Alpensolo Alpensolo - eBook-Ausgabe
Allein zu Fuß von Ost nach West
Alpensolo — Inhalt
Sechzig Tage und Nächte unter freiem Himmel
Berge bedeuten für Ana Zirner Freiheit. Doch der engagierten Regisseurin bleibt zu selten Zeit für ihre Passion. Deshalb beschließt sie, allen Ballast abzustreifen und allein von Ost nach West die Alpen zu überqueren. Nur mit einem 35-Liter-Rucksack bepackt, begibt sie sich auf ihre selbst gelegte Route: knapp 2000 Kilometer vom slowenischen Ljubljana über Österreich, Italien und die Schweiz bis ins französische Grenoble. Packend und mit starker Stimme erzählt sie vom Glück, unter dem Sternenhimmel zu biwakieren. Wie sie beim Bergsteigen ihr Bewusstsein schärft und der Natur mit Respekt begegnet. Dass ihr die Berge in ihrer ruhenden Weisheit einen Platz zuweisen. Und was sie von den Menschen, die dort wohnen, über Mitgefühl und Demut lernt.
Leseprobe zu „Alpensolo“
Heller Stein, große Hitze, flirrendes Licht
Auf der Suche nach meinem Rhythmus im Kalkstein der Julier
In mir hüpft alles. Und obwohl ich heute noch keinen Kaffee getrunken habe, bin ich bereits hellwach. Das liegt an dem kalten Wasser des Bergsees, in dem ich bei Sonnenaufgang untergetaucht bin. Aber auch an diesem einen Satz, der wieder und wieder meine Magengrube kitzelt: „Es geht los.“ Endlich! Doch als ich mich umschaue, wird mir klar: Es ist schon losgegangen. Ich bin längst mittendrin, und es liegen zwei strahlende und spannende Monate vor mir.
Ich [...]
Heller Stein, große Hitze, flirrendes Licht
Auf der Suche nach meinem Rhythmus im Kalkstein der Julier
In mir hüpft alles. Und obwohl ich heute noch keinen Kaffee getrunken habe, bin ich bereits hellwach. Das liegt an dem kalten Wasser des Bergsees, in dem ich bei Sonnenaufgang untergetaucht bin. Aber auch an diesem einen Satz, der wieder und wieder meine Magengrube kitzelt: „Es geht los.“ Endlich! Doch als ich mich umschaue, wird mir klar: Es ist schon losgegangen. Ich bin längst mittendrin, und es liegen zwei strahlende und spannende Monate vor mir.
Ich stehe in einer knorrigen koča (Hütte) im Sieben-Seen-Tal des slowenischen Triglav-Nationalparks – unweit meines Schlafplatzes, den ich gerade erst verlassen habe. Die Stimmung ist noch müde, die Belegschaft lässt sich von den vielen Leuten, die in einer Schlange auf ihren Kaffee warten, nicht stressen. Vor mir drei französische Pfadfindermädchen, die ihr Kleingeld zählen und sich dann doch nur einen Tee leisten. Hinter mir zwei ältere Österreicher, anscheinend Kletterer, die etwas muffelig und ungeduldig wirken und sich hier offenbar fehl am Platz fühlen. Draußen vor der Hütte ein wunderschöner Morgen, rosa und frisch. Meine Aufregung legt sich langsam, und ich atme tief ein und aus.
Trotzdem. Erst mal brauche ich einen Kaffee. Wie wird es mir in den nächsten zwei Monaten wohl ohne meine tägliche Dosis Koffein am Morgen ergehen? Werde ich mich daran gewöhnen? Hätte ich doch die kleine Kaffeemaschine mitnehmen sollen? Wie viele Gramm zusätzlich wären das noch mal gewesen? Ach, egal. Ich trinke eben immer dann Kaffee, wenn ich an einer Hütte vorbeikomme. Schließlich sind das hier die Alpen, und da gibt es überall Hütten. So wie hier: Es fängt also gut an. Ich nehme freudig die dampfende Tasse entgegen und setze mich draußen auf die Terrasse. Es ist noch früh, aber viele Wanderer brechen schon auf. Bin ich spät dran? Hätte ich vielleicht noch früher aufstehen sollen? Ich will mich beeilen, trinke schnell einen Schluck und verbrenne mir die Zunge. Also pusten, warten und pusten. Dabei schaue ich hinüber zum See, über dem ein feiner Nebelschleier hängt, der sich ganz sachte bewegt. Der Nebel hat Zeit. Der See ruht. Beide brauchen keinen Kaffee. Ich beneide sie um ihre Ausgeglichenheit.
Vor einem halben Jahr kam mir zum ersten Mal die Idee, diese Tour zu machen. Ich wusste, dass ich im Sommer beruflich eine Pause einlegen würde, und auch, dass ich endlich mal wieder länger in die Berge wollte. Zu Hause an meiner Wand hing eine große Alpenkarte. Nach einem frustrierenden Arbeitstag schaute ich lange auf diese Karte und stellte mir vor, wo ich jetzt überall sein könnte. Mit Pins markierte ich schließlich die Bergregionen, in die ich schon immer mal wollte. Es war ein klassischer Anfall von Fernweh oder der Versuch, ebendieses zu beruhigen. Als ich am nächsten Morgen vor den Pins stand, entdeckte ich, dass sie eine Linie bildeten. Von Ost nach West. Mir wurde recht schnell klar: Das mache ich. Ich verbinde die Punkte miteinander und gehe das alles zu Fuß.
Seit diesem Tag im Februar habe ich Bücher und Tourenbeschreibungen gewälzt, mir Karten geliehen und studiert und nach und nach mithilfe eines GPS-Programms meine Route gelegt. Von Punkt zu Punkt konnte ich feststellen, wie viele Höhenmeter, Kilometer und daraus errechnete Stunden ich jeweils einplanen musste. Da ich gern draußen schlafe, ohne Zelt, einfach unter freiem Himmel, suchte ich außerdem nach möglichen Schlafplätzen, wobei ich immer darauf achtete, dass Wasser in der Nähe war. Soweit das aus der Karte ersichtlich war, wählte ich flache Plätze aus, die Schutz vor Wind boten und bei denen es vielleicht sogar einen Unterstand oder eine Biwakhütte in der Nähe gab.
Da es neun Pins waren, die jeweils eine Region bezeichneten, und weil mir die Zahl Neun einfach sehr gut gefällt, habe ich die Tour in neun Etappen unterteilt. Zudem fand ich für jede Etappe ein Thema, das mich unterwegs begleiten und beschäftigen sollte. Inspiriert wurden sie von den Formen der jeweiligen Gebirge, die ich bisher nur von Fotos kannte. Oder von einer Fragestellung, die mich schon länger begleitete und der ich in Ruhe auf den Grund gehen wollte. Manche Themen, wie beispielsweise „Geduld“, kamen auch einfach aus der Voraussicht, dass ich sie zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Tour gut brauchen könnte.
Parallel zur Routenplanung begann ich mit einer gezielten körperlichen Vorbereitung. Ich trainierte intensiver, ging längere Touren mit zunehmend schwerem Rucksack, um meine Kondition zu steigern. Außerdem stellte ich meine Füße auf die Belastung ein, indem ich viel barfuß lief und auch barfuß wandern ging, wodurch ich die kleine Fußmuskulatur trainierte, was wiederum Verletzungen vorbeugt.
Obwohl ich es gewohnt war, ohne Begleitung unterwegs zu sein und zu biwakieren, bekam das Alleinsein mit diesem langen Projekt vor Augen eine neue Bedeutung, und ich stellte mir in meinen Vorbereitungsnächten draußen oft brenzlige Situationen vor – vom Wetterumschwung über den Verlust der Orientierung oder einzelner Ausrüstungsgegenstände bis hin zu verschiedenen Verletzungen – und wie ich damit umgehen würde.
Vor diesem Hintergrund war es wichtig und nützlich, mir gezielt Wissen anzueignen, das ich unterwegs brauchen könnte. So habe ich von einem befreundeten Bergführer, einem harten Hund, der früher bei der Armee war, Erste-Hilfe-Tipps bekommen. Denn die Selbstversorgung von Verletzungen abseits der Zivilisation stellt einen vor ganz andere Herausforderungen.
Da ich mich bereits bewusst und gesund ernähre, musste ich mich hier nicht groß umstellen, habe aber viel darüber nachgedacht, wie es mir wohl unterwegs gelingen würde, ausgewogen und ausreichend zu essen. Ich habe mehrere gut transportable und haltbare Lebensmittel ausprobiert und berechnet, wie viele und welche Nährstoffe ich während meiner Wanderung brauchen würde. Allerdings sah mein Plan vor, fünf verschiedene Länder zu durchqueren, deren kulinarische Eigenheiten ich mir natürlich nicht entgehen lassen wollte. In Slowenien, Österreich und Italien wollte ich das dichte Hüttennetz nutzen, um einmal am Tag warm zu essen. Dadurch ließ sich einiges an Gewicht im Rucksack einsparen. In der Schweiz und später in Frankreich wollte ich mir am Berg hin und wieder selbst etwas kochen, um unabhängiger von den Hütten zu sein, die zu dem Zeitpunkt schon vielerorts geschlossen sein würden.
Erst im letzten Monat vor meinem Aufbruch ging es dann um die konkrete Logistik. Ich hatte neben ein paar tollen Ausrüstungssponsoren glücklicherweise mit Sport Conrad einen Partner gefunden, von dem mir auch sehr wertvolle infrastrukturelle Hilfe zugesagt wurde. So haben wir vereinbart, dass ich unterwegs an vier Punkten per Post Lebensmittelnachschub, ab der Schweiz dann auch gefriergetrocknete Menüs und gegebenenfalls auch zusätzlich benötigte Ausrüstung erhalten würde.
Die Wahl der Kleidung und Ausrüstung sowie das konkrete Packen selbst waren für mich als Equipment-Nerdin und Gramm-Fetischistin eine wahre Freude. Alles wurde gewogen, verglichen, getestet und schließlich auch zur Probe ein- und ausgepackt. Am Ende war ich mir auf jeden Fall sicher, dass ich einen perfekt gefüllten Rucksack habe.
Schließlich habe ich einen Blog aufgesetzt, um unterwegs meine Erlebnisse zu dokumentieren. Ein Tagebuch aus Papier war mir einerseits zu schwer. Andererseits würden so meine Familie und Freunde nachlesen können, wie es mir geht. Und ich müsste mich nicht schlecht fühlen, wenn ich länger mal nicht bei ihnen anriefe. Ein weiterer Grund für den öffentlichen Blog war für mich die Herausforderung, für einen größeren Kreis von Menschen entsprechend genauer und reflektierter schreiben zu müssen als in einem Tagebuch. Nur so könnte bei ihnen eine realistische Vorstellung meiner jeweiligen Umgebung und Situation entstehen, und vielleicht sogar das Gefühl, mit dabei zu sein.
Das Einzige, was jetzt noch organisiert werden musste: dass all mein Hab und Gut während der angesetzten zwei Monate sicher in einem Container verstaut wurde. Da ich sowieso aus meiner alten Wohnung ausziehen musste, bot sich das natürlich an. Und wie glücklich war ich, als ich dann auch noch kurz vor meiner Abreise eine Zusage für eine neue Wohnung bekam, in die ich nach meiner Rückkehr würde einziehen können. Damit standen endgültig alle Zeichen auf go.
Ja, und nun bin ich hier, und es passiert tatsächlich. Ich sitze auf der Terrasse der koča und bin einfach dankbar. Dankbar, dass es endlich losgeht. Dankbar, dass ich mir dafür Zeit nehmen kann.
Die ersten Schritte sind bereits gegangen. Ich trinke ein paar Schlucke und lasse den gestrigen Tag, der mir mittlerweile wie ein Traum vorkommt, Revue passieren.
Abschied
„Bis in zwei Monaten dann, auf der anderen Seite …“, sage ich zu meinem Vater, und wir umarmen uns fest. Der Satz kommt mir unwirklich vor, fast wie ein Scherz. Ich habe es eilig, die ersten Schritte zu machen, um der seltsamen Situation eines Abschieds zu entfliehen, von dem ich noch nicht weiß, was er bedeutet und wohin und wie weit weg er mich führen wird. Es gibt nur diesen abstrakten Vorsatz, die Alpen von Ost nach West zu überqueren. In den letzten Wochen und Monaten habe ich das so oft gesagt, dass es sich für mich schon fast abgedroschen und trocken anfühlte. Jedenfalls ganz anders als dieser sehr konkrete und steinige Wanderweg unter meinen Füßen jetzt und die blühenden Wiesen und Wälder um mich herum.
Ich drehe mich um und muss schlucken. Mein Vater steht da und winkt. Wie immer hat er das Gewicht auf ein Bein verlagert, seine Füße stecken in Bergschuhen, die er extra angezogen hat, um mich noch ein kleines Stück zu begleiten. Er hält den Kopf leicht schräg, und sein Arm gleitet langsam durch die Luft. In der Geste liegt so viel Liebe und gleichzeitig diese mir so vertraute Sensibilität, die manchmal fast an Unsicherheit grenzt. Ich denke daran, wie viel Sicherheit mir hingegen ebendiese Hand als Kind gegeben hat, wenn er sie mir liebevoll auf den Kopf oder bei Schmerzen auch heilend auf den Bauch gelegt hat.
Ich glaube, er lächelt, aber ich kann es jetzt schon fast nicht mehr sehen. Es ist seltsam, wie er mit jedem Schritt, den ich mich von ihm entferne, immer kleiner wird. Er wird jetzt allein wieder ins Auto steigen und den ganzen langen Weg zurückfahren. Die Vorstellung versetzt mir einen kleinen Stich, und ich hoffe, er hält an, wenn er müde wird, macht genug Pausen und fährt vorsichtig.
Ich zwinge mich, auf den Weg vor mir zu schauen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das Wetter ist angenehm, und der Weg relativ leicht. Während ich stundenlang grüne Wiesen, satte Wälder und saftige Täler durchschreite, hänge ich gedanklich noch in den letzten Tagen fest, an denen es so viel zu klären und zu organisieren gab. Nur manchmal reißt mich die Schönheit der Landschaft aus meinen Gedanken heraus, wenn unvermittelt kleine Hütten auftauchen. In ihrer Einfachheit und Abgeschiedenheit wirken sie sehr einladend. Ich höre fröhliche Stimmen von Urlaubern, die diese Häuschen gemietet haben. Aber schon eine Biegung des sich in Schleifen windenden Pfads weiter ist es, als wäre da nie etwas gewesen.
Gegen 21 Uhr erreiche ich den Dvojno Jezero. Jezero ist Slowenisch und bedeutet „See“. Es ist ein Wort, das mir hier noch oft begegnen wird. An diesem See soll also mein erster Schlafplatz liegen. Es ist ein Vier-Sterne-Biwak oder, besser gesagt, ein Tausend-Sterne-Biwak, wie ich feststelle, als es dunkel wird. Der Platz ist ruhig, aber nah genug an einer Hütte gelegen, um am nächsten Morgen einen Kaffee zu bekommen.
Ich schlafe schnell ein, wache allerdings nachts immer wieder mit Fragen auf, die mir durch den Kopf schwirren. Habe ich wirklich alles dabei, was ich brauche? Habe ich während meiner Vorbereitung an alles gedacht? Wem hätte ich noch schreiben sollen? Jedes Mal, wenn ich die Augen aufmache, blicke ich in diesen unendlich weiten Sternenhimmel über mir, der mich etwas beruhigt. Was für ein strahlendes und funkelndes Willkommen für mich hier oben.
Listen und Zahlen
Ich bringe meine Tasse zurück in die Hütte. Der Rucksack fühlt sich heute schwerer an als gestern, und mein Oberarm, der von der viel zu späten Zeckenimpfung ganz blau ist, tut weh. Doch ich will los, will rauf, will physische Leistung erbringen und heute nicht nur auf den Gipfel des Kanjavec, sondern im Anschluss auch noch auf den dahinter liegenden Gipfel des Triglav steigen.
Anfangs zieht sich der Weg leicht ansteigend durch das Sieben-Seen-Tal. Je höher ich komme, umso heller wird es. Der Kalkstein löst die Wiesen und Bäche ab, es wird immer trockener und auch immer heißer, denn es ist eindeutig Anfang August, also Hochsommer. Ich gehe schnell und versuche, meinen Atem zu kontrollieren. Rhythmus ist das Thema dieser Etappe, aber auch wenn ich mich um eine regelmäßige Atmung bemühe, die mit meinen Schritten korrespondiert, so richtig gut gelingt mir das noch nicht.
Innerlich bin ich zudem in einem Pragmatismus gefangen, der für mich im Alltag häufig ein Dauerzustand ist. In meinem Kopf erstelle ich eine Liste mit allem, was ich in den letzten Tagen nicht mehr geschafft habe, wem ich noch schreiben, was ich noch herausfinden muss. Ich frage mich, warum sich der GPS-Track auf meiner hochleistungsfähigen Uhr nicht anzeigen lässt, drücke viel darauf herum und checke immer wieder, wie viele Höhenmeter und Kilometer ich bis jetzt zurückgelegt habe und ob ich damit zeitlich in meinem Leistungsvorsatz liege. Mit einer gewissen Dringlichkeit frage ich mich, wann ich das nächste Mal genug Internet haben werde, um weitere Funktionen meiner Uhr zu recherchieren. Darüber hinaus kalkuliere ich, wie viele Fotos ich mir am Tag „erlauben“ will, damit ich am Ende der Tour nicht vor über tausend Fotos sitze.
Mein Kopf ist voller Zahlen, voller Rechnungen über Dinge, die anscheinend noch mein Leben bestimmen. Immer wenn ich stehen bleibe und mich umsehe, wird mir klar, dass ich noch in keiner Weise in den Bergen angekommen bin. Obwohl ich davon ausgehe, dass ich mein Listenhirn hier oben irgendwann stummschalten kann, macht mich diese Erkenntnis nicht ruhig, sondern noch ungeduldiger. Einzig die Erinnerung an die Yogasession und das Untertauchen im See heute Morgen gibt mir Hoffnung, dass mich hier in den nächsten Wochen Ruhe erwartet.
Am Zeleno Jezero, laut Karte dem letzten der sieben Seen und überhaupt das letzte Wasser vor einer langen Durststrecke, mache ich eine kurze Pause. Ich lege das Schlauchende meines Filters in den See und pumpe die kühle Flüssigkeit in die Flasche. Dabei freue ich mich über die Technik dieses kleinen und leichten Teils, das es mir erlaubt, innerhalb von einer Minute ohne viel Aufwand einen Liter Wasser zu filtern. Wahrscheinlich wäre es auch ohne Filtern trinkbar. Bei Tagestouren mache ich mir da meist keinen Kopf. Aber für eine lange Tour wie diese habe ich beschlossen, kein Risiko einzugehen.
Als ich weitergehe, trifft mich die Einsicht, dass ich heute Morgen zu spät losgegangen bin. Die Sonne knallt vom Himmel, wird vom weißen Kalkstein reflektiert, und alles kommt mir in dieser Hitze doppelt so anstrengend vor. Der Rucksack ist schwer, mein geimpfter Oberarm pulsiert, ich habe einen metallischen Geschmack im Mund. Ist das vom Wasser oder vom Schwitzen?
Darüber hinaus komme ich mir so plump und kraftlos vor, dass es meinem Selbstwertgefühl zu schaffen macht. Im steilen Anstieg durch das Geröll drängen sich auch noch Kopfschmerzen auf, und mir läuft der Schweiß übers Gesicht. Ich beiße die Zähne zusammen, verbiete mir schlechte Laune. Schließlich ist es wunderschön hier oben, da will ich mich nicht beklagen, das gehört sich nicht.
Es sind noch ein paar andere Wanderer unterwegs, und mir fällt auf, dass es hier unüblich zu sein scheint, sich zu grüßen, so wie ich das aus den österreichischen Bergen gewohnt bin. Oder macht den Leuten hier einfach die enorme Hitze zu schaffen? Ob ich auf sie genauso grimmig wirke wie sie auf mich? Ich spüre, dass ich verspannt bin, dass jeder Vorsatz, das hier „verdammt noch mal“ zu genießen, eher kontraproduktiv ist. Also versuche ich mich in Ironie – und das hilft ein bisschen. Die verschlossenen Gesichter der entgegenkommenden Wanderer motivieren mich regelrecht dazu, sie geradezu euphorisch zu grüßen, und ich schmettere ihnen manchmal schon von Weitem ein übertrieben fröhliches „dober dan“, „guten Tag“, entgegen. Die Reaktion ist meist ein überraschtes Aufblicken, dem nach einem Moment der Irritation ein leiser Gegengruß folgt.
Zwischen ein paar Felsblöcken in der Steinwüste mit dem passenderweise sehr trocken klingenden Namen Hribarice baue ich mir schließlich mithilfe meines Biwaksacks einen unbequemen Schattenfleck und döse eine Weile, um meinen Kopf zu beruhigen. Auch wenn ich Lust hätte, meine Wasserflasche leer zu trinken, ermahne ich mich, sparsam zu sein, und ärgere mich zum ersten Mal, dass ich keine zweite Flasche dabeihabe. Außerdem plagt mich eine seltsame Sorge. Ich will nicht, dass mich jemand so sieht. Es ist mir peinlich, und ich habe Angst vor einem abwertenden Urteil über mich. Das Gelände ist schließlich nicht technisch anspruchsvoll, und mein Schlappmachen kommt mir deswegen unverhältnismäßig vor.
Auf diese Erkenntnis folgt gleich darauf die Frage, warum mir die Meinung von jemandem, den ich nicht einmal kenne, so wichtig ist. Mir ist zu heiß, um weiter darüber nachzudenken, und ich vertage die Auseinandersetzung mit meinem fremdgesteuerten Selbstwertgefühl. Stattdessen schaue ich auf die Uhr und beschließe weiterzugehen.
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