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Abenteuer Yukon QuestAbenteuer Yukon Quest

Abenteuer Yukon Quest Abenteuer Yukon Quest - eBook-Ausgabe

Nicolas Vanier
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Mit meinen Schlittenhunden 1600 Kilometer durch Kanada und Alaska

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Abenteuer Yukon Quest — Inhalt

„Ein moderner Jack London“ Süddeutsche Zeitung

Es ist bereits sein dritter Versuch, doch dieses Mal gibt Nicolas Vanier alles, um über die Ziellinie des Yukon Quest zu kommen: Bei minus fünfzig Grad muss der Musher seinen Schlitten auf schwierigstem Gelände durch den Schnee Kanadas und Alaskas lenken. Mitreißend beschreibt er die zwölf anstrengendsten Tage seines Lebens; wie er sich auf den einzelnen Etappen Schlafmangel und beißendem Wind widersetzte; wie er gefrorene Flüsse und steile Bergkämme überwand. Er berichtet über die Geschichte des Rennens, tragische Niederlagen und glorreiche Siege. Und er verrät, welch entscheidende Rolle seinen geliebten Hunden bei diesem Abenteuer zukam.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 02.09.2019
Übersetzt von: Antoinette Gittinger
288 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40490-7
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 02.11.2017
Übersetzt von: Antoinette Gittinger
288 Seiten
EAN 978-3-492-97756-2
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Leseprobe zu „Abenteuer Yukon Quest“

Vorwort
Der Yukon Quest gehört zu den wenigen wirklich legendären Rennen im hohen Norden, die daran erinnern, wie feindlich sich die großartige Welt der Natur dem Menschen gegenüber zeigen kann, der sie nicht respektiert und sich ohne Vorbereitung und Erfahrung auf sie einlässt.
Nicolas Vanier hat viele Erfahrungen im hohen Norden gesammelt, hat wiederholt die eisigen Weiten durchfahren und erforscht, diese wunderbaren, aber auch unwirtlichen Landstriche, in denen nur wenige Menschen leben. Nicolas hat diese schneereichen und eisbedeckten Landschaften [...]

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Vorwort
Der Yukon Quest gehört zu den wenigen wirklich legendären Rennen im hohen Norden, die daran erinnern, wie feindlich sich die großartige Welt der Natur dem Menschen gegenüber zeigen kann, der sie nicht respektiert und sich ohne Vorbereitung und Erfahrung auf sie einlässt.
Nicolas Vanier hat viele Erfahrungen im hohen Norden gesammelt, hat wiederholt die eisigen Weiten durchfahren und erforscht, diese wunderbaren, aber auch unwirtlichen Landstriche, in denen nur wenige Menschen leben. Nicolas hat diese schneereichen und eisbedeckten Landschaften jedoch nie allein durchstreift, immer hatte er seine Meute „kleiner Hunde“ bei sich.
Wer vom hohen Norden spricht, meint damit immer auch die Schlittenhunde. Und umgekehrt. Wir wissen, dass schon seit über 4000 Jahren Hunde dort die Begleiter der Menschen sind, ohne die sie verloren wären in der eisigen Kälte.
Ich habe das große Vergnügen, Nicolas seit einigen Jahrzehnten zu kennen und natürlich auch seine Hunde, die etwas ganz Besonderes sind. Im Lauf seiner Expeditionen in ferne Länder hat Nicolas beschlossen, eine ganz eigene Art der Ausbildung und der weiteren Entwicklung seiner Meute zu verfolgen, wobei für ihn das Augenmerk auf die individuelle Eigenart jedes Hundes zentrale Bedeutung hat. Dabei hat er sich um die Methoden, wie sie die Stars des Hundeschlittensports praktizieren, nie gekümmert. Deren Hunde entwickelten sich im Lauf der Zeit nicht nur zu Abenteurern und Überlebenskünstlern, was sie von Natur aus sind. Sie wurden vielmehr zu sportlichen Hochleistungsathleten getrimmt; das war der Zweck des tagtäglichen Trainings, wie es bei Spitzensportlern üblich ist.
Für mich, der ich seit über dreißig Jahren den Hundeschlittensport rund um die Welt betreibe und als Veterinär begleite, war es ein großartiges Erlebnis, als ich in einem gottverlassenen Winkel Sibiriens eines Tages die „kleinen Hunde“ von Nicolas kennenlernte und näher in Augenschein nehmen konnte. Mir war klar, dass auch ein Musher wie er eines Tages den Wunsch verspüren würde, sein Hundegespann bei dem Rennen einzusetzen und zu erproben, das zu den schwierigsten der Welt zählt. Also wurde der Yukon Quest zu einem festen Ziel. Oder vielleicht doch nur eine fixe Idee? Konnte man denn wirklich erwarten, dass jemand wie Nicolas mit einer Meute „kleiner Hunde“ es auf 1600 Kilometern mit den Giganten der Piste aufnehmen würde, mit erfahrenen Veteranen von Schlittenrennen, die alle gleichzeitig mehrere Gespanne trainieren und daraus nur die besten Hunde zum Rennen anmelden? Ich kenne diese Welt erbitterter Konkurrenz seit Langem sehr gut. Nicolas erschien mir einfach zu „weich“, um es zu schaffen, bei diesem mörderischen Tempo mitzuhalten.
Der Yukon Quest ist, genau wie das Iditarod in Alaska, ein Hürdenlauf, der es in sich hat. Es handelt sich dabei um etwas gänzlich anderes als eine Expedition: Hier muss ein bestimmter Rhythmus eingehalten werden, die Hunde dürfen nicht überfordert werden; man darf jedoch auch nicht riskieren, eine Erholungspause von ein bis zwei Tagen einzulegen. Der Musher ist ständig gefordert, muss sich permanent konzentrieren, mächtige Berge müssen bei Wind und Kälte überquert werden. Eine echte Herausforderung für einen Mann, der weiß, dass seine Hunde jeden Augenblick mit ihm durchgehen können und deren Motivation vor allem von seiner Gemütsverfassung abhängt.
Es waren diese Bedenken und Zweifel, aber auch Hoffnungen, die unsere Studenten der École Vétérinaire von Alfort und mich immer wieder vor dem PC versammelten, um im Internet das französische Hundegespann zu verfolgen. Nicolas und seine muntere Meute „glücklicher Hunde“ haben mich täglich in Erstaunen versetzt. Und schließlich gehörten sie sogar zu den top ten, was ich nie zu hoffen gewagt hätte. Noch besser: Ich bin davon überzeugt, dass Nicolas, wäre die Strecke noch 200 Kilometer länger gewesen, uns damit überrascht hätte, dass er sich zu den top five hochgearbeitet hätte.
Lieber Nicolas, auch wenn ich damit die Regeln eines Vorworts überschreite, wende ich mich jetzt direkt an Dich: Du warst und bist mein Freund! Mit diesem Rennen jedoch und mit Deinem fürsorglichen Verhalten gegenüber den „kleinen Hunden“ hast Du meine ganze Hochachtung errungen. In erster Linie sind es Dein Mut und Deine Art, Wertvorstellungen zu vermitteln, an die viele von uns glauben und die mich mit tiefem Respekt für Dich als Musher erfüllen – kein leeres Wort für mich, einen leidenschaftlichen Veterinärmediziner! Das Wort „Respekt“ hörte ich, gemünzt auf Dich und Deinen Umgang mit den Hunden, auch aus dem Munde vieler Studenten unserer Veterinärhochschule, aber auch sonst überall in der Welt des Hundeschlittensports. Und ich bin davon überzeugt, dass es den Lesern dieses Buches genauso geht.
Ich danke Dir, Nicolas, von ganzem Herzen! Und ich wünsche Dir, dass Du auch weiterhin mit Deiner „kleinen Meute“ Deinen Träumen nachjagen kannst.

Dominique Grandjean,
Professor für Veterinärmedizin an der École Nationale Vétérinaire d’Alfort


1 Der Start in Whitehorse
7. Februar 2015, 11.00 Uhr

Vierzehn Hunde, paarweise angeschirrt, hysterisch, mit wildem Blick – sie sind kaum wiederzuerkennen. Sie hüpfen auf und ab, jaulen und knurren gereizt, weil sie nicht losrennen können. Aber sie müssen warten.
Gleich startet der Yukon Quest.
Es ist elf Uhr. Das Thermometer zeigt minus vierzig Grad. Jetzt saust der erste der 26 Teilnehmer los: Allen Moore, der Sieger der beiden vorhergehenden Rennen. Welche Ironie des Schicksals, er hat die Startnummer 1 gezogen.
Drei Minuten später startet Brent Sass unter den Jubelrufen einer großen Menschenmenge, die sich in Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon-Territoriums im äußersten Nordwesten Kanadas, versammelt hat. Auch Brent, der bereits mehrere top-five-Platzierungen erreicht hat, zählt zu den Favoriten. Dann geht Normand Casavant aus Quebec an den Start: Er hat bei den letzten vier Rennen bereits drei top-ten-Platzierungen geschafft, ein guter Teilnehmer, auch wenn er dieses Mal wohl kaum den Sieg erringen wird. Noch sechs Minuten, dann sind wir an der Reihe.
„Schsch! Bleibt ruhig, meine Hunde.“
Sie werden von sechs Männern zurückgehalten. Zu ihnen gehört Pierre, der mich bei fast all meinen Expeditionen, bei all meinen Filmen begleitet hat und der auch „dies nicht verpassen wollte“. Außerdem Fabien, mein Freund und Handler* , der die Hunde mit mir trainiert hat. Alle Musher*, die von weit herkommen, haben einen oder mehrere Handler, was übrigens bei Rennen wie dem Yukon Quest Pflicht ist. Der Handler kümmert sich entsprechend seiner Erfahrung und des Vertrauens, das ihm „sein“ Musher schenkt, täglich um die Hunde. Abgesehen vom Training nimmt er manchmal auch selbst an Rennen teil. Häufig verfügen die Profi-Musher, die Zwinger von fünfzig, hundert oder mehr Hunden besitzen, über mehrere Hundegespanne. Der Musher führt die Mannschaft A an, die man als ein „Team“ bezeichnet, und lässt seinen Handler auf derselben Strecke mit dem Team B laufen, das im Allgemeinen aus vielversprechenden jungen Hunden besteht. Der Handler ist bei den Rennen unerlässlich. Er sammelt die Hunde wieder ein, die der Musher an den Kontrollpunkten (Checkpoints*) wegen Ermüdung, Verletzung oder aus einem anderen Grund ausgemustert hat. Manchmal lässt man gegen Ende des Rennens die langsameren Hunde zurück, um schneller voranzukommen. Der Handler, der im Van von Kontrollpunkt zu Kontrollpunkt fährt, holt die Hunde nach und nach ab und kümmert sich um sie. Auch wenn er sich beim Yukon Quest mit seinem strengen Reglement nicht um die Pflege der Hunde seines Mushers sorgen darf – dieser würde sonst disqualifiziert werden –, hat er doch die Aufgabe, sich um alles zu kümmern, was der Musher benötigt: Wetterbericht, Zustand und Form der anderen Gespanne, Informationen über die Piste etc. Seine an den Checkpoints übermittelten Informationen müssen genau und zuverlässig sein. Die Rolle des Handlers besteht auch darin, den Musher wieder aufzumuntern und ihm Selbstvertrauen zu vermitteln, wenn es daran mangelt. Fabien und ich, wir kennen uns sehr gut. Er kann hervorragend mit den Hunden umgehen und versorgt sie tadellos. Dieses Rennen ist also auch ein bisschen seines.
„Ruhig Blut. Schsch!“
Ich führe Selbstgespräche, mein Herz rast, die Hunde pfeifen darauf. Nur der Start kann sie beruhigen, nichts anderes. Die Konkurrenz zwischen den 300 Hunden der 26 Teilnehmer erreicht seinen Höhepunkt, versetzt die Hunde in einen Zustand der Hysterie, der unkontrollierbar und auch erschreckend ist. Ich muss unbedingt während der ersten zwanzig oder dreißig Kilometer der Rennstrecke die unglaubliche Ladung an Energie, die in den vierzehn übertrainierten Hunden geballt ist, im Zaum halten. Sonst könnte der über 150 Kilo schwere Schlitten fortgerissen werden.
„Pierre! Gib acht auf Wolf!“
Trotz meiner Versuche, ihn zu korrigieren, zeigt dieser Hund nämlich nach wie vor die ärgerliche Neigung, in die Leinen zu beißen, die ihn zurückhalten.
Die Einzige, die so etwas wie Ruhe und Vernunft an den Tag legt, ist Burka, meine Leithündin. Ich habe sie an der Spitze mit Miwook, einem weiteren hervorragenden Leithund, als Paar zusammengeschirrt. Diese beiden haben mich während des letzten Winters durch riesige Gebiete in Sibirien, China und der Mongolei geführt, vom Pazifik bis zum Baikalsee: eine schöne Strecke von mehr als 6000 Kilometern. Aber dieses Mal werden wir nicht wie damals 1600 Kilometer in circa zwanzig Tagen zurücklegen. Dieses Mal müssen wir über 150 Kilometer in 24 Stunden bewältigen, und das zehn Tage lang. Das wird eine riesige Herausforderung für die 26 Teilnehmer des Rennens, auch wenn einige nicht unbedingt die ersten Plätze anstreben und sich deshalb ein bis zwei Tage mehr genehmigen als die Spitzenteams. Was ist mein Ziel? Ich will aufs Ganze gehen. Und wenn ich es schaffe, wenn mein Gespann gut läuft und ich durchhalte, träume ich davon, unter den top ten zu sein. Aber im Augenblick heißt die Devise: step by step, ein Schritt nach dem anderen.
Die erste Etappe umfasst 160 Kilometer von Whitehorse bis Braeburn, dem ersten Kontrollpunkt des Rennens. Ich vermute, dass einige der Besten wie Jeff King, Hugh Neff und Allen Moore diese Etappe in einem Zug zurücklegen werden. Ich plane allerdings, diese Strecke in zwei Abschnitten zu bewältigen: Der erste umfasst neunzig Kilometer und der zweite siebzig, mit einer Pause von drei oder vier Stunden. Das bedeutet, dass ich wohl gegen zwei oder drei Uhr morgens am Kontrollpunkt ankommen werde. Ich denke, dass ich dann in der Mitte des Teilnehmerfelds liegen werde. Aber in dieser Phase spielt die Platzierung nur eine geringe Rolle.

Ich gehe von einem Hund zum nächsten und versuche erneut, sie zu beruhigen. Abgesehen von der Erregung des Starts spüre ich, dass sie gestresst sind, überwältigt von der Größe des Ereignisses, das Tausende von Personen in Bewegung setzt und das Millionen von Menschen auf der ganzen Welt verfolgen werden. Sicherlich bemerken sie auch meine Angst. Selten ist mir ein Berg so hoch erschienen: 1600 Kilometer schwierige Pisten durch das Yukon-Territorium bis nach Alaska. Über 150 Kilometer, die täglich innerhalb von 24 Stunden zurückgelegt werden müssen, ungeachtet des Geländeverlaufs, der Kälte und der Erschöpfung. In etwa zehn Tagen muss Fairbanks erreicht sein. Eine sagenhafte Herausforderung, der sich jedes Jahr die besten Musher der Welt stellen. Alle verabreden sich für die beiden größten Rennen: den Yukon Quest und im März den Iditarod.

Ich kenne meine Schwächen. Ich bin 53 Jahre alt. Meine Hunde haben keine Ahnung von diesem ganz besonderen Rennen. Außerdem traten bei einigen wieder Sehnenentzündungen auf, als wir die sogenannten Runs* etwas verlängerten. Das sind Trainingseinheiten von siebzig bis 120 Kilometern, die denen entsprechen, die sie beim Rennen zurücklegen müssen. Sie werden unterbrochen durch mehr oder weniger lange Ruhepausen, um ihren will to go wach zu halten. Man muss seine Hunde sehr genau kennen, um klug zu dosieren, wie lange sie brauchen, um sich von einem mehr oder weniger intensiven Run zu erholen. Die Profi-Musher – an diesem Rennen nehmen fast nur solche teil – mustern jene Hunde aus, die keine langen Etappen durchhalten und Schwächen zeigen. Sie können dies tun, da sie häufig Hundezwinger mit mehr als fünfzig Hunden besitzen, manchmal sogar mit hundert und mit mehr. Ich dagegen habe lediglich fünfzehn Hunde, eigentlich nur vierzehn. Denn Altai ist ein Hund, der noch nie Spaß am Laufen hatte und deshalb doppelt so schnell wie die anderen ermüdet. Für Rennen ist er nicht leistungsfähig genug und deshalb bereits seit Langem im Abseits.
Sicherlich haben wir Schwächen, aber auch Kraft. Die Hunde und ich, wir kennen uns in- und auswendig. Gemeinsam haben wir riesige Weiten durchstreift und noch zuletzt bei unserer besonders gefährlichen Expedition zahlreiche Abenteuer erlebt. Das Wetter hat uns böse mitgespielt, wir waren immer wieder gezwungen, „nicht passierbare“ Stellen zu überwinden und Unmögliches möglich zu machen.
11.09 Uhr. Der vierte Teilnehmer ist startklar. Es ist ein 38-jähriger Amerikaner, der nicht zu den Titelanwärtern gehört; er will lediglich den Quest einmal mitmachen. Als official finisher dieses mythische Rennen zu beenden bedeutet, den Heiligen Gral gefunden zu haben, nach dem viele Musher streben, und sei es nur einmal in ihrem Leben.
In drei Minuten sind wir endlich auch dran: Startnummer 5. Unsere Anspannung hat den Höhepunkt erreicht, aber ich bin ganz konzentriert. Mehr als acht Personen, die eine Armbinde mit der Aufschrift „volunteer“ tragen, halten die Hunde im Zaum, während die Zuschauer beim Aufbruch jedes Gespanns jubeln. Aber ich höre nichts mehr, ich sehe nur noch diese schmale weiße Piste, die sich in der Ferne vor meinen Hunden verliert. Das ähnelt einer Etappe der Tour de France, wenn die Radfahrer einen Pass überqueren. Die Zuschauermenge gerät in Bewegung, ist laut, filmt, fotografiert und spornt jeden Teilnehmer an.
Nur noch eine Minute.
„Meine Burka! Mein Miwook! Meine Helden, ich vertraue euch, wir werden einen fehlerlosen Start hinlegen.“
Der liebevolle Blick von Burka beruhigt mich. Als ich wieder zu meinem Platz hinten auf dem Schlitten zurückkehre, streiche ich jedem meiner Hunde über den Rücken.
„Alles gut, Quest! Alles gut, Sidi! Alles gut, Wolf . . .“
Noch gut zwanzig Sekunden. Ich umarme ein letztes Mal Fabien und spüre, wie gerührt er ist. Wir haben uns schon so lange auf dieses Rennen vorbereitet. Dann nehme ich meinen Platz ein, einen Fuß auf der Bremse, den anderen auf der linken Kufe, in Erwartung der ersten Rechtskurve, die uns auf den Weg zum zugefrorenen Yukon führt. Ich umklammere den Lenkbügel und atme tief durch.
„Three. Two. One. Go!“
Bei diesem Kommando weichen die acht freiwilligen Helfer blitzschnell zurück. Gleichzeitig springen die Hunde in die Höhe und stoßen sich von den festen Stellen ab, die ihr Auf-und-ab-Hüpfen im verhärteten Schnee gebildet hat. Sie sind begierig darauf, sich auf die Kilometer zu stürzen, die vor ihnen liegen. Zugleich sind sie erleichtert, ihren Überschuss an Energie, der sich in den letzten Ruhetagen noch weiter aufgebaut hat, endlich loszuwerden.
Mein Herz macht einen Sprung, während sich der Schlitten mit einem heftigen Ruck in Bewegung setzt. Tausende von Menschen brüllen „Los, Nicolas! Los, Franzose! Viel Glück!“ Ich rufe ihnen ein „Thank you“ zu, aufrichtig, aber auch angespannt.
Vorne bahnt sich souverän das Paar Burka-Miwook seinen Weg durch die Menge. Ich verlagere mein gesamtes Gewicht auf die Bremse und werde dabei von Fabien unterstützt. Er begleitet die Startphase auf einem zweiten Schlitten, der mit meinem verbunden ist, zusammen mit einem „zahlenden“ Mitfahrer. Dieses Verfahren bringt den Organisatoren einige Tausend Dollar ein und steigert zudem die Rennprämien. Die Musher machen daher bei dieser obligatorischen Übung bereitwillig mit, die auch nur kurze Zeit dauert. Schon nach einem Kilometer wird der zweite Schlitten an einer Stelle, wo andere freiwillige Helfer warten, „zurückgelassen“. Dafür hat Fabien einen Lösungsmechanismus entwickelt, der nicht einmal ein Anhalten meines Gespanns erfordert. Konzentriert, wie ich bin, merke ich fast zu spät, wie das Seil mit dem Karabinerhaken ausklinkt und den zweiten Schlitten freilässt. Ich drehe mich nicht einmal nach Fabien um, um mich von ihm und seinem Fahrgast zu verabschieden, habe ich doch viel zu große Angst, ein Hund könnte sich im Gespann verheddern. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Schlitten zum Halten bringen könnte, um ihm zu helfen, nicht einmal, wenn ich beide Anker in die Eisfläche rammen würde. Vierzehn von den Leinen gelassene Hunde entwickeln eine phänomenale Kraft, die schwer zu bändigen ist. Deshalb flehen wir alle inständig darum, dass die ersten Kilometer ohne Probleme verlaufen.
Schließlich löst sich die Menge der Zuschauer auf. Nur noch vereinzelte Gruppen, die sich auf dem Yukon niedergelassen haben, spornen uns mit Zurufen an. Viele haben Feuer angezündet, um die extreme Kälte, die seit einer Woche herrscht und wohl andauern wird, erträglicher zu machen.
Dieser Quest wird sich schwierig gestalten. Das wissen wir alle. Schlechte Witterungsbedingungen zu Beginn der Saison führten auf den Flüssen, die wir befahren müssen, zu chaotischen Eisstaus. Von den Freiwilligen, die seit zwei Wochen die Pisten spuren, wurden wir informiert, dass sie häufig in sehr schlechtem Zustand sind, technisch aber sehr anspruchsvoll und daher sportlich herausfordernd.
Die Kälte wirkt bei einem Rennen, bei dem der Körper enorm gefordert wird, doppelt ermüdend, zumal nur wenige Stunden Schlaf – höchstens zwei bis drei Stunden – innerhalb von 48 Stunden möglich sind. Aber nicht diese Faktoren jagen mir die größte Angst ein. Da wir alle im gleichen Boot sitzen, haben wir mit denselben Pisten und derselben Kälte zu kämpfen. Meine Besorgnis gilt vor allem der Leistungsfähigkeit meiner Hunde, der Sorge, ob sie den Rhythmus einhalten können, sich gut erholen, gut fressen und genug trinken. Und die Hunde, bei denen einige Schwächen der Gelenke diagnostiziert wurden, beunruhigen mich am meisten. Werden sie lange genug durchhalten? Selbst auf die Gefahr hin, zu Beginn des Rennens etwas Zeit zu verlieren und damit auch eine vordere Platzierung, möchte ich unbedingt die Hunde ausreichend schonen, um mit mindestens zehn, ja elf Hunden in Dawson einzulaufen. Zwölf wären ideal. Dawson liegt ungefähr in der Streckenmitte, und das Reglement sieht dort eine Zwangspause von 24 Stunden vor. Mit zwölf Hunden diese Hauptetappe zu erreichen käme bereits einem halben Sieg gleich. Die Hunde hätten dann genügend Zeit, wieder Kraft zu tanken.
Laut Reglement dürfen beim Start höchstens vierzehn Hunde eingesetzt werden, bei der Ankunft müssen noch sechs dabei sein. Die Hunde, die im Verlauf des Rennens ausgemustert wurden, werden an den neun Kontrollpunkten von den Handlern mitgenommen. Diese Kontrollpunkte sind nicht ausgewogen über die gesamte Rennstrecke verteilt; einige liegen mehr als 300 Kilometer voneinander entfernt, andere weit weniger. So gut wie nie erreicht jemand am Ende das Ziel mit vierzehn Hunden. Gewöhnlich laufen die Gespanne mit sieben bis elf Hunden über die Ziellinie. Dabei ist zu bemerken, dass die Musher, die 300 oder 400 Kilometer vor dem Ziel noch vierzehn Hunde haben, schneller werden, weil sie die „schwachen Glieder“, die nicht mithalten können, dann ausmustern können. Zudem werden auf dem letzten Teil des Rennens die Entfernungen zwischen den Kontrollpunkten kürzer, die Ausrüstung wird auf das Notwendigste verringert, die Schlitten dadurch leichter – und zehn Hunde sind dann völlig ausreichend.
Dagegen setzt man bei den langen Streckenabschnitten von 300 Kilometern und mehr, mit einem stark beladenen Schlitten und großen Höhenunterschieden mit endlosen Anstiegen besser auf ein Gespann mit mindestens zwölf Hunden. Die Strategie besteht darin, alles dafür zu tun, alle Hunde so lange wie möglich im Rennen zu halten. Seit Beginn des Rennens tue ich mein Bestes, um sie zu schonen. Zum Beispiel verlagere ich fast mein ganzes Gewicht auf die Bremse, um meine wilden Hunde daran zu hindern, in vollem Galopp voranzupreschen. Andere lassen jedoch ihre Hunde mit voller Kraft laufen.
Die ersten zwanzig Kilometer werden auf dem gefrorenen Yukon zurückgelegt. Es ist eine tadellose Piste, auch wenn das Eis manchmal spiegelglatt ist. Dann ist die Bremse wirkungslos, und diese verflixten unbelehrbaren Hunde legen sofort wieder an Tempo zu. Als wir wieder auf Schnee gleiten, beruhige ich sie. Hunde wie Dark, Sidi oder Inuk murren, zeigen knurrend ihre Unzufriedenheit. Es tat ihnen so gut, in vollem Galopp zu laufen. Aber haben sie eine Ahnung, wie viele Kilometer wir noch zurücklegen werden? Wie viele Berge wir bezwingen müssen? Wenn sie es wüssten, wären sie bestimmt einverstanden, dass ich nach dem berühmten Sinnspruch vorgehe: „Wer weit kommen will, muss sein Pferd schonen.“
Ich rechnete damit, dass zahlreiche Gespanne in vollem Tempo an mir vorbeirasen und mich überholen würden, aber das ist keineswegs so. Bei diesen extremen Temperaturen ist für alle Schlitten Vorsicht oberstes Gebot. Bei derartiger Kälte voll aufzudrehen ist riskant. Alle diese erfahrenen Musher besitzen zu viel Professionalität, um sich schon zu Beginn des Rennens zu höherer Geschwindigkeit verführen zu lassen.
Gegen Mittag erwärmt die Sonne ein wenig die eisige Atmosphäre dieses schönen Wintertags. Der Atem, den die Hunde ausstoßen, verwandelt sich sofort in eine mit Flitter besetzte Wolke, funkelt und bildet einen goldenen Hof um das Gespann. Ich bin bereits durchgefroren, die Kapuze meines Parkas ist weiß vom Raureif, mein Bart von Frost überzogen. Aber als die Hunde wieder ihr schnelles, aber auch harmonisches Tempo aufnehmen, fange ich an, mich zu entspannen.
Als wir auf den Takhini, einen Nebenfluss des Yukon, abzweigen, entdecke ich an der Stelle, wo die Piste den zugefrorenen Fluss überquert, eine Menge Leute. Als sie mein Gespann sehen, fangen sie an zu brüllen und laufen los, um meine Überfahrt zu sehen. Auf diese Weise feuern sie alle Gespanne an, die mit wenigen Minuten Abstand voneinander vorbeiflitzen. Es sind bereits größere Abstände zwischen einzelnen Gespannen erkennbar; einige setzen auch schon zu ersten Überholmanövern an, und das mit höchster Disziplin: Die Musher kennen die Regeln und verhalten sich sehr rücksichtsvoll. Das eingeholte Gespann lässt also das hintere vorbeifahren, wobei der Musher entweder auf die Bremse drückt oder den Schlitten völlig zum Stehen bringt, wenn das Gelände es zulässt. Kurze Zeit später überhole ich ein Gespann, bevor ich von zwei anderen überholt werde, die nicht zu den schlechtesten gehören. Es handelt sich um zwei Größen des Hundeschlittensports, die an der achten und neunten Stelle gestartet sind: Lance Mackey und Jeff King, beide lebende Legenden. Sie haben eine beeindruckende Siegerliste aufzuweisen, auf die ich noch zurückkomme. Beide ziehen hinter ihrem Schlitten einen kleinen „Krankenwagen“ mit, eine Art gleitenden Hundezwinger. Darin können sich bis zu drei erschöpfte oder leicht verletzte Hunde erholen, während das Gespann weiter voranprescht. Ein beträchtlicher Vorteil, aber man muss dieses Gefährt auf solch schwierigen Pisten wie denen des Yukon Quest auch handhaben können. Lance gibt mir ein freundliches Zeichen, um mir dafür zu danken, dass ich ihn auf der linken Seite der Piste vorbeilasse. Jeff King setzt seine Fahrt unbewegt fort, zeigt leichte Verachtung für den kleinen Franzosen, der seiner Meinung nach absolut keine Chance hat, dieses Rennen, das für die Champions gedacht ist, bis zum Ende durchzuziehen.
Es ist völlig idiotisch, aber ich kann mir nicht verkneifen, meine Position zu überprüfen. Da ich weiß, dass ich ein Gespann eingeholt habe und zwei mich überholt haben, befinde ich mich also an sechster Stelle. Darauf bereits jetzt zu achten ist total lächerlich, da das in dieser Phase überhaupt keine Rolle spielt. Abstände und die entsprechenden Platzierungen gewinnen erst ab Carmacks, dem zweiten Kontrollpunkt des Rennens und mehr als 300 Kilometer von hier entfernt, an Bedeutung.
Ein Musher könnte sich entschließen, 200 Kilometer, ohne anzuhalten, durchzusausen und damit einen Vorsprung vor den anderen von acht oder zehn Stunden herauszuholen (genau das tat der Titelanwärter Hugh Neff im Vorjahr). Aber solch ein Vorteil ist letztlich relativ, denn nach einem derartigen Run muss man den Hunden mindestens zehn Stunden Ruhe gönnen, während andere, die nach achtzig oder hundert Kilometern ihren Hunden eine Erholungspause gewähren, wieder früher aufbrechen können. Erst nach 300 oder 400 Kilometern gewinnen die Platzierungen für den Rennverlauf an Bedeutung, aber die Geschichte eines Rennens ist damit lange nicht zu Ende, weit gefehlt.
Bei der ersten Etappe ist das Ziel Braeburn, 160 Kilometer vom Start entfernt. Die ersten vierzig Kilometer auf dem Yukon und dem zugefrorenen Fluss Takhini sind einfach, dann führt die Strecke durch eine hügelige Landschaft, wo sich Waldstücke, Seen und Sümpfe abwechseln, und wird anspruchsvoller. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass es Abschnitte mit Overflow* gibt, Zonen, in denen Wasser über das Eis fließt, sich mit dem Schnee vermischt und eine Art grauen Schlamm bildet, der schwer zu befahren ist, besonders bei minus vierzig Grad. Diese Wasserstellen, die manchmal durch wärmeres Wasser angereichert werden, bilden ständig Eis, gefrieren immer wieder von Neuem, erzeugen Eisbarrieren. An manchen Stellen entstehen Wassertaschen, die von einer isolierenden Schneehaube verdeckt sind. Das sind regelrechte Fallen, die einen Meter tief sein können und von den Mushern und den Fahrern von Schneemobilen gefürchtet werden. Wenn die schützende Schneedecke, die auf dem Wasser liegt, einbricht, gerät man ohne Vorwarnung in den kalten Matsch. Man muss sich dann rasch daraus befreien, denn der Schlitten bleibt im Matsch stecken, der in der eisigen Luft schnell zu einer betonharten Kruste gefriert. 2011 geriet Hans Gatt, ein Vierfachsieger des Rennens, in eine solche Falle. Er zählte zu den Führenden hinter Hugh Neff, der ein größeres Ausweichmanöver gemeistert hatte und jetzt, zumindest war das zu vermuten, dem Sieg entgegeneilte (aber das ist eine andere Geschichte). Hans fuhr in aller Ruhe auf festem Eis – nahm er zumindest an. Doch plötzlich bildeten sich Risse, das Eis brach auf, und Hans sank in ein metertiefes Wasserloch ein. Der Schlitten steckte fest, und die Hunde paddelten wie wild und liefen Gefahr zu ertrinken. Schließlich gelang es Hans, sie loszubinden und aus dem Wasser zu ziehen, aber der Musher war nass bis zum Hals, hatte nichts zum Wechseln dabei und zitterte bei minus vierzig Grad vor Kälte. Hans zog sofort die Stiefel aus, damit sie nicht gefroren, und hüllte seine bereits blutleeren Füße in Hundemäntelchen, die er oben auf seinem Schlitten mit sich führte. Er war in miserabler Verfassung, als in der Ferne das Strahlenbündel der Stirnlampe seines unmittelbaren Verfolgers, Sebastian Schnuelle, aufleuchtete. Sebastian entdeckte das Loch und befahl seinem Leithund, die gefährliche Zone zu umgehen. Dann eilte er zu Hans, um ihm zu Hilfe zu kommen. Gemeinsam gelang es ihnen, den Schlitten aus dem Wasser und aufs Eis zu ziehen, die Hunde in Sicherheit zu bringen und ein Feuer anzuzünden. Aber Hans hatte bereits starke Erfrierungen an den Händen erlitten. Sie brachen also schnell zum Kontrollpunkt Central auf, wo Hans natürlich Scratcher* wurde, einer, der das Rennen aufgeben muss, und sich schnell in Behandlung begab, um seine Hände zu retten. Ein paar Finger mussten allerdings amputiert werden.
Das Rennen schien jetzt gelaufen zu sein. An der Spitze befand sich Hugh Neff, der bereits mit einem beruhigenden Vorsprung dem legendären Gipfel des Rennens, dem Eagle Summit, entgegenstürmte und keine 200 Kilometer mehr bis zum Ziel hatte. Der Wind fegte um den Gipfel, der nur über eine unglaublich steile Steigung zu erreichen ist. Man muss anschieben, sich Meter um Meter vorwärtsarbeiten, und die Hunde müssen bereit sein, sich zu verausgaben und mühsam hochzuklettern. Aber seine Hunde weigerten sich. Der Wind hatte an Stärke zugenommen, und Hugh, eingezwängt zwischen den streikenden Hunden, wartete nun seinerseits auf seine Verfolger, um Hilfe zu erhalten, was mehrere Stunden dauerte.
Als sie ihn eingeholt hatten, kehrte er um und fuhr nach Central zurück, um ebenfalls aufzugeben, obwohl er bereits als Sieger dieses Rennens gegolten hatte. In jenem Jahr gewann ein junger, unglaublich talentierter Musher das Rennen, während doch Hans Gatt und Hugh Neff als Favoriten gehandelt worden waren. Dallas Seavey, einer von weltweit vier Mushern, die beide legendären Rennen, den Yukon Quest und das Iditarod, gewonnen haben, ist zugleich auch der jüngste Sieger in der gesamten Geschichte des Hundeschlittenrennens. Ein toller Bursche! Diese tragischen Beispiele von Hans, der vor der Katastrophe stand, und Hugh, der einen Hund verloren hat, erfroren am Berg, zeigen, wie ungeheuer wichtig Solidarität ist und dass das Ergebnis bis zum Schluss offen ist.
Also ermahne ich mich zu Bescheidenheit und höchster Konzentration.

Nicolas Vanier

Über Nicolas Vanier

Biografie

Nicolas Vanier, 1962 im Senegal geboren, ist wie sein Vorbild Jack London Abenteurer und Schriftsteller zugleich. Als Erster überwand er nur mit dem Hundeschlitten eine 8 600 Kilometer lange Strecke durch Alaska und Kanada. Für ein Jahr zog er mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter in die...

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