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Innenansichten einer Pandemie - Die Corona-Protokolle

— Scharfsinnige Analyse der Corona-Politik
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Ausbruch — Inhalt

Die Geschichte eines politischen Ausnahmezustands

Eine Pandemie erschüttert die Welt. Von Anfang an verfolgten die Investigativjournalisten Katja Gloger und Georg Mascolo wie ein Virus namens Sars-CoV-2 das Leben, wie wir es kannten, auf dramatische Weise veränderte. Sie erlangten exklusiven Zugang hinter die Kulissen der Politik, die trotz früher Warnungen so gut wie unvorbereitet getroffen wurde.

Ihr SPIEGEL-Bestseller „Ausbruch. Innenansichten einer Pandemie“ deckt bisher unbeschriebene Zusammenhänge auf, anhand von Augenzeugenberichten und vertraulichen Dokumenten schildert es die Entscheidungen, Unsicher­heiten und Zweifel. Deutschland im Ausnahmezustand: von der kollektiven Verdrängung des Risikos bis zu Lockdowns und umstrittenen Lockerungen.

Und sie wagen einen Blick in die Zukunft: Was lässt sich aus der Krise lernen?

  • Hinter den Kulissen von Lockerungen und Lockdown: Die deutsche Corona-Strategie auf dem Prüfstand
  • Hintergründe und Insider-Wissen aus Entscheidungsgremien und Krisenstäben erstmals aufgedeckt - spannend wie ein Krimi
  • Brandaktuell und brillant analysiert: Der SPIEGEL-Bestseller mit Zündstoff-Potenzial 
  • „Ausbruch. Innenansichten einer Pandemie“ beschreibt gleichzeitig Zeitgeschichte und Gegenwart, wirft Fragen an die Zukunft auf und gibt den Schlagzeilen einen dringend notwendigen Kontext, in dem Fakten mehr zählen als Panik, Politik und Pandemie-Rhetorik. Dieses Buch ist ein Königsbeispiel für integren Journalismus, der zum Lesen und Nachdenken animiert.




€ 11,99 [D], € 11,99 [A]
Erschienen am 15.03.2021
336 Seiten
EAN 978-3-492-99903-8
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Leseprobe zu „Ausbruch“

Ein deutscher Lockdown

Erwachen

Am Rosenmontag des Jahres 2020, es ist der 24. Februar, bittet Jens Spahns Staatssekretär Thomas Steffen um einen eiligen Termin im Bundesinnenministerium. Steffen ist Jurist, im Gesundheitsressort arbeitet er weniger als ein Jahr. Ein Experte für Märkte und Währungen war er lange im Finanzministerium und davor in einer Behörde für Finanzaufsicht. Das Thema Gesundheit ist neu für ihn. Aber Jens Spahn kennt ihn aus gemeinsamen Zeiten im Finanzministerium, er vertraut ihm. So holte er Steffen nach, als er Gesundheitsminister [...]

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Ein deutscher Lockdown

Erwachen

Am Rosenmontag des Jahres 2020, es ist der 24. Februar, bittet Jens Spahns Staatssekretär Thomas Steffen um einen eiligen Termin im Bundesinnenministerium. Steffen ist Jurist, im Gesundheitsressort arbeitet er weniger als ein Jahr. Ein Experte für Märkte und Währungen war er lange im Finanzministerium und davor in einer Behörde für Finanzaufsicht. Das Thema Gesundheit ist neu für ihn. Aber Jens Spahn kennt ihn aus gemeinsamen Zeiten im Finanzministerium, er vertraut ihm. So holte er Steffen nach, als er Gesundheitsminister im vierten Kabinett Merkel wurde.

Am Nachmittag lässt sich Steffen die wenigen Kilometer von der Berliner Friedrichstraße zum Innenministerium hinüberfahren. Heiko Rottmann-Großner begleitet ihn, Leiter der Unterabteilung 61: „Gesundheitssicherheit“.

Drei Staatssekretäre von Minister Horst Seehofer warten bereits auf die beiden, dazu weitere Beamte. Kaffee und Wasser stehen auf dem Tisch, als um 17 Uhr die Besprechung im Raum 6.470 beginnt. Spannung liegt in der Luft, eine gewisse Nervosität.

Über das Wochenende waren beunruhigende Nachrichten eingegangen. Dieses neue Virus, das man „Corona-“ oder „Wuhan-Grippevirus“ nennt, breitet sich immer weiter aus. Aus China kommend hat es Europa weitflächig befallen; von Europa aus gelangte es auch an die Ostküste der USA. Betroffen ist vor allem der Norden Italiens, die Lombardei und Venetien: Offenbar konnte sich das Virus dort über Wochen unbemerkt verbreiten. Jetzt sind bereits 130 Infizierte und zwei Todesfälle bestätigt, die Zahlen steigen und steigen. In der Lagunenstadt Venedig wurde der traditionelle Karneval abgebrochen. Während der Mailänder Fashion Week musste Giorgio Armani seine Kollektion ohne Publikum präsentieren, so etwas gab es noch nie. In der Bundesregierung kursiert ein Bericht der deutschen Botschaft in Rom: In manchen Stadtteilen Mailands komme es bereits zu „Hamsterkäufen“, immer mehr Menschen mit Mundschutzmasken seien zu sehen. „Vereinzelt liegen die Nerven so blank, dass es zu fremdenfeindlichen Übergriffen gegenüber Chinesen kommt“, heißt es in der Depesche.

Die österreichischen Bundesbahnen haben den Zugverkehr nach Italien eingestellt. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat die Abriegelung von elf Städten mit insgesamt 53 000 Einwohnern angekündigt. Notfalls werde er die Armee einsetzen, erklärt Conte.

Droht dies nun auch in Deutschland?

Staatssekretär Steffen wirkt angespannt. Er glaube nicht, dass sich Corona noch eindämmen lasse, bekennt er. Auch die Wissenschaftler des Robert Koch-Instituts seien der Überzeugung, dass die Stufe 1 jetzt an ihr Ende komme. „Stufe 1“ bedeutet Eindämmung, die Eingrenzung des Virus: jeden einzelnen Infizierten zu finden, zu identifizieren und gegebenenfalls zu isolieren, dazu alle Kontaktpersonen. Damit für alle anderen das Leben so weitergehen kann wie bisher.

Doch jetzt, erklärt Steffen, gehe es in die nächste Phase, die Mitigation, Schadenminderung. Als die Beamten aus dem Innenministerium wissen wollen, was „Mitigation“ genau bedeute, übernimmt Rottmann-Großner. Man müsse die Vorkehrungen dafür treffen, dass es zu Ausgangssperren von unbestimmter Dauer komme. Man müsse auch, wie es später in einem Vermerk über das Gespräch heißen wird, „die Wirtschaft lahmlegen sowie die Bevölkerung auffordern, sich Lebensmittelvorräte und Arzneimittelvorräte anzulegen“. „Lockdown“ wird so etwas bald genannt werden, aber an diesem Rosenmontag wird noch ein anderes Wort verwendet: Es lautet „Abschaltung“.

Mitigation bedeutet Kapitulation. Es ist das Eingeständnis, dass selbst im 21. Jahrhundert nur noch „nicht pharmazeutische Interventionen“ helfen. Radikale Maßnahmen also, die man schon vor Hunderten von Jahren gegen Seuchen wie die Pest ergriffen hatte. Sich zurückziehen, Tür zu, Kontakt vermeiden, Abstand halten. Oder wie es der Virologe Alexander Kekulé später sagen wird: „Wir haben es vergeigt, jetzt müssen wir es halt ausbaden.“

Es wird still in Raum 6.470.

Dann ergreifen Hans-Georg Engelke und Markus Kerber aus dem Innenministerium das Wort. Engelke ist der sogenannte „Sicherheitsstaatssekretär“, der Hesse war einmal Staatsanwalt, leitete dann die Abteilung Terrorismusbekämpfung im Bundesamt für Verfassungsschutz. Kerber kommt aus Baden-Württemberg und ist ein politischer Kopf, ein Ziehsohn Wolfgang Schäubles. Der machte ihn während seiner Zeit als Innenminister zum Leiter der Grundsatzabteilung, Kerber organisierte die ersten Deutschen Islamkonferenzen. Später war der Ökonom Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Bis Seehofer ihn 2018 überraschend ins Amt holte.

Kerber und Engelke blicken unterschiedlich auf die Welt. Aber nicht auf diese Lage hier. Mitigation – dies werde für die Bevölkerung völlig überraschend kommen. Die sei auf so etwas nicht vorbereitet. Mitigation könne „polizeiliche Lagen“ auslösen. Zumindest im Innenministerium weiß jeder, wofür diese beiden Wörter stehen. Im schlimmsten Fall für: Chaos. Mögliche Szenarien machen die Runde. Könnte es zum Sturm auf Tankstellen und Supermärkte kommen?

Die Vertreter des Innenministeriums fordern eine rasche Entscheidung. Ein Krisenstab soll einberufen werden, besetzt aus Vertretern des Innen- und des Gesundheitsministeriums. So sieht es eine detaillierte sogenannte „Hausanordnung“ mit Stand Juni 2018 vor. Das Papier „zur Bewältigung einer großflächigen und national bedeutsamen biologischen Gefahren- und Schadenslage“ beschreibt zwei unterschiedliche Szenarien: Bioterrorismus – also einen Anschlag mit Biowaffen – oder eine Pandemie. Auf den ersten Blick scheinen dies zwei völlig unterschiedliche Ereignisse. Aber wie reagiert werden muss, ist in vielen Bereichen gleich: Vor allem das Gesundheitssystem muss in höchste Alarmbereitschaft versetzt werden. In den Registraturen der Abteilungen für Öffentliche Sicherheit sowie für Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz, kurz KM, liegen Dutzende Ordner, Pläne für den Pandemiefall. Viele von ihnen sind als Verschlusssachen eingestuft. Niemand hat daran geglaubt, dass sie einmal in Kraft gesetzt werden müssten. Und niemand erwartet an diesem Tag, dass nun, wo der Ernstfall tatsächlich eintritt, einige der dort vorgesehenen Regelungen sehr schnell ignoriert werden.

Ein Krisenstab also. Seine Einberufung wäre das endgültige Eingeständnis, dass man es mit einer wirklich ernsthaften Lage zu tun hat. Selbst im Sommer der Geflüchteten 2015 verzichtete die Bundesregierung auf dieses Instrument, die Krise sollte keinesfalls als Krise wahrgenommen werden. Jetzt wäre mit seiner Einberufung das Ende aller Beschwichtigungen verbunden, den Beschwichtigungen, dass dieses Virus im Grunde doch nicht gefährlicher sei als eine Grippe. Und dass die von Gesundheitsminister Jens Spahn ausgegebene Devise der „wachsamen Gelassenheit“ nicht ausreicht. Ganz und gar nicht ausreicht.

Steffen und Rottmann-Großner, so empfinden es die Vertreter des Innenministeriums, reagieren zunächst ausweichend. Dabei ist ihre Prognose völlig zutreffend.

Bereits einen Tag später wird bei einem jungen Mann aus Baden-Württemberg das Virus diagnostiziert, er war aus Mailand gekommen. Und im Hermann-Josef-Krankenhaus im nordrhein-westfälischen Erkelenz ist ein Mann aus dem Landkreis Heinsberg mit Symptomen einer schweren Lungenentzündung eingeliefert worden. Er ist Immobilienmakler, seine Frau arbeitet in einem Kindergarten. Beide haben an einer örtlichen Karnevalssitzung in Gangelt teilgenommen, inmitten Hunderter anderer Feiernder tanzte der Mann im Männerballett. Vorher war das Paar in Holland, der Mann auch noch zu einer medizinischen Behandlung in der Kölner Uniklinik. Ein Bekannter der beiden, ein Soldat, war mit seiner Familie tagelang in Europas größtem Spaßbad „Tropical Island“ nahe Berlin. Es sind Hunderte, womöglich Tausende Kontakte. Das sperrige Wort „Infektionsketten“, es wird auf bedrohliche Art begreifbar.

Am Aschermittwoch, es ist der 26. Februar, tagt der Krisenstab zum ersten Mal. Deutschland ist jetzt offiziell im Krisenmodus.

So endet die Hoffnung, dass dieses Land glimpflich davonkommen könnte, verschont bliebe von diesem kaum erforschten bedrohlichen Virus. Mit dem Rosenmontag des Jahres 2020 beginnt eine Zeit, die eine so gar nicht zum Pathos neigende Kanzlerin die größte „Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ nennen wird. Und in der in Berlin und in den Landeshauptstädten bislang Undenkbares nicht nur gedacht, sondern auch getan wird.

Tag für Tag, Bereich für Bereich wird das Land nach diesem 24. Februar heruntergefahren. Der pandemische Ausnahmezustand trifft jeden. Wie nie zuvor, seit in Deutschland das Grundgesetz gilt, werden Freiheitsrechte eingeschränkt. Zeitweilig wird das Demonstrationsrecht so stark beschnitten, dass nicht einmal mehr zwei Personen mit sicherem Abstand zueinander ein Plakat in die Höhe halten dürfen. Gebetet wird zu Hause, warmes Essen gibt es in Restaurants nur noch außer Haus. Schulen und Kindergärten werden geschlossen, Kinos und Theater und Clubs. Flugzeuge bleiben am Boden, ein bislang nicht gekannter Einbruch der Wirtschaftsleistung beginnt. Es ist, als bremste jemand in voller Fahrt ein Auto ab. „Dieses Land blutet aus hundert Wunden“, wird diesen Zustand später ein Spitzenbeamter aus dem Wirtschaftsministerium beschreiben.

Bald werden Kinder ihre Eltern noch nicht einmal mehr dann besuchen dürfen, wenn diese im Sterben liegen. Diese Krise wird manche Familien zusammenschweißen und andere trennen. Sie wird zur De-facto-Schließung von Grenzen führen, Existenzen bedrohen, gar vernichten; andere werden aus ihr Profit schlagen.

Bald werden Demonstranten auf Straßen und Plätzen stehen, „Coronaleugner“ wird man sie nennen, denn unter ihnen sind viele, die die Gefahr des Virus abstreiten. Selbst dann noch, als im späten Herbst alle zweieinhalb Minuten ein Mensch in Deutschland an der Krankheit stirbt, die man „COVID-19“ nennt.

Diejenigen, die jetzt buchstäblich über das Schicksal eines Landes zu entscheiden haben, über Leben und Tod, wird es an die Grenzen von Physis und Psyche führen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat nächtelang „schwere Träume“. Ihr niedersächsischer Kollege Stephan Weil sagt: „Ich habe noch nie in meinem Leben Verantwortung so körperlich gespürt.“

Manche Spitzenpolitiker müssen – wie so viele andere auch – um das Leben ihrer Nächsten fürchten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier etwa: Nachdem er ihr 2010 eine Niere gespendet hat, lebt seine Ehefrau Elke Büdenbender mit einem reduzierten Immunsystem. Sie gehört damit zu einer Risikogruppe. Er muss am Anfang üben, Menschen nicht mehr automatisch die Hand zu geben oder Vertraute zu umarmen.

Stephan Weil wiederum hört jeden Tag, wie lebensgefährlich dieses Virus sein kann. Der Bruder seiner Sprecherin, ein eigentlich topfitter Sportler, kämpft nach der Rückkehr aus dem österreichischen Skiort Ischgl mit dem Virus. Es geht ihm zwischenzeitlich sehr schlecht.

In der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern hat Ministerpräsidentin Manuela Schwesig bereits vor Monaten ein „Knuddelverbot“ erlassen. Abstand halten und häufiges Händewaschen sind für die an Brustkrebs erkrankte SPD-Politikerin und ihre Mitarbeiter unbedingte Pflicht. In Schwerin, so könnte man sagen, gilt Sozialdistanz schon länger als neues Normal.

Und da ist Innenminister Horst Seehofer, der 2002 monatelang unter einer viralen Entzündung des Herzmuskels litt und immer „furchtbare Angst vor den Ultraschallbildern“ hatte, wie er einmal dem Spiegel anvertraute. Oft wiederholt er diese Sätze: „Der gesunde Mensch hat viele Wünsche. Der Kranke hat nur einen.“ Auch aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen mit einem Virus, diesem Ausgeliefertsein, wird Seehofer eine harte Linie vertreten und radikale Entscheidungen einfordern: „Ein bisschen weiße Salbe, Trösten und Zuversicht helfen nicht.“

Andere in Berlin und zumindest einigen Landeshauptstädten lässt diese größte denkbare Krise allerdings auch auf den Aufstieg zum Krisenmanager vom Schlage eines Helmut Schmidt hoffen, auf eine steile politische Karriere, vielleicht gar auf eine Kanzlerkandidatur. Die Entscheidung für den Krisenstab ist gerade erst getroffen, da schreiben die ersten Spindoktoren schon E-Mails und SMS an ihre Minister: Nicht vergessen, Krisen sind immer auch eine Stunde der Exekutive!

Wenn Politiker und ihre Spitzenbeamten jetzt neben ständigen Krisensitzungen und einer endlosen Flut von Telefon- und Videokonferenzen noch Zeit zum Joggen finden, hören sie dabei den Podcast eines bis dahin nur der Fachöffentlichkeit bekannten Virologen namens Christian Drosten. Als junger Arzt im Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin hatte Drosten im März 2003 mit seinem Kollegen Stephan Günther ein bis dahin unbekanntes Virus aus der Gruppe der Coronaviren identifiziert, Ursache für eine sich rasch ausbreitende Atemwegserkrankung mit erschreckend hohen Todeszahlen, einer Letalitätsrate von knapp 10 Prozent: das SARS-Virus, heute SARS-CoV-1 genannt. Das von ihnen entwickelte Testverfahren trug maßgeblich dazu bei, die Ausbreitung des Virus zu stoppen.

Für „beispielhafte innovative Leistungen bei der Bekämpfung bisher unbekannter Krankheitserreger“ hatte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt den beiden Virologen am 19. Dezember 2005 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Schon damals war Drosten eine Art Medienstar, wenn auch nur kurz: „Herr Drosten kann heute keine Interviews mehr geben“, fertigte damals der Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts die wartenden Journalisten ab, „er muss SARS bekämpfen.“

Für Professor Dr. Christian Drosten, den Mann, der aus hygienischen Gründen das Bier am liebsten nur aus der Flasche trinkt, begann im März 2003 ein steiler wissenschaftlicher Aufstieg, um Coronaviren kreisend, der im Januar 2020 mit der raschen Entwicklung eines Verfahrens zur SARS-CoV-2-Diagnostik in seinem Labor der Berliner Charité seinen vorläufigen Höhepunkt erreichen würde. Nur wenige in der Welt wissen so viel über Coronaviren wie er und sein Team. Auch dafür wird er erneut ausgezeichnet, diesmal mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Ein Foto zeigt ihn im Schloss Bellevue. Er trägt Maske.

Wie kaum ein anderer wird Christian Drosten in diesem Frühjahr Gesicht und Stimme dieser Pandemie werden, Gitarre spielender „Star-Virologe“ und „Corona-Zar“ für die einen; Vertreter einer vermeintlichen „Virologen-Diktatur“ für die anderen. Auf Anti-Corona-Demonstrationen wird sein Porträt in gestreifter Gefängniskleidung in die Höhe gehalten werden, darauf nur ein Wort: „schuldig“.

„Aber der Drosten sagt“ – diese vier Wörter werden in den kommenden Monaten in vielen entscheidenden Diskussionen eine besondere Rolle spielen. Und vor allem Christian Drosten eine politische Verantwortung aufbürden, die er als Wissenschaftler gar nicht tragen kann. Und nicht tragen darf.

 

Am 30. Dezember 2019 checkt die New Yorker Epidemiologin Marjorie Pollack nach dem Abendessen ihre E-Mails, sie macht Dienst für ProMED. Über diese Internetplattform der Internationalen Gesellschaft für Infektionskrankheiten tauschen Wissenschaftler, Ärzte und Interessierte weltweit Informationen und Anfragen über Infektionskrankheiten bei Mensch, Tier und Pflanze aus; seit 25 Jahren funktioniert das Netzwerk wie ein informelles globales Frühwarnsystem. Die ersten Meldungen über den Ausbruch der SARS-Pandemie in China 2003 kamen über ProMED; schon damals war von „Lungenentzündungen“ die Rede, von geschlossenen Krankenhäusern – und von Toten.

Jetzt liest Pollack von Tweets und Einträgen in den chinesischen Kurznachrichtendiensten, Meldungen aus dem Süden Chinas über gehäuft auftretende „atypische Lungenentzündungen“; über „Cluster“, die mit einem Meeresfrüchtemarkt in der Millionenstadt Wuhan in Verbindung stünden, auf dem auch Wildtiere verkauft würden. All das scheint ihr wie ein Déjà-vu. Als ob sich die Ereignisse von 2003 wiederholten. Um 23:59 Uhr Ortszeit drückt sie auf „Send“: „RFI“ steht in der Überschrift unter der ProMED-Archivnummer 20191230.6864153, „Request For Information“. Eine Bitte um weitere Informationen über die Lage in Wuhan. Am frühen Morgen des 31. Dezember ist die ProMED-Mitteilung in Deutschland zu lesen. Auch dpa verbreitet an diesem letzten Tag des Jahres eine knappe Meldung, die aber kaum Beachtung findet. Es gebe da eine „mysteriöse Lungenkrankheit“ in China. Staatliche Stellen hätten dementiert, dass es sich um einen neuen Ausbruch des gefürchteten SARS-Virus von 2003 handle.

So spricht man an diesem Silvestertag 2019 auch im Berliner Robert Koch-Institut (RKI) über die Gerüchte aus China. Für die Wissenschaftler des RKI ist es Routine und Pflicht, solche Meldungen zu prüfen. Die frühe Erkennung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten gehört zu den Kernaufgaben des traditionsreichen Instituts, das bis heute seinen Hauptsitz im Gebäude des ehemaligen „Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten“ am Nordufer 20 im Berliner Wedding hat. Samt Mausoleum für Robert Koch, den weltberühmten Mikrobiologen und Entdecker des Tuberkuloseerregers, seine Asche wird in kupferner Urne hinter einer weißen Marmorplatte aufbewahrt. Tradition verbindet sich hier mit Moderne: Im RKI ist eines der nur vier deutschen Hochsicherheitslabors der Stufe 4 untergebracht; hier wird an hochvirulenten Krankheitserregern wie Ebola- oder Lassaviren geforscht. Merkel selbst hatte das Labor mit autonomer Strom-, Wasser- und Luftversorgung 2015 eingeweiht. Und in all die freundlichen Worte über das „Fort Knox des RKI“ gepackt, was Kanzlerin und Regierung von den Wissenschaftlern erwarten: „Aber wenn etwas vorfällt, dann will man schnell und unverzüglich absolut präzise Antworten haben.“

So ist es: Die Obere Bundesbehörde hat den gesetzlichen Auftrag, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erarbeiten, die als Basis für politische Entscheidungen dienen.

Schnell. Unverzüglich. Absolut präzise Antworten. Das RKI ist so etwas wie ein pandemisches Frühwarnsystem der Politik.

An diesem 31. Dezember 2019 aber bleibt die Lage unklar; nur Gerüchte schwirren; auch aus Genf kommen keine Informationen, dem Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation WHO. Im RKI geht man auseinander, es ist Silvester.

Was sie nicht wissen, ist, dass man in China schon viel mehr weiß: Einen Tag zuvor, am 30. Dezember gegen 16 Uhr nachmittags, erhält Dr. Ai Fen, Mutter von zwei Kindern und seit neun Jahren leitende Ärztin der Notaufnahme im Zentralkrankenhaus von Wuhan, die Untersuchungsergebnisse eines Patienten, der mit Symptomen einer Lungenentzündung eingeliefert worden war. Tief beunruhigt liest sie den Befund: „SARS-Coronavirus. Die Übertragung findet hauptsächlich über Tröpfcheninfektion statt.“ „Mir brach der kalte Schweiß aus, es war sehr beängstigend“, erinnerte sie sich später in einem viel zitierten Interview. Ai Fen – und nicht die chinesische Staats- und Parteiführung – würde entscheidend dazu beitragen, dass die Wahrheit über eine beginnende Pandemie öffentlich wird.

Schon am 22. Dezember hatte einer ihrer Kollegen bei einem wenige Tage zuvor eingelieferten und schwer kranken Patienten das Coronavirus vermutet; der Mann hatte auf dem Huanan-Meeresfrüchtemarkt in Wuhan gearbeitet. Am 27. Dezember ein weiterer Patient, seine Lungen in einem „furchtbaren Zustand“, so Ai Fen. Am 30. Dezember dann der Befund: „SARS-Coronavirus“. Die Ärztin informiert die Abteilungsleitung, noch am Nachmittag schickt sie Kolleginnen und Kollegen über den populären Messengerdienst WeChat ein Foto des Befundes. Um das Wort „SARS-Coronavirus“ hat sie mit rotem Stift einen Kreis gezogen. Auch der im gleichen Krankenhaus arbeitende junge Augenarzt Li Wenliang erhält die Nachricht und leitet sie an Kollegen weiter; die wiederum verbreiten sie ihrerseits. Es ist eine medizinische Vorsichtsmaßnahme.

Katja Gloger

Über Katja Gloger

Biografie

Katja Gloger, geboren 1960 in Koblenz, beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Russland. Sie studierte Russische Geschichte, Politik und Slawistik in Hamburg und Moskau und ging Anfang der neunziger Jahre als Korrespondentin für den „Stern“ nach Moskau. Dort erlebte sie den Zusammenbruch der...

Georg Mascolo

Über Georg Mascolo

Biografie

Georg Mascolo begann 1988 seine Tätigkeit für den „Spiegel“, wo er zunächst für die Fernsehsparte über das Ende der DDR berichtete. Seine Reportage über den Fall der Mauer wurde von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. 1992 wechselte er zur Print-Ausgabe, leitete das Ressort „Deutschland“,...

Zur Entstehung des Buches

Manchmal lässt sich der Beginn einer journalistischen Spurensuche auf den Tag genau datieren. Diese begann am 16.Februar 2020, die Pandemie hatte gerade erst begonnen, ihr zerstörerisches Potenzial zu entfalten. An diesem Tag endete in München die Sicherheitskonferenz, auf den Gängen hatten sich wie in jedem Jahr Hunderte Teilnehmer aus aller Welt gedrängt.

Auf der Tagesordnung immerhin war Platz geschaffen worden, um über Seuchen, biologische Sicherheit und globale Gesundheit zu diskutieren. WHO-Generaldirektor Tedros war hierfür nach München gekommen und erstmals auch ein Mann, dessen Namen und Gesicht damals kaum jemand kannte: Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts.

Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, welchen Schaden dieses bisher unbekannte Virus, das sich zunächst vor allem in China verbreitete, noch anrichten würde. Niemand, auch keiner der angereisten Experten, wagte eine Prognose. War dies nun „Krankheit X“, über die Virologen und Epidemiologen seit einiger Zeit diskutierten? Noch gab es keine Gewissheit. Aber ihre Beunruhigung war zu spüren. Nicht, weil sie so viel wussten. Sondern, weil sie so viel nicht wussten.

Und so begann unsere Recherche.

Unsere Gesprächspartner ließen uns in diesem ersten Pandemiejahr teilhaben an ihren Überlegungen, Abwägungen und Sorgen. Und manchmal auch an ihren Zweifeln und Ängsten. Wir sichteten Hunderte Dokumente, vertrauliche Vermerke, Protokolle aus den Krisenstäben, persönliche Mitschriften und Notizen aus den Krisenrunden.

Katja Gloger und Georg Mascolo im Interview

Wer sollte dieses Buch lesen?

Alle, die sich für die Geschichte hinter der Geschichte interessieren. Die verstehen wollen, was in diesem ersten Jahr der Pandemie geschehen ist – und was tragischerweise unterblieb. Wir erzählen von der Entdeckung eines neuartigen Virus und von der fahrlässigen Art und Weise, wie Staaten und Gesellschaften eine solche Gefahr weitgehend ignorierten. Wir erzählen, wie Deutschland zunächst zum weltweit bewunderten Beispiel einer erfolgreicher Pandemie-Bekämpfung wurde – um dann so steil abzustürzen.

Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht?

Auf diese Frage gibt es drei Antworten: Wie präzise die Voraussagen waren, was eine Pandemie anrichten würde – und wie gering das Interesse, sich mit Gefahr auseinanderzusetzen. Viele Regierungen fürchteten sich mehr vor Computer-Viren als vor echten Viren.

Dann der deutsche Sommer der Sorglosigkeit. Als die Infektionszahlen so niedrig waren, hätte man sich auf die unvermeidliche zweite Welle vorbereiten müssen. Dies geschah nicht gut genug. Das große Selbstbewusstsein Deutschlands, die Pandemie im Frühjahr so gut bewältigt zu haben, hat ein entschiedenes – präventives – Handeln erschwert.

Und schließlich: Die Impfstoffe. Alle Mahnungen, sich früh um ausreichende Produktionskapazitäten zu bemühen, wurden kaum diskutiert, ja missachtet. Denn im Kern geht es nicht darum, wer am schnellsten die Impfstoffe bestellt – sondern ob auch genug hergestellt werden kann. Und zwar für die Menschen auf der ganzen Welt. Dafür gibt es nicht nur ein menschliches, sondern auch ein medizinisches Argument: Denn es hilft nur wenig, wenn in den reichen Staaten schnell geimpft wird und dann Mutationen dieses Virus aus den nicht geschützten Teilen der Welt zu uns zurückkommen.

Erst viel zu spät rückte diese entscheidende Frage in den Mittelpunkt. Dieses Versäumnis verantwortet die EU-Kommission, aber nicht allein. Auch die Mitgliedstaaten, deren Vertreter den Stand aller Verhandlungen kannten oder sogar mit am Tisch saßen. Und Deutschland hatte in dieser entscheidenden Phase die EU-Ratspräsidentschaft.

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