Alice von Battenberg – Die Schwiegermutter der Queen Alice von Battenberg – Die Schwiegermutter der Queen - eBook-Ausgabe
Ein unkonventionelles Leben
— Faszinierende Biografie„Auch wer sich sonst nicht für den Adel interessiert, wird von diesem Buch gepackt.“ - Münchner Merkur
Alice von Battenberg – Die Schwiegermutter der Queen — Inhalt
Ein Leben zwischen Buckingham Palace und der Psychiatrie – ein ungeschöntes Porträt einer faszinierenden Persönlichkeit
Karin Feuerstein-Praßer holt mit der ersten deutschsprachigen Biografie über Alice von Battenberg eine Frau aus der Vergessenheit, die mehr als nur die Schwiegermutter von Queen Elizabeth der II. war.
Sie durchlebte Kriege und Putschversuche, war Mutter und Wohltäterin, kämpfte aber auch gegen zahlreiche eigene Dämonen. Das Leben der Alice von Battenberg war ungewöhnlich, tragisch, vor allem facettenreich und vielschichtig.
Die Urenkelin von Königin Victoria und spätere griechische Monarchin kam 1885 taub auf Schloss Windsor zur Welt, lernte jedoch Lippenlesen in gleich mehreren Sprachen. Später heiratete Alice Prinz Andreas von Griechenland, bis politische Unruhen die Familie ins Exil zwangen. Sie verfiel dem religiösen Wahn und wurde wegen des Verdachts auf Schizophrenie in die Psychiatrie eingewiesen.
Ein schier unglaublicher Lebensweg, der noch viele weitere Stationen sowie Höhen und Tiefen enthält. Autorin Karin Feuerstein-Praßer schafft ein wichtiges und fesselndes Korrektiv, welches das Rampenlicht auf eine zu Unrecht ignorierte Adlige richtet.
Heldinnenmut im Angesicht des Nationalsozialismus – eine wenig beachtete Seite der Aristokratie
Karin Feuerstein-Praßer lässt ihre Leser noch zahlreiche andere Facetten der Prinzessin und des europäischen Adels entdecken. Alice von Battenberg versteckte während des Zweiten Weltkriegs eine jüdische Familie und rettete ihr damit das Leben. Eine Tat, für die sie nach ihrem Tod die Ehrung als „Gerechte unter den Völkern“ erhielt.
Informatives und persönliches Geschichtsbuch abseits der royalen Gerüchteküche
Selbst eine komplexe und vielschichtige Serie wie „The Crown“ auf Netflix erfasst nicht die gesamte Geschichte der Royal Family. „Alice von Battenberg – Die Schwiegermutter der Queen“ eignet sich deswegen perfekt für LeserInnen, die kein Interesse an Klatsch und Tratsch über Harry und Meghan oder wilden Skandalen haben. Tauchen Sie stattdessen tief in die historischen Aspekte der adligen Gesellschaft ein.
Leseprobe zu „Alice von Battenberg – Die Schwiegermutter der Queen“
Kapitel 1
Kosmopoliten aus der hessischen Provinz – die Battenbergs
Alice, Mutter von Prinz Philip und Urenkelin Queen Victorias
Als junger Prinzgemahl hatte es Philip, Herzog von Edinburgh, am englischen Königshof keineswegs leicht. Nach der Thronbesteigung Elizabeths II. 1952 musste er seine erfolgreiche Karriere bei der Royal Navy vorzeitig beenden, um künftig nur noch „der Mann an ihrer Seite“ zu sein. Das höfische Protokoll schrieb ihm vor, stets zwei, drei Schritte hinter seiner Frau zu gehen, was er jahrzehntelang mit der ihm eigenen Souveränität [...]
Kapitel 1
Kosmopoliten aus der hessischen Provinz – die Battenbergs
Alice, Mutter von Prinz Philip und Urenkelin Queen Victorias
Als junger Prinzgemahl hatte es Philip, Herzog von Edinburgh, am englischen Königshof keineswegs leicht. Nach der Thronbesteigung Elizabeths II. 1952 musste er seine erfolgreiche Karriere bei der Royal Navy vorzeitig beenden, um künftig nur noch „der Mann an ihrer Seite“ zu sein. Das höfische Protokoll schrieb ihm vor, stets zwei, drei Schritte hinter seiner Frau zu gehen, was er jahrzehntelang mit der ihm eigenen Souveränität tat, bis er im August 2017 in den offiziellen „Ruhestand“ trat. Zu diesem Zeitpunkt war Prinz Philip 96 Jahre alt und zählte zu den fleißigsten und beliebtesten Mitgliedern des englischen Königshauses.
Das war nicht immer so gewesen, zumindest was seine Beliebtheit betrifft. Anfangs galt Philip sowohl am Hof als auch beim englischen Adel als bürgerlicher Außenseiter, noch dazu mit deutschen Wurzeln, was seine Position in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zusätzlich erschwerte. Selbst das Dienstpersonal schien ihm mitunter den nötigen Respekt zu versagen. Wer war er schon, dieser Philip Mountbatten, dessen Vorfahren mütterlicherseits noch bis 1917 den deutschen Namen Battenberg getragen hatten und irgendwo aus der hessischen Provinz stammten?
Nach der Krönung Elizabeths II. im Sommer 1953 musste sich Prinz Philip sogar von einem hochnäsigen Höfling belehren lassen: „Sie werden Schloss Windsor lieben, wenn Sie es erst einmal kennengelernt haben.“ Philips lässige Antwort wird den Bediensteten wohl sprachlos gemacht haben: „Ja, ich weiß, meine Mutter wurde hier geboren.“ Ob der Bedienstete das geglaubt hat? Wieso sollte die Mutter des Prinzgemahls ausgerechnet auf Schloss Windsor das Licht der Welt erblickt haben, mag er sich wohl gefragt haben. Vielleicht hatte er ja die Krönungsfeierlichkeiten im Fernsehen verfolgt und sich über die merkwürdige ältere Dame gewundert, die mit ihrer schlichten grauen Nonnentracht einen außergewöhnlichen Kontrast zu den übrigen, glamourös gekleideten Gästen bildete. Ob er wohl wusste, dass es sich um die Schwiegermutter der Queen handelte, Philips Mutter Alice von Battenberg?
Tatsächlich kam Alice von Battenberg am 25. Februar 1885 in Anwesenheit von Queen Victoria (1819–1901) auf Schloss Windsor zur Welt. Schließlich war ihre Mutter, die 1863 ebenfalls hier geboren wurde, deren Enkelin und trug zudem den gleichen Namen: Viktoria. Auch die neugeborene Prinzessin wurde nach ihrer Großmutter mütterlicherseits Alice gerufen (Taufname: Victoria Alice Elisabeth Julia Marie), doch diese, Viktorias Mutter, die zweitälteste Tochter der Queen, war tragischerweise schon 1878 verstorben.
Die früh verstorbene Großmutter Alice von Hessen-Darmstadt
Nach der Geburt von Viktoria, genannt „Vicky“, 1840 und des späteren englischen Königs Edward VII. im Jahr darauf kam Alice 1843 als drittes Kind von Queen Victoria und ihrem deutschen Gemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha (1819–1861) auf die Welt. Mit 19 Jahren heiratete sie den späteren (1877) Großherzog Ludwig IV. von Hessen und bei Rhein (1837–1892) und folgte ihrem Ehemann in die hessische Residenzstadt Darmstadt.
Das Großherzogtum Hessen-Darmstadt war damals noch vergleichsweise jung. In der Zeit der Napoleonischen Kriege war Ludwig X. (1753–1830), Landgraf von Hessen-Darmstadt, ein enger Verbündeter von Napoleon Bonaparte gewesen, Gründungsmitglied des unter französischem Protektorat stehenden Rheinbunds, der sich im August 1806 formell vom Heiligen Römischen Reich losgesagt und damit dessen Ende beschleunigt hatte. Als Dankeschön des Kaisers der Franzosen erhielt der Landgraf eine fürstliche Standeserhöhung und durfte sich seitdem Ludwig I., Großherzog von Hessen und bei Rhein, nennen.
Daneben gab es noch ein zweites hessisches Territorium, Hessen-Kassel; beide waren 1567 durch Erbteilung entstanden. Landgraf Philipp I. (1504–1567), von dem später noch die Rede sein wird, hatte das hessische Territorium seinen vier Söhnen vermacht, von denen zwei frühzeitig starben. So entstanden damals der nördliche Teil Hessen-Kassel und die südliche Landgrafschaft Hessen-Darmstadt.
Das Haus Hessen-Darmstadt war eng mit den großen europäischen Höfen verbunden. Wilhelmine (1755–1776), eine Tochter Ludwigs IX. und der „Großen Landgräfin“ Caroline, hatte den russischen Zaren Paul I. geheiratet, den Sohn Katharinas der Großen, während ihre Schwester Friederike Luise (1751–1805) an der Seite Friedrich Wilhelms II. preußische Königin wurde. 1841 vermählte sich schließlich Marie, die Tochter des hessischen Großherzogs Ludwig II. (1777–1848) und Wilhelmines von Baden (1788–1836), mit dem späteren Zaren Alexander II. – ein Umstand, der einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Entstehungsgeschichte der Battenbergs hatte. Doch dazu später mehr.
Hatte sich das Haus Hessen-Darmstadt hinsichtlich seiner Eheschließungen bislang auf Russland und Preußen beschränkt, so kam es 1862 erstmals zu einer Verbindung mit dem englischen Königshaus. Auf Wunsch seiner Mutter Elisabeth, Nichte des Preußenkönigs Friedrich Wilhelms III., war der junge Ludwig von Hessen-Darmstadt, der nachmalige Großherzog Ludwig IV., seinerzeit in preußische Dienste eingetreten und hatte in Berlin das spätere Kronprinzenpaar kennengelernt, Friedrich Wilhelm, genannt Fritz, und seine Frau Vicky, die älteste Tochter der Queen. Die sich daraus entwickelnde Freundschaft hatte zur Folge, dass Ludwig nach England eingeladen wurde, wo er schließlich Vickys Schwester, Prinzessin Alice, kennen und lieben lernte. Nach der Hochzeit, die 1862 auf Wunsch der Queen auf der Isle auf Wight gefeiert wurde, blieb die Verbindung mit London auch weiterhin sehr eng.
Das erste der sieben Kinder des Paars kam daher auf Schloss Windsor zur Welt, die am 5. April 1863 geborene Viktoria. Es folgten Elisabeth „Ella“ (1864–1918), Irene (1866–1953) und Ernst Ludwig (1868–1937), der letzte Großherzog von Hessen-Darmstadt, schließlich vervollständigten Friedrich „Frittie“ (1870–1873), Alix (1872–1918) und Marie (1874–1878) die Familie.
Alice von Hessen-Darmstadt war eine begeisterte Mutter, die sich liebevoll um ihre Kinder kümmerte – und die Queen selbstverständlich über deren unterschiedliche Entwicklung auf dem Laufenden hielt: „Ella ist so ein witziges Kind, aber keineswegs leicht im Umgang“, schrieb sie am 6. Dezember 1867 nach London. „Ganz im Gegensatz zu Viktoria, die ein sehr folgsames Kind ist … Sie kann sogar schon ein paar Wörter lesen.“ Am 24. Juni 1872 gab sie auch Auskunft über den etwas ungewöhnlichen Namen Alix, den sie ihrer zweitjüngsten Tochter, der späteren Zarin Alexandra, gegeben hatten: „Wir haben uns für ›Alix‹ statt ›Alice‹ entschieden, weil sie hier meinen Namen immer falsch aussprechen und ›Aliicé‹ sagen, ›Alix‹ wird sicher einfacher sein.“
Zunächst schien das Familienglück perfekt. Die Ehe mit Ludwig war allem Anschein nach sehr glücklich, und auch von der hessischen Bevölkerung wurde Alice geliebt und verehrt. Das lag nicht zuletzt an ihrem sozialen Engagement, ihrem unermüdlichen Einsatz für die Verbesserung des öffentlichen Gesundheitswesens, vor allem für bessere hygienische Verhältnisse auf den Wöchnerinnenstationen. Nach wie vor starben zahlreiche Frauen am Kindbettfieber, obwohl der ungarische Gynäkologe Ignaz Semmelweis (1818–1865) von allen Ärzten gefordert hatte, sich vor dem Kontakt mit den jungen Müttern gründlich die Hände zu desinfizieren. Doch bei den meisten seiner Kollegen war er damit nur auf Spott und Unverständnis gestoßen.
Erst allmählich setzten sich die neuen Hygienemaßnahmen durch, zumal auch Alice energisch auf deren Einhaltung drängte. Das Wohlergehen ihrer Mitmenschen lag ihr ehrlich am Herzen. Der 1867 unter ihrem Vorsitz gegründete Alice-Frauenverein entwickelte unter maßgeblicher Beteiligung sachkundiger Ärzte ein neues Konzept der Krankenpflege und führte zur Gründung des Darmstädter Alice-Hospitals, das bis heute existiert. Im Deutsch-Französischen Krieg, der 1871 zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führte, betreute Alice verschiedene Lazarette, kümmerte sich persönlich um die Verwundeten und stand ihnen in schweren Stunden zur Seite. Überglücklich schrieb sie ihrer Mutter am 19. Dezember 1870, dass einer ihrer Schützlinge, der bereits dem Tode geweiht gewesen zu sein schien, sich nun auf dem Weg der Besserung befand: „Ich habe selten eine so große Befriedigung empfunden wie bei der Gewissheit, dass sich dieser junge Mann wieder erholt, und die Ärzte meinen sogar, ich hätte ihm das Leben gerettet.“ Diese Empathie für leidende Menschen hat die Großherzogin von Hessen-Darmstadt nicht nur an ihre Tochter Ella weitervererbt, auch eine ihrer Enkelinnen, die sie leider nicht mehr kennengelernt hat, würde viele Jahre später darin ihre Lebensaufgabe finden: Alice von Battenberg.
Doch das Leben der Darmstädter Familie wurde von mehreren Schicksalsschlägen überschattet. Alice war (wie ihre Töchter Irene und Alix) Überträgerin der Bluterkrankheit, an deren Folgen ihr kleiner Sohn Friedrich 1873 nach einem Sturz aus dem Fenster starb. Die größte Katastrophe aber brach im Spätherbst 1878 über die großherzogliche Familie herein, als sämtliche Kinder außer Ella an Diphtherie erkrankten. Trotz aller Bemühungen und liebevoller Pflege starb Töchterchen Marie am 16. November im Alter von nur vier Jahren. Doch die anderen Kinder wurden wieder gesund. Anfang Dezember, als das Schlimmste überstanden schien, erkrankte Alice selbst. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, ihre kleinen Patienten selbst zu pflegen – ein mütterlicher Liebesdienst, der sie letztlich das Leben kostete. Am 14. Dezember 1878 – dem 17. Todestag ihres Vaters Albert – erlag Alice der hoch ansteckenden Infektionskrankheit. Sie wurde nur 35 Jahre alt.
Die Familie war erschüttert: „Meine Kindheit endete mit ihrem Tod“, bekannte Tochter Viktoria später, „denn ich war die Älteste und am meisten verantwortlich.“ Die zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Prinzessin wuchs nun in die Rolle der Ersatzmutter hinein, auch um den trauernden Vater zu entlasten, der als amtierender Großherzog ohnehin stark in Anspruch genommen war. Trotz ihres jugendlichen Alters verfügte Viktoria über die nötigen Voraussetzungen für ihre neue Aufgabe, zielstrebig, zupackend und willensstark, wie sie nun einmal war. Später pflegte sie zu sagen: „Ich hätte in unserer Familie der Mann sein sollen.“ Natürlich lastete die Fürsorge für die vier jüngeren Geschwister nicht allein auf ihren Schultern. Vater Ludwig war es ganz recht, dass seine Kinder nun überwiegend bei der königlichen Großmutter in England lebten. Und der damals knapp 60-jährigen Queen war die Betreuung der hessischen Enkel nicht nur eine Herzensangelegenheit, sie konnte auf diese Weise auch subtilen Einfluss ausüben und die Lebenswege besonders der Mädchen in ihrem Sinne lenken, vor allem, als die Prinzessinnen ins heiratsfähige Alter kamen.
Es war daher kein Zufall, dass die junge Viktoria ihren zukünftigen Ehemann am Hof der Großmutter kennenlernte: Ludwig – genannt Louis – von Battenberg (1854–1921), ein ebenso charmanter wie gut aussehender Mann, der nur einen kleinen Makel hatte: Er war der Spross einer „Mesalliance“ seines Vaters Alexander von Hessen-Darmstadt mit einer nicht standesgemäßen polnischen Gräfin. Es fragt sich daher, warum sich die Queen so vehement für das Zustandekommen dieser Ehe einsetzte, denn eigentlich war es nicht üblich, dass die Enkelinnen „unter ihrem Stand“ verheiratet wurden.
Von Darmstadt nach St. Petersburg – die russische Verwandtschaft
Alexander von Hessen-Darmstadt (1823–1888) war der dritte Sohn des Großherzogs Ludwig II. und seiner Gemahlin Wilhelmine von Baden, somit Bruder jener Marie (1824–1880), die 1841 den späteren Zaren Alexander II. heiratete.
Alexander und Marie, die jüngsten Kinder des großherzoglichen Paars, wuchsen überwiegend bei der Mutter auf Schloss Heiligenberg in Jugenheim auf, etwa zwölf Kilometer entfernt von Darmstadt, wo Großherzog Ludwig II. seit 1830 residierte. Die räumliche Trennung der Eltern beflügelte das Gerücht, Alexander und Marie seien keine legitimen Kinder des Großherzogs. Schließlich lagen zwischen der Geburt der älteren Söhne Ludwig (der spätere Ludwig III.) 1806 sowie Karl 1809 und der Ankunft Alexanders mehr als zehn Jahre – ein Umstand, den sich die Darmstädter nur mit zwei verschiedenen Vätern erklären konnten. Wie es hieß, waren Alexander und Marie (sowie zwei weitere, früh verstorbene Kinder) Sprösslinge des Freiherrn August Ludwig von Senarclens-Grancy (1794–1871), des großherzoglichen Kämmerers und mutmaßlichen Liebhabers von Wilhelmine. Tatsächlich lebte der gebürtige Schweizer im alten Pfarrhaus von Jugenheim nur einen Steinwurf vom Wohnsitz der Großherzogin entfernt, was die Gerüchteküche nur noch weiter anheizte.
Trotz des Geredes um die illegitime Abstammung der beiden großherzoglichen Kinder machte Zarewitsch Alexander (1818–1881), genannt Sascha, auch Station in Darmstadt, als er 1839 auf Brautschau durch Deutschland reiste. Er war der älteste Sohn von Zar Nikolaus I. und seiner Gemahlin Alexandra, der gebürtigen Königstochter Charlotte von Preußen, einem Kind der früh verstorbenen Luise und Friedrich Wilhelms III.
Sascha verliebte sich, wie es schien, auf den ersten Blick in die hübsche, erst 15-jährige Marie, und auch die blutjunge Prinzessin hatte wohl nichts gegen die Verbindung einzuwenden. Nach der Verlobung im April 1840 folgte Marie ihrem Sascha nach St. Petersburg, um sich noch vor der Hochzeit in der fremden neuen Heimat ein wenig einzuleben. Auf Wunsch des Zarewitschs sollte sein künftiger Schwager Alexander von Hessen-Darmstadt Marie nach Russland begleiten, damit sie sich in der Ferne nicht ganz so verloren fühlte. Großherzog Ludwig II. und Zar Nikolaus I. hatten nichts dagegen einzuwenden.
Die möglicherweise nicht eheliche Abstammung der Darmstädterin und ihres Bruders spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle. Als Graf Orlow versuchte, den Zaren vorsichtig auf die Gerüchte aufmerksam zu machen, beschied der ihn kurz und knapp mit den Worten: „Das mag wohl sein. Aber wer bist du, wer bin ich? Ich wünsche und befehle, dass dieses Gerede ein Ende hat. Ich möchte niemandem raten zu behaupten, der Thronfolger Russlands habe ein nicht eheliches Kind geheiratet.“ Damit war das Thema erledigt, und die Hochzeit konnte unbeschwert am 16. April 1841 in der Peter-und-Paul-Kathedrale in St. Petersburg gefeiert werden.
Der 18-jährige Alexander von Hessen-Darmstadt fühlte sich an der Newa so wohl, dass er schon bald beschloss, längerfristig dortzubleiben und in russische Dienste einzutreten. Eine maßgebliche Rolle spielte wohl auch die Tatsache, dass der Prinz hier ständig von gut aussehenden jungen Damen umgeben war, sodass erst gar kein Heimweh aufkommen konnte. Obwohl er nur ein recht unbedeutender Prinz aus der hessischen Provinz war, litt er keineswegs unter Minderwertigkeitskomplexen. Er wusste schließlich genau, dass er bei der St. Petersburger Damenwelt nicht nur mit seinem guten Aussehen, sondern auch mit Charme, Intelligenz und Humor punkten konnte. Dass er das Herz seiner attraktiven Schwägerin Großfürstin Olga nicht gewann, hat ihn nur kurze Zeit bekümmert.
„Die kleine polnische Waise“
Inzwischen war Alexander 25 Jahre alt, aber noch immer auf der Suche nach der Dame seines Herzens. Als er sich wieder einmal auf einem der opulenten St. Petersburger Hoffeste mit einer attraktiven Gräfin amüsierte, trat eine junge Frau auf ihn zu, in der er eine der Hofdamen seiner Schwester Marie erkannte. Sie überreichte ihm ein Billett, das Alexander vermutlich ein wenig verärgert haben dürfte. Die Mutter einer seiner Angebeteten, Gräfin Schuwalow, hielt sein Verhalten in Liebesdingen für rufschädigend und forderte ihn energisch auf, ihre Tochter gefälligst in Ruhe zu lassen. Anderenfalls, so drohte sie, werde sie sich beim Zaren beschweren. Alexander las die Nachricht, wandte sich demonstrativ von seiner Angebeteten ab und eröffnete den nächsten Tanz mit der Botin, die ihm das Billett überreicht hatte.
Die junge Frau scheint Alexander mehr beschäftigt zu haben, als er sich zunächst eingestehen mochte. Er erinnerte sich jetzt auch wieder an ihren Namen: Julie von Haucke (1825–1895), damals 23 Jahre alt, nur knapp 1,60 Meter groß, keine strahlende Schönheit, doch in ihrer stillen Art scheint sie recht anziehend gewirkt zu haben. Am St. Petersburger Hof nannte man sie meist nur „die kleine polnische Waise“.
Julies Eltern waren zu diesem Zeitpunkt schon lange tot. Ihr Vater Moritz von Haucke (1775–1830) hatte in der polnischen Armee gedient und war 1826 von Zar Nikolaus I. zum stellvertretenden Kriegsminister des vom Wiener Kongress 1815 geschaffenen Kongresspolen ernannt worden, das sich ganz unter russischer Kontrolle befand. 1829 machte der Zar Moritz von Haucke zum General und erhob ihn in den Grafenstand.
Nur wenig später, im Revolutionsjahr 1830, erhoben sich die Polen gegen die russische Herrschaft. Die Aufständischen zerrten Haucke aus seinem Warschauer Palais und ermordeten ihn vor den Augen seiner jungen Frau Sophie, die nur wenige Wochen später an „gebrochenem Herzen“ starb. Nikolaus I. ordnete daraufhin an, dass die drei Waisenkinder, die sein treuer General hinterlassen hatte, nach St. Petersburg gebracht werden sollten. Hier erhielt die fünfjährige Julie eine ausgezeichnete Erziehung in einer Einrichtung für adlige Mädchen, und weil sie, wie schon ihre Eltern, unter anderem Deutsch sprach, wurde sie 1841 zur Ehrendame der frisch vermählten Marie ernannt, später zu deren Hofdame.
Der Tanz mit Alexander von Hessen-Darmstadt schien zunächst keine weiteren Folgen zu haben. Allen Warnungen zum Trotz flirtete der auch weiterhin mit der jungen Gräfin Sophie Schuwalow, während Julie als Postillion d’Amour fungierte und dem turtelnden Paar heimliche Nachrichten überbrachte. Doch ganz allmählich schien sie sich in den smarten Alexander verliebt zu haben, der sich allerdings zunächst nach Darmstadt aufgemacht hatte. Im Juni 1848 war sein Vater gestorben, und Alexanders ältester Bruder, der schon seit geraumer Zeit als Mitregent fungierte, wurde als Ludwig III. neuer Großherzog von Hessen-Darmstadt. Als Alexander nach den Beisetzungsfeierlichkeiten nach St. Petersburg zurückkehrte, war sein Verhältnis zu Gräfin Schuwalow spürbar abgekühlt, und er wurde erneut auf die „kleine polnische Waise“ aufmerksam, die immer so lieb und freundlich zu ihm war. Es dauerte nicht lange, bis beide ein heimliches Liebespaar wurden. Als die Affäre am St. Petersburger Hof publik wurde, gab es jedoch erheblichen Ärger, denn der Zar hatte geplant, Alexander mit seiner Nichte zu verheiraten, der Tochter seines Bruders Michael. Der junge Darmstädter fiel in Ungnade, beschloss, Russland zu verlassen, kehrte dann aber doch wieder zu Julie von Haucke zurück. Inzwischen hatte sich zwischen ihnen eine derart enge Beziehung entwickelt, dass er sie zu seiner Frau machen wollte. Dem stand jedoch eines im Wege: Julie war ein Mündel des Zaren und musste Nikolaus I. daher um eine Heiratserlaubnis bitten. Der verweigerte nicht nur seine Zustimmung, sondern entließ Alexander wegen groben Fehlverhaltens auch noch aus der russischen Armee. Doch solche Widrigkeiten schweißten das Paar nur umso fester zusammen. Anfang Oktober 1851 verließen Julie und Alexander St. Petersburg und reisten nach Breslau, wo sie am 28. Oktober eine morganatische Ehe schlossen.
„Meine Familie würde ohne das mutige Handeln von Prinzessin Alice nicht existieren. Ihre Geschichte, die von unglaublichem Mut zeugt, muss im Gedenken an sie weiter erzählt werden.“ Evy Cohen, Nachfahrin der jüdischen Familie, der Alice von Battenberg das Leben rettete
„Auch wer sich sonst nicht für den Adel interessiert, wird von diesem Buch gepackt.“
„Die Historikerin Karin Feuerstein-Prasser hat die wenig bekannte und außergewöhnliche Geschichte von Prinzessin Alice nun in einer lesenswerten Biografie aufgezeichnet.“
„Packende Biografie dieser besonderen Frau“
„Auch wenn man sich sonst nicht für den Adel interessiert - dieses Buch ist lesenswert.“
„Der Autorin gelingt ein konzentrierter Überblick über die Familienverstrickungen der europäischen Aristokratie.“
„Übersichtlich – fesselnd – gut geschrieben. Das sind die Stichworte zu dieser Biografie von Karin Feuerstein-Praßer über Alice von Battenberg, die zwar populärwissenschaftlich angelegt ist, aber dennoch dem Leser das Leben dieser bemerkenswerten Frau anschaulich nahebringt.“
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