Auf 25 Wegen um die Welt Auf 25 Wegen um die Welt - eBook-Ausgabe
Vom Wohlfühlweg bis zum Wildnisabenteuer
— Die besten Touren der meistgewanderten Frau der Welt„Ein tolles Buch, das nicht nur Fernweh weckt, sondern die Leser*innen darin bestärkt, selbst die eine oder andere Wanderung zu machen. Reiseliteratur der anderen Art.“ - Bibliotheksnachrichten
Auf 25 Wegen um die Welt — Inhalt
60.000 Kilometer zu Fuß: die besten Wege
Die Lieblingstouren der meistgewanderten Frau der Welt
„Welchen Weg können Sie mir denn empfehlen?“ Diese Frage wird Wanderexpertin und Bestsellerautorin Christine Thürmer nach über 60.000 Kilometern zu Fuß wirklich immer und überall gestellt. Eine allgemeingültige Antwort zu finden ist schwer, denn Menschen sind verschieden. Doch zum Glück ist auch jeder Trail anders!
Der richtige Weg für jedermann und -frau
Suchen Sie Einsamkeit? Abenteuer? Sinn? Kultur? Haben Sie ein kleines oder großes Budget? Wandern Sie allein, mit Ihrer Familie, Ihrem Hund, Ihrem Esel? Wollen Sie wissen, wo Sie das beste Bier trinken und wo die hungrigsten Insekten auf Sie warten? Was Sie tun müssen, wenn ein Alligator den Weg versperrt oder Sie in eine Militärübung geraten? Und wie auch Sie den richtigen Trail finden?
25 Trailtipps – vom Pilgerweg bis zur Abenteuerroute
Amüsant und aufschlussreich erzählt die meistgewanderte Frau der Welt von Wildnisabenteuern und Pilgerwegen, von Geschichtstrips, Gourmettouren und Literaturpfaden aus ihrer Outdoorlaufbahn von Wachau bis Patagonien. Denn kein Weg passt für alle, aber einer passt ganz bestimmt zu Ihnen.
„Thürmer ist der Gegenentwurf zu all den grellbunt gekleideten Hochglanzmodels der Bergsportindustrie; wer ihr zuhört, der wird endlich wieder daran erinnert, dass es sich beim Wandern um die demokratischste aller Bergsportarten handelt.“ Bergwelten Sommer-Special „Unterwegs mit Legenden“
„Thürmer bedient sich eines kumpelhaften Stils, leicht zu lesen und überaus unterhaltsam.“ FAZ
„Sie hat das Unterwegssein zu ihrem Lebensinhalt gemacht. (...) und wer ihre ehrlichen Berichte mit Hoch- und Tiefpunkten liest, wird das verstehen.“ Brigitte
„Motivierend, inspirierend, informativ und spannend – lesenswert selbst für dann bald ehemalige Couchpotatoes!“ ARD Buffet über „Weite Wege Wandern“
Leseprobe zu „Auf 25 Wegen um die Welt“
Wie es zu diesem Buch kam
„Und jetzt, liebes Publikum, kommt der spannendste Teil des Abends!“, kündige ich im grellen Scheinwerferlicht auf der riesigen Bühne des Zürcher Volkshauses an. Über eine Stunde habe ich dem Publikum von meinem Weg zur meistgewanderten Frau der Welt erzählt, dabei meine Ausrüstung und meinen Alltag unterwegs beschrieben und vor allem erklärt, warum mich das auch nach mehr als 15 Jahren Outdoorleben immer noch begeistert. Jetzt sind die Fragen an der Reihe, die die Zuschauer in der Pause für mich aufgeschrieben haben. Ich lese [...]
Wie es zu diesem Buch kam
„Und jetzt, liebes Publikum, kommt der spannendste Teil des Abends!“, kündige ich im grellen Scheinwerferlicht auf der riesigen Bühne des Zürcher Volkshauses an. Über eine Stunde habe ich dem Publikum von meinem Weg zur meistgewanderten Frau der Welt erzählt, dabei meine Ausrüstung und meinen Alltag unterwegs beschrieben und vor allem erklärt, warum mich das auch nach mehr als 15 Jahren Outdoorleben immer noch begeistert. Jetzt sind die Fragen an der Reihe, die die Zuschauer in der Pause für mich aufgeschrieben haben. Ich lese den ersten Zettel vor: „Wie ist das mit Sex auf dem Trail?“ Im Saal wird es schlagartig still.
Innerlich muss ich schmunzeln. Dieses Thema kommt auf meiner Vortragstour durch die Schweiz fast jeden Abend auf – zumindest, wenn die Fragen anonym gestellt werden können. Die Deutschen hingegen wollen eher wissen: „Zahlst du Steuern?“ oder „Bist du sozialversichert?“ (Die Antwort lautet in beiden Fällen „ja“.) In Österreich sorgt man sich vor allem um meine Gesundheit: „Leiden Sie unter Mangelerscheinungen?“ oder „Bekommt man von der vielen Schokolade nicht Durchfall?“ (Antwort jeweils „nein“.)
Nachdem ich mein Publikum über die Tücken des Liebeslebens unterwegs aufgeklärt habe, ziehe ich die nächste Frage aus der Tüte: „Was ist Ihr Lieblingsweg?“ Ich lasse meine Outdoorlaufbahn vor meinem geistigen Auge Revue passieren, doch bei über 60 000 Wanderkilometern kann ich beim besten Willen keinen besten, schönsten oder liebsten Weg nennen. Stattdessen gibt es Spitzenreiter in unterschiedlichen Kategorien, was ich mit einem Beispiel erkläre: „Der abenteuerlichste Weg ist ganz bestimmt nicht der erholsamste und umgekehrt. Je nachdem, welche der beiden Eigenschaften mir gerade besonders wichtig ist, finde ich das anstrengende Wildnisabenteuer oder den technisch einfachen Wohlfühlweg besser. Oder anders ausgedrückt: Ein Weg, der mir in einer bestimmten Lebenslage besonders gefällt, kann in einer anderen zum Flop werden.“
Es folgt die Frage, die mir wirklich in jedem Land von jedem Publikum gestellt wird und die mich besonders freut – zeigt sie doch, dass die Menschen wanderbegeistert sind: „Welchen Weg können Sie denn empfehlen?“ Das Scheinwerferlicht blendet mich so stark, dass ich im voll besetzten Saal nur die Zuschauer in den ersten Reihen erkennen kann: eine Gruppe Frauen im besten Alter, eine Familie mit halbwüchsigen Kindern, zwei junge Männer im Outdooroutfit. Sie befinden sich in ganz unterschiedlichen Lebensphasen und bringen völlig verschiedene Erwartungen an eine Wanderung mit. Genau wie es für mich selbst keinen besten Weg gibt, kann ich auch keine pauschale Empfehlung für alle anderen geben.
Der Erfolg einer Wanderung hängt nämlich von zahlreichen individuellen Faktoren ab: dem finanziellen und zeitlichen Budget, den Komfortansprüchen, der Vorliebe für bestimmte Klimazonen oder der individuellen Wandererfahrung. Und je länger die Tour, umso mehr dieser Bedürfnisse und Voraussetzungen sollte sie erfüllen. Von den unzähligen Gesprächen am Signiertisch weiß ich allerdings, dass Wanderinteressierte vor allem zwei Ziele anstreben: einen spanischen Camino, „weil den doch so viele machen“, oder eine Alpenüberquerung „wegen der Landschaft“.
Natürlich kann man auch auf diesen beiden Trails sein Glück finden. Aber Popularität und spektakuläre Ausblicke sind nur zwei Faktoren von etlichen, und wenn der Rest nicht stimmt, können selbst beliebte Strecken zur Enttäuschung werden: Wer besinnliche Einsamkeit sucht, wird von den Pilgerscharen Richtung Santiago abgeschreckt, und für einen untrainierten Wanderanfänger kann eine Bergtour schnell zur Tortur werden.
Schwärmerische Berichte von Bekannten oder tolle Instagram-Fotos allein sind also keine guten Ratgeber. Wichtiger ist die Frage: Passt dieser Trail zu mir ganz persönlich? Aber kaum jemand hat die Zeit, das detailliert zu recherchieren. Oft lässt sich auch gar nicht erahnen, welche Abenteuer sich wo verbergen. Und so landen die meisten Wanderinteressierten doch wieder auf den populären Trails, die dadurch noch überlaufener werden. Oder sie bleiben im schlimmsten Fall einfach zu Hause. Dabei würde sich die Gruppe fünfzigjähriger Frauen auf einer neu entdeckten Pilgerroute bestimmt sehr wohlfühlen, für die Familie gäbe es einige kindertaugliche Strecken, und die beiden jungen Männer könnten sich auf herausfordernden Wildnistrails austoben.
Leider habe ich bei meinen Vorträgen nie genügend Zeit für eine ausgiebige und individuelle Antwort auf die Frage nach meiner Wanderempfehlung. Das soll sich mit diesem Buch ändern! In den folgenden Kapiteln erzähle ich Ihnen, was ich auf 25 eher unbekannten Wegen erlebt habe und worauf Sie sich beim Nachwandern freuen können. Alle Trails sind von mir begangen und so ausgewählt, dass jede Schwierigkeitsstufe, Jahreszeit, Länge, jedes Budget und zahlreiche Special Interests abgedeckt sind. Denn egal, wie fit oder erfahren Sie sind, ob Sie eine Woche oder ein Jahr unterwegs sein können oder welchem Hobby Sie dabei frönen wollen: Kein Weg passt für alle, aber ein Weg passt ganz bestimmt zu Ihnen!
Für Pilgeranfänger: Pilgerweg Berlin–Bad Wilsnack
Land: Deutschland | Länge: 120 km
Schwierigkeit: * | Budget: €€ | Jahreszeit: ganzjährig
Natur: * | Kultur: ** | Special Interest: Schnupperpilgern
„Sie müssen auf dem Fußboden des Gemeindesaals schlafen, also bringen Sie besser eine Isomatte und einen Schlafsack mit!“, schnarrt die resolute Stimme von Schwester Anneliese aus meinem Handy. Ich zögere eine Sekunde, denn eigentlich will ich mit leichtem Gepäck, sprich ohne meine halbe Campingausrüstung, von einer Unterkunft zur nächsten pilgern. „Sie brauchen erst gar nicht woanders anfragen. Jetzt in der Hochsaison kommen Sie in Linum sowieso nur noch bei mir unter“, unterbricht die Diakonisse meine Überlegungen. „Okay, dann bis morgen“, reserviere ich die spartanische Schlafgelegenheit und frage mich beim Packen verwundert, warum ausgerechnet an einem stinknormalen Werktag mitten im trüben Spätherbst alles ausgebucht sein soll.
Bei meiner Ankunft in dem winzigen Dorf in der brandenburgischen Ostprignitz wird mir der Grund jedoch schlagartig klar: Hunderte von Kranichen ziehen in der Abenddämmerung majestätisch über den Himmel und jagen mir mit ihrem durchdringenden Trompeten eine Gänsehaut über den Rücken. Linum ist im Herbst der größte europäische Binnenrastplatz von Kranichen und Gänsen auf ihrem Weg nach Süden. Mitte Oktober werden hier bis zu 72 000 Kraniche gezählt – an einem einzigen Tag! Und die Vögel ziehen wiederum die 40 000 Touristen an, die den 750-Seelen-Ort jedes Jahr besuchen.
Ich pilgere aber nicht zu den Kranichen, sondern nach Bad Wilsnack, einem der populärsten Pilgerziele der westlichen Christenheit, ja sogar das wichtigste in ganz Nordeuropa! Zumindest war es das im Mittelalter. Aus aller Herren Länder strömten Hunderttausende zur Wunderblutkirche, bis der Ort mit der Reformation in Vergessenheit geriet. Erst vor wenigen Jahren hat ein Förderverein einen 120 Kilometer langen Abschnitt wiederbelebt und markiert. Auf der Website zum Weg gibt es einen Pilgerführer und ein Unterkunftsverzeichnis.
Der offizielle Startpunkt befindet sich im Zentrum meiner Wahlheimat Berlin, genauer gesagt an der mittelalterlichen Marienkirche am Alexanderplatz. Wie die meisten Pilger habe ich mir die zwanzig Kilometer lange innerstädtische Strecke gespart und bin mit der S25 bis zur Endhaltestelle in Hennigsdorf gefahren, wo die Großstadt fast übergangslos in die freie Landschaft Brandenburgs übergeht. Dort beginnt die Wegmarkierung mit den drei gelben Punkten, schon seit dem Mittelalter das Pilgerzeichen und bildliches Symbol des Blutwunders, das sich am 16. August 1383 zugetragen haben soll.
Während die Wilsnacker damals das Patronatsfest im benachbarten Havelberg feierten, zerstörte Ritter Heinrich Bülow den menschenleeren Ort und brannte sogar die Kirche bis auf die Grundmauern nieder. Dennoch befahl eine nächtliche Stimme dem wiedergekehrten Dorfpfarrer, in den Trümmern nach drei zurückgelassenen, geweihten Hostien zu suchen. Der Legende nach fand er sie nicht nur unversehrt inmitten von Schutt und Asche, sie hatten zudem noch je einen Blutstropfen ausgeschwitzt – was natürlich sofort einen Pilgerboom auslöste.
Obwohl viele kirchliche Stellen dieses Wunder schon damals skeptisch betrachteten, begann im folgenden Jahr der Bau einer großen Wallfahrtskirche, die aufgrund der stetig wachsenden Besucherzahlen ein Jahrhundert später erweitert wurde. Straftäter im Büßergewand kamen genauso nach Wilsnack wie betuchte Adlige zu Pferd, besonders begüterte Herrscher ließen gegen Bezahlung „fremdpilgern“. Ja, es kam sogar zu spontanen Massenwallfahrten, dem sogenannten Wilsnacklaufen, bei dem die halbe Einwohnerschaft ganzer Städte einfach alles stehen und liegen ließ, um zur Wunderblutkirche zu eilen.
Während ich im Nieselregen durch den einsamen Hennigsdorfer Forst nach Linum wandere, stelle ich mir die einstigen Wallfahrerströme ähnlich vor wie den aktuellen Andrang auf den spanischen Caminos. Bis zu 350 000 Pilger laufen jährlich nach Santiago, nach Wilsnack sind heutzutage nur etwa 1000 unterwegs – und an diesem regnerischen Herbsttag bin ich ganz allein.
Schwester Anneliese, deren fast schon biblisches Alter ich nicht zu schätzen wage, empfängt mich in der traditionellen schwarzen Tracht der Diakonissen einschließlich gestärkten Häubchens auf den weißen Haaren und eines riesigen Schlüsselbundes in der Hand. „Es ist noch gut geheizt im Gemeindesaal“, erklärt sie mir auf dem Weg zu meinem Nachtquartier. „Die Konfirmandengruppe ist gerade erst gegangen.“ Nachdem ich es mir auf meiner Isomatte bequem gemacht habe, bringt sie mir eine evangelische Kirchenzeitung als Nachtlektüre vorbei und erzählt, warum Linum im Sommer die Störche und im Herbst die Kraniche anzieht: „Schon der Alte Fritz hat das Rhinluch, das Moorgebiet rund um den Ort, für den Torfabbau durch ein Grabensystem entwässern lassen. Später entstand auf den abgetorften Flächen eine riesige Teichlandschaft. Das knietiefe Wasser ist ein idealer Schlafplatz für die Vögel, die sich dann tagsüber auf den abgeernteten Feldern die nötigen Reserven für ihren Flug nach Süden anfressen.“
Nachdem sie sich verabschiedet hat, lege ich mich – nach 32 Kilometern rechtschaffen müde – schlafen und denke dabei noch an das berühmte Lied der bekanntesten Tochter Linums, der romantischen Dichterin Luise Hensel: „Müde bin ich, geh zur Ruh, / schließe meine Äuglein zu …“ Gute Nacht!
Die Luchlandschaft der Prignitz ist brettflach, und durch die schnurgeraden Entwässerungskanäle zwischen den riesigen Feldern wirkt sie ziemlich geometrisch. Lediglich die Baum- und Heckenalleen an den Feldrainen und Gräben verhindern, dass man heute schon das Wanderziel von morgen sehen kann. Es ist fast totenstill, nur bei der Überquerung der Autobahn Hamburg–Berlin werde ich kurzzeitig daran erinnert, dass ich im 21. Jahrhundert unterwegs bin. Heinrich von Kleist nannte seine brandenburgische Heimat einen langweiligen Landstrich, bei dessen Erschaffung der liebe Gott offenbar eingeschlafen sei. Der 2020 verstorbene DDR-Schriftsteller Günter de Bruyn bringt es etwas positiver auf den Punkt. Das Besondere dieser Landschaft liege in dem, was ihr fehle: Menschen, Reize und Geräusche. Beim Wandern kann man hier nicht nur den Blick, sondern auch die Gedanken schweifen lassen, denn es gibt keinerlei technische Schwierigkeiten. Ohne nennenswerte Steigung spaziere ich über lehmige Wiesenwege, unbefestigte Forststraßen, Wirtschaftswege mit Betonplatten und manchmal verkehrsarme Nebenstraßen. Dieser Pilgerweg kann selbst von blutigen Anfängern begangen werden – und das zu jeder Jahreszeit.
Die kopfsteingepflasterten Chausseen und alten Feldsteinhäuser wirken wie aus der Zeit gefallen, sie gäben eine hervorragende Filmkulisse für einen Roman von Theodor Fontane ab. Bis auf ein paar ältere Herrschaften sind die Dörfer fast ausgestorben. Kein Wunder, hier gibt es außer ein paar landwirtschaftlichen Betrieben kaum Arbeitsplätze. Die Kirchen am Wegesrand sind zwar durchweg verschlossen, doch ist im Pilgerführer stets eine Telefonnummer oder Adresse angegeben, wo der Schlüssel abgeholt werden kann. Auch wenn es mich manchmal etwas Überwindung kostet, bei wildfremden Menschen zu klingeln, erwarten mich dabei die schönsten Erlebnisse. Manchmal wird mir der Schlüssel nur kurz angebunden herausgereicht: „Werfen Sie ihn einfach in den Briefkasten, wenn Sie fertig sind!“ Doch der Brandenburger hat unter der harten Schale einen weichen Kern. Auf interessiertes Nachfragen bekomme ich meist eine persönliche Kirchenführung und eine kurze Dorfchronik obendrein. Von einer Schlüsselverwalterin werde ich angesichts der herbstlichen Temperaturen sogar mit heißem Tee und selbst gebackenen Plätzchen begrüßt!
Die kleinen Kirchen sind sicherlich keine kunsthistorische Weltklasse, warten für den neugierigen Besucher aber mit ein paar Überraschungen auf. In Tarnow steht ein anmutiger Schinkelbau, dessen Campanile man eher in der Toskana als in Brandenburg erwarten würde. In der unscheinbaren Dorfkirche von Protzen schwebt ein strahlender Barockengel über dem Taufbecken. Und in der mittelalterlichen Feldsteinkirche in Barsikow kann man seit 2012 sogar in zehn Stockbetten übernachten!
Als ich völlig durchgefroren ankomme, freue ich mich besonders über die heiße Dusche, die genauso ins Kirchengebäude integriert ist wie eine Kochnische mit Kühlschrank. „Gottesdienste finden nur noch zweimal im Monat statt“, erklärt mir Herr Grützmacher, der auf Anfrage sogar ein Frühstück serviert. Der Herbergsbetreuer steigt am nächsten Morgen mit mir in die luftigen Höhen des Kirchturms empor und zeigt mir die Pilgerzeichen an den Glocken, anhand derer die Route rekonstruiert wurde. Den Pilgersegen gibt er mir zurück auf festem Boden im Altarraum. Auch in der Kyritzer Marienkirche geht es hoch hinaus: Hier kann man in der ehemaligen Türmerwohnung übernachten.
In Barenthin kommt mir Frau Unger in der Abenddämmerung schon entgegengelaufen, denn ich bin spät dran und sie will noch mal weg. Schnell öffnet sie den Pfarrsaal und überlässt mir den riesigen Kirchenschlüssel. Nachdem ich das kleine Gotteshaus damit am nächsten Morgen besichtigt habe, treffe ich die Schlüsselverwalterin ganz zufällig auf der Straße wieder, mit einer riesigen Tüte Brötchen in der Hand.
Was nun mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ meinerseits beginnt, endet in einem dreistündigen Gespräch über die Geschichte der DDR im Allgemeinen und des Ortes Barenthin im Speziellen. Wie ich nämlich sogleich erfahre, stehen wir vor dem ehemaligen Tante-Emma-Laden, in dem Frau Ungers Mutter die knapp 400 Einwohner seit 1949 mit Lebensmitteln versorgte. Mehr als fünfzig Jahre stand sie hinter dem Ladentisch, während Tochter Christa das Dorf verließ und Lehrerin für Mathematik und Physik wurde. Erst nach ihrer Pensionierung kehrte sie in ihre Heimat zurück und verwandelte das unrentabel gewordene Geschäft in eine „Klönstube“ für die Nachbarschaft.
„Das ist jetzt zwar kein Laden mehr, aber immer noch eine Art Dienstleistungszentrale. Manchmal gebe ich dem Nachwuchs Nachhilfe, die Nachbarn treffen sich einmal im Monat zum Klönen und Spielen, und sie können auch Einkaufsbestellungen abgeben“, erklärt die ehemalige Lehrerin die Riesenmenge an Brötchen in ihrer Tüte. „Wollen Sie mal reinschauen?“
Und ob ich das will! In der Klönstube stehen Brettspiele für den Nachbarschaftstreff neben alten Registrierkassen, Waagen und Kassenbüchern aus dem früheren Lebensmittelgeschäft. Ich wundere mich über die vielen Fotografien an der Wand, auf denen ausschließlich Gebäude zu sehen sind. Frau Unger erläutert: „Für die 675-Jahr-Feier des Ortes habe ich alle Einwohner gebeten, mir Bilder ihrer Häuser zu schicken, von früher und von heute. Darauf habe ich dann die Daten zur Geschichte der einzelnen Anwesen vermerkt.“
Fasziniert betrachte ich die kleine Vorher-Nachher-Ausstellung und stelle Frage um Frage. Während Frau Unger geduldig antwortet, gerät mein Zeitplan für den Tag komplett aus den Fugen. Egal, es sind ja genau solche Gespräche, die diese Wanderung so interessant machen. Spannende Begegnungen sind fast vorprogrammiert, weil man täglich einem Herbergsbetreuer oder einer Schlüsselverwalterin begegnet. Und für die ist man nicht der hundertste Pilger, der pro Tag vorbeiläuft, sondern immer noch etwas Besonderes.
Neben den preiswerten Pilgerherbergen in Kirchen und Gemeindesälen wird die ganze Bandbreite touristischer Unterkünfte angeboten, vom Heuhotel über Ferienwohnungen bis zu Pensionen und Hotels, teilweise sogar mit Gepäcktransport. Was man in Brandenburg dagegen nicht an jeder Ecke findet, sind Bars mit Tapas oder menú del peregrino. Wenn es im Übernachtungsort keine Gaststätte gibt, muss man sich sein Abendessen eben selbst mitbringen. Dafür können Sie hier seit Neuestem sogar #Biopilgern! Unter diesem Hashtag haben sich 16 Hofläden, Bistros und Cafés zusammengeschlossen, die den Pilgern Wassernachschub und Bioproviant anbieten: Obst und Gemüse aus zertifizierter Landwirtschaft, Vollkornbrot, Biowurst und sogar Stutenmilch vom Pferdegestüt.
Als ich am vierten Tag meiner Wanderung in Bad Wilsnack ankomme, wirkt die riesige Wallfahrtskirche in dem unbedeutenden Städtchen komplett überdimensioniert. Das „Santiago des Nordens“ erlebte im Zuge der Reformation einen jähen Absturz: Der neue protestantische Prediger des Ortes, Joachim Ellefeld, verbrannte die wundertätigen Hostien am 28. Mai 1552 und wurde dafür in der nahe gelegenen Plattenburg festgesetzt. Noch während die Obrigkeit über eine angemessene Strafe für seine Freveltat stritt und ihn letztendlich in die Verbannung schickte, ließ der Markgraf von Brandenburg alle Kunstschätze der Wunderblutkirche einschließlich Glocke nach Berlin schaffen. Sämtliche Hinweise auf das Blutwunder wurden getilgt, nur den bemalten Holzschrank, in dem die Hostien früher zur Anbetung ausgestellt waren, kann ich zusammen mit einer Ausstellung zur Geschichte des Wallfahrtsortes noch besichtigen.
Am Eingang der Kirche hole ich mir meinen letzten Stempel für den Pilgerpass und frage die Aufsicht, wer denn eigentlich so alles hierherkomme. „Deutlich mehr Frauen als Männer, viele sogar allein“, weiß die Dame durch die Auswertung von Pilgerfragebögen zu berichten und ergänzt stolz: „Die meisten würden sogar lieber ein zweites Mal nach Wilsnack pilgern als noch mal einen der spanischen Caminos laufen!“ Das geht mir ganz genauso!
Bevor ich in den stündlichen Regionalexpress zurück nach Berlin steige, mache ich einen Abstecher zum zweiten Wunder von Wilsnack: 1906 entdeckte der Stadtförster Gustav Zimmermann eisenoxidhaltige Moorerde, was den Ort 1929 zur Kurstadt machte und ihm den Titel „Bad“ einbrachte. In der Therme mit Saunalandschaft strecke ich meine müden Glieder ins solehaltige Heilwasser. Ein so würdiger Abschluss war den mittelalterlichen Pilgern wohl eher nicht vergönnt.
Für wen:
● Wer schon immer mal einen Camino laufen wollte, kann hier ohne lange Anreise hervorragend ein paar Tage „schnupperpilgern“ – Sie benötigen weder viel Wandererfahrung noch ein großes Budget. Alleinwandernde Frauen werden sich besonders wohlfühlen, weil die Mehrzahl der Pilger weiblich ist.
● Dieser Pilgerweg ist familientauglich: Wenn der Nachwuchs nicht selbst laufen kann (oder will), können Sie ihn sogar im Kinderwagen schieben. Und die größeren Sprösslinge finden es bestimmt spannend, mal in einem Kirchturm zu übernachten oder eine Reitstunde im Pferdegestüt zu bekommen.
● Wer Zeit zum Nachdenken braucht, kann beim Wandern in dieser meditativen Landschaft die Gedanken frei schweifen lassen, ohne durch schlechte Wegbeschaffenheit, steile Anstiege oder Navigationsprobleme abgelenkt zu werden. Auch einsames Wildzelten ist in dieser dünn besiedelten Gegend kein Problem.
Für Weintrinker: Welterbesteig Wachau
Land: Österreich | Länge: 180 km
Schwierigkeit: * | Budget: €€ | Jahreszeit: ganzjährig
Natur: ** | Kultur: *** | Special Interest: Wein und Brettljausen
Wer oder was zum Teufel sind die Welter, frage ich mich verwirrt, als ich zum ersten Mal vom österreichischen Welterbesteig lese. Spontan tippe ich auf ein alpenländisches Adelsgeschlecht oder einen ausgestorbenen Handwerksberuf. Angesichts der Vielzahl von Steigen, Pfaden und Traumschleifen in der deutschsprachigen Wanderwelt wundere ich mich auch nicht über den Begriff Besteig, sondern halte ihn für eine misslungene Marketingidee. Ein Bindestrich hätte meine Verwirrung verhindert: Hinter dem Namen Welterbe-Steig steckt nämlich die Aufnahme der niederösterreichischen Wachau in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten im Jahr 2000.
Der so geadelte Landstrich an der Donau ist zwischen den Orten Melk und Krems gerade mal 35 Kilometer lang. Der Welterbesteig, der als Rundweg auf beiden Seiten des Flusses verläuft, misst jedoch knapp 180 Kilometer. Ein Blick auf die Wanderkarte zeigt den Grund für diese wundersame Streckenvermehrung: Während der populäre Donauradweg gradlinig am Ufer entlangführt, schlägt der Welterbesteig in jeder Etappe gewaltige Schlaufen hinauf zu den Donauhängen und dann gleich wieder zurück ans Wasser. Wer bei diesem Flusswanderweg also eine gemütliche Tour ohne nennenswerte Steigungen erwartet, wird schnell eines Besseren belehrt. 7500 Höhenmeter sind insgesamt zu bewältigen, höchster Punkt ist mit 960 Metern der Jauerling, die größte Erhebung in der Wachau. Die schweißtreibenden Aufstiege werden allerdings mit traumhaften Ausblicken versüßt, die den Radlern am Ufer versagt bleiben.
Das Postkartenidyll der Wachau ist so kitschig-schön, dass mir schon auf der ersten Etappe fast die Augen schmerzen. Von den vielen Rastplätzen am Weg aus bewundere ich die akkurat gepflanzten Weinstöcke, die sich in perfekten geometrischen Linien schachbrettartig über die steilen Hänge erstrecken, dazwischen immer wieder Bildstöcke und farbenfroh blühende Rosensträucher. Unter mir liegen die engen Gassen der historischen Altstadt von Krems, am anderen Ufer thront hoch über dem Dunkelsteiner Wald das imposante Stift Göttweig, und auf dem Fluss ziehen schwer beladene Schubboote vorüber.
In diesem Wanderparadies quält mich zu Beginn allerdings eine ganz spezielle Frage: Wo soll ich in dieser intensiv genutzten Kulturlandschaft wild zelten? Die steilen Hänge sind zwar mit kunstvoll geschichteten Trockensteinmauern terrassiert und böten somit perfekte Lagerplätze zwischen den Weinstöcken, doch wären die Winzer sicher nicht begeistert, mich und mein Zelt morgens dort vorzufinden …
Während meiner einwöchigen Tour löst sich diese Sorge zum Glück schnell in Wohlgefallen auf, denn am Welterbesteig wechseln sich die unterschiedlichsten Landschaftsformen ab. Mich erwarten Weinberge, Obstgärten und wogende Getreidefelder, aber auch ausgedehnte Waldgebiete und schroffe Felsformationen, an denen ich sogar Kletterer beobachten kann; dazwischen immer wieder Rastplätze und Aussichtstürme mit Panoramablick. Mit ein wenig Geduld finde ich jede Nacht ein diskretes Plätzchen, wo mich morgens Vogelgezwitscher und kein aufgebrachter Winzer weckt. Nur einmal schreckt mich beim Abendessen eine unerklärliche Knallerei auf. Ein wild gewordener Jäger? Vogelschreck? Oder ein Feuerwerk für Touristen? Da dämmert mir, dass ich zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft unterwegs bin, und eine Internetrecherche bestätigt: Mit den Böllerschüssen wird ein Tor der österreichischen Mannschaft gefeiert.
Mit ausreichend Budget muss man natürlich nicht zelten. In der Wachau gibt es eine riesige Auswahl an Hotels, Pensionen und Privatzimmern. Der Donauradweg mit seinen jährlich über 600 000 Radlern sorgt dafür, dass Aufenthalte von bloß einer Nacht überhaupt kein Problem sind. Für Welterbesteig-Wanderer wird außerdem Gepäcktransport angeboten. Da zwischen Krems und Melk eine Buslinie im Stundentakt verkehrt und die beiden Donauufer zusätzlich zu den dortigen Brücken auch noch durch drei Fähren verbunden sind, kann man die Wanderung sogar etappenweise von einem Standquartier aus unternehmen.
Der Rundweg Welterbesteig überquert die Donau an seinem Scheitelpunkt auf der Staumauer des Wasserkraftwerks Melk. Hier verlaufen Wander- und Radroute für ein paar Hundert Meter gemeinsam, die Radreisenden passieren mich im Minutentakt. Doch kaum trennen sich die Wege wieder, bin ich stundenlang allein unterwegs. Im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant, dem fast schon überlaufenen Rheinsteig, wird der als einer der „Best Trails of Austria“ vermarktete Welterbesteig nämlich erstaunlich wenig begangen.
Dabei ist er nicht nur landschaftlich, sondern auch kulinarisch ein Juwel. Ich lasse morgens mein übliches Müsli im Zelt ausfallen und steuere stattdessen die nächste Bäckerei an für ein Nussbeugerl (Nusshörnchen) oder eine Topfengolatsche (Quarktasche). Für die berühmten Marillenknödel bin ich leider zu früh, im Juni sind die Aprikosen noch nicht reif. Dafür kann ich am Wegesrand ein paar saftige Kirschen schnabulieren, natürlich nur von herrenlosen Straßenbäumen. Ehrenwort!
Berühmt ist die Wachau allerdings für ihren Weißwein, vor allem für Riesling und Grünen Veltliner. Meist weisen Schilder an den Weinbergen auf die jeweilige Rebsorte und das Weingut hin. Manchmal sind sogar direkt am Weg Selbstbedienungskühlschränke mit Weinflaschen aufgestellt, bezahlt wird in eine „Kasse des Vertrauens“. Blöd nur, dass ich hier nicht am Abend, sondern meist zur Frühstückszeit vorbeikomme. Immerhin sind für diesen Fall Apfelschorle und Mineralwasser im Angebot.
Beim Heurigenbesuch habe ich anfangs ebenfalls das falsche Timing. Ich stoße zwar auf ein Dutzend „Buschenschenken“, doch die haben leider nicht ausgsteckt. Ein Buschen, also ein Büschel Zweige oder Reisig, zeigt an, ob die Schankwirtschaft geöffnet ist, und dabei wechseln sich die örtlichen Erzeugerbetriebe ab. Anschläge in den Ortschaften und der Heurigenkalender im Internet helfen bei der Planung. Mir weist erst an meinem letzten Wandertag ein Einheimischer den Weg zu einem ausgsteckten Heurigen mit passender Mittagsöffnungszeit und verhilft mir so zu einem kulinarischen Volltreffer. Buschenwirte dürfen ausschließlich selbst produzierten Wein und Most sowie kalte Speisen anbieten. Im Hof des Weingutes bestelle ich eine Winzerplatte und staune nicht schlecht, als die Wirtin einen Teller mit Bergen von Räucherschinken, Schweinebraten und Käse vor mich stellt. Die üppigen Portionen sind nicht nur ein Ausdruck österreichischer Gastfreundschaft, sondern außerdem umsatzfördernd. Das salzige Gselchte macht nämlich verdammt durstig! Als Durstlöscher bietet sich für Wanderer ein „Sommerspritzer“ an. Dabei wird der Wein anders als beim normalen Gspritzten nicht zu gleichen Teilen mit Sodawasser gemischt, sondern im Verhältnis 1:3. Aber auch der hier produzierte Marillennektar schmeckt gspritzt hervorragend! Und wer das Weinangebot einmal zu stark in Anspruch genommen hat, dem sei versichert: Der Welterbesteig ist so gut mit dem weißen Logo markiert, dass man sich selbst im angeschickerten Zustand nicht verläuft …
Nachdem ich an einem besonders heißen Nachmittag schwitzend einen Berg hinaufgekeucht bin, leuchtet mir vor einem Haus am Ortseingang ein großer weißer Kühlschrank entgegen. Wahrscheinlich ein privater Weinverkauf, denke ich und will schon weiterlaufen. Da sticht mir ein aufgeklebter Zettel mit einem holprigen Reim ins Auge: „Lieber Wanderer, mach mal Rast und nimm dir, worauf du Lust hast!“ Bin ich ausgerechnet im extrem touristischen Österreich auf kostenlose trail magic gestoßen? Neugierig öffne ich die Tür und starre ungläubig auf ein buntes Sortiment aus Softdrinks und süßen Snacks. Und es kommt noch besser: Im Gefrierfach erwarten mich gar mehrere Sorten Eis am Stiel! Wie hypnotisiert greife ich zu einer Flasche Apfelsaftschorle und leere sie mit langen Schlucken. Erst als mir das kühle Getränk die Kehle hinunterrinnt, bin ich sicher, dass ich keiner Fata Morgana aufgesessen bin. Vorsichtshalber esse ich aber noch ein Schokoladeneis … Bevor ich wieder aufbreche, nehme ich ein Weilchen auf der Bank im Schatten eines Nussbaums Platz und studiere das Gästebuch, das mitsamt Bleistift und einer Spendenbox im Kühlschrank ausliegt. „Hier muss ein Engel wohnen“, hat ein dankbarer Besucher am Vortag geschrieben. Ich muss schmunzeln, denn die US-amerikanischen Wanderer nennen solche hilfsbereiten Menschen am Wegesrand tatsächlich trail angels.
Neben all den landschaftlichen und kulinarischen Aspekten locken am Welterbesteig auch mehrere weltberühmte Sehenswürdigkeiten, allen voran Stift Melk, ein Barockjuwel von gigantischen Ausmaßen: Fast 500 Räume mit 1365 Fenstern werden von vier Hektar Dachfläche überwölbt, die Bibliothek beherbergt 100 000 Bücher aus mehreren Jahrhunderten. Eine halbe Million Gäste besuchen den Prunkbau an der Donau jährlich, für Wanderer gibt es sogar extragroße Schließfächer zur Aufbewahrung ihres Rucksacks.
Noch beeindruckender finde ich das etwas weniger bekannte Stift Göttweig, dessen Besuch ich mir durch einen steilen Anstieg auf den gleichnamigen Berg hart erarbeiten muss. Schweißgebadet oben angekommen, verschlägt mir die weitläufige Barockanlage den ohnehin schon kurzen Atem. Die imposante Kaiserstiege mit dem pompösen Deckenfresko wäre die Traumkulisse jeder festlichen Hochzeit; ich jedoch steige in verdreckten Wanderklamotten staunend die weißen Stufen ins Museum im Kaisertrakt hinauf.
Göttweig ist ein aktives Benediktinerkloster mit 37 Mönchen, Gäste können an drei täglichen Chorgebeten teilnehmen. Bei meinem Besuch am Sonntagabend erklingt die Vesper in der Stiftskirche sogar auf Latein. Anhand der ausliegenden Stundenbücher kann ich dem halbstündigen Choralgesang mit deutscher Übersetzung folgen und stelle voll Freude fest, dass vom großen Latinum meiner Schulzeit doch noch einiges hängen geblieben ist. Ich bedauere sehr, dass ich mir im Hoteltrakt des Klosters kein Zimmer mit Blick auf die Wachau reserviert habe, sondern jetzt am Abend weitere acht Kilometer bis zu meiner Unterkunft laufen muss.
Eine ganz andere, modernere Spiritualität erlebe ich im Kloster Maria Langegg, das sich an einer der vielen Schleifen des Welterbesteigs mitten im Dunkelsteinerwald befindet. Die Kirche „Maria, Heil der Kranken“ war im 17. und 18. Jahrhundert eine der bedeutendsten Pestwallfahrten Österreichs und wird heute – ebenso wie die Stifte Melk und Göttweig – vom österreichischen Jakobsweg angesteuert, der allerdings deutlich geradliniger verläuft als meine Route. Für eine Nacht stehen hier günstige Zimmer für Pilger und Wanderer zur Verfügung.
„Besichtigung des Wallfahrtsmuseums möglich nach telefonischer Absprache“, lese ich auf einem Plakat an der Kirchenpforte. Doch als ich neugierig die angegebene Nummer anrufe, meldet sich die Mailbox. Enttäuscht stecke ich mein Handy gerade wieder in die Tasche, als ein Pater in weißer Kutte aus der Tür tritt. „Das Museum wird von Schwester Mirjam betreut. Falls ich sie im Kloster sehe, kann ich sie zu Ihnen schicken“, bietet er mir an, nachdem er von meinem Besuchswunsch gehört hat.
Tatsächlich treffe ich die schlanke Nonne schon zehn Minuten später am Museumseingang, wo sie trotz ihres bodenlangen Habits und Schleiers äußerst elegant unter der Verkaufstheke hindurchkrabbelt, um mir aus der Kasse Wechselgeld und Eintrittskarte zu geben. Mit meinen vom Wandern steifen Gliedern kann ich solche Akrobatik nur neidvoll bestaunen. „Ist das nun ein Mönchs- oder Nonnenkloster?“, frage ich die Schwester verwirrt, die genau wie der Pater in Weiß gekleidet ist.
„In Maria Langegg wohnen neben geweihten Brüdern und Schwestern auch mehrere Laien. Zu unserer erst 1973 gegründeten ›Gemeinschaft der Seligpreisungen‹ gehören sogar Ehepaare mit Kindern“, erklärt mir Schwester Mirjam und muss gleich noch ein paar Dutzend weitere Fragen zu ihrem ungewöhnlichen Orden beantworten.
„Besuchen Sie doch einfach unsere Mittagsmesse“, lädt sie mich ein, bevor sie mich schließlich in dem kleinen Wallfahrtsmuseum allein lässt. Neben der barocken Klosterbibliothek sind Ölgemälde des Kirchenstifters und Votivgaben aus mehreren Jahrhunderten zu besichtigen sowie eine Sammlung abgenutzter Krücken und sogar ein antiquierter Rollstuhl – zurückgelassen von den angeblich geheilten Kranken.
Obwohl ich schon jetzt deutlich hinter meinem Zeitplan herhinke, kehre ich beim Mittagsläuten in die Kirche zurück. Statt lateinischer Choräle werden zur Andacht moderne Lieder auf Deutsch, Englisch und Hebräisch gesungen, die Schwestern begleiten sie mit Gitarre und Bongo-Trommeln. Als ich tiefenentspannt wieder aufbreche, ist mir klar: Nicht nur landschaftlich und kulinarisch, sondern auch spirituell wird es auf dem Welterbesteig nie langweilig!
Für wen:
● Ein absolutes Muss für Weinliebhaber! Hier werden die Topweine Österreichs angebaut und können gleich vor Ort verkostet werden, in urigen Buschenschenken mitten in den Weinbergen, direkt bei den Winzern oder ganz pragmatisch am Selbstbedienungskühlschrank.
● Hervorragend markiert und ausgeschildert, mit unzähligen Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten sowie einer ausgezeichneten Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist dieser Weg besonders anfängerfreundlich und bietet ein Höchstmaß an Flexibilität. Sie können einfach mal eine Etappe überspringen, abkürzen oder die über neunzig Kilometer lange Jauerling-Runde hinten dranhängen.
● Auf 180 Kilometern wandern Sie durch Weinberge und Obstgärten vorbei an barocken Kirchenstiften und mittelalterlichen Burgruinen, dazu kommen jede Menge kleine und große Museen. Kurzum: Natur und Kultur lassen sich hervorragend verbinden!
„Ihre Erlebnisse und Tipps sind lebensnah, spannend, humorvoll, auch für Couch-Potatos!“
„Es ist ein tolles Buch (…) und es ist eine Besonderheit, dass du als eine Person all diese Trails selbst gelaufen bist.“
„Christine Thürmer schreibt über ihre Wanderimpressionen mit leichter Feder, klug und mit viel Detailwissen zu Geschichte und Kultur.“
„Thürmer ist der Gegenentwurf zu all den grellbunt gekleideten Hochglanzmodels der Bergsportindustrie; wer ihr zuhört, der wird endlich wieder daran erinnert, dass es sich beim Wandern um die demokratischste aller Bergsportarten handelt.“
„Ein tolles Buch, das nicht nur Fernweh weckt, sondern die Leser*innen darin bestärkt, selbst die eine oder andere Wanderung zu machen. Reiseliteratur der anderen Art.“
„Wunderbar als Geschenk geeignet!“
„Die Touren sind auf jeden Fall nachahmenswert.“
„Es ist ein sehr unterhaltsam zu lesendes Buch entstanden, das leichtfüßig und im plauderhaften Ton die einzelnen Wanderabenteuer beschreibt.“
„Ein großartiges Buch.“
„Ein amüsantes Buch ohne Lagerfeuerromantik oder Outdoorklischees, dafür randvoll mit handfesten Tipps und ungewöhnlichen Ideen.“
„Diese Frau begeistert einfach!“
„Ich kann das Buch sehr empfehlen, sehr unterhaltsam.“
„Ihr Buch ist lockerleicht geschrieben, beschönigt nichts und ist ungemein inspirierend. Garniert werden ihre Texte mit wunderschönen Farbfotos ihrer Reisen und praktischen Übersichtskarten der Wanderrouten.“
„Thürmers Buch ist eine Fundgrube für alle, die diese (Wander-) Welt erobern wollen.“
„Es kann als Anregung dienen, um den eigenen Lieblingsweg zu entdecken, als Begleitlektüre bei einer Reise oder als unterhaltsames Lesevergnügen entspannt auf dem Sofa.“
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