in den Vereinigten Staaten war der Etat für Energieforschung deutlich niedriger als in anderen wichtigen Sektoren wie Gesundheitswesen und Verteidigung (und ist es immer noch). Und auch wenn einige Länder ihre Forschungsetats moderat erhöht hatten, waren sie immer noch sehr niedrig. Und diese Länder zögerten, mehr zu tun, solange sie nicht davon überzeugt waren, dass vom privaten Sektor genug Geld kommen würde, um ihre Ideen aus dem Labor zu holen und sie in Produkte zu verwandeln, die ihren Leuten tatsächlich helfen.
Doch spätestens 2015 trockneten private Investitionen zusehends aus. Viele der Risikokapitalgeber, die in grüne Technologien investiert hatten, zogen sich zurück, weil die Renditen so niedrig waren. Sie waren es gewohnt, in Bio- und Informationstechnologie zu investieren, wo sich oft sehr schnell Erfolge einstellen und weniger staatliche Regulierung zu beachten ist. Saubere Energie war ein völlig anderes Spiel, und daraus zogen sie sich zurück.
Es lag auf der Hand, dass wir neues Geld einwerben und eine andere, für saubere Energie maßgeschneiderte Strategie verfolgen mussten. Im September, also zwei Monate vor Beginn der Pariser Konferenz, schickte ich E-Mails an zwei Dutzend wohlhabende Personen aus meinem Bekanntenkreis. Ich hoffte, sie überzeugen zu können, Risikokapital bereitzustellen, um die Erhöhungen der staatlichen Forschungsetats zu ergänzen. Ihre Investitionen mussten langfristig orientiert sein – ein Durchbruch im Energiesektor kann jahrzehntelange Entwicklungszeit erfordern –, und sie mussten bereit sein, hohe Risiken einzugehen. Um den Schlaglöchern aus dem Weg zu gehen, in die frühere Risikokapitalgeber gestolpert waren, versprach ich, dass wir ein kompetentes Expertenteam aufbauen würden, das die infrage kommenden Firmen auf Herz und Nieren prüfen würde und Investoren helfen konnte, sich in den Komplexitäten der Energieindustrie zurechtzufinden.
Die Resonanz auf diese E-Mails übertraf meine kühnsten Erwartungen. Die erste Zusage von einem Investor kam innerhalb von knapp vier Stunden. Als zwei Monate später die Pariser Konferenz begann, waren 26 weitere hinzugekommen, und wir hatten der Initiative einen Namen gegeben: Breakthrough Energy Coalition. Die Organisation, die heute unter dem Namen Breakthrough Energy bekannt ist, vereint gemeinnützige Projekte sowie Bemühungen von Interessensverbänden und privaten Geldgebern, die in mehr als vierzig Firmen mit vielversprechenden Ideen investiert haben.
Auch die Regierungen leisteten ihren Beitrag: In Paris setzten sich zwanzig Staats- und Regierungschefs zusammen und verpflichteten sich, ihre Forschungsetats zu verdoppeln. Präsident Hollande, US-Präsident Barack Obama und der indische Premierminister Narendra Modi hatten sich für die Initiative starkgemacht; tatsächlich kam Premierminister Modi auf den Namen: Mission Innovation. Heute machen bei Mission Innovation 24 Länder mit, und die Europäische Kommission hat 4,6 Milliarden Dollar pro Jahr für Forschungen im Bereich saubere Energien freigegeben – eine Erhöhung von über 50 Prozent in nur einer Handvoll Jahren.
((Abbildung))

Der nächste Wendepunkt in dieser Geschichte wird jedem, der dieses Buch liest, bitter vertraut sein.
Im Jahr 2020 entfaltete sich eine Katastrophe, als ein neuartiges Coronavirus sich auf der ganzen Welt ausbreitete. Für jeden, der die Geschichte von Pandemien kennt, kamen die von COVID-19 angerichteten Verheerungen nicht unerwartet. Da ich mich für globale Gesundheit interessiere, hatte ich mich schon seit Jahren über den Verlauf von Krankheitsausbrüchen informiert und war vor diesem Hintergrund zutiefst beunruhigt, weil die Welt nicht darauf vorbereitet war, mit einer Pandemie wie der Spanischen Grippe von 1918 fertigzuwerden, die Zigmillionen Menschen das Leben gekostet hatte. Im Jahr 2015 hatte ich einen TED-Talk gehalten und mehrere Interviews gegeben, in denen ich dafür plädierte, ein System zu entwickeln, um große Krankheitsausbrüche frühzeitig zu erkennen und darauf wirkungsvoll zu reagieren. Auch andere, etwa der ehemalige US-Präsident George W. Bush, hatten ähnliche Forderungen erhoben.
Leider tat die Welt wenig, um sich vorzubereiten, und als das neuartige Coronavirus um sich griff, verursachte es so große Verluste an Menschenleben und so umfassende wirtschaftliche Verwerfungen, wie wir sie seit der Great Depression (der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre) nicht mehr erlebt hatten. Obwohl ich auch einen großen Teil meiner Arbeit zum Klimawandel fortsetzte, machten Melinda und ich COVID-19 zur Top-Priorität der Gates Foundation und zum Schwerpunkt unserer eigenen Arbeit. Jeden Tag sprach ich mit Wissenschaftlern an Universitäten und in kleinen Firmen, mit CEOs von Pharmakonzernen oder mit Regierungschefs, um herauszufinden, wie unsere Stiftung dazu beitragen kann, die Arbeit an COVID-19-Tests, medizinischen Behandlungen und Impfstoffen voranzutreiben. Bis November 2020 hatten wir für die Bekämpfung der Krankheit über 445 Millionen Dollar an Zuschüssen bereitgestellt und weitere Hunderte Millionen über verschiedene finanzielle Investitionen, um Impfstoffe, Tests und andere wichtige Produkte schneller in einkommensschwache Länder zu bringen.
Da die wirtschaftlichen Aktivitäten dermaßen zurückgefahren wurden, wird die Menschheit in diesem Jahr weniger Treibhausgase emittieren als im Vorjahr. Wie gesagt, wird dieser Rückgang wahrscheinlich im Bereich von circa 5 Prozent liegen. Das bedeutet in absoluten Zahlen, dass wir statt 51 Milliarden Tonnen das Äquivalent von 48 oder 49 Milliarden Tonnen CO2 (Kohlenstoffdioxid) freisetzen werden.
Das ist eine nennenswerte Reduzierung, und wir wären gut im Rennen, wenn wir diese Reduzierung jedes Jahr erreichen könnten. Aber leider können wir das nicht.
Überlegen Sie einmal, was notwendig war, um diesen Rückgang um 5 Prozent zu erreichen. Über eine Million Menschen starben, und Zigmillionen wurden arbeitslos. Um es milde auszudrücken, ist das eine Entwicklung, von der niemand ernsthaft wünschen kann, dass wir sie fortsetzen oder wiederholen. Und dennoch gingen die weltweiten Treibhausgasemissionen wahrscheinlich nur um 5 Prozent zurück, womöglich noch weniger. Was ich erstaunlich finde, ist nicht so sehr, um wie viel die Emissionen wegen der Pandemie zurückgingen, sondern vielmehr, um wie wenig.
Dieser geringe Rückgang der Emissionen beweist, dass es nicht einfach sein wird, auf null Emissionen zu kommen – oder auch nur in die Nähe davon –, indem wir weniger fliegen und fahren. Ganz so, wie wir im Kampf gegen das neuartige Coronavirus neue Tests, medizinische Behandlungsverfahren und Impfstoffe brauchen, brauchen wir auch im Kampf gegen den Klimawandel neue Tools: emissionsfreie Verfahren, um Strom zu erzeugen, Güter zu produzieren, Landwirtschaft zu betreiben, Gebäude zu heizen und zu kühlen und um Menschen und Produkte rings um die Welt zu transportieren. Und wir brauchen neue Initiativen und andere Innovationen, um den ärmsten Menschen der Welt – von denen viele Kleinbauern sind – zu helfen, sich an ein wärmeres Klima anzupassen.
Natürlich sind auch noch andere Hürden zu überwinden, und sie haben nichts mit Wissenschaft oder Forschungsetats zu tun. Vor allem in den Vereinigten Staaten ist die gesellschaftliche Debatte über den Klimawandel von der Politik aufs Abstellgleis geschoben worden. An manchen Tagen könnte man den Eindruck bekommen, dass kaum noch Hoffnung besteht, überhaupt etwas zu schaffen.
Ich denke eher wie ein Ingenieur als wie ein Politikwissenschaftler, und für die politischen Probleme des Klimawandels habe ich keine Lösung. Stattdessen möchte ich erreichen, dass die Debatte sich darauf konzentriert, was getan werden muss, um das Ziel von null Emissionen zu erreichen: Wir müssen die Leidenschaft und die wissenschaftliche Intelligenz von Menschen in aller Welt darauf lenken, die jetzt vorhandenen Lösungen für saubere Energie einzusetzen und neue zu erfinden, damit wir endlich aufhören können, immer mehr Treibhausgas in die Atmosphäre zu blasen.

Ich vermute, wenn wir später einmal auf diese Zeit zurückblicken, wird sie als eine Periode in die Geschichte eingegangen sein, die furchtbare Zerstörungen und große Verluste verursachte, aber auch gewaltige Veränderungen zum Besseren entfachte.

 


Bill Gates

Bill Gates

Über Bill Gates

Biografie

BILL GATES ist ein Tech-Visionär, Unternehmer und Philanthrop. Im Jahr 1975 gründete er zusammen mit seinem Jugendfreund Paul Allen das Unternehmen Microsoft. Heute ist er Vorsitzender der Gates Foundation, wo er sich seit mehr als zwanzig Jahren für globale Gesundheits- und Entwicklungsfragen einsetzt, darunter die Ausrottung von Krankheiten, die Bekämpfung von Unterernährung, die Verbesserung der Wasserversorgung und der sanitären Einrichtungen sowie die Bekämpfung der weltweiten Armut. Er hat drei Kinder und lebt in Medina im Bundesstaat Washington.

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Kommentare

1. Dipl. - Ing.
Raaber am 08.06.2022

Es ist für uns und die Welt unumgänglich uns nicht - für unsere Gesundheit - gegen Pandemien zu wappnen!
Herzlichen Dank für eine kleine - aber vielleicht auch große - Innovation!

Franz L. Raaber

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