Eine ganze Weile, bevor ich selbst gelegentlich danach gefragt wurde, worüber ich mein nächstes Buch schreiben würde, hat A.C. schon die Antwort darauf gehabt. A.C. ist eine meine Lieblingsfiguren in einem meiner Bücher, und er hatte es kapiert.
Nachdem er herausgefunden hatte, dass man es mit seinem neugeborenen Kind machen konnte, wie man wollte – erst wickeln, dann stillen, oder erst stillen, dann wickeln, es schrie so oder so, bis es erst dunkelrot und dann blau im Gesicht wurde – als er das also herausgefunden hatte, sagte er, man müsste darüber schreiben, warum das so ist. Die Mutter des Babys sagte, zuerst müsste man es wissen. Aber A.C. sah sie entgeistert an und sagte, wie kommst du darauf. Natürlich nicht, sagte er dann. Wenn man es weiß, muss man nicht darüber schreiben.
Deshalb bekommt auch niemand eine vernünftige Antwort, wenn er mich fragt, worüber ich mein nächstes Buch schreibe.
Manches allerdings weiß ich nach neunzehn Büchern inzwischen darüber, wie das bei mir läuft mit dem Schreiben des nächsten.
Sehr oft ist der Anlass für ein Buch ein Satz, den ich irgendwo gehört oder gelesen habe und der einen Widerhaken hat.
Hier muss man unterscheiden zwischen blöden Sätzen mit Widerhaken und den nicht so blöden. Die blöden liebe ich sehr, es sind oft unbedachte Alltagsphrasen mit erheblichem kriminellen Potential oder gedroschenes Politiker- und Medienstroh, und es macht großen Spaß, sie erzählerisch so durchzumangeln, bis jeder sieht, wie blöd sie sind. Das mache ich gern, aber eher mit der linken Hand, es fließt einfach so ins Schreiben rein, ohne ein Thema zu sein.
Die anderen hingegen, das sind natürlich nur wenige, setzen sich mit ihren Widerhaken eher dezent und unbemerkt fest und fangen ein Eigenleben in meinem Kopf an, manchmal verblassen sie nach einer Weile, weil ich denke, dass ich mit ihnen „durch“ bin, aber oft Jahre später kommen sie wieder und sind immer noch da, aber natürlich sind sie dann mit mir durch die Zeit gegangen und haben sich verändert, einen anderen Klang, eine andere Farbe bekommen, und wenn das ein paarmal passiert, wüsste ich – genau wie A.C. - gern, warum das so ist.
Und dann fange ich an, mit so einem Satz und durch ihn hindurch zu erzählen.
Zufällig liegt die Sache für mein nächstes Buch genau so, und der Satz, der mich nach achtzehn Jahren immer noch und immer wieder beschäftigt, ist von Frau Külz. Frau Külz ist eine der Hexen, von denen ich für die Walpurgisnacht des Jahres 2000 erzählt habe, zu der Gisela von Wysocki, Marlene Streeruwitz und ich nach Wolfenbüttel in die Herzog-August-Bibliothek eingeladen waren, und das war großartig, aber das erzähle ich ein andermal. Jedenfalls ist Frau Külz natürlich eine meiner Lieblingshexen. Sie war eine von den hageren grauhaarigen, und eines Tages stand sie vor mir, als ich gerade mal besonders ratlos war und nicht wusste, was ich tun sollte.
Sie tauchte also einfach auf, stand vor mir und sagte, es ist so wenig, was man tun muss. Es ist so wenig, dass ich lachen muss, wenn ich darüber nachdenke. Es ist ganz wenig und ganz gründlich.
Kurz darauf starb sie.
Und seitdem denke ich darüber nach.
Es wird Zeit, ein Buch darüber zu schreiben.
Über Birgit Vanderbeke
Birgit Vanderbeke, geboren 1956 im brandenburgischen Dahme, lebt im Süden Frankreichs. Ihr umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Kranichsteiner Literaturpreis. 2007 erhielt sie die Brüder-Grimm-Professur an der Kasseler Universität.
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