Breaking Silence Breaking Silence - eBook-Ausgabe
Roman
— Dramatisch-berührende Enemies-to-Lovers Romance mit Hidden IdentityBreaking Silence — Inhalt
Er kennt ihr Geheimnis, doch sie kennt seines auch … Eine gefühlvolle Enemies-to-Lovers-Romance über Vertrauen und den Mut, für sich einzustehen. Für Fans von Jenny Han, Ali Novak und Mona Kasten
„Seine unerwartete Berührung lässt eine Gänsehaut auf meinem Arm entstehen. Ich spüre seinen fragenden Blick, doch ich kann meinen nicht von seinen Fingern lösen, die auf meinem Handgelenk ruhen.“
Die zielstrebige Penny will nichts lieber, als ihrem Zuhause in einem heruntergekommen Trailerpark und ihrer nachlässigen Mutter zu entkommen. Ein Stipendium fürs Studium ist ihr so gut wie sicher – doch wer kümmert sich dann um ihre kleine Schwester? Ein Gesangswettbewerb ist die Lösung, denn mit dem Preisgeld wäre die Zukunft der Familie gesichert. Anonym nimmt Penny teil, auf keinen Fall will sie sich zum Gespött der Schule machen. Doch dann entdeckt ausgerechnet der reiche, unausstehliche, aber umschwärmte Carter ihr Geheimnis …
Leseprobe zu „Breaking Silence“
Prolog
Ganz langsam dringen die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch das kleine Fenster des heruntergekommenen Trailers. Sobald sie mein Gesicht erreichen, kneife ich die Augen zusammen und versuche, zurück in den Schlaf zu finden.
„Penny! Bist du wach?“ Die Stimme meiner Mutter ertönt gedämpft durch die geschlossene Tür, was mich unwillkürlich zusammenzucken lässt. Als ich nicht sofort reagiere, hämmert sie ungeduldig mit der Hand gegen das Holz. „Ich weiß, dass du nicht mehr schläfst! Komm mal zu mir rüber!“
Genervt schiebe ich die Decke zurück und [...]
Prolog
Ganz langsam dringen die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch das kleine Fenster des heruntergekommenen Trailers. Sobald sie mein Gesicht erreichen, kneife ich die Augen zusammen und versuche, zurück in den Schlaf zu finden.
„Penny! Bist du wach?“ Die Stimme meiner Mutter ertönt gedämpft durch die geschlossene Tür, was mich unwillkürlich zusammenzucken lässt. Als ich nicht sofort reagiere, hämmert sie ungeduldig mit der Hand gegen das Holz. „Ich weiß, dass du nicht mehr schläfst! Komm mal zu mir rüber!“
Genervt schiebe ich die Decke zurück und lasse meine Füße auf den fleckigen Teppich gleiten. Nachdem ich mich erhoben habe, werfe ich einen Blick in die obere Etage des Hochbettes. Dort liegt meine kleine Schwester Emma. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich gleichmäßig und ich frage mich ernsthaft, wie ein Mensch so tief schlafen kann.
Vorsichtig richte ich ihre Decke und streiche ihr sanft über das weiche Haar. Sie ist der einzige Grund, weshalb ich diesen verfluchten Trailer-Park noch nicht verlassen habe.
„Penelope Newman!“
Eilig bewege ich mich zur Tür und atme einmal tief ein, bevor ich widerwillig den Knauf betätige. Sofort steigt mir der Geruch von abgestandenem Zigarettenrauch in die Nase, was mich angeekelt das Gesicht verziehen lässt. Meine Mom sitzt auf der Couch, während der Tisch vor ihr mit leeren Wein- und Schnapsflaschen übersät ist. Schon wieder.
„Was ist?“, will ich kühl von ihr wissen, während ich angewidert das Chaos im Wohnbereich inspiziere. Überall liegen Kleidungsstücke und leere Zigarettenschachteln verstreut. Egal, wie oft ich aufräume, sie schafft es innerhalb kürzester Zeit, alles im Chaos versinken zu lassen.
„Der Kühlschrank ist leer“, blafft sie und unterstreicht ihre Aussage mit einem zittrigen Fingerzeig in die winzige Kochnische.
„Das wäre er nicht, wenn du nicht unser Geld versaufen würdest, Amanda.“. Meine Stimme klingt ruhig, obwohl ich innerlich koche und bereits weiß, in was für einem Drama diese Konversation enden wird.
„Pass bloß auf, wie du mit mir redest! Ich bin immer noch deine Mutter! Ganz egal, wie oft du mich beim Vornamen nennst!“
„Dann benimm dich gefälligst wie eine!“ Aufgebracht verringere ich die Distanz zwischen uns und mustere sie abschätzig. Enttäuschung und Machtlosigkeit haben schon lange einen tiefen Riss in meinem Herzen hinterlassen, aber ich schiebe die Gefühle zur Seite und halte ihrem Blick stand.
Außerdem bin ich es leid, mit meinem Nebenjob unsere Familie zu versorgen, während sie die uns zustehende staatliche Unterstützung regelmäßig in Alkohol und Zigaretten investiert. Dieses Spiel mache ich nicht mehr kommentarlos mit. Immerhin quäle ich mich nicht zwei Abende die Woche ins örtliche Kino, um dort den Dreck von anderen Leuten wegzumachen, damit sie sich regelmäßig volllaufen lassen kann.
Plötzlich erhebt sich meine Mom von der Couch und macht einen Schritt auf mich zu. Ich rühre mich nicht von der Stelle, beobachte lediglich ihre schwerfälligen Bewegungen.
„Du bist so undankbar! Sei froh, dass ich dich noch nicht rausgeworfen habe!“ Ihre Worte vermischen sich mit dem unangenehmen Geruch von Alkohol und zwingen mich, vorübergehend den Atem anzuhalten.
„Ich bin nur noch hier, weil ich Emma nicht mit dir allein lassen kann.“ Obwohl sie versucht, die Fassung zu bewahren, sehe ich, wie ihre knochigen Schultern nach unten sacken. Kurz darauf lässt sie sich zurück auf die Couch fallen und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.
„Ich bin eine gute Mom“, murmelt sie mehr zu sich selbst als zu mir. Obwohl wir beide wissen, dass das Gegenteil der Fall ist, gebe ich nach und setze mich zu ihr.
„Wenn du es allein nicht schaffst, gibt es zahlreiche Hilfsangebote und ich helfe dir gerne, etwas Passendes zu finden.“ Es kostet mich einige Überwindung, trotzdem lege ich ihr vorsichtig eine Hand auf den Rücken. Diese Art von Gespräch haben wir schon unzählige Male geführt. Trotzdem keimt jedes Mal ein Hoffnungsschimmer in mir auf.
„Okay“, flüstert sie kaum hörbar und lässt ihre Hände sinken. Der jahrelange Alkoholkonsum hat deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen und obwohl sie erst Ende dreißig ist, schimmert ihre Haut in einem ungesunden Grau.
„Wenn du bereit bist, Hilfe anzunehmen, werde ich alles tun, um dich zu unterstützen. Aber so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.“ Sie ist krank, das muss ich mir immer wieder vor Augen führen, um nicht durchzudrehen. Gleichzeitig hat mich unsere Situation schon in jungen Jahren dazu angetrieben, in der Schule Höchstleistungen zu erbringen. Durch unsere Familienkonstruktion war mir früh klar, nie wieder in einer Abhängigkeitssituation leben zu wollen. Deshalb habe ich alles darangesetzt, meine Zukunft vorauszuplanen.
Ohne Unterstützung, dafür mit viel Fleiß und Disziplin habe ich es geschafft, zu den besten Schülern der Roosevelt Highschool zu gehören. Alles, was ich will, ist ein Begabtenstipendium zu erhalten, damit ich nach dem Schulabschluss ein Studium aufnehmen kann. Mein Traum ist es, Psychologie an der Berkeley zu studieren, und ich befinde mich auf einem guten Weg, eines der begehrten Stipendien zu erhalten.
Hoffentlich werde ich auf diese Weise meinen Teil dazu beitragen, Sucht zu bekämpfen. Doch meine Freude wird deutlich getrübt. Wenn ich nach diesem Schuljahr tatsächlich studieren möchte, bedeutet das im Umkehrschluss, meine kleine Schwester hier zurücklassen zu müssen.
„Habt ihr wieder gestritten?“ Emma streckt vorsichtig ihren Kopf durch die Tür und bedenkt uns mit einem traurigen Blick.
„Es ist alles in Ordnung“, lüge ich und ringe mir ein Lächeln ab. Dann stehe ich auf und gehe zu meiner Schwester, um sie in den Arm zu nehmen. „Hast du Lust, mit mir einkaufen zu gehen?“
„Darf ich mir eine Zeitung aussuchen? Stella hat gestern eine in die Schule mitgebracht, wo sogar echte Schminke dabei war“, fragt Emma aufgeregt und sieht mich mit ihren großen, flehenden Augen an.
„Make-up? Braucht man das mit acht Jahren?“ Kopfschüttelnd wuschle ich ihr durch die zerzausten Haare. Eigentlich können wir es uns nicht leisten, aber ab und zu lasse ich so etwas trotzdem durchgehen.
„Bitte, Penny!“ Ihr Flehen lässt auch das letzte Zögern weichen und ich hebe ergeben meine Hände.
„Geht klar“, sichere ich ihr also zu, während ich nebenbei die leeren Flaschen in einem Plastiksack verschwinden lasse und den Fußboden von den Kleidungsstücken meiner Mutter befreie. Als ich fertig bin, liegt Mom auf der Couch, die Augen geschlossen, und ich stelle mir kurz vor, wie es wäre, wenn sie es diesmal schaffen würde, Hilfe anzunehmen.
Allerdings bin ich zu oft von ihren leeren Versprechungen enttäuscht worden, daher fällt es mir verdammt schwer, zuversichtlich zu sein.
Während ich die beiden gefüllten Einkaufstaschen über den rissigen Asphalt trage, schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit ab.
Unser Leben war nie perfekt, aber ich vermisse die Zeit, als unsere Großmutter noch lebte. Sie war unsere einzige Konstante und ich bin überzeugt, dass sie uns zu sich geholt hätte, wenn es ihr Gesundheitszustand zugelassen hätte. Irgendwie schaffte sie es immer, die richtigen Worte zu finden, egal wie aussichtslos die Situation auch schien.
Wie sehr sie mir fehlt, ist mir bei meinem achtzehnten Geburtstag vor ein paar Wochen wieder bewusst geworden.
Ich blinzle heimlich die aufsteigenden Tränen weg. Ihr habe ich so vieles zu verdanken, sie hat mir beigebracht, an mich zu glauben und für meine Ziele zu kämpfen. Außerdem war sie es, die mir ein Ventil für meine angestauten Emotionen gezeigt hat: das Singen.
Von klein an hat sie mit mir gemeinsam Songs einstudiert und ich hatte einen riesigen Spaß dabei, mit einer zum Mikrofon umfunktionierten Fernbedienung die Texte zu schmettern. Meine Großmutter war davon überzeugt, dass meine Stimme besonders ist. So sehr, dass ich zu meinem neunten Geburtstag einen Gutschein für wöchentlichen Gesangsunterricht bekommen habe, den ich bis zu ihrem Tod vor fast drei Jahren beibehalten habe.
Nach ihrem Ableben war es mir finanziell nicht mehr möglich, regelmäßige Stunden zu nehmen, dies hält mich aber nicht davon ab, für mich selbst zu singen und dabei an Granny zu denken. Irgendwie war das Singen unser Ding.
Ich schüttle leicht den Kopf, um mich wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren. Das Gesicht meiner Großmutter verblasst und ich blicke zu Emma, die dicht neben mir läuft. Vollkommen vertieft blättert sie in ihrer neuen Zeitung. Sie scheint es nicht zu stören, den Weg zu Fuß zurückzulegen, was man von mir nicht behaupten kann. Allerdings hat der alte Toyota unserer Mom vor längerer Zeit den Geist aufgegeben. Glücklicherweise grenzt die Ausfahrt unserer Wohnwagensiedlung an einen kleinen Supermarkt, so dass der Weg auch ohne Auto machbar ist.
Unser Trailer liegt zentral in der Siedlung, welche hauptsächlich von in die Jahre gekommenen Wohnwagen geprägt ist. Ein paar von ihnen verfügen über winzige Vorgärten, von denen aber nur die wenigsten regelmäßige Pflege erhalten.
„Wow! Sieh dir das mal an!“ Emma hält mir so abrupt ihre Zeitung vor mein Gesicht, dass ich beinahe eine der Einkaufstaschen fallen lasse. „Das ist die neue Show, wovon jeder in der Schule spricht!“
Halbherzig lasse ich meinen Blick über die aufgeschlagene Werbeanzeige gleiten und will das Magazin schon zur Seite schieben, als ich am ersten Textabschnitt hängen bleibe:
Music Is The Key
Amerika braucht einen neuen Stern! Wer wird das Publikum begeistern und am Ende als Sieger hervorgehen? Neben einer professionellen Gesangsausbildung erwartet euch ein Preisgeld von 250.000 Dollar!
1. Vorurteile
Natürlich habe ich vor meiner Schwester so getan, als würde mich diese neue Show nicht im Geringsten interessieren, insgeheim ist mir der Bericht aber nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Obwohl ich mich noch auf der Arbeit befinde, ziehe ich beiläufig mein Smartphone hervor und tippe ein paar Schlagworte in die Suchleiste, um schließlich auf die offizielle Seite der Show zu gelangen. Bei Music Is The Key handelt es sich um ein neues Konzept, wo sich Musikexperten zusammengeschlossen haben, um gemeinsam als Jury zu fungieren. Die Show ist so angelegt, dass jeder online mitmachen kann.
Alles, was man in der ersten Runde leisten muss, ist, einen Song zu performen und diesen mit dem entsprechenden Hashtag der Show auf Instagram hochzuladen. Die besten Einsendungen schaffen es in die nächste Runde, wo man dann eine weitere musikalische Herausforderung bestehen muss.
Wird man als Teilnehmer ausgewählt, muss man für den weiteren Verlauf die App der Show herunterladen, da für spätere Runden ein verifiziertes Voting-Verfahren vorgesehen ist.
„Was liest du denn da?“ Grace beugt sich neugierig zu mir herüber und versucht, einen Blick auf mein Display zu erhaschen.
„Ach, nichts weiter. Habe nur schnell meine Mails gecheckt“, lüge ich schulterzuckend und lasse mein Smartphone wieder in der hinteren Tasche meiner Jeans verschwinden. „Wir müssen weitermachen, damit wir endlich hier rauskommen.“
Möglichst gleichgültig wende ich mich wieder der Popcornmaschine zu. Wenn wir mit der Reinigung dieses Ungetüms fertig sind, dürfen wir das Movieland verlassen. Zumindest für den heutigen Abend.
Mittlerweile arbeite ich seit einem Jahr in dem kleinen Kino mit den zwei Vorstellungssälen. Glücklicherweise lässt sich der Betreiber, Mr. Simmons, nur selten blicken, um nach dem Rechten zu sehen. Mit seiner strengen und gleichzeitig wortkargen Art kann er ziemlich einschüchternd wirken.
Grace Hall hilft seit etwa einem halben Jahr hier aus und ist so ziemlich das Gegenteil von mir. Sie gehört definitiv zu den beliebtesten Schülerinnen unserer Highschool, und ich würde lügen, wenn ich behaupte, sie sei nicht wunderschön. Ihre langen, blonden Haare fallen in sanften Wellen über ihre schlanken Schultern, und mit ihren großen, blauen Augen hat sie fast jedem Jungen an unserer Schule den Kopf verdreht. Außerdem gehört sie zum Cheerleader-Team und bekleidet dort die Position des Flyers, wie sie gerne betont.
Zugegebenermaßen bin ich nicht begeistert gewesen, als mir Mr. Simmons damals mitteilte, wer meine neue Kollegin sein würde. Allerdings habe ich meine Vorbehalte ihr gegenüber schnell revidiert. Obwohl wir in der Schule nie ein Wort miteinander gewechselt haben, hatten wir sofort einen Draht zueinander. Sie ist weder zickig noch eingebildet und diese Erkenntnis hat mir wieder einmal vor Augen geführt, wie beschissen Vorurteile sind. Ich verbringe gerne Zeit mit ihr, wir können über den Nova-Effekt diskutieren, darüber, was für unvorhersehbare Folgen eine Technologie auslöst oder auch einfach nur über das Wetter. Außerdem zeigt sie mir manchmal Fotos von Wildtieren, die ihr Vater aufgenommen hat. Er arbeitet für einen bekannten Fernsehsender und ist häufig an der Produktion von Naturdokumentationen beteiligt.
Auch wenn ich im Vergleich zu ihrem sonstigen Freundeskreis aus dem Raster falle, bezeichne ich sie mittlerweile als meine Freundin. Genaugenommen ist sie die einzige Bezugsperson, die ich – abgesehen von meiner kleinen Schwester – habe. Trotzdem beschränkt sich unser Kontakt meistens auf die gemeinsamen Schichten im Kino oder die Schule. Das ein oder andere Mal haben wir uns auch nach dem Unterricht verabredet, allerdings ist dies eher die Ausnahme, da ich Emma nicht lange allein mit unserer Mom lassen möchte. Deshalb war ich auch noch nie bei ihr zu Hause.
Grace mit zu uns zu nehmen, ist aus den offensichtlichen Gründen keine Option.
„Penny? Bist du mit den Gedanken schon im Feierabend?“ Grace mustert mich belustigt, während sie mit gespielter Empörung auf eine Reaktion meinerseits wartet.
„Vielleicht?“, antworte ich schmunzelnd und schließe vorsichtig den Deckel der vor mir stehenden Maschine. „Ich denke, wir sind durch für heute.“
Nachdem wir das Licht am Verkaufstresen gelöscht haben, durchqueren wir gemeinsam die Eingangshalle, um neben dem Einlass das Alarmsystem zu aktivieren. Als wir durch die Tür nach draußen treten, beobachte ich geduldig, wie Grace den Schlüssel in die Schließanlage steckt und somit den Zugang verriegelt.
„Ich wollte noch bei Aria vorbei. Sie hat ein paar Leute eingeladen und hätte sicherlich nichts dagegen, wenn ich dich mitbringe. Hast du Lust?“, wendet sie sich plötzlich an mich, während sie den Schlüssel sorgsam in ihrer Tasche verstaut.
„Sorry, ich muss auf meine kleine Schwester aufpassen.“ Auch wenn dies keine direkte Ausrede ist, fühlt es sich so an. Die Wahrheit ist, dass ich eher zehn weitere Schichten im Movieland arbeiten würde, bevor ich sie dorthin begleite.
Aria ist die beste Freundin von Grace, allerdings trifft das Klischee der zickigen Cheerleaderin auf sie zu einhundert Prozent zu. Obwohl sie davon ausgeht, mich zu ihren Freunden mitnehmen zu können, bin ich mir darüber im Klaren, dass dies niemals funktionieren würde.
Ich bin nicht kompatibel mit der High Society der Roosevelt Highschool und – ganz ehrlich – darauf lege ich auch überhaupt keinen Wert.
„Schade! Dann musst du mir zumindest die Daumen drücken, dass Carter dort sein wird.“ Sie bedenkt mich mit einem vielsagenden Blick und ich muss ein Augenrollen unterdrücken.
Bei Carter handelt es sich um das Vorzeigetalent des Schwimmteams unserer Schule und dem Schwarm unzähliger Mädchen. Er ist der typische Athlet: groß, durchtrainiert, dunkle Haare, braune Augen und ein markantes Gesicht. Die beiden würden optisch das perfekte Paar abgeben, aber bisher hat er alle Annäherungsversuche von Grace ignoriert. Zu seiner Persönlichkeit kann ich mir kein Urteil erlauben, denn ich kenne ihn nur flüchtig aus der Schule und obwohl wir gemeinsam den Geschichtskurs besuchen, weiß er wahrscheinlich nicht einmal, dass ich überhaupt existiere. Trotzdem wirkt er auf mich immer eine Spur zu arrogant und ich bin froh, mich nicht mit solchen Leuten umgeben zu müssen.
„Ich drücke dir natürlich die Daumen“, entgegne ich nach kurzem Zögern. Nicht, weil ich es ihr nicht gönne – im Gegenteil. Ich denke einfach, sie hat mehr verdient, als dem Superstar unserer Schule nachzujagen, nur um jedes Mal aufs Neue enttäuscht zu werden.
„Danke!“ Grace schließt euphorisch ihre Arme um mich, bevor sie sich mit einem letzten Lächeln abwendet und die Straße hinunterläuft. Einen Moment lang sehe ich ihr hinterher, bevor ich schließlich in die entgegengesetzte Richtung aufbreche. Mitte Februar ist die Luft in den Abendstunden kühl und ungemütlich, sodass ich meine schwarze Jacke enger um meine Taille ziehe.
Als ich die Wohnwagensiedlung erreiche, beschleunige ich automatisch meinen Schritt. In dieser Umgebung lungern in den Abendstunden des Öfteren zwielichtige Personen herum und auch wenn ich leider die meisten von ihnen kenne, habe ich keine Lust auf eine Begegnung mit ihnen.
Glücklicherweise schaffe ich es unbemerkt bis zu unserem Trailer. Das Fenster zu Emmas und meinem Raum ist dunkel, vermutlich schläft sie schon und daher husche ich besonders leise in das Innere des Wohnwagens.
Meine Mom liegt eingerollt in ihrer Decke auf der Couch, die Augen geschlossen, aber die Fernbedienung noch in der Hand. Vorsichtig trete ich an sie heran und löse diese aus ihren Fingern, um den Fernseher auszuschalten. Anschließend blicke ich mich skeptisch im Wohnzimmer um. Keine leeren Flaschen oder Dosen, nehme ich erleichtert zur Kenntnis. Ohne dass ich es beeinflussen kann, meldet sich erneut die Hoffnung, dass unser letztes Gespräch etwas in ihr bewirkt hat. Immerhin ist das letzte Aufräumen ihrerseits schon eine Zeit her.
Ich schiebe das Gefühl beiseite und sehe stattdessen nach meiner Schwester. Da sie friedlich schläft, verschwinde ich ins Badezimmer, um mich ebenfalls für die Nacht fertig zu machen. Einen Moment lang betrachte ich mich im kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Mit einer gezielten Bewegung löse ich das Haargummi, um mir die rotbraunen Haare zu kämmen. Sie reichen mir mittlerweile bis knapp über die Schultern, und ich überlege kurz, ob ich sie weiterwachsen lassen soll. Dann fokussiere ich mich auf mein Gesicht und bemerke, wie müde mir meine grünen Augen entgegenblicken.
Automatisch greife ich nach einem der Abschminktücher von der Ablage und entferne die Wimperntusche, bevor ich mit den Fingern über die zahlreichen Sommersprossen auf meiner Nase streiche. Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht abstreiten, eine Newman zu sein. Sowohl bei meiner Mutter als auch meiner kleinen Schwester sind die kleinen braunen Punkte großzügig über Nase und Wangen verteilt.
Nachdem ich mir die Zähne geputzt habe, streife ich mir ein Schlafshirt über und schleiche in mein Zimmer. Emma schläft tief und fest, so dass ich mich möglichst leise auf meine Matratze sinken lasse und mein Smartphone neben dem Kopfkissen platziere. Ich will mich schon zur Seite drehen, als mir erneut diese neue Show durch den Kopf geistert.
Daher greife ich doch noch einmal nach meinem Handy und entsperre den Bildschirm. Die Seite, welche Grace beinahe im Kino entdeckt hat, ist noch im Browser geöffnet.
Immer wieder lese ich mir das Konzept und die Teilnahmebedingungen durch. Obwohl ich meine Gesangsstunden gelegentlich vermisse, bin ich nicht an einer professionellen Gesangsausbildung interessiert. Der Wunsch, Psychologin zu werden, ist viel zu tief verankert, als dass ich ihn für eine Karriere als Sängerin opfern würde.
Und doch … Der Gedanke an das Preisgeld lässt mich nicht los. Diese finanzielle Absicherung könnte alles verändern. Für mich und vor allem für Emma. Aber wie wahrscheinlich ist es, nach fast drei Jahren ohne Gesangsunterricht bei einem Wettbewerb zu gewinnen?
Und doch treffe ich in genau diesem Augenblick eine Entscheidung.
2. Einhörner und anderer Scheiß
Obwohl ich mir fest vorgenommen habe, mich zumindest in der Schule nicht mit der neuen Show zu befassen, scheitere ich bereits beim Gang zu meinem Schließfach. In unmittelbarer Nähe lehnt Aria an der Wand und klärt ein paar Mädels aus dem Cheerleader-Team lautstark über ihre Teilnahme auf.
„Ich habe eine richtig gute Idee für das Video“, erklärt sie kichernd und als eines der Mädchen daraufhin versucht, eine Zwischenfrage zu stellen, bringt sie es mit einer abweisenden Handbewegung zum Schweigen. „Carters Eltern haben doch diesen riesigen Pool im Garten! Ich werde mir also ein großes, aufblasbares Einhorn besorgen und einen neuen Bikini! Ganz ehrlich, wie soll ich da nicht weiterkommen? Bei mir stimmt das Gesamtpaket!“
Während ich an meinem geöffneten Spind stehe und perplex in ihre Richtung sehe, frage ich mich, was Grace von Arias Plänen halten wird. Immerhin ist Carter ihr Schwarm und ihre beste Freundin hat vor, sich in seinem Pool zu rekeln. In einem knappen Bikini. Auf einem Einhorn. Was für ein kranker Scheiß.
„Hast du irgendein Problem?“ Arias plötzliche Ansprache lässt mich ertappt zusammenzucken. Anscheinend habe ich einen Moment zu lange zu ihr herübergesehen.
„Wenn ich eins hätte, wärst du der letzte Mensch, dem ich davon erzählen würde“, antworte ich möglichst unbeeindruckt, während ich zwei Bücher aus dem Schrank in meinem Rucksack verstaue. Anschließend verschließe ich den Spind und entferne mich von Aria und ihren Freundinnen, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.
„Psycho!“, höre ich Aria mir hinterherzischen, aber ich drehe mich nicht zu ihr um. Unglaublich, dass Grace mich am Vorabend mit zu dieser Person nehmen wollte.
Mit schnellen Schritten begebe ich mich in den oberen Trakt unserer Schule. Ich bin wirklich spät dran, denn ich werde in der ersten Stunde ein Referat über die Amerikanische Revolution halten und normalerweise möchte ich zu solchen Ereignissen immer die Erste im Klassenraum sein.
„Miss Newman!“, begrüßt mich Mr. Torres überschwänglich und signalisiert mir mit einer einladenden Handbewegung, dass ich mich an sein Pult setzen darf, um das Referat vorzubereiten. Ich mag unseren Geschichtslehrer sehr, denn er bewertet immer fair und bei ihm gibt es keine Sympathiepunkte.
Bevor ich meine Unterlagen auf seinem Pult ausbreite, schließt Mr. Torres sein blauschwarz-kariertes Notizbuch und schiebt es ans andere Ende des Tisches. Er ist dafür bekannt, sämtliche Noten und Anmerkungen sofort in dieses Buch zu übertragen, daher wundert mich seine Diskretion nicht. Stattdessen ordne ich routiniert meine Unterlagen, ich bin schon lange nicht mehr nervös, wenn es um das Halten von Referaten geht. Natürlich gibt es immer ein paar Idioten, die entweder nicht zuhören oder versuchen, mich zu verunsichern. Allerdings habe ich schon so viele Auseinandersetzungen mit meiner betrunkenen Mom gehabt, dass mich ein paar Highschool-Schüler nicht aus dem Konzept bringen.
Es vergehen noch ein paar Minuten, bis alle auf ihren Plätzen sitzen. Als letztes kommt Carter durch die Tür spaziert und obwohl er spät dran ist, hat er es nicht eilig.
„Mr. Brown, auch wenn Sie der Star unseres Schwimmteams sind, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie keinen Prominentenstatus genießen“, ermahnt ihn Mr. Torres und wirft dabei einen bedeutungsvollen Blick auf seine Armbanduhr.
Carter lässt sich von den Worten unseres Geschichtslehrers nicht beeindrucken, denn er schlendert in unveränderter Geschwindigkeit zu seinem Platz. Dort angekommen, zieht er seine Collegejacke aus und mein Blick bleibt kurz an dem Logo hängen. Ein stilisierter Hai auf rotem Hintergrund, der aus einer silbernen Welle springt und so vermutlich die Stärke des Wassers symbolisiert. Rot und Silber, die Farben unserer Schule. Über der Abbildung steht in einem großen Halbkreis Roosevelt High Swim Team.
Carter hängt die Jacke lässig über die Stuhllehne und wendet sich schließlich mit einem selbstgefälligen Grinsen Mr. Torres zu.
Während ich die Szene vom Lehrerpult aus betrachte, frage ich mich wirklich, was Grace an diesem arroganten Kerl findet.
„Miss Newman, Sie können endlich loslegen.“ Unser Geschichtslehrer lehnt in einiger Entfernung an einem Heizkörper, während er über den Rand seiner Brille erwartungsvoll in meine Richtung schaut und seine Aussage mit einem kurzen Nicken unterstreicht.
Natürlich habe ich mich im Vorfeld intensiv mit dem Thema meiner Ausarbeitung beschäftigt, weshalb ich den dreißigminütigen Vortrag ohne Mühe halte.
„Bravo“, lobt mich der Lehrer gleich im Anschluss und klatscht überschwänglich in seine Hände. „Hat jemand von Ihnen noch eine Frage an Miss Newman?“, will er von den anderen Schülern wissen, während er seinen Blick langsam durch die Klasse wandern lässt.
Da sich niemand meldet, packe ich eilig meine Unterlagen zusammen und begebe mich an meinen Tisch. Ich habe gerade Platz genommen, als ich ein leises Tuscheln hinter mir wahrnehme.
„Wenn Aria ein Video in deinem Pool dreht, musst du mich auf jeden Fall einladen.“ Das Flüstern stammt von Ryan, Carters Sitznachbar und ebenfalls Teil des Schwimmteams. Er lehnt sich zu Carter und sieht ihn hoffnungsvoll an.
„Aria wird ganz sicher kein Video bei mir drehen. Keine Ahnung, wie sie darauf kommt, aber das kann sie vergessen.“ Carters Antwort klingt genervt und irgendwie überrascht mich seine Reaktion. Als Ryan den Mund öffnet, um zu antworten, wird er jedoch harsch von Mr. Torres unterbrochen.
„Wenn Sie so weitermachen, werde ich Sie durchfallen lassen. Sie sollten sich besser ein Beispiel an den Leistungen von Miss Newman nehmen“, schnaubt unser Lehrer und deutet mit einer entsprechenden Geste auf mich. Zum Abschluss schenkt er den beiden noch einen missbilligenden Blick, bevor er sich endgültig von ihnen abwendet.
Während Ryan dümmlich grinst, hebt Carter den Kopf und schaut überrascht in meine Richtung. Es scheint, als bemerke er mich erst jetzt, was mich allerdings nicht verwundert. Selbst während meines Referats war er anderweitig beschäftigt. Nachdem er mich einige Sekunden abschätzig mustert, verziehe ich genervt das Gesicht. Daraufhin wendet er sich wieder seinem Sitznachbarn zu, um in dessen Grinsen einzustimmen.
Was für Idioten.
Nachdem ich den Schultag hinter mich gebracht habe, schwinge ich mich auf mein Rad, um nach Hause zu fahren. Immer wieder muss ich an die Show denken und ob ich es tatsächlich wagen soll, dort mitzumachen. Vor meinem inneren Auge taucht das Gesicht meiner Großmutter auf und ich weiß genau, wie sie mich dazu ermutigen würde.
Einerseits habe ich bereits am Vorabend mehr oder weniger beschlossen, mein Glück zu versuchen. Andererseits will ich mich auf keinen Fall den dämlichen Kommentaren von meinen Mitschülern aussetzen, dies ist mir nach Arias Auftritt mehr als deutlich geworden.
Während ich grüble, lege ich den Weg zurück. Dann kommt mir plötzlich eine Idee. Was, wenn ich anonym antrete? In den Teilnahmebedingungen habe ich nichts über ein erforderliches Offenlegen der Identität gelesen.
Aber wie soll ich das bewerkstelligen? Ist es überhaupt möglich, ein solches Geheimnis zu bewahren?
Mir hat das Buch sehr gut gefallen, da der Schreibstil einen sehr leicht tief in die Geschichte mitnimmt und man einfach garnicht anders kann als mit den Charakteren mitzufiebern. Ich würde mich sehr freuen, wenn man bald mehr Bücher von Sarah Jo Clark lesen könnte:)
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