Call of Crows – Entfesselt (Call of Crows 1) — Inhalt
Spätestens seit „Thor“ wissen wir: nordische Götter können ziemlich sexy sein! In G. A. Aikens neuer Urban-Fantasy-Reihe „Call of Crows“ senden die Asen ihre Boten ins L.A. der Neuzeit, um die Welt vor der drohenden Ragnarök zu bewahren. Doch bei einem Haufen wilder Wikinger und kampflustiger Kriegerinnen sind gewisse „Spannungen“ vorprogrammiert ... Niemand weiß besser als Vig Rundstrom: auch Odins Krieger brauchen ab und zu mal einen Kaffee. Erst recht, wenn der von einer heißen Barista wie Kera Watson serviert wird. Als Vig mitansehen muss, wie Kera nach ihrer Schicht überfallen und ermordet wird, beschließt er, sie zu retten. Doch Ex-Marine Kera ist sich nicht sicher, was sie von dieser Rettung halten soll. Als „Krähe“ der Norne Skuld soll sie fortan den Weltuntergang verhindern. Nur scheinen ihre neuen Kampfgefährtinnen so gar nichts von Disziplin zu halten. Und dann wäre da noch Vig, der sie ständig von ihrer Arbeit ablenkt ...
Leseprobe zu „Call of Crows – Entfesselt (Call of Crows 1)“
Kapitel 1
Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte.
Blitz und Donner draußen vor dem Schlafzimmerfenster? Das kam zu Beginn eines Sommers in L. A. selten vor, vielleicht war es also das. Oder die Tatsache, dass sie in einem fremden Bett lag. Oder dass sie nackt in einem fremden Bett lag.
Vielleicht war es auch das Quietschen der Schlafzimmertür, als sie vorsichtig geöffnet wurde.
Nach mehr als einem Jahrzehnt als United States Marine schlief Kera nicht mehr so tief wie früher als Jugendliche. Sie hatte Einsätze im Nahen Osten gehabt und auf alles vorbereitet [...]
Kapitel 1
Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte.
Blitz und Donner draußen vor dem Schlafzimmerfenster? Das kam zu Beginn eines Sommers in L. A. selten vor, vielleicht war es also das. Oder die Tatsache, dass sie in einem fremden Bett lag. Oder dass sie nackt in einem fremden Bett lag.
Vielleicht war es auch das Quietschen der Schlafzimmertür, als sie vorsichtig geöffnet wurde.
Nach mehr als einem Jahrzehnt als United States Marine schlief Kera nicht mehr so tief wie früher als Jugendliche. Sie hatte Einsätze im Nahen Osten gehabt und auf alles vorbereitet zu sein lag ihr inzwischen im Blut. Doch es war nicht nur der Feind gewesen, nach dem sie Ausschau halten musste. Manchmal hatte sie sich leider auch vor anderen Marines schützen müssen. Vor Männern, die es eigentlich besser hätten wissen müssen.
Das alles hatte sie jedoch dummerweise vor mehr als anderthalb Jahren hinter sich gelassen. Jetzt arbeitete sie in einem Café. Sie bereitete überteuerten Kaffee zu und verkaufte überteuertes Gebäck an Leute, die glaubten, sie würden ohne ihre regelmäßige Dosis Koffein den Tag nicht überstehen.
Wo verdammt noch mal war sie also?
Im Moment wusste Kera es nicht. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass sie im Café den Müll rausgebracht hatte, weil keiner der Möchtegern-Schauspieler, Models und Sänger, mit denen sie arbeitete, je seinen faulen Hintern bewegte und es selbst machte. Also hatte Kera es getan. Und dann … und dann …?
Jemand beugte sich über sie. Zu dicht. Es war ein Mann. Sie mochte es nicht, wenn ihr Männer, die sie nicht kannte, so nahe kamen. Das weckte unangenehme Erinnerungen, die ihre Muskeln zucken ließen. Ihre Nackenhaare stellten sich auf.
Kera konnte warten, ob er einfach wieder ging, aber „abwarten“ hatte nie zu ihren Stärken gehört.
Er berührte sie nicht, doch er beugte sich noch etwas weiter vor. Als versuchte er, ihr ins Gesicht zu schauen.
„Muss ein neues Mädchen sein“, murmelte er.
„Snorri!“, rief jemand draußen im Flur. „Beweg dich! Uns läuft die Zeit davon!“
Die Zeit wofür? Und wer verdammt noch mal nannte sein Kind „Snorri“? Hing da der Haussegen schief? Und in welchem Haus befand sie sich? Kera versuchte, sich zu erinnern … an irgendwas. Doch ihr Hirn fühlte sich merkwürdig vernebelt an. Als wäre es mit einem Tuch bedeckt, durch das sie nicht deutlich sehen konnte.
Das sah ihr nicht ähnlich. Sie war für ihr hervorragendes Gedächtnis bekannt und für ihre Fähigkeit, schnell zu analysieren und entsprechend zu reagieren.
Gott, wie sie die Marines vermisste. Es war kein leichtes Leben gewesen. Um genau zu sein war es ziemlich hart gewesen. Hart, aber lohnend.
Du stirbst.
Nein, das tat sie nicht. Kera starb nicht.
Das ist dein letzter Atemzug. Also musst du eine Wahl treffen.
O Gott. Das hatte sie zu Kera gesagt. Die verschleierte Frau, die bei dem großen Baum gestanden hatte. Groß und von Kopf bis Fuß in einen hauchdünnen Schleier gehüllt, der es trotzdem schaffte, alles zu verbergen. Außerdem war irgendetwas an der Frau anders gewesen. Etwas, das Stärke und Intelligenz ausstrahlte … und Macht.
Gott, wer war diese Frau? Wie hieß sie? Wie hieß …
Mein Name ist Skuld. Und ich biete dir die Chance auf ein zweites Leben. Wirst du sie annehmen? Wirst du dich uns anschließen?
Und Keras Antwort war gewesen … Unter einer Bedingung.
Unter einer Bedingung? Was für eine Bedingung? Auf welcher Bedingung hatte Kera bestanden? Sie konnte sich nicht erinnern. Warum konnte sie sich nicht erinnern?
Der Mann warf einen Blick auf die halb offen stehende Tür, doch diejenige, die mit ihm gesprochen hatte, war fort.
„Anstrengende Kuh“, sagte er leise. „Ständig scheucht sie einen herum. Aber ich tue, was ich will.“
Er wandte sich wieder Kera zu und da hörten sie es beide: das leise Knurren neben Kera, den großen Körper, der sich vom Bett erhob und sich über sie hinwegschob, um den Mann wütend anzuknurren, der ihr zu nahe war.
Kera konnte nicht behaupten, dass sie das Aussehen des Tieres erkannte, das den Mann warnend anknurrte. Doch sie kannte es. Wie konnte es auch anders sein? Sie waren seit dem Tag, an dem Kera die Kreatur gerettet hatte, zusammengeblieben. Doch damals hatte sie anders ausgesehen. Ein armer, misshandelter Pitbull, dem ein Teil der Schnauze und die meisten Zähne fehlten. Ein Weibchen von kaum mehr als zwanzig Kilo, das für die Zucht benutzt und dann in der Nähe einer Lagerhalle in Keras Nachbarschaft zum Verrotten an einen Lastwagenmotor gebunden worden war.
Das hier war nicht derselbe Hund, wie er nun über Kera aufragte, und dennoch … war er es. Es war Brodie. Keras geliebter Hund, den sie … den sie …
„Unter einer Bedingung“, hatte sie der verschleierten Frau gesagt. „Ich muss meinen Hund mitnehmen.“
Unergründliche Augen hatten sie über den Schleier hinweg finster angeblickt. „Was?“
„Ich nehme Ihr Angebot an … aber nur, wenn ich meinen Hund mitbringen darf. Kein Hund, kein Deal.“
„Ist das dein Ernst? Du bist bereit, deine Chance auf ein zweites Leben für einen Hund aufzugeben?“
„Ich werde nicht ohne Brodie gehen.“
Die Frau hatte die Arme vor der Brust verschränkt und etwas gehalten, das aussah wie eine Gießkanne … was, milde ausgedrückt, komisch aussah.
„Du weißt aber schon“, fragte die Frau Kera, „dass du mit einem Messer in der Brust vor mir stehst, oder? Wenn ich dich jetzt so zurückschicke, ist es vorbei. Kein zweites Leben. Kein Festmahl in Walhall. Kein Ragnarök. Das verstehst du doch, oder?“
„Eigentlich nicht. Ich weiß nicht, was Walhall und Ragnarök damit zu tun haben. Ich weiß nur, dass ich ohne Brodie nirgendwo hingehe. Ich verlasse sie nicht. Sie kommt mit oder ich gehe nicht. So einfach ist das.“
„Du würdest alles, was ich dir anbiete, für einen Hund aufgeben?“
„Sie war für mich da, als es sonst keiner war. Ich werde sie nicht im Stich lassen.“
Die Frau lehnte sich ein wenig zurück. „Faszinierend. Absolut faszinierend.“
Doch die verschleierte Frau hatte Keras Bedingungen wohl zugestimmt, denn hier war Brodie – natürlich eine ganz neue Brodie, aber dennoch mit gefletschten Zähnen und gespannten Muskeln, bereit, jederzeit anzugreifen, während sie dem Mann die Schnauze ins Gesicht presste, sodass ekliger Hundesabber an seiner Wange herablief. Angewidert wich er zurück, trat vom Bett und wischte sich schaudernd das Gesicht ab.
Kera setzte sich auf die Knie auf, während Brodie den Mann mit scharfem Blick beobachtete, und Kera konnte nicht fassen, wie sie sich fühlte.
Stark. Mächtig. Böse.
Sehr, sehr böse. Denn wer zum Henker war dieser Kerl in ihrem Zimmer, der um sie herumschlich? Was sollte daran in Ordnung sein? Nichts. Sie wusste es. Sie wusste zwar nicht, woher, aber sie wusste, er sollte nicht hier sein. Und sonst sollte auch niemand hier sein.
Kera blickte auf ihre Hände hinab, ballte sie zu Fäusten. Sie holte tief Luft und ließ sie wieder herausströmen. Jetzt war sie nicht mehr nur ein Mensch, oder? Die verschleierte Frau hatte ihr mehr als nur eine zweite Chance im Leben gegeben. Sie hatte ihr Macht versprochen. Für manche bedeutete das Geld, Autos, teure Schuhe. Doch für Kera bedeutete es, wie sich ihr Körper in diesem Moment anfühlte. Als könnte sie alles. Absolut alles.
Sie blickte zu dem Mann auf, und obwohl es dunkel im Raum war, sah sie, wie er blass wurde. In diesem Augenblick wusste sie, dass er sie fürchtete.
Und das gefiel Kera. Es gefiel ihr sogar sehr.
Frieda ging durch den Flur des Bird House und befahl ihrem Clan, sich zu beeilen. Sie hatten nicht viel Zeit. Rein und raus, so sollte es laufen. Rein und raus.
Ihr wurde klar, dass Snorri immer noch in diesem Zimmer war. Das gefiel ihr nicht. Snorri war ein bisschen dumm und hatte die Neigung, nicht zu tun, was sie von ihm wollte und wann sie es von ihm wollte. Natürlich ließ er sich allgemein ungern etwas von Frauen befehlen.
Er war ein Wikinger der alten Schule, wie die Clans es gern nannten.
Frieda nannte sie einfach Dummköpfe der alten Schule.
Sie drehte sich um und machte sich auf den Weg zu dem Schlafzimmer, in dem sie ihn zurückgelassen hatte, blieb aber stehen, als die halb offenstehende Tür vollends zugeknallt wurde und Snorri hindurchkrachte.
Kurz darauf folgte ihm eine mittelgroße Frau mit brauner Haut. Sie war nackt. Dichte, braune Haare reichten ihr bis knapp unter die starken Schultern, ihre Beine waren noch kräftiger. Eine Tätowierung am Bizeps wies sie als „United States Marine“ aus und oben auf ihrer linken Schulter stand: „Donnie“.
Frieda verstand das nicht. Das Haus sollte leer sein. Sie hatten mit dem Diebstahl eines mächtigen alten Rings, der einst Skuld gehört hatte, alle Bewohner herausgelockt. Nicht nur ein oder zwei Angriffsteams, sondern alle Crows, damit das ganze Haus leer war. Wer war also verdammt nochmal diese Crow? Was tat sie hier?
Die Crow schaute sich um, sah den Rest von Friedas Clan.
Sie wandte sich Frieda zu und da sah Frieda es. Die frisch verheilte Wunde mitten in der Brust der Frau.
Die hier war erstochen worden. Frieda erkannte eine Stichwunde, wenn sie eine sah. Erstochen und dann von der Göttin Skuld zurückgeholt, um als eine ihrer Crows zu kämpfen.
Das war eine Neue. Wahrscheinlich erst vor ein paar Stunden oder vielleicht sogar erst vor ein paar Minuten gestorben.
Deshalb hatten die anderen Crows diese Frau hiergelassen. Es war zu früh, um sie in den Kampf mitzunehmen.
Gut, dann sollte sie leicht zu …
Anders hatte sich aus einem gegenüberliegenden Raum von hinten an die Frau herangeschlichen und holte mit seinem Hammer nach ihrem Kopf aus. Ohne den Blick von Frieda abzuwenden, ließ sich die Frau in die Hocke fallen und Anders’ Hammer traf die Wand. Wo er steckenblieb.
Während er versuchte, ihn herauszustemmen, stand die Crow auf und packte Anders an den Haaren, riss seinen Kopf nach unten und hob das Knie. Mit einer Bewegung zerschmetterte sie ihm Nase und Wangenknochen, dann schlug sie ihn mit dem Gesicht voraus an die Wand.
Frieda verdrehte die Augen. Da packte die Crow Anders’ Hammer und befreite ihn mit einem Ruck.
Niemand nahm ihrem Clan die Hämmer weg. Sie waren heilig. Jeder einzelne war nach dem Vorbild von Thors Hammer Mjölnir speziell für den jeweiligen Krieger gefertigt.
„Ihr Idioten!“, wütete Frieda. „Haltet die Schlampe auf!“
Ihr Clan strömte aus den anderen Zimmern und griff die Neue an. Die Crow hievte den Hammer einmal hoch … dann begann sie, ihn zu schwingen.
Frustriert wollte Frieda die Frau selbst angreifen, da kam ein Pitbull von fünfzig Kilo aus dem Zimmer und knurrte sie an.
Dieser Abend wurde einfach immer besser.
Der Hammer gefiel Kera.
Natürlich hatte sie nicht gewusst, dass es Leute gab, die Hämmer noch für etwas anderes als zum Renovieren eines Hauses benutzten. Zumindest nicht mehr seit dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert. Aber eine Waffe war eine Waffe, da war sie nicht wählerisch. Abgesehen davon erinnerte sie der Hammer ans Softballspielen in der Schule. Damals war sie eine ziemlich gute Spielerin gewesen … und auch heute war sie noch eine gute Spielerin und warf diese großen Typen und Mädels durch die Gegend.
Die Männer waren alle oben ohne, mit großen Brandzeichen auf der Brust. Ein Kreis mit einer Art Symbol in der Mitte. Vielleicht ein Buchstabe. Sie wusste es nicht genau. Es sah aus wie ein verhunztes „P“. Die Frauen trugen Tanktops, hatten aber alle dasselbe Brandzeichen über der Brust und ein Stück den Hals hinauf.
Also vielleicht ein Kult? Kera wusste es nicht. Im Moment zählte nur, dass sie angegriffen wurde, und sie hatte einen Hammer. Der Rest war hauptsächlich Instinkt.
Sie schwang die Waffe wieder und knallte jemanden gegen die Wand. Dann drehte sie sich und schwang ihn noch einmal, was jemand anderen durch eine Tür schickte.
Gott, sie fühlte sich stark. Ihr ganzer Körper schien vor neugewonnener Kraft zu vibrieren. Es war unglaublich!
Kera schwang den Hammer erneut, aber er traf auf einen anderen Hammer, den ein älterer Mann hielt. Er hatte lange, weiße Haare und einen langen Bart. Wie ein Biker … oder wie sie sich Grizzly Adams mit Mitte sechzig vorstellte. Aber auch wenn sein Gesicht darauf schließen ließ, dass er jenseits der sechzig war, sagte sein Körper … wow.
Er verhakte seinen Hammer mit ihrem und zog ruckartig daran. Wahrscheinlich hatte er gehofft, Kera ihre Waffe zu entreißen, doch sie hielt ihn fest und ließ sich von dem Mann herumschwingen. Erst zur einen Seite, dann zur anderen.
Ein bisschen gelangweilt stemmte sie die Füße auf den Boden und zog zurück. Es war toll, wie der Mann die Augen aufriss, als er mit einem Ruck mehrere Fuß nach vorn geschleudert wurde. Er war eindeutig nicht daran gewöhnt, dass ihn jemand so bewegen konnte.
Kera riss wieder an dem Hammer und schleppte den Mann den Flur entlang. Dabei hielt ihr Hund Brodie ihr den Rücken frei. Schnappte und griff jeden an, der Kera zu nahe kam.
Bis zum heutigen Tag hätte Kera nicht sagen können, was sie geritten hatte, dem hässlichen kleinen Hund zu helfen. Brodie war nicht freundlich gewesen. Doch Kera war gerade nach Los Angeles zurück gezogen, nachdem sie die Marines verlassen hatte. Sie hatte sich niemandem zugehörig gefühlt, war angespannt … und wütend. Arbeit zu finden war schwerer gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Ihre alten Freunde von der Highschool wussten nicht, über was sie mit ihr reden sollten. Sie behandelten sie wie einen Freak, eine Außenseiterin. Wenigstens fühlte es sich damals so an. Wahrscheinlich war das der Grund, warum sich Kera zu dem Hund hingezogen gefühlt hatte. Gott weiß, Brodie hatte damals selbst wie ein Freak, wie eine Außenseiterin ausgesehen. Am Ende hatte sich herausgestellt, dass dieser hässliche, böse, kleine Hund bereit war, alles zu tun und alles zu riskieren, um Kera zu beschützen.
Und Brodies offenkundiger Lohn für diese Treue? Nun ja, jetzt war sie ein großer, muskulöser, schöner Pitbull von ungefähr hundert Pfund, mit allen Zähnen und heiler Schnauze. Doch Brodie war immer noch bereit, alles zu tun und alles zu riskieren, um Kera zu beschützen.
Weiter um die Kontrolle über ihre Hämmer kämpfend, erreichten Kera und der ältere Kultanhänger das Ende des Flurs und einen runden Bereich – einen Balkon, nahm sie an –, von dem weitere Flure mit weiteren Zimmern abgingen. Außerdem gab es zwei Treppen, die mindestens drei Stockwerke zum Erdgeschoss hinunterführten, das sie über die Brüstung leicht sehen konnte. Inmitten alldessen hing ein riesiger Kristalllüster, der wahrscheinlich mehr gekostet hatte als das Haus von Keras Eltern.
Kera befand sich in einer Villa – und sie hatte keine Ahnung, wie sie hierher gekommen war.
Diesen Moment des Schreckens nutzte der ältere Mann und griff wieder an.
Er hob den Hammer und Kera dabei gleich mit.
Plötzlich stand sie auf der Brüstung, ihre nackten Zehen umklammerten das polierte Holz und ihr Griff um den Hammerstiel war das Einzige, das sie davon abhielt, drei Stockwerke zu fallen.
Weil er seinen Hammerkopf nicht von Keras lösen konnte, begann der Mann, beide Hämmer auf Kera zuzuschieben und drängte sie zurück. Sie warf einen Blick nach hinten und sah den gnadenlosen Marmorboden unter sich. Sie wollte nicht fallen, doch die anderen Kultanhänger kamen mit zum Schwingen oder Rammen bereiten Hämmern wieder auf sie zu.
Kera hatte genug. Sie umklammerte das glatte Holz so gut sie konnte mit den Zehen, beugte die Knie und riss den alten Kerl und seinen Hammer mit einem ordentlichen Ruck an ihrer Seite vorbei. Er schrie im Fallen und Kera schlang die Beine um seine nackte Brust und drehte sie beide in der Luft, damit sie, wenn sie landeten …
Frieda schaute über die Brüstung und sah den armen Pieter ausgestreckt auf dem Marmorboden liegen. Sein Blut bildete langsam eine Pfütze um seinen Kopf. Das neue Mädchen lag auf ihm, vorübergehend ausgeknockt.
„Bewegung!“, befahl Frieda. „Los!“
Sie mussten hier raus, und zwar sofort.
Sie drehte sich um, machte ihren Leuten ein Zeichen, einen Stock tiefer zu gehen. Als sie ihnen folgen wollte, stürzte sich wieder dieser verflixte Hund auf sie. Frieda schlug mit dem Hammer zu und der Hund flog ganz am Ende des Flurs gegen die Wand. Er machte das Geräusch, das Hunde machen, wenn sie verletzt sind, aber bevor Frieda an der Treppe ankam, stand das Vieh schon wieder auf.
„Scheiße“, knurrte Frieda, bevor sie hinter ihren Leuten die Treppe hinunterrannte.
„Hinten raus“, befahl sie. „Los!“
Frieda erreichte den letzten Treppenabsatz gerade rechtzeitig, um ein Knurren zu hören, und war nicht überrascht zu sehen, dass die Neue schon wieder aufstand, den Hammer immer noch in den Händen.
Rittlings über Pieter stehend, holte sie damit nach Lorens aus, der versucht hatte, Pieter aufzuheben.
Frieda nahm die letzte Stufe und griff die neue Crow mit Kampfgebrüll und erhobenem Hammer an.
Die Frau duckte sich, als Frieda ausholte, und sie verfehlte den Kopf der Crow. Als sie es noch einmal versuchte, fing die Frau Friedas Hammer mit dem eigenen ab, genau wie Pieter den gestohlenen Hammer zuvor abgefangen hatte.
Na super. Sie lernte schnell. Das fehlte ihnen jetzt gerade noch.
Frieda riss die Frau zu sich, weg von Pieter. Drei ihrer Leute nutzten den Moment, um Pieter hochzuheben. Er lebte noch, blutete aber stark und keiner wusste, welche inneren Verletzungen er erlitten hatte. Sie brauchten einen Heiler, und zwar schnell.
Frieda zog noch einmal und zerrte die kleinere Frau in ihre Richtung. Über die ineinander verkeilten Waffen hinweg beugte Frieda sich vor und knurrte sie an. Die kleinere Frau antwortete mit einem Kopfstoß an ihr Kinn.
Frieda hörte ein Knacken, und dann spürte sie den Schmerz, weil ihr Kiefer ausgerenkt war. Das passierte ihr nicht zum ersten Mal, deshalb kannte sie es schon.
Jetzt war Frieda richtig wütend. Sie griff an, knallte die Frau an die Wand und hielt die Crow-Schlampe dort fest.
Sie spürte, wie ihr die Spucke zwischen den zusammengebissenen Zähnen herauslief. Bis sie es in Ordnung gebracht bekam, würde sie kaum schlucken und auch den Mund nicht öffnen können. Der plötzliche Strom von Flüssigkeit ekelte die nackte Frau vielleicht an, hielt sie aber nicht auf. Nichts schien sie aufzuhalten.
Sie schob Frieda von sich, die Muskeln an ihren Armen wölbten sich.
Frieda taumelte rückwärts. Es kam selten vor, dass jemand, der nicht zu ihrem Clan gehörte, so stark war wie sie. Wie auch ihr Gott wurden sie stark geboren. Wahre Krieger des mächtigen Thor bis zum Ende.
Doch diese Crow … die war anders. Andere Crows waren natürlich auch mächtig. Aber nicht so stark. Niemals so stark.
Die Frau schob Frieda weiter rückwärts, immer weiter, bis diese Monstrosität von einem Hund an die Seite ihrer Herrin gerannt kam.
Mit einem Knurren – von der Frau, nicht von dem Hund – wirbelte die kleine Schlampe da herum und nahm Frieda mit. Um sie dann loszulassen …
Kera schleuderte die Frau durch die Glastür in den Hof. Sie folgte ihr, ohne auf die Scherben zu achten, auf die sie trat. Sie bückte sich und riss der Frau den zweiten Hammer aus der Hand.
Sie wog sie beide in den Händen und hob sie an. Ihr erster Gedanke war, den Kopf der Frau zwischen den beiden Waffen zu zerquetschen, bis er nur noch aus Blut, Hirnmasse und Schädelsplittern bestand. Doch bevor sie den doppelten Schwung beendete, hielt Kera inne.
Guter Gott … was war nur mit ihr los?
Sie war nicht blutrünstig. Sie versuchte nicht, Leute umzubringen. Sie kannte den Unterschied zwischen Selbstverteidigung und dem bloßen Verletzen von Leuten um des Verletzens willen verdammt gut. Aber sie war wütend. Sie war angepisst.
Gerade als sie die Waffen senkte, blitzte es auf. Da sah sie es: Sie umringten sie. Einige hielten die gebrandmarkten Freunde der Frau zurück, lange, dünne Klingen drückten sich gegen lebenswichtige Arterien an Kehle, Innenschenkel, in der Nähe der Armbeuge.
Sie hielten die Freunde der Frau gefangen, während sie schweigend Kera beobachteten.
Kera wusste, dass sie fertig war und warf die Hämmer zur Seite.
Sofort rollte die Frau herum, streckte sich nach ihrem Hammer aus, doch eine kleine, asiatisch aussehende Frau trat ihr mit einem schwarzen Stiefel auf die Hand.
Die Frau schrie und hielt sich die Finger. Die Asiatin ging um sie herum, trat sie in den Bauch, in die Seite und schließlich ins Gesicht.
Dann beugte sie sich herab, die Hände auf die Knie gestützt. „Ich weiß nicht, was du hier verloren hast, Frieda. Aber wenn wir dich noch mal ohne Einladung hier erwischen, ziehe ich dir die Gesichtshaut vom Schädel.“
Sie packte „Frieda“ an den kurzen blonden Haaren und zerrte sie hoch.
„Und jetzt raus hier!“
Frieda hielt sich mit einem Arm die Rippen und beugte sich herab, um ihren Hammer aufzuheben. Kera glaubte nicht, dass sie wieder einen Angriff plante, sie wollte ihn nur aufheben, doch die Asiatin holte plötzlich mit der Hand nach Friedas Gesicht aus und kratzte ihr ein Stück Haut von Wange und Kiefer.
Frieda schrie und ignorierte ihre Waffe, um sich mit der freien Hand das blutende Gesicht zu halten.
„Die gehören jetzt ihr“, sagte die Asiatin und zeigte auf Kera. „Verschwinde!“
Keuchend und überall blutend rannte Frieda davon. Ihre Leute folgten ihr und verschwanden zwischen den Bäumen hinter dem Haus.
Als sie weg waren, drehte sich die Asiatin zu Kera um. Sie musterte sie von oben bis unten, dann zog sie die Oberlippe hoch und zeigte mit dem Finger. „Was ist das?“
Kera blickte an sich herab. „Was?“
„Das?“
Kera merkte, dass sie auf ihren Hund zeigte. „Das ist Brodie Hawaii.“
„Ist das nicht ein … ein … wie nennt man diese Hunde?“, fragte sie … jemanden.
„Pitbull“, antwortete jemand.
„Ja! Ist das ein Pitbull? Wir können hier keinen Pitbull halten. Unsere Versicherung deckt keine Pitbulls ab und auch sonst keine von diesen Hunden aus den Siebzigern, die damals Leute umgebracht haben.“
„Dobermänner.“
„Ja, die. Du kannst aber einen Pudel haben. Ich habe gehört, die sind superklug!“
Kera, die von diesem halbminütigen dummen Gespräch jetzt schon erschöpft war, schüttelte den Kopf. „Mich interessiert eure Versicherung nicht. Brodie bleibt.“
„Ich verstehe. Du kapierst nicht, dass ich hier das Sagen habe.“
„Du kapierst nicht, dass mir das egal ist. Und wenn du hier das Sagen hast, solltest du dein Grundstück besser schützen.“
Die Asiatin machte einen Schritt auf Kera zu, doch eine größere schwarze Frau stellte sich rasch zwischen sie. „Nein, Chloe.“
„Ich werde sie verdrehen, bis sie aussieht wie eine Brezel.“
Die schwarze Frau schaute zu Kera zurück, bevor sie erwiderte: „Nein, wirst du nicht. Aus vielen Gründen. Also entspannen wir uns jetzt alle und denken das Ganze durch.“
„Es gibt nichts durchzudenken“, sagte Kera. „Brodie bleibt oder wir gehen beide. Es gibt keine andere Option. Ich werde jetzt wieder in mein Zimmer gehen … mit Brodie. Wenn ihr mich also bitte entschuldigen wollt …“
Als niemand etwas sagte, ging Kera mit Brodie zurück ins Haus.
Erin Amsel starrte auf die Neue hinab, die auf den ersten sechs Stufen, die zu den Zimmern hinaufführten, ohnmächtig geworden war. Sie schnarchte wie ein betrunkener Matrose. Der Hund auch.
Es war kein hübscher Anblick, aber das Mädchen hatte viel durchgemacht. Also würde Erin ihr ein bisschen Ruhe gönnen.
Abgesehen davon mochte sie diese Neue. Nicht viele widersprachen Chloe – und dann auch noch nackt. Es war unterhaltsam.
„Mein Ding ist die Neue nicht“, verkündete Chloe Wong und alle starrten sie an. Nichts war peinlicher, als wenn Chloe versuchte, nicht nach dem zu klingen, was sie eigentlich war: eine eingebildete Besserwisserin, die für einen Gott tötete.
Erin wollte etwas sagen, doch Tessa Kelly, die Erins Teamleiterin war, seit Erin vor vier Jahren im Bird House aufgewacht war, unterbrach sie mit einem: „Lass es.“
Erin schloss den Mund wieder und Tessa sagte: „Sei nicht so streng mit ihr, Clo. Als sie aufgewacht ist, war sie mit Riesentötern allein im Haus. Das wünscht man keiner an ihrem ersten Tag.“
„Warum waren die Killer in unserem Haus?“, fragte Alessandra Esporza und sah schon gelangweilt aus, sobald sie ihren Satz beendet hatte. Nichts machte Alessandra lange Spaß … außer Shopping. Die Frau hatte Geld und liebte es einfach.
„Ich weiß nicht. Das ist eine gute Fra… wohin willst du, Alessandra? Du hast mich etwas gefragt!“
„Oh, ich höre dir zu. Ich hole mir nur ein bisschen Champagner.“
Erin schüttelte den Kopf. „Sie hört nicht zu.“
Chloe blickte auf die Neue hinab. „Wir kümmern uns morgen um alles.“ Sie stieg über das schnarchende Mädchen hinweg. „Ihr bringt sie wieder ins Bett. Ich will Wächter in den Bäumen, bis die Sonne aufgeht.“
„Ich bezweifle, dass die Killer zurückkommen“, merkte Tessa an.
„Wir gehen kein Risiko ein. Genau wie ihr Gott sind sie nicht allzu helle.“
„Leigh. Annalisa.“ Tessa zeigte auf das neue Mädchen. „Bringt die Kleine nach oben.“
„Sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte Erin.
„Willst du sie auf der Treppe schlafen lassen? Das ist harter Marmor.“
„Nein.“ Erin trat nahe an ihre Teamleiterin heran. „Du weißt, was passiert, wenn wir die Verantwortung für sie übernehmen. Dann gehört sie zu unserem Team.“
„Na und?“
Erin zeigte auf die Tätowierungen der Neuen. Tessa warf einen Blick darauf und wiederholte: „Donnie.“
„Nicht das Tattoo. Das andere. Sie ist ein Ex-Marine. Du weißt, was das heißt.“
„Dass sie eine ziemliche Nervensäge sein wird?“
Erin lächelte. „Genau.“
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