Amore macchiato - eBook-Ausgabe
Roman
„Eine amüsante Liebeskomödie all'italiana!“ - ITALIEN Magazin
Amore macchiato — Inhalt
„Ein Sommerroman für alle Italienfans ...ein herzerfrischendes Lesevergnügen.“
Die PR-Managerin Annika soll auf Sardinien ein Großevent leiten. Doch statt der coolen Eventlocation erwartet sie ein brachliegendes Naturschutzgebiet inklusive Schafherde. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt und Annika muss einige echt italienische Tricks aufbieten, um das Desaster abzuwenden. Da taucht der gutaussehende Sarde Riccardo in ihrem Leben auf und bringt erst recht alles durcheinander ...
Leseprobe zu „Amore macchiato“
1.
„Excuse me, sind die Liegen neben dir noch frei?“
Ich ruckele meine Gucci-Sonnenbrille zurecht, mit der ich aussehe wie Puck die Stubenfliege, und schaue hoch. Vor mir stehen zwei Mädels. Die eine blond, die andere brünett. Sie tragen Sonnenhüte, verboten kurze Shorts und Sandalen.
Bestimmt Amerikanerinnen.
„Sure“, antworte ich lässig, ganz Kosmopolitin, klappe mein Buch zu und richte mich auf. „Legt euch gerne neben mich.“
„Great, thank you“, freut sich die Brünette, als hätte ich ihr die Teakholzliege vom Hotelpool soeben geschenkt, und setzt ihre [...]
1.
„Excuse me, sind die Liegen neben dir noch frei?“
Ich ruckele meine Gucci-Sonnenbrille zurecht, mit der ich aussehe wie Puck die Stubenfliege, und schaue hoch. Vor mir stehen zwei Mädels. Die eine blond, die andere brünett. Sie tragen Sonnenhüte, verboten kurze Shorts und Sandalen.
Bestimmt Amerikanerinnen.
„Sure“, antworte ich lässig, ganz Kosmopolitin, klappe mein Buch zu und richte mich auf. „Legt euch gerne neben mich.“
„Great, thank you“, freut sich die Brünette, als hätte ich ihr die Teakholzliege vom Hotelpool soeben geschenkt, und setzt ihre Strandtasche ab. „Ich bin Maggie, und das ist meine Freundin Lynn“, stellt sie sich vor.
„Angenehm“, erwidere ich, „ich bin Annika.“
Interessiert beobachte ich die beiden, während sie es sich auf den Sonnenstühlen neben mir gemütlich machen, und stelle zufrieden fest, dass ich mit ihrem Look durchaus mithalten kann. Es hat sich also doch gelohnt, vor meiner Anreise mein Konto dem Erdboden gleichzumachen, um angemessen gestylt an der Costa Smeralda aufzuschlagen.
Lynn hat Shorts und T-Shirt abgelegt und trägt darunter einen ähnlichen Armani-Bikini wie ich. Maggie hat ein seidenes Strandoberteil an und sich dazu passend ein turbanartiges Tuch um den Kopf geschlungen.
„Also, Annika, was machst du hier?“ Maggie mustert mich mit ebenso unverhohlener Neugierde wie ich sie. „Are you on vacation?“
Urlaub! Ich doch nicht.
„Nein, ich bin beruflich hier“, kläre ich sie auf. „Ich arbeite als Public-Relations-Managerin bei GID Germany und bin für ein Launch-Projekt eines Neuwagens auf der Insel.“
Für das Projekt meines Lebens, wie ich finde. Ich soll auf Sardinien das Event zur Präsentation des sensationellen Geländewagens Dakar organisieren und darf dafür die nächsten Wochen in einem Luxushotel vor Ort verbringen.
„Oh, that sounds great.“
Lynn und Maggie nicken bewundernd, erklären mir ihre eigenen beruflichen Positionen und en passant auch die ihrer Eltern. Sie tun dies mit einer Nonchalance, als hätte es sich im Gespräch einfach so ergeben. Aber jetzt weiß ich wenigstens, wer den beiden die Ferien in einem der teuersten Hotels der Insel spendiert. Und die passenden Klamotten dazu.
Bei mir sieht die Sache etwas anders aus. Okay, meine Firma zahlt mir die Unterkunft. Für einen standesgemäßen Auftritt jedoch habe ich meinen gesamten Jahresbonus und ein halbes Monatsgehalt obendrauf auf den Kopf gehauen. Sollte ich hier nämlich zufällig auf Naomi Campbell, Elton John oder Flavio Briatore treffen, will ich diesen Leuten in Modefragen auf Augenhöhe gegenübertreten. Zumindest ein bisschen.
Ein umwerfend gut aussehender Kellner kommt auf uns zu und fragt mit einer leicht demütigen Verbeugung, ob es „etwas sein darf“.
Hm, mit feschen Kerlen wie ihm dürfte es notfalls eine ganze Menge sein, denke ich, aber vorerst bin ich mit einem schlichten Gläschen Champagner zufrieden. Zur Feier des Tages.
Gut gelaunt gebe ich meine Bestellung auf, da mustern mich Lynn und Maggie abwartend.
„Eh“, beeile ich mich zu sagen, „darf ich euch auch etwas anbieten?“ Die beiden sind es offenbar nicht gewohnt, für sich selbst zu sorgen.
„Yeah, thank you“, reagiert Lynn prompt und bedeutet dem Kellner, ihr das zu bringen, was ich gerade bestellt habe.
Der Schönling schaut fragend auf Maggie, die ebenfalls nickt, und wendet sich dann erneut an mich. „Darf es dann vielleicht gleich eine ganze Flasche sein?“
Zwar fröstelt es mich bei diesem Vorschlag und den finanziellen Folgen kurz, ich will mir jedoch vor dem schönsten Kellner meines Lebens keine geizige Blöße geben.
„Ja, danke, gute Idee.“ bestätige ich daher übertrieben begeistert. „Ich habe“, füge ich übermütig hinzu, „schon so viel von den berühmten sardischen Austern gehört – ein Dutzend davon, bitte.“
Was lacostet die Welt . . .
Der Kellner nickt und zieht sich zurück.
Maggie starrt ihm versonnen hinterher und errät meine Gedanken. „Isn’t he cute?“, fragt sie.
„Sehr süß“, nicke ich.
„Do you have a boyfriend?“, fragt Maggie überraschend direkt.
„Nee, vor Kurzem beendet“, gebe ich zurück. „Und ihr?“
Die beiden sehen sich an und grinsen.
„Nichts, was uns abhalten könnte“, antwortet Lynn dann. „So oft im Leben kommen wir schließlich nicht nach Italia.“
„Ich verstehe“, sage ich verschwörerisch.
Zu dritt beobachten wir unseren zurückgekehrten schönen Kellner, der unserem illustren Gelage ehrerbietig eine Flasche Champagner auf einem kleinen Silbertablett serviert, zusammen mit einem Schälchen Erdbeeren und einem mit Kräckern.
„Die Austern folgen sofort“, haucht er, reicht uns je einen gefüllten Champagnerkelch und eilt erneut davon – unsere Blicke auf seinem wohlgeformten Po ruhend.
Sobald der arme Mann außer Hörweite ist, erhebe ich mein Glas und proste Lynn und Maggie zu. „Auf einen tollen Nachmittag zusammen“, rufe ich.
„Yeah“, rufen die Mädels zurück, „let’s have a great time!“
Ich nippe an dem Champagner, knabbere an einem Kräcker und seufze zufrieden. Erst vor drei Stunden gelandet und schon mittendrin im Hautevolee-Geschehen. Genau so habe ich mir Sardinien vorgestellt.
Bereits am Flughafen in Olbia bestätigten sich sämtliche Klischeevorstellungen, die ich von Sardinien hatte. Die Gepäckausgabe spuckte fast ausschließlich Markenkoffer in allen Größen und Formen aus. Überspannte Touristen, ganz in Weiß und Gold gekleidet, luden Berge von Taschen auf ihre Gepäckwagen, während sie mit der freien Hand eifrig telefonierten oder kleine Schoßhunde im Arm warm hielten.
Draußen vor dem Gate standen dann eine Horde Reisebegleiter, Taxifahrer und ähnlich motivierte Personen herum, die irgendjemanden erwarteten oder in Empfang nahmen. Es gab ein lautstarkes Hallo und Gewinke um mich herum, Küsse und Befehle wurden verteilt, Gepäck wurde erleichtert dem nun endlich verfügbaren Personal übergeben.
Nur für mich war weit und breit niemand da. Ein super Start für die Shuttle-Service-Agentur, die wir für unser bevorstehendes Mega-Event gebucht hatten.
Ich wühlte in meiner Tasche nach den Kontaktdaten der Agentur ohne Service und zückte mein Handy. Es war werktags, zwei Uhr am Nachmittag, und niemand nahm ab.
„Zurzeit ist niemand zu erreichen. Bitte versuchen Sie es später noch einmal“, informierte mich eine weibliche Stimme auf zärtlichem Italienisch.
Toll!
Das fing ja gut an.
Mit zwei Koffern, einer Reisetasche und meiner Handtasche beladen, stolperte ich irgendwie vor das Terminal ins Freie. Dort setzte ich mich in eine Bar und beobachtete das Treiben der Menschen um mich herum.
Am Tisch neben mir hatte sich soeben eine Gruppe russischer Touristen niedergelassen, die sich zur Stärkung erst einmal eine Flasche Hochprozentiges bestellt und ein paar teure Zigarillos angezündet hatten. Das Grüppchen aus Männern und Frauen in zäpfchenförmigen Markenslippern, mit klobigen Handtaschen und – sofern weiblich – prall gespritzten Brüsten in viel zu engen, glitzernden Shirts hatte ohne Zweifel das gleiche Reiseziel wie ich: die Costa Smeralda.
Weshalb die Reisegruppe neben mir nicht gleich in einem Mietwagen gehobener Klasse in ihr Urlaubsziel ab-rauschte, sondern neben ihren Gepäckbergen noch ein paar Gläschen zischte, wusste ich nicht. Ich hingegen konnte nicht anders, als herumzusitzen und auf einen Fahrer zu warten, der weder in Erscheinung trat noch telefonisch erreichbar war.
Ich beschloss also, das Beste daraus zu machen und die ersten Eindrücke der Insel bei einem kleinen Drink auf mich wirken zu lassen. Dazu brauchte ich nur noch einen Drink.
„Scusi – Entschuldigung –, eine Cola bitte“, rief ich einem vorbeieilenden Kellner zu, froh, nach zehn Minuten endlich mal jemanden vom Service zu entdecken.
„Hier keine Bedienung am Tisch“, unterrichtete er mich, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen, und stapelte gelassen ein paar Tassen auf einem Wägelchen aufeinander, „dafür müssen Sie an den Tresen gehen.“
Mussten die Russen für ihren Wodka etwa auch am Tresen anstehen oder hatte er bei denen eine lohnenswerte Ausnahme gemacht?
Mit dem Rücken zur Wand, um erstens mein Gepäck und zweitens die vorbeifahrenden Wagen auf der Anfahrtsstraße vor dem Arrivi-Terminal im Auge zu behalten, trippelte ich zur Bar und gab meine Bestellung auf.
Just in diesem Moment bog eine silberne Limousine um die Ecke. Das musste für mich sein. Mit der Cola in der Hand sprang ich an den Straßenrand und versuchte winkend, den Mann am Steuer auf mich aufmerksam zu machen. Die russische Reisegruppe hinter mir kicherte leise.
Der Wagen hielt, und ein kleiner, schmächtiger Mensch in einem billigen Anzug und mit ungeputzten schwarzen Schuhen stieg aus.
„Signorina Errmaane?“, fragte er zögernd.
„Annika Herrmann, ja das bin ich“, antwortete ich.
„Buon giorno, signorina, und herzlich willkommen auf Sardinien“, begrüßte er mich freundlich. „Ich bin Enzo, Ihr Fahrer.“
Ich nickte bemüht freundlich und wartete auf eine Entschuldigung oder zumindest eine Erklärung ob seiner Verspätung. Nichts dergleichen geschah.
Schließlich zuckte er fragend mit den Schultern. „Wollen Sie nicht einsteigen?“
„Wollen Sie mir nicht sagen, warum Sie erst jetzt kommen und noch dazu Ihr Mobiltelefon ausgeschaltet haben?“, erwiderte ich streng, ohne mich vom Fleck zu rühren.
Mein Fahrer schaute mich an wie eine verblüffte Kuh im Stall. Dann hob er im Zeitlupentempo den linken Arm und blickte unendlich lange auf seine Armbanduhr. „Ich sollte Sie gegen zwei hier abholen“, gab er schließlich zurück.
Ich konnte die Zahnräder in seinem Gehirn beim angestrengten Denken förmlich rattern und quietschen hören.
„Ja, aber jetzt ist es fast drei“, antwortete ich unfreundlich und musterte ihn auffordernd.
Enzo hielt meinem Blick ausdruckslos und ungerührt stand. „Das ist doch nur eine Stunde her“, sagte er dann.
Ich war baff. Knapp eine Stunde Verspätung war ihm offenbar noch nicht mal einen Gedanken oder gar eine Erklärung wert.
„Mein Gepäck steht dort drüben“, erklärte ich ihm also und wies auf den Stapel Koffer hinter mir. Es war offenbar sinnlos, diesen Vorfall mit ihm weiter zu diskutieren.
„Okay“, sagte Enzo gleichmütig, drehte sich auf dem Absatz um, öffnete die Kofferraumklappe seines Wagens und sah mich mit einem Hier-kannste-deinen-Kram-reinpacken-Blick an.
Ein paar Sekunden lang überlegte ich, ob das Spiel Wer-gibt-eher-nach endlos weitergehen sollte. Doch dafür schien mir dieser Enzo schlichtweg zu einfältig zu sein. Er checkte rein gar nichts.
„Würden Sie meine Koffer bitte zum Auto tragen und einladen? Ich möchte das Gepäck nicht länger selbst schleppen“, erklärte ich ihm daher in lehrerhaftem Tonfall und deutete in den großen, dunklen Schlund des Wagenhecks.
Diesem Heini würde ich die Welt erklären müssen, wie eine Mutter ihrem zweijährigen Sohn die Sinnhaftigkeit eines Toilettengangs. Vielleicht hätte ich bei GID doch um einen eigenen Mietwagen bitten sollen, statt mir einen Fahrer aufschwatzen zu lassen. Letzteren bekommen unsere Projektleiter nämlich bei großen Aufgaben regelmäßig zugeteilt, um sie auf den Arbeitswegen zu entlasten. Ich finde es zwar unnötig, aber wer wählt schon Holzklasse, während die Kollegen VIP-Manier genießen?
Unterdessen war erschrockene Bewegung in Enzo gekommen. Umständlich trug er ein Gepäckstück nach dem nächsten herbei und versuchte, diese noch viel umständlicher im Kofferraum zu verstauen.
Da er beschäftigt war, öffnete ich die Fondtür des Wagens selbst und ließ mich auf die Rückbank plumpsen. Dabei beobachtete ich Enzo amüsiert im Rückspiegel, bis er plötzlich wieder den Kopf durch das dummerweise offen stehende Fenster schob.
„Die Tasche hier passt hinten nicht mehr rein“, informierte er mich, „könnten Sie die bitte nehmen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er die Tür und stellte die Reisetasche direkt auf meinem Schoß ab.
„Ich mache dich hinten rein gleich passend“, dachte ich und schob die Tasche seufzend auf den freien Platz neben mir, sagte aber nichts mehr.
Er meinte seine Frechheiten offenbar noch nicht einmal böse.
„Dunque – also“, begann Enzo und drehte den Rückspiegel so, dass wir uns in die Augen sehen konnten. Oder mussten. „Ich fahre Sie jetzt ins Hotel Bella Vista, okay?“
„Ja, so müsste es in Ihren Unterlagen stehen“, entgegnete ich knapp.
Enzo nickte, startete den Motor und fuhr, ohne den Blinker zu setzen, aus der Parklücke auf die Straße. Dabei lächelte er mich weiterhin fröhlich über seinen Fahrerspiegel an und überhörte das laute Bremsen und Hupen eines Wagens, dem er soeben die Vorfahrt genommen hatte.
„Darüber hinaus“, fuhr ich fort, „würde ich mich sicherer fühlen, wenn Sie auf die Straße schauen würden.“
„Sì, signorina, certo – natürlich.“ Enzo zuckte zusammen und wandte den Blick hastig nach vorne.
Ich überlegte, meinen Laptop hochzufahren, um für den Rest der Fahrt besonders unansprechbar zu wirken, beschloss dann aber, dass ein demonstratives Zum-Fenster-Rausschauen ausreichen müsste. Daher ließ ich mich in die Polster sinken und guckte hinaus.
Sardinien.
Wir hatten das Flughafengelände verlassen, waren über eine Schnellstraße an einer schmucklosen Stadt vorbeigeprescht, die ich für Olbia hielt, und kurvten nun durch die sattgrüne Frühlingslandschaft der Insel. Am Straßenrand blühten Wildblumen in allen Farben, und ganz weit rechts von uns lag das kristallklare Meer. Ein Postkartenpanorama. Für so etwas flogen andere bis an den letzten Rand Asiens in den Urlaub, während ich vor wenigen Stunden noch entspannt am heimischen Küchentisch gefrühstückt hatte. Herrlich!
Oh, stopp. Leider war ich nicht zum Spaß hier! Ich war auf dieser Insel, um zu arbeiten.
Ich kramte in meiner Handtasche nach der Projektmappe, überflog zur Einstimmung ein paar Pläne und dachte an meine Aufgaben für die nächsten Wochen.
Ich verantworte ein auf drei Monate angelegtes Großevent für „Multiplikatoren“, wie wir sie nennen. Menschen, von denen wir uns erhoffen, dass sie dazu beitragen, unseren innovativen Geländewagen zu einem Welterfolg werden zu lassen. Wie auf einem Großbahnhof werden bald rund fünftausend GID-Autoverkäufer, noch mal so viele Endkunden und Hunderte Journalisten Tag für Tag über das Präsentationsgelände geschleust und bespaßt.
Natürlich stemme ich das alles nicht ganz alleine. Es gibt ein Heer von Eventagenturleuten, Hostessen und Lieferanten, die für diesen Job engagiert sind. Ich jedoch bin als Referentin von Unternehmensseite der Wachhund vor Ort. Die letzten Monate habe ich ausschließlich damit verbracht, die hochtrabenden Ideen vom Vorstand und von sämtlichen anderen Abteilungsleitern, die meinten, mitreden zu müssen, in Zahlen und Entwürfe umzusetzen, die erst zigmal verworfen, dann freigegeben und kurz vor Toresschluss immer wieder komplett über den Haufen geworfen wurden. Zeit und Geld spielten dabei keine Rolle. Davon haben wir bei GID genug – zumindest was die Wünsche der obersten Heeresleitung anbetrifft.
Irgendwann stand endlich das Konzept. Die Einladungen an VIPs, Kunden und Autoverkäufer, die die Karre toll finden und je nachdem kaufen oder verkaufen sollen, waren verschickt. Daher müsste ich eher von Konzepten sprechen. Zwar werden alle Zielgruppen nach und nach auf dasselbe Präsentationsgelände eingeladen, aber die Programme werden andere sein. Beispielsweise wird es für die VIPs Champagner geben, für die stets ausgehungerten Journalisten nur Prosecco und für die Autoverkäufer Bier. Deutsches Bier ist dem gemeinen Autoverkäufer am liebsten, egal in welchem Weinparadies er sich gerade befindet. Abgesehen davon ist es um Bier auch nicht ganz so schade, wenn es literweise auf kurzärmeligen, bügelfreien Oberhemden verschüttet wird. Ja, Events mit Autoverkäufern sind legendär und in unserer Unternehmenszentrale allseits gefürchtet.
Enzo bremste hart, und ich flog mit der Nase gegen die Kopfstütze des Vordersitzes. Verdammter Depp.
„Was ist los?“, fragte ich ärgerlich.
„Ich weiß nicht, wo ich langfahren muss.“ Enzo kratzte sich gedankenverloren am Kopf und tippte ratlos auf seinem Navi herum, als sähe er das Gerät heute zum ersten Mal.
„Aber Sie sind doch von hier“, tadelte ich ihn ungeduldig. „Sie werden ja wohl wissen, wie man nach Porto Cervo kommt.“
„Signorina, was soll ich bitte in Porto Cervo?“ Enzo drehte sich zu mir um. „Ein Sarde fährt nicht dorthin.“
„Und warum nicht?“, fragte ich blöd.
Putin und Berlusconi waren schließlich auch da.
„Weil dieser Ort für uns gar nicht zu Sardinien gehört“, informierte mich Enzo, plötzlich hellwach. „Bis vor dreißig, vierzig Jahren gab es in dieser Gegend höchstens ein paar Schäferhütten. Dann haben wir unseren Grund und Boden an den Aga Khan verkauft und uns gewundert, was er mit dem öden Land anfangen will. Bald wussten wir es – ein Urlaubsparadies. Das ist ihm ja auch geglückt, aber wir Sarden haben dort nichts verloren.“
„Aha.“ Ich nickte. So war das also.
„Ist allerdings etwas schwierig, wenn Sie mein Fahrer sein wollen und die Gegend nicht kennen, in der ich mich in den nächsten Monaten bewegen werde“, kam ich zurück zum Kern der Sache.
„Och, mit der Zeit werde ich die Gegend schon kennenlernen“, entgegnete Enzo gutmütig.
„Wie schön für Sie“, erwiderte ich trocken. Ich gab auf. „Dann will ich mal auf meinem Handy nachsehen“, schlug ich vor, „ob ich Aga Khans Städtchen für uns finden kann.“
Etwa eine halbe Stunde später erreichten wir den Hafen von Porto Cervo, einen hübschen, kleinen Ort mit bunt getünchten, flachen Häusern, die sich dezent in die grüne, bergige Landschaft schmiegten. Trotz Nebensaison – auf Sardinien, so hatte ich mir sagen lassen, war bis auf ein paar Wochen im Hochsommer praktisch immer Nebensaison – war die Bucht gerammelt voll mit Luxusjachten jeglicher Couleur. So viele Millionen Dollar hatte ich vermutlich noch nie auf so wenigen Quadratmetern gesehen. Ich lotste Enzo links und rechts ein paar Hügel hinauf und wieder herunter in Richtung einer der offenbar unzähligen Buchten der Insel, und schon bald hielten wir vor einem verwinkelten, flachen Hotel, welches für die nächsten Wochen meine Bleibe sein sollte.
Nachdem ich Enzo gleich für morgen früh um neun Uhr herbestellt hatte, betrat ich eine sonnige Eingangshalle mit dunklen Holzmöbeln, Korbgeflechtstühlen und in die Wand gemauerten Sitzbänken, beladen mit einfarbig bestickten Kissen. Eine geradezu rustikale Lobby für ein Luxushotel dieser Preisklasse.
Am Rezeptionstresen empfing mich eine nette junge Dame, die meine Daten aufnahm, während Enzo ohne fremde Hilfe auf die Idee gekommen war, mein Gepäck auszuladen. Ich gab ihm zehn Euro Trinkgeld, in der Hoffnung, dass das hier in der Gegend für einen Espresso reichte, und marschierte zum Fahrstuhl und in die Richtung, in der ich mein Hotelzimmer vermutete.
Dort angekommen, fuhr ich als Erstes meinen Laptop hoch, um die eingegangenen E-Mails abzurufen. Neben einer Reihe an administrativem Kleinkram war auch eine Nachricht von meinem Chef darunter. Er hatte geschrieben, ich solle ihn dringend anrufen, sobald ich gelandet sei.
Den Chef darf man nicht warten lassen. Daher wählte ich seine Nummer, aber wie so oft nahm er nicht ab. Kein Wunder, mittlerweile war es fast fünf. Überstunden sind nicht seine Sache – egal wie beschäftigt er den Tag über auch tun mag.
Also beantwortete ich ein paar Fragen unserer Eventagentur in München, rief meinen nervigen Kollegen aus der Presseabteilung zurück, der wieder mal Fragen im Stile von „Warum ist die Banane krumm?“ an mich hatte, und beschloss dann, es meinem Chef gleichzutun und für heute Feierabend zu machen.
Keine halbe Stunde später lag ich frisch gestylt am Pool, um den Tag so unverhofft amüsant mit den beiden Amerikanerinnen ausklingen zu lassen.
2.
Am nächsten Morgen weckt mich eine Mischung aus läutendem Wecker und Hämmern im Kopf. Ächzend richte ich mich auf, um zu mir zu kommen. Wo bin ich? Ach ja, auf Sardinien. Geschäftsreise sozusagen. Geschäft war aber bisher nicht viel, erinnere ich mich mühsam.
Ich stehe auf und wanke ins Bad.
Nach dem Champagnergelage bin ich direkt auf meiner Liege am Pool eingeschlafen. Irgendwann hat mich besagter wunderschöner Kellner geweckt, indem er mich gar nicht schön an der Schulter schüttelte und mit einem Mäppchen winkte, in dem er diskret meine Rechnung versteckt hielt. Von Lynn und Maggie natürlich keine Spur mehr – echte Freunde sind etwas Feines.
Ich drücke Zahnpasta auf meine Zahnbürste und betrachte mein wirres Erscheinungsbild im Spiegel.
Was für ein lustiger Nachmittag gestern. Selten so gelacht. Und die Austern waren auch wunderbar. Habe ich es eigentlich bei einer Portion belassen oder noch eine nachbestellt? Und wie viele Flaschen Champagner waren es am Ende eigentlich?
Zähneputzend gehe ich zurück ins Zimmer und wühle in meiner Strandtasche, die auf dem Tisch steht. Da ist sie ja, die Rechnung.
Dreihundertfünfundachtzig Euro. Mit der handschriftlichen Notiz des Kellners, dass der Betrag „aufs Zimmer“ geht.
Mir wird ganz flau im Magen, ich muss mich setzen.
Für ein paar glitschige Happen Meeresfrüchte und zwei Flaschen Perlwein. Zwar alles vom Feinsten, aber trotzdem.
Etwas unter Schock gehe ich duschen, ziehe mich an und setze mich an den kleinen Hotelzimmerschreibtisch, um meine Unterlagen zu ordnen. Austern am Pool war gestern, nun ist es Zeit für back to business. Höchste Zeit sogar.
Zunächst ist da immer noch die Aufforderung meines Chefs, ihn dringend anzurufen. Doch in diesem Moment zum Hörer zu greifen, wäre strategisch alles andere als günstig. Erstens merkt man sofort, dass ich gerade erst aufgestanden bin, zweitens hört mir jeder an, dass ich einen schlimmen, schlimmen Kater habe, und drittens ist es jetzt am angebrachtesten, so zu tun, als wäre er dran. Immerhin habe ich es gestern bei ihm versucht und eine Nachricht auf Band hinterlassen. Er wird das anders sehen, weil er der Boss ist und ich sein Taschenträger, aber ich bleibe dabei.
Schließlich gehöre ich zumindest gefühlt inzwischen zum sardischen Jetset. Und bei dem kommt nicht der Knochen zum Hund, sondern umgekehrt.
Kurz darauf stehe ich frisch frisiert und schick geschminkt mit meinen Projektunterlagen unterm Arm in der Hotellobby. Zeit zum Frühstücken habe ich nicht mehr, dazu habe ich zu lange in meinem edlen Hotelbadezimmer mit den Tuben und Cremes des Hauses herumhantiert. Zu meinem Erstaunen steht Enzo bereits in der Einfahrt vor seinem Wagen und starrt Löcher in die Luft. Als er mich sieht, erhellt sich seine Miene. Er kommt freudig auf mich zu und begrüßt mich ähnlich begeistert wie der stets schwanzwedelnde Cockerspaniel meiner kürzlich verstorbenen Nachbarin. Zur Feier des Tages hält er mir sogar die Wagentür auf. Geradezu gerührt steige ich ein.
Die Location-Besichtigung steht an.
Um kein Risiko einzugehen, hacke ich höchstpersönlich den Zielort in Enzos Navigationsgerät und lehne mich dann im Wagenfond zurück. Wir werden gut zwanzig Minuten zu dem Gelände unterwegs sein, auf dem die GID-Veranstaltung stattfinden soll. Ein verträumt gelegenes Terrain, umrahmt von felsigen Steilhängen und Olivenhainen. Eine wunderbare Kulisse für unser Vorhaben und der perfekte Ort für die Weltpremiere unseres Neuwagens. Anhand der Fotos, die mir unsere Eventagentur vorgelegt hatte, haben wir uns – im wahrsten Sinne des Wortes – ein gutes Bild machen können und diese Location ausgewählt.
Ich blättere durch die Papiere und betrachte die Lagepläne, Entwürfe und Zeichnungen, die ich ganz vorne in meiner Mappe abgeheftet habe. Die Eventagentur hat in Zusammenarbeit mit Messebauern, Tontechnikern und Dekorateuren ein Eventspot konzipiert, das meines Erachtens seinesgleichen sucht: Ein Zelt auf einem Hügel, höher gelegen als die anderen, ein weiteres Zelt zwischen Kübeln mit knorrigen Oliven- und Zitrusbäumen platziert und zwei noch größere vor der Felskulisse sollen die Welt unseres allradgetriebenen, allwetter- und überallgeländetauglichen Sportwagens für die Besucher geradezu spürbar machen. Eine Autopräsentation zum Anfassen eben.
Dazu wird in jedem Zelt sowohl mindestens ein Modell unseres Dakar ausgestellt, als auch eine Bar für Erfri-schungsgetränke aufgebaut. Im größten der vier runden weißen Festzelte wird eine Showbühne installiert, auf der durchgehend verschiedene Aktionen von Gewinnspielen bis Livemusik abgehalten werden. Dazu alle paar Meter eine gut aussehende, langhaarige Hostess in einem eleganten weißen Einteiler, die Snacks, Give-aways oder allradgetriebenen Sachverstand verteilt. Unsere Erfahrung zeigt: Die Hostessen sind ebenfalls zum Anfassen. Die Armen. Aber welcher Pkw-ambitionierte Mann reist schon zu einer Wagenpräsentation an, wenn es dort keine sexy Hostessen gibt?
Es ist nämlich nicht unser Ziel, ihnen allen den Wagen einfach nur vorzustellen, nein: Der neue Dakar soll begeistern.
Laut Timing der beauftragten Eventagentur hat der Messebauer letzte Woche alle vier Zelte aufgestellt. Derzeit sind die Techniker vor Ort, um mit dem Verlegen der ausgeklügelten Elektrik zu beginnen. Nächste Woche, kurz vor Eventbeginn, werden die Pkws für Shuttle-Service und Ausstellung geliefert, und in genau zwei Wochen geht es los.
Ich bin irgendetwas zwischen aufgeregt und stolz. Was für ein tolles Projekt ich hier aufgegabelt habe. Das war gar nicht so einfach in einem derart großen Unternehmen mit strengen Hierarchien und zig jungen High Potentials um mich herum, die alle zügig steile Karrieren machen wollen. Böse Kollegenzungen tuscheln mir nun hinterher, ich hätte den Zuschlag nur bekommen, weil ich seit Schulzeiten aus einer Laune heraus Italienisch lerne und die Sprache gut beherrsche. Ehrlich gesagt haben sie damit wohl recht, offiziell betone ich in Diskussionen jedoch stets meine überragende Kompetenz für komplexe Projekte, mein analytisches Denkvermögen und mein organisatorisches Geschick, was meine Kollegen murrend hinnehmen müssen.
Zufrieden klappe ich die Mappe zu und blicke aus dem Seitenfenster auf die bestechend schöne sardische Landschaft. Ich freue mich.
Enzo biegt von der Hauptstraße ab und lässt uns ein paar Meter über eine steinige Pistenstraße hoppeln. Dann verlangsamt er die Fahrt und stoppt den Wagen.
Stille.
Was ist?
Muss er mal?
„Da wären wir, signorina“, sagt Enzo stattdessen.
Wie angeschossen schaue ich mich um.
Dann ungläubig zurück auf den Bildschirm des Navis vorne bei Enzo. In der Tat, die Felsformation dort hinten erkenne ich von den Fotos wieder.
Mir bricht der Schweiß aus.
Vier große weiße Festzelte?
Groß und weiß ist hier nur eine Horde Schafe, die seelenruhig auf einer Weide grast, welche eher als unberührte Natur zu bezeichnen wäre denn als Partygelände.
Ich steige aus. Als gäbe es noch Hoffnung oder etwas zu entdecken, wandere ich vorsichtig den Pistenweg hinunter und stolziere langsam auf die wilde Wiese zu.
Die Stille um mich herum ist ohrenbetäubend. Nur der Wind und ab und an das sanfte Läuten einer Schafglocke sind zu hören.
Ein weißer, arg in die Jahre gekommener Wachhund bummelt gemütlich auf mich zu und beschnüffelt mich kurz, um sich desinteressiert wieder abzuwenden. Ich atme tief durch. Dann tue ich es ihm nach und wende mich zum Gehen in Richtung Wagen. Nach drei Schritten höre ich ein matschendes Geräusch unter meinem Fuß und spähe hinunter. Schafscheiße suppt links und rechts unter meiner Prada-Sandale hervor und hat bereits ihren hindernisfreien Weg ins Schuhinnere zu meinen frisch pedikürten Füßen gefunden.
Ich starre auf das Desaster und dann zu Enzo hinüber, der soeben ausgestiegen ist und ein paar Schritte auf mich zu macht.
„Tutto a posto, signorina – alles okay bei Ihnen?“, brüllt er gut gelaunt zu mir herüber und winkt zum Gruß.
Ich kann es nicht fassen. In einer Mischung aus Schockstarre und Trance hebe ich die Hand und deute ihm mit von der Faust abgespreiztem Daumen an, wie toll die Situation hier ist.
Enzo nickt zufrieden und nimmt wieder im Auto Platz.
Ich hinke zu einem Stein und setze mich.
Zeit, meinen Chef dringend zurückzurufen.
„GID Germany, Bräunlich?“, ertönt es am anderen Ende der Leitung.
Selbst nach all den Jahren zucke ich ob dieses kopfkinoerzeugenden Nachnamens immer noch zusammen.
„Guten Morgen, Herr Bräunlich“, beeile ich mich dann artig zu sagen. „Hier spricht Annika Herrmann.“
„Frau Herrmann, guten Morgen“, antwortet er knapp. „Sind Sie gut angekommen?“ Irgendwie klingt die Frage eher wie eine Feststellung als nach einer Erkundigung über mein Befinden.
„Ja, Herr Bräunlich, es ist nur . . .“
„Ich habe gestern Vormittag mehrfach versucht, Sie zu erreichen.“
Nicht das schon wieder, stöhne ich innerlich. Erstens saß ich gestern Vormittag im Flieger, und zweitens werden mir entgangene Anrufe angezeigt. Der Kerl spinnt und denkt, es würde niemand merken.
„Die Auflistung Ihrer Quartalszahlen stimmt nicht“, fährt Bräunlich unterdessen fort. Sein Ton klingt streng.
„Bitte entschuldigen Sie, aber ich habe ein Thema zu besprechen, das eventuell wichtiger . . .“
„Frau Herrmann, das geht so nicht“, unterbricht er mich, vermutlich ohne überhaupt wahrgenommen zu haben, dass ich mitten im Satz war. „Die korrekte Auflistung unserer Plan- versus Istzahlen . . .“
Bestimmt folgt jetzt: . . . ist Basis unserer Arbeit für den Monatsreport an die Shareholder blablabla . . .
„. . . ist die Basis unserer Arbeit für einen stichhaltigen Monatsreport an die Shareholder“, fährt mein Chef gewohnt stoisch fort, „und in Ihrer Auflistung ist ein Summenfehler passiert. Zum Glück ist Herrn Schrader der Lapsus aufgefallen, bevor die Liste an den Vorstand ging. Er war so freundlich, mich darauf aufmerksam zu machen.“
Herr Schrader.
Markus Schrader aus der Abteilung Controlling und interne Revision.
Wie nett von ihm. Wie nett, dass er auf meine Kalkulationen ein besonderes Augenmerk gelegt hat. Das hat er die letzten anderthalb Jahre schon getan. Beginnend mit dem Jahr, in dem wir Bett und Tisch geteilt haben, vor allem aber in den letzten sechs Monaten, seitdem ich ihn verlassen habe. Auf die banalsten Fehler in meinen Rechnungs- und Kostenunterlagen, die jedem passieren können, weist er mich seitdem per E-Mail hin. Stets mit meinem Chef in cc.
Schade, dass es Briefbomben nicht auch per E-Mail gibt. Ich würde ihm glatt eine senden.
„Das ist ja mal ein feiner Zug von Herrn Schrader“, entgegne ich daher nur.
„Ja, dieser Mitarbeiter ist ein Gewinn für unser Unternehmen“, stimmt Herr Bräunlich zu. Jetzt hat er mir tatsächlich mal kurz zugehört. „Ein ganz korrekter Mensch.“
Korrekt. Das mag Herr Bräunlich. Und ja, Markus ist so. Korrekt und langweilig. Ein Leben nach Schema F, gebügelte Handtücher, die Zeitung zum Morgenkaffee und dazu einen Bausparvertrag bei der örtlichen Sparkasse.
Zu diesem geordneten Leben wollte Markus dann ein Kind. Mit mir. Oder von mir. Dabei war mir bis dahin gar nicht aufgefallen, dass er Kinder besonders mag. Es ging ihm wohl eher darum, möglichst schnell den Status eines braven deutschen Familienvaters zu erreichen. Mit Karriereambitionen natürlich. Meine Karriere wäre damit vorbei gewesen. Natürlich.
Wenn Herr Schrader allerdings so weitermacht, ist meine Karriere bald auch ohne Kind im Eimer.
„Um welchen Summenfehler geht es denn?“, frage ich meinen Chef.
Herr Bräunlich faselt irgendetwas von Dollarzeichen, die ich in Excel-Formeln hätte einbauen müssen, damit sich nicht irgendwelche Werte verschieben. Ich kann ihm nicht ganz folgen, bin mir aber sicher, dass die Endergebnisse trotzdem stimmen. Die habe ich nämlich auf einer anderen Liste zusammengetragen.
Vor Wut klopft mir das Herz bis zum Hals, und ich bekomme heiße Wangen.
„Ich warne Sie“, höre ich Herrn Bräunlich sagen, „ich will, dass Sie in solchen Dingen gewissenhafter werden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“
„Ja“, sage ich.
Stille.
„Und sonst so?“, fragt Herr Bräunlich. „Wie laufen die Vorbereitungen für den Dakar?“
„Alles bestens“, lüge ich. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen.
„Na, wenigstens etwas“, mosert Herr Bräunlich, wünscht mir noch einen erfolgreichen Tag und legt auf.
Um mich herum immer noch die Stille der Landschaft. An das Heck des Wagens gelehnt steht Enzo und raucht gedankenverloren Kringel in die Luft. Eine gleichmütige Schafkuh zieht mit zwei weißen Lämmern an mir vorbei und beginnt direkt neben mir zu grasen. Die Schäfchen hoppeln stolpernd und meckernd hinter ihrer Mama her, um sich im nächsten Moment unter ihr Euter zu hängen und zufrieden zu saugen.
Die Situation ist so surreal, dass sie fast lustig wäre, wäre sie nicht so schlimm.
Ich ziehe die ruinierten Sandalen aus und wische meine Füße halbwegs im Gras ab. Dann greife ich wieder zum Handy und rufe die Eventagentur in München an, die regelmäßig Großevents für GID im In- und Ausland organisiert.
„Fireagency, Stahl. Was kann ich für Sie tun?“
Paula ist dran. Die Einzige, die mir jetzt noch helfen kann. Hoffentlich!
„Paula, hier ist Annika, guten Morgen.“
„Hey! Wie geht’s. Wie läuft’s?“
„Die Zelte sind nicht da.“
Erschrockenes Schweigen. Schließlich: „Wie bitte?“
„Paula, ich stehe hier vor einem leeren Partygelände. Es ist kein einziges Zelt aufgebaut. Hier ist niemand.“
Entsetztes Prusten. „Moment. Ganz ruhig.“ Die pragmatische Paula tritt auf den Plan. „Hmmm. Bist du sicher, an der richtigen Adresse zu sein?“
„Wenn man hier von Adresse sprechen kann: ja“, antworte ich. „Ich habe sogar die Geländefotos dabei. Ich bin hier definitiv richtig. Leider“, füge ich hinzu.
„Stehen da keine Lieferwagen?“, fragt Paula leise.
„Nein.“
„Nicht mal ein paar Container?“
„Auch nicht.“
„Die Bühnenbauer?“, kommt die nächste absurde Frage.
„Nichts“, flüstere ich zurück.
„Ich drehe durch“, haucht Paula verzweifelt.
Ein paar Sekunden vergehen.
„Verdammt, ich habe von Anfang an gesagt, ein Event in Italien durchzuführen, ist nicht handlebar“, schimpft sie drauflos. „Ich habe doch gleich gesagt, in Mallorca wäre . . .“
„Nun sind wir aber hier“, unterbreche ich sie. Langsam steigt Panik in mir hoch. Ich merke, dass Paula auch nicht im Bilde darüber ist, was hier passiert. Oder vielmehr, was hier nicht passiert. „Wir haben noch vierzehn Tage Zeit und müssen versuchen zu retten, was zu retten ist. Also . . .“ Ich denke nach. „Als Erstes müssen wir herausfinden, wo die Zelte abgeblieben sind“, sage ich. „Hast du mal eben die Kontaktdaten der Spedition für mich, ich möchte dort hinfahren.“
„Jaaa, Moment . . .“ Ich höre Paula hastig durch Papiere wühlen. „Hier. Trasporti Soru Sardegna. Die haben ihren Sitz im Gewerbegebiet von Olbia.“ Sie diktiert mir eine Adresse samt Telefonnummer.
„Ich versuche in der Zwischenzeit, unsere Partneragentur in Italien zu erreichen, die die Spedition beauftragt hat“, fährt Paula fort. „Als Nächstes spreche ich mit meinem Chef, damit ich so schnell wie möglich nach Sardinien fliegen kann, anstatt erst nächste Woche, okay?“
„Das wäre prima“, stimme ich schwach zu. „Hier gibt es doch ein bisschen mehr zu tun als erwartet.“
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