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Bis ans Ende der WeltBis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt Bis ans Ende der Welt - eBook-Ausgabe

Reinhold Messner
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Herausforderungen im Himalaja und Karakorum

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Bis ans Ende der Welt — Inhalt

Bis ans Ende der Welt zu gehen - das bedeutet für Reinhold Messner die Grenzen der Kraft, seiner Angst, seiner Leidensfähigkeit zu erfahren: extreme Unternehmungen als Selbstzweck, als Zugang zu sich selbst. Dieser Band ist Messners persönlicher Rückblick auf seine prägendsten Gipfelerfolge; vom „Sturm am Manaslu“ auf seiner klassischen Himalaja-Expedition 1972, über den Alleingang am Nanga Parbat 1978 bis zur Gasherbrum-Doppelüberschreitung 1984. Hier werden Messners einzigartige Unternehmungen und alpine Höchstleistungen auch für den Laien hautnah erlebbar.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 10.06.2014
336 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40518-8
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€ 15,99 [D], € 15,99 [A]
Erschienen am 10.06.2014
336 Seiten
EAN 978-3-492-96476-0
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Leseprobe zu „Bis ans Ende der Welt“

In den vergangenen Jahrzehnten ist der Bergtourismus rasch über die Alpen hinaus bis in die Achttausenderregion im Himalaja gewachsen. Vor allem dank der Vorbereitungsarbeit der Sherpas und durch die Satellitenkommunikation sind heute auch die höchsten Berge der Welt einer breiten Bergsteigerschaft zugänglich. Auf dem Mount Everest werden jährlich an zwei Seiten Pisten – mit Fixseilketten, Lagern, Sauerstoffdepots – gebaut, die es Hundertschaften ermöglichen, mit erfahrenen Organisatoren und Führern bis zum Gipfel zu steigen. Diese Form des [...]

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In den vergangenen Jahrzehnten ist der Bergtourismus rasch über die Alpen hinaus bis in die Achttausenderregion im Himalaja gewachsen. Vor allem dank der Vorbereitungsarbeit der Sherpas und durch die Satellitenkommunikation sind heute auch die höchsten Berge der Welt einer breiten Bergsteigerschaft zugänglich. Auf dem Mount Everest werden jährlich an zwei Seiten Pisten – mit Fixseilketten, Lagern, Sauerstoffdepots – gebaut, die es Hundertschaften ermöglichen, mit erfahrenen Organisatoren und Führern bis zum Gipfel zu steigen. Diese Form des Bergtourismus – mit markierten Wegen, abgesicherten Routen, Hütten – kennen wir in den Alpen seit mehr als einem Jahrhundert. Waren es doch die alpinen Vereine, die die Alpen mit immer mehr Absicherungen vielen Bergbegeisterten erst zugänglich gemacht haben.

Im Himalaja sind es vor allem Reiseunternehmen und viele lokale Bergführer, die inzwischen Massenaufstiege auf präparierten Routen ermöglichen. In naher Zukunft werden alle 14 Achttausender, die noch vor einem halben Jahrhundert nur einer kleinen Elite von Spitzenbergsteigern zugänglich waren, für zahlungskräftige Touristen, die auch Ausdauer und die nötige Leidensfähigkeit mitbringen, erreichbar sein. Straffe Organisation und tüchtige lokale Führer – Sherpas, Hunzas, Baltí – machen es möglich. Allerdings mit oft hohen Risiken. Weil die Pistenbauer lange in den Gefahrenzonen verweilen müssen, um Leitern und Brücken zu installieren, gehen sie ein ungleich höheres Risiko ein, als die Klienten, die später zügig und unter Aufsicht über die abgesicherte Piste geführt werden. Im April 2014 sind im Khumbu-Eisfall am Mount Everest 16 Sherpas unter einer Eislawine gestorben. Eine tragische Folge dieser Art von Tourismus am höchsten Berg der Welt.

Die Tatsache, dass der Alpinismus einerseits mehr und mehr Sport und andererseits Tourismus wird, bedeutet aber nicht, dass das traditionelle Bergsteigen untergehen muss. Im Gegenteil, es bleibt für eine kleine Schar von Abenteurern Anreiz, sich abseits der Pistenalpinisten neue Zugänge zu den höchsten Bergen der Welt zu suchen. Die selbstständigen Bergsteiger sind in allen Perioden des Alpinismus immer wieder dorthin gegangen, wo die vielen anderen nicht sind. Vor allem, weil es schwieriger und gefährlicher ist, ins Unbekannte aufzusteigen als einer Piste bis zum Gipfel zu folgen.

Auf den großen Bergen haben auch heute noch alle Platz: die Sportler als Skyrunner, die Touristen auf präparierten Aufstiegswegen, die Extrembergsteiger auf der Suche nach ihrem ganz subjektiven Abenteuer. Es gibt weder einen guten noch einen schlechten Alpinismus, es gibt höchstens eine falsche Selbsteinschätzung oder ein krankes Selbstverständnis, wenn Tun und Beschreibung desselben auseinanderklaffen. In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage, ob der Tod von Dutzenden Einheimischen zu verantworten ist, die die Voraussetzungen für Pistenaufstiege schaffen, damit Hunderte unselbstständige Bergsteiger bis zum „Gipfel der Eitelkeit“ kommen.

Ich meinerseits habe nach der Eroberungsphase (1950 bis 1964) neue Wege an diesen Achttausendergipfeln gefunden – Überschreitungen, neue Routen, Alleingänge, zuletzt die Doppelüberschreitung –, die mich sukzessive wachsen ließen, vor allem an Erfahrungen, die ich von den Enden der Welt zurückgebracht habe. Mein Weg war abseits der Gänsemärsche und mein Stil, der leider nur selten kopiert wird, die Reduktion: Zur Nachahmung nicht empfohlen.

Reinhold Messner, April 2014


Das Bergsteigen – vor allem jenes an den höchsten Bergen der Welt – ist mit den Maßstäben des Sports allein weder meßbar noch beschreibbar. Meereshöhen in Meter, Schwierigkeitsgrade und Aufstiegszeiten sagen mit zunehmender Größe der Berge immer weniger aus. In der Gipfelwand am K 2 oder Nuptse bedeutet angewehter Schnee nicht nur eine erhöhte Gefahr, sondern auch eine Steigerung der Schwierigkeit. Oft ist es eine flache Mulde, die den Höhenbergsteiger unter dem Gipfel stoppt, und keine senkrechte Felsstufe.

All jene, die diesen Zweig der Alpinistik als Schneetreterei abtun, verraten damit, daß sie nichts davon verstehen. Auch jene, die mit allen erdenklichen Tricks – Schnellbergsteiger ohne Zeitmesser am Einstieg, „Alleingeher“ mitten im Gänsemarsch. „Besteigungen im Alpenstil“, die die Infrastruktur großer kommerzieller Unternehmen nutzen – ins Guinness-Buch der Rekorde wollen, sind nur Falschmünzer. Das Erlebnis am oberen Ende der Welt wächst mit der Anstrengung, der Schwierigkeit, der Gefahr, dem Ausgesetztsein und vor allem mit dem Auf-sich-selbst-gestellt-Sein. Beschreiben läßt sich die entsprechende Erfahrung, malen, wie der Franzose Jean-Georges Inca in seinen Bildern zeigt, und im Unterbewußtsein speichern.

Nicht die Gipfelerfolge sind in meine Erinnerung eingebrannt geblieben, sondern der Berg, der nach der Nanga-Parbat-Tragödie auseinanderbricht; der Druck des Sturms am Manaslu; der erhabene Hidden Peak beim ersten Anblick; der Blick durch das Nebelreißen vom höchsten Berg der Welt; die Apathie nach 48 Stunden Schneesturm am Südsattel oder die Toten am Wegrand.

Tod und Leben, Mut und Angst, Höhe und Tiefe sind da oben eins, Hälften eines unteilbaren Ganzen – und nur in der Schwebe zwischen Fremdheit und Vertrautheit steigen wir auf den Gipfel der Selbsterfahrung.

Mit dem Tourismus, der Reisen bis zum Gipfel des Mount Everest anbietet – Organisation, Sauerstoff-Depot am Wegrand, Animation inklusive –, kam auch der Sport zum Höhenbergsteigen. Als ob eine Besteigung, die viel Geld kostet, einen noch höheren Wert hätte, wenn sie schneller, bei Nacht oder von einem Invaliden ausgeführt würde. Dabei ist es ganz einfach so, daß der Wert einer Bergbesteigung nur abhängt von den Werten, die wir den Bergen lassen. Großes Bergsteigen beginnt immer und überall dort, wo Tourismus und Sport nicht hinkommen.

15 Jahre lang habe ich versucht, die Grenzen des Möglichen im Achttausender-Bergsteigen weiter hinauszuschieben. Zuerst habe ich schwierige Wege erstbegangen; im althergebrachten Expeditionsstil natürlich. Dann habe ich gelernt, mehr und mehr auf Partner und technische Hilfsmittel zu verzichten. Am Ende ließ ich mir kühne Umwege einfallen, um das zu erleben, was man früher „Abenteuer“ nannte. Mir ging es dabei nicht um eine Eroberung draußen, sondern um eine Erfahrung in mir drinnen, um die Grenze meiner Fähigkeiten, um mein Begrenztsein. Ich ging wiederholt „bis ans Ende der Welt“, um das Ende meiner Kraft, Angst, Leidensfähigkeit zu erfahren. Abenteuer als Selbstzweck, als ein Zugang zu mir selbst.

Die Tatsache, daß ich alle 14 Achttausender bestiegen habe, ist für die Alpingeschichte zweitrangig. Vielleicht bleibt sie eine Randnotiz wie seinerzeit, 1911, die Besteigung aller Viertausender in den Alpen durch den Vorarlberger Dr. Karl Blodig. Mit der Entwicklung des Bergsteigens hat beides wenig zu tun. Wie viele Kletterer sind inzwischen auf allen Gipfeln über der magischen 4000-Meter-Marke in den Alpen gestanden?

1987 hat der Pole Jerzy Kukuczka seinen 14. Achttausender bestiegen. Leider ist er 1989 an der Lhotse-Südwand abgestürzt. 1995 hat es der Schweizer Erhard Loretan geschafft: Nach einer Reihe außergewöhnlicher Unternehmungen – Annapurna-Überschreitung, Nonstop-Monsun-Everest-Besteigung, Cho-Oyu-Südwestwand – ist ihm mit dem Kangchendzönga sein letzter Achttausender gelungen. Daß der Franzose Benoît Chamoux in Loretans Spur auf seinen 14. Achttausender wollte, ist nicht die Schuld des asketischen Schweizers, der ein Leben lang seinen Weg gegangen war. Chamoux kam nicht bis zum Gipfel und nicht mehr zurück.

Das tragische Ende dieses Schnellkletterers, der seine Rekorde mit Vorliebe auf präparierten Normalwegen aufstellte, ist die Folge einer Entwicklung, die den Berg zum Symbol einer menschlichen Hybris macht, die Risiko-Vermarkter werbewirksam „no limits“ nennen – eine gefährliche Ideologie. Nicht der Berg nämlich ist gefährlich, sondern menschliches Verhalten, das die Erhabenheit der Gebirge ignoriert und grenzenlose menschliche Fähigkeiten suggeriert.

Das Höhenbergsteigen ist nicht tot, es ist weiterhin herausfordernd, aber nur in der Ausgesetztheit abseits der Modeberge und nicht mit immer neuen sogenannten Rekorden. Innerhalb von 20 Jahren dürften 20 Alpinisten alle 14 höchsten Gipfel der Erde „abgehakt“ haben. Im Jahre 2100 werden es Hunderte sein.

Das Himalaja-Bergsteigen ist aber auch nicht abgeschlossen mit diesem „Rekord“. Dieser ist nur vordergründig interessant. „14 mal 8000 Meter“ ist nicht viel mehr als ein Schlagwort. So wie sich das Himalaja-Bergsteigen in den letzten 20 Jahren weiterentwickeln ließ, hin zu immer schwierigeren Wegen mit immer weniger Steighilfen und Fremdarbeit, wird es auch morgen noch weiterentwickelt werden – von einer jungen Bergsteiger-Elite.

Soweit diese Art des Bergsteigens ein Abenteuer an der äußersten Grenze des jeweils Machbaren bleiben soll, müssen die Akteure neue Problemstellungen, neue Umwege zum Ziel finden. 1924, als George H. Leigh Mallory zum Mount Everest aufbrach, „weil er da ist“, war der Gipfel das Ziel. Für Chris Bonington und seine Crew, die 1975 die steile Südwestwand durchstiegen, war der Weg das Ziel. Jetzt, da der Berg ohne Maske, über die schwierigsten Routen, allein, in der Monsunzeit und auch im Winter bestiegen worden ist, zählt der Umweg zum Gipfel. Oder der Rekord. Nicht jeder aber, der sich etwas „Neues“ einfallen läßt oder der schneller als alle vor ihm zum Gipfel „stürmt“, ist ein Neuerer.

Wanda Rutkiewicz, die erfolgreichste Höhenbergsteigerin meiner Generation, konnte zwar mehr Achttausender besteigen als viele ihrer männlichen Kollegen – Pionierarbeit aber leistete sie dabei nur für die Frauenbewegung. Am Berg folgte sie der ausgetretenen Spur und jenen Durchhalteparolen, die Macho-Bergsteiger seit Beginn des „Höhenwahns“ als ihr Credo verkünden. Dabei ging sie endgültig zuweit.

Ihr Tod am Kangchendzönga hat mich deshalb so tief getroffen, weil sie, wie 1995 die Engländerin Alison Hargreaves am K 2, unserer ausgetretenen Helden-Spur in die Katastrophe folgte.

Immer noch herrscht Verwirrung im Höhenbergsteigen. Die allermeisten Bergsteiger schließen sich heute großangelegten Commercial-Expeditionen an, die mit allen Mitteln zum Gipfel kommen wollen. Nicht „by fair means“ – „by any means“ ist ihre Devise. Auch die vielen Kleinexpeditionen, die sich im Basislager von K 2 oder Nanga Parbat zu einer Großexpedition zusammenschließen, sind in ihrer Vorgehensweise vom Alpenstil weiter entfernt, als es die nationalen Expeditionen in den fünfziger Jahren waren, die, am Berg auf sich selbst gestellt, jene Pionierarbeit leisteten, von der wir heute noch zehren.

Erhard Loretan ist die Ausnahme, wenn er mit dem Bergführer Norbert Joos die Annapurna I mit ihren drei Gipfelzacken überschreitet oder mit Jean Troillet mitten im Monsun durch die Nordwand auf den Mount Everest steigt – in 48 Stunden, Auf- und Abstieg inbegriffen.

Diese Art von „Rekord“ findet meine ganze Hochachtung. Nicht aber die Schnellbesteigung à la Eric Escoffier, der auf einer vom Basislager bis zum Gipfel ausgetretenen Spur, über eine von anderen versorgte Lagerkette in einem Tag bis zum Gipfel des Hidden Peak rennt. Wenn die Vorausspurer nicht mehr können, geht auch er zurück – wie im Herbst 1986 am Mount Everest, den er in seinem parasitären Stil in neuer Rekordzeit besteigen wollte.

Es kann sein, daß Sponsoren, die an Werbeslogans mehr interessiert sind als an authentischen Abenteuern, auf derartige Rekorde setzen. Nicht ihnen aber dürfen wir glauben, wenn es im Grenzfeld von Sport und Abenteuer um Authentizität geht. Nicht „Menschen ohne Grenzen“ sind die Pioniere, sondern Menschen, die in die grenzenlose Ungewißheit aufbrechen. Die schnellste Besteigung des K 2 über eine präparierte Route sagt mir weniger als das langsame Scheitern an einem langen, unbekannten Weg.

Die Schnelligkeit hat mich beim Bergsteigen nie so beeindruckt wie der Stil und die Problemstellung. Beides zusammen nur führt zu jenem Schritt, den die junge Bergsteigergeneration über das bisher Erreichte hinaus tun kann und muß, wenn sie ihre Fähigkeiten beweisen will.


Undurchstiegene Wände gibt es noch genug. Nicht nur an den Achttausendern – K 2-Westwand, Kangchendzönga-Mittelgipfel-Ostwand, mehrere Routen in der Lhotse-Südwand, Makalu-Westwand, Dhaulagiri-Südwand, Manaslu-Westwand –, es gibt sie vor allem an Sechs- und Siebentausendern. Es kommt auf den Stil an, in dem diese „Probleme“ gelöst werden. Die Art und Weise, wie V. Kurtyka und R. Schauer die Westwand des Gasherbrum IV durchstiegen haben, könnte Vorbild sein für all jene, die sich dem Große-Wände-Abenteuer verschrieben haben.

Ob ich nicht auch selbst daran schuld bin, daß sich heute 1000 und mehr Expeditionen im Jahr am Fuße der Achttausender treffen? Sicher, der Boom im Höhenbergsteigen ist auch eine Folge meiner Aktivität. Es ist aber nicht meine Schuld, wenn die Regierungen in Pakistan und Nepal so viele Expeditionsgenehmigungen vergeben, daß es schwierig geworden ist, Erstbegehungen selbständig zu beginnen und zu Ende zu führen, oder wenn Bergsteiger meinen Verzichtsalpinismus nicht verstehen wollen. Es liegt an uns, neue Problemstellungen zu erfinden. Innovativ ist nur, wer Phantasie hat und dorthin geht, wo die vielen anderen nicht sind.

Wir – meine Bergsteigergeneration – sind im Alpenstil und ohne Maske, ohne Lagerkette und ohne Fremdhilfe bis ans obere Ende der Welt geklettert, allein bis zum Gipfel des Mount Everest. Wir haben die höchsten Berge der Welt über neue Routen bestiegen, über steile Wände, über die längsten Grate. Wir haben die Achttausender überschritten, wir haben sie zu allen Jahreszeiten erklettert. Wir haben zwei davon hintereinander, im Paar, überschritten, ohne zwischendurch ins Basislager abzusteigen, nachdem der „Hattrick“ – drei Achttausender in einer Saison – wiederholbar geworden war. Alles, was einmal durchgestanden ist, kann wiederholt werden. Wiederholen ist leichter als vormachen. In jeder Sparte des Lebens.

Nachdem sich der Alpinismus generell in drei Spielarten aufgesplittert hat – Sportklettern, klassisches Bergsteigen, Expeditions- bzw. Höhenalpinismus –, zerfällt nun auch das Höhenbergsteigen eindeutig in zwei verschiedene Disziplinen: in Commercial- und Pionierreisen.

Warum nicht? Das Höhenbergsteigen wird nun mehr und mehr als Reisemöglichkeit verstanden und nicht mehr als Spiel an der Grenze der Möglichkeiten. Organisiert vom Reiseunternehmer, geführt vom Tourenleiter, unterstützt von einheimischen Hochträgern läßt man sich zum Gipfel führen. Man bucht den Mount Everest, wie man eine Reise nach Mallorca bucht: Vollpension. Führung und Versicherung inbegriffen.

Nein, ich will den organisierten Achttausender-Tourismus nicht abwerten, ich will ihn nur relativieren. Es ist auch mit Führer und Spur anstrengend, den Shisha Pangma zu besteigen. Nur das Abenteuer bleibt dabei auf der Strecke. Das „organisierte Abenteuer“ ist zwar ein Widerspruch in sich, aber eine Möglichkeit. In jeder Hinsicht. Es ist vorerst ebensogut vermarktbar, wie es früher die Pioniertaten waren. Und es verspricht Erfolg. Sicheren Erfolg. Vielleicht 80 Prozent der Achttausender-Besteiger der letzten Jahre haben ihren Erfolg im Rahmen einer Commercial-Expedition erreicht. Das spricht mehr für die Veranstalter als für die ehrgeizigen Akteure. Auch für den Zeitgeist.

Der konditionsstarke Höhenbergsteiger Marcel Ruedi aus Winterthur hat zehn Achttausender in dieser Art bestiegen. Er selbst wäre gar nicht auf die Idee gekommen, seine „Abenteuer“ zu vermarkten, wie er auch nicht auf die Idee kam, neue Wege zu gehen. Die Industrie hat ihm Verträge angeboten. Angeregt durch die lokale Presse, ließ er sich in jenen „Wettlauf“ hineintreiben, den er trotz Nachsteigerei nicht hätte gewinnen können und der ihn am 24. September 1986 am Makalu das Leben kosten sollte. Offensichtlich hat er dem Druck der Öffentlichkeit nicht standgehalten. Ich beklage ihn als Opfer, nicht als Versager. Das wahre Abenteuer schließt das Scheitern mit ein, die Commercial-Expedition soll es ausschließen. Warum kaufen sich Berufsabenteurer in eine Eiselin-Expedition zum Mount Everest ein? Weil das der sicherste Weg zum Gipfel ist und bleibt. Auch weil Geldgeber und Publikum daheim noch nicht unterscheiden können zwischen Abenteuer und Gruppenreise. Ein abenteuerlüsternes Fernsehpublikum nimmt seinem abenteuerlustigen Stellvertreter alles ab. Auch wenn dieser nur ausgezogen ist, eine Marktlücke zu füllen.

Grundsätzlich habe ich nichts gegen die vielen Gipfelerfolge. Mich stört dabei nur die ungenaue Berichterstattung. Wer in der Tat glaubt, einen der Gasherbrums im „Alpenstil“ bestiegen zu haben, wenn gleichzeitig an Ort und Stelle ein Dutzend weiterer Gruppen operiert, belügt sich nur selbst. Wer aber weiß, wie gespielt wird, und im gegebenen Fall trotzdem vom „Alpenstil“ faselt, belügt auch andere. Wer ein „Grenzabenteuer“ am Berg live ins TV-Programm bringt, mag ein guter Schauspieler sein, ein Abenteuerdarsteller, nicht aber ein Vorläufer in der Auseinandersetzung Mensch und Wildnis. Das wahre Abenteuer ist nicht inszenierbar, vielleicht läßt es sich mit ein paar Bildern dokumentieren, das andere ist mehr oder weniger Show.

Wer will nun als Schiedsrichter die Show vom großen Alpinismus trennen? Es gibt kein allgemeingültiges Reglement beim Höhenbergsteigen. Es gibt nur Beschränkungen, die sich der eine oder andere auferlegt. Und eine gemeinsame Sprache. Im Alpenstil heißt, ein Aufstieg ohne Vorgaben, ohne fremde Helfer, ohne Vorarbeit. Ein Alleingang beginnt am Fuße des Berges, dort, wo die Talträger nicht weitergehen können oder nach den lokalen Bestimmungen nicht dürfen. Ohne Maske steigt nur, wer auf den Flaschensauerstoff verzichtet, allerorts, auch beim Rasten und Schlafen.

Wer das alles kontrolliert? Niemand. Und das ist es ja, was exakte Angaben so wichtig macht. Um die Achttausender-Chronik der letzten fünf Jahre schreiben zu können, habe ich hundert und mehr Berichte gelesen. Wenn ich dabei herausfinde, daß einer ausgerechnet am selben Tag wie Franzosen und Spanier „im Alpenstil“ auf dem Gasherbrum II war, korrigiere ich diese Notiz für meine Historie. Wenn einer verkündet, den Nanga Parbat im „Superalpinstil“ bestiegen zu haben, nachdem er die Lager- und Seilkette an der Diamir-Flanke anderen Bergsteigern abgekauft hat, nenne ich seinen Stil „superparasitär“. Mit diesen Feststellungen will ich niemanden diskreditieren, nur darauf hinweisen, daß Begriffe dehnbar sind und auch vorsätzlich falsch benutzt werden können.

1975 stiegen Peter Habeler und ich über die Nordwestflanke auf den Gasherbrum I: eine neue Route, keine Vorarbeit, keine Vorgaben, Aus dem Gasherbrum-Tal bis zum Gipfel und zurück. Völlig auf uns selbst gestellt. Bis dahin waren alle Achttausender nach dem Aufbau mehrerer Hochlager bestiegen worden. Die Lagerkette und die Fixseile machen den Expeditionsstil aus, weniger die Hochträger und die schweren Sauerstoffgeräte. Letztere machten den Expeditionsstil notwendig.

Mein erster Schritt hin zum Alleingang auf den höchsten Berg der Welt war der Alpenstil. Der zweite Schritt war der Everest-Aufstieg ohne Maske. Die dritte Stufe war ein kleiner Achttausender im Alleingang. „Der letzte Schritt“ war nur nach diesen dreien denkbar.

Es war eine logische Zielsetzung, allein bis ans Ende der Welt zu gehen. Vor allem, weil diese runde Welt nur ein sichtbares Ende hat: ein Ende nach oben.

Mein Everest-Alleingang markiert viel mehr als das „14 mal 8000 Meter“ eine Wende im Höhenbergsteigen.

Haben wir uns noch relativ leichte Wege gesucht, um allein und damit notgedrungen mit wenigen Hilfsmitteln ans Ende der Welt zu stoßen, gilt es jetzt, über die schwierigsten Wege dorthin zu kommen. Es sind nach der Südwestwand am Mount Everest auch so abwegige Umwege denkbar wie der Aufstieg über den Lhotse Shar zum Lhotse-Hauptgipfel mit dem anschließenden Abstieg zum Südsattel und dann erst weiter zum Gipfel. Oder der spiralenförmige Aufstieg über den Westsattel (6000 m), Nordsattel (7000 m), Südsattel (8000 m) zum Gipfel.

Unser Bergsteigen war kein Eroberungsbergsteigen wie das von Hillary, Buhl und Bonatti. Es war die Suche nach neuen Grenzwerten. Auf den ersten Blick unlogisch, aber voller Ungewißheit, wie das Bergsteigen der Pioniere. Das große Bergsteigen von morgen wird noch verrückter, weil widersinniger sein.

Wer aber mit dieser Art des Bergsteigens Wissenschaft betreiben und damit mehr verbinden will als die „Eroberung des Nutzlosen“, soll in die Unterdruckkammer gehen oder im Satelliten um die Erde kreisen. Wem es nicht genug „Glück“ bringt, als eine Art Sisyphos immer und immer wieder von ganz unten anzufangen, soll mir nicht von der „Bergleidenschaft“ faseln. Und wer nicht zu unterscheiden gelernt hat zwischen Abenteuer und Show, kann auch ins Kino gehen statt auf den Mount Everest.

Eine Faustregel bleibt: Je schwieriger es wird, ein Abenteuer zu dokumentieren, um so mehr ist es wert. Solange man inszenieren, filmen, spielen kann, ist die Ungewißheit gering. Ein Grenzabenteuer beginnt dort, wo die Show aufhört. Großen Dokumentationen, großen Shows gegenüber war ich immer schon skeptisch. Auch den meinen. Wenn es ums Überleben geht, vergessen wir den Fotoapparat und alles, was nachher kommt. Das Jetzt entscheidet nicht mehr über Erfolg und Mißerfolg, es entscheidet über Leben und Tod.

Nur auf immer größeren Umwegen sind diese zeitbedingten Grenzwerte zu finden, die der allgemeine Erfahrungsschatz und das bisher Erreichte diktieren. Die Jugend will machen, was denkbar ist – und in sportlicher Hinsicht habe ich dagegen nichts einzuwenden. Vor allem dann nicht, wenn sie ohne Technik und ohne Drogen neue Horizonte sucht. Immer dann aber, wenn Menschen mit der Ausrede, der Menschheit zu dienen, diese Erde ausbeuten, ruinieren und damit unbewohnbar machen, wehre ich mich dagegen.

So „krank“, „verrückt“ oder „unsinnig“ es Laien auch erscheinen mag, mit selbstgewählter Beschränkung an Hilfen und Sicherheiten in die Wildnis zu gehen – wir werden es trotzdem tun. Bis jeder auf seinen Umwegen, das Ende der Welt zu erreichen, ans Ende seiner Möglichkeiten stößt.

Reinhold Messner

Über Reinhold Messner

Biografie

Reinhold Messner, Grenzgänger, Autor und Bergbauer, wurde 1944 in Südtirol geboren und wuchs in einem Bauerndorf auf. Bereits 1949 ging er zum ersten Mal in Begleitung seines Vaters auf einen Dreitausender. Nach seinem Technik-Studium arbeitete er kurze Zeit als Mittelschullehrer, ehe er sich ganz...

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