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Buchempfehlungen

Persönliche Buchtipps unserer Kolleginnen und Kolleginnen aus dem Verlag

Donnerstag, 05. Dezember 2024 von Piper Verlag


Buchtipps 2024

Die schönsten Bücher für Weihnachten

Die Erfolgsgeschichte von Caraval geht weiter!

„Spectacular empfehle ich allen, die sowohl Weihnachten als auch Fantasygeschichten lieben, denn beides ist in diesem Buch ideal vereint: Es ist eine Geschichte voller winterlicher Magie, geheimnisumwobener Geschenke und finsterer Überraschungen, die mich beim Lesen immer wieder zum Staunen gebracht haben!“ Karin; Lektorat

Blick ins Buch
SpectacularSpectacular

Eine Caraval-Novelle

Willkommen, willkommen  zurück in der Welt von CARAVAL, wo selbst die Feiertage nicht so sind, wie sie scheinen.
Schneeflocken rieseln vom Himmel, Magie weht durch die Straßen des Meridianreichs, und die ersten Einladungen zum Großen Weihnachtsfest der Kaiserin Scarlett liegen in den Briefkästen. Bis zum Beginn der Feierlichkeiten braucht Donatella, die Schwester der Kaiserin, ein perfektes Geschenk, um dem geheimnisvollen Caraval-Master Legend ihre Liebe zu beweisen. Ihre Suche führt sie auf rätselhafte Pfade: Zwischen so bunten wie giftigen Weihnachtsleckereien, finsteren Tunneln und unerklärlichen Wundern geht Donatella große Risiken ein, um ihr Ziel zu erreichen. Oder ist alles nur ein weiteres magisches Spiel?

Hochwertig und liebevoll illustriert!

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Für wärmende Lesestunden am knisternden Kamin

„Eine magische Welt, in der es darum geht, das Leben langsamer angehen zu lassen und sich mit den schönen Dingen des Lebens zu befassen. Wenn es ein Buch gibt, das das Bild vom gemütlichen Lesen auf dem Sofa zur kalten Jahreszeit mit einem Heißgetränk perfekt einfängt, dann ist es das hier.“ Simone; Marketing

Can’t Spell Treason Without TeaCan’t Spell Treason Without Tea

Honig, Tee und Hochverrat

Für kuschelige Lesestunden am knisternden Kamin

Das Büchercafé lädt zum Träumen ein, doch Magie und Abenteuer ruhen nie!

Als ein Attentäter Reynas Leben in Gefahr bringt, hat sie genug von ihrem Job als Leibwächterin der Königin. Kurzerhand beschließen sie und ihre Partnerin Kianthe, eine mächtige Magierin, ein Büchercafé mit besonderen Teesorten zu eröffnen. Doch die erhoffte Ruhe bleibt zunächst aus: Sie müssen sich nicht nur in ihrem neuen Leben zurechtfinden, sondern auch herausfinden, was es mit den Drachenangriffen auf sich hat, die ihr neues Zuhause immer wieder heimsuchen.

Eine Geschichte voller Wagnisse, Hoffnungen und gemütlicher Kamingespräche.

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Audrey Rose ermittelt auf auf offener See

Endlich geht die beliebte historische Thriller-Reihe von Kerri Maniscalco weiter: Im Closed-Room-Setting auf einem Ozeandampfer führt Audrey Rose spannende Ermittlungen durch.

Blick ins Buch
Escaping from HoudiniEscaping from Houdini

Mord auf dem Atlantik

Sehnlichst erwartet: Endlich geht die beliebte historische Thriller-Reihe von Kerri Maniscalco weiter

Audrey Rose und Thomas stecken nicht zum ersten Mal in einer Mordermittlung. Diesmal führt sie ihr Weg auf einem Ozeandampfer nach New York. Eine Truppe Zirkusartisten sorgt für Unterhaltung an Bord, doch das Vergnügen ist von kurzer Dauer. Bald erschüttert eine Reihe brutaler Morde die Passagiere. Jeder ist verdächtig, auch der undurchsichtige Entfesselungskünstler Harry Houdini. Der einzige Fluchtweg führt in den dunklen Abgrund der See. Es liegt an Audrey Rose und Thomas, den Mörder zu überführen, bevor sie die nächsten auf seiner Liste sind.


Bände der Reihe:

Stalking Jack the Ripper – Die Spur in den Schatten (Band 1)
Hunting Prince Dracula – Die gefährliche Jagd (Band 2)
Escaping from Houdini – Mord auf dem Atlantik (Band 3)
Capturing the Devil – Der Teufel von Chicago (Band 4)

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Jedes Match kann der einzig wahre Killer sein

„Ein außergewöhnlich guter Thriller mit Überraschungen, die Leser:innen das Buch bis spät nachts nicht aus der Hand legen lassen. Mystery-Fans werden Chilton lieben – er hat es drauf.“
Publishers Weekly

Don’t Swipe Right

Thriller

A match made in hell - Jedes Match kann der einzig wahre Killer sein
Gwen hatte einige schreckliche Dates, die sie gern vergessen würde. Doch sie muss sich wieder mit ihnen befassen, als die Männer einer nach dem anderen ermordet werden. Ausgerechnet ihr neuestes Match auf der App, Parker, macht ihr eine Heidenangst. Er scheint zu viel über die Mordserie und Gwen zu wissen. Doch niemand glaubt ihr. Gwen selbst gerät ins Visier des Polizisten Aubrey, schließlich ist sie die einzige Verbindung zwischen den Opfern. Schwerer als die Sorge um die Ermittlungen wiegt allerdings die Frage, wer das nächstes Opfer wird, wenn all ihre Ex-Freunde aus dem Weg geräumt sind …

Rasant, fesselnd und herrlich zynisch: Das herausragende Thriller-Debüt von L.M. Chilton

L.M. Chilton arbeitet seit 15 Jahren erfolgreich als Journalist für Fernsehsendungen und renommierte Zeitungen. Er lebt in London, wo er schließlich auch das Schreiben als Autor für sich entdeckt hat. „Don’t Swipe Right“ ist sein Debüt.

Perfekt für Leser:innen von Bella Mackies „How to Kill Your Family“ 

  • Witzige Krimi-Satire: Ein humorvoller Blick auf die Absurditäten des modernen Datings, gepaart mit einem spannenden Mordfall, der Sie bis zum Schluss fesseln wird.

  • Sympathische Protagonistin: Begleiten Sie Gwen Turner auf ihrer aufregenden und oft komischen Jagd nach einem Serienmörder, während sie sich durch die Tücken der Liebe und Freundschaft navigiert.

  • Raffiniert konstruierter Murder Mystery-Plot: Ein packender Krimi mit unerwarteten Wendungen, der Sie bis zur letzten Seite miträtseln lässt.

Kapitel 1

Ich habe mehr als einmal gewaltigen Mist gebaut.

Und damit meine ich nicht die üblichen kleinen Verfehlungen, die jeder mal begeht. Ich gebe freimütig zu, dass ich mindestens zwei Kreditkarten zu viel besitze, unter einer minderschweren Kartoffelchipabhängigkeit leide und dringend mehr Sport treiben müsste. Nein, ich spreche von den wirklich schlimmen Dingen. Denen, die man so tief vergraben möchte, dass man sich vormachen kann, sie wären nie passiert.

Ich würde sagen, dass ich mir locker vierzehn Fehltritte geleistet habe, die den Dalai Lama dazu veranlassen würden, die Stirn zu runzeln. Aber von all diesen Katastrophen war die, die sich gerade direkt vor meinen Augen abspielte, vermutlich die zweitschlimmste: der Junggesellinnenabschied meiner besten Freundin alias der höllischste Junggesellinnenabschied – kurz JGA – aller Zeiten. Dabei ist in diesem Zusammenhang die Verwendung des Wortes „höllisch“ nur bedingt gerechtfertigt, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass der Teufel nie gezwungen war, an einem Donnerstagabend um halb neun Bellinis aus penisförmigen Strohhalmen zu schlürfen.

Und für dieses Desaster war ich, die Trauzeugin, ganz alleine verantwortlich. Meinen tollen Plan, erst chinesisch essen und dann zum Karaoke zu gehen, fanden Sarahs alte Schulfreundinnen „zu unkonventionell“. Als hätte Heinrich VIII. – ich vermute einfach mal, dass die Tradition des JGA irgendwie mit ihm und seinen vielen Frauen zu tun hat – jemals darauf bestanden, dass sämtliche Teilnehmerinnen T-Shirts mit einem dilettantisch mit Photoshop bearbeiteten Porträt des Bräutigams tragen.

Leider war mir keine bessere Alternative eingefallen als die Happy Hour im Cameo, dem zweitschlimmsten Nachtclub von Eastbourne. Eine Fahrlässigkeit, die mir gerade um die Ohren flog.

„Na los, Leute! Zeit für ›Braut & Bräutigam‹!“, quietschte Amy. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Amy hieß, ihr Name könnte aber auch Helen oder Anne gewesen sein. Oder Daisy.

Betreten saßen wir zu sechst um den Tisch in einer der Nischen, die die beleuchtete und sehr leere Tanzfläche des Cameo umgaben. So früh am Abend hatten wir den Club fast für uns allein, abgesehen von ein paar Geschäftsleuten an der Bar, die aussahen, als wären sie nur noch zwei Wodka-Red-Bull davon entfernt, sich ihre Krawatten um die Stirn zu binden und Haka zu tanzen.

„Also … erste Frage: Welche Schuhgröße hat Richard?“, fragte Amy/Helen/Anne/Daisy.

Ich schloss die Augen, und in der Hoffnung, sie würden mich augenblicklich verschlucken, ließ ich mich in die Kunstlederpolster sinken.

„Was weiß denn ich“, lallte Sarah und fummelte an ihrer „Braut“-Schärpe herum, während ihr Gesicht die Farbe einer roten Rübe annahm. „Frag mich was Versauteres!“

„Na gut …“, stammelte Amy (oder wie auch immer sie hieß) und starrte angestrengt auf die Liste mit Fragen, um etwas angemessen Schlüpfriges aufzutreiben. „Was ist seine Lieblingsposition beim Sex?“

Ich ertrug das keine Minute länger. Als die Gruppe unisono in ihre Bellinis seufzte, erhob ich mich von meinem Platz und verschwand in den von der Tanzfläche aufsteigenden Trockeneiswolken. Geführt von den Leuchtbuchstaben des Schriftzugs „Create Your Own Adventure“ an der Wand fand ich meinen Weg zur Toilette und betete inständig, dass jemand hinter dem Kondomautomaten einen Fluchttunnel gegraben hatte.

Ich verzog mich in eine leeren Kabine, ließ die Klobrille mit dem Fuß runter und setzte mich. Der hämmernde Bass des eintönigen House-Sounds war hier nur noch ein dumpfes Dröhnen. Ich holte mein Handy aus der Tasche und öffnete Connector, eine gerade angesagte Dating-App, die – je nachdem, auf wen man hörte – entweder a) jede Chance zunichtemachte, meine Trennung zu verarbeiten, oder b) eine gesunde Ablenkung von meinen zunehmend fragwürdigen Lebensentscheidungen bot.

Nach zehn Minuten des Swipens durch einen endlosen Strom nahezu identischer Männer, die auf ihren Profilfotos für einen Aufstieg nach Machu Picchu viel zu erholt aussahen, wurde ich vom Geräusch der sich öffnenden Toilettentür unterbrochen. Sekunden später hallte Sarahs Stimme durch den gekachelten Vorraum.

„Gwen! Hast du dich hier verkrochen? Du verpasst ›Steck dem Bräutigam den Penis an‹!“

Ein lautloses „Mist“ auf den Lippen stopfte ich das Telefon zurück in meine Tasche und öffnete die Tür. Sogar wenn sie von einer neonpinken „Braut“-Schärpe verunstaltet wurde, sah Sarah mit ihrer glänzenden schwarzen Mähne und dem tadellosen Make-up aus wie eines dieser Models auf den Hochglanzfotos von Haartönungspackungen.

„Ah, da bist du ja“, sagte sie und drückte mir eine Plastiksektflöte in die Hand. „Du verschwendest deine Zeit doch nicht schon wieder mit dieser dämlichen Dating-App?“

„Nein, ich lese nur die Klosprüche.“

Sarah sah mich an, als wäre ich ein niedliches Hundebaby, das auf den Boden gepinkelt hat. „Ich weiß, was los ist“, sagte sie kopfschüttelnd und lächelte traurig. „Ich habe schon befürchtet, das könnte alles etwas viel für dich sein. Ist schließlich erst zwei Monate her, dass … du weißt schon. Du musst wirklich nicht bleiben, wenn du nicht willst.“

„Was? Ich soll die einmalige Gelegenheit verpassen, einem nackten Pappzwilling deines Zukünftigen einen Penis anzustecken? Auf keinen Fall! Außerdem würde ich zu Hause vermutlich auch nichts anderes machen.“

„Ach, Gwen“, seufzte Sarah, „mir musst du doch nichts vormachen. Es ist völlig okay, wenn du wegen Noah traurig bist.“

„Wie schon gesagt: Alles gut. Mir geht’s gut. Wirklich gut.“ Wenn ich das Wörtchen „gut“ nur oft genug wiederholte, reichte das normalerweise aus, um zumindest mich selbst zu überzeugen, dass alles, na ja, gut war.

„Na schön, wenn du das sagst“, erwiderte sie. „Dann komm mit, ich brauche dich. Wir spielen immer noch ›Braut & Bräutigam‹, und ich werde dabei total abgefüllt.“

„Das wundert mich nicht.“ Da Sarah selbst ohne die Blockabsätze noch gut zehn Zentimeter größer wäre als ich, schwang ich mich auf den Waschtresen, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. „Bist du dir absolut sicher, Sar, dass du das durchziehen willst?“

„Das hier? Nein, nicht wirklich. Hier ist es grauenhaft. Aber du hast gesagt, dass wir ins Flares nicht mehr reinkommen, weil du dort …“

„Nein, ich meine nicht den JGA. Ich meine das hier.“ Ich zeigte auf ihre glitzernde „Braut“-Schärpe. „Die Hochzeit. Richard …“

„Ach, verdammt, Gwen. Nicht schon wieder diese Leier.“ Sie verdrehte die Augen. „Ich weiß ja, dass du und Richard nicht gerade BFFs seid, aber du kennst ihn auch noch nicht so gut …“

„Du etwa?“

Nach einigen fragwürdigen Beziehungen im College beherrschte Sarah inzwischen eigentlich die Kunst, entsprechende Warnzeichen zu erkennen, und servierte jeden Mann ab, der nur die leichtesten Anzeichen an den Tag legte, ein Vollidiot zu sein. Umso überraschter war ich, dass sie sich so schnell in Richard verknallt hat. Obwohl an ihm per se nicht viel auszusetzen war, gab es – von seinem auffallend guten Aussehen und seinem Treuhandfonds mal abgesehen – auch nicht allzu viel Positives hervorzuheben. Ich schätze, genau das mochte sie an ihm: Richard war total durchschnittlich. Nachdem sich die beiden letzten Sommer auf einer Konferenz kennengelernt hatten – also im echten Leben, wie zu Zeiten unserer Großeltern –, war ihre Beziehung schnell enger geworden. Bald darauf hatte Richard sie während einer Wanderung auf irgendeinen blöden Hügel mit einem Ring überrascht, den er in einer der zahllosen Taschen seiner Lieblingsfunktionsjacke verborgen hatte.

Und jetzt, nur sechs Monate später, stand Sarah im Begriff, aus unserer gemeinsamen Wohnung auszuziehen, um mich ganz allein den Gräueln des Singledaseins zu überlassen. Und das war völlig in Ordnung. Ich hatte nicht das geringste Problem damit, und wer etwas anderes behauptete, der kannte mich schlecht.

„Wir sind vielleicht noch nicht so lange zusammen, aber ich weiß, dass er einer von den Guten ist“, sagte Sarah. „Und die gibt es weiß Gott nicht im Überfluss. Also fände ich es toll, wenn ihr beide zumindest versuchen würdet, miteinander auszukommen.“

Ich starrte auf meine schmuddeligen Chucks und wollte gerade etwas erwidern, da ertönte in den Tiefen meiner Tasche ein verräterisches Brummen.

Mit der Präzision eines professionellen Scharfschützen nahm Sarah meine Tasche ins Visier. „Ich wusste es!“, kreischte sie, als ich nach meinem Handy griff. „Du hast geswipt! Kannst du nicht mal für einen Abend die Finger von Connector lassen? Das soll schließlich die beste Nacht meines Lebens werden!“

„Und ich dachte, die beste Nacht ist die Hochzeitsnacht?“

„Nein, das ist die zweitbeste. In der besten Nacht“, sagte sie leise, griff sanft nach meinem Unterarm und zog meine Hand aus der Tasche, „tanzt man bis zwei Uhr früh mit seinen besten Freundinnen im miesesten Club von Eastbourne und füllt sich mit Champagner ab.“

„Im zweitmiesesten, bitte. Und das hier ist definitiv kein Champagner, Süße.“ Ich winkte mit dem Plastikglas.

„Auch egal.“ Sarah ließ meinen Arm los. „Heute geht eine Ära zu Ende, okay? Sarah und Gwen. Wir machen ein letztes Mal einen drauf, bevor ich aus der WG ausziehe. Das ist für mich mindestens so wichtig wie der große Tag.“

„Dann solltest du vielleicht dein Krönchen richten, Prinzessin, das sitzt nämlich total schief.“

Sarah drehte sich zum Spiegel, um ihr Diadem zurechtzurücken, und ich nutzte die Chance, um erneut in meine Tasche zu greifen. Das vertraute Brummen konnte nur eins bedeuten: Ich hatte eine neue Connector-Nachricht. Und ich platzte vor Neugierde, zu sehen, von wem sie war. Ich tastete nach dem Handy, da hörte ich Sarah schnaufen, als ließe jemand die Luft aus einem Reifen.

„Um Himmels willen, Gwen, hast du vergessen, wie Spiegel funktionieren?“, fauchte sie. „Gib mir das Ding!“

„Na schön.“ Seufzend reichte ich ihr das Handy. „Selber schuld, wenn deine Hochzeitsfotos asymmetrisch aussehen, weil ich bis dahin keine Begleitung auftreibe.“

Die Feier sollte in der kommenden Woche stattfinden, natürlich am Valentinstag.

„Mir wäre es mir lieber, du kommst alleine“, sagte sie, setzte ihr Glas ab und nahm mir das Telefon aus der Hand, „bevor du so einen Connector-Affen anschleppst.“

„Ach komm. So übel sind die nicht alle.“

„Tatsächlich? Und was ist mit dem Kerl von letzter Woche, der statt Deo Desinfektionsmittel benutzt?“

„Der war zumindest erfindungsreich. Komm schon, immerhin versuche ich, jemanden kennenzulernen. Das ist nicht leicht, weißt du. Nicht alle stolpern auf einer Konferenz in Milton Keynes wie durch Zauberhand über die Liebe ihres Lebens.“

„Es liegt nicht an dir“, entgegnete Sarah. „Es liegt daran, dass es in dieser App von Arschlöchern nur so wimmelt.“

Als wollte sie mir beweisen, dass sie recht hat, stocherte sie mit dem Zeigefinger auf dem Display herum wie eine alte Frau in der Keksdose. „Siehst du, was ich meine? Die sehen alle aus wie Serienkiller“, sagte sie und swipte hastig durch ein Profil nach dem anderen.

„He, he, immer langsam“, rief ich. „Du verpasst grade ein paar sehr vielversprechende Kandidaten!“

Plötzlich piepte das Handy.

„Na so was. Sieht ganz so aus, als hättest du ein Match.“

„Gib das her!“, quiekte ich und riss ihr das Telefon aus der Hand.

Voller Panik, sie könnte mich versehentlich mit einem Psychopathen gematcht haben, tippte ich auf die App ein. Doch das Foto, das auf meinem Display erschien, war überraschend ansprechend. „Parker, 34, Datenanalyst aus Eastbourne“ hatte dunkelblondes Haar, dunkle Brauen und ein fast feminines Gesicht, das ihn ziemlich attraktiv machte.

„Mag Ausgehen und Drinbleiben, Reisen, Kino und den guten alten Sonntagsbraten“, las ich vor.

„Und – ta-daa – arbeitet in der beschissenen IT-Branche“, ergänzte Sarah.

„Nobody is perfect“, erwiderte ich achselzuckend. „Sieh mal, hier steht, dass er Sinn für Humor hat, sich nicht zu ernst nimmt, und offenbar macht er – wie auf den exzellent ausgewählten Fotos unschwer zu erkennen ist – nichts lieber, als sich mit wechselnden Freunden in diversen Pubs zu amüsieren.“

„Kann man jemanden auch ent-matchen?“, fragte Sarah und steckte sich demonstrativ den Finger in den Hals.

„Na ja, ich könnte ihn blockieren, aber …“

„Gut! Wenn das erledigt ist, mach bitte das Ding aus und komm zurück zum Tisch.“

Als sie mein Zögern bemerkte, wurden ihre Gesichtszüge kurz weich, und sie legte die Hand auf meine Schulter. „Weißt du noch? Keine Dates mehr. Das hast du mir versprochen, zumindest bis nach der Hochzeit. All diese Witzfiguren können Noah nicht ersetzen.“

Gereizt legte ich das Handy mit dem Display nach unten auf den Waschtresen. Mein Ex war der letzte Mensch, an den ich im Augenblick denken wollte.

„Oh, und bitte sei mir nicht böse, aber Richard ist auf dem Weg hierher“, sagte Sarah, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt.

Mit einem theatralischen Stöhnen warf ich den Kopf in den Nacken. Wenn es eines gab, was diesen Abend noch öder machen konnte, dann war das Richard.

„Willst du mich verarschen, Sarah?“, jammerte ich. „Ist das überhaupt erlaubt? Wo bleibt denn da die viel beschworene Tradition?“

„Ach komm schon. Das mit der Tradition hatte sich spätestens erledigt, als Daisy das Helium aus dem Pimmelballon inhaliert hat.“

„Verdammt, ich wusste, dass sie Daisy heißt!“, zischte ich leise.

Clubs wie das Cameo waren überhaupt nicht Richards Ding. Er war einer dieser Männer, die sich über einen leckenden Wasserhahn freuten, weil er ihnen die Gelegenheit bot, ihre Verlobte auf eine dreistündige Tour durch den Baumarkt zu schleppen. Und so viel stand fest: Die Prä-Richard-Sarah wäre lieber gestorben, als einem Baumarkt auch nur nahe zu kommen. Wenn überhaupt, dann hätte man sie im benachbarten Pub angetroffen, wo sie alleine eine Flasche Sauvignon Blanc leerte.

„Keine Angst, Gwen, er wird uns schon nicht den Spaß verderben. Er kann brav bei uns in der Ecke sitzen, bis wir mit den Spielen fertig sind.“

„Klasse! Darf es auch eine andere Ecke sein?“

„Gwen! Sei lieb! Wir leben im 21. Jahrhundert, man feiert keine getrennten JGAs mehr. Gemeinsame Partys sind der heiße Scheiß. Und für ihn ist das eine prima Gelegenheit, vor der Hochzeit meine Mädels kennenzulernen. Bitte bemüh dich wenigstens ein bisschen. Für mich, okay?“

Schmollend verschränkte ich die Arme. „Na gut. Gib mir eine Minute, um mich frisch zu machen, ja?“

„Und du schreibst diesem Parker-Typ auch wirklich nicht?“, hakte Sarah nach und sah mich misstrauisch an.

„Definitiv nicht.“

„Kluges Mädchen“, antwortete sie und überprüfte ein letztes Mal den Sitz ihres Diadems, bevor sie ging.

„He, Sar, warte kurz“, rief ich ihr hinterher.

„Ja?“

„Siebenundvierzig.“

„Was?“

„Richards Schuhgröße ist siebenundvierzig.“

„O Mann, natürlich. Danke! Wieso weißt du so was?“

„Weil ich das verdammte Quiz geschrieben habe, du Intelligenzbestie“, klärte ich sie auf. „Und jetzt raus hier.“

Sie warf mir einen Kuss zu. Nachdem sie gegangen war, blieb ich auf dem Waschtisch sitzen und betrachtete mein verzerrtes Spiegelbild auf dem Edelstahlwasserhahn. Obwohl ich selbst im Singledasein gestrandet war, wünschte ich mir für Sarah nichts sehnlicher als die Hochzeit ihrer Träume und dass sie niemals durch das Treibgutminenfeld einer solchen App irren musste, um einen halbwegs anständigen Menschen zu finden, mit dem sie ihr Leben verbringen konnte. Dennoch, bei dem Gedanken, dass es für meine beste Freundin bald „… und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“ heißen würde, fühlte ich mich leider nicht annähernd so glücklich, wie ich vermutlich sein sollte.

Ich rutschte vom Waschtisch und versuchte, dieses ungute Gefühl zu verdrängen. Als ich mein Handy zurück in die Handtasche stopfte, erhaschte ich einen kurzen Blick auf Parkers Profil, das immer noch geöffnet war. Ich hielt inne, und mein Finger schwebte über seinem Gesicht. Mit der anderen Hand hob ich das Glas und stürzte den warmen Prosecco herunter.

Scheiß drauf, dachte ich und tippte eine Nachricht.

wyd? Sitz grad bei nem Albtraum-JGA fest. Hast du Lust, mir ne Ausrede zu liefern, um hier zu verschwinden?

 

Kapitel 2

Ich kehrte zu unserem Tisch zurück, wo Sarah – die Augen mit ihrer Schärpe verbunden – gerade mit einem plump zusammengebastelten Phallus herumfuchtelte. Die Girls bemühten sich erfolglos, das Genital an die richtige Stelle am Körper eines grotesk muskulösen Pappkameraden zu lotsen, auf dessen Kopf ein Porträtfoto von Richard klebte.

Ich setzte mich zu ihnen, und da Sarah mich nicht sehen konnte, scrollte ich munter durch die Bilder in Parkers Connector-Profil. Er bediente wirklich alle Klischees: Es gab den Firmenfeierschnappschuss mit zwei – nicht annähernd so gut aussehenden – Kumpels im Arm und einem billig aussehenden Pokal in der Hand, außerdem ein melancholisches Schwarz-Weiß-Bild sowie ein Halloweenfoto, das ihn als Zombie zeigte, geschickterweise so geschminkt, dass trotz Verkleidung niemandem entgehen konnte, wie attraktiv er war.

Allerdings muss ich zugeben, dass mein eigener Connector-Auftritt auch kein bahnbrechendes Renaissancekunstwerk war. Ich hatte einen ganzen Nachmittag darauf verschwendet, ein möglichst sexy und unwiderstehlich wirkendes, unmöglich-nach-links-zu-swipendes Dating-Profil zu erstellen, nur um dann doch aufzugeben und ein paar alte Schnappschüsse aus den Tiefen meines Fotoalbums hochzuladen. Letzten Endes hatte ich mich für fünf Bilder entschieden, die von „süß und das weiß ich genau“ bis hin zu „lässig und dabei unbeabsichtigt sexy“ reichten. Und schon war „Gwen, 29, Barista aus Eastbourne“ offiziell zu haben. Auch wenn „zu haben“ irgendwie eklig klingt: Bislang hatte ich dabei meinen Spaß. Na gut, „Spaß“ ist relativ. Eigentlich erwiesen sich die meisten Matches entweder als a) totale Freaks oder b) manipulative Kotzbrocken ersten Grades. Vermutlich wäre mein Liebesleben mit „interessant“ akkurater beschrieben.

„Bin ich nah dran?“, rief Sarah und stieß dabei gegen ein Tablett voller Bellinis, die um Haaresbreite in meinem Schoß gelandet wären.

„Nah dran, mich völlig einzusauen!“, schimpfte ich. „Wann kommt Richard denn?“

„Ich nehme an, jeden Moment“, antwortete Sarah. „Er wollte es mir nicht sagen.“

„Wie link“, murmelte ich, und wie aufs Stichwort schwenkte sie mit dem Papp-Penis nach links. Diesmal blieben die Drinks nicht verschont.

Laut kreischend versuchte die Partygesellschaft, dem Proseccoregen auszuweichen. Sarah löste die Augenbinde, musterte das Schlachtfeld und sah mich dann kopfschüttelnd an.

Die superlustigen Traubenzuckerherzen mit flotten Sprüchen wie „Von der Löwin zur Hauskatze“, „Heute Nacht muss Netflix ran“ und „Nicht schlecht für dein Alter“ waren über den ganz Tisch verstreut und lösten sich in den Cocktailpfützen langsam auf.

„Du hast ›links‹ gesagt!“, fauchte sie mich an.

„Nein, ich meinte … ach, auch egal“, erwiderte ich und wischte eine klebrige Pfirsichspalte von meiner Jeans. „Mein Fehler. Ich hole uns neue.“

Während ich mich durch einen kleinen Pulk von Leuten schob, die sich zur Musik von Ed Sheeran selbstverloren auf der Tanzfläche drehten, blickte ich auf mein Handy. Noch bevor ich die Bar erreichte, ploppte eine Nachricht auf.

Albtraum-JGA? Klingt lustig. Kann ich dazukommen?

Ich schnappte mir einen Barhocker, bestellte eine Runde Bellinis sowie einen Tequila für mich und tippte eine Antwort.

Nein, auf keinen Fall! Aber wir könnten uns im Brown Derby beim Pavillon an der Strandpromenade treffen.

 Mit ein bisschen Glück konnte ich mich vom Acker machen, bevor Richard hier eintraf. Ich wollte gerade zahlen, da rief eine Stimme vom anderen Ende der Bar: „Lassen Sie mich das übernehmen.“ Sie gehörte einem grinsenden Typen, der mit seiner Mastercard in meine Richtung winkte. Er sah aus, als käme er geradewegs von einer wichtigen Vorstandssitzung bei der Bürolangeweiler AG, und das halb leere Bier vor ihm war eindeutig nicht sein erstes. Das Jackett seines Anzugs hatte er über den Tresen gelegt, und die Schweißflecken unter den Achseln seines knitterigen und nicht mehr ganz weißen Hemdes schienen zu wachsen, während er sprach.

„Nein danke, ich habe bereits Gesellschaft“, ließ ich ihn abblitzen, deutete zu den Girls hinüber und beschäftigte mich dann demonstrativ mit meinem Handy, nur für den Fall, meine Antwort ließe sich irrigerweise dahingehend interpretieren, dass ich mir nichts Schöneres vorstellen könnte, als bei schummerigem Licht von einem verschwitzten Bürohengst verführt zu werden. Und selbst wenn es so wäre: Sisqos Thong Song schallte so laut durch den Laden, dass jeder Versuch einer Unterhaltung zur Übungsstunde im Lippenlesen werden musste. Ich schrieb eine weitere Nachricht an Parker.

Hey, ich werde gerade von einem lokalen Aldi-Manager angebaggert und muss hier weg! Was meinst du: 22 h im Derby?

Der Barkeeper stellte fünf Bellinis auf ein Tablett und schob den Tequila über die Bar zu mir rüber. Ich ließ den Blick durch den Club schweifen: Von Richard war noch immer nichts zu sehen, aber die Mädels enterten gerade die Tanzfläche.

„Jetzt mach schon. Na los“, beschwor ich mein Handy, als könnte ich Parker auf diese Weise überzeugen, mir einen Grund zu liefern, von hier zu verschwinden, bevor Richard auftauchte.

Ich konnte das Starren des Kerls an der Bar förmlich spüren und hob den Blick.

Wie erwartet grinste er mich an. „Na, hat dich jemand versetzt?“, fragte er und fuhr dabei mit dem Finger über den Rand seines inzwischen geleerten Bierglases. „Also, ich bin noch da, Schätzchen. Trink doch was mit mir.“

„Nein danke“, sagte ich mit Nachdruck.

„Wie hieß es früher immer: Rede nicht mit fremden Männern. Und ich dachte, ihr Mädels von heute pfeift da drauf. Ihr hängt doch ständig am Handy und chattet mit wildfremden Typen.“

Ich ignorierte ihn, kippte den Tequila in einem Zug runter und schnappte mir das Tablett mit den Drinks. Klar, ich hätte ihm eine gepfefferte Antwort geben können, entschied mich aber, mir die Mühe zu sparen.

„Fremder ist wohl nicht gleich Fremder?“, rief er mir nach.

Während ich mit der Linken das Tablett hielt, drückte ich mit der Rechten den Refresh-Button der App, aber Parker hatte immer noch nicht geantwortet, also schob ich das Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans.

Ich hatte gerade die Mitte der Tanzfläche erreicht, da erblickte ich Richard, der in eine Outdoorjacke gewickelt aus der Kälte hereinkam und sich seinen Weg in Richtung der Girls bahnte. Ich überlegte kurz, mich an die Bar zu verziehen, aber ein rascher Blick zurück brachte mich schnell davon ab: Der Bürotyp starrte mich immer noch an, als würde er jeden Moment anfangen zu sabbern.

Was nun?

Just in diesem Augenblick vibrierte endlich mein Handy. Mit der einen Hand balancierte ich das Tablett, während ich mit der anderen das Telefon aus der Tasche zog und mit dem Daumen über das Display wischte, um die Nachricht zu öffnen.

Tut mir leid, ich muss umdisponieren. Für Jungs wie mich ist es momentan nicht sicher da draußen.

Es folgte der Link zu einem Lokalzeitungsartikel mit der Überschrift „Polizei rät zu Vorsicht nach Leichenfund durch Jogger“.

Ich öffnete ihn, und als sich die Seite aufbaute, wurde mir flau im Magen. Der attraktive rotblonde Junge, der mir vom Foto seiner Abschlussfeier entgegenlächelte, kam mir erschreckend bekannt vor.

Der erste Satz, den ich las, lautete „Rob Hamiltons Leiche wurde morgens gegen 6:30 Uhr von zwei Läufern im Sovereign Park entdeckt.“

Rob Hamilton.

Meine Arme wurden zu Gummi. Das Tablett fiel mir aus der Hand, und die orangefarbenen Getränke schwappten über die erleuchtete Tanzfläche. Sarahs Freundinnen und die wenigen anderen Tänzer sprangen erschrocken zur Seite.

Rob sah nicht nur aus wie jemand, den ich kannte. Er war jemand, den ich kannte.

Erst eine Woche vorher hatte ich ein Date mit ihm.

Im Warten sind wir wundervoll

"Charlotte Inden, die bereits einige tolle Kinderbücher geschrieben hat, legt in diesem Herbst ihren ersten ausgewachsenen Roman vor – und was für einen! „Im Warten sind wir wundervoll“ ist ein Buch, das vor Leben nur so sprüht.

Auf hinreißende Weise erzählt es eine von einer wahren Begebenheit inspirierte Geschichte. Die sogenannten War Brides, junge Frauen voller Hoffnung auf ein neues Leben, machten sich nach Kriegsende auf den Weg nach Amerika zu den GIs, in die sie sich verliebt hatten. Doch eine deutsche War Bride wird 1948 bei ihrer Ankunft in New York nicht von ihrem Verlobten am Flughafen abgeholt: Luise Adler. Sogar die Zeitungen greifen den Fall der hübschen jungen Frau auf, die umsonst zu warten scheint. Fast sieben Jahrzehnte später reist Luises Enkelin ebenfalls der Liebe wegen über den Atlantik, und auch sie wird ihren ganzen Mut zusammennehmen müssen, um dem Wink des Schicksals zu folgen." Felicitas von Lovenberg

Im Warten sind wir wundervollIm Warten sind wir wundervoll

Roman

Eine junge Deutsche, die 1948 am New Yorker Flughafen strandet und als sitzen gelassene War Bride  zum Star der Presse wird.

Ein US-Soldat, der ein Versprechen gegeben hat und es nicht einhalten kann.

Und eine Frau, die sieben Jahrzehnte später hofft, dass sich der Weg zum Glück wiederholen lässt.

Dies ist die Geschichte eines Endes, zweier Anfänge und der vielleicht größten Liebe aller Zeiten.

„Ein außergewöhnlicher Roman – klug gestrickt, mitreißend geschrieben und in jeder Hinsicht wunderschön!“ KATHINKA ENGEL

„Luise Adler ist verliebt in das Leben und das Leben in sie, darum schafft sie es auch sofort auf die Titelseiten der großen New Yorker Zeitungen. Liebevoll-frech, raffiniert und mit Witz und Tempo erzählt Charlotte Inden von den grandiosen Umwegen der Liebe.“ ELISABETH SANDMANN

So charismatisch wie Bonnie Garmus' „Eine Frage der Chemie“, so mitreißend wie Susanne Abels „Stay away from Gretchen“

I

Sie hatte noch nie zuvor versucht, ihr ganzes Leben in einen Koffer zu packen.

Sie hatte auch noch nie zuvor einen Reisepass besessen.

Doch hier stand sie nun. Mit dem Koffer in der einen Hand und dem Reisepass in der anderen.

„Are you really coming?“, hatte er in seiner letzten Nachricht an sie geschrieben. „To stay?“

Yes.


II

„Are you alright?“

„Yes“, lügt sie. „I’m only panicking.“

Und sie denkt, während sie versucht, sich unauffällig ein, zwei Tränen von der Wange zu wischen: Kann man das so sagen? Und denkt dann: Warum sagst du das überhaupt? Jetzt wird er nachfragen.

Genau das tut er.

„Flugangst?“, fragt er. Er fragt es in fast akzentfreiem Deutsch.

Beeindruckend, findet sie. Sie selbst sagt mit hörbarem Akzent: „No. It’s much more complicated.“

Das Flugzeug rollt langsam, aber unerbittlich weiter. Das Terminal verschwindet Stück für Stück aus ihrem Blickfeld. Warten sie noch dort? Winken sie?

Sie hebt die Hand und presst sie kurz gegen das dicke Fensterglas.

Sofort nach der Landung, noch auf dem Rollfeld, wird sie ihr Handy einschalten und ihnen allen texten: Bin da! Schöner Flughafen. Alles ist gut.

Und das wird hoffentlich nicht gelogen sein.

Da beschleunigt das Flugzeug plötzlich. Und sie sieht das Terminal nicht mehr.

„Meine Großmutter ist mit dem Fahrrad quer durch Deutschland geradelt“, stößt sie hervor und greift abrupt quer über den leeren Platz zwischen ihnen nach seiner Hand. „Da war der Krieg gerade erst vorbei. Denken Sie nur. Das hat sie getan.“

„Did she really?“, sagt er und schaut auf ihre verschlungenen Hände hinab.

„O ja“, sagt sie. Dann muss sie kurz die Luft anhalten und kann nicht mehr weitersprechen, denn das Flugzeug hebt vom Boden ab. Presst sie in die Sitze. „Da werde ich ja wohl noch ein Flugzeug nehmen können, um mich über den Atlantik fliegen zu lassen“, flüstert sie und umklammert seine Hand wie eine Rettungsleine. „Dachte ich jedenfalls.“

„And so you do“, sagt er sanft. „Open your eyes.“

Sie öffnet die Augen.

„Look“, sagt er.

Und sie blinzelt und sieht dann nicht etwa zum Fenster hinaus und ein letztes Mal auf ihre Heimat hinab, sondern zum ersten Mal in sein Gesicht.

„Oh“, sagt sie.

„Was hat Ihre Großmutter getan, als sie angekommen war?“, fragt er und streicht einmal wie beiläufig mit dem Zeigefinger über ihre Knöchel.

„Sie verlobte sich.“

„Ah“, sagt er. „Big love. Und was werden Sie tun, wenn Sie aus diesem Flugzeug gestiegen sind?“

„Heiraten“, sagt sie und lässt seine Hand voll Bedauern wieder los.


III 1

Ihr Foto schaffte es nicht auf die Titelseite.

Aber ihr Foto schaffte es in die New York Times. In die Post. Und in die Daily News. Und in all die anderen Zeitungen, die im Dezember 1948 in New York so gelesen wurden.

„Jetzt sieh dir das an“, sagte Mr Solomon Newton zu seinem Sohn Benjamin, der gerade sein hastiges Frühstück beendete. „Dieses reizende Mädchen hier. Mit dem Koffer. Steht einsam und verlassen am Flughafen. Armes Ding. Gestrandet. Was soll sie jetzt machen? ›Lovely War Bride‹, schreiben sie. Und sie haben recht. Dieses goldene Haar. Wie die Loreley.“

„Dad“, sagte Benjamin, ohne hinzuschauen. „Wie willst du erkennen, dass sie goldenes Haar hat? Es ist ein Zeitungsfoto. Schwarz-weiß.“

Mr Newton ignorierte das. „Du solltest ihr schreiben“, sagte er. „Deine Dienste anbieten. Die kann sie brauchen. Sonst werden sie das arme Kind zurückschicken.“

„Bitte?“, sagte sein Sohn. „Nein. Ganz sicher nicht.“

„Aber sie ist reizend!“

„Du wiederholst dich.“

„Und braucht Hilfe.“

„Die brauche ich auch. Wie konnte ich nur denken, es sei eine gute Idee, Jura zu studieren? Ich hätte mich wie du für deutsche Lyrik entscheiden sollen. Nichts als Heinrich Heine und goldenes Haar den ganzen Tag.“

Mr Newton kannte dieses regelmäßig wiederkehrende Lamento und ignorierte auch das. „Du wirst ihr nicht schreiben?“

„Nein, sorry, Dad“, sagte sein Sohn, schob seinen Stuhl zurück, klemmte sich die abgegriffene Ledermappe unter den Arm und klopfte seinem Vater im Vorbeigehen freundlich auf die Schulter.

„Dann tu ich’s“, rief Mr Newton ihm nach. „Ich werde schreiben: Mein Sohn, der Anwalt, kann helfen. O ja, ich schreibe.“

Und er tat es.

Er sollte nicht der Einzige bleiben.


2

Idlewild Airport war 1948 noch recht überschaubar.

Kein Jahr alt.

Mit nur einem Terminal.

Aber der verdammt noch mal beste Flughafen der Welt, sagte Bürgermeister La Guardia.

Mit sechs Landebahnen. Lang genug, dass Jumbojets und Militärmaschinen sie anfliegen konnten.

Mit zwölf Fluglinien, die Flüge in alle Welt anboten. Peru? Paris? In Reichweite.

Der Duft der weiten Welt umwehte Idlewild Airport.

Er lag nur fünfundzwanzig Kilometer von Manhattan entfernt und war im Sumpfgebiet der Jamaica Bay errichtet worden. Wer zu Fuß über das Rollfeld lief, konnte das Meer riechen. Und mit salzigen Lippen die Gangway erklimmen.

Wer kein Ticket hatte, stand auf dem Aussichtsdeck und sah den Maschinen beim Starten und Landen zu. Während ein Sternenbanner über dem Tower im Wind schlug.

Früher hatte es hier einen Golfplatz gegeben. Idlewild hatte er geheißen. Ein guter Name. Er hielt sich hartnäckig, auch wenn nun Douglas DC-3s statt Golfbällen über das Marschland flogen.

Offiziell hieß der Flughafen International Airport.

Und wirklich: Er war in diesen Tagen das Tor zu einer anderen Welt.

Vor allem für die War Brides.

Jene junge Frauen aus Europa und dem Pazifikraum, die sich mit in der Fremde stationierten Soldaten verlobt oder verheiratet hatten. Und ihnen jetzt, da die Männer heimwärts zogen, nachreisten. Die Damen wollten in den Vereinigten Staaten von Amerika ein neues Leben beginnen, weit weg von den Nachkriegswirren ihrer Heimat.

Eigentlich war das Einwanderungsgesetz bedauerlich unnachgiebig. Liebe war darin nicht vorgesehen. Aber besondere Zeiten erforderten besondere Maßnahmen. Und waren die Mitglieder der US-Streitkräfte nicht sämtlich Helden? Musste man ihnen da nicht entgegenkommen?

Also machte der Kongress es möglich und entwarf eine Ausnahmeregelung. Den War Brides Act. Er erlaubte für einen kurzen Zeitraum die Einreise der Angetrauten und Verlobten.

Sie kamen in Scharen.

Die meisten per Schiff. Aber einige per Flugzeug. Vor allem jetzt, kurz bevor sich das Jahr dem Ende zuneigte und die Ausnahmeregelung auslief.

Die Zeit drängte.

Noch zehn Tage bis Neujahr.

Noch drei Tage bis Weihnachten.


3

„I’ll be home for Christmas“, sang Rosie, die frisch wie der frühe Wintermorgen über der Jamaica Bay an ihrem Schalter von American Airlines in Terminal eins stand.

Die Stirn weiß wie Schnee.

Die Lippen rot wie Christbaumkugeln.

Und lächelte.

Ernest kannte sie nicht anders als lächelnd.

Vielleicht ist es der Job, dachte er. Aber vielleicht ist es auch einfach nur Rosie.

Ihr Halstuch war lässiger geknüpft als bei den Mädchen der anderen Airlines links und rechts. Die gekonnt aufgedrehten Locken wippten munterer, und ein oder zwei hatten trotz aller Haarspangen so eine Art, ihr frech in die Stirn zu fallen.

„Ich liebe Bing Crosby einfach“, rief Rosie quer über den Gang hinweg. „Sie nicht auch, Ernest?“

Nein, Ernest nicht. Ernest hätte Mr Crosby jederzeit für Charlie Bird Parker im Regen stehen lassen. Der schrieb seine Musik immerhin selbst, Mr Crosby nicht mal seine Texte. Und mit Texten nahm Ernest es sehr genau. Immerhin hatte Ernest von Earnest Books and Papers, der eher Papers denn Books führte, sein Leben lang von einer eigenen Buchhandlung geträumt. Immer gedacht, wie viel friedvoller so ein Laden sein musste im Vergleich zu einer Zeitungsredaktion. Jetzt hatte Ernest einen Flughafen-Zeitungsstand. In einer eingeschossigen Betonschachtel von Terminal, die zwar im Winter kaum beheizt und im Sommer nicht klimatisiert wurde, aber bei Eröffnung mit Salutschüssen und einer Flugschau gefeiert worden war.

War Ernest nicht stolz? War er zufrieden? Schrieb er Briefe nach Hause, in denen stand: Ich bin angekommen?

Ernest McIntry hatte drei Brüder. Alle verheiratet. Alle mit Kindern. Alle angestellt im Familienunternehmen McIntry and Sons. Drillich aus dem Mittleren Westen. Drillich für die Streitkräfte. Im Krieg hatte man gut verdient. Wenn sie etwas lasen, dann kein Buch, sondern die Zeitung. Und wenn sie die Zeitung lasen, dann vor allem den Sportteil.

Ernest las auch den Sportteil. Aber Ernest las zuerst die Titelseite. Dann die Leitartikel. Dann das Feuilleton. Und nach dem Wetter endlich den Sport.

Und er schrieb nach Hause: Habt ihr das Spiel gesehen? Die Cubs könnten es wieder in die World Series schaffen.

Er schrieb nicht: Hört auf mit dem Quatsch, es gibt keinen Fluch. Das ist reine Selbstsuggestion.

Er schrieb auch niemals: Ich bin Pazifist.

Und niemals: Seid Ihr sicher, dass Ihr Geld mit dem Krieg machen wollt?

Er schrieb: Danke für den Kaffee, wie geht es den Kindern, was macht Dads schlimmer Fuß? An Weihnachten muss ich arbeiten, leider.

Ernest konnte sehr diplomatisch sein.

Seine Ex-Frau nannte ihn feige, bevor sie ihn verließ.

„Wenn du meinst“, hatte er geantwortet.

„Ist das alles?“, fragte sie eisig.

„Jawohl“, sagte er.

Sie hatten keine sehr leidenschaftliche Beziehung gehabt.

„Mr Crosby hat eine schöne Stimme“, antwortete Ernest jetzt, diplomatisch. „Kaffee, Miss Rosie?“

Rosie nickte, dass die Locken tanzten.

Ernest wandte den Blick ab, denn immerhin war er Mitte vierzig und Rosie sicher erst kürzlich von der Schulbank gerutscht.

Er holte seine Thermoskanne aus dem Regal, angelte die zwei Becher von dem Bord mit den broschierten Kriminalromanen, goss Kaffee hinein und fügte Zucker hinzu. Viel Zucker.

Manche mögen’s süß, dachte Ernest, während er sorgfältig umrührte. Das wäre ein schöner Filmtitel. Als sie gleichzeitig nach dem Zucker griffen, trafen sich ihre Blicke. Das wäre ein guter Satz für ein Drehbuch. Wie viele Paare wohl bei Kaffee mit Zucker zusammenfanden? Darüber müsste mal jemand eine Geschichte schreiben. Eine Reportage. Sich einen Tag lang beobachtend in ein Diner setzen. Roger hätte eine ganze Seite dafür hergegeben. Nicht für Ernest allerdings, denn Ernest hätte nie über die Liebe geschrieben. Und nicht die Seite eins, die niemals. Aber auf die Eins hatte es ja bis 1945 nicht mal der Holocaust geschafft. Dabei war es die Times, verdammt noch mal.

Doch halt, nicht aufregen.

Ernest hatte schließlich seinen Hut genommen. Und dazu seinen Kaffeebecher gepackt und sein Adressbuch eingesteckt. Damit war er dann aus den Redaktionsräumen spaziert, die Lesebrille noch auf der Nase, ein bisschen resigniert, ein bisschen erleichtert.

Er hatte höflich gegrüßt, das schon.

Er war nicht nachtragend. Er hatte Prinzipien.

Also würde er nicht zurückkehren.

O nein, nie mehr, sagte sich Ernest, während er mit den Bechern die fünf Meter quietschenden Linoleums überquerte, die seine Seite des Terminals von Rosies Seite des Terminals trennten. Nur das ständige Formulieren im Kopf hatte er nicht abstellen können. Das kam so selbstverständlich zu ihm wie das Atmen.

Ernest wich einem Paar mit Reisekoffern aus, sie nervös, er schwitzend. Ein Koffer traf Ernests Schienbein. Heißer Kaffee schwappte über Ernests Handrücken.

„Sorry“, sagte Ernest.

Dachte: Das Terminal wird täglich voller.

Es kamen immer mehr Fluglinien, die immer mehr Schalter brauchten. Und es kamen immer mehr Menschen, die mit diesen Fluglinien fliegen wollten. Und sich bei Ernest Reiselektüre besorgten.

Ein Grund zur Freude, dachte Ernest. Ich sollte es feiern. Mit wem?

Dann stand er vor Rosie.

„Für Sie“, sagte er und überreichte der jungen Frau mit einem kleinen Diener das Heißgetränk.

„Sie sind ein Schatz“, sagte Rosie. Sie sagte das beinah täglich, es ging ihr so leicht über die sorgfältig angemalten Lippen wie ein Guten Morgen, das wusste er wohl, konnte aber nicht verhindern, sich trotzdem daran zu erfreuen.

„Wie läuft Ihr Tag so weit?“, fragte er, während er einen Schluck seines restlichen Kaffees nahm.

„Bestens, danke der Nachfrage“, antwortete sie. „Boston ist durch. Chicago checkt bald ein. Zeit für eine kleine Pause.“

Normalerweise würde sie sich jetzt auf ihren ungepolsterten Hocker sinken lassen, um die Füße zu entlasten und den Rücken zu entspannen. Das war nämlich erlaubt, wenn gerade keine Airline-Kunden vor ihr standen.

Aber heute setzte sie sich nicht. Wie sollte sie auch still sitzen, da es ihr doch ganz offensichtlich nicht einmal gelang still zu stehen? Sie wippte auf den Spitzen ihre kleinen, blanken Absatzschuhe, tat plötzlich gar einen Ausfallschritt. Es wirkte fast, als tanzte sie hinter ihrem Schalter. Bing Crosbys wegen?

Rosie beugte sich über den Tresen näher zu ihm. Ernest sah, dass ihre dunklen Wimpern sich fast so schön bogen wie ihre Locken. Dann hauchte sie, als verrate sie ihm ein Geheimnis: „Es landen gleich welche. Ein ganzer Flieger voll!“

O Gott, dachte Ernest in plötzlichem Begreifen. Sagte aber tapfer: „Großartig!“ Nur, um ihr nicht den Spaß zu verderben.

„Nicht wahr?“, jubelte Rosie. „War Brides direkt aus Europa.“ In dem Tonfall hätte sie auch sagen könnte: „Orangen, frisch aus Kalifornien!“ Es fehlte nicht viel, und sie hätte vor Begeisterung in die Hände geklatscht.

Ernest würgte ein bisschen an seinem Kaffee, während er um eine diplomatische Antwort rang. „Es ist ein schöner Tag, um das erste Mal New York zu sehen“, brachte er schließlich heraus. „Nur drei Grad über null. Aber spektakulär sonnig.“

Da strahlte Rosie, als wolle sie der Sonne Konkurrenz machen.

Ernest hätte jederzeit auf Miss Rosie gewettet.

Die Magie der Raunächte

„Griechische Mythologien, Queer Love & düstere Romantik. Was will man mehr? Das Buch ist so herzzerreißend wie schön, also ein absolutes Must-Read!“ Deborah; Marketing

Blick ins Buch
Twelve of Nights – Das gestohlene HerzTwelve of Nights – Das gestohlene Herz

Roman

In einem griechischen Bergdorf leiten die zwölf Raunächte mit besinnlichen Ritualen und winterlichen Festen den Jahreswechsel ein. Doch einer alten Legende zufolge stehlen sich in dieser Zeit auch die dämonischen Kalikanzari in das Dorf und opfern ein Menschenleben. Als die zweiundzwanzigjährige Daphne kurz nach der Weihnachtsmesse eine junge Frau kennenlernt, fühlt sie sich sofort zu ihr hingezogen. Während der Feierlichkeiten im Dorf kommt Daphne der mysteriösen Ioanna immer näher. Doch Ioanna hütet ein Geheimnis, und ihre Liebe kann außerhalb der Raunächte nicht existieren …

1

Daphne

24. Dezember

Gegenwart

Kurz vor Mitternacht


In Griechenland wünscht man sich zu sämtlichen Feiertagen Chronia polla, das bedeutet wörtlich Viele Jahre. Viele Jahre zum Geburtstag. Viele Jahre zum Namenstag. Viele Jahre zu Ostern. Viele Jahre zu Weihnachten. Als hätte irgendjemand die Macht, darüber zu entscheiden. Als wäre Zeit das Schönste, was man verschenken kann.

Seit fünf Jahren benutze ich die Floskel nicht mehr. Der letzte Mensch, dem ich viele Jahre gewünscht habe, hat nicht mal mehr eines weitergelebt. Zeit ist der größte Fluch, wenn sie einen daran erinnert, was man verloren hat.

Aris Blick brennt auf mir. Er weiß, was ich fühle, auch wenn er mehrere Meter von mir entfernt auf einer der gegenüberliegenden Holzbänke sitzt. Es gibt nach wie vor eine strikte Trennung zwischen Männern und Frauen, weswegen er auf der linken Seite vom Mittelgang sitzt und meine Großmutter, seine Mutter und ich rechts. Die Kirche ist brechend voll. Überall dicke Wintermäntel, frisierte Hinterköpfe, Menschen in Anzügen und spektakulären Kleidern, die Gesichter gezeichnet von Ungeduld. Meine Jiajia – meine Oma – nennt es das große Affentheater. Ansonsten lässt sich hier kaum jemand blicken, aber zweimal im Jahr, zur Geburt und zur Auferstehung Christi, strömt das ganze Dorf in die prunkvolle Kathedrale, die sich auf einem Bergvorsprung oberhalb des Ortes befindet. Aus diesem Grund sind wir schon vor Stunden aufgekreuzt, um noch einen Platz zu ergattern.

Auch ich bin Teil des Theaters. Zwar begleite ich meine Großmutter manchmal sonntags in den Gottesdienst, doch das liegt nicht an meinem Glauben. Früher ist Papou mit ihr hingegangen, auch wenn ich den Verdacht habe, dass er ebenso wenig gläubig war, wie ich es bin. Es bricht uns wohl einfach beiden das Herz, sie allein gehen zu lassen.

Endlich erwidere ich Aris Blick. Seine dunklen Augen glänzen mitfühlend. Er trägt einen silbergrauen Anzug, der gut mit seinen dunklen Locken harmoniert und ihn noch erwachsener aussehen lässt. „Gleich geschafft“, formt er mit den Lippen, und ein liebevolles Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln.

Nicht ganz die Wahrheit. Nach der Mitternachtsmesse werden wir in das Gasthaus meiner Großeltern zurückkehren und dort die Dorfbewohner mit den Leckereien versorgen, die wir in den letzten Tagen zubereitet haben. Nach der vierzigtägigen Fastenzeit wollen sich alle die Bäuche vollschlagen. Am liebsten würde ich die Zeit vorspulen, bis ich mit Ari in unserem warmen Bett liegen und mich an ihn klammern kann. Ich brauche unsere kleine heile Welt. Seine Lippen auf meinen, geflüsterte Worte unter der Decke, das Gefühl von Geborgenheit, auch wenn es seit Langem nicht mehr dasselbe ist. An manchen Tagen frage ich mich, ob ich überhaupt noch in der Lage bin, etwas zu empfinden. Nicht nur in Bezug auf Ari, sondern auf mein gesamtes Leben. Die meiste Zeit empfinde ich nur Leere.

„Ich liebe dich“, gebe ich lautlos zurück. Das schlechte Gewissen klopft an wie jedes Mal, wenn ich die drei Worte zu ihm sage. Sein Lächeln kann ich nicht erwidern. Ari versteht, wie hart die Zeit von Weihnachten bis zum 6. Januar für mich ist. Mein Leben lang habe ich mich das ganze Jahr über darauf gefreut. Seit fünf Jahren, seit Papou nicht mehr ist, wünschte ich, wir könnten sie einfach überspringen.

Aris Mutter und meine Jiajia verlassen ihre Plätze und reihen sich in die Schlange ein, um die Kommunion zu empfangen. Da ich weder gefastet habe noch daran glaube, folge ich ihnen nicht. Außerdem kommt mir stets die Warnung meiner Vorschullehrerin in den Sinn, wenn ich den goldenen Kelch betrachte, in dem sich Wein und Brotstücke befinden, die sinnbildlich für das Blut und Fleisch Jesu stehen. Sollten Gottlose es wagen, die Kommunion zu empfangen, würden sich der Wein und das Brot noch im Mund in Blut und Menschenfleisch verwandeln. Danke, nein.

Ari sieht mich nach wie vor an, doch plötzlich hat sein Blick nichts Tröstliches mehr. Er engt mich ein. Genau wie die Menschenmenge. Und die Psalmen, die immer lauter gesungen werden. Das Knarzen in den Lautsprechern, wenn die Kirchenchormitglieder dem Mikrofon vorne zu nahe kommen. Die brennenden Kerzen, deren Hitze sich in der gesamten Kirche auszubreiten scheint. Der schwere Weihrauchgeruch. All das Gold an den Wänden, all die Ikonen, die auf mich niederstarren. Es ist Weihnachten, Daphne, scheinen sie zu sagen. Es ist Weihnachten, du solltest doch glücklich sein.

Die Kirchenglocken ertönen. Mein Puls schießt in die Höhe, meine Nackenhaare richten sich auf. Mitternacht. Ich muss raus hier. Die frische Dezemberluft inhalieren. Mich daran erinnern, dass es in Ordnung ist. Dass ich in Ordnung bin.

Es sind nur zwölf Tage, die ich überstehen muss, dann kann ich mich zurück in meinen Alltag flüchten. Ich greife nach meiner Handtasche, erhebe mich und dränge mich an Eleni Christophou vorbei, die mit uns in der Reihe sitzt und der die beste Zuckerbäckerei im Dorf gehört. Sie ist gerade dabei, ihre Töchter nach vorn zu scheuchen, und bemerkt mich nicht. Ari beobachtet mich, während ich mich an Frauen und Kindern, an Heiligenbildern, Opferkerzen und Tischen mit Spendenkörben vorbeiquetsche. Je weiter man Richtung Ausgang kommt, desto lauter wird das Geflüster.

„Hast du gesehen, wie tief der Ausschnitt von Anastasias Kleid ist?“

„Die Liturgien werden auch jedes Jahr länger, oder?“

„Ich hab Hunger, Mama!“

„Glaubst du, wenn wir kurz eine rauchen gehen, bekommen wir die Schlusspredigt noch mit?“

Als ich die schwere Holztür aufstoße, schlägt mir der heftige Wind Schneeflocken ins Gesicht, und meine langen schwarzen Locken fliegen nach hinten. Auf dem Platz vor der Kathedrale tummeln sich mindestens so viele Menschen wie im Inneren – vermutlich, weil sie keinen Platz mehr gefunden haben. Das Stimmengewirr wird durch das ohrenbetäubende Läuten der Glocken übertönt.

Für einen Moment verharre ich auf der Stelle und atme die frostige Luft ein. Es ist schön hier, nicht wahr? Die Bäume sind von einer dünnen Schneeschicht überzuckert, unten im Tal funkeln die Dorflichter wie ein Sternenmeer, Rauch steigt von den Schornsteinen in den Nachthimmel auf. Es ist magisch. Weiße Weihnachten, wer wünscht sich das nicht?

Innerhalb von Sekunden ist mein bodenlanger schwarzer Mantel von Schneepünktchen übersät. Mit gesenktem Kopf laufe ich wieder los, vorbei an den Menschen, um die Ecke, wo ich zwischen einem Baum und der Kirchenfassade etwas abseits der Menge Unterschlupf finde.

Ich lasse mich gegen die Außenmauer sinken. Mir ist schlecht, und mein Herz rast. Der 25. Dezember ist nicht nur Weihnachten. Das Datum markiert den Beginn der Raunächte. Die nächsten zwölf Tage wird sich das gesamte Dorf im Ausnahmezustand befinden, weil verschiedene Rituale bevorstehen. Alle bereiten sich auf den Jahreswechsel vor, nehmen Abschied von Altem und begrüßen neue Möglichkeiten. Doch ich will nichts Neues. Ich will wieder ein Kind sein und die faltige Hand meines Großvaters halten. Sein verschmitztes Lächeln sehen, seinen vertrauten Geruch nach würzigem Aftershave und Pfeifentabak riechen. Ich will doch einfach nur wieder etwas fühlen.

„Daphne.“

Mein Kopf ruckt hoch. Vor mir steht eine junge Frau. Sie kann kaum älter als ich sein, höchstens Mitte zwanzig. Ihre goldbraunen Haare sind glatt und reichen ihr bis zum Kinn, sie hat stechend schwarze Augen, mit langen seidigen Wimpern, darüber ebenso schwarze Brauen, ihr Mund glänzt burgunderrot, dieselbe Farbe wie ihr Mantel. Sie ist mindestens zehn Zentimeter größer als ich, obwohl ich Stiefel mit Absatz trage und sie flache Budapester.

Bestimmt ist sie eine Verwandte von jemandem und für die Feiertage hergekommen. Ich habe sie noch nie gesehen. Bei unter tausend Einwohnern fallen Neuankömmlinge in unserem Dorf auf wie bunte Hunde.

„Daphne“, wiederholt sie, diesmal leiser, beinahe zärtlich.

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Woher kennt sie meinen Namen? Aber das ist nicht der einzige Grund, aus dem ich erstarrt bin. Ihr Blick … Etwas in ihrem Blick scheint unsere gesamte Umgebung einfrieren zu lassen. So schaut man keine Fremde an. So schaut man jemanden an, den man besser als sein eigenes Leben kennt. Meine Großmutter hat meinen Großvater auf diese Weise angesehen. Er sie nicht. Ich habe mich immer gefragt, wieso.

Ich versuche mich an einem Lächeln. Seltsam, wie leicht es mir plötzlich fällt. „Du verwechselst mich.“

Statt einer Antwort zieht sie einen Briefumschlag aus ihrer Manteltasche und hält ihn mir hin. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Bevor ich mir einen Reim darauf machen kann, beugt sie sich blitzschnell vor – Orangenblüten, Jasmin, Zedernholz, alles wirbelt gleichzeitig auf und vermischt sich zu einem betörenden Strudel –, küsst mich rechts und links auf die Wangen und verharrt dann mit den Lippen an meinem Ohr. Nun scheint nicht nur unsere Umgebung eingefroren. Auch ich werde zu Eis, die Zeit steht still, die Glocken hoch oben im Kirchturm verharren in der Bewegung, genau wie die Schneeflocken um uns herum. Die gesamte Welt hört auf, sich zu drehen, während Gedankenfragmente mein Hirn fluten. Ein Wald. Raketen, zu früh abgeschossen. Der Geschmack von bitterem Rotwein auf meiner Zunge. Ein zugefrorener See. Knackendes Eis. Gelächter. Blicke, die mein Inneres verflüssigen. Worte wie hauchzarte Berührungen: „Ich könnte dich nicht nur seinen, sondern auch deinen eigenen Namen vergessen lassen.“

Berührungen wie Versprechen.

Woher kommen diese Gedanken?

„Chronia polla.“ Kaum mehr als ein Hauchen. Sie spricht keinen Dorfdialekt, ihr Griechisch ist klar und deutlich, es klingt nach Großstadt, vielleicht sogar Athen.

Und in diesem Moment, nur für den Bruchteil eines Herzschlags, verstehe ich. Ich verstehe zum ersten Mal seit langer Zeit, wieso man jemandem viele Jahre wünscht. Denn in diesem Moment will ich nicht bloß viele Jahre, sondern eine ganze Ewigkeit, genau hier.

Die Fremde weicht zurück. Sie drückt mir den Brief in die Hand. Eine einzelne Träne läuft über ihre Wange, hinterlässt eine glänzende Spur auf ihrer Haut.

„Vernichte ihn, sobald du ihn gelesen hast“, flüstert sie.

Mit diesen Worten wendet sie sich um. Die Schneeflocken setzen sich wieder in Bewegung, wilder, erbarmungsloser, der Lärm der Kirchenglocken ist zurück, vermengt sich mit dem Geschnatter der Leute.

Zitternd atme ich aus, während meine Finger den Briefumschlag aufreißen. Immer wieder verschwimmt er vor meinen Augen.

Weine ich? Warum zur Hölle weine ich?

Der Brief besteht aus mehreren Blättern Papier, dicht beschrieben in geschwungener Schreibschrift mit dunkelroter Tinte.

Daphne, lese ich, während ein Schluchzen aus mir herausbricht und mich schüttelt. Eine dicke Schneeflocke landet auf meinem Namen, lässt ihn bluten. Ich weiß, du kennst mich nicht, aber ich verspreche dir, du liebst mich.



2

Ioanna

31. Dezember

Fünf Jahre zuvor

Kurz vor Mitternacht


Der Anfang. Ich erinnere mich genau an ihn. Meine Erinnerung ist unversehrt.

Ich sollte nicht mehr hier sein.

Sechs Tage in diesem Drecksloch von einem Kaff sollten ausreichen, um jemanden aufzuspüren. Wenn ich sie bis jetzt nicht gefunden hatte, konnte das nur bedeuten, dass sie nicht mehr hier war.

Unter meinen Schuhen knirschten die gefrorenen Grashalme, während ich den Hang hinauf durchs Dickicht rannte, als seien die Dorfbewohner hinter mir her. Ein bitteres Lachen entwich mir. Als wäre nicht ich diejenige, vor der sich das gesamte Dorf fürchten musste …

Ein irrsinniger Gedanke hatte mich davon abgehalten, vor Silvester zu gehen. Was, wenn sie hier sein würde? Was, wenn ihr Herzschlag mich um Mitternacht locken würde?

Aber so funktionierte die Magie nicht, das hatte mir Despina erklärt, als wir nackt und atemlos nebeneinander in ihrem Bett gelegen hatten. Schnell war ihr meine Fragerei auf den Zeiger gegangen, und sie war auf den Olymp geflüchtet, um ihre Ruhe zu haben. Es war erstaunlich, wie nervtötend ich selbst ohne Emotionen sein konnte.

Die anderen waren am 25. Dezember sofort ausgeströmt und hatten wie Drogensüchtige den Kontakt zu den Menschen im Ort gesucht. Mich dagegen interessierte nur ein einziger. Der Mensch, der mich aus purem Egoismus zu diesem Dasein verdammt hatte.

Rache kettete mich an diesen Ort.

Ich beschleunigte meine Schritte. Es war bitterkalt. Nicht dass mir die Kälte während der Raunächte ernsthaft etwas anhaben konnte, aber es tat gut, sie zu fühlen. Ich hatte keine wärmere Jacke angezogen, denn heute Nacht wollte ich alles fühlen.

Die Bäume lichteten sich ein wenig, und aus der Ferne war der Schrei einer Eule zu hören.

Die meisten Menschen feierten unten im Tal oder auf einem der Berggipfel, aber was, wenn sich auch jemand hierher verirrt hatte? Nur noch wenige Minuten, und niemand würde mehr sicher sein. Vor mir.

Würde ich mich dagegen wehren können? Hatte ich überhaupt eine Wahl?

Ich krallte meine Finger ineinander und grub meine Nägel in die Handrücken, bis scharfer Schmerz durch meinen Körper pulsierte. Schmerz war gut. Er war echt und klar, und schon bald würde ich ihn zusammen mit all den anderen Gefühlen vermissen.

Natürlich hatte ich eine Wahl. Vor etwa einem Jahr hatte ich die Wahl gehabt, das Schicksal seinen Lauf nehmen zu lassen. Und die letzten dreihundertsechzig Tage hatte ich jede Sekunde die Wahl gehabt, einem Menschen in die Augen zu sehen und diese Welt schmerzfrei zu verlassen. Mensch oder kein Mensch, man hatte immer eine Wahl. Das war die Wahrheit. Ich war hier, weil ich es wollte. Die Hand auf den Brustkorb eines Menschen legen, das wilde Pulsieren spüren, das inzwischen nichts als eine ferne Erinnerung war, das Erkennen in ihrem Blick aufflackern sehen, meine Angst vom Vorjahr …

Ein regelmäßiges Pochen ließ mich innehalten. In den letzten Tagen waren die Herzschläge um mich herum immer lauter geworden, doch diese Intensität war neu. Sie ließ den Boden beben und erschütterte meine Knochen.

Fuck! Da war wirklich jemand.

Dies war meine letzte Chance umzukehren. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Viertel nach elf. Noch war es nicht zu spät.

Im nächsten Moment ertönte ein Schniefen.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, registrierte nur am Rande, wie dornige Äste mich streiften. Sekunden später fand ich mich auf einer Lichtung mit kleinem See wieder, die von knochigen Ahornbäumen und Eichen umrahmt war. Die gefrorene Wasseroberfläche reflektierte das silbrige Mondlicht. Dahinter, auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, ging es hangaufwärts. Und am Ufer, zwischen Schlittschuhen und Glasflaschen, saß ein Mensch mit dem Rücken zu mir im Gras.

Ihr wallendes schwarzes Haar reichte bis zur Mitte ihres Rückens. Allem Anschein nach war sie gerade dabei, sich von ihren Schlittschuhen zu befreien, scheiterte, fluchte, griff nach einer Weinflasche, nahm einen großen Schluck, stellte sie wieder ab und versuchte erneut, die Schnürsenkel zu lösen. Ohne Erfolg.

Gegen meinen Willen musste ich grinsen.

Obwohl das Gras unter meinen Schuhen knirschte, hörte sie mich nicht, bis ich neben ihr stand.

„Hi.“

Sie schaute hoch. Ihr Mantel war schwarz und kurz, genau wie das Kleid, das sie darunter trug.

„Was machst du hier ganz allein?“

Es sollte nicht wie eine Drohung klingen, doch ihr Herzschlag beschleunigte sich wie auf Knopfdruck.

Eine Gänsehaut jagte mir über den Rücken. Die letzten Tage war ich vielen Menschen begegnet, die mich unverhohlen gemustert, versucht hatten, mich in ein Gespräch zu verwickeln, oder mich plump angemacht hatten, aber Angst hatte niemand vor mir gehabt. Eine junge Frau wie ich, die allein unterwegs war, verbreitete wohl kaum Furcht und Schrecken. Außerdem hatte ich mir jeden Tag Mühe mit meinem Make-up und meiner Kleidung gegeben. Heute trug ich einen dunkelroten Overall aus Samt. Eine schöne junge Frau war noch viel weniger Angst einflößend.

Auch das Exemplar zu meinen Füßen sah gut aus. Verheult, aber süß. Ihre geröteten Augen traten leicht hervor, braun und tief, umrandet mit grünem Glitzerzeug, darunter lagen dunkle Schatten; auf ihren gepuderten Wangen waren Tränenspuren zu sehen. Ihre Nase war lang, leicht krumm, ihr Mund einen Tick zu groß, um zum Rest des Gesichts zu passen. Ich wollte eine Hand ausstrecken und ihre Lippen mit meinen Fingern nachzeichnen. Und dann wollte ich tiefer wandern, bis meine Hand auf ihrem Dekolleté lag, ihre Hitze spüren, das Hämmern in ihrem Brustkorb und …

„Meine Freunde sind abgehauen“, nuschelte sie. Mit einem weiteren Schniefen wischte sie sich übers Gesicht. Ihr Blick zuckte gehetzt über meine Gestalt, als könnte sie nicht einschätzen, in welche Kategorie sie mich stecken sollte. Freundin oder Feindin?

Mein Grinsen wurde breiter. Ich deutete auf ihre Schlittschuhe. „Brauchst du Hilfe damit?“

Mit großen Augen sah sie zu mir hoch. „Wer bist du?“

„Ioanna.“ Ich streckte ihr die Hand hin. „Und du?“

Zögerlich nahm sie meine Hand. Aus einem Impuls heraus umklammerte ich ihre fester und zog sie ruckartig hoch.

Selbst mit den Schlittschuhen an den Füßen war sie kleiner als ich.

Ihr Atem stockte, ihre Wangen röteten sich. „Daphne“, erwiderte sie erstickt. „Wir kennen uns nicht, oder? Du kommst nicht von hier?“

Mit einem Kopfschütteln gab ich ihre Hand frei. „Ich würde mich definitiv an dich erinnern.“

Und du dich an mich.

Verwirrung zuckte über ihr Gesicht. Wäre ihr rasendes Herz nicht eine solche Ablenkung gewesen, hätte ich vielleicht gelacht.

Ich legte den Kopf schief und durchbohrte sie mit meinem Blick. „Wie heißt er?“

Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit gab es einen Kerl, wegen dem sie sich die Augen aus dem Kopf heulte.

Ihre Augen wurden noch größer. „Wie … Wie heißt wer?“

O ja, sie war definitiv der Typ Unschuld vom Lande, der sich in einen Jungen aus ihrer Schulklasse verknallte, ihn kurz nach ihrem Abschluss heiratete, sich unzählige Babys von ihm machen ließ und glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende mit ihrer Familie in demselben Kaff blieb, in dem sie geboren war.

Ich erwiderte nichts, starrte sie einfach nur an.

Meine Schwester hatte meinen Röntgenblick gehasst. „Bitte hör auf, Leute so anzuglotzen“, hatte sie mich angefleht. „Du ziehst zu viel Aufmerksamkeit auf dich. Das ist an einem Ort wie diesem besonders riskant.“ Steriani war immer ein Fan von mit dem Hintergrund verschwimmen gewesen, besonders wenn es um mich ging. Natürlich machte sie sich Sorgen, immerhin war ich das schwarze Schaf der Familie. Der Grund, aus dem wir den Kontakt zu unseren Eltern abgebrochen hatten. Aber manchmal hatte ich mich gefragt, ob sie sich nicht bloß Sorgen um mich machte, sondern sich auch für mich schämte.

„Ari“, riss mich Daphnes Stimme aus meinen Gedanken. Sie seufzte laut. Es klang nach Aufgeben. „Er heißt Ari.“

Mein Grinsen kehrte zurück. „Was hat das Schwein getan?“

Ein Lachen entwich ihr. Sie selbst schien überrascht davon zu sein.

Es klang schön. Frei.

„Ich bin nur kurz in den Wald gegangen, weil ich mal pinkeln musste, und dann waren meine Freunde plötzlich weg.“ Sie biss sich auf die volle Unterlippe. Mein Blick blieb zu lange daran hängen. „Ich habe gehofft, ihn um Mitternacht endlich zu küssen. Aber es sieht so aus, als würde er lieber Zeit mit Thalia verbringen wollen … Sie antworten mir alle nicht auf meine Nachrichten.“

Ich schaute auf die Schlittschuhe neben uns und wieder zurück in ihre dunklen Augen, und plötzlich spürte ich den Leichtsinn, der mein Inneres zum Tanzen brachte und die Verzweiflung der letzten Tage in den Hintergrund rücken ließ.

„Ich könnte dich seinen Namen vergessen lassen“, sagte ich.

Ihre Gesichtszüge entgleisten ihr. „Was?“

Mit einer gehobenen Braue deutete ich auf die Schlittschuhe vor uns. „Lust, eine Runde mit mir zu laufen?“

Ein paar Sekunden schien sie zu überlegen, dann zuckte sie mit den Schultern. „Okay. Warum nicht?“

Ich war wirklich nicht Angst einflößend genug.

Kurz darauf hatte ich meine Stiefel gegen Schlittschuhe getauscht, die mir eine halbe Nummer zu eng waren. Auch dieser Schmerz war willkommen.

Nur ein paar Minuten, bevor die anderen zurückkamen. Ich würde ihre Herzschläge hören, sobald sie in der Nähe waren. Nur ein paar Minuten Ablenkung, bevor ich mich wieder der Finsternis übergab. Das hatte ich mir verdient.

Die vereiste Oberfläche des Sees war von Fahrspuren zerkratzt, das Mondlicht offenbarte in den Tiefen darunter das dunkle Wasser. Daphne war etwas wackelig auf den Beinen, und ihr Blick zuckte immer wieder in Richtung Wald. Vermutlich hoffte sie, dass ihre Freunde jede Sekunde zurückkehren würden.

Nachdem wir beide ein paar Runden nebeneinander gefahren waren, beruhigte sich ihr Herzschlag. Die Stille drückte auf meine Ohren. Ich wollte keine Stille. Das ganze verfluchte Jahr lang hatte ich Stille gehabt. Abrupt blieb ich stehen, änderte meinen Kurs, sodass ich nun auf sie zulief, erwiderte ihr zaghaftes nervöses Lächeln nicht, sondern starrte ihr ausdruckslos in die Augen und beschleunigte. Ihr Herz begann wieder zu rattern. Sie wollte ausweichen, aber keine Chance, ich war viel zu schnell. Kurz bevor ich gegen sie prallen konnte, verlagerte ich mein Körpergewicht zur Seite, schnappte mir ihre Hand und riss sie herum. Sie schwankte, kämpfte um ihr Gleichgewicht, doch mein Griff war eisern, stützte sie.

„Was zum …“

„Vertrau mir“, wisperte ich. Und damit stieß ich sie von mir, nur um sie im nächsten Moment ruckartig an mich zu ziehen. Die Hitze unserer Körper war im Kontrast zur Kälte beinahe unerträglich. Wie lange war es her, dass ich die Wärme eines Menschen an mir gespürt hatte?

Daphne schnappte nach Luft, ihr Herz raste jetzt, ihre Augen blitzten, wurden ganz schmal. War sie wütend auf mich? Jedes ihrer Gefühle war ein gefundenes Fressen für das ausgehungerte Loch in meiner Brust. Mein Gott, ich hätte es von Anfang an den anderen gleichtun und mich an alle Menschen in Reichweite ranschmeißen sollen …

Ich griff auch nach ihrer anderen Hand, ehe ich begann, in Schlangenlinien rückwärts übers Eis zu gleiten und sie mitzuziehen. Der eisige Wind wirbelte meine Haare nach hinten und ihre nach vorn. Ihre dunklen Locken peitschten mir ins Gesicht. Sie trug Parfum. Etwas Süßliches, das mich an Honig und Zimt erinnerte.

Während wir über den See flogen, riss ich unsere Hände nach oben und krallte meine Nägel in ihre Haut. Mein Blick liebkoste ihr errötetes Gesicht. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, als wollte sie etwas sagen, das ihr auf halber Strecke entfallen war.

„Was noch?“, rief ich gegen den brausenden Wind an, ließ unsere Hände wieder sinken, gab eine frei, um Daphne um ihre eigene Achse wirbeln zu können. Einmal, zweimal, dreimal.

Ein erstickter Laut entwich ihr. Erst als sich ihr Gesicht wieder vor meinem befand, realisierte ich, dass sie lachte. „Was?“, keuchte sie.

„Was willst du noch?“, fuhr ich fort, samtweich und eine Spur provozierend. Ich verringerte mein Tempo, sodass auch sie automatisch langsamer wurde. „Im Leben, meine ich. Außer einen Kuss von deinem Angebeteten.“

Ihre Wangen färbten sich noch röter. Und dann passierte es. Nur für den Bruchteil einer ihrer viel zu hektischen Herzschläge zuckte ihr Blick zu meinem Mund. So schnell, dass man es für Einbildung hätte halten können. Hätte ich noch ein Herz gehabt, hätte es in diesem Moment vermutlich vergessen, dass es schlagen sollte.

„Herausfinden, wer ich bin, schätze ich“, murmelte sie. „Aber eigentlich will ich nur, dass es allen gut geht.“

Stirnrunzelnd ließ ich sie los. „Allen?“

„Meiner Familie, meinen Freunden. Wenn bei ihnen alles in Ordnung ist, bin ich glücklich.“

Erst kam der Neid, Sekunden später wurde er von Spott übertrumpft. „Und was ist mit dir?“, fragte ich höhnisch. „Wie willst du herausfinden, wer du bist, wenn dein Glück von anderen Menschen abhängt?“

„Vielleicht ist das meine Bestimmung. Vielleicht gibt es Menschen, die auf der Welt sind, um sich um andere zu kümmern. Ist das etwas Schlechtes?“

„Sich kümmern, ja klar.“ Ein hohles Lachen entwich mir. „Du meinst, du bist dazu da, um anderen zu gefallen?“ Sie war stehen geblieben, ich begann sie zu umkreisen. Erst langsam, dann immer schneller. „Das ist dein Lebensziel? Wie überaus inspirierend!“

Sie verdrehte die Augen. Doch da war etwas in ihrer Miene. Argwohn? Scham?

„Und du willst die Weltherrschaft, oder was?“

„Die Welt geht mir am Arsch vorbei.“ Ich verließ den Kreis, den ich um sie gefahren war, und bewegte mich ein bisschen weiter weg.

Die Welt ist nichts, wenn du keinem Menschen in die Augen sehen darfst.

„Ich habe keine Ziele“, rief ich ihr über die Schulter zu. „Ich lebe nur im Jetzt.“

Ihr Lachen schien mich zu verfolgen. „Lügnerin.“

Bevor ich mir eine Antwort darauf überlegen konnte, erklangen ihre Schlittschuhe hinter mir, aggressiv und entschlossen trafen sie aufs Eis. Diesmal war sie diejenige, die nach meinen Händen griff, sie umklammerte und mich an sich riss, die begann, schneller übers Eis zu fahren und mich vor sich herzuschieben. Ich war viel zu perplex, um mich zu wehren. Ihre Augen glühten. Und obwohl ihr Herz immer noch so heftig in ihrer Brust schlug, dass es unsere Umgebung zum Vibrieren brachte, war von ihrer Unsicherheit nichts mehr zu spüren.

Kurz bevor wir das Ende des Sees erreichten, verzogen sich ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln, sie fuhr eine scharfe Kurve und riss mich an sich, damit ich nicht ins Gras fiel. Ihr Mund war nur Millimeter von meinem Hals entfernt. Ihr heißer Atem strich über meine Haut. Die Schwere von Rotwein, vermischt mit etwas Süßem.

Mein Körper stand in Flammen. Ich wollte den See verlassen, sie mitzerren, zu Boden stoßen, mich über sie beugen und meine Lippen auf ihre pressen. Zur Hölle mit ihrem Herzen! Ich brauchte ihr Herz nicht. Ich brauchte nur ein paar Augenblicke …

„Wie alt bist du?“, fragte sie, ließ eine meiner Hände los, umklammerte die andere umso fester. Seite an Seite schwebten wir über den See. „Anfang zwanzig?“

Es war eine Herausforderung, nicht auf ihre Lippen zu starren. „Neunzehn.“

Erneut lachte sie, diesmal klang es allerdings traurig. „Eine Siebzehnjährige, die für andere, und eine Neunzehnjährige, die nur für den Moment leben will? Was meinst du, wer von uns beiden redet den überzeugenderen Blödsinn?“

Das Zischen einer Rakete ertönte, bevor sich Lichterkonfetti über den Nachthimmel ergoss. Ich sah es nur aus den Augenwinkeln. Und auch Daphne löste den Blick nicht von mir.

„Wahrheit gegen Wahrheit?“, flüsterte sie.

Ich konnte bloß nicken. Ihr Herz. Ihr wild pochendes Herz. Ihr Mund. Diese Augen.

Das Feuerwerk hatte begonnen. Die Zeit rannte davon. Ich musste weg von hier.

„Ich würde gern jemanden lieben.“

Meine Brauen schossen in die Höhe. „Was ist mit deinem Ari?“

Schon wieder errötete sie, aber das hielt sie nicht davon ab, genervt dreinzublicken. „Ich meine keine Schwärmerei. Ich meine das, wovon alle reden. Das einzig Wahre. Ich würde gern wissen, wie es sich anfühlt, sich vollkommen nach jemandem zu verzehren. Ich will nicht mehr atmen können, wenn er vor mir steht. Ich will Herzrasen und Verzweiflung und Leidenschaft. Alles auf einmal. Und dann will ich mich an ihn gewöhnen, mich öffnen und ihn öffnen, ich will, dass wir einander erkennen wie aus einem anderen Leben, unsere eigene Geheimsprache entwickeln. Ich will ihm jeden Moment erzählen, den er verpasst hat, und alles über ihn erfahren. Das ist es, was ich will.“

Sie war viel zu nah. Ihre Hand in meiner war glühend heiß.

Ich räusperte mich. „Und du glaubst nicht, das könntest du mit Ari haben?“

„Vielleicht schon.“ Schulterzuckend biss sie sich auf die Unterlippe. „Keine Ahnung. Dafür müsste er mich erst mal beachten.“

„Glaubst du nicht, du hast jemanden verdient, der …“

„Ja, ja, ich weiß“, schnitt sie mir das Wort ab und lachte peinlich berührt.

Und plötzlich war die Hitze nicht nur an meiner Hand. Sie breitete sich wie ein Lauffeuer aus, kroch meinen Arm empor, geradewegs in meine Brust, wo sie in Flammen aufging.

Das Donnern weiterer Raketen ertönte, diesmal näher. Wir zuckten gleichzeitig zusammen.

Als wir am Rand des Sees vorbeifuhren, stolperte ich vom Eis und zerrte sie mit mir. Wir wankten, und bevor sie ihr Gleichgewicht wiederfinden konnte, stieß ich sie zu Boden und beugte mich über sie. Mein Verstand hatte sich verabschiedet. Ich wollte Wärme. Ich wollte Gefühle. Ich wollte alles, alles, alles.

Daphnes Brustkorb hob und senkte sich viel zu hektisch. Doch da war keine Furcht in ihren Augen. Sie schaute zu mir auf, als sähe sie mich zum ersten Mal.

Mein Atem stockte, mein Mund war staubtrocken. „Ich könnte dich nicht nur seinen, sondern auch deinen eigenen Namen vergessen lassen.“

Als ihr Herz erneut schneller schlug, war mir für eine Sekunde, als befände es sich nicht in ihrer, sondern in meiner Brust.

Raketen. Feuerwerk. Gelächter. Ein Schrei aus weiter Ferne.

Daphne machte keine Anstalten, sich aufzurichten. Wieso war es so einfach? Wieso wehrte sie sich nicht? Wieso kamen ihre Freunde nicht zurück, um sie vor dem Monster zu retten, das über ihr kauerte?

„Ioanna.“ Ein Lächeln zupfte an ihren Lippen, als bereitete es ihr Freude, meinen Namen auszusprechen. „Zeit für deine Wahrheit.“

Für ein paar Sekunden hatte ich keinen Schimmer, wovon sie sprach. Meine Wahrheit. Was wollte ich von meinem Leben? Wer wollte ich wirklich sein?

Sie hatte recht. Nur im Jetzt zu leben, war nicht genug.

„Ich will dir nichts antun“, hörte ich mich sagen, als wäre ich eine Fremde. „Ich will, dass du lebst.“

„W… wie bitte?“ Zum ersten Mal schlich sich Furcht in ihre Stimme.

Plötzlich fiel mir das Schlucken schwer. „Du sollst leben. Du sollst alles bekommen, was du dir wünschst. Du sollst herausfinden, wer du bist. Du sollst jemanden lieben. Du sollst eine Chance haben.“

Nicht so wie ich.

Sie war ein Jahr jünger, als ich es gewesen war. Ich konnte ihr das nicht antun. Ich konnte das niemandem antun.

Mit all meiner Willenskraft zwang ich mich, den Blick von ihr abzuwenden. Ich ließ mich nach hinten fallen und begann, die Schlittschuhe aufzuknoten. Meine Finger zitterten. Ich fluchte, wurde aggressiver, ich musste weg von hier, jetzt sofort, sonst würde es zu spät sein, verdammt!

Als ich mich endlich von den Schuhen befreit hatte, schleuderte ich sie von mir, fluchte lauter, mied jeden Blick in ihre Richtung, während ich in meine Stiefel stieg. Nicht nur meine Hände, sondern mein ganzer Körper bebte inzwischen.

„Das ist keine richtige Antwort“, erwiderte Daphne ruhig. Sie schien keine Notiz davon zu nehmen, was mit mir geschah. „Es geht um dich. Was du willst. Ich war auch ehrlich zu dir.“

„Ich will dein Herz.“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Knurren.

Nun sah ich sie doch an. Zwar konnte sie nicht ahnen, wie wörtlich ich das meinte, aber mein Tonfall schien ihr zu verraten, dass ich nicht mehr flirtete, denn die Angst in ihren Zügen nahm zu.

„Hoffentlich sehen wir uns nie wieder“, sagte ich.

Ihr Herzschlag nahm all meine Sinne ein. So kräftig. So lebendig. Ich wollte sie an mich ziehen. Ich musste …

Nein! Mein eigenes Gesicht erschien vor mir. Mein unschuldiges naives Gesicht vom Vorjahr. Daran musste ich mich festklammern.

„Wenn du schlau bist, dann verlässt du dieses Dorf für heute Nacht. Solange du noch kannst“, würgte ich hervor.

Alles in mir schrie danach zu bleiben. Genau aus diesem Grund wirbelte ich herum und rannte. Ich würde nicht wie meine Schwester sein. Und auch nicht wie die anderen Monster.

Ich hatte eine Wahl.

Kleinstadt-Romance mit Charakteren zum Verlieben

Wer kann schon einer vorgetäuschen Verlobung und einem Haustier namens Pedro Pigscal widerstehen? Josie und Matthew sind das bisher süßeste Paar von Elena Armas!«                          
Hannah Grace, Bestsellerautorin von Icebreaker

The Fiancé Dilemma – Aller guten Dinge sind fünfThe Fiancé Dilemma – Aller guten Dinge sind fünf

Roman

Es geht zurück nach Green Oak! 

Josie hat der Liebe viele Chancen gegeben. Vier, um genau zu sein, und jede der vier Verlobungen scheiterte. Als ihr berühmter Vater beschließt, seinen Ruhestand mit einem brisanten Artikel über die Familie anzukündigen, weiß Josie, dass ihre romantische Vergangenheit in aller Munde sein wird. Um nicht bemitleidet zu werden, muss eine fünfte Verlobung her! Ausgerechnet Matthew, ein Freund ihrer Schwester und charmanter Besserwisser, ist der geeignetste Kandidat, und er spielt seine Rolle als Fake-Verlobter sehr gut. So gut, dass Josie bald nicht mehr weiß, was echt ist und was nur gespielt …


Die Autorin der „Spanish Love Deception“ ist endlich zurück! 

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Eine Reise zu den schönsten Kunstwerken unserer Zeit

»Ein wunderbarer, inspirierender und sehr, sehr lehrreicher Roman! „Monas Augen“ nimmt uns mit nach Paris, wo wir mit Mona und ihrem Großvater 52 große Kunstwerke kennenlernen – ein unheimlich wohltuendes Buch über die Macht der Kunst, die uns tröstet, uns Kraft gibt und aufrecht durchs Leben gehen lässt.« Franziska; Lektorat

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Monas Augen – Eine Reise zu den schönsten Kunstwerken unserer ZeitMonas Augen – Eine Reise zu den schönsten Kunstwerken unserer Zeit

Roman

Von der Macht der Kunst, unser Leben zu verändern

Und plötzlich ist alles anders: Als die zehnjährige Mona für eine Stunde ihr Augenlicht verliert, verweisen ihre Ärzte die besorgten Eltern an einen Kinderpsychiater. Monas Großvater Henry soll sie zu den Terminen begleiten, doch der hat eine andere, bessere Idee: Sie soll sie die ganze Schönheit der Welt in sich aufnehmen. Heimlich gehen die beiden in die großen Pariser Museen und betrachten dort Woche für Woche ein einziges Kunstwerk. Mit jedem Leonardo, jedem Monet und Kandinsky entdeckt Mona eine neue Weisheit – und dringt zum Grund ihres Leidens vor … 

„Monas Augen“ hat Frankreich und die Welt im Sturm erobert: ein tief berührender, hoffnungsvoller Roman über die rettende Kraft der Kunst!

„Der Triumph dieses Buches gleicht einem Märchen, das wahr wird.“ Le Monde

„Die Idee des Romans ist fabelhaft. Er liest sich ein bisschen wie ›Sofies Welt‹ in der Welt der Kunst, wie ein Bildungsroman, ein Roman der Freude.“ Le Figaro Littéraire

„Eine Ode an die Schönheit und die Weisheit.“ Le Parisien

„Die Verbundenheit zwischen Großvater und Enkelin trägt die Lesenden durch eine ausgesprochen erfrischende Annäherung an die Kunstgeschichte.“ Lire Magazine

„Eine ausgezeichnete Einführung in die Kunstgeschichte, die umso lebendiger ist, da sie durch zwei Figuren vermittelt wird.“ Libération

„Ein herausragender Roman, der in aller Munde ist.“ France Inter

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„Clara Maria Bagus beherrscht die Kunst des heilenden Erzählens." Nele Neuhaus

„In „Die Unvollkommenheit des Glücks“ erzählt Clara Maria Bagus von Ana und Lew, die sich vor vielen Jahren einmal flüchtig begegnet sind. Als das Leben sie ein zweites Mal zusammenführt, hat er Jahre als Soldat in einem Krieg verbracht, an dessen Ziele er nicht mehr glaubt, während sie nach Verlusten Wahlverwandtschaften schließt, die ihr helfen, das Rätsel ihres Lebens zu lösen. Clara Maria Bagus‘ Schreiben ist immer eine poetische Suche nach Erkenntnis, Heilung und Zuversicht, und das macht auch diesen Roman zu einem wahren Trostbuch" Felicitas von Lovenberg

Blick ins Buch
Die Unvollkommenheit des GlücksDie Unvollkommenheit des Glücks

Roman

Endlich – der neue Roman von Clara Maria Bagus!

Dies ist die Geschichte einer Frau und eines Mannes. Die in denselben Himmel blicken. Ihrer voller Zugvögel. Seiner voller Trümmer. Sie will ihrem alten Leben entfliehen – und findet Liebe und Bestimmung dort, wo sie es nie vermutet hätte. Er will dem Tod entkommen – und rettet damit nicht nur sein Leben. Zweimal begegnen sie sich. Einmal bleibt es bei einer Ahnung von Glück. Dann ordnet sich die Welt neu, und die beiden treffen sich unerwartet wieder.

In ihrem neuen, meisterhaft erzählten Roman verwebt SPIEGEL-Bestsellerautorin Clara Maria Bagus die Fragen nach Glück, Sinn und dem, was wirklich zählt im Leben. Ein zutiefst zärtlich geschriebenes Buch, das einen erfüllt und staunend zurücklässt.

Ein einzigartiger Roman über die zerbrechliche, und doch wundersame Schönheit des Lebens – für Fans von Delia Owens, Robert Seethaler und Matt Haig.

„Es könnte eines der traurigsten Bücher des Jahres sein. Clara Maria Bagus macht es zu einem der bewegendsten und hoffnungsvollsten.“Stephan Schäfer, Autor von 25 letzte Sommer

„Clara Maria Bagus beherrscht die Kunst des heilenden Erzählens.“ Nele Neuhaus 

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„Husch Josten erzählt zart und provozierend klug eine gewaltige und unvergessliche Geschichte über Liebe und Tod." Denis Scheck

„Das Bedürfnis nach Geschichten ist so alt wie die Menschheit. „Alles, was wir für wirklich halten, ist Erzählung“, schreibt Husch Josten in ihrem neuen Roman. „Wir glauben das ganze verdammte Leben erst, wenn es eine Geschichte darüber gibt.“

Zur Erzählung des Lebens gehört, wenn man die Sache ernst meint, unweigerlich der Tod als großer, übermächtiger Gegenspieler. Die Beschäftigung mit dem Unvorstellbaren, nämlich dem, was auf das Sterben folgt, ist das private Forschungsfeld von Sourie, dem Protagonisten von „Die Gleichzeitigkeit der Dinge“, einem so charismatischen wie rätselhaften jungen Mann, der alle, die ihm begegnen, in den Bann zieht. Husch Josten erzählt mit Verve, Temperament und provozierender Klugheit, und nicht nur Denis Scheck findet, dass an der Zeit ist, dass diese außergewöhnliche Autorin endlich ihren Platz in der ersten Riege der deutschsprachigen Literatur einnimmt." Felicitas von Lovenberg

Blick ins Buch
Die Gleichzeitigkeit der DingeDie Gleichzeitigkeit der Dinge

Roman

Eine Geschichte über Freundschaft, Trauer und eine Liebe, die alles infrage stellt
Jean Tobelmann, Gastronom in dritter Generation, hat einen eigenwilligen Stammgast – der junge Sourie erforscht mit leidenschaftlichem Ernst, wovon die meisten Menschen lieber schweigen: das Ende des Lebens. Warum? Tobelmann geht der Geschichte des humorvollen Exzentrikers auf den Grund und stößt dabei auf etwas, das verständlicher und zugleich unbegreiflicher nicht sein könnte, etwas, das weit über Souries Amour fou mit der gemeinsamen Freundin Tessa und die Verbundenheit der beiden Männer hinausweist.

Schwerelos, mit feiner Ironie und Beobachtungsgabe erzählt Husch Josten von den Fallstricken des Lebens. Von wahrer Freundschaft, falschen Entscheidungen, der Suche nach Sinn und von der Liebe – unserer einzigen Waffe gegen die Sterblichkeit.

„Achtung: Dieses Buch könnte Ihre Einstellung zum Tod beeinflussen. Sie könnten ihm gelassener entgegensehen, vielleicht sogar über ihn lachen. Oder das Gegenteil. Ein großer Roman über Leben und Sterben. Klug und heiter, sprachgewaltig und tiefgründig.“ Bettina Böttinger

„Husch Josten erzählt zart und provozierend klug eine gewaltige und unvergessliche Geschichte über Liebe und Tod. Es wird höchste Zeit, dass Josten endlich ihren Platz in der ersten Reihe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur einnimmt.“ Denis Scheck

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„Ein literarisches Meisterwerk.“ ttt

„Die Postkarte ist der Roman des Lebens von Anne Berest. Sie beschreibt darin nicht nur mitreißend die Geschichte ihrer Familie in der Shoah, sondern auch, was es heißt, als schöne, kluge, tatkräftige Frau in unserer Zeit mit diesem Erbe zu leben. 

Dieser autofiktionale Roman ist trotz seiner großen Themen ein echter Pageturner. Anne Berest löst wie in einem Detektivroman das Geheimnis einer höchst beunruhigenden Postkarte, die ihre Mutter vor 20 Jahren mit den Neujahrswünschen erhielt. Wir verfolgen dabei den Weg ihrer Familie von Russland über Litauen, 
Palästina und Frankreich bis in die Vernichtung. Wir erfahren, wie es nur Anne Berests Großmutter gelang, als Teil der Résistance zu überleben.

Lassen Sie sich von Der Postkarte erzählen, was es heißt als nicht-fromme Jüdin regelmäßig zwischen allen Stühlen zu sitzen und warum die Umwelt jemanden auch im säkularsten Leben manchmal zwingt, doch Position zu beziehen. 

Uns hat dieser Roman nicht nur begeistert und zu Tränen gerührt, wir sind darüber hinaus überzeugt, dass sich in ihm alles vereint, was gute Literatur ausmacht: Wahrhaftigkeit, Leidenschaft, eine fast unglaubliche Geschichte und die Kunst, sie einzigartig erzählen zu können." Felicitas von Lovenberg

Die PostkarteDie Postkarte

Roman

Eine große Familiengeschichte vom Holocaust bis ins heutige Frankreich

Im Januar 2003 fand Anne Berests Mutter unter den Neujahrswünschen eine verstörende Postkarte mit nichts als den Namen ihrer vier Angehörigen, die in Auschwitz ermordet wurden. Anne fragt nach, und die Mutter erzählt ihr die tragische Geschichte der Rabinovitchs. Aber erst als ihre Tochter in der Schule Antisemitismus erfährt, geht Anne der Sache wirklich auf den Grund: Sie recherchiert in alle erdenklichen Richtungen. Und das Ergebnis ist dieser Ausnahmeroman, der den ungewöhnlichen Weg der Familie nachzeichnet und fragt, ob man in unserer Zeit als Jüdin ein „ganz normales“ Leben führen kann.

„Ein Meisterwerk biographischer Erzählkunst.“ DLF

„Ein so ergreifendes wie elegantes Stück Erinnerungsliteratur.“ taz

In Kürze wieder lieferbar

Meine Mutter hat sich die erste Zigarette des Tages angezündet, ihre liebste, die einem beim Aufwachen die Lunge verbrennt. Dann ist sie vors Haus gegangen, um die weiße Pracht zu bewundern, die das ganze Viertel bedeckte. In der Nacht waren mindestens zehn Zentimeter Schnee gefallen.

Sie blieb trotz der Kälte lange draußen stehen, rauchend und die unwirkliche Stimmung genießend, die sich über ihren Garten gelegt hatte. Sie fand es schön, all dieses Nichts, diese Auslöschung der Farbe und der Linien.

Plötzlich hörte sie ein Geräusch, das durch den Schnee gedämpft wurde. Der Briefträger hatte gerade die Post auf den Boden fallen lassen, unter den Briefkasten. Meine Mutter ging hin, um sie aufzuheben, und sah sich vor, wo sie mit den Hausschuhen hintrat, damit sie nicht ausrutschte.

Die Zigarette noch im Mundwinkel, dicke Rauchwolken in die eisige Luft schickend, beeilte sie sich, wieder ins Haus zu kommen, um ihre kältetauben Finger aufzuwärmen.

Sie warf einen schnellen Blick auf die verschiedenen Umschläge: traditionelle Grußkarten, die meisten von ihren Studenten, eine Gasrechnung, etwas Werbung. Aber auch Briefe an meinen Vater – die Kollegen vom CNRS und seine Doktoranden wünschten ihm alle ein frohes neues Jahr.

Und da lag sie, in dieser vollkommen gewöhnlichen Januarpost. Die Postkarte. Sie hatte sich ganz unscheinbar zwischen die Umschläge gemogelt, so als hätte sie sich versteckt, um nicht aufzufallen.

Was meine Mutter sofort stutzig machte, war die Schrift: seltsam, unbeholfen, eine Handschrift, die sie noch nie gesehen hatte. Dann las sie die vier Vornamen, die untereinanderstanden, wie eine Liste.

  • Ephraïm
  • Emma
  • Noémie
  • Jacques

Es waren die Vornamen ihrer Großeltern mütterlicherseits, ihrer Tante und ihres Onkels. Alle vier waren zwei Jahre vor der Geburt meiner Mutter deportiert worden. Sie waren 1942 in Auschwitz gestorben. Und einundsechzig Jahre später tauchten sie in unserem Briefkasten wieder auf. An diesem Montag, dem 6. Januar 2003.

Wer schickt mir denn so eine schreckliche Karte, fragte sich Lélia.

Meine Mutter bekam furchtbare Angst, als bedrohte sie jemand, lauernd im Dunkel der Zeit. Ihre Hände begannen zu zittern.

„Schau mal, Pierre, was ich in der Post gefunden habe!“

Mein Vater nahm die Karte und inspizierte sie eingehend, aber es gab keine Unterschrift, keine Erklärung.

Nichts. Nur diese Vornamen.

 

In meinem Elternhaus wurde die Post damals vom Boden aufgesammelt, wie man Fallobst aufliest – denn unser Briefkasten war so alt geworden, dass er mit der Zeit nichts mehr hielt, ein richtiges Sieb, aber wir liebten ihn so, wie er war. Ihn zu ersetzen kam niemandem in den Sinn. In unserer Familie wurden Probleme nicht auf diese Weise gelöst, wir lebten mit den Dingen, als verdienten sie die gleiche Rücksicht wie Menschen.

An Regentagen wurden die Briefe nass. Die Tinte zerfloss, und die Worte wurden für immer unlesbar. Am schlimmsten erwischte es die Postkarten, unbekleidet wie junge Mädchen, im Winter mit bloßen Armen ohne Mantel.

Hätte der Verfasser dieser Postkarte einen Füllfederhalter benutzt, um uns zu schreiben, wäre seine Botschaft dem Vergessen anheimgefallen. Wusste er das? Die Karte war mit schwarzem Kugelschreiber verfasst worden.

 

Am nächsten Sonntag rief Lélia die ganze Familie zusammen, das heißt meinen Vater, meine Schwestern und mich. Als wir um den Esstisch versammelt waren, ging die Karte von Hand zu Hand. Wir schwiegen eine ganze Weile – was bei uns nicht üblich ist, vor allem nicht sonntags beim Mittagessen. In unserer Familie gibt es normalerweise immer jemanden, der etwas zu sagen hat und sofort damit herausrücken möchte. Diesmal wusste niemand, was er von dieser aus dem Nichts kommenden Nachricht halten sollte.

Die Postkarte war sehr banal, eine typische Ansichtskarte mit einer Fotografie der Opéra Garnier, wie sie zu Hunderten auf den Eisenständern in den Tabacs in ganz Paris zu finden sind.

„Warum die Opéra Garnier?“, fragte meine Mutter.

Niemand wusste eine Antwort darauf.

„Das ist der Poststempel des Louvre.“

„Meinst du, wir können dort mal nachfragen?“

„Es ist riesig, das größte Postamt von Paris. Was sollen sie dir da sagen können …?“

„Du meinst, es war Absicht?“

„Ja, die meisten anonymen Briefe werden vom Postamt Louvre aus verschickt.“

„Die Karte ist nicht mehr neu, sie ist mindestens zehn Jahre alt“, bemerkte ich.

Mein Vater hielt sie ins Licht. Er betrachtete sie aufmerksam und kam zu dem Schluss, dass die Fotografie aus den Neunzigerjahren stammen musste. Die Farbgebung des Abzugs mit seinen satten Magentatönen sowie das Fehlen von Werbeplakaten rund um die Opéra Garnier bestätigten meine Vermutung.

„Ich würde sogar sagen, aus den frühen Neunzigerjahren“, präzisierte mein Vater.

„Wie kommst du darauf?“, fragte meine Mutter.

„Weil 1996 die grün-weißen SC10-Busse mit offener Heckplattform, von denen ihr einen im Hintergrund seht, durch die RP312 ersetzt wurden.“

Niemand wunderte sich, dass mein Vater sich mit der Geschichte der Pariser Busse auskannte. Er hat zwar nie ein Auto gefahren – geschweige denn einen Bus –, aber er war Forscher, und sein Beruf brachte es mit sich, dass er aus vielerlei Bereichen, die ebenso verschieden wie hoch spezialisiert waren, eine Unmenge von Details kannte. Mein Vater hat ein Gerät erfunden, das den Einfluss des Mondes auf die irdischen Gezeiten berechnet, und meine Mutter für Chomskys Abhandlungen zur generativen Grammatik übersetzt. Die beiden zusammen wissen also eine unvorstellbare Menge an Dingen, von denen die meisten im konkreten Leben gänzlich nutzlos sind. Außer manchmal, wie an jenem Tag.

„Warum eine Karte schreiben und dann zehn Jahre warten, bis man sie abschickt?“

Meine Eltern stellten sich weiter Fragen. Mir selbst war die Postkarte völlig egal. Die Liste der Namen dagegen ließ mich aufhorchen. Diese Menschen waren meine Vorfahren, und ich wusste nichts über sie. Ich wusste nicht, welche Länder sie bereist, welche Berufe sie ausgeübt hatten, wie alt sie waren, als sie ermordet wurden. Hätte man mir ihre Porträts gezeigt, hätte ich sie unter Fremden nicht wiedererkannt. Dafür schämte ich mich.

Als das Mittagessen beendet war, verwahrten meine Eltern die Postkarte in einer Schublade, und wir sprachen nie wieder darüber. Ich war vierundzwanzig Jahre alt, und mich beschäftigten im Moment vor allem mein Leben und die Geschichten, die ich schreiben wollte. Ich löschte die Erinnerung an die Postkarte aus meinem Gedächtnis, nicht aber den Vorsatz, meine Mutter eines Tages zu unserer Familiengeschichte zu befragen. Doch die Jahre vergingen, und ich nahm mir nie die Zeit dazu.

Bis ich zehn Jahre später kurz vor der Entbindung stand.

Der Muttermund hatte sich schon etwas geöffnet. Ich musste liegen, damit das Baby nicht zu früh kam. Meine Eltern hatten angeboten, mich ein paar Tage bei sich aufzunehmen, da bräuchte ich nichts zu tun. Während ich auf die Geburt wartete, dachte ich an meine Mutter, an meine Großmutter, an die Reihe der Frauen, die vor mir ein Kind bekommen hatten. Und plötzlich wollte ich unbedingt die Geschichte meiner Vorfahren hören.

 

Lélia führte mich in das Büro, in dem sie den größten Teil ihrer Zeit verbringt, dieses Büro, das mich immer an einen Bauch erinnert hat, tapeziert mit Büchern und Aktenordnern, getaucht in das winterliche Licht der Pariser Banlieue, die Luft stickig von Zigarettenrauch. Ich legte mich unter das Bücherregal mit seinen alterslosen Gegenständen, den Erinnerungsstücken, bedeckt von einer zarten Schicht Asche und Staub. Meine Mutter griff nach einer grün-schwarz gesprenkelten Schachtel, einer von zwanzig Archivschachteln, die alle gleich aussahen. Als Jugendliche wusste ich, dass diese in den Regalen aufgereihten Schachteln Spuren der dunklen Geschichten aus der Vergangenheit unserer Familie enthielten. Sie erinnerten mich an kleine Särge.

Meine Mutter nahm ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand – wie alle pensionierten Lehrer blieb sie in jeder Lebenslage Lehrerin, es betraf selbst ihre Art, Mutter zu sein. Lélia war bei ihren Studenten an der Universität von Saint-Denis sehr beliebt. In den gesegneten Zeiten, als sie im Hörsaal rauchen und zugleich Linguistik unterrichten konnte, tat sie etwas, das ihre Studenten faszinierte: Außerordentlich geschickt vermochte sie die Zigarette vollständig abbrennen zu lassen, ohne dass die Asche, die zwischen ihren Fingerspitzen einen grauen Zylinder bildete, jemals zu Boden fiel. Einen Aschenbecher brauchte sie nicht, sie stellte die heruntergebrannte Zigarette auf ihren Schreibtisch und zündete sich die nächste an. Dieses Kunststück flößte ihnen Respekt ein.

„Nur dass du es weißt“, sagte meine Mutter, „was du gleich hören wirst, ist eine zweischneidige Geschichte. Einige Fakten werden als gesichert dargestellt, aber du kannst dir selbst denken, wie viel davon auf persönlichen Hypothesen beruht, die am Ende zu dieser Rekonstruktion geführt haben – außerdem könnten neue Dokumente meine Annahmen natürlich substanziell ergänzen oder ändern.“

„Maman“, sagte ich zu ihr, „ich glaube, der Zigarettenrauch kann das Gehirn des Babys schädigen.“

„Ach was. Ich habe in meinen drei Schwangerschaften eine Schachtel pro Tag geraucht und nicht den Eindruck, am Ende drei Schwachköpfe produziert zu haben.“

Ihre Antwort brachte mich zum Lachen. Lélia nutzte die Gelegenheit, sich eine Zigarette anzustecken, und fing an, aus dem Leben von Ephraïm, Emma, Noémie und Jacques zu erzählen – den vier Vornamen auf der Postkarte.


BUCH I

Gelobte Länder


Kapitel 1

„Wie in russischen Romanen“, sagte meine Mutter, „beginnt alles mit einer unglücklichen Liebesgeschichte. Ephraïm Rabinovitch liebte Anna Gavronsky, deren Mutter Liba Gavronsky, geborene Yankelevitch, eine Cousine ersten Grades der Familie war. Doch diese Leidenschaft stieß bei den Gavronskys nicht auf Wohlgefallen …“

Lélia sah mich an und merkte, dass ich nichts begriff. Sie klemmte sich die Zigarette in den Mundwinkel und begann, die Augen wegen des Rauchs halb zusammengekniffen, in ihrem Archiv zu stöbern.

„Hier, ich werde dir diesen Brief vorlesen, dann wirst du es besser verstehen … Er stammt von Ephraïms älterer Schwester, sie schrieb ihn 1918 in Moskau:“


Liebe Vera,

meine Eltern haben nichts als Ärger. Hast du von dieser Geschichte zwischen Ephraïm und unserer Cousine Aniouta gehört? Wenn nicht, kann ich sie dir nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen, obwohl offenbar viele von uns längst Bescheid wissen. Kurz gesagt: An und unser Fédia (der vor zwei Tagen vierundzwanzig wurde) haben sich verliebt. Meine Familie hat sehr darunter gelitten, es hat sie schier verrückt gemacht. Tante weiß nichts davon, es wäre eine Katastrophe, sollte sie es erfahren. Sie begegnen ihr ständig und sorgen sich sehr. Unser Ephraïm liebt Aniouta sehr. Aber ich muss gestehen, dass ich ihre Gefühle für nicht ganz aufrichtig halte. Das sind bei uns die Neuigkeiten. Manchmal habe ich wirklich die Nase voll von dieser Geschichte. So, mein Schatz, ich muss jetzt Schluss machen. Ich werde meinen Brief selbst einwerfen, um sicher zu sein, dass er auch wirklich abgeschickt wird …

Mit herzlichem Gruß, Sara

 

„Wenn ich das richtig verstehe, wurde Ephraïm gezwungen, auf seine erste Liebe zu verzichten?“

„Genau deswegen sucht man ihm schnell eine andere Verlobte, und das ist Emma Wolf.“

„Der zweite Vorname auf der Postkarte?“

„Ganz recht.“

„Gehörte sie auch zur Verwandtschaft?“

„Nein, ganz und gar nicht. Emma kam aus Łódź. Sie war die Tochter eines Großindustriellen, der mehrere Textilfabriken besaß, Maurice Wolf, und ihre Mutter hieß Rebecca Trotski. Aber sie hatte nichts mit dem Revolutionär zu tun.“

„Sag mal, wie haben Ephraïm und Emma sich überhaupt kennengelernt? Łódź ist doch mindestens tausend Kilometer von Moskau entfernt.“

„Weit über tausend Kilometer! Entweder haben sich die Familien an die schadkhanit der Synagoge gewandt, also an die Heiratsvermittlerin. Oder Ephraïms Familie waren Emmas kesteltern.“

„Emmas was?“

„Die Kesteltern. Das ist jiddisch. Wie soll ich dir das erklären … Erinnerst du dich an die Sprache der Inuit?“

Als ich ein Kind war, hatte Lélia mir beigebracht, dass es bei den Inuit zweiundfünfzig Wörter für Schnee gibt. Man sagt zum Beispiel qanik für den Schnee, wenn er fällt, aputi für den bereits gefallenen Schnee und aniu für den Schnee, aus dem man Wasser macht …

„Im Jiddischen“, fuhr meine Mutter fort, „gibt es verschiedene Begriffe für die Familie. Ein Wort bezeichnet die eigentliche Familie, ein anderes die Schwiegerfamilie und ein weiteres diejenigen, die man zur Familie dazuzählt, auch wenn keine verwandtschaftlichen Beziehungen bestehen. Und dann gibt es noch einen Begriff, die kesteltern, was man als Gastfamilie übersetzen könnte, denn es war Tradition, dass Eltern, die ein Kind zum Studium in die Ferne schickten, ihm eine Familie suchten, die ihm Unterkunft und Verpflegung bot.“

„Die Familie Rabinovitch waren also Emmas Kesteltern.“

„Genau … Aber hör es dir in Ruhe an, keine Sorge, du wirst dich irgendwann zurechtfinden …“

 

Ephraïm Rabinovitch bricht recht früh mit der Religion seiner Eltern. Als Teenager wird er Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre und erklärt seinen Eltern, dass er nicht an Gott glaubt. Aus Provokation tut er alles, was Juden an Jom Kippur verboten ist: Er raucht, rasiert sich, trinkt und isst.

1919 ist Ephraïm fünfundzwanzig Jahre alt. Er ist ein moderner, schlanker junger Mann mit feinen Gesichtszügen. Wäre seine Haut nicht so braun und sein Schnurrbart nicht so schwarz, könnte man ihn für einen echten Russen halten. Dieser brillante Ingenieur kommt frisch von der Universität, da er dem Numerus clausus entgangen ist, der den zulässigen Anteil der Juden auf drei Prozent beschränkte. Er will am großen Abenteuer des Fortschritts teilhaben und hat ehrgeizige Ziele für sein Land und sein Volk, das russische, dessen Revolution auch die seine ist.

Jude zu sein, hat für Ephraïm keine Bedeutung. Er sieht sich in erster Linie als Sozialist. Im Übrigen lebt er in Moskau auf Moskauer Art. Er stimmt der Heirat in der Synagoge nur zu, weil sie seiner zukünftigen Frau etwas bedeutet. Aber er warnt Emma:

„Wir werden unser Leben nicht an religiösen Vorschriften ausrichten.“

Die Tradition verlangt, dass der Bräutigam bei seiner Hochzeit am Ende der Zeremonie mit dem rechten Fuß ein Glas zertritt. Die Geste erinnert an die Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Danach kann der Bräutigam einen Vorsatz fassen. Ephraïm gelobt sich, die Erinnerung an seine Cousine Aniouta für immer auszulöschen. Doch als er auf die am Boden verstreuten Glasscherben blickt, ist ihm, als läge dort sein Herz in tausend Scherben.


Kapitel 2

An jenem Freitag, dem 18. April 1919, reist das Brautpaar aus Moskau zur Datscha von Nachman und Esther Rabinovitch, Ephraïms Eltern, fünfzig Kilometer außerhalb der Hauptstadt. Ephraïm hat sich nur deshalb bereit erklärt, Pessach, das jüdische Osterfest, zu feiern, weil sein Vater in einem ungewöhnlichen Tonfall darauf bestanden hat und seine Frau schwanger ist. Er will die Gelegenheit nutzen, seinen Brüdern und Schwestern die gute Nachricht zu verkünden.

 

„Emma ist mit Myriam schwanger?“

„Ganz genau, mit deiner Großmutter …“

 

Unterwegs vertraut Ephraïm seiner Frau an, dass er Pessach immer besonders gemocht hat. Als Kind liebte er die geheimnisvollen Rituale dieses Festes, die bitteren Kräuter, das Salzwasser und die Äpfel mit Honig, die auf einem großen Teller in die Mitte des Tisches gestellt wurden. Er liebte es, wenn sein Vater ihm erklärte, dass die Süße der Äpfel die Juden daran erinnern sollte, wie sehr man sich vor Bequemlichkeit hüten muss.

„In Ägypten“, so betonte Nachman, „waren die Juden Sklaven, das heißt: Sie erhielten Unterkunft und Verpflegung. Sie hatten ein Dach über dem Kopf und Essen in der Hand. Verstehst du? Die Freiheit hingegen ist ungewiss. Zur Freiheit gelangt man unter Schmerzen. Das Salzwasser, das wir am Pessach-Abend auf den Tisch stellen, symbolisiert die Tränen derer, die ihre Ketten abwerfen. Und diese bitteren Kräuter erinnern uns daran, dass es grundsätzlich beschwerlich ist, als freier Mensch zu leben. Hör mir gut zu, mein Sohn, sobald du den Honig auf deinen Lippen spürst, frage dich: Von was oder wem bin ich der Sklave?“

Ephraïm weiß, dass seine revolutionäre Seele dort geformt wurde, durch die Erzählungen seines Vaters.

 

Als er an jenem Abend zu seinen Eltern nach Hause kommt, eilt er in die Küche, um den eigenartigen faden Geruch der Matzen zu riechen, der ungesäuerten Brotfladen, die Katerina, die alte Köchin, zubereitet hat. Ergriffen nimmt er ihre runzlige Hand, um sie auf den Bauch seiner jungen Frau zu legen.

„Schau ihn dir an“, sagt Nachman zu Esther, die die Szene beobachtet. „Unser Sohn ist stolz wie ein Kastanienbaum, der den Spaziergängern all seine Früchte zeigt.“

 

Die Eltern haben alle Rabinovitch-Cousins der Nachman-Linie und alle Frant-Cousins der Esther-Linie eingeladen. Warum so viele Leute, fragt sich Ephraïm und wiegt ein silbernes Messer in der Hand, das so glänzt, weil es sorgfältig mit Kaminasche poliert wurde.

„Haben sie die Gavronskis auch eingeladen?“, fragt er besorgt seine jüngere Schwester Bella.

„Nein“, antwortet sie, ohne zu verraten, dass die beiden Familien sich darauf geeinigt haben, eine Begegnung zwischen Cousine Aniouta und Emma zu vermeiden.

„Aber warum haben sie dieses Jahr so viele Cousins versammelt …? Haben sie uns etwas mitzuteilen?“, bohrt Ephraïm weiter und zündet sich eine Zigarette an, um seine Verwirrung zu verbergen.

„Ja, aber frag mich bitte nichts weiter. Ich darf vor dem Abendessen nicht darüber sprechen.“

 

Am Pessach-Abend ist es Tradition, dass der Patriarch die Haggada vorliest, also die Erzählung über den Auszug des hebräischen Volkes aus Ägypten unter der Führung von Moses. Nach den Gebeten erhebt sich Nachman und schlägt mit der flachen Seite des Messers an sein Glas.

„Wenn ich heute Abend diese letzten Worte des Buches so sehr betone“, sagt er, an den ganzen Tisch gewandt, „baue Jerusalem, die Stadt, schnell in unseren Tagen und lass uns hinaufsteigen, dann deshalb, weil ich als Familienoberhaupt die Aufgabe habe, euch zu unterrichten und es euch zu verkünden.“

„Uns was zu verkünden, Papa?“

„Dass es Zeit ist zu gehen. Wir müssen alle das Land verlassen. So schnell wie möglich.“

„Das Land verlassen?“, fragen seine Söhne.

Nachman schließt die Augen. Wie soll er seine Kinder überzeugen? Wie die richtigen Worte finden? Es ist, als hinge ein beißender Geruch in der Luft, gleich einem kalten Wind, der baldigen Frost ankündigt, es ist unsichtbar, fast nichts, und doch ist es da, zuerst ist es in seine Albträume zurückgekehrt, Albträume, die von Erinnerungen an seine Jugend durchwoben waren, als man ihn in manchen Weihnachtsnächten mit den anderen Kindern hinterm Haus versteckte, weil betrunkene Männer kamen, um das Volk zu bestrafen, das Christus getötet hatte. Sie brachen in die Häuser ein, um die Frauen zu vergewaltigen und die Männer zu töten.

Diese Gewalt zügelte Zar Alexander III., als er den staatlichen Antisemitismus mit den Maigesetzen verschärfte, welche die meisten Freiheiten der Juden einschränkten. Nachman war noch ein junger Mann, als ihnen mit einem Mal alles verboten war. Sie durften die Universität nicht besuchen, nicht von einer Gegend in die andere reisen, ihren Kindern keine christlichen Vornamen geben und nicht ins Theater gehen. Da das Volk mit diesen erniedrigenden Maßnahmen zufrieden war, wurde etwa dreißig Jahre lang weniger Blut vergossen. Nachmans Kinder kannten also nicht die Angst vor dem 24. Dezember, wenn sich die Meute mit Mordlust vom Tisch erhebt.

Doch seit einigen Jahren hatte Nachman wieder den Geruch von Schwefel und Fäulnis in der Nase. Die Schwarzhunderter, eine rechtsradikale monarchistische Gruppe, angeführt von Vladimir Pourishkévitsh, machte sich im Hintergrund bereit. Dieser ehemalige Höfling des Zaren gründete seine Thesen auf der Idee einer jüdischen Verschwörung. Er wartete auf seine Stunde der Rückkehr. Und Nachman glaubte nicht daran, dass diese brandneue Revolution, angeführt von ihren Kindern, den alten Hass vertreiben würde.

„Ja. Fortgehen. Meine Kinder, hört mir gut zu“, sagt Nachman ruhig: „S’shtinkt shlekht drek – es stinkt nach Scheiße.“

Bei diesen Worten verstummen die auf den Tellern klappernden Gabeln. Die Kinder hören auf, durcheinanderzureden, es wird still. Nachman kann endlich sprechen.

„Ihr seid fast alle frisch verheiratet. Ephraïm, du wirst bald zum ersten Mal Vater. Ihr habt Schwung, ihr habt Mut – das ganze Leben liegt noch vor euch. Jetzt ist es an der Zeit, die Koffer zu packen.“

Nachman dreht sich zu seiner Frau um und drückt ihre Hand: „Esther und ich haben beschlossen, nach Palästina zu gehen. Wir haben ein Stück Land in der Nähe von Haifa gekauft. Dort werden wir Orangen anbauen. Kommt mit uns. Dann werde ich dort Grund und Boden für euch kaufen.“

„Aber Nachman, willst du dich wirklich im Lande Israel niederlassen?“

Niemals hätten sich die Rabinovitch-Kinder so etwas vorstellen können. Vor der Revolution gehörte ihr Vater der Ersten Kaufmannsgilde an, das heißt, er war einer der wenigen Juden, die sich frei im Land bewegen durften. Es war ein unerhörtes Privileg, dass Nachman in Russland wie ein Russe leben konnte. Er hat sich einen guten Platz in der Gesellschaft erarbeitet, den er nun aufgeben will, um ans andere Ende der Welt zu emigrieren, in ein Wüstenland mit unwirtlichem Klima, um dort Orangen anzubauen? Was für eine seltsame Idee! Wo er doch nicht mal eine Birne schälen kann ohne die Hilfe der Köchin!

Nachman nimmt einen kleinen Bleistift und feuchtet ihn mit spitzen Lippen an. Er lässt den Blick über seine Nachkommenschaft schweifen und setzt hinzu:

„Also gut. Ich werde um den Tisch die Runde machen. Und aufgepasst, ich verlange, dass jeder Einzelne von euch mir ein Ziel nennt. Ich werde für jeden eine Schiffspassage kaufen. Ihr verlasst das Land innerhalb der nächsten drei Monate, ist das klar? Bella, ich fange bei dir an, das ist einfach, du kommst mit uns. Ich notiere also: Bella, Haifa, Palästina. Ephraïm?“

„Ich warte, bis meine Brüder sich geäußert haben“, antwortet Ephraïm.

„Ich würde gern nach Paris gehen“, sagt Emmanuel, der Jüngste unter den Geschwistern, und wippt lässig mit seinem Stuhl.

„Paris, Berlin und Prag meidet ihr besser“, antwortet Ephraïm ernst. „In diesen Städten sind die guten Plätze seit Generationen besetzt. Ihr werdet dort nicht Fuß fassen können. Man wird euch entweder für zu brillant oder für nicht brillant genug halten.“

„Da mache ich mir keine Sorgen, ich habe dort schon eine Verlobte, die auf mich wartet“, antwortet Emmanuel, um den ganzen Tisch zum Lachen zu bringen.

„Mein armer Sohn“, ereifert sich Nachman, „du wirst ein Leben wie ein Schwein führen. Dumm und kurz.“

„Ich sterbe lieber in Paris als am Arsch der Welt, Papa!“

„Ohhhhh“, antwortet Nachman und wedelt drohend mit der Hand vor seinem Gesicht. „Yeder nar iz klug un komish far zikh: Jeder Dummkopf hält sich für lustig und schlau. Ich meine es wirklich ernst. Los, weiter. Wenn ihr nicht mit mir kommen wollt, versucht euer Glück in Amerika, das dürfte auch gut funktionieren“, fügt er seufzend hinzu.

Cowboys und Indianer. Amerika. Nein danke, denken die Rabinovitch-Kinder. Die Landschaften sind zu verschwommen. Bei Palästina wissen wir wenigstens, wie es aussieht, denn es steht in der Bibel: ein Haufen Steine.

„Schau dir das an“, sagt Nachman zu seiner Frau. „Eine Bande Koteletts mit Augen, könnte man meinen! Denkt mal ein bisschen nach! In Europa werdet ihr nichts finden. Nichts. Nichts Gutes jedenfalls. Während ihr in Amerika, in Palästina, leicht Arbeit bekommen werdet!“

„Papa, du sorgst dich immer wegen nichts. Das Schlimmste, was dir hier passieren kann, ist, dass dein Schneider Sozialist wird!“

Und tatsächlich, wenn man Nachman und Esther da nebeneinandersitzen sieht wie zwei kleine Kuchen in der Vitrine eines Konditors, fällt es schwer, sie sich als Farmer einer neuen Welt vorzustellen. Sie halten sich gerade, sind tadellos zurechtgemacht. Esther achtet trotz ihrer weißen, zu einem niedrigen Dutt gesteckten Haare immer noch sehr auf ihr Äußeres. Sie verschmäht weder Perlenreihen noch Kameen. Nachman trägt stets seine berühmten Dreiteiler, die er sich bei den besten französischen Couturiers von Moskau machen lässt. Sein Bart ist weiß wie Watte, und sein besonderer Geschmack zeigt sich in den gepunkteten Krawatten, die er passend zu seinen Taschentüchern wählt.

Verärgert über seine Kinder, steht Nachman vom Tisch auf. Die Ader an seinem Hals ist so stark geschwollen, dass sie droht, Esthers schöne Tischdecke vollzuspritzen. Er muss sich hinlegen, um sein rasendes Herz zu beruhigen. Bevor Nachman das Esszimmer verlässt, bittet er alle, gut nachzudenken, und schließt mit den Worten:

„Ihr müsst eines begreifen: Irgendwann werden sie alle wollen, dass wir verschwinden.“

Nach diesem theatralischen Abgang geht es am Tisch mit fröhlichen Gesprächen bis spät in die Nacht weiter. Emma setzt sich ans Klavier und rückt wegen ihres Bauches den Hocker ein wenig ab. Die junge Frau ist Absolventin des renommierten Nationalen Musikkonservatoriums. Dabei wäre sie gerne Physikerin geworden. Wegen des Numerus clausus war ihr das jedoch nicht vergönnt. Sie hofft von ganzem Herzen, dass das Kind, das in ihr heranwächst, in einer Welt leben wird, in der es sein Studium frei wählen kann.

Zum sanften Klang der Musikstücke, die seine Frau im Wohnzimmer spielt, unterhält sich Ephraïm mit seinen Brüdern und Schwestern am Kaminfeuer über Politik. Dieser Abend ist so angenehm, die Geschwister sind sich einig und machen sich dabei auf nette Art über den Patriarchen lustig. Die Rabinovitchs ahnen nicht, dass dies die letzten Stunden sein sollen, in denen sie alle zusammen sind

Ethan Cross at his best: neuer Ermittler, neue Serienkiller, spannend wie immer

„Als Spannungslektorin gibt es ein paar Autoren, die einen über viele Jahre begleiten und immer wieder fesseln. Für mich ist Ethan Cross so ein Fall zusammen mit seinem genialen Serienkiller Francis Ackerman jr. 

Als Leserin habe ich alle Bände der Reihe verschlungen. Wie glücklich war ich, als sich die Gelegenheit bot, als Lektorin eine ganz neue Reihe zu akquirieren und zu betreuen! Mein Herz schlug höher- bis Ethan es mit seinem neuen Thriller wieder aussetzen ließ ...
Neue Stadt, neuer Ermittler, neue Serienkiller (Plural!) - und trotzdem unverkennbar Ethan Cross!" Regine Schmitt, Lektorin

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Thriller

Ethan Cross at his best: neuer Ermittler, neuer Serienkiller, spannend wie immer!
Der legendäre Ravenkiller hat ein blutiges Markenzeichen: Er ritzt seinen grausam zugerichteten Opfern Runen aus der nordischen Mythologie in die Stirn. Ganz klar ein Fall für Baxter Kincaid, der auf Ritualmorde, Serienkiller und die dunkelsten aller Verbrechen spezialisiert ist.

Diese Ritualmorde kann nur einer aufklären: Baxter Kincaid! 

Baxter quittierte den Polizeidienst, denn nur so kann der unangepasste Ermittler sich auf die perfiden Spiele der Täter einlassen – und sie schlagen. Deshalb engagiert ihn das San Francisco Police Department auch regelmäßig als „Berater“. Das Problem bei diesem Fall: Baxter hat den Ravenkiller vor zehn Jahren hinter Gitter gebracht ...

„Mit Baxter Kincaid wollte ich eine bodenständigere Hauptfigur, einen Mann ohne ›Superkräfte‹, der aber trotzdem bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen ...“ Ethan Cross

Die Thriller von Ethan Cross, insbesondere die Bestseller rund um Francis Ackerman junior, lassen Leser:innen immer wieder vor Spannung den Atem anhalten. Nun schickt Cross mit Baxter Kincaid einen neuen Ermittler ins Feld, der es mit einer Reihe perfider Serienkiller zu tun bekommt.

Die Bände der Baxter-Kincaid-Reihe:

Band 1: Racheritual
Band 2: Ritualblut
Band 3: Bluttotem

Die Bände sind unabhängig voneinander lesbar.

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