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High Society-Wirbelwind trifft auf italienischen Hotelbesitzer

Blick ins Buch
Trust Me MoreTrust Me More

Roman

High-Society-Wirbelwind trifft auf italienischen Hotelbesitzer!

Die Italienreise der 23-jährigen New Yorkerin Cleo hat keinen guten Start: Ihr Freund lässt sie sitzen, und am Flughafen vertauscht sie zu allem Überfluss auch noch ihren Koffer. Auf der Suche nach dem Gepäck landet sie auf einer kleinen Ferienanlage im charmanten Bergdörfchen Tursi. Nicht so charmant ist jedoch der junge Besitzer der Anlage: Dante Marinotti, ein arroganter Kerl mit zweifelhaftem Ruf. Cleo zögert trotzdem nicht lange, als Dante ihr einen Job anbietet. Während sie gemeinsam die Ferienanlage renovieren, kommt Cleo Dante näher – bis seine schmerzhafte Vergangenheit ihn einholt …


Band 1: Trust Me More

Band 2: Resist Me Less

Prolog

Dante


Mein altes Leben streifte ich unfreiwillig an einem scheinbar gewöhnlichen Abend in New York ab. Der Sonnenuntergang war ein beeindruckendes Farbenspiel an diesem frühlingshaften Tag. Ein orangefarbenes Glühen am Ende der Second Avenue, die von Wolkenkratzern gesäumt wurde, als wären sie die Säulen, die den Weg in den Himmel wiesen. Ich stand auf dem Gehweg und wartete darauf, dass Mom aus der schwarzen Limousine stieg. Kurzzeitig hatte ich mich in dem Anblick verloren. Das war ein Zeichen dafür, wie chaotisch mein Leben zurzeit war. Normalerweise drifteten meine Gedanken nicht so leicht ab.

„Hast du Troy noch eine Lebensweisheit reingedrückt?“, zog ich Mom voller Zuneigung auf. Sie war unter unseren Freunden dafür bekannt, jedem einen gut gemeinten Ratschlag mit auf den Weg zu geben.

Sie schnalzte mit der Zunge und schlug mir spielerisch auf den Unterarm, bevor sie ihren braunen Mantel zurechtzupfte. Es war noch recht frisch, und keiner von uns wollte sich erkälten.

Besonders nicht, nachdem die letzten zwei Wochen bereits an unseren Nerven gezerrt hatten.

„Ich habe ihm ein anständiges Trinkgeld gegeben. Er hat es gerade auch nicht leicht.“ Sie sprach es nicht aus und machte mir keine Vorwürfe, aber wir wussten beide, dass die Schuld bei mir lag.

Die ganze beschissene Situation war auf meinen Mist gewachsen, und ich konnte nichts anderes tun, als zuzusehen, wie mein Business den Bach runterging. Einzig, weil ich die falsche Frau gedatet hatte.

„Fuck“, entfloh es mir. Mit einer Hand fuhr ich mir durchs Haar, das sich ohnehin jedweder Frisur widersetzte.

„Dante Marinotti, wenn ich noch einmal ein solches Wort aus deinem Mund höre, folgen Konsequenzen!“ Sie sah mich mit ihren großen graublauen Augen an, die sie meinem jüngeren Bruder Isaac vererbt hatte. Drum herum hatten sich kleine Fältchen gebildet, doch der Rest ihres ovalen weißen Gesichts war makellos.

Man sah ihr die fünfundfünfzig Jahre keineswegs an.

Ich hatte sie nie gefragt, aber ich war mir fast sicher, dass sie – so wie Dad – hin und wieder auf Botox zurückgriff. Der gesellschaftliche Druck der High Society machte auch vor meinen Eltern nicht halt. Attraktivität öffnete Türen, wenn Geld nicht ausreichte.

Manchmal kam mir der Gedanke, dass auch das meine Schuld war. Als mich meine Eltern adoptiert hatten, waren sie Arbeitnehmer gewesen, gehörten zum Mittelstand. Durch meine Idee und mein Business, bei dem ich Fitnessgeräte entwickelte und verbesserte, wurden wir direkt in den Kreis der Neureichen katapultiert. Geldsorgen wurden letztlich von Sorgen ums Ansehen ersetzt. Auch wenn sich Mom und Dad charakterlich nicht verändert hatten, für sie waren Isaac und ich immer noch das Wichtigste in ihrem Leben. So wie sie für mich.

Ich würde mein Geschäft jederzeit aufgeben, wenn es etwaige Umstände verlangten. Wie auch immer diese aussehen mochten.

Oder?

Kopfschüttelnd kehrte ich in die Gegenwart zurück und legte einen Arm um Moms zierliche Schultern. Sie war einen Kopf kleiner als ich, was sie mir nie ganz verziehen hatte. Da sie mit ihren ein Meter siebenundsiebzig bereits groß war, hatte sie gehofft, zumindest einen ihrer Söhne überragen zu können.

„Deine Konsequenzen haben mittlerweile an Wirkung verloren, Mom. Ich bin fünfundzwanzig“, erinnerte ich sie lachend.

Gemeinsam setzten wir uns in Bewegung. Das Apartment meiner Eltern befand sich nur fünf Gehminuten von hier. Normalerweise brachte uns Troy, ihr Fahrer, direkt bis vor die überdachte Eingangstür, doch wir hatten den anstrengenden Bürotag mit einem Spaziergang entlang der geschäftigen Second Avenue ausklingen lassen wollen.

„Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht zurechtweisen kann. Nicht mal, wenn du so alt bist wie ich jetzt“, erwiderte sie stur über den Verkehrslärm hinweg. Wir lebten schon so lange in Manhattan, dass ich diesen kaum noch wahrnahm. „Wie geht es dir denn, mein Schatz? Es kann nicht einfach sein, Interview für Interview auszuschlagen und die Wahrheit für dich zu behalten.“

Meine Familie unterstützte mich darin, keinen Kommentar abzugeben, auch wenn sie anfangs dagegen argumentiert hatte. Sie wollte nicht, dass ich von allen für den Bösewicht gehalten wurde, den die Presse aus mir machte.

Und Ava.

Allein dadurch, dass sie schwieg. So wie ich. Im Gegensatz zu mir hatte sie aber die Macht, etwas zu ändern. Die Wahrheit zu offenbaren.

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich ehrlich und drückte sie enger an mich. Wenn ich auch noch Mom und Dad oder Isaac verlor, würde es mich komplett kaputt machen. „Ich hoffe, das interne Gespräch hat heute geholfen, aber …“

„Es wird immer ein paar geben, die zweifeln“, sprach sie wie so oft meine Gedanken aus, die ich selbst nicht formulieren konnte.

„Jesus, warum ist das alles so eskaliert?“ Das war eine rein rhetorische Frage. Natürlich wussten wir, wie das passiert war.

„Du konntest nicht ahnen, dass Ava so unehrlich ist.“

„So unehrlich, mich zu betrügen, oder so unehrlich, jetzt darüber zu schweigen?“

Es tat weh, dabei zusehen zu müssen, wie mein Geschäft unter dem Druck der Öffentlichkeit litt. Mein Geschäft, das ich mit Schweiß und Blut aus dem Nichts errichtet hatte.

Jetzt übten die Gesellschafter bereits Druck auf mich aus, vorübergehend zurückzutreten. Bisher hatte ich mich ihnen noch widersetzen können, aber wie lange noch?

Ich hatte geglaubt, nach zwei Wochen würde der Terz, so vollkommen haltlos, wie er war, abebben, doch Avas Fans waren entschlossen, meinen Ruf zu ruinieren. In ihrem Namen.

„Alles hat seinen Sinn, mein Schatz. Am Ende des Tunnels gibt es immer einen Ausgang. Vertraue darauf, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, beschwichtigte mich Mom.

„Leichter gesagt als getan, wenn unser Leben und unser Ruf auf dem Spiel stehen“, erwiderte ich grantig.

Ich hatte es so satt, zu schweigen. Gleichzeitig würde ich niemals Avas Wahrheit ausplaudern.

„Unser Ruf? Vielleicht. Doch solange wir gesund sind und einander haben, ist unser Leben vollkommen in Ordnung.“

Sie meinte jedes Wort so.

„Okay, okay. Was gibt’s zu essen?“

Sie lachte wegen des abrupten Themenwechsels. Der Eingang mit dem dunkelblauen Baldachin war bereits in Sichtweite, als sich eine Gruppe Mädchen und Jungen im Teenageralter von den Schatten zwischen den geparkten Autos löste. Sie stellte sich uns entgegen. Sofort schrillten meine Alarmglocken. Niemand von ihnen lächelte. Sie empfanden keine Freude. Keinen Spaß.

Nein.

Sie waren eindeutig auf Krawall gebürstet.

Bevor ich reagieren konnte, holten sie Obst, Gemüse und Eier aus ihren Taschen hervor und begannen, uns damit zu bewerfen. Eine überreife Tomate landete auf meiner Wange und platzte.

Ohne mich um den Saft zu kümmern, der unangenehm in meinen Kragen sickerte, packte ich Moms Handgelenk. Hastig zog ich sie hinter mich. Versuchte, sie durch die Gruppe Jugendlicher hindurchzukriegen.

Dann kam der erste Blitz und daraufhin der zweite.

Entweder hatten uns Paparazzi gefunden, oder Avas Fans – denn dass sie für sie Rache übten, war mir durch ihr Gekreische und Gebrüll klar – machten Fotos von uns. Später würden sie diese auf sämtlichen Social-Media-Kanälen verbreiten.

„Lasst uns durch“, rief ich, obwohl sie nicht auf mich hören würden.

„Du Arschloch!“

„Ava hat jemand Besseres als dich verdient!“, brüllte eine andere. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie ausholte.

Ich hob meinen anderen Arm, um Moms Gesicht zu schützen, doch der Gegenstand schoss darüber hinweg und traf sie direkt an der Schläfe.

Mom schrie auf.

Mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Noch nie in meinem Leben hatte ich sie einen solchen Laut ausstoßen hören. Als ich sie ansah, konnte ich nur Blut sehen, das in dünnen Rinnsalen von ihrer Braue hinabrann.

„Mom!“, rief ich, bevor ich mich hinabbeugte und sie auf die Arme hob.

Genug ist genug.

Ich rannte los, ohne darauf zu achten, wen ich mit meinen Ellbogen traf. Sollten sie doch der Reihe nach hinfallen! Sie hatten eine Grenze überschritten.

„Mr Marinotti!“, hörte ich den Portier rufen.

Erleichterung durchflutete mich, als er und zwei Securitymitarbeiter mich erreichten und flankierten.

Die Teenager wurden zurückgedrängt, und ich konnte mit Mom auf dem Arm endlich ins rettende Gebäude.

Vorsichtig setzte ich sie im Foyer ab, in dem es immer nach frischen Blumen duftete, und führte sie auf das dunkelgrüne Brokatsofa. Ihre Beine waren so zittrig, dass sie meine Hilfe brauchte, um sich hinzusetzen.

„Lass die Augen geschlossen“, wies ich sie sanft an. Ihre zarten Schultern bebten unter meinem Arm, bevor ich mich vorsichtig löste.

Ich blickte zurück zum Eingang, an dem die Mädchen und Jungen standen und immer noch wüste Beschimpfungen ausstießen. Durch das verdunkelte Glas waren wir jedoch vor ihren Blicken geschützt.

„Kann ich etwas für Sie tun, Mr Marinotti?“ Der Portier, Denton, hatte mich erreicht. Atemlos sah er zwischen Mom und mir hin und her.

„Rufen Sie bitte meinen Vater an. Er soll sofort runterkommen“, befahl ich ihm noch unter Strom stehend, während ich nach etwas suchte, mit dem ich die Blutung stillen konnte. Mein Pullover musste herhalten. Ich zog den ruinierten Mantel und meinen grauen Strickpullover aus und drückte diesen dann zusammengeknüllt auf die Platzwunde. Mit der anderen Hand an Moms Hinterkopf hielt ich sanft dagegen. Nur noch im T-Shirt dastehend, sah ich auf diese starke Frau hinunter, die meinetwegen leiden musste.

Fuck. Fuck. Fuck.

„Es ist nicht so schlimm“, nuschelte Mom an meinem Pulli vorbei. „Das war bloß der Schock. Gerade tut es kaum noch weh.“

„Es muss trotzdem genäht werden. Sobald Dad und Isaac hier sind, fahren wir ins Krankenhaus.“

„Wir können auch Doc anrufen.“ Doktor Bane, oder auch Doc, war ein Freund der Familie und Arzt. Bei kleinen Wehwehchen kam er vorbei und untersuchte uns, ohne dass wir einen ganzen Tag in einer Arztpraxis verschwenden mussten. „Auf keinen Fall. Ich will, dass du von oben bis unten durchgecheckt wirst. Nicht dass du eine Gehirnerschütterung hast oder dergleichen.“

„Dante? Was ist passiert?“ Isaac und Dad kamen aus einem der drei Fahrstühle gestürmt.

Ich trat an dem niedrigen Tisch vor dem Sofa vorbei, um ihnen Platz zu machen.

Während Mom beteuerte, dass es nicht schlimm war, klärte ich die beiden mit wenigen Worten auf. Die Wut in mir ballte sich zu einer undurchdringlichen Masse zusammen, die mir das Atmen erschwerte.

Die Security hatte sich mittlerweile um die Fans gekümmert und den Eingang geräumt. Mein Selbsthass blieb. Ich hatte diese Eskalation zu verantworten. Niemand sonst.

Weil ich nichts sagen konnte. Weil ich mich immer noch an New York klammerte.

Mit plötzlicher Klarheit wusste ich, was zu tun war, weil ich schon länger mit dem Gedanken gespielt hatte. Doch bis hier und heute hatte ich mich nicht dazu überwinden können.

Dad half Mom beim Aufstehen. Zusammen steuerten sie den Fahrstuhl an, um zur Tiefgarage zu gelangen, wo unsere Autos geparkt waren.

„Kommt ihr?“, fragte er über seine Schulter hinweg. Als er meinen Blick auffing, wurde seine Miene weicher. „Es ist nicht deine Schuld, Dante.“

Ich machte ein unbestimmtes Geräusch. „Isaac? Einen Moment noch?“

„Was ist? Bist du auch verletzt?“ Besorgt musterte er mich von oben bis unten. Er hatte das aschblonde Haar von Dad. Wirkte ohnehin wie sein jüngerer Zwilling. Ein halbes Jahr nachdem mich meine Eltern adoptiert hatten, war Isaac geboren worden. Er war ihr Wunder, mit dem sie nie gerechnet hatten. Der unerfüllte Kinderwunsch und der eigentliche Grund, warum ich in New York gelandet war.

„Mir geht es gut“, antwortete ich, mich eilig von diesem Teil meiner Gedanken lösend. Er brachte mich nie an einen guten Ort. „Ich brauche deine Hilfe.“

„Was soll ich tun?“ So war er. Mein jüngerer Bruder, bester Freund und Geschäftspartner. Immer für mich da.

Ich wischte mir über die untere Gesichtshälfte. Fühlte noch Tomatenüberreste und ekelte mich. Vor mir selbst und vor New York.

„Ich werde zurücktreten und die Staaten vorerst verlassen.“

„Was? Das ist viel zu verfrüht! Du denkst nicht klar …“

„Die Entscheidung ist gefallen“, widersprach ich auf eine Art, die sagte, dass es daran nichts zu rütteln gäbe. Ich konnte mich nicht mehr vor dem unabwendbaren Schicksal drücken. „Ich will, dass du dir die Verantwortung mit Rachel und Hilary teilst. Ich werde alles veranlassen.“

„Dante …“ Er schüttelte den Kopf. „Wohin wirst du gehen?“

Ich ließ meinen Blick über den blank polierten Marmorboden nach draußen wandern, wo der Sonnenuntergang längst nicht mehr zu sehen war.

„Nach Italien.“ Zu meinen Wurzeln.



1. Kapitel

Cleo


Ich würde mich nicht an den Temperaturwechsel zwischen Klimaanlage und Außentemperatur gewöhnen. In der einen Sekunde musste ich mich in die cremefarbene Strickjacke graben, in der nächsten schwitzte ich aus sämtlichen Poren.

Feuchtigkeit prickelte unangenehm in meinem Nacken und an meinem Kinn. Hinter einem glückselig lächelnden Pärchen, das im Partnerlook den Flugsteig hinabspazierte, versuchte ich, meine Strickjacke auszuziehen, ohne dabei meinen schwarzen Chanel-Rucksack zu verlieren. Mein Blick blieb an ihre Rücken geheftet, auf dem der zweigeteilte Aufdruck Ti amo stand. Rot auf Pink. Hervorragende Fashion Choice.

Ich stolperte über meine eigenen Füße und verlor den Halt. In meiner Vorstellung sah ich mich schon die Metalltreppe hinunterfallen, doch zu meinem Glück gab es nur eine weitere Stufe, und die konnte ich noch irgendwie überspringen, ohne dass mir die Beine einknickten.

Dennoch war ich froh, als ich in den Shuttlebus steigen konnte, der uns auf die andere Seite des Flughafens von Brindisi bringen würde. Ich konnte sogar einen der wenigen Sitzplätze ergattern. Auch wenn ich diesen einen Moment später räumen musste, weil eine schwangere Frau einstieg.

Freundlich lächelnd, aber mit hundert mehr Schweißperlen zog ich mich in eine Ecke zurück und stopfte die Jacke in meinen überfüllten Rucksack, ehe sich der Bus in Bewegung setzte.

„Jesus“, murmelte ich und stieß ein paar leise Flüche aus.

Ein klein wenig wünschte ich mir doch, mit meinem Freund Oliver gefahren zu sein. Selbst wenn mir während langer Autofahrten schlecht wurde. Dann hätte ich mich immerhin nur krank und nicht allein gefühlt.

Nicht wie jetzt.

Jetzt war mir zwar nicht kotzübel, doch ich fühlte mich verloren und so, als würden mich alle anstarren, weil ich allein von Rom in den Süden Italiens geflogen war.

Nur eine Nacht.

Heute Abend würde sich Oliver bereits mit dem Leihwagen auf den Weg machen und in der Nacht bei mir im Hotel ankommen. Ich hatte das Schlimmste doch bereits überstanden.

Das Schlimmste, echote es in meinem Verstand.

Erst zwei Wochen waren wir zusammen in Italien unterwegs, doch gefühlt hatte ich jedes Abenteuer allein erlebt. Jedes Mal, wenn ich einen Ausflug geplant hatte, kam Oliver kurz vorher mit einer Ausrede daher, warum er sich nicht danach fühlte.

Es ist zu heiß, Babe. Ich bleibe hier am Pool. Geh du nur.

Ich muss gestern was Falsches gegessen haben. Mein Magen macht nicht mit.

Hatten wir das so abgemacht? Ich habe jetzt den letzten Platz für die Bootstour gebucht. Dir wird ja eh schlecht.

Am Ende der zwei Wochen hatte ich ihn nur noch höflichkeitshalber gefragt.

Umso überraschter war ich gewesen, als er bereitwillig zugestimmt hatte, Rom zugunsten Brindisis zu verlassen, um Süditalien zu erkunden. Dabei war er plötzlich so hilfsbereit und zuvorkommend geworden, als hätte er endlich gemerkt, wie er sich mir gegenüber verhalten hatte.

Das hatte mir Hoffnung gemacht.

Unsere Beziehung war … speziell. Anfangs war ich mit ihm zusammengekommen, weil ich ihn heiß gefunden hatte. Recht schnell hatten wir dann jedoch gemerkt, dass wir kaum Gesprächsthemen hatten, die sich überschnitten. Er wurde manchmal ziemlich grob, und ich war kurz davor gewesen, mich von ihm zu trennen, als ich die Reaktion meiner Familie gesehen hatte. Die Art, wie sie bei seinem abgeranzten Anblick die Nase gerümpft hatte.

Ich konnte mich meiner Familie nicht direkt widersetzen, aber ihr auf derartige Weise zu zeigen, wie wenig ich auf ihre Meinung gab? Das hatte ich mir nicht entgehen lassen können.

Und wenn ich ehrlich war, hatte ich all meine vergangenen Beziehungen unter diesem Aspekt ausgewählt. Hauptsache, sie ging meiner Familie gegen den Strich.

Mein Blick glitt zu der Hand, mit der ich mich an der Haltestange festklammerte. Der Bluterguss um mein Handgelenk war noch deutlich sichtbar. Das erste und bisher einzige von Olivers Überbleibseln. Eine Erinnerung an seine kalte Wut. Daran, dass ich es nicht wagen sollte, ihn infrage zu stellen, weil letztlich er die Entscheidungen traf. Ob sie mir gefielen oder nicht.

Mir war klar, dass das Unsinn war. Dass ich gehen sollte. Dass er mich manipulierte und zurechtstutzte, wie er mich haben wollte.

Die Erkenntnis half mir nicht. Sie brachte mich nicht dazu, zu gehen, weil ich dann allein dastand.

Der Bus kam zum Stehen, und nacheinander drängten wir uns in den feuchtwarmen Abend. Der Himmel, ein Mix aus sanftem Blau und Orange, die ineinanderflossen, als hätte jemand zu viel Wasser zu den Farben gemischt. In meinen Ohren dröhnte das laute Motorengeräusch eines abhebenden Fliegers.

Nicht nur ich duckte mich automatisch, was mir mich etwas weniger lächerlich vorkommen ließ.

Zum Glück war der Eingang zur Flughafenhalle nicht weit entfernt. Nacheinander schlüpften wir durch die Automatiktüren in den abgetrennten Bereich. Schon wenige Sekunden später trocknete die auf Hochtouren laufende Klimaanlage die Schweißperlen auf meinem Gesicht. Die Hitze zwischen Rücken und Rucksack verflüchtigte sich ebenso rasch. Meine Situation wirkte mit einem Mal viel weniger schlimm als noch vor fünf Minuten.

Wie enorm die richtige Umgebungstemperatur doch mein Leben beeinflussen konnte.

In New York, meiner Heimat, war ich der Willkür des Wetters kaum jemals so ausgesetzt wie hier. Ich konnte mich mit einem persönlichen Fahrer problemlos zwischen Apartment, College und jeglichem Ziel fortbewegen. Etwas, auf das meine Eltern bestanden und gegen das ich auch nichts einzuwenden hatte. Wenn sie mich schon kontrollieren wollten, konnte ich immerhin einen Vorteil daraus schlagen.

Das bedeutete keineswegs, dass ich den Sommer hasste, den Regen oder den Schnee.

Ich hasste es bloß, zu einem Termin aufzutauchen, wenn ich nass geschwitzt oder vom Regen durchnässt war.

Einen Sommer lang hatte ich auf einer Ranch verbracht, hatte hart gearbeitet und mich in sechs Wochen nicht ein einziges Mal richtig sauber gefühlt, aber es waren die besten sechs Wochen meines Lebens gewesen.

Die High Society von New York war das Leben meiner Eltern, meiner Schwestern und meiner Nonna – meine italienische Großmutter. Ich war bloß das Anhängsel, das mitkommen musste, das aber eigentlich niemand so richtig haben wollte.

Ich war keineswegs zynisch, sondern realistisch. Mittlerweile machte sich niemand mehr Mühe, die wenig vorteilhaften Gedanken über meine Wenigkeit zu verschleiern. Meine Eltern, die das italienische Fast-Food-Imperium führten, erwarteten sogar, dass ich froh war, nach dem College einen Job als Assistentin meiner ältesten Schwester zu bekommen.

Als wäre mein Studium nichts wert. Als würden sie kein Vertrauen in meine Fähigkeiten setzen.

„Urgh“, stieß ich aus, weil ich mich über mich selbst ärgerte. „Bleib positiv, Cleo“, sprach ich mir selbst Mut zu.

Das hier war voraussichtlich für sehr lange Zeit meine einzige Auszeit. Ich hatte sie mir hart erarbeitet. Bezahlt mit meinem eigenen Lohn aus Nebenjobs, von denen meine Familie nichts gewusst hatte. Zwei Monate Italien. Das war mein Traum, weil ich das Land meiner Vorfahren kennenlernen wollte.

Einzig Nonna hatte mich unterstützt, während alle anderen bloß betonten, dass sie mir keinen Cent zukommen lassen würden.

Ich brauchte sie nicht. Zumindest nicht während meines Sommers.

Da es sich bei meinem Flug lediglich um einen Inlandsflug handelte, ging die Passkontrolle recht schnell. Bevor ich meinen Koffer an der Gepäckausgabe abholte, machte ich einen Abstecher in die Waschräume.

Eine zierliche Brünette lächelte mir beim Hinausgehen zu, weil ich ihr die Tür aufgehalten hatte. Ich reagierte einen Moment zu spät, und mein Lächeln traf mein eigenes zerzaustes Spiegelbild.

Charmant.

Ich suchte zunächst eine freie Kabine. An Board hatte ich fast anderthalb Liter Wasser getrunken. Aus Nervosität. Gleichzeitig war ich zu ängstlich gewesen, meinen Gurt zu lösen und auf die enge Kabinentoilette zu gehen. Da ich einen Sitz in der Mitte belegt hatte, hatte ich mich nicht dazu imstande gesehen, meinen Sitznachbarn zu bitten, mich vorbeizulassen. Was, wenn er ein Nickerchen hatte machen wollen? Was, wenn er mich dafür hasste, dass ich ihn gerade aus einer gemütlichen Sitzposition verscheuchte?

Nein, danke.

Der Flug war letztlich nach einer Stunde vorbei gewesen, und ich hatte meine Unterleibsschmerzen fast schon verdrängt.

Nachdem ich meine Hände gewaschen und mir Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, vibrierte mein Handy. Ich fischte es aus den Tiefen meines Rucksacks, bevor ich die Jacke wieder reinstopfte.

Summer. Meine beste Freundin.

Ein echtes Lächeln stahl sich dieses Mal auf meine Lippen.

 

Summer: Nach meiner Berechnung müsstest du jetzt gelandet sein. ???? Meld dich, Babe.

 

Ich: Vor 10 min. Hier ist es noch heißer als in Rom. Was habe ich mir nur dabei gedacht? ????

 

Summer: Du wolltest mehr als nur die Stadt der 7 Hügel sehen. So beeindruckend das Schätzchen auch ist. ???? Ist Oliver schon da?

 

Ich: Stimmt. Hatte ich fast wieder vergessen. ???? Hoffentlich ist das kein Reinfall hier. ????

 

Ich: Nope. Ich rufe ihn gleich an. Er müsste schon losgefahren sein.

 

Summer: Okey dokey. Meld dich, wenn du im Hotel angekommen bist. Miss ya ????

 

Ich: Miss ya, too. ????

 

Mit neuem Elan trug ich Wimperntusche auf, die meine saphirblauen Augen betonte. Ich war stolz darauf, dass ich als einzige von uns Schwestern die Augen von Nonna geerbt hatte. Anschließend kämmte ich mein Haar, das ich normalerweise zu einem voluminösen, langen Bob föhnte. Davon war nach dem Dutt, den ich wegen der Hitze geknotet hatte, nichts mehr übrig. Also wurde es ein kurzer Pferdeschwanz, aus dem sofort ein paar Strähnen entflohen und im Wind der Klimaanlage um meine Ohren tänzelten.

Zum Schluss zupfte ich meinen braun-weiß karierten Minirock zurecht, zu dem ich ein ärmelloses Rüschenshirt trug. Die Goldkette fiel bis auf meinen üppigen Busen hinab und rundete zusammen mit meinen weißen High Heels das Bild ab, das ich abgeben wollte. So wurde es von Oliver und meiner Familie erwartet: makellos.

Ich lud meinen Rucksack auf und stolzierte erhobenen Hauptes aus dem Waschraum. Vielleicht hätte ich noch mein Parfüm auftragen sollen, doch ich wollte nicht zu spät kommen und meinen Koffer am Gepäckband verpassen.

Dieses Mal sollte alles nach Plan laufen.

Oliver sagte immer, dass mir Desaster auf Schritt und Tritt folgten. Früher mit einem Augenzwinkern. Mittlerweile wurde ich das Gefühl nicht los, dass er hauptsächlich genervt von mir war. Nun, ich war von ihm auch genervt. Immerhin waren wir schon zu zweit.

Es hatte sich bereits eine Menschentraube um das Gepäckband gebildet. Selbst wenn die Anzeige obenauf nicht unsere Flugnummer angezeigt hätte, hätte ich meine Mitpassagiere wiedererkannt. Eines meiner Talente war, dass ich mir sehr gut Gesichter merken konnte.

Manchmal brauchte ich ein, zwei Minuten, aber generell fiel mir immer ein, wo ich jemanden zuletzt gesehen hatte.

Ich platzierte mich in zweiter Reihe hinter eine Frau, die vielleicht zehn Zentimeter kleiner war als ich mit meinen ein Meter zweiundsiebzig, sodass ich das laufende Band gut im Blick behalten konnte. Sie unterhielt sich in lebendigem Italienisch mit dem Mann neben sich, der gar nicht in ihre Richtung sah und immer nur nickte oder den Kopf schüttelte. Ich spürte die Müdigkeit, die von ihm in Wellen ausging, als wäre sie meine eigene.

Obwohl der Flug nur eine Stunde gedauert hatte, schlauchte doch der gesamte Prozess von Ankunft über Gepäck- und Passkontrolle, Flug und bis zu dem Moment, da man den Flughafen am Zielort schließlich verlassen konnte.

Endlich wurden die ersten Koffer aufs Band geladen, und selbst wenn meiner noch nicht dabei war, fühlte es sich nicht länger an, als wäre ich in der Zeit stecken geblieben.

„Laggiù!“, rief die Frau vor mir so laut, dass ich zusammenzuckte, und deutete auf einen knallpinken Koffer.

Dort drüben!, hatte sie gesagt. Mit meinem etwas eingerosteten Italienisch war ich in Rom ziemlich gut zurechtgekommen. Ich hatte jedoch gehört, dass im Süden Italiens die Dialekte ausgeprägt waren und ich Schwierigkeiten beim Verständnis bekommen könnte. Darauf würde ich mich einstellen müssen, aber ich war fest entschlossen, mein Bestes zu geben.

Nachdem die beiden vor mir den pinken und den schwarzen Koffer danach vom Band gehoben und davongestürmt waren, stellte ich mich nach vorn.

Nur wenige Sekunden später erblickte ich meinen schwarzen Koffer mit den weißen Griffen und machte mich bereit. Ich hievte ihn mit zitternden Armmuskeln vom Band und stellte ihn mit einem dumpfen Schlag auf dem blank polierten Boden ab. Anschließend steuerte ich zielstrebig den Ausgang an, am Zoll vorbei und in die hell erleuchtete Flughafenhalle.

Obwohl die Decke niedrig war, wirkte der Raum durch die hellen Wände und Böden nicht gedrungen. Die Fensterfront auf der gegenüberliegenden Seite ließ außerdem ausreichend Licht der Straßenlaternen ein. Mittlerweile war die Sonne längst über den Horizont geschritten, und in ihrem Schatten breitete sich ein dunkles Blau aus.

Ich setzte mich auf einen der neongrünen Plastikstühle gegenüber eines Eingangs. Den Koffer stellte ich schräg hinter mir ab, damit er niemandem den Weg versperrte. Als ich mein Handy hervorholte, setzte sich jemand neben mich. Immerhin ließ er einen Sitz zwischen uns frei und platzierte seinen Koffer davor als zusätzliche Abgrenzung. Nur kurz warf ich ihm einen Blick zu. Schokoladenbraunes Haar, Dreitagebart und eine gerade Nase in einem kantigen Gesicht, dazu ein scharf geschnittener Kiefer.

Eilig sah ich wieder auf mein Handy und tippte auf Olivers Namen. Wir hatten heute Morgen noch gemeinsam den Wagen mit meiner Kreditkarte gemietet, nachdem seine abgelehnt worden war. Dabei hatte ich darauf geachtet, dass das Auto eine Freisprechanlage besaß. Ich gehörte nicht zu denen, die es liebten, zu telefonieren, aber ich wollte nicht, dass sich Oliver auf der langen Fahrt allein fühlte.

Während ich dem Freizeichen lauschte, schlug ich die Beine übereinander und wippte mit dem linken Fuß. Piep. Piep. Piep. Dann wurde der Anruf abgebrochen.

Stirnrunzelnd blickte ich auf das Handy. Hatte Oliver vergessen, das Handy mit der Anlage zu verbinden?

Ich malträtierte meine Unterlippe mit den Zähnen, als ich darüber nachdachte, erst ins Hotel zu gehen und ihn dann anzurufen. Was, wenn ich ihn ablenkte und er deshalb einen Unfall baute?

Andererseits machte ich mir jetzt noch mehr Sorgen, weil ich nicht wusste, ob er überhaupt losgefahren war. Wir hatten eigentlich abgemacht, dass er mir schrieb, wenn er sich ins Auto setzte.

Schließlich wählte ich seine Nummer erneut. Dieses Mal nahm er nach dem dritten Freizeichen ab, und ich seufzte erleichtert. Selbst als ich klar und deutlich Stimmengewirr hören konnte, das nicht aus dem Radio stammte.

Er saß nicht im Auto.

Er hatte sich noch nicht auf den Weg gemacht.

„Oliver?“ Ich hasste mich dafür, dass meine Stimme zitterte. Und ich hasste ihn dafür, dass ich bereits wusste, was kommen würde.

Unwillkürlich stand ich auf und begann, vor der Stuhlreihe auf und ab zu laufen. Ich konnte einfach nicht still sitzen, während sich das Grauen in mir festbiss.

„Hey, gut, dass du anrufst, ich wollte mich eh bei dir melden.“ Eine Frau lachte. Eine fremde Frau. Mir wurde schwindelig und heiß und kalt gleichzeitig. Einzig, weil ich mich mit einer Hand an einer Säule abstützen konnte, wurde ich vor einem peinlichen Sturz bewahrt.

Die Reisenden um mich herum wurden zu einem Strudel aus Lichtern und Farben, die sich am Rand meines Sichtfelds bewegten. Wie Zuschauer eines Theaterstücks. Nur dass ich keinen dramatischen Tanz aufführte, sondern eine Komödie, bei der man sich beim Hinsehen fremdschämte.

„Bei mir melden?“, echote ich kraftlos. Erst nach und nach fand ich wieder zu mir. Jeder Schritt in meinem düsteren Verstand kostete mich unbeschreibliche Kraft. Als würde ich an einem Steg in der Dunkelheit entlangbalancieren und müsste gegen Wind und Wetter ankämpfen. „Du bist noch nicht losgefahren, oder?“

Ich hätte ihn rundheraus mit meiner Ahnung konfrontieren können, doch die Beschuldigung würde ihn bloß dazu bringen, aufzulegen. Noch wollte ich ihn nicht gehen lassen.

Er hatte kein leichtes Gespräch verdient, verdammt noch mal!

„Hör zu, es ist kompliziert“, begann er eine seiner üblichen Ausflüchte. „Mir gefällt es hier in Rom einfach zu gut. Es spricht ja nichts dagegen, dass du dich da unten amüsierst und ich weiter in Rom. Wir haben doch beide gemerkt, dass es hier im Urlaub nicht zwischen uns passt.“

Ich liebte ihn nicht. Hatte ihn vermutlich nie geliebt. Trotzdem war ich getroffen.

Warum?

Weil er sich gegen mich als Person entschieden hatte. Ich hatte nicht mal groß was von ihm verlangt. So viel hatte ich für ihn getan. Warum wollte er selbst das nicht von mir? War es so schwer, mir Anstand und Respekt entgegenzubringen? War das der Grund, warum ich beides auch vergeblich bei meiner Familie gesucht hatte, bis ich aufgegeben hatte?

„Ist das dein fucking Ernst?“, schrie ich jäh ins Handy und überraschte mich selbst damit am allermeisten. „Wir haben den Urlaub gemeinsam geplant, du beschissener Bastard! Geht’s noch?“

„Jeez, chill doch mal, Cleo“, entgegnete er vollkommen ungerührt.

Ich warf einen kurzen Blick auf meine Umgebung, in der mich niemand misstrauisch oder verurteilend ansah. Vielleicht war meine Stimme doch nicht so laut gewesen, wie sie mir vorgekommen war.

„Ich soll chillen? Ich bin am anderen Ende von Italien, ohne meine Kreditkarte, ohne das Auto, ohne dich! Hast du sie nicht mehr alle?“ Ich legte eine Hand um meinen Mund und das Handy, um nicht doch vollkommen die Kontrolle zu verlieren und die gesamte Flughafenhalle zusammenzuschreien.

„Cleo“, sagte er mit unterschwelliger Drohung, die mir auch aus der Distanz Bauchschmerzen bescherte. Ich war nicht schwach. Ich konnte mich wehren. Er würde mir nicht wieder wehtun. Das hier war das Ende. „Deine Eltern sind ekelhaft reich. Ruf sie an. Das sollte eine verwöhnte, kleine Bitch wie du doch hinbekommen, oder nicht? Ruf mich nicht mehr an.“

Das Freizeichen verhöhnte mich einen Moment, ehe der Anruf komplett beendet war.

Sprachlos starrte ich auf den Boden und dann aufs Handy, dessen Display schwarz geworden war.

Er hatte mich verlassen. Oliver hatte mich auf diese feige Art und Weise verlassen.

Ich war fassungslos. So sehr, dass erst nach und nach Panik und Angst in mir aufstiegen.

Es war keine bodenlose Lüge. Ich war allein. Ohne Geld und ohne Auto. Meinen Pass hatte ich immerhin und …

Gott! Mein Kopf schmerzte so sehr, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Dazu kam das Brummen der Klimaanlage und die Kälte, die meinen Körper überzog. Vielleicht stammte sie auch aus meinem Inneren und ließ sich deshalb nicht durch das Reiben meiner Arme vertreiben.

„Verfluchter Scheißkerl“, brummte ich, bevor ich das Handy in meinen Rucksack steckte und zurück zum Sitz stapfte.

Ein Hotelzimmer war das, was mir noch geblieben war. Und mein Koffer.

Ich umfasste den weißen Griff und stolzierte los, als würde in mir kein Chaos herrschen. Der Flughafen war kein guter Ort, um seine Fassung zu verlieren. Ich brauchte vier Wände für mich und meine beste Freundin an meiner Seite. Letzteres würde nur durch einen Videocall zu erreichen sein, doch das war besser, als sie gar nicht zu haben.

Auch wenn es mir davor graute, sie in das Telefonat mit Oliver einzuweihen.

Er hatte mich verlassen.

Diese Tatsache war so absurd, dass ich Schwierigkeiten hatte, sie komplett zu begreifen. Denn bisher hatte ich immer geglaubt, dass letztlich ich es sein würde, die einen Schlussstrich ziehen würde.

Aber warum eigentlich?

Ich winkte ein Taxi heran und half dem Fahrer dabei, mein Gepäck in den Kofferraum zu hieven. Er sah noch älter aus als mein Dad, und ich wollte nicht daran schuld sein, dass er sich verhob.

Mit einem Lächeln dankten wir uns gegenseitig, und ich setzte mich hinten rein. Auf meinem Handy scrollte ich eilig nach der gespeicherten Adresse vom Hotel, das sich ganz in der Nähe befand. Oliver und ich hatten uns nicht für eine fancy Option entschieden, da wir von Anfang an nur eine Nacht hier hatten bleiben wollen.

So viel dazu.

„Devo andare all’hotel Papola Casale“, teilte ich dem Fahrer mit, ehe ich meine Stirn gegen die warme Scheibe lehnte. Ich muss zum Papola Casale Hotel.

Die vorderen Fenster waren runtergekurbelt, und das Innere des gelben Wagens roch nach Zigarillos und geschmolzenem Plastik, vermischt mit dem typischen Geruch eines Duftbaums. Aus irgendeinem Grund wirkte die Kombination vertraut und beruhigte mich.

„Con piacere!“, flötete der Fahrer und drückte aufs Gas. Gern.

In Rom war das Autofahren und speziell das Taxifahren eine Katastrophe gewesen. Niemand hielt sich an die Verkehrsregeln. Oder war das die einzige Regel, die alle befolgten?

Mein Fahrer besaß zwar einen Bleifuß, doch er hielt immerhin an den Ampeln an und sah sich um, während er das Radio aufdrehte. Ein italienischer Song, den ich in den vergangenen zwei Wochen bereits des Öfteren gehört hatte. Wohl ein Chartstürmer.

Ich blickte in den frühen Abend hinaus. Die Lichter der Laternen, Autos und Betonbauten, die zu einem flackernden Hintergrund verschmolzen. Mein Magen meldete sich ganz leicht, doch ich hoffte, dass die Fahrt endete, bevor ich mich übergeben müsste.

Meine Gedanken waren jedenfalls Ablenkung genug. Ja, ich hätte wahrscheinlich damit rechnen müssen, von Oliver verlassen zu werden. Auch in meinen drei Beziehungen davor war ich sitzen gelassen worden, selbst wenn ich vorher darüber nachgedacht hatte, Schluss zu machen. Letztlich hatte ich nie den Mumm dazu besessen.

Aber ich hatte nicht gedacht, dass Oliver es während meines Urlaubs tun würde. Während wir nur einander hatten, in einem fremden Land, auf einem anderen Kontinent.

Nun, zumindest ich hatte nur ihn gehabt. Er war bereits zur nächsten gewandert, um sich sein Ego streicheln zu lassen.

Ich verachtete ihn dafür.

Dann kam mir wie ein Eimer kaltes Wasser, der über mir ausgeschüttet wurde, der Gedanke, dass er meine Kreditkarte hatte und nicht davor zurückscheuen würde, sie auszureizen. Sofort loggte ich mich mit meinem Handy in das Onlineportal ein, nur um zu sehen, dass Oliver es bereits getan hatte. Das Limit war erreicht.

Ich war blank.

Die Lippen zusammenpressend verbat ich mir, im Taxi in Tränen auszubrechen. Auf gar keinen Fall würde ich so klischeehaft zusammenbrechen.

Schließlich erreichten wir das Hotel, als mir siedend heiß einfiel, dass ich mit meinem letzten Bargeld bezahlen musste. Ich hatte zwar noch ein klein wenig dabei, aber ich hätte die kurze Strecke mit dem Bus fahren sollen.

Zumindest, bis ich wusste, wie mein Plan aussah.

Gerade wenn ich an meine unmittelbare Zukunft dachte, konnte ich nur die verurteilenden Gesichter meiner Schwestern sehen, die die Vorstellungen von Palmen und Meer und Weinbergen ersetzt hatten.

„Ciao“, verabschiedete ich mich von dem Fahrer und stapfte in meinen High Heels und mit meinem Rollkoffer die Rampe zum Hotel hinauf.

Das mehrstöckige schmale Gebäude wirkte überraschend edel mit der gelben Fassade und den dunklen Schlagläden. Die Lobby besaß weiß getünchte Rundbögen und einen beeindruckenden Kristallleuchter direkt vor der Rezeption. Sofagruppen, Tiffanylampen und stuckverzierte Wände mit eingebauten Regalen, auf denen sich Vasen mit Blumen befanden. Ich freute mich, dass ich an diesem scheußlichen Tag doch noch so etwas wie Glück hatte.

Nachdem ich an der Rezeption eingecheckt hatte, suchte ich mein Zimmer im dritten Stock auf. Es war im Gegensatz zur Lobby moderner und schlicht eingerichtet. Das Badezimmer war klein, aber sauber.

Ich hievte meinen Koffer auf die gelbe Sitzbank und zog als Allererstes meine Schuhe aus, um meine armen Füße zu massieren, während ich darum kämpfte, weiter Haltung zu bewahren. Selbst wenn hier niemand mehr meine Tränen sehen konnte, wollte ich nicht loslassen. Ich fürchtete mich zu sehr davor, in ein dunkles Loch zu fallen, aus dem ich allein nicht mehr herauskäme.

Nach kurzer Überlegung rief ich die Rezeption an und bestellte ein Glas Rotwein zusammen mit der Tagesempfehlung. Dafür würde ich sicherlich noch genug in meinem Geldbeutel finden.

Ich zögerte das Gespräch mit Summer hinaus, bis meine Bestellung ankam. Während ich gewartet hatte, war ich die Fotogalerie der letzten zwei Wochen durchgescrollt.

Mir war schleierhaft, wie ich so naiv hatte sein können. Es gab bloß ein einziges Selfie, auf dem ich mit Oliver zu sehen war, und er hatte nicht mal den Anstand besessen, zu lächeln oder in meine Richtung zu schauen. Sonst hatte er nie ein Problem mit Fotos gehabt. Ganz im Gegenteil, auf Instagram war er der Aktivere von uns beiden. Er postete ständig etwas und interagierte mit anderen, die seine Fotos kommentierten.

Apropos … Ich nahm einen kräftigen Schluck Rotwein. Mein Daumen schwebte über seinem Profilbild. Was würde ich finden, wenn ich sein Profil anklickte? Hatte er mich bereits ausradiert? Zum Glück hatten meine Schwestern kein Social Media, sonst hätten sie sich unter Umständen schon bei mir gemeldet, wenn Oliver tatsächlich unsere gemeinsamen Fotos gelöscht hätte.

Ich beschloss, mir das selbst jedenfalls nicht anzutun und stattdessen Summer anzurufen. Da sie gerade in London lebte und arbeitete, war es bei ihr noch eine Stunde früher als bei mir. Sie nahm den Call sofort an, und ihr sorgenvolles Gesicht erschien auf dem Display.

Strohblondes Haar, das sich bei jeder Gelegenheit kräuselte und jedem Haarband widersetzte, kleine meerblaue Augen und ein geschwungener, großer Mund, den sie am liebsten zum Lachen geöffnet hatte. Sie war die wärmste Person, die ich kannte, und hatte mir schon durch mehr Krisen geholfen, als ich zählen konnte.

Auf dem College war sie meine Tutorin gewesen, und wir hatten uns auf Anhieb verstanden. Ihr war es durch ein Stipendium möglich gewesen, an der New York University zu studieren. Auch wenn ich nie schlecht gewesen war, war sie das Genie. Deshalb war es auch keine Überraschung gewesen, als sie gleich mehrere Jobangebote aus dem Ausland erhalten hatte.

Nach reiflicher Überlegung und unzähligen Gesprächen hatte sie sich für eine Stelle am Natural History Museum in London entschieden, wo sie als Kuratorin arbeitete. Seit einem Jahr lebten wir nicht mehr in derselben Stadt, und es war gelinde gesagt ein Schock gewesen. Dazu kam der Zeitunterschied zwischen London und New York.

Bevor Oliver und ich nach Rom geflogen waren, hatten wir einen Abstecher nach London gemacht, um sie zu besuchen. Weil sie aber keinen Urlaub hatte, war unsere gemeinsame Zeit knapp gewesen. Sie hatte mir jedoch versprochen, in den kommenden zwei Monaten irgendwann nach Italien zu kommen, um mich zu sehen.

„Was ist passiert? Du siehst aus, als hätten sich die Jonas Brothers getrennt.“

Ich verdrehte die Augen. „Von uns beiden bist wohl du diejenige, die in einen Hungerstreik treten würde.“

„Möglich. Was ist es dann? Oliver?“

„Oliver“, bestätigte ich mit einem düsteren Unterton und kippte mir auch den restlichen Wein hinter die Binde. Sofort breitete sich wohltuende Wärme in meinem Körper aus. Meine verkrampften Muskeln entspannten sich, weil ich mich nicht länger an eine unsichtbare Reling klammerte. „Er kommt nicht nach Brindisi.“

„Was?“, schrie sie, und ich musste das Handy weiter wegschieben. „Sorry.“

Ich winkte ab, bevor ich mich rücklings aufs Bett fallen ließ, das Handy über mein Gesicht haltend. „Er hat wohl eine neue Bekanntschaft gemacht. Was weiß ich? Jedenfalls bin ich jetzt auf mich allein gestellt.“

„Das tut mir leid, Babe.“ Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht sagte, sie hätte mich vor ihm gewarnt.

„Ach, und das Beste habe ich dir noch gar nicht erzählt: Er hat meine Kreditkarte ausgereizt. Ich bin offiziell pleite, wenn ich meine Eltern nicht anpumpen will.“ Ich legte das Handy mit der Kamera auf meine Nase.

„Deine Poren wollte ich gerade nicht sehen, aber ich verstehe deine Verzweiflung. Brauchst du was? Soll ich dir einen Flug buchen?“

Ich hob das Handy wieder an und blickte in Summers schönes Gesicht, auf dem ihre Sommersprossen deutlich hervorstachen. Im Hintergrund sah ich die gelb gestrichene Wand ihres Wohnzimmers und die gemütliche Couch, auf der Oliver und ich übernachtet hatten.

Es war ein seltsames Gefühl, wenn es keine gemeinsame Zukunft mehr gab. Wenn man das letzte Mal mit seinem Partner im Bett gelegen hatte, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein. Und jetzt … jetzt wirkte mein Leben einerseits unvollständig und andererseits voller Möglichkeiten.

„Soll ich denn nach Hause fliegen?“

„Was hast du sonst vor?“ Sie klang nicht verurteilend, als sie das fragte. „Ich meine, ich kann dir auch noch mehr Geld leihen, wenn du bei deinen Hexenschwestern nicht anrufen willst.“

Hexenschwestern. So nannte Summer meine älteren Schwestern Alba und Blanca, nachdem sie mehr als einmal mitbekommen hatte, wie herablassend sie sich mir gegenüber verhielten.

„Das ist lieb, aber … ich weiß auch nicht. Mein Kopf dröhnt. Ich glaube, ich muss erst mal heiß duschen und dann eine Nacht drüber schlafen.“ Ich raffte mich vom Bett auf und steuerte meinen Koffer an, als mir das Adressschild ins Auge fiel. Dunkelbraunes Leder.

Stirnrunzelnd hielt ich inne. War ich jetzt vollkommen abgedreht und konnte mich nicht dran erinnern, dass ich ein blaues, sondern ein braunes Schild angebracht hatte, oder …

„Fuck“, rief ich aus. Ich drehte das Schild um, und es war nicht mein Name, der dort in Druckbuchstaben geschrieben stand. „Fuck, fuck, fuck.“

„Was ist los?“ Alarmiert setzte sich Summer auf.

„Das ist der falsche Koffer. Fuuuuuck.“ Stöhnend sackte ich zu einem Häufchen Elend auf dem Boden zusammen. „Ich bin doch zum Klischee mutiert: inkompetent, naiv und tollpatschig.“

„So schlimm ist es doch sicher nicht …“ Summer war auch schon mal besser darin gewesen, mich aufzumuntern.

Ich zwang mich zu einem zittrigen Lächeln. „Das Urteil steht im besten Fall noch aus.“

Ein prickelndes Spin Off aus der Welt von „Kingdom of the Wicked“

Throne of Secrets  – VerratenThrone of Secrets  – Verraten

Kampf am Tag und Leidenschaft in der Nacht!

Wie kann es jemand wagen, den Höllenfürsten Gluttony in einer Klatschkolumne der Faulheit zu bezichtigen, wo doch jeder weiß, dass er der Prinz der Völlerei ist?

Adriana Saint Lucent hat sich einen Feind gemacht! Als Plattform für seinen Gegenschlag kauft Gluttony eine rivalisierende Klatschspalte und gründet den privaten Club der Sündhaftigkeit, in dem nur zwei Regeln gelten: Masken sind obligatorisch, und niemand nennt seinen Namen. Während sich Adriana und Gluttony in den Zeitungen bekriegen, verschafft sie sich unerkannt Zugang zu Gluttonys Club – wo sie auf einen mysteriösen Fremden trifft, der all ihre verborgenen Sehnsüchte weckt.

Ein prickelndes Spin Off aus der Welt von „Kingdom of the Wicked“. Der Einzelband rund um den Fürsten Gluttony kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.

Prolog

In einem Reich der Unterwelt, bekannt als die Sieben Kreise, herrschen sieben unsterbliche Prinzen über ihre Höfe der Sünde und Verkommenheit.

Jeder dieser Kreise wird von seinen Bewohnern und anderen mythischen Wesen lebendig gehalten, indem sie die Macht ihres Prinzen dadurch nähren, dass sie sich der Sünde seiner Wahl hingeben: Zorn, Neid, Gier, Lust, Trägheit, Stolz oder Völlerei.

Macht ist die wichtigste Währung der Prinzen, doch ein übergreifender Fluch, der erst kürzlich gebrochen wurde, droht sie zu schwächen und angreifbar für jene sündigen Geschöpfe zu machen, die ebenfalls in der Unterwelt leben: Hexen, Fae, Gestaltwandler, Göttinnen und die ständig intrigierenden Vampire im Süden. Nun kämpft jedes der Sündenhäuser im Geheimen darum, seine volle Macht zurückzuerlangen, um seinen Hofstaat vor den Nachwirkungen des Fluchs zu retten.

Diese Geschichte spielt im stürmischen nördlichsten der Kreise und folgt dem Prinzen der Völlerei, dessen Sünde nicht einfach nur darin besteht, sich den feinsten Speisen und Getränken hinzugeben, sondern auch darin, beständig nach Abenteuern und Nervenkitzel zu suchen. Wie bei der Jagd auf Eisdrachen, die durch dieses erbarmungslose Terrain ziehen, oder bei seiner bisher vielleicht größten Herausforderung: sich nicht in eine Frau zu verlieben, die er verabscheut …

Wie heißt es doch in den Gedichten und Theaterstücken der Sterblichen? Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt.

Mögen die Götter Gnade mit Prinz Gluttony haben.

Eine Sturmfront namens Adriana zieht herauf, und sie ist gnadenlos. Jedenfalls, was ihn angeht.


Eins

Prinz Gluttony

Ein heftiger Windstoß fegte über die schneegekrönten Berge und heulte durch den Pass, ein Klang, fast so schaurig und kalt wie die Winterluft selbst.

So weit im Norden der Sieben Kreise, jenseits aller anderen königlichen Sündenhäuser, wo Nachtmare und niedere Dämonen die Wälder durchstreiften, erlagen sogar die Elemente der Angst.

Schwach erhob sich ein anderer Klang über die Baumwipfel. Ein Klang, auf den wir nur gewartet hatten.

Ich hielt inne und hob die Hand, ein stummes Signal an meine Jäger, stehen zu bleiben.

Das Schlagen lederner Schwingen wurde von der Brise herangetragen, ein vertrautes Geräusch, leicht gedämpft von einer – wie ich wusste – nur oberflächlichen Schicht engelsgleicher weißer Federn.

Wie bei den meisten Dingen der Unterwelt war auch dieses erstaunliche Gefieder nichts als schöner Trug, der den finsteren Zweck verschleierte. Die Daunenschwingen in Kombination mit den irisierenden Schuppen der Körper tarnten diese ruchlosen Bestien, während sie langsam durch den schneeverschleierten Himmel zogen und uns – ihre Beute – unter sich einkreisten.

Ich schloss die Faust um meinen Hausdolch, und mein Herz schlug schneller, während ich durch die Bäume emporspähte, das Eis von meinen Wimpern blinzelte und darauf wartete, den ersten Blick auf den fleischgewordenen Tod zu erhaschen.

Meine Unsterblichkeit würde dafür sorgen, dass ich weiteratmete, komme, was wolle, aber nicht jeder in unserer Jagdgesellschaft verfügte über diesen Luxus. Genau wie ich kämpften sie um des Jagdfiebers willen, aber auch, weil dies eine der wichtigsten Quellen für meine Macht darstellte. Die Jagd fütterte meine Sünde wie sonst nichts. Da die Sünde meines Kreises die Völlerei war, herrschte außerhalb der Unterwelt der Glaube vor, wir würden nur übermäßig essen und trinken. Genau das taten wir, und dasselbe galt für den Sex und den Kampf, aber die meisten meiner Sünder kamen nach mir und zogen es vor, zügellos dem Abenteuer und der Gefahr zu frönen.

Diese Angst, die Möglichkeit eines Versagens, gemischt mit der wilden, kompromisslosen Abenteuerlust, trieb die Männer und Frauen an meiner Seite weiter durch den schmalen, erbarmungslosen Pass, den Blick fest auf den wolkenverhangenen Himmel gerichtet, die Muskeln angespannt und kampfbereit.

Ich warf einen Blick über die Schulter auf die Reihe von Elitekämpfern und -kämpferinnen, die den Höhen der Ungnade trotzten, jenem ummauerten Außenposten, den ich vor einem Jahrhundert errichtet hatte, um die wilden nördlichen Länder hinter meinem Herrschaftsgebiet von Haus Völlerei im Auge behalten zu können.

Alle außer einem trugen mein königliches Wappen auf der ledernen Kampfrüstung, auf der Suche nach Ruhm und Drachen.

Ich gab das Zeichen, dass sie sich still verhalten und wachsam sein sollten. Gleich war es so weit.

Seit Stunden folgten wir den Drachen nun schon, spielten Katz und Maus, während beide Seiten begierig waren, anzugreifen. Die Drachen wussten, dass wir in der Nähe waren, doch dank der Nadelwälder zu beiden Seiten des Passes hatten sie keine freie Sicht.

Einige der Jäger bissen auf Lederriemen, um das Geräusch ihrer klappernden Zähne zu dämpfen. Sie würden hier draußen keine weitere Stunde überstehen, so tapfer sie auch sein mochten.

Wir mussten uns wieder in Bewegung setzen.

Ich ließ den Blick über ihre Reihe schweifen, bis ich ganz hinten denjenigen fand, nach dem ich suchte. Goldene Augen leuchteten im silbernen Sonnenlicht, das sich tapfer einen Weg durch den Schneesturm suchte.

Mein Bruder Wrath, der Fürst des Kriegs, war der Einzige, der beim Klang der näher kommenden Flügelschläge genauso begeistert wirkte wie ich. Er war für den Kampf geschaffen, so wie ich für die Gefahr. Eine Kombination, die manchmal nicht gerade für die besten Entscheidungen, dafür aber für großartige Geschichten stand.

Dort draußen, wo nur Ungeheuer lebten, waren die Eisdrachen die gefürchtetsten aller Raubtiere.

Was bedeutete, dass sie für uns Prinzen der Hölle die ebenbürtigsten Gegner darstellten.

Die Jagd an diesem Abend versprach denkwürdig zu werden. Gewalt schimmerte in der Luft, so nah, dass ich die bevorstehende Schlacht fast schmecken konnte und mir vor Vorfreude das Wasser im Mund zusammenlief.

Seit Stunden folgten wir diesem Rudel von Eisdrachen nun schon unbarmherzig nach Norden, weit über die Grenzen bewohnbaren Lands hinaus. In dieser Region gab es sieben bekannte Drachenrudel, und dieses hier herrschte über das Revier, das meinem Haus der Sünde am nächsten lag.

Das Terrain dort war zwar milder als das des hohen Nordens, aber immer noch erbarmungslos.

Mehrere Mitglieder meiner Jagdgilde waren gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen, da sie den tödlichen Wetterbedingungen nicht hatten standhalten können. Die wenigen, die noch bei mir waren, stellten die erbittertsten meiner Mitstreiter dar. Oder die dümmsten.

Jackson Rose, einer der neuesten Initiierten der königlichen Jagdgilde, stolperte über eine eisüberzogene Wurzel und fluchte, als er mit dem Gesicht voran im Schnee landete. Felix, ein erfahrener Veteran, warf mir einen entschuldigenden Blick zu und zog den jüngeren Jäger brummend an der Rüstung auf die Füße.

Meine Haut prickelte vor plötzlicher Aufmerksamkeit.

Dieses eine Zeichen der Erschöpfung war der Funke, an dem sich die Gewalt entfachen würde. Falls die Drachen bisher nicht gewusst hatten, wo genau wir uns befanden, war unser Überraschungsvorteil nun zunichtegemacht.

„Achtung!“, brüllte ich und richtete meinen Dolch himmelwärts, während ich vom Pfad heruntertrat und unter dem nächsten Nadelbaum haltmachte, um vor dem mit Sicherheit bevorstehenden Luftangriff geschützt zu sein.

Stumm zählte ich mit, mein Puls hämmerte.

Das Geräusch schlagender Schwingen verstummte.

„Macht euch bereit!“

Wie Kometen stürzten die gewaltigen Kreaturen vom Himmel auf uns herab. Die majestätischen Schwingen dicht an ihre großen, schuppigen Körper gepresst, stießen sie einer nach dem anderen zur Erde nieder, und ihre schiere Anzahl überraschte uns.

Der Wind heulte um ihre gewaltigen Leiber, und die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.

Der größte von ihnen donnerte knurrend vor mir zu Boden, und der Aufprall erschuf einen Krater im Schnee und der gefrorenen Erde darunter. Er verfehlte mich um Haaresbreite. Seine irisierenden Schuppen schillerten wie Diamanten, und sein Kiefer war mit einer Reihe schnappender Zähne bewehrt, groß und spitz wie Dolche.

Auf seiner Brust prangte eine gezackte Narbe.

Ich bleckte die Zähne zu einem animalischen Lächeln. Es war Silvanus, ein Drache, mit dem ich mich seit fast einem Jahrhundert maß und den ich als Schlüpfling aufgezogen hatte.

Diese Verbindung bedeutete auf dem Schlachtfeld jedoch nichts.

Wir passten im Kampf gut zusammen. Keiner von uns beiden gab sich leicht geschlagen.

Silvanus hatte das Temperament einer launischen Katze, also war er meinem Bruder Sloth durchaus nicht unähnlich. Er maß sich nur im Wettstreit, wenn ihm danach war, und ließ sich ansonsten nicht dazu herab.

Rasch warf ich meinen Jägern einen Blick zu. Fast jeder von ihnen stand seinem eigenen Drachen gegenüber, und sie alle trugen das gleiche wölfische Grinsen zur Schau, während sie sich mit ihren Gegnern maßen.

Ich konzentrierte mich wieder auf meinen eigenen Kampf und erlaubte mir, mich vom Rausch der Begeisterung mitreißen zu lassen.

„Bereit für einen Tanz, alter Junge?“, reizte ich ihn und versuchte, eine Lücke in seiner Deckung zu finden, um angreifen zu können.

Wer das erste Blut vergoss, hatte gewonnen. Zu Hause in meinem warmen Schloss warteten zwei Fässer Gewürzbier auf mich, und mir war danach, heute Abend meinen Sieg zu feiern, weit entfernt von dieser jämmerlichen Kälte, die meine Eier in ihrem eisigen Griff hielt.

Silvanus spie einen weißen Flammenstrom auf meinen linken Fuß und zwang mich dazu zurückzutänzeln. Um ein Haar hätte dieser Bastard meine liebsten Jagdstiefel ruiniert.

Ich deutete mit dem Dolch auf meine Füße. „Ein bisschen Respekt vor diesem feinen Leder, ja? Du schuppiger Heide.“

Im schwächer werdenden Licht glommen spitze Zähne auf, die Drachenversion eines Grinsens.

Ich lachte leise, als er die nächste Feuersbrunst entfesselte und dieses Mal auf meinen rechten Fuß zielte. Ich hatte ihn zu einem Tanz herausgefordert, und er ließ mich springen.

„Gut gespielt.“

Mein Grinsen verblasste. Mein Verlangen nach der Jagd, nach dem Sieg, gewann die Oberhand.

Ich trat vor, verengte die Augen, fasste einen Plan. Ich würde links antäuschen, ihn dann aber rechts erwischen und ihm direkt unter der Schnauze einen Kratzer versetzen. Er war breit und groß, und Wendigkeit war nicht gerade seine Stärke. Ein Vorteil für mich, der mir zum Sieg verhelfen würde.

Doch anstatt anzugreifen, blieb Silvanus stehen. Ein warnendes Knurren drang tief aus seiner Brust. Sein Blick war auf etwas über meiner Schulter gerichtet. Da ich fast zwei Meter groß war, glaubte ich nicht, dass er einen meiner Jäger ins Visier nahm.

Der Drache warnte mich vor etwas anderem.

Ich fuhr herum und entging nur knapp dem Angriff eines zweiten Drachen, der mir den Kopf abgerissen und mich getötet hätte, wenn ich sterblich wäre.

Mit einem Schlag verschwand alle Leichtigkeit. Ein Todesstoß war während unseres kleinen Spiels verboten, ungeachtet der Tatsache, dass ich nicht sterben konnte. Viele der anderen Jäger konnten es durchaus.

„Muss ich euch an den Pakt erinnern?“, zischte ich wütend und behielt beide Drachen im Auge.

Silvanus mochte mich einmal gewarnt haben, aber ich konnte nicht darauf vertrauen, dass er es ein zweites Mal tun würde. Genau wie Wölfe waren Drachen Rudelwesen. Sie würden ihrem Alpha folgen.

Silvanus neigte den Kopf, als Zeichen, dass er den Pakt ehrte.

Der andere Drache knurrte nur.

Früher einmal waren die Eisdrachen frei durch die Sieben Kreise gestreift und hatten nach Herzenslust Jagd auf Dämonen und andere Geschöpfe gemacht.

Während der dunkelsten Stunden unserer gemeinsamen Geschichte hatten die sieben Alphas der Rudel einen gemeinsamen Angriff geplant und eine blutgetränkte Schneise durch das Reich geschnitten. Sie waren der Schrecken aller gewesen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Geschöpfen jagten Eisdrachen nicht nur, um zu fressen. Sie töteten gern. Und sie hatten ihre finstersten Sehnsüchte an den Häusern der Sünde ausgelebt. Es hatte schreckliche Verluste gegeben.

Also hatte ich vor über hundert Jahren den ersten Friedensvertrag zwischen den Drachen und meinen Brüdern ausgehandelt. Unterstützt von einem Zauber konnten wir klar und deutlich mit den Drachen kommunizieren, und schließlich konnten wir uns auf gewisse Bedingungen einigen.

Wenn ich sie nicht zu einem bestimmten Anlass in meinen Kreis einlud, band der Pakt sie an den hohen Norden. An jenes brutale, fast vollkommen unberührte Land direkt oberhalb meines Reichs.

Sie hatten ihr Territorium in sieben Regionen eingeteilt, die jeweils von einem der Alphas regiert wurden. Wer ihre Alphas waren, verheimlichten sie uns, und sie behielten ihre Rudelgeheimnisse für sich, auch wenn ich den starken Verdacht hegte, dass Silvanus das Rudel anführte, mit dem wir am häufigsten Kontakt hatten.

Wenn von ihren Anführern die Rede war, sprachen die Drachen immer nur von „den Alphas“.

Wir hatten uns verpflichtet, uns nicht in ihre privaten Angelegenheiten einzumischen, solange sie sich gegenseitig nicht ernsthaft verletzten oder schadeten.

Im Gegenzug für ihre Einwilligung in den Pakt hatte ich zugestimmt, dass meine Jäger und ich jeden Monat eine Jagd zu sportlichen Zwecken arrangieren würden, um sie beschäftigt zu halten. Meine Brüder durften sich uns anschließen, wenn sie zuvor eine Anfrage an mein Haus der Sünde stellten.

Keinem von uns war es erlaubt zu töten.

Der neue Drache – Aloysius, vermutete ich wegen seines etwas dunkleren silberblauen Schwanzes – trat drohend einen Schritt näher, und seine schillernden Augen loderten.

Seine Klauen bohrten sich in den Boden und wühlten den Schnee auf.

Ein ungezähmtes Funkeln lag in seinem Blick.

Ich nahm meine Umgebung wieder wahr, wurde mir der vertrauten Kampfgeräusche bewusst. Rasch sah ich mich um – die anderen Drachen verhielten sich ganz normal, höchstens etwas wilder als sonst. Meine Jäger hatten gerötete Gesichter vom Adrenalin, und ihre Augen leuchteten bei jedem Treffer auf.

Trotzdem fühlte ich ein ungutes, warnendes Prickeln auf der Haut.

„Halt!“, rief ich und ließ den magischen Befehlston der Höllenfürsten in meiner Stimme mitschwingen.

Mein Bruder brach den Kampf ab, warf mir jedoch einen ungläubigen Blick zu, den Dolch nur wenige Zoll von der Kehle seines Drachen entfernt. Er hätte gewonnen. Stattdessen zwang ich ihn dazu zurückzuweichen.

Und der Dämon des Kriegs gab einen Kampf nicht so leicht auf.

Wrath schien drauf und dran zu sein, mir zu widersprechen, aber schließlich presste er die Lippen fest zusammen. Er war mit meiner Anweisung eindeutig nicht einverstanden, doch diese Entscheidung lag nicht bei ihm. Über diesen Kampf bestimmte ich.

Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir uns zurückziehen mussten.

Ich hatte gelernt, auf diesen inneren Alarm zu hören, da ich wusste, dass ich meine Arroganz ansonsten doppelt würde bezahlen müssen und dass dies nicht lustig werden würde.

Nachdem wir die Drachen den ganzen Tag durch einen Schneesturm verfolgt hatten, war ich genauso enttäuscht wie alle anderen auch, weil ich unser Spiel so früh beenden musste, aber vor allem musste ich uns hier fortbringen, bevor etwas entsetzlich schiefging.

„Jäger, Drachen.“ Ich nickte jeder Seite zu und klopfte mir dann zweimal mit der Faust auf die Brust. Ein Zeichen des Respekts und das Signal dafür, dass die Jagd tatsächlich vorbei war. „Guter Kampf.“

Ich sah Silvanus lange an, damit der Drache wusste, dass ich ihn bald zu mir rufen würde, um darüber zu sprechen, was beinahe geschehen war. Teil des Pakts war auch, dass er meiner königlichen Einberufung folgen musste. Seine geschlitzten Pupillen weiteten sich blitzschnell, und sein Schlangenkopf zitterte kaum wahrnehmbar, bevor er schließlich das Zeichen seines Einverständnisses gab.

Mir blieb keine Zeit, um über Silvanus’ seltsame Reaktion nachzudenken, da plötzlich ein animalisches Kreischen die Stille zerriss und Eis durch meine Adern jagte.

Ich fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie Wraths Eisdrache einen Satz nach vorn machte und das Maul weit aufriss, um sich auf seine Kehle zu stürzen.

Mein Bruder war gnadenlos schnell, doch sogar seine Hände fanden das Drachenmaul einen Sekundenbruchteil zu spät. Die Zähne des Drachen bohrten sich tief in Wraths Hals, und die Augen des Untiers rollten zurück, als es der Blutgier erlag.

Goldenes Götterblut sprudelte aus Dutzenden Wunden, während der Drache meinen Bruder schüttelte und ihm dann mit einem heftigen Ruck die Kehle herausriss.

Einen langen und grässlich gespannten Moment herrschte Stille, während Wrath langsam auf die Knie sank und ein Sturzbach aus Blut aus seiner Wunde floss. Wie eingefroren vor Entsetzen starrten die Jäger jene Stelle an, an der Wraths Kehle sein sollte.

Es war so blitzschnell geschehen, dass nicht mal mir mit meiner übernatürlichen Kraft und Geschwindigkeit Zeit zum Reagieren geblieben war.

Ich holte tief Luft, und mein innerer Dämon rüttelte an den Gitterstäben. Mein Bruder war alles andere als ein geringer Gegner, und dieser Angriff ging weit über das erste Blutvergießen hinaus, das die Regeln vorschrieben. Das würde nicht ungestraft bleiben.

Zuerst aber musste ich dafür sorgen, dass meine Dämonen das nun Folgende überlebten.

Die Jäger standen vollkommen reglos da, und der scharfe Gestank von Urin hing in der Luft. Dies waren einige der Tapfersten in meinem Kreis, doch sie hatten Todesangst. Wenn ein Prinz so brutal zu Fall gebracht werden konnte, dann hatten sie keine Chance zu überleben.

Bis zu diesem Moment hatten sich die Drachen während unseres Spiels immer zurückgehalten. Die Jäger hatten nie die volle Macht dieser Kreaturen zu spüren bekommen, doch wir wussten, dass es auf einmal kein Spiel mehr war.

Mein Bruder warf mir einen wütenden Blick zu, und in seiner Miene las ich alles, was ich wissen musste, während das Licht in seinen Augen langsam erlosch.

Ich nickte ihm zu, ein Zeichen, dass ich verstanden hatte. Ich war bereit.

Ich packte meinen Dolch fester und wartete.

In dem Moment, in dem mein Bruder fiel, brach das Chaos los.

Als wäre ein unsichtbares Band zerrissen, fielen die Drachen alle gleichzeitig über uns her.

Sie griffen an.

Schnelle Autos, traumhafte Reisen und höherschlagende Herzen

Blick ins Buch
Cross the Line – Auf der Rennstrecke kämpft er um den Sieg, im Leben um ihr HerzCross the Line – Auf der Rennstrecke kämpft er um den Sieg, im Leben um ihr Herz

Roman

Platz 1 für die Liebe

Devs Karriere als Formel-1-Fahrer steht auf dem Spiel. Nach einem Skandal ist sein Image ruiniert, und nur eine kann es retten: Willow. Doch sie ist die Schwester seines besten Freundes, und seit er sie geküsst hat, denkt er ständig an sie. Als Dev Willow bittet, seine Social Media-Managerin zu werden, kann sie nur zusagen, sucht sie doch ihren Traumjob im Sportmarketing. Dafür muss sie aber die Gefühle für ihn ignorieren. Willow und Dev wollen professionell sein, ungeachtet der glühenden Chemie zwischen ihnen. Doch in der rasanten Welt der Formel 1 muss man manchmal Grenzen überschreiten ...

Prolog

Dev

Oktober – Austin, Texas

Ich hab’s vermasselt. Oje, und wie ich es vermasselt habe.

Mein Renningenieur ertönt in meinem Ohr und stellt mir Fragen wie „Was ist passiert?“ und „Alles okay?“ und – am wichtigsten: „Wie groß ist der Schaden am Wagen?“. Ich muss ihm antworten, muss ihm und dem Team versichern, dass ich bei Bewusstsein bin, nachdem ich über den Schotter geschlittert bin und mit fast hundertsechzig Stundenkilometern eine Absperrung gerammt habe.

Für den Moment müssen sie sich auf die Computerbildschirme an der Boxenmauer verlassen, die meinen Pulsschlag anzeigen, denn ich kann keine Worte formen, um es ihnen mitzuteilen. Nicht weil körperlich irgendetwas mit mir nicht stimmt. Mein Gehirn ist einfach … nicht präsent. Es nimmt sich einen Tag frei. Ist gerade beim Lunch. Und das liegt nicht am Unfall.

„Dev?“, durchbricht Brannys Stimme, die selbst über den Funk ernsthaft besorgt klingt, den Nebel. „Kannst du mich hören? Bist du okay? Ich wiederhole: Bist du okay?“

„Mir geht’s gut“, presse ich hervor, wobei ich noch immer das Lenkrad umklammere. Wahrscheinlich sind meine Fingerknöchel unter den Handschuhen weiß. „Aber der Wagen ist hinüber. Tut mir leid, Leute. Das geht auf meine Kappe.“

Wie jeder gute Ingenieur wird er wissen wollen, wo das Problem lag, aber ihm ist klar, dass es besser ist, mich nicht über den Boxenfunk zu fragen, wo es alle Welt hören kann. Die Unterhaltung muss bis zum Debriefing warten, bei dem ich von unserem Geschäftsführer, unserem Teamchef und meinem leitenden Mechaniker einen Einlauf bekommen werde. Den habe ich auch verdient, denn es war tatsächlich meine Schuld.

Es lag nicht am Wagen, am Belag der Rennstrecke, an einem anderen Fahrer oder an den Wetterverhältnissen. Nein, ich habe hinter dem Steuer eine Todsünde begangen.

Ich war abgelenkt.

Es hätte nicht passieren dürfen. Das ist in all meinen Jahren als Rennfahrer bisher nicht einmal vorgekommen, und ganz bestimmt nicht in meinen letzten fünf Jahren als Formel-1-Fahrer. Noch nie bin ich mit den Gedanken derart abgeschweift, dass der hintere Teil des Wagens unkontrolliert ausgeschert ist. Ich hatte kaum Zeit, zu reagieren, ehe ich mit voller Wucht gegen die Absperrung geprallt bin.

„Stell den Motor ab und komm zurück in die Box“, weist mich Branny an.

Bevor ich noch mehr Fehler mache, gehorche ich. Schon jetzt kann ich mir vorstellen, was die TV-Kommentatoren über die möglichen Gründe meines Unfalls zu sagen haben. Ich kann sie förmlich hören: Es ist zwar wahnsinnig enttäuschend, aber das Wichtigste ist, dass es ihm gut geht.

Doch es geht mir nicht gut. Davon bin ich weit entfernt. Ich habe es gehörig vermasselt – und damit meine ich nicht den Unfall.

Selbst während ich aus dem geschrotteten Wagen klettere und mich von dem millionenschweren Schaden entferne, kann ich nicht aufhören, daran zu denken. Wenn ich ehrlich zu mir bin, kommen die Dinge vielleicht nie wieder in Ordnung.

Denn ich habe gestern Abend Willow Williams geküsst. Ich bin ein toter Mann.


Kapitel 1

Willow

Sieben Monate später, Mai – New York City

Fast hätte ich meine Wohnung in Brand gesetzt. Schon wieder.

Macarons zu machen, sollte nicht derart schwer sein. Sie sind klein und niedlich, und laut Rezept werden ausgesprochen simple Zutaten benötigt – lediglich Eiweiß, Mandelmehl und Zucker. Also warum, oh warum, kann ich nicht mal ein Blech zubereiten, ohne die Sache vollkommen in den Sand zu setzen?

„O nein, o Shit“, murmele ich, während ich nach dem Ofenhandschuh auf der Arbeitsplatte greife und das mittlerweile qualmende Gebäck heraushole. Laut Timer sollten die Macarons erst in fünf Minuten fertig sein, dennoch sind sie jetzt schon fast vollkommen verkohlt. Entweder war im Rezept die falsche Temperatur angegeben, oder mein Ofen stammt geradewegs aus der Hölle. Ich tippe auf Letzteres.

Ich will unbedingt die berühmten klassischen Macarons aus Stella Margaux’ Bakery nachbacken, da die einzige Filiale in New York City schon seit einem Monat wegen Renovierungsarbeiten geschlossen hat und ich ohne das Gebäck nicht leben kann. Die Nachricht über die Schließung hat ausgereicht, um mich erwägen zu lassen, zurück an die Westküste zu ziehen, wo es praktisch an jeder Ecke ein Stella’s gibt. Aber wenn ich in den nächsten zwei Monaten keinen Job finde, bleibt mir vielleicht ohnehin nichts anderes übrig, als nach San Diego zurückzukehren und wieder bei meiner Familie zu wohnen.

Ich kam vor vier Jahren nach New York, um ans College zu gehen, eigentlich mit dem Vorhaben, vielleicht für den Rest meines Lebens hierzubleiben. Das Studium haben mir meine wundervollen Eltern unter der Bedingung finanziert, dass ich nach dem Abschluss mein eigenes Geld verdiene. Sie hätten zwar in Wahrheit kein Problem damit, mich auch weiterhin zu unterstützen, und könnten es sich auch leisten, aber mir geht es ums Prinzip. Ich habe ein Versprechen gegeben und vor, es zu halten, nur habe ich nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde.

Am College riss ich mir den Allerwertesten auf, studierte als Hauptfächer Kommunikationswesen und Sportmarketing, als Nebenfach Englisch und machte jedes Semester ein neues Praktikum. Bei all der Erfahrung, dachte ich, würde es ein Leichtes sein, einen Vollzeitjob in der Marketingabteilung eines professionellen Sportvereins zu finden – mein absoluter Traumjob. Doch nach Dutzenden Bewerbungen, auf die ich keine Antwort erhielt, nach Vorstellungsgesprächen, die mich nie in die zweite Runde brachten, und niemals enden wollenden „Wir melden uns“-Lügen bin ich immer noch arbeitslos. Es wäre weitaus schlimmer, wenn ich bereits vor Jahren meinen Uniabschluss gemacht hätte und nicht erst letzte Woche, aber ich bewerbe mich schon seit Monaten auf Stellen, in der Hoffnung, längst Arbeit zu haben, wenn mir mein Diplom überreicht wird.

Ha. Der Schuss ging nach hinten los, denn nun stehe ich ohne Job, mit einer dahinschwindenden Summe auf meinem Bankkonto und einer zweistündigen Fahrt bis zur nächsten Stella-Margaux-Filiale da. Ich führe also nicht das Leben, das ich mir erträumt hatte. Aber wenigstens habe ich bisher nicht aufgegeben.

„Was verbrennt denn hier?“, fragt Chantal, die im Türrahmen steht und angesichts des Gestanks das Gesicht verzieht.

Seufzend setze ich mich in Bewegung, um das Fenster zu öffnen, wobei ich meiner Mitbewohnerin über die Schulter einen Blick zuwerfe. „Meine Hoffnungen und Träume.“

„Hab ich mir schon gedacht. Riecht fürchterlich.“

Das kann ich nicht bestreiten.

„Ist schon der vierte Versuch, den ich heute in den Sand setze“, beklage ich mich, während ich zu ihr schlurfe. Da ich Trost brauche, lege ich meine Schläfe an ihren Oberarm – nicht an ihre Schulter, da ich nur eins zweiundfünfzig bin und sie ein ein Meter fünfundachtzig großer Engel ist. „Die erste Ladung war nicht süß genug. Die zweite war so platt wie Crêpes. Die dritte war nicht gar, und diese hier …“

„Steht in Flammen.“

„Ist angebrannt“, korrigiere ich, löse mich von ihr und bedenke sie mit einem warnenden Blick. Allerdings kann ich ihr nicht allzu böse sein, denn kurzzeitig brannten sie tatsächlich. „Ich bekomme es einfach nicht hin, aber weiß nicht, was ich falsch mache.“

„Gönn dir eine Pause“, befiehlt Chantal. Ihr Tonfall ist entschieden, doch es schwingt auch Fürsorge darin mit. „Du kannst es morgen noch mal probieren.“

Natürlich hat sie recht, also werde ich mich zusammenreißen, mich aufraffen und einen neuen Versuch wagen, genau wie ich es immer tue. Doch ihr ist klar, dass mein Frust nicht nur etwas mit den Macarons zu tun hat. Sie weiß, wie sehr ich mir ein perfektes Leben wünsche und wie schwer es mir zusetzt, dass ich Schwierigkeiten habe, dieses Ziel zu erreichen. Da sie schon seit unserem Freshman-Jahr am College meine Mitbewohnerin ist, hat sie viele Höhen und Tiefen miterlebt und weiß alles über meine Hoffnungen und Träume. Ich kann von Glück reden, dass sie ihr Traumjob als Finanzanalystin – das muss man sich mal vorstellen – in New York hält, denn ich weiß nicht, was ich ohne sie tun würde.

„Ich bestell uns was zu essen, damit niemand dieses Katastrophengebiet betreten muss“, verkündet sie nun und zieht ihr Telefon aus der hinteren Tasche ihrer Jeansshorts, die ihre langen dunkelbraunen Beine zur Schau stellt. „Und jetzt guck endlich mal auf dein Handy, okay? Es vibriert ununterbrochen in deinem Zimmer und treibt mich in den Wahnsinn.“

Ich schenke ihr ein verlegenes Lächeln. „Sorry. Ich wollte mich nicht ablenken lassen, deshalb hab ich es nicht mit in die Küche genommen.“

Verschmitzt zieht sie eine Augenbraue hoch. „Du meinst, du wolltest nicht riskieren, es noch mal in die Teigmischung fallen zu lassen.“

Mein Gesicht brennt angesichts der Erinnerung an den erwähnten Backversuch. „Das ist nur einmal passiert!“

Sie wirft sich ihre Braids über die Schulter, während sie aus der Küche schlendert, wobei die kleinen Perlen an den Haarspitzen klickend aneinanderstoßen. Letzte Woche habe ich ihr dabei geholfen, sie auszuwählen; das Gold und das kräftige Azurblau passen perfekt zum wärmer werdenden Wetter und sind außerdem ihre letzte Chance, ein paar auffälligere Töne zu tragen, bevor sie ihren neuen Job antritt und sich eine „professionell“ wirkende Frisur zulegen muss. Es wäre toll, wenn die Welt endlich damit aufhören könnte, uns Schwarzen Frauen zu erzählen, was in Bezug auf unser Haar angemessen ist, aber dieser Tag ist noch nicht gekommen.

Seufzend löse ich meine Schürze und hänge sie an den Haken neben dem Fenster. Die pastellrosa Baumwolle flattert in der warmen Brise und verspottet mich und mein Versagen. Ich würdige die verkohlten Macarons keines weiteren Blickes, als ich die Küche verlasse und durch den schmalen Flur zu meinem Zimmer tapse.

Als ich an Grace’ offener Tür vorbeikomme, höre ich Gesprächsfetzen ihres Telefonats. Das gelegentliche Ächzen und die (sehr wenigen) Worte auf Kantonesisch, die ich dank dem, was sie mir über die Jahre beigebracht hat, verstehe, verraten mir, dass sie mit ihrer Mutter spricht. Wahrscheinlich versichert sie ihr, dass sie morgen nicht ihren Flug nach Hongkong verpassen wird, so wie es ihr bereits zweimal passiert ist.

Sie winkt mir mit den Fingern zu, als ich vorbeigehe, und ich schenke ihr einen Luftkuss, ehe ich in mein Zimmer nebenan husche. Die Sonne scheint durch meine Gardinen herein und wirft Schatten auf meinen Schreibtisch. Darauf liegt mein Handy eingekeilt zwischen ein paar Hautpflegeprodukten und einem Becher voller Glitzergelstifte. Das Display ist dunkel, aber als ich es hochhebe, sehe ich eine Reihe von Nachrichten und verpassten Anrufen, alle von meinem Bruder.

Die meisten Leute würden davon ausgehen, dass es irgendeinen Notfall gibt, aber für Oakley ist das nicht ungewöhnlich. Wenn er mich – oder irgendeine andere Person – beim ersten Versuch nicht erreicht, ruft er so lange an und schickt Nachrichten, bis ich drangehe. Diese Art von Aufdringlichkeit ist bei ihm Standard.

Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, eine der zwanzig Nachrichten zu lesen. Wahrscheinlich handelt es sich ohnehin nur um Emojis und die wiederholte Aufforderung: Geh ran!!!! Stattdessen tippe ich seinen Namen an, halte mir das Telefon ans Ohr und lasse mich auf meine zerknitterte Bettdecke fallen, wobei ich durch das Fenster zu dem Backsteingebäude auf der anderen Straßenseite schaue.

„Das hat aber lange gedauert“, murrt Oakley, als er drangeht.

„Ich war beschäftigt“, sage ich ausweichend. Wenn ich ihm mein Backdesaster gestehe, wird er mich ewig damit aufziehen. „Was gibt’s?“

„Willst du nach Monaco?“

Noch etwas, das typisch für meinen Bruder ist – er redet nicht um den heißen Brei herum.

Obwohl ich daran gewöhnt bin, bringt mich die Frage aus dem Konzept. „Monaco?“, wiederhole ich. „Das Land?“

„Ja, Willow, das Land“, antwortet er ironisch. „Sei nicht so schwer von Begriff.“

Ich verdrehe die Augen und zeige ihm innerlich den Mittelfinger. „Gott, ich hab ja nur nachgefragt.“

„Also?“ Ich kann mir ausmalen, wie er dabei ungeduldig mit der Hand eine kreisende Bewegung in der Luft vollführt. „Hast du Interesse oder nicht?“

„Ich meine, ja“, erwidere ich, obwohl ich dem Angebot nicht ganz traue. „Wer hätte das nicht? Aber warum fragst du überhaupt?“

„Weil ich nächste Woche hinfliege und dachte, dass du mich vielleicht begleiten willst. Außerdem ist es ein Rennwochenende und …“

Ich unterbreche ihn mit einem Schnauben. „Ich hätte wissen müssen, dass es um Motorsport geht.“

Als Teenager drehte sich das ganze Leben meines Bruders um Kartsport, was zu einer erfolgreichen, aber kurzen Karriere in der Formel 3 führte. Am Ende gab er das Fahren auf, um ein „normales“ Leben zu führen und ans College zu gehen. Ich persönlich hätte mir die Chance, professionelle Sportlerin zu werden, niemals entgehen lassen, aber das ist der Unterschied zwischen Oakley und mir – er hatte Optionen im Leben. Ich nicht.

„Und“, fährt Oakley fort, „meine Firma organisiert ein riesiges Event. Da dachte ich mir, du willst dich vielleicht ein bisschen mit den Fahrern unterhalten und dir dann das Rennen vom Fahrerlager aus ansehen. Dank SecDark hab ich Tickets.“

Unter „normal“ verstand Oakley, am College Cybersecurity zu studieren. Während des Herbstsemesters seines Senior-Jahres wurde er von einem der führenden Unternehmen der Branche, SecDark Solutions, rekrutiert und arbeitet seitdem dort. Das Unternehmen läuft so gut, dass es seit Kurzem auch diverse Sportmannschaften und Athleten sponsert, darunter ein Formel-1-Team, was auch die Party und die Fahrerlagerpässe erklärt. Wäre ich nicht so stolz auf meinen Bruder, weil er sich in einem aufsteigenden Unternehmen derart hochgearbeitet hat, wäre ich höllisch neidisch. Doch da sein Erfolg auch mir Vorteile verschafft, kann ich mich nicht darüber beschweren, dass er besser ist als ich.

„Ich weiß, dass du Probleme hast, einen Job zu finden“, sagt er, ehe ich weitere Fragen zu dem Event stellen kann, „aber es könnte eine gute Gelegenheit für dich sein, ein paar Kontakte zu knüpfen. Du hast deinen Sportmarketing-Traum doch noch nicht aufgegeben, oder?“

Ich drehe mich auf die Seite und ziehe meine Knie an die Brust. Oakleys Behutsamkeit beschämt mich mehr, als wenn er sich darüber lustig machen würde, dass ich immer noch arbeitslos bin.

Eine Karriere in der Sportbranche war schon immer mein Traum. Als Kind mochte ich Baseball und Basketball, liebte es, mit Oakley und unserem Vater zu Spielen zu gehen, liebte die elektrisierende Energie der Menge, die für ihre Mannschaft jubelte. Ich war von der Sekunde an begeistert, in der mein Dad mich an die Hand nahm und zum ersten Mal in ein Stadion führte. Danach gab es kein Zurück mehr. Ich wollte wie die Leute auf dem Spielfeld sein, wollte zu den Bases rennen und Halbfeldwürfe versenken. Ich wollte, dass die Menschen auf den Tribünen meinen Namen sangen, wollte, dass er durch das Stadion schallte und in den Herzen der Fans pochte.

Leider hielt mich mein Körper davon ab, diesen Traum Realität werden zu lassen. Obwohl es Jahre und unzählige Arztuntersuchungen dauerte, um die Diagnose Hypermobilität zu erhalten, wusste ich schon früh, dass ich anders war als die meisten Kinder. Meine Baseball-Karriere endete, nachdem ich mir bei meinem ersten Training die Schulter auskugelte, und Basketball stand sowieso vollkommen außer Frage, da meine schwachen Kniegelenke den Sprints und Stoppbewegungen nicht standhielten. Sportlerin zu werden, war für mich einfach keine Option.

Nachdem ich also jahrelang zugesehen und gelernt hatte, kam ich zu dem Schluss, dass Sportmarketing das Beste für mich wäre. Auf diese Weise könnte ich immer noch in die Welt eintauchen, die mir Freude bereitete, und diese Freude auch mit anderen teilen. Zumindest wenn ich einen Job finden würde.

„Nein, ich habe nicht aufgegeben“, antworte ich seufzend. „Ich warte noch auf Rückmeldung von ein paar Firmen.“

„Dann kannst du in der Zwischenzeit mit nach Monaco kommen“, drängt er weiter. „Wie gesagt, das Event ist perfekt für Networking. Oder meinetwegen kannst du es auch einfach als Urlaub auf meine Kosten betrachten. Eine Kombination aus Abschluss- und verfrühtem Geburtstagsgeschenk.“

„Alles in einem?“, frage ich gedehnt. „Wow, du bist zu gütig.“

„Okay, um ehrlich zu sein, biete ich es dir an, weil Mom mich beschwatzt hat.“

„Also sollte ich eigentlich ihr danken statt dir?“

„Auslegungssache“, erwidert er geringschätzig. Dann macht er weiter mit seinen Überredungsversuchen. „Denk doch mal darüber nach, welche Leute du da kennenlernen wirst. Weißt du, wie viele Fahrer mit ihren Teams auf der Party sein werden? Wenn du bis zum Ende des Abends kein Jobangebot hast, mache ich einen Kopfsprung von den Klippen ins Meer.“

Ich kichere. „Das tust du auch, wenn ich ein Jobangebot bekomme.“ Wir beide haben das Adrenalin-Junkie-Gen geerbt, doch ich bin so schlau, diese Veranlagung nicht auszuleben.

„Wahrscheinlich“, stimmt er mir zu. „Aber mal im Ernst, Wills. Es ist eine tolle Chance. Und du musst keinen Finger krumm machen. Ich regele alles.“

Ich drehe mich auf den Rücken und studiere die Zimmerdecke, wobei ich den Saum meines Sommerkleides zwischen zwei Fingern zwirbele. „Du versprichst mir, dass es sich lohnt?“, hake ich nach, obwohl längst Aufregung in meiner Brust flattert. „Ich will nicht zu lange weg sein und ein mögliches Vorstellungsgespräch verpassen.“

„Ich verspreche es. Du kannst am Mittwoch kommen und am Montagmorgen wieder zurückfliegen.“

Langsam stoße ich die Luft aus und denke darüber nach. Er hat recht – es könnte eine ausgezeichnete Gelegenheit sein, Kontakte zu knüpfen. Und wer würde nicht gern ein paar Tage an einem der coolsten Orte der Welt verbringen? Wie käme ich dazu, eine kostenlose Reise abzulehnen?

„Okay, na schön“, platze ich heraus, ehe ich es mir anders überlegen kann. „Ich komme mit nach Monaco.“


Kapitel 2

Dev

Monaco

Ich bin mir ziemlich sicher, dass alle auf der Party denken, ich hätte eine Geschlechtskrankheit.

Um das klarzustellen: Die habe ich nicht, und ich habe auch noch nie eine gehabt, ungeachtet meiner Ausschweifungen, über die die Presse so gern berichtet. Das Gerücht habe ich meiner Social-Media-Managerin – mittlerweile Ex-Social-Media-Managerin – zu verdanken, die ihren Job gekündigt hat, indem sie der Welt auf all meinen Online-Plattformen verkündete, dass ich das neue Gesicht des Schnelltest-Kits für Geschlechtskrankheiten der Marke IYK Quick Results sei. Dazu schrieb sie in meinem Namen, dass ich ohne den Test niemals so schnell herausgefunden hätte, dass ich Chlamydien habe, dass sich aber niemand Sorgen machen müsse, da ich nun in Behandlung sei, auch wenn ich leider eine Variante erwischt hätte, die resistent gegen Antibiotika ist. Manche Menschen hätten nun mal einfach Pech.

Die Posts haben der Firma geholfen, aber was mich betrifft … Ich hatte seit sechs Wochen keinen Sex mehr, und die meisten hier anwesenden Frauen schauen mich nicht mal an. Es ist ein gottverdammtes Desaster.

Ich weiß, dass ich sie wegen Rufmord verklagen könnte, aber der Schaden lässt sich ohnehin nicht rückgängig machen, und ich habe kein Interesse daran, Jani aus Rache zu verletzen. Nach vorn zu blicken, scheint mir momentan das Beste zu sein. Und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, könnte es durchaus sein, dass ich ihre Aktion verdient hatte, nach allem, was sie durchmachen musste, während sie für mich arbeitete. Ich war nicht der einfachste Kunde, aber wer zur Hölle will schon, dass die ganze Welt jedes Detail seines Lebens mitansieht? Dennoch bestand Jani jeden Tag aufs Neue darauf, bis ich schließlich ausgetickt bin. Leider brachte dies im Gegenzug sie zum Austicken. Nun ist mein Ruf ruiniert, mein Team zeigt mir die kalte Schulter, und es wird gemunkelt, dass meine Sponsoren der Ansicht sind, ich sei nicht mehr die richtige Person, um sie zu repräsentieren. Aber ich darf sie – und das Geld – nicht verlieren, denn sonst verliere ich meinen Job bei Argonaut Racing.

„Gott, nun guck doch nicht so. Du vergraulst ja alle Frauen.“ Mark nippt neben mir unschuldig an seinem Champagner.

Sein Smoking passt ihm kaum noch, obwohl ich versucht habe, ihn zu überreden, sich einen neuen zu kaufen. Die Nähte seines Jacketts spannen an den Schultern, und die Knöpfe dehnen sich über seinen Brustmuskeln. Sie könnten jeden Moment abspringen und Menschen innerhalb der Gefahrenzone erblinden lassen. Man erkennt auf den ersten Blick, dass der Typ in der Fitnessbranche arbeitet, und er genießt es eindeutig, seinen Körper zur Schau zu stellen. Wäre er nicht mein Perfomance Coach und bester Freund seit dem Kindergarten, würde ich ihn für einen Arsch halten.

„Wie gucke ich denn?“, frage ich herausfordernd und hebe mein eigenes Champagnerglas, um es in einem Zug zu leeren. Ich wische mir mit dem Handrücken über den Mund, ehe ich fortfahre. „So als ob meine Karriere auf dem Spiel steht und mich niemand flachlegen will?“ Denn danach fühlt es sich an.

Ich habe zu hart dafür gearbeitet, an den Punkt zu gelangen, an dem ich mich aktuell befinde, und ich will die Formel 1 nicht verlassen, ehe ich selbst dazu bereit bin. Ist Argonaut Racing der beste Rennstall? Wohl kaum. Aber wenn ich es aus dem Mittelfeld hinausschaffen und Teil eines der besten Teams werden will, bleibt mir für den Moment nichts anderes übrig.

Jeder Fahrer wünscht sich, eine Weltmeisterschaft zu gewinnen, und meine Chance, dies jemals zu erreichen, hängt von der Leistung ab, die ich jetzt erbringe. Ich war schon in jungen Jahren im Jugendförderprogramm von Argonaut, und da ich noch nie für einen anderen Rennstall gefahren bin, bin ich ihnen weitgehend treu; doch ich kann nicht für immer bei ihnen bleiben, wenn ich jemals gewinnen will. Und ja, es ist optimistisch, an einen Titel zu denken, obwohl ich noch kein einziges Formel-1-Rennen gewonnen habe, aber ich bin nun mal ein Dummkopf mit großen Träumen.

Das Problem ist, dass diese Träume scheinbar mit jedem Tag mehr außer Reichweite rücken. Wenn nicht gerade die NASA beginnt, die Boliden für Argonaut zu entwerfen, werde ich niemals einen Titel holen – und ganz gewiss nicht, solange Zaid Yousef und Axel Bergmüller weiter um den Sieg kämpfen, ganz egal, welchen Wagen ich fahre. Ehrlich gesagt wäre ich bei meinem aktuellen Team sogar schon froh darüber, Dritter oder Vierter zu werden, aber das ist vermutlich ebenso wahrscheinlich, wie dass morgen die Sonne explodiert.

Für den Moment ist meine Priorität, in der Formel 1 zu bleiben, bis ich beweisen kann, dass ich in die oberen, oberen Ränge dieses Elitesports gehöre. Ich muss nur Ruhe bewahren und so gute Leistungen erbringen, dass die Bosse der besten Rennställe auf mich aufmerksam werden. Zaid sollte innerhalb der nächsten zwei Jahre seine Karriere beenden, also muss sich Mascort Gedanken um einen Ersatz machen. Oder vielleicht entscheiden auch Specter Energy, dass sie einen zweiten Fahrer brauchen, der Axel unterstützt, und wenn dem so ist, will ich ihr Mann sein. Das wird mir zwar nicht den Titel einbringen, hinter dem ich her bin, aber ich werde meinem Ziel einen Schritt näher kommen.

Nichts von alledem wird jedoch geschehen, wenn ich meine Sponsoren verliere und Argonaut meinen Vertrag verkürzt – was ich Janis Abschiedsgeschenk zu verdanken hätte. Mein Team mag sich vielleicht nicht hauptsächlich auf das Geld verlassen, das ich einbringe, aber niemand will einen Fahrer, der nicht mehr als Talent mitbringt. Das ist zwar eindeutig scheiße, aber so funktioniert unsere kleine Welt nun mal.

Nach dieser Saison stehe ich noch ein weiteres Jahr unter Vertrag, und wenn ich ihre Erwartungen nicht erfülle – oder sogar übertreffe … Verdammt, wenn ich zu lange darüber nachdenke, verkrieche ich mich vielleicht noch im nächstbesten Loch und komme nie wieder heraus.

„Du wirst schon wieder flachgelegt werden, Dev, das verspreche ich dir“, versichert mir Mark. „Aber nur, wenn du endlich aufhörst rumzuheulen.“

Mir entgeht nicht, dass er den ersten Teil meiner Aussage unkommentiert lässt. Ich bin nicht der Einzige, der sich Sorgen um meine Zukunft in der Formel 1 macht.

„Ich heule nicht rum“, murmele ich. Doch er hat natürlich recht. Ich heule sehr wohl rum. Eigentlich bin ich – und war schon immer – der Typ mit dem Dauerlächeln, nicht der Mürrische. Es sieht mir nicht ähnlich. „Ich bin einfach gestresst, okay? Es ist ein wichtiger Abend.“

Oder besser gesagt eine wichtige Woche. Heute Abend muss ich unter Beweis stellen, dass ich eine Bereicherung für die Welt der Autorennen darstelle, kein Risiko. Morgen muss ich den ganzen Tag für die Presse grinsen und so tun, als würde ich meinen Teamkollegen nicht hassen. Dann muss ich beim Freitagstraining eine gute Zeit machen, am Samstag besser als P 10 abschließen – sonst hole ich auf einer Strecke wie in Monaco, auf der es fast unmöglich ist, zu überholen, auf keinen Fall Punkte – und so fahren, als würde mein Leben davon abhängen.

Und das tut es in gewisser Weise auch.

„Du wirst die Sache schon durchstehen.“ Mark klingt zwar überzeugt, doch ich weiß, dass auch er seine Zweifel hat. „Und wenn du mir nicht glaubst“, er deutet mit dem Kopf zum anderen Ende des Raumes, „frag Oakley. Du weißt ja, dass er immer Klartext spricht.“

Ich folge Marks Blick und entdecke unseren Freund am Eingang des Ballsaals, wo er Hände schüttelt und auf Schultern klopft.

Dem Himmel sei Dank. Es kommt mir vor, als hätte ich Jahre darauf gewartet, dass dieser Spinner endlich auftaucht, um mich davor zu bewahren, mich auf diesem steifen Sponsoren-Event zu Tode zu langweilen.

Oakley kenne ich bereits mein ganzes Leben. Unsere Familien waren schon Nachbarn, bevor ich auf die Welt kam, und wir beide haben früher zusammen Kartsport betrieben. Wir sind die Gründungsmitglieder des Awkward White Dads Club, denn seine Mutter ist Schwarz, meine ist Inderin, und unsere Weißen Väter haben sich deshalb so gut verstanden, weil ihre Söhne aufgrund ihrer Hautfarbe nie richtig in die Welt des Motorsports passten. Außerdem sind unsere Väter die unbeholfensten Menschen der Welt. Beide sind Nerds, aber wenn man bedenkt, welchen Job Oakley mittlerweile ausübt, rangiert er selbst ziemlich weit oben auf der Nerd-Skala.

Ich muss also nicht erwähnen, dass wir schon seit Ewigkeiten befreundet sind. Und das alles habe ich letztes Jahr beinahe von jetzt auf gleich zunichtegemacht, indem ich seine Schwester geküsst habe.

Eilig verdränge ich die Erinnerung aus meinem Kopf, damit sie sich nicht erneut dort einnisten und Wurzeln schlagen kann. Ich weiß, dass ich ihr nicht wieder nachhängen darf – denn das habe ich bereits getan und teuer dafür bezahlt. Auf keinen Fall will ich zulassen, dass meine Freundschaft mit Oakley darunter leidet; es war ein einmaliger Fehler, der sich niemals wiederholen darf. Mittlerweile bin ich schlauer.

Ehe ich mich in Oakleys Richtung in Bewegung setzen kann, stellt sich mir mein Agent in den Weg. Grandios.

Mark, dieser Idiot, schafft es, an dem finster dreinblickenden Mann vorbeizutreten, grinst mich schadenfroh an und hebt in einer ironischen Geste sein leeres Champagnerglas. „Bis später, Kumpel“, ruft er mir zu, bevor er davonschlendert.

Ein paar Schritte hinter meinem Agenten steht ein genervter Chava, die Hände an beiden Seiten zu einer „Ich hab’s versucht“-Geste erhoben. Gewiss hat mein Assistent sein Bestes gegeben, aber Howard Featherstone ist nicht aufzuhalten, wenn seine Mission darin besteht, mir das Leben zur Hölle zu machen.

„Howard!“, rufe ich, wobei ich mein Markenzeichen-Lächeln aufsetze und Begeisterung vortäusche. Ich wusste, dass er heute Abend kommen würde, hatte allerdings gehofft, dass ich ihn noch ein wenig länger meiden könnte. „Wie geht’s dir, verdammt?“

„Mir ging es schon besser, Dev“, erwidert er tonlos und mustert mich aus seinen kalten grauen Augen. „Aber ich glaube, das weißt du.“

Am liebsten würde ich mir die Finger in die Ohren stecken, um ihn zu ärgern, aber ich muss mir in Erinnerung rufen, dass ich ein fünfundzwanzigjähriger Mann bin – die angemessene Reaktion in meinem Alter wäre, ihm zu sagen, dass er zur Hölle fahren soll.

Zum Glück habe ich genügend Übung im Umgang mit der Presse, dass ich in der Öffentlichkeit von beiden Möglichkeiten absehe, mich stattdessen um eine verständnisvolle Miene bemühe und ernst nicke.

„Verständlich“, sage ich. „Die letzte Zeit war hart.“

Er beäugt mich misstrauisch, wahrscheinlich, weil er merkt, dass ich ihm etwas vorspiele. Doch er wird es mir nicht vorhalten, denn das könnte uns vom Thema abbringen. „In der Tat. Und es wird höchste Zeit, die Sache wieder geradezubiegen. Damit hätten wir längst beginnen können, wenn du meine Anrufe nicht ignoriert hättest.“

Ich lache und fahre mir in einer gespielt verlegenen Geste durch das Haar, obwohl ich nicht widerstehen kann, meinen Mittelfinger ein wenig zu heben, als ich die Hand wieder an meine Seite fallen lasse. Ich wollte nicht mit ihm reden, weil ich wusste, was er sagen würde. Du musst die Sache geradebiegen, Dev. Engagier jemanden, der dein Image wiederherstellt. Beauftrage ein ganzes PR-Team. Lass dich von ihnen in einen Roboter verwandeln. Lass dir von ihnen das Leben aussaugen.

„Tut mir leid“, erwidere ich unaufrichtig. „Die letzten Wochen waren verrückt, weißt du? Hey, warst du eigentlich beim Rennen in Aserbaidschan? Da hab ich es doch tatsächlich bis Q3 geschafft …“

„Spar dir das.“

Angesichts seines barschen Tonfalls zucke ich ein wenig zusammen. Wow, ich stecke echt in Schwierigkeiten.

„Niemand ist gerade zufrieden mit dir“, fährt Howard fort. „Weder dein Team noch deine Sponsoren. Ich ganz bestimmt auch nicht. Und alle anderen lachen über dich.“

„Ich meine, ich bin es gewohnt, dass die Leute über mich lachen.“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich bin eben ein witziger Kerl.“

Offenbar ist dies nicht der richtige Zeitpunkt für Scherze, denn ehe ich es mich versehe, ist er mir so nahe, dass sich unsere Nasen fast berühren und ich nur noch seine Altersflecken und seine pulsierende Ader auf der Stirn sehe.

„Wenn du so weitermachst, bist du geliefert“, warnt er. „Selbst bei der NASCAR wird dich niemand wollen.“

Wut steigt angesichts dieser Beleidigung in mir auf, und erst recht widerstrebt mir, wie nahe er mir ist. „Ich würde dir raten, einen Schritt zurückzutreten, Howard“, murmele ich. „Du kannst hier keine Szene machen.“ Und ich habe wirklich keine Lust, mich mit einem sechzigjährigen Mann zu prügeln, der glaubt, seine größer werdende Glatze kaschieren zu können, indem er sein Haar darüber kämmt.

Als würde ihm mit einem Mal wieder einfallen, wo er ist, blinzelt Howard seine Wut weg und macht taumelnd einen Schritt nach hinten, ehe er sich schnaubend das Jackett seines Smokings glatt streicht. Dann schaut er sich prüfend um, ob sein Ausbruch Aufmerksamkeit erregt hat, doch wie es scheint, ist Chava der Einzige, der uns mit gequälter Miene beobachtet.

„Du musst es endlich in deinen Kopf bekommen“, sagt er, nachdem er sich gesammelt hat, und achtet darauf, mit leiser Stimme zu sprechen. „Deine Karriere steht auf dem Spiel, und ich kann sie nicht retten, wenn du es mich nicht versuchen lässt.“

Ich stoße die Luft aus. An seiner logischen Schlussfolgerung – die er mir schon viele Male präsentiert hat – bin ich nicht interessiert. „Pass auf, wenn Axel sich davon erholen kann, dabei gefilmt worden zu sein, wie er mehrmals das N-Wort brüllt, während er zu einem Song mitrappt, sollte meine erfundene Geschlechtskrankheit kein Problem darstellen.“

Howard schüttelt den Kopf, als könne er nicht glauben, wie dumm ich bin. „Du solltest besser wissen als jeder andere, dass die Leute Rassismus schneller verzeihen als einen Sexskandal.“

Ich klappe meinen Mund zu, denn sosehr es mir auch widerstrebt, es zuzugeben, hat er recht. So funktioniert die Welt, in der wir leben, nun mal leider.

Er nutzt mein Schweigen aus, indem er meine Schulter drückt und meinen Blick festhält. „Lass mich die Sache regeln, Dev.“

Das Schlimmste ist, zu wissen, dass er das tatsächlich kann. Er kann Leute engagieren, die alles unter den Teppich kehren und mich wie den absoluten Vorzeigesportler im Fahrerlager darstellen. Es wäre so einfach.

Aber das habe ich schon mal getan – ich habe anderen die Kontrolle über mein Image gegeben und zugelassen, dass die Welt glaubt, ich hätte das Wesen eines Pappkartons. Ich durfte über nichts reden, was auch nur annähernd etwas mit Politik zu tun hatte oder „kontrovers“ war; selbst wenn es ein Problem gab, das ich ansprechen wollte, weil ich oder Leute, die mir wichtig waren, darunter litten. Meine Meinungen und ehrlichen Gedanken durfte ich nicht teilen. Ich musste der Posterboy sein, mit dem sich alle identifizieren konnten. Und das habe ich gehasst. Mitgespielt habe ich trotzdem, weil alle behaupteten, es sei das Beste für mich.

Ist klar.

Jani sollte der Kompromiss sein. Statt eines ganzen Teams wurde sie eingestellt, um sich um meine gesponserten Social-Media-Posts und alles, was mit Argonaut zu tun hatte, zu kümmern. Die Facetten meiner Persönlichkeit sollten nur oberflächlich dargestellt werden, um die Fans bei Laune zu halten. Aber sie ging einen Schritt zu weit, indem sie versuchte, sich in mein Privatleben einzumischen und es im Internet zu posten. Und nachdem sie mich einmal zu oft dazu gedrängt hatte, etwas Persönliches über mich zu teilen, hatte ich genug.

Deshalb bin ich nicht daran interessiert, mein Image Menschen zu überlassen, denen ich nicht einmal annähernd vertraue.

„Ich kann es selbst wieder geradebiegen“, erkläre ich, obwohl meine Stimme fremd klingt. „Gib mir einfach Zeit.“

„Dir bleibt aber nicht viel Zeit, ehe die Leute dich aufgeben.“ Er atmet durch und strafft die Schultern. „Ich hole mir ein Glas Champagner. Wenn ich zurückkomme, drehen wir eine Runde zusammen und rufen allen in Erinnerung, warum es so toll ist, dich im Fahrerlager und auf Werbeplakaten zu haben. Verstanden?“

„Yes, Sir.“ Ich kann mich gerade noch davon abhalten, zu salutieren.

Als würde er es spüren, funkelt mich Howard an und marschiert dann davon.

Ich bleibe zurück und begegne Chavas Blick.

„Nun …“ Mein Assistent schnaubt, als er sich mir nähert. Seine Haut hat fast den gleichen hellbraunen Ton wie meine, dennoch ist die Röte zu sehen, die an seinem Hals heraufgekrochen ist. Er hasst Howard ebenso sehr wie ich. „Was für ein Schlamassel.“

„Was du nicht sagst“, murre ich und wünsche mir, ich hätte einen ganzen Eimer Champagner, den ich herunterstürzen könnte. „Ich muss es wieder in Ordnung bringen.“

„Hast du eine Idee, wie? Abgesehen davon, ein PR-Team zu engagieren?“

Ich schüttele den Kopf. „Noch nicht.“ Ich stoße die Luft aus und lege meinen Ellbogen auf seiner Schulter ab, denn mit einem Mal bin ich erschöpft. „Ich habe momentan zu viele Probleme, die ich lösen muss.“

„Unter anderem, dass alle hier anwesenden Frauen dich anschauen, als wärst du ansteckend“, erwidert Chava trocken, als drei Damen in teuren Kleidern vorbeikommen und mir misstrauische Seitenblicke zuwerfen, während sie einen großen Bogen um uns machen. „Und mich auch, weil ich mit dir zusammen hier bin. Verdammt, Dev.“

„Es ist nicht meine Schuld“, ächze ich und lege meinen Kopf in den Nacken. „Aber ich brauche Sex. Wenigstens dieses Problem muss ich heute Abend lösen.“

Die Chancen, hier eine Frau zu finden, die nicht glaubt, ich hätte eine Geschlechtskrankheit, und die bereit ist, mit mir nach Hause zu gehen, sind gering, aber ich muss es wenigstens versuchen. Es müsste mir nur eine Frau lange genug zuhören, damit ich ihr alles erklären kann. Ich muss es abtun und darüber lachen, denn es ist schließlich tatsächlich ein Witz. Ein äußerst grausamer Witz.

Es sollte einfach sein. Beim Rennen muss ich mir jeden Tag komplexere Strategien ausdenken. Das hier ist nichts dagegen.

Ich straffe die Schultern, gebe Chava mein Champagnerglas und streiche mir die Haare aus der Stirn. Ich bin ein gut aussehender Typ und noch dazu verdammt charmant, also sollte es ein Leichtes werden. In den letzten sechs Wochen habe ich mich einfach nur nicht ausreichend angestrengt. Jetzt werde ich mir das holen, was ich will.

Doch meine Pläne sind mit einem Mal vergessen, als Willow Williams den Saal betritt.

Der New Adult-Erfolg im neuen Look

Blick ins Buch
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Die Versuchung

Sie sind reich, sie sind mächtig und verdammt heiß! Kannst Du ihnen widerstehen?
Ellas Leben war bisher alles andere als leicht, und als ihre Mutter stirbt, muss sie sich auch noch ganz alleine durchschlagen. Bis ein Fremder auftaucht und behauptet, ihr Vormund zu sein: der Milliardär Callum Royal.

Aus ihrem ärmlichen Leben kommt Ella in eine Welt voller Luxus. Doch bald merkt sie, dass mit dieser Familie etwas nicht stimmt. Callums fünf Söhne verheimlichen etwas und behandeln Ella wie einen Eindringling. Und ausgerechnet der attraktivste von allen, Reed Royal, ist besonders gemein zu ihr.

Trotzdem fühlt sie sich zu ihm hingezogen, denn es knistert gewaltig zwischen ihnen. Und Ella ist klar: Wenn sie ihre Zeit bei den Royals überleben will, muss sie ihre eigenen Regeln aufstellen …

„Leidenschaftlich, sexy und voller Gefühl.“ ―Buch Versum

1. Kapitel


„Ella, der Direktor möchte dich in seinem Büro sprechen“, verkündet Miss Weir mir, noch ehe ich das Klassenzimmer betreten habe. Aber der Matheunterricht beginnt doch gleich!
Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. „Ich bin heute gar nicht zu spät!“
Es ist eine Minute vor neun, und meine Uhr geht auf die Sekunde genau. Wahrscheinlich ist sie das Kostbarste, was ich besitze. Meine Mom hat gesagt, dass mein Dad sie mir sozusagen vererbt hat. Eine Armbanduhr, ein bisschen Sperma. Mehr gab es da nicht zu holen.
„Darum geht’s nicht. Nicht dieses Mal.“ Sie sieht mich ungewöhnlich liebevoll an, und auf einmal wird mir ganz schlecht vor Sorge. Eigentlich ist Miss Weir eine richtig harte Nuss, und genau das schätze ich an ihr. Sie will einfach nur Mathematik unterrichten und nicht irgendwelchen Mist über Nächstenliebe oder so. Wenn die mich so mitleidig ansieht, muss das, was mich beim Direktor erwartet, richtig, richtig übel sein.
„Na schön.“ Als hätte ich irgendeine Wahl! Ich nicke und mache mich auf den Weg.
„Ich schicke dir die Hausaufgaben zu!“, ruft sie mir nach. Anscheinend denkt sie, dass ich nicht zum Unterricht zurückkomme. Aber eigentlich kann der Besuch beim Direx auch nicht schlimmer werden als das, was ich schon hinter mir habe.
Ehe ich mich für die elfte Klasse an der George-Washington-Highschool eingeschrieben habe, habe ich bereits alles verloren, was mir wichtig war. Selbst wenn Mr Thompson herausgefunden hat, dass ich theoretisch gar nicht im Einzugsgebiet der Highschool lebe, kann ich immer noch flunkern, um Zeit zu schinden. Und falls ich dann die Schule wechseln muss – so what? Ist doch halb so wild.
„Na, wie geht’s, wie steht’s, Darlene?“
Die grauhaarige Schulsekretärin sieht kaum von ihrem People-Magazin auf. „Setz dich doch, Ella. Mr Thompson ist gleich bei dir.“
Jepp, Darlene und ich duzen uns. Ich bin erst einen Monat an der G.-W.-High und habe schon viel zu viel Zeit hier im Direktorat verplempert, weil ich immer wieder zu spät gekommen bin. Aber so was kann passieren, wenn man jede Nacht bis drei Uhr morgens ackern muss.
Ich verrenke mir den Hals, um durch die offenen Vorhänge in Mr Thompsons Büro zu linsen. Irgendwer sitzt auf dem Besucherstuhl, aber ich kann nur einen ausgeprägten Kiefer und dunkelbraunes Haar erkennen. Das exakte Gegenteil von mir. Ich bin so blond und blauäugig, wie man nur sein kann. Das habe ich, laut meiner Mom, meinem Dad zu verdanken, dem großzügigen Samenspender.
Thompsons Gast erinnert mich an die Businessleute von außerhalb, die meiner Mom eine Menge Kohle dafür gezahlt haben, einen Abend lang so zu tun, als wäre sie ihre Freundin. Manche Kerle stehen darauf tatsächlich mehr als auf richtigen Sex. Das weiß ich natürlich alles nur von meiner Mom. So weit ist es mit mir zum Glück noch nicht gekommen, und ich hoffe auch, dass mir das erspart bleibt. Deswegen brauche ich dringend meinen Highschool-Abschluss. Dann kann ich aufs College, meinen Abschluss machen und hinterher ein … stinknormales Leben führen.
Andere Kids träumen davon, eine Weltreise zu machen, einen schnellen Flitzer zu kaufen oder ein großes Haus zu haben. Und ich? Ich hätte gern eine eigene Wohnung. Einen Kühlschrank voller Essen, einen geregelten, gut bezahlten Job – am liebsten einen, der in etwa so spannend wie die Buchhaltung eines Bleistiftproduzenten ist.
Die zwei Männer reden und reden. Eine Viertelstunde ist bereits verstrichen, und sie kommen immer noch nicht zum Punkt.
„Hey, Darlene? Ich verpasse gerade meinen Matheunterricht. Ist es okay, wenn ich später noch mal wiederkomme, wenn Mr Thompson Zeit für mich hat?“
Ich versuche, das so nett wie möglich zu sagen. Aber wenn man jahrelang keine echten Erwachsenen um sich hatte – meine etwas flatterhafte, wundervolle Mom kann man nicht richtig mitzählen –, dann ist es wirklich schwer, Erwachsenen gegenüber die nötige Unterwürfigkeit rüberzubringen. Die erwarten sie nämlich von jemandem, der noch nicht mal Alkohol trinken darf. Streng genommen.
„Nein, Ella, Mr Thompson kommt gleich.“
Tatsächlich öffnet sich in diesem Moment die Tür, und der Direktor stolziert heraus. Mr Thompson ist vielleicht einen Meter fünfzig groß und sieht aus, als hätte er gerade erst seinen Highschool-Abschluss gemacht. Irgendwie schafft er es dennoch, ein gewisses Verantwortungsbewusstsein auszustrahlen.
Er winkt mich zu sich. „Miss Harper, kommen Sie doch rein.“
Aber Don Juan sitzt noch in seinem Zimmer!
„Sie haben doch schon Besuch.“ Mann, die Sache sieht ziemlich verdächtig aus, und mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich mich schleunigst verkrümeln sollte! Aber wenn ich jetzt abhaue, riskiere ich, dass der Plan scheitert, den ich die letzten Monate über so sorgfältig ausgetüftelt habe.
Thompson dreht sich um und sieht zu Don Juan, der sich gerade erhebt und mir mit seiner riesigen Pranke zuwinkt.
„Sicher, wegen ihm bist du ja auch hier!“
Widerwillig schlüpfe ich an Mr Thompson vorbei und bleibe kurz hinter der Tür stehen. Der Direx zieht die Vorhänge zu und schließt die Tür. Jetzt bin ich wirklich nervös!
„Setzen Sie sich, Miss Harper.“
Pah, das könnte ihnen so passen! Ich verschränke die Arme und bleibe stehen.
Mr Thompson lässt sich seufzend auf einen Stuhl sinken. Er weiß, wann es keinen Sinn hat, mit mir zu diskutieren. Paradoxerweise macht mich das noch unruhiger, weil ich befürchte, dass er mich erst mal schonen will. Vielleicht, weil mir noch Schlimmeres bevorsteht.
Er greift nach einem Blatt Papier auf seinem Schreibtisch. „Ella Harper, das ist Callum Royal.“ Er macht eine bedeutungsvolle Kunstpause.
Unterdessen starrt Royal mich an, als hätte er noch nie zuvor ein Mädchen gesehen. Mir fällt auf, dass durch meine verschränkten Arme meine Brüste zusammengedrückt werden. Schnell lasse ich die Arme wieder sinken, sodass sie unbeholfen an mir herabbaumeln.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr Royal.“ Es ist bestimmt jedem hier im Raum klar, dass ich das ganz und gar nicht so meine. Der Klang meiner Stimme reißt ihn glücklicherweise aus seiner Hypnose. Er macht einen riesigen Schritt nach vorn, und ehe ich’s mich versehe, hat er meine Hand schon zwischen seine Pranken genommen.
„Gütiger Himmel. Du siehst aus wie er.“ Er flüstert so leise, dass nur ich ihn hören kann. Dann schüttelt er meine Hand, als fiele ihm plötzlich wieder ein, wo er ist. „Bitte, nenn mich doch Callum.“
Irgendwie klingt seine Stimme komisch. So als hätte er Mühe, auch nur einen geraden Satz rauszukriegen. Ich ziehe meine Hand weg, was gar nicht so einfach ist, weil der Kerl mich einfach nicht loslassen will. Erst als Mr Thompson sich laut räuspert, gibt er mich frei.
„Was soll das hier werden?“, frage ich. Mein Ton ist ein bisschen patzig, aber das scheint hier niemanden zu kümmern.
Mr Thompson fährt sich nervös mit der Hand durchs Haar.
„Ich weiß nicht, wie ich es am besten sagen soll, also rede ich nicht lang um den heißen Brei herum: Mr Royal hat mir gesagt, dass Ihre Eltern beide von uns gegangen sind und er jetzt Ihr Vormund ist.“
Kurz schwanke ich. Nur eine Millisekunde, ehe der Schock sich in Empörung verwandelt.
„Bullshit!“ Das Schimpfwort ist raus, ehe ich mich selbst bremsen kann. „Meine Mutter hat mich doch zum Unterricht angemeldet! Ihre Unterschrift steht auf den Anmeldeformularen.“
Mein Herz rast wie ein Presslufthammer, weil ich die Unterschrift selbst gefälscht habe. Anders ging’s leider nicht, wenn ich die Kontrolle über mein Leben behalten wollte – eigentlich bin ich ja sowieso schon die Erwachsene in der Familie gewesen, seit ich fünfzehn war.
Man muss Mr Thompson zugutehalten, dass er mir die Fälschung nicht vorwirft. „Die Dokumente besagen, dass Mr Royal Ihr rechtmäßiger Vormund ist.“
„Ach ja? Na, er lügt aber. Ich habe diesen Typen noch nie gesehen, und wenn Sie mich jetzt mit ihm mitgehen lassen, stehen bestimmt die Cops demnächst hier auf der Matte. Weil ein Mädchen der G.-W.-High miesen Menschenhändlern zum Opfer gefallen ist.“
„Du hast recht, wir kennen uns noch nicht“, wirft Royal ein. „Das ändert aber nicht das Geringste an der Tatsache.“
„Lassen Sie mal sehen.“ Ich springe zu Mr Thompsons Schreibtisch und reiße ihm die Dokumente aus der Hand. Eilig überfliege ich sie, ohne wirklich etwas aufzunehmen. Ein paar Worte wie Vormund oder verschieden und Erbe springen mir ins Auge, aber das ist mir völlig schnuppe. Mr Royal ist ein Fremder. Basta.
„Wenn Ihre Mutter mal hier vorbeischauen würde, könnten wir vielleicht alles in Ruhe klären“, schlägt Mr Thompson beschwichtigend vor.
„Ja, Ella. Wenn du deine Mutter nächstes Mal mitbringst, dann ziehe ich meinen Anspruch natürlich zurück.“
Auch wenn Royal sich bemüht, sanft wie ein Lämmchen zu klingen, ist seine Stimme doch hart wie Stahl. Er weiß Bescheid.
Ich wende mich wieder an den Direx, weil ich mit ihm leichteres Spiel habe.
„Diesen Wisch hier hätte sogar ich im Computerraum fälschen können. Würde nicht mal Photoshop dafür brauchen.“ Ich knalle den Papierstapel vor ihm auf den Tisch. Offenbar beginnt er ein wenig zu zweifeln, und das sollte ich ausnutzen. „Ich muss zurück zum Unterricht. Das Halbjahr hat doch gerade erst begonnen, und ich will nichts verpassen.“
Er leckt sich unentschlossen die Lippen, und ich starre so überzeugend wie möglich auf ihn hinunter. Ich habe keinen Dad. Und ich habe ganz bestimmt keinen Vormund. Wenn dem so wäre – wo war er dann mein Leben lang? Wieso ist er uns nicht zu Hilfe gekommen, als meine Mutter versucht hat, irgendwie genug für uns beide zu verdienen, mit dem Krebs gekämpft und im Hospizbett bitterlich geweint hat, weil sie mich nicht allein zurücklassen wollte? Wo, bitte schön, war er da?!
Thompson seufzt. „Na schön, Ella. Dann geh zurück zum Unterricht. Mr Royal und ich haben sowieso noch einiges zu besprechen.“
„Diese Dokumente hier sind echt“, schaltet sich Royal wieder ein. „Mr Thompson, Sie kennen mich und meine Familie. Ich wäre hier doch nicht aufgetaucht, wenn es nicht wahr wäre! Wieso sollte ich das tun?“
„Es gibt eine Menge Perverslinge auf dieser Welt“, zische ich giftig. „Und die lassen sich auch irgendwelche Märchen einfallen, um an ihr Ziel zu kommen.“
„So, Ella, das reicht jetzt.“ Mr Thompson klingt langsam etwas ungeduldig. „Mr Royal, diese Nachricht kommt für jeden von uns überraschend. Sobald wir Ellas Mutter kontaktiert haben, klärt sich bestimmt alles.“
Royal passt die Verzögerung überhaupt nicht in den Kram. Er wiederholt seine abgedroschenen Argumente und betont noch mal, wie furchtbar wichtig er ist und dass ein Royal niemals lügen würde. Ich erwarte schon fast, dass er uns gleich mit George Washington und der alten Geschichte vom Kirschbaum kommt. Als die zwei die Diskussion fortsetzen, schlüpfe ich aus dem Zimmer.
„Bin noch schnell auf der Toilette, Darlene!“, schwindle ich. „Danach gehe ich gleich wieder in den Unterricht.“
„Lass dir Zeit“, meint Darlene leichthin. „Ich gebe deiner Lehrerin Bescheid.“
Aber ich gehe nicht auf die Toilette. Und ich gehe auch nicht zurück in den Unterricht. Stattdessen flitze ich zur Bushaltestelle und fahre mit der Linie G bis zur Endstation. Von dort aus brauche ich zu Fuß noch mal eine halbe Stunde bis zu meiner Wohnung, die ich für lumpige fünfhundert Dollar im Monat gemietet habe. Es gibt ein Schlafzimmer, ein schmuddeliges Bad und eine Wohnküche, die nach Schimmel riecht. Aber die Bude ist relativ günstig, und die Vermieterin akzeptiert Bargeld und hat auch keine Hintergrundrecherchen angestellt, ehe sie mir die Wohnung vermietet hat.
Ich habe keine Ahnung, wer dieser Callum Royal sein soll, aber sein Erscheinen in Kirkwood ist überflüssig wie ein Pickel. Diese Dokumente waren nicht gefälscht. Sie waren echt. Aber ich werde mein Leben auf keinen Fall in die Hände eines Fremden legen, der einfach so aus dem Nichts auftaucht.
Mein Leben gehört mir. Ich lebe, wie ich will, und habe die Kontrolle darüber.
Ich kippe meine Schulbücher aus dem Rucksack und fülle ihn mit Kleidung, Kosmetikartikeln und meinen letzten Ersparnissen: tausend Dollar. Mist. Ich muss dringend an Kohle kommen, um aus der Stadt verschwinden zu können. Ich bin so was von pleite. Es hat mich ja schon zwei Tausender gekostet, um hierherzuziehen – die Bustickets, die erste und zweite Monatsmiete und die Kaution haben einiges an Geld gefressen. Es ist verdammt ärgerlich, dass ich eine Miete quasi umsonst bezahlt habe, aber ich muss nun mal dringend weg. Hier kann ich nicht bleiben.
Wieder haue ich ab. Wie gut ich das kenne. Meine Mom und ich waren auch ständig auf der Flucht. Vor ihren Liebhabern, ihren perversen Chefs, dem Sozialamt, vor der Armut. Erst im Hospiz sind wir eine längere Zeit am Stück geblieben, und das nur, weil sie im Sterben lag. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Universum mich dazu verdammt hat, unglücklich zu sein.
Ich sitze auf der Bettkante und versuche, vor Frust, Zorn und, okay, ich gebe es zu: Angst, nicht laut loszuheulen. Ich gönne mir fünf Minuten Selbstmitleid, dann greife ich zum Telefon. Scheiß aufs Universum.
„Hey, George. Ich habe über dein Angebot nachgedacht, im Daddy G’s zu arbeiten. Ich würd’s gern annehmen.“
Ich habe eine Weile im Miss Candy’s gearbeitet, einer Table-Dance-Bar, in der ich an der Stange getanzt und mich bis auf meinen G-String und Nippel-Pasties ausgezogen habe. Man verdient nicht übel, aber auch nicht richtig viel. George hat die letzten Wochen über auf mich eingeredet, um mich davon zu überzeugen, im Daddy G’s, einem richtigen Striplokal, aufzutreten. Ich habe mich nie darauf eingelassen, weil ich keine Notwendigkeit dafür gesehen habe. Jetzt schon.
Glücklicherweise habe ich den tollen Körper meiner Mutter geerbt. Lange Beine. Wespentaille. Mein Busen ist nicht riesig, aber George sagt immer, dass ihm meine spitzen kleinen Brüste gefallen, weil sie so jugendlich wirken. Tja, von wegen wirken. Aber auf meinem Ausweis steht nun mal, dass ich vierunddreißig bin und nicht Ella, sondern Margaret Harper heiße. So wie meine tote Mutter. Ganz schön gruselig, wenn man genauer drüber nachdenkt.
Mit siebzehn hat man nicht die größte Auswahl an Teilzeitjobs, von denen man noch dazu die Miete bezahlen kann. Schon gar nicht im legalen Bereich. Man kann Drogen verticken. Anschaffen gehen. Strippen. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
„Ey, Mädchen, das sind ja super Neuigkeiten!“, johlt George. „Heute Abend ist eine richtig große Show, und du könntest die dritte Tänzerin sein. Du kannst eine katholische Schulmädchen-Uniform anziehen, darauf fahren die Kerle total ab.“
„Wie viel gibt es?“
„Wovon?“
„Kohle, George. Wie viel Kohle.“
„Fünfhundert plus Trinkgeld. Wenn du noch ein paar private Lapdances machst, kriegst du dafür jeweils hundert.“
Shit. Ich könnte in nur einer Nacht richtig Asche machen. Ich schiebe all meine Angst und mein Unbehagen beiseite. Nein, jetzt ist nicht der richtige Moment für moralische Bedenken.
„Mache ich. Buch so viele Auftritte wie möglich für mich.“




2. Kapitel


Das Daddy G’s ist ein richtiges Drecksloch, aber es ist immer noch um einiges netter als viele andere Clubs hier in der Stadt. Auch wenn das irgendwie so klingt wie: Hier, nimm dir doch ein Stück von diesem vergammelten Hühnchen! Es ist nicht ganz so grün und schimmelig wie der Rest! Na ja. Geld ist Geld.
Ich hatte noch den ganzen Tag an Callum Royals Auftritt in der Schule zu knabbern. Wenn ich einen Laptop inklusive Internetzugang hätte, hätte ich ihn längst gegoogelt. Leider ist mein alter Computer kaputt, und ich habe nicht genug Geld für einen Ersatz. Ich wollte mich dafür auch nicht in die Bibliothek setzen. Klingt vielleicht bescheuert, aber irgendwie hatte ich Angst, Royal auf der Straße in die Arme zu laufen.
Wer ist er nur? Und wieso hält er sich für meinen Vormund? Mom hat ihn mir gegenüber nicht ein einziges Mal erwähnt. Einen Moment lang habe ich mich tatsächlich gefragt, ob er mein Vater sein könnte. Aber in den Unterlagen stand, dass der ebenfalls tot ist. Und solange meine Mom mich in dieser Hinsicht nicht angelogen hat, hieß er auch nicht Callum, sondern Steve.
Steve. Irgendwie kam mir das immer vor wie ein Fantasiename:
Erzähl mir von meinem Daddy, Mom!
Ähm, dein Daddy, ähm … hieß Steve!
Aber ich will auch nicht davon ausgehen, dass meine Mom mich angelogen hat. Wir waren schließlich immer ehrlich zueinander.
Ich verdränge den Gedanken an Callum Royal, so gut ich kann, weil ich das bei meinem ersten Auftritt im Daddy G’s wirklich nicht gebrauchen kann. Hier sitzen auch so schon genug Säcke mittleren Alters herum.
Der Club ist wirklich gesteckt voll. Scheinbar ist die Katholische-Schulmädchen-Nacht hier eine richtig große Nummer. Alle Tische und Sitznischen im Hauptsaal sind besetzt, aber die VIP-Lounge im ersten Stock ist noch vollkommen verlassen. Eigentlich ist das nicht weiter überraschend. In Kirkwood, diesem kleinen Tennessee-Kaff vor Knoxville, gibt es nun mal nicht viele VIPs. Es ist eine Arbeiterstadt, und die Einwohner gehören eher der Unterschicht an. Wenn du mehr als vierzigtausend Dollar im Jahr verdienst, dann giltst du schon als gemachter Mann. Genau deswegen wohne ich hier. Die Miete ist niedrig, und die staatliche Schule ist auch ganz okay.
Die Umkleide liegt im hinteren Teil des Clubs, und als ich sie betrete, herrscht schon großer Trubel. Halb nackte Frauen sehen mich an, ein paar nicken mir zu, ein paar lächeln, ehe sie sich wieder aufs Schminken oder ihre Strapse konzentrieren.
Eine kommt auf mich zu.
„Cinderella?“, fragt sie.
Ich nicke. Diesen Shownamen habe ich im Miss Candy’s benutzt, weil er mir damals passend erschien.
„Ich bin Rose. George hat mich gebeten, dich heute Abend einzuarbeiten.“
In jedem Club gibt es eine Mutterhenne – eine ältere Frau, der klar ist, dass sie den Kampf gegen Zeit und Schwerkraft verloren hat, und die sich auf andere Weise nützlich macht. Im Miss Candy’s war das Tina, eine alternde Blondine, die mich vom ersten Moment an unter ihre Fittiche genommen hat. Hier ist es die alternde rothaarige Rose, die diesen Part übernimmt und mich jetzt zu der Kleiderstange mit den Kostümen führt.
Als ich nach der Schulmädchenuniform greifen will, winkt sie ab. „Die ist für später. Nimm mal das hier.“
Ehe ich’s mich versehe, hat sie mich auch schon in ein schwarzes Lack-Korsett und ein schwarzes Spitzenhöschen gesteckt.
„Darin soll ich tanzen?“ Das Korsett ist so fest geschnürt, dass ich kaum atmen kann. Und wie soll ich das selbst aufbekommen?
„Mach dir nicht zu viele Gedanken“, rät sie mir. „Wackel einfach mit deinem Hintern und rutsch an Mr VIPs Stange auf und ab, und alles ist bestens.“
Ich sehe sie verblüfft an. „Ich dachte, ich gehe jetzt raus auf die Bühne.“
„Oh, hat George es dir nicht gesagt? Du bist für einen Private-Dance in der VIP-Lounge gebucht.“
Was? Das ist doch mein erster Abend hier! Im Miss Candy’s hat man immer erst ein paarmal auf der Bühne getanzt, ehe man privat gebucht werden konnte.
„Scheint ein Stammkunde aus deinem ehemaligen Club zu sein“, vermutet Rose, die bemerkt hat, wie verwirrt ich bin. „Richie Rich ist hier hereinstolziert, als gehörte ihm der Club! Er hat George fünf Hunderter in die Hand gedrückt und ihm gesagt, dass er dich rüberschicken soll.“ Sie zwinkert mir zu. „Wenn du es geschickt anstellst, kannst du bestimmt noch ein paar Scheinchen mehr rausschlagen.“
Und weg ist sie, springt zu einer anderen Tänzerin, während ich vollkommen bedröppelt dastehe und mich frage, ob das alles ein riesiger Fehler war.
Ich tue gern so, als wäre ich eine richtig toughe Nuss, und bis zu einem gewissen Punkt stimmt das ja auch. Ich bin arm und hungrig. Ich wurde von einer Stripperin großgezogen. Ich weiß, wie man jemandem eine verpasst, wenn es nötig ist. Aber ich bin trotzdem erst siebzehn! Manchmal kommt es mir so vor, als wäre ich ein bisschen zu jung für das Leben, das ich führe. Dann sehe ich mich um und denke: Ich gehöre hier nicht her.
Dennoch bin ich hier. Ich bin hier, ich bin ziemlich im Arsch, und wenn ich das normale Leben führen will, nach dem ich mich so sehr sehne, dann muss ich jetzt raus und auf Mr VIPs Stange auf- und abrutschen, wie Rose es so nett formuliert hat.
Im Flur kommt mir George entgegen. Er ist ein stämmiger Typ mit Vollbart und warmen Augen. „Hat Rose dir von dem Kunden erzählt? Er wartet schon auf dich.“
Ich nicke und versuche, den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. „Ich muss doch nichts Besonderes machen, oder? Nur einen ganz gewöhnlichen Lapdance.“
Er gluckst. „Mach, was immer du willst, aber wenn der Kerl dich anfasst, dann wird ihn unser guter alter Bruno windelweich schlagen.“
Ich bin sehr erleichtert, dass die Regel des Nicht-Anfassens auch hier gilt. Für schleimige Typen zu tanzen, ist sehr viel angenehmer, wenn klar ist, dass sie dich nicht antatschen dürfen.
„Das wird schon, Mädchen.“ Er tätschelt meinen Arm. „Und falls er dich fragen sollte, dann bist du vierundzwanzig, okay? Hier arbeitet niemand über dreißig.“
Und unter zwanzig?, hätte ich ihn fast gefragt. Aber ich presse die Lippen zusammen. Eigentlich muss ihm klar sein, dass ich in Bezug auf mein Alter mächtig geschummelt habe. Das macht hier garantiert jede Zweite. Und es kann ja sein, dass mein Leben bis jetzt hart war, aber ich sehe nun mal niemals aus wie vierunddreißig. Mit ein bisschen Make-up gehe ich vielleicht als einundzwanzig durch – gerade so.
George verschwindet in der Umkleide, und ich hole noch mal tief Luft, ehe ich den Flur hinuntergehe.
Im Hauptsaal empfängt mich schon die sexy Musik mit dem stampfenden Bass. Die Tänzerin auf der Bühne hat gerade ihre Bluse aufgeknöpft, und als die Kerle ihren durchsichtigen BH sehen, drehen sie völlig durch. Dollarscheine regnen auf die Bühne hinab, und genau darauf konzentriere ich mich jetzt. Auf das Geld. Scheiß auf den Rest.
Trotzdem macht mich der Gedanke daran, die G.-W.-High und all die Lehrer, denen ihr Job wirklich am Herzen zu liegen scheint, zu verlassen, richtig fertig. Aber ich werde schon eine andere Schule in einer anderen Stadt finden. Eine Stadt, in der Callum Royal mich nicht …
Ich bleibe abrupt stehen und wirble herum.
Zu spät. Callum kommt bereits quer durch die VIP-Lounge auf mich zu und packt mich mit festem Griff am Oberarm.
„Ella“, sagt er leise.
„Lassen Sie mich los!“ Ich versuche, so gleichgültig wie möglich zu klingen, zittere aber heftig, als ich versuche, ihn abzuschütteln.
Er lässt mich nicht los, bis eine andere Gestalt in schwarzem Anzug und mit breiten Schultern aus dem Schatten hervortritt. „Hier wird niemand angefasst“, sagt der Security-Mann streng.
Royal lässt meinen Arm los, als bestünde er aus glühender Lava. Er sieht Bruno finster an und wendet sich dann wieder an mich, wobei er versucht, nicht in meinen Ausschnitt zu gucken. „Wir sollten uns mal unterhalten.“ Sein Whiskeyatem wirft mich fast um.
„Ich habe Ihnen nichts zu sagen“, erwidere ich kühl. „Ich kenne Sie gar nicht.“
„Ich bin immerhin dein Vormund!“
„Nein. Sie sind einfach irgendein Fremder, der mich davon abhält, meinen Job zu machen.“ Jetzt klinge ich wunderbar herablassend.
Er öffnet kurz den Mund und schließt ihn dann wieder. „Okay. Dann ab an die Arbeit.“
Was?!
Er lässt sich auf die Couch plumpsen und lehnt sich zurück.
„Dann biete mir mal was für mein Geld.“
Mein Herz rast. Auf keinen Fall! Ich werde für diesen Mann nicht tanzen.
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie mein neuer Chef die Lounge betritt und mich erwartungsvoll ansieht.
Ich versuche, so selbstbewusst wie möglich auf Royal zuzuschlendern.
„Schön. Ganz wie Sie wollen!“
Kurz spüre ich einen dicken Kloß im Hals, aber hier wird nicht geheult. Das habe ich zum letzten Mal am Sterbebett meiner Mutter getan, und ich habe nicht vor, es jetzt zu wiederholen.
Callum Royal sieht mich seltsam gequält an, als meine Hüften im Takt der Musik zu kreisen beginnen, fast wie von allein. Ich habe schon immer gern getanzt. Als ich noch jünger war, hat meine Mom ihre letzten Ersparnisse zusammengekratzt, um Ballett- und Jazzunterricht für mich zu finanzieren, drei Jahre lang. Als das Geld alle war, hat sie mich selbst unterrichtet. Sie hat sich Videos angesehen oder heimlich Tanzkurse im Sportverein besucht, ehe sie sie rausgeworfen haben, um dann zu Hause ihr Wissen an mich weiterzugeben.
Ich bin ziemlich gut darin, aber ganz sicher nicht so naiv zu denken, dass ich eine große Tanzkarriere hinlegen werde. Ich strebe eher was Vernünftiges an, Jura oder Wirtschaft oder so. Irgendwas, womit sich ordentlich Geld verdienen lässt. Das mit dem Tanzen ist reine Träumerei.
Ich tanze immer weiter und höre plötzlich, wie Royal aufstöhnt. Allerdings nicht so, wie die anderen Männer es tun. Sondern traurig.
„Er würde sich gerade im Grabe umdrehen“, meint er mit rauer Stimme.
Ich ignoriere ihn. Tue so, als wäre er nicht da.
„Das ist nicht richtig“, sagt er gepresst.
Ich werfe mein Haar zurück und will mich gerade daranmachen, mein Korsett aufzuschnüren, weil ich spüre, wie Bruno mich beobachtet. Für einen zehnminütigen Tanz gibt es hundert Kröten, und zwei habe ich schon herumbekommen, ohne mich auszuziehen. Noch acht Minuten. Das kriege ich hin.
Royal allerdings nicht. Er packt mich am Arm und ruft: „Nein! Steve hätte das nicht gewollt!“
Ich habe nicht mal Zeit zu verstehen, was er da gesagt hat, weil er mich da schon über seine Schulter geworfen hat, als wäre ich eine Spielzeugpuppe.
„Aus dem Weg!“, ruft er, als Bruno auf ihn zukommt. „Dieses Mädchen hier ist gerade mal siebzehn! Sie ist minderjährig, und ich bin ihr Vormund. Glauben Sie mir, wenn Sie noch einen Schritt näher kommen, hetze ich jeden Cop in Kirkwood auf Sie. Und die sorgen dafür, dass Sie und all die anderen Perversen hier im Kittchen landen, weil Sie Minderjährige strippen lassen.“
Bruno mag zwar so aussehen, aber er ist nicht bescheuert. Tatsächlich macht er Callum Royal Platz.
Ich bin da weniger kooperativ. Stattdessen prügle ich auf Royals Rücken ein und zerre an seinem teuren Designeranzug. „Lassen Sie mich runter!“, brülle ich.
Macht er aber nicht. Niemand hält ihn auf, als er auf den Ausgang zustürmt. Die Männer im Publikum sind viel zu beschäftigt damit, die Tänzerin anzugaffen und zu johlen. Ich sehe, wie George zu Bruno tritt und der ihm wütend etwas erklärt, aber dann sind sie auch schon weg, und ich spüre die kühle Abendluft. Obwohl wir draußen sind, denkt Callum Royal nicht daran, mich abzusetzen. Er rennt über den Parkplatz, dessen Teeroberfläche rissig ist. Ich sehe seine schicken Schuhe im Licht der Laterne glänzen, dann höre ich das Klirren eines Schlüsselbundes und ein lautes Piepen. Und schon befinde ich mich auf einem lederbezogenen Autositz, während eine Tür mit einem lauten Rumms zugeworfen wird. Der Motor wird gestartet.
O mein Gott. Dieser Typ entführt mich!

Spannend, atemberaubend, clever.« Claire Douglas

Blick ins Buch
Confession RoomConfession Room

Thriller

Willkommen im Confession Room, in dem dich dein Geheimnis töten kann!
Seit Emilia im Internet auf den Confession Room gestoßen ist, ist sie fasziniert von diesem Forum. Hier kann jeder seine Geheimnisse beichten. Anonym. Und so wagt es auch Emilia, von ihrer eigenen Schuld zu schreiben. Doch je mehr auf der Seite mitmachen, desto dunkler werden die Geständnisse.

Bis eines nachts etwas Unglaubliches angekündigt wird: ein Mord, in London, dazu die Namen eines Mannes und einer Frau. Es kann sich nur um einen makabren Scherz handeln, oder? Obwohl Emilia seit dem Tod ihrer jüngeren Schwester nicht mehr bei der Polizei arbeitet, beginnt sie fieberhaft zu recherchieren, um die Morde verhindern.

Zu spät: Die Polizei findet zwei Leichen – und eine weitere Mordankündigung wird im Confession Room veröffentlicht. Wer steckt hinter all dem? Und wie werden die Opfer ausgewählt? Emilia taucht immer tiefer in die Welt des Confession Rooms ein. Nicht ahnend, dass sie bereits selbst in höchster Gefahr ist ...

Atemlose Spannung, schockierende Wendungen und eine Ex-Polizistin mit Abgründen -mit „Confession Room“ legt die britische Thrillerautorin Lia Middleton einen packenden Pageturner für alle Fans von Claire Douglas, Linus Geschke und Camilla Way vor. 

„Fesselnd, Gänsehaut verursachend, packend ... Man kann ›Confession Room‹ nicht aus der Hand legen.“ Chris Whitaker, Autor von „In den Farben des Dunkels“

„Dieses Buch vibriert nahezu vor Angst und Schrecken.“Daily Mail

„Ein rasanter Thriller ... originell, zeitgemäß und sehr clever.“ Emily Freud

„Spannend, atemberaubend, clever.“ Claire Douglas, Autorin von „Girls Night“

4. November, 19:00 Uhr

Emilia schlägt die Tür hinter sich zu, lehnt sich dagegen und schließt kurz die Augen. Genießt das Gefühl, endlich zu Hause zu sein. Wieder einmal hat sie den ganzen Tag im Auto gesessen und ein Haus beobachtet, hat darauf gewartet, dass ein Mann der Frau eines anderen einen Besuch abstattet. Es hat ihren Körper ebenso ausgelaugt wie ihren Geist. Erbarmungslose Langeweile kann echte Schmerzen hervorrufen.

Aber es gibt Schlimmeres, als sich dafür bezahlen zu lassen, die Affären untreuer Ehepartner aufzudecken. Und es ist deutlich besser als die ersten sechs Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Polizeidienst, in denen sie nur auf der Couch vor sich hin vegetiert und von ihren dürftigen Ersparnissen gelebt hat, während sie darauf wartete, dass sich ihre Beklommenheit zumindest so weit legte, dass sie einen Spaziergang machen oder ihre Eltern besuchen konnte. In jener Zeit hatte die Furcht sie beinahe aufgefressen. Jetzt hat sie sich zumindest unsichtbar gemacht, verbirgt sich an einem Ort, von dem aus Emilia sie vielleicht irgendwann so tief hinabstoßen kann, dass sie nicht mehr spürbar ist.

Mimis Bellen lässt sie die Augen öffnen, das leise Klicken ihrer Krallen im Flur.

„Hallo, meine Süße“, sagt sie liebevoll und geht dann nach hinten durch in die Küche, wo sie den Hahn an der Spüle aufdreht und darauf wartet, dass das Wasser kalt wird. Durstig leert sie das erste Glas und füllt es sofort wieder auf, während sie einen lauten Seufzer ausstößt, als könnte sie damit den kompletten Tag wegatmen.

Wie jeden Abend geht sie anschließend ins Wohnzimmer hinüber und setzt sich an ihren Palisanderholzschreibtisch, der in der Ecke am Fenster steht. Nachdem sie ihr Wasserglas neben der Tastatur abgestellt hat, stupst sie die Maus an. Sofort erwacht der Bildschirm zum Leben. Die Dokumentation vom Vorabend steht noch immer auf Pause, und im darübergelegten Fenster leuchtet ihr die Frage entgegen: Möchten Sie sich Können Frauen töten? weiter ansehen?

Emilia klickt auf Ja, woraufhin das Programm kurz lädt und dann die Sendung fortsetzt. Mit leiser, rauer Stimme gibt der Erzähler die Geschichte von Mary Ann Cotton wieder.

Sie wendet sich dem zweiten Bildschirm zu und klickt verschiedene Internetseiten durch. So verbringt sie ihre Abende: Im Hintergrund läuft eine Dokumentation, von der sich ihr Geist punktuell fesseln lässt, während sie sich den Foren widmet, die sie in der stets gleichen Reihenfolge besucht: zunächst der Chat von The Fun Lovin’ Criminals, einer Gruppe von Leuten, die früher in der Strafverfolgung gearbeitet haben und den befriedigenden Nervenkitzel des Jobs vermissen, allerdings aus diversen Gründen nicht dorthin zurückkehren können. Manche nennen diese Gründe ganz offen, andere nicht. Keiner von ihnen weiß, warum Emilia den Polizeidienst quittiert hat. Einerseits würde sie es ihnen gerne sagen – sie weiß, dass sie dazu lediglich fünf Wörter eintippen müsste: Ich bin Sophie Haines’ Schwester. Doch sie schafft es nicht. Jedes Mal, wenn sie es versucht, sind ihre Finger wie gelähmt, ihr Gehirn vergisst, wie man die Worte bildet, es ist einfach unmöglich, die Geschehnisse in den Computer zu tippen. Außerdem könnte sie die darauffolgenden Fragen nicht ertragen. Oder den unvermeidlichen Moment, wenn einer von ihnen vorschlägt, man könne sich doch zusammentun, um herauszufinden, was mit Sophie geschehen sei. Das hat Emilia bereits versucht. Und die Polizei hat es auch versucht. Emilia weiß, kehrt sie dorthin zurück, wird sie endgültig ertrinken, nachdem sie nun ein Jahr lang nichts anderes getan hat, als sich mühsam an die Oberfläche zu kämpfen, hin zu dem ersten, lebensrettenden Atemzug. Mit aller Kraft hat sie versucht, das Rätsel zu lösen. Und auch nach ihrem Ausscheiden hat die Polizei weiter ihr Bestes gegeben. Es gab einfach keine Spur. Wer auch immer hinter Emilias Schwester her gewesen war – er hat keinerlei Hinweise hinterlassen.

Nach einer Weile schlief die Untersuchung ein. Sie stolperte zwar weiter dahin, bekam aber keinen neuen Schwung mehr. Und der Schmerz war einfach zu groß. Jedes Mal, wenn Emilia von dem Drang gepackt wurde, selbst zu ermitteln, schlug die Trauer wie eine erstickende Woge über ihr zusammen, riss die Wunde wieder auf, bis sie blutete.

Wahrscheinlich werden sie nie erfahren, wer Sophie getötet hat. Und sie selbst muss endlich lernen, damit zu leben.

Nach dem Besuch bei dieser Gruppe folgt Websleuths.com, dann das Reddit Bureau of Investigation, dann lipstickalley.com. Und zum Schluss der Confession Room.

Heutzutage gibt es so viele Orte, an denen man beichten kann: Unzählige Webseiten bieten einem die Möglichkeit, anonym Buße zu tun. Bei ihrem ersten Besuch im Confession Room rechnete Emilia nicht damit, hier etwas Neuartiges vorzufinden. Nach der x-ten Geschichte über Seitensprünge, Lügen oder kleine Ladendiebstähle stumpft man irgendwann ab. Aber so war das hier nicht … ganz und gar nicht. Inzwischen kehrt sie Abend für Abend in den Confession Room zurück, klebt geradezu am Bildschirm, wenn sie die neuen Einträge des Tages liest. Geständnisse, die mit jedem Monat finsterer geworden sind.

Emilia klickt die Adresszeile an und tippt die ersten Buchstaben ein, woraufhin automatisch die Webadresse erscheint.

confessionroom.com

Ihr Finger landet mit Wucht auf der Entertaste.

Der Bildschirm wird schwarz, dann erscheint das Bild einer nackten Metalltür. Lautes Quietschen dringt aus dem Lautsprecher, als sie sich öffnet. Genau wie bei ihrem ersten Besuch muss Emilia lächeln. Damals war sie überrascht, wie viel Mühe man sich hier gemacht hat, um das Erlebnis abzurunden. Die meisten anderen Foren sind schlicht und einfach gehalten. Dieses hier ist anders.

Hinter der Tür erscheint ein Raum mit einem tristen grauen Boden, auf dem eine Kiste steht: schwarz, robust, klar umrissen. Der Deckel hebt sich, ein Blatt Papier entrollt sich in der Mitte des Bildschirms. Langsam erscheinen geschwungene Buchstaben, schwarz und leicht geneigt, als würden sie mit Tinte geschrieben. Sie verlaufen sogar ein wenig, wie Blutstropfen auf einer reinen weißen Seite.

Sie betreten nun …

Einen Augenblick lang verharrt die Schrift reglos auf der Seite. Dann rollt sich das Papier auf und fliegt in die Kiste zurück, deren Deckel mit einem unwiderruflich schweren Knall zufällt. Leise Musik setzt ein, Geigen und Trommeln, während die Kiste sich schneller und schneller um die eigene Achse dreht. Schließlich hält sie an, nun in Schräglage. Auf dem Deckel und den beiden sichtbaren Seiten erscheinen Buchstaben, dunkel, als wären sie eingraviert.

DEN CONFESSION ROOM

Darunter, deutlich kleiner: Tritt ein.

Emilia klickt die Aufforderung an.

Die Kiste öffnet sich, helles Licht dringt heraus, wird greller und greller, bis es den gesamten Bildschirm ausfüllt.

Ganz oben auf der Seite kehrt der Titel zurück, in grau-schwarzer Schrift. Die Forumsseite ist wie ein kalter, klinisch anmutender Raum gestaltet: Im Hintergrund hängt ein breiter Spiegel an der hellgrauen Wand, am oberen Rand und an den Seiten des Bildschirms ziehen sich unverkleidete Rohre entlang. Und in der bereits bekannten Schnörkelschrift wird verkündet:

Willkommen im Confession Room.

Euer sicherer Ort für Bekenntnisse und Geständnisse – hier haben sie keine Konsequenzen.

Darunter dann die Beichten, eine nach der anderen. Emilia ist verblüfft – die Sache wird immer größer. Und zwar rapide. Jeden Tag aufs Neue ist sie schockiert darüber, wie viele neue Posts dazugekommen sind. Ein Kasten in der oberen rechten Ecke des Bildschirms gibt die Zahl der aktiven User an.

Doch wie viele von ihnen lesen hier nur, und wie viele haben eine Beichte abgelegt? Haben einen Teil von sich der Welt preisgegeben?

Emilia kann verstehen, was sie dazu verleitet. Man wird förmlich hineingesogen, wenn man die Geständnisse der anderen liest, und irgendwann überkommt einen die Gewissheit, dass es einem guttun würde, seine finstersten Gedanken in Worte zu fassen. So, wie sie es getan hat, vor Monaten schon, als sie die Webseite entdeckte. Buchstabe für Buchstabe hat sie das Geheimnis eingetippt, das sie seit Sophies Tod wie ein schleichendes Gift mit sich herumgeschleppt hatte.

Ich hätte meine Schwester retten können. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist.

Doch das war nicht alles gewesen. Ein nagender, finsterer Impuls war aus ihr hervorgebrochen, brutal und ungehemmt wie ein Stoßseufzer.

Wenn ich wüsste, wer es getan hat, würde ich ihn umbringen.

Emilia zuckt zusammen, als das Geräusch einer zufallenden Tür erklingt, dumpf und unheilvoll – es zeigt an, dass ein neuer Post eingegangen ist. Bei ihrem ersten Besuch des Forums hat diese Ankündigung sie so erschreckt, dass sie ihren Tee auf ihre Pyjamahose verschüttete; ihre Oberschenkel waren danach knallrot.

Jetzt huscht ihr Blick zur neuesten Beichte. Im ersten Moment weiten sich ihre Augen, dann runzelt sie nachdenklich die Stirn.

Ganz egal, wie schrecklich er mich behandelt, ich werde wohl nie den Mut aufbringen, ihn zu verlassen. Dafür hasse ich mich.

Kopfschüttelnd greift Emilia nach ihrem Glas und trinkt. Ein so schlichtes Geständnis, das gleichzeitig so vieles ungesagt lässt. Der erste Satz löst eine Menge Fragen aus, eine Kettenreaktion wie in einer Reihe von Dominosteinen. Denn auch wenn Emilia nicht mehr bei der Polizei arbeitet, denkt sie noch immer wie eine Ermittlerin. Aber sie darf sich nicht von jedem Geständnis auf dieser Seite mitreißen lassen – vor allem, da die meisten von ihnen inzwischen so düster und wirr sind. Sie muss lernen abzuschalten. So, wie sie es früher bei der Polizei auch getan hat. Man kann nicht jeden Fall an sich heranlassen. Man kann nicht jedes Opfer retten.

Ihr wird übel. Man kann nicht jedes Opfer retten. Das gelingt nicht einmal den Besten unter uns. Nicht einmal …

Nein. Sie darf jetzt nicht an Sophie denken.

Hektisch blinzelnd scrollt Emilia sich durch die Seite, hält wahllos an einer Stelle an. Während sie den Text überfliegt, verkrampfen sich ihre Zehen in Erwartung des nächsten Gefühlssturms, aber dann muss sie grinsen.

Mein Mann hat offenbar beschlossen, mich für eine Frau zu verlassen, die er im Internet kennengelernt hat. Er hat keine Ahnung, dass ich das bin. Bestimmt bricht es ihm das Herz, wenn sie nicht zu ihrem Treffen am Flughafen erscheint und sich spurlos in Luft auflöst. Überraschung, du verlogener Mistkerl!

Noch einmal liest Emilia den Eintrag, vor allem den letzten Satz. Ein raues Lachen löst sich aus ihrer Kehle. Das tut gut. Sie scrollt weiter, saugt die Worte in sich auf. Dieser Ort, an dem Menschen ihre Geheimnisse gestehen und in sichere Hände geben können, gefällt ihr. So kann man sich von ihnen befreien, ohne etwas anderes als Erleichterung befürchten zu müssen. Hier werden heimliche Affären gebeichtet, Intrigen gegen Kollegen, Diebstahl, Hassgefühle gegenüber dem Partner, Reue bezüglich der Elternschaft.

Als Emilia ungefähr ein Drittel der Seite geschafft hat, hält sie abrupt inne.

Manchmal folge ich dieser Frau, wenn sie von der Bahn nach Hause geht. Sie ist so wunderschön. Ich würde ihr niemals etwas antun, überhaupt niemandem, aber hin und wieder frage ich mich, wie es wohl wäre, sie mir einfach zu schnappen.

Emilia wird für einen Moment schwarz vor Augen, ihr Herz beginnt zu rasen, ihre Finger kribbeln.

Ich frage mich, wie es wohl wäre, sie mir einfach zu schnappen.

So fängt es an. So fängt es immer an. So hat bestimmt auch der Mann empfunden, der Sophie getötet hat. Zuerst hat er sie nur beobachtet – sie hatte der Polizei gesagt, dass jemand sie verfolge. Dass sie sich sicher sei, einen Stalker zu haben. Und irgendwann ist immer das erste Mal; irgendwann kommt der Moment, in dem es ihnen nicht mehr reicht, sich das Ganze nur vorzustellen. In dem sie es wirklich spüren wollen.

Wer ist diese Frau, der dieser Mann nachstellt? Geht es ihr gut? Irgendwie hat dieser Post etwas Bedrohliches an sich, wie ein schrilles Warnsignal, das auf eine bevorstehende Gefahr hinweist. Aber an wen ist das Signal gerichtet? Der User, der es gepostet hat, lässt sich nicht ermitteln.

Übermäßig laut durchdringt der Vibrationsalarm ihres Handys die Stille. Emilia zuckt zusammen, dann nimmt sie den Anruf an.

„Hi, Dad.“

„Emi! Wollte nur mal hören, wie es dir geht. Ist alles in Ordnung?“

„Ja.“ Sie räuspert sich, um das vom Adrenalin ausgelöste Quietschen aus ihrer Stimme zu vertreiben. „Wieso?“

„Du klingst irgendwie merkwürdig.“

„Nein, nein. Ich habe mir nur gerade diese Dokumentation angesehen, und das Telefon hat mich erschreckt. Bei euch alles okay?“

„Ja, ich wollte mich nur mal melden.“ Er seufzt. „Ich verstehe nicht, warum du dir solche Sachen ansiehst, Emi. All diese Verbrechen, diese ungelösten Fälle … Warum versuchst du es nicht mal mit etwas Entspannendem? Oder etwas Lustigem? Wie hieß noch diese Show, die Sophie und du immer zusammen angeschaut habt? Der größte Bäcker?“

Nun ist es Emilia, die seufzt. Sie schafft es einfach nicht mehr, sich Das Große Backen anzusehen – nicht ohne ihre Schwester. Das war eine feste Institution für sie, jede Woche, ohne Ausnahme: gemeinsam unter einer dicken Decke zusammengerollt, die Teebecher auf dem Schoß, mit jeder Menge Shortbread, das immer so schön krümelte, wenn man mit vollem Mund seinen Kommentar zur Show abgab.

„Für mich ist das nicht schlimm, Dad. Du weißt doch, wie sehr ich mich für diese Themen interessiere. Das ist eben meine Leidenschaft.“

„Na, wenn das deine große Leidenschaft ist, warum …?“

„Sag es nicht, Dad.“

„Warum gehst du dann nicht wieder zur Polizei?“, fuhr er fort, ohne ihrem Protest die geringste Beachtung zu schenken. „Die würden dich sofort zurücknehmen, das weißt du doch.“

Mit einem Schnauben erwidert Emilia: „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

„Du bist eine brillante Polizistin.“

„War.“ Angespannt knabbert sie an dem losen Hautfetzchen an ihrem Daumen herum, das sie bis jetzt zu ignorieren versucht hat. „Ich war eine gute Polizistin. Davor.“

„Du bist es immer noch.“

„Nein, Dad. Du weißt, dass das nicht stimmt. Du weißt, dass ich nach … nach der ganzen Sache keine gute Polizistin mehr war. Ich habe kaum noch funktioniert. Und ich habe es einfach nicht mehr geschafft. Deshalb kann ich nicht zurück.“

„Emi, deine Mum und ich sind wirklich der Meinung …“

„Bitte, nicht schon wieder.“ Kurz versagt ihr die Stimme, ihre Augen fangen an zu brennen. Emilia atmet tief durch. „Bitte.“

Ihr Vater zögert. Er weiß nicht, was er noch sagen soll. Natürlich will er sie nicht verletzen, aber er tut es eben doch. Jedes Mal, wenn er ihr vorschlägt, wieder zur Polizei zu gehen, jedes Mal, wenn er ihr sagt, sie sei immer noch gut darin, erinnert sie das nur wieder daran, dass es eben nicht so ist. Und das tut weh.

Sie hat es nicht mehr in sich. Die Hingabe und die Liebe schon, aber nicht die Fähigkeiten. Nicht die Standfestigkeit. Mental und emotional schafft sie es einfach nicht. Es ist zu schwierig geworden. Alles erscheint ihr so … persönlich nach Sophie. Es ging nicht mehr. Die Kollegen schienen sie nur noch mit Samthandschuhen anzufassen, als würden sie bei jedem Fall vor allem darauf achten, welche Gefühle er in ihr auslösen könnte, ob sie damit klarkäme. Während sie in Wahrheit mit überhaupt nichts mehr klarkam.

Emilia ging zum Therapeuten, zum Psychiater, tat einfach alles, um wieder auf die Beine zu kommen. Trotzdem hatte sie immer das Gefühl, flussaufwärts zu waten, gegen eine Strömung anzukämpfen, die ihr jederzeit den Boden unter den Füßen wegziehen konnte. Und dann fing sie an, Fehler zu machen. Ihr Arzt diagnostizierte eine posttraumatische Belastungsstörung. Danach hielt sie sich nur noch wenige Tage.

„Bitte entschuldige, Emi. Aber als Privatdetektiv verschwendest du dein Talent.“

„Ich bin gut darin“, protestiert sie. „Ich kann einfach jeden aufspüren. Und es bringt Geld ein. Gutes Geld. Mehr Geld als der Polizeidienst, das steht fest.“

„Wir wollen nur das Beste für dich, das weißt du.“

„Ich weiß …“ Sie versucht, die Tränen runterzuschlucken, die aufsteigenden Gefühle zu verdrängen. „Und ich wünschte wirklich, ich könnte es, Dad. Das weißt du doch, oder?“

Stille am anderen Ende der Leitung.

„Dad?“ Emilia lauscht auf seine Atemzüge. Offenbar überlegt er, was die richtige Antwort sein könnte. „Bist du noch dran?“

„Ja, natürlich, Liebes. Also, du gehst definitiv nicht zurück?“

Für einen Moment schließt Emilia die Augen. Sie will nicht wieder weinen. Ihre Hand wandert an den Mund, die Zähne erwischen den losen Hautfetzen. Stumm zuckt sie zusammen. Wie salziges Eisen breitet sich der Blutgeschmack in ihrem Mund aus. So schmeckt Leben.

„Nein“, antwortet sie dann nachdrücklich, lässt die Hand sinken und beobachtet, wie ein Blutstropfen an ihrem Finger herunterrinnt und an ihrem Nagelbett hängen bleibt.

Ein verräterisch gereiztes Seufzen dringt aus dem Hörer. „Nun, das ist natürlich deine Entscheidung. Wir sind immer für dich da. Das weißt du?“

„Ja, das weiß ich.“

Nach kurzem Zögern fügt er hinzu: „Ich hab dich lieb, Emi.“ Fast schon überstürzt kommt ihm dieses Geständnis über die Lippen.

In dieser Hinsicht sind sie alle aus der Übung. Emilia hat ihre Eltern lange auf Distanz gehalten, unfähig, sich den Schuldgefühlen zu stellen, die sie jedes Mal überfielen, wenn sie die beiden in ihrer Trauer sah. Ob sie ihr auch die Schuld gaben?

„Ich … ich hab dich auch lieb.“

Sie beendet das Telefonat und legt das Handy weg. Minutenlang starrt sie auf das verschwommene Bild, das von dem dunklen Display zurückgeworfen wird.

Schließlich sackt sie in ihrem Stuhl zusammen. Der unvermittelte Gefühlssturm ist abgeflaut und hat sie erschöpft zurückgelassen. Wie aus einer Batterie wurde alle Energie aus ihr herausgesogen.

Langsam wandert ihr Blick zurück zum Computermonitor. Ebenso langsam hebt sie die Hand, streckt die Finger aus, stupst die Maus an.

Da ist das Forum wieder, all die Geständnisse sind noch immer auf dem Bildschirm ausgebreitet. Träge scrollt sie nach oben und liest. Bei manchen lächelt sie, bei anderen verdreht sie nur die Augen. Schließlich ist sie ganz oben angekommen, bei der jüngsten und durch Fettdruck hervorgehobenen Beichte: Jemand hat seiner Mutter zwei Fünfziger aus der Handtasche gestohlen.

Emilia schüttelt unwillig den Kopf. Ein Blick auf die Uhr entlockt ihr ein lautes Gähnen. Es ist 19:45 Uhr, Zeit fürs Abendessen.

Das Geräusch der zuschlagenden Tür dringt aus dem Computer und lässt Emilia auch diesmal zusammenzucken.

Oben auf dem Bildschirm ist eine neue Beichte erschienen.

Sie beugt sich vor, überfliegt die Worte. Stirnrunzelnd liest sie den Eintrag ein zweites Mal, versucht angestrengt, die Bedeutung zu verarbeiten, wie ein Kind, das neu gelernte Wörter nachspricht.

Anonymus 01
Mein Geständnis: Mord. London. Hayley James, Luca Franco.

Für alle Fans von Carina Schnell und Sarah J. Maas

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Crimson Sky – Die SeelenjägerinCrimson Sky – Die Seelenjägerin
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Roman

Der Wilden Jagd gehört der Nachthimmel

*** Mit limitiertem Farbschnitt in der 1. Auflage! ***

Triathletin Remy droht an ihrem abrupten Karriereende zu zerbrechen. Als sie in der Halloweennacht von zwei Reitern der Wilden Jagd in die Anderswelt entführt wird, ändert sich aber plötzlich alles. Sie soll Teil der Wilden Jagd werden und muss sich in einer gefährlichen Prüfung beweisen. Ihre Aufgabe: zu Ungeheuern gewordene menschliche Seelen auf der Erde jagen. Dabei lernt sie den attraktiven Kronprinzen Keon kennen. Remy ist die Einzige, die sich traut, ihm zu widersprechen. Dabei riskiert sie allerdings nicht nur ihren Kopf, sondern auch ihr Herz ...

Eine spicy Enemies to Lovers-Geschichte zwischen unserer Welt und der geheimnisvollen Welt der Fae von Bestseller-Autorin Kira Licht! Für alle Fans von Sarah J. Maas und Carina Schnell.

Band 1: Crimson Sky − Die Seelenjägerin
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Die wichtigsten Fragen rund um Bücher mit Farbschnitt

Was ist ein Farbschnitt?

Ein Farbschnitt bezeichnet die farblich gestalteten Kanten der Buchseiten. Dies kann einfarbig oder mit Mustern und Verzierungen gestaltet sein, auf einer Seite oder umlaufend.

Wie wird ein Farbschnitt hergestellt?

Der Farbschnitt wird in der Regel durch eine digitale Druck- oder Spritztechnik auf die Seitenkanten aufgebracht, oft bevor das Buch gebunden wird.

Sind Bücher mit Farbschnitt teurer?

Nein, bei Piper und everlove ist die Ausstattung mit Farbschnitt in der Regel auf die erste Auflage eines Buches begrenzt und kostet genauso viel wie die „reguläre“ Ausgabe.

Sind alle Bücher mit Farbschnitt limitiert?

Nicht alle, aber viele Bücher mit Farbschnitt werden in limitierten Auflagen produziert, was sie zu Sammlerstücken macht.

Warum gibt es die Bücher mit Farbschnitt nur in der ersten Auflage?

Das Einfärben der Buchschnitte ist ein zusätzlicher Produktionsschritt und nur ab einer gewissen Menge möglich. Auch sind die Ressourcen oder die Zeit für die Produktion einer speziellen Ausgabe begrenzt. Der Farbschnitt ist daher oft nur für die erste Auflage machbar.

Wenn ich das Buch im Piper-Webshop bestelle, erhalte ich dann auf jeden Fall die Sonderausgabe mit Farbschnitt?

Bei Bestellungen vor dem Erscheinungstermin erhältst du in der Regel die exklusive Sonderausgabe mit Farbschnitt. Sollte es in seltenen Fällen vorkommen, dass diese Ausgabe noch angezeigt wird, aber bereits vergriffen ist, bitten wir um euer Verständnis. Wir bemühen uns stets, solche Situationen zu vermeiden und euch den bestmöglichen Service zu bieten.

Wie pflege ich Bücher mit Farbschnitt richtig?

Bewahre  die Bücher an einem trockenen, kühlen Ort auf und vermeide direkte Sonneneinstrahlung, um die Farben vor dem Ausbleichen zu schützen. Benutze Buchstützen, um Verformungen zu vermeiden. Damit du besonders lange Freude an den Buchschnitten hast, wasche deine Hände, bevor du das Buch berührst, um Öle und Schmutz zu entfernen. Diese können die Farben und das Papier beschädigen. Am besten das Buch vorsichtig an den Rändern anfassen und vermeide es, die farbigen Kanten direkt zu berühren.

Wo kann ich Bücher mit Farbschnitt kaufen?

Die Bücher gibt es in gut sortierten Buchhandlungen, bei Online-Buchhändlern oder direkt beim Verlag. Achte auf spezielle Editionen und limitierte Auflagen.

Sind Bücher mit Farbschnitt wertvoll?

In der Regel behalten Bücher mit Farbschnitt ihren Wert oder gewinnen sogar an Wert, besonders wenn sie gut gepflegt werden und limitiert sind.

Kann ich Farbschnitte selbst gestalten?

Es ist möglich, erfordert aber Fachwissen und spezielle Materialien. Gemeinsam mit unseren Buchhandels-Partnern bieten wir immer wieder Events an, bei denen unsere Bücher unter fachlicher Anleitung individuell gestaltet werden können. Abonniere am besten unseren Romance-Newsletter, um über anstehende Events informiert zu werden.

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Kommentare

1. Kill Switch mit Farbschnitt
Anja am 12.04.2025

Liebes Piper-Team
Ich habe alle Bücher der Devil‘s Night Reihe und liebe sie ❤️
Leider habe ich Kill Switch nicht mit Farbschnitt und das macht mich wirklich traurig. Diese Reihe hat mich nach Jahren wieder zum Lesen gebracht und daher hätte ich so gerne alle mit Farbschnitt, damit es ein einheitliches Bild ist und ich mich immer wieder daran erfreuen kann.
Ich suche überall, aber selbst gebraucht finde ich es nicht mehr.
Könnt ihr mir helfen? Gibt es bei euch die Möglichkeit noch eins mit Farbschnitt zu kaufen? Ich würde mich sooooo sehr freuen!
Liebe Grüße
Anja

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