Verhaltensmuster zu analysieren ist die Aufgabe der forensischen Psychiaterin Dr. Nahlah Saimeh. Über die verschiedenen Motive, aus denen heraus Menschen zu Mördern werden, hat sie jetzt ein Buch geschrieben.
Bernd Zietenbach* wollte in seinem Leben immer hoch hinaus. Nichts war ihm gut genug, er suchte ein Leben in Luxus, ganz besonders teure Armbanduhren sollten seinen Anspruch auf ein privilegiertes Leben symbolisieren. Um sich als gelernter Krankenpfleger diesen Wunsch erfüllen zu können, wurde er zum Serienmörder und tötete drei Menschen.
Dr. Nahlah Saimeh wird mit der Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens von Bernd Zietenbach beauftragt. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, ob Zietenbach etwa als psychisch kranker Mann mordete. Alles, was Zietenbach ihr erzählen wird, unterliegt im Gerichtsverfahren nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Sein Leben und die Beurteilung der forensischen Psychiaterin werden in öffentlicher Hauptverhandlung besprochen.
Das erste Gespräch dauert sechs Stunden. Zietenbach ist ein großer, sonnengebräunter Mann, hat leichtes Übergewicht und trägt ein mintgrünes Polohemd. Er erzählt von seinem Leben. Mit deutlicher Missachtung blickt er auf die „kleinen“ Leute zurück, unter denen er aufgewachsen ist, redet von teuren Uhren, misst sich mit der Psychiaterin, genießt den Moment, da mit ihm „auf Augenhöhe“ geredet wird. Seine Inszenierung wechselt zwischen Verbrüderung und der Hoffnung, der Ärztin sogar überlegen zu sein. In einem Folgegespräch vertieft Saimeh einige Aussagen, überprüft noch mal Gesagtes und schreibt dann ihr Gutachten, welches der Justiz dient, die Tat zu bewerten.
„Es gibt keine typischen Merkmale, aber es gibt Muster, die sich analysieren lassen.“
„Akute schizophrene Psychosen sind im Regelfall leicht zu diagnostizieren, für die Feststellung einer Persönlichkeitsstörung benötigt man mitunter viele Stunden und mehrere Gesprächstermine. Schizophrene Menschen stehen unter dem Einfluss wahnhafter, unkorrigierbarer Überzeugungen. Sie fühlen sich verfolgt, bedroht, vergiftet, bestrahlt und sie können nicht erkennen, dass diese Erlebnisse Symptome einer Krankheit sind“, sagt Saimeh. Die wahnhaften Denkinhalte bestimmen dann die Motive ihrer Gewalttaten.
Andere Täter hingegen erscheinen im Gespräch für einen Laien erst einmal völlig unauffällig. Und dennoch zeigen sie Störungen in der Art der Kontakt und Beziehungsaufnahme zu anderen Menschen, haben aber keine bizarren Überzeugungen wie Menschen mit einer Psychose. Nahlah Saimeh betont auch angesichts brutaler Verbrechen: „Wir alle sind menschliche Geschöpfe und unterscheiden uns nur sehr wenig voneinander. Ab einem bestimmten Zeitpunkt und vielleicht auch unter bestimmten Umständen entscheidet sich einer zur Tat, während ein anderer nach gesellschaftlich akzeptablen Lösungen sucht.“
Motive für Gewalttaten, so Saimeh, können ganz unterschiedlich sein: „Bei Mord sind es die klassischen Motive Eifersucht und Besitzanspruch oder Hinderniselimination, Gier, Rache, gekränkte Eitelkeit, aber auch Macht und ganz selten auch Mordlust.“ Sexualmorde stellen dabei die kleinste Gruppe unter den Tötungsdelikten dar. Unter ihnen jedoch ist der Anteil der manipulativen, gefühlsarmen Psychopathen besonders hoch.
Die meisten Straftäter sind therapierbar. Eine generelle Sicherheit gibt es nicht.
Das Strafrecht sieht grundsätzlich für jeden Täter Resozialisierungschancen vor. Die meisten sind therapierbar, nur eine generelle Sicherheit, dass ein Täter nicht rückfällig wird, die gibt es nicht; und die kann es auch nicht geben. Genauso wenig gibt es bei einem Auto die Garantie, dass mit dem Fahrzeug nach einer Reparatur kein Unfall mehr passieren wird.
„Es ist klar und nachvollziehbar, dass das Bedürfnis nach Ausgrenzung und Isolierung von Menschen, die zum Teil grausame Straftaten begangen haben, zutiefst menschlich und aus der Sicht der Opfer bzw. Opferfamilien nachfühlbar ist“, berichtet Saimeh. „Dennoch hat auch jeder Straftäter in einem Rechtsstaat als Mensch Rechte, die ihm nicht abgesprochen werden dürfen.“
Das gilt auch für Achim Brux*. Seine Ehe galt als mustergültig, bis zu dem Tag, an dem Achim Brux seine Frau tötete. „Meine Tochter sagte mir mal, sie hätte das Gefühl, dass Achim sie als ein Mosaikstein in seinen Gesamtlebensplan einbaut und sie gar keine eigene Wahl hat. Sie konnte nichts mehr selbst entscheiden, immer legte er alles fest“, sagte die Mutter der Getöteten in der Vernehmung aus. Auch fühle ihre Tochter sich durch seine mehrfachen täglichen Anrufe nicht umsorgt, sondern eher kontrolliert.
Nach der Bundeswehrzeit begann Achim Brux sein Informatikstudium, das ihm wirklich gut lag. Kontakt zu Mädchen und jungen Frauen suchte er erst spät. Mit 17 hatte er eine vorübergehende Freundin, seine Frau Ingrid* lernte er mit 24 Jahren zufällig auf einer Party kennen. Sie studierte damals gerade auf Lehramt, nachdem sie zuvor eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht hatte.
„Dann habe ich losgelassen und sie hat sich nicht mehr gerührt.“
Ingrid war eine lustige, aktive, aber nicht zu bestimmende Frau, in die er sich sofort verliebte. Sie teilte vor dem Hintergrund ihres vergleichbar konservativen Elternhauses seine Ansichten vom Leben. Mit der großen Liebe kamen die Heirat und das gemeinsame Haus. Als die Liebe dann zerbrach und Achim Brux mit der Tatsache konfrontiert wurde, das gemeinsame Lebenswerk untereinander aufzuteilen, und der Aussage von Ingrid, dass er das Haus alleine nicht halten könne, da wurde Achim Brux zum Täter: „Ich war außer mir. Sie hat sich gewehrt, wir sind auf den Boden gefallen, ich habe weiter auf sie eingeschlagen, habe dann meine Hände um ihren Hals gelegt und sie gewürgt. Ich weiß nicht, wie lange, aber ich hatte eine unbändige Wut in mir. Dabei habe ich sie angeschrien und gerufen: 'Was sagst du da?! Was sagst du da?! Sag das noch mal! Los, sag es noch mal!' Dann habe ich losgelassen und sie hat sich nicht mehr gerührt.“
Obgleich die Tötung von Ingrid Brux mit erheblichen Wutaffekten einherging, wie unschwer an dem Verletzungsmuster, das die Gerichtsmedizin beschrieb, zu erkennen war, so lag im vorliegenden Fall kein Affektdelikt im Sinn der juristischen Definition vor. Das Gericht erkannte aber an, dass hier eine Kombination aus Tötung der Ehefrau und der dann beabsichtigten Selbsttötung im Sinn eines Mitnahmesuizids aus narzisstisch besitzergreifenden Motiven vorlag und stützte sich dabei auf die Darlegungen im Gutachten von Dr. Saimeh.
Die Kammer sah das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe im vorliegenden Fall nicht als erfüllt an. Die psychische Labilität mit ihren deutlich depressiven Symptomen, die Achim Brux im Vorfeld der Tötung bereits über viele Wochen gezeigt hatte, bewertete das Gericht im Sinne einer krankhaften seelischen Störung dementsprechend als schuldmindernd. Achim Brux wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
Im Fall von Bernd Zietenbach erkannte das Gericht keine Persönlichkeitsstörung und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitstrafe.
* Name der Person ist geändert.
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