Chasing Melodies – Wir zwei im Lichtermeer Chasing Melodies – Wir zwei im Lichtermeer - eBook-Ausgabe
Roman
— Eine K-Pop-Romance über Selbstfindung und tiefe Gefühle in Seoul„Mich hat dieses Buch sehr berührt und ist mir ans Herz gegangen. Ich kann es sehr empfehlen.“ - wodisoft.ch
Chasing Melodies – Wir zwei im Lichtermeer — Inhalt
Über Selbstverwirklichung, eine unerwartete Liebe und Selbstzweifel in der schillernden K-Pop-Welt Südkoreas. Für Leser:innen von Janine Ukenas „Seoul-Dreams“-Reihe
„Zwischen uns lagen keine fünf Meter, doch es fühlte sich wie eine unüberwindbare Distanz an. Und in diesem Moment wurde es mir klar: Wenn die Light Sticks heute Abend leuchteten, dann würde ich in dem Lichtermeer untergehen, denn ich war nur eine von vielen. Ich war nur ein weiteres Licht in diesem Ozean.“
Die New Yorkerin June arbeitet hart, unterstützt ihre Mutter, wo sie nur kann und stellt dafür ihre Wünsche vom College und dem Schreiben von Songtexten hinten an. Als sie mit einem Flugticket nach Seoul überrascht wird, kann sie die langersehnte Reise in die Heimat ihres Vaters antreten und wieder zu träumen beginnen. Die Zusage eines Praktikums bei einem Musikmanagement entführt June vollends in die faszinierende neue Welt samt koreanischer Idole und K-Pop-Musik. Während June richtig aufzublühen scheint, lernt sie über eine Dating-App Alexander kennen. Schnell entwickeln beide eine unvorhergesehene Verbundenheit und alles wirkt perfekt. Jedoch scheinen Zweifel und Ängste June zu übermannen und Alexanders wahre Identität droht die neugewonnene Idylle endgültig zu zerstören.
„Mich hat dieses Buch sehr berührt und ist mir ans Herz gegangen. Ich kann es sehr empfehlen.“ ((wodisoft.ch))
Leseprobe zu „Chasing Melodies – Wir zwei im Lichtermeer“
1장 | June
노래: Butter
– BTS
New York war zu jeder Zeit laut.
Laut und unruhig.
Laut und bunt.
Und doch nicht laut genug, um meine Gedanken zu übertönen.
Ich saß in der U-Bahn, ein schlafender, nach altem Frittierfett stinkender Mann neben mir. Immer wenn ein Song aus meiner Playlist endete, hörte ich das Schnarchen von ihm, und immer, wenn die Bahn durchgeschüttelt wurde, sank er ein wenig näher in meine Richtung. Ich war mir sicher, dass an meiner Jeansjacke mittlerweile auch schon der Geruch des Fettes klebte. Wahrscheinlich würde ich sie in die [...]
1장 | June
노래: Butter
– BTS
New York war zu jeder Zeit laut.
Laut und unruhig.
Laut und bunt.
Und doch nicht laut genug, um meine Gedanken zu übertönen.
Ich saß in der U-Bahn, ein schlafender, nach altem Frittierfett stinkender Mann neben mir. Immer wenn ein Song aus meiner Playlist endete, hörte ich das Schnarchen von ihm, und immer, wenn die Bahn durchgeschüttelt wurde, sank er ein wenig näher in meine Richtung. Ich war mir sicher, dass an meiner Jeansjacke mittlerweile auch schon der Geruch des Fettes klebte. Wahrscheinlich würde ich sie in die Waschmaschine werfen, sobald ich zuhause ankam. Doch laut der Anzeigetafel musste ich noch mindestens fünfzehn Minuten hier aushalten.
Also drehte ich die Musik auf meinem Handy lauter, schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen das kühle Fenster. Im Kopf rechnete ich nach, wann ich mein nächstes Gehalt von dem Job in der Buchhandlung erhielt und was noch von dem letzten übrig war. Es war nicht viel, aber für die nächste Woche würde es für Mom und mich noch reichen. Außerdem gab ich diese Woche auch noch eine Gitarrenstunde, bei der ich ein bisschen was dazuverdiente, weil ich einem verzogenen Achtjährigen mit reichen Eltern das Spielen beibrachte.
Die Bahn ruckelte und der Kopf des Fritten-Mannes fiel auf meine Schulter. Ich öffnete die Augen und versuchte von ihm abzurücken, doch ich saß bereits so weit links auf meinem Sitz, dass meine beiden Beine kaum Platz fanden. Vielleicht sollte ich den Rest der Fahrt stehen … oder einfach ein Stück zu Fuß gehen. Schließlich würde ich sowieso nicht bis in den Randbezirk, in dem Mom und ich wohnten, fahren können.
Als die U-Bahn ächzend zum Stehen kam und der Kopf des Mannes wieder an meiner Schulter hin- und herwackelte, entschied ich mich tatsächlich, zu laufen. Ich schob mich an den Fahrgästen vorbei, aus dem Abteil hinaus und auf den überfüllten Bahnsteig. Stray Kids’ „Star Lost“ übertönte die Geräusche und das Gerede der Menschen. Hektisch liefen sie mit Aktentaschen, auf hohen Absätzen und mit Handys an den Ohren oder in den Händen an mir vorbei, stießen gegen mich, entschuldigten sich nicht, während der Träger meines Rucksacks herunterrutschte.
Als ich mich endlich zur Treppe und aus der U-Bahnstation herausgekämpft hatte, wechselte der Song und „Clouds“ von der koreanischen Band EXIT dröhnte in meinen Ohren und ich spürte mein Herz ein bisschen schwerer werden. Der Song erzählte von einer Reise, die noch nicht vorbei war. Von Hoffnung, von Durchhaltevermögen und davon, dass die Wolken vorbeizogen, auch wenn es manchmal nicht so wirkte. Meine Wolken waren offenbar noch nicht vorbeigezogen, aber ich gab nicht auf. Sie würden weiterziehen – früher oder später taten sie das immer.
Ein kalter Wind erfasste mich und ich fröstelte. Mittlerweile war der Herbst, meine liebste Jahreszeit, in New York eingezogen. Ich liebte es einfach, wenn die Blätter der Bäume sich bunt verfärbten und eine gewisse Schwere in der Luft lag. Wenn die Wolken am Himmel ein bisschen düsterer und unheilvoller waren und man sich mit Blick nach oben fragte, ob es zu regnen beginnen würde. Genau deswegen gönnte ich mir einen Moment auf der obersten Stufe und tat genau das: Ich betrachtete den Himmel, der übersät war von flauschigen Wolken, die sich zwischen weiß und grau nicht entscheiden konnten. Als der erste Regentropfen auf mein Gesicht fiel, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich griff nach hinten, zog die Kapuze meines Hoodies, den ich unter der Jacke trug, über den Kopf und lief los.
Als ich komplett durchnässt eine knappe Dreiviertelstunde später zu Hause ankam, stand der alte Saab nicht in der Einfahrt. Ich stieß ein Seufzen aus. Meine Mom arbeitete definitiv zu viel und das schon seit Wochen. Es war nicht leicht für uns, doch ich tat mein Bestes, um sie irgendwie zu entlasten. Also ignorierte ich die Uhrzeit und die Tatsache, dass auch ich bereits seit über elf Stunden unterwegs gewesen war, sprang in Windeseile unter die Dusche und schmiss noch eine Waschmaschine an, ehe ich mich um das heutige Abendessen kümmerte. Wenn Mom nach Hause kam, würde sie sicherlich etwas essen wollen.
Während ich kochte, machte ich meinen Bluetooth Lautsprecher an und ließ meine K-Pop-Playlist laufen. Da ich allein war, grölte ich aus vollem Herzen „Butter“ von BTS mit. Vielleicht sollte ich den Song doch irgendwann mal covern und bei YouTube hochladen. Ein Versuch war es wert, auch wenn es mich oftmals Überwindung kostete, überhaupt Videos zu drehen. Meist überfiel mich im letzten Moment ein flaues Gefühl im Bauch, wenn ich einen aufgenommenen Cover-Song wirklich hochladen wollte. Doch ich versuchte mich dadurch ab und zu aus der Komfortzone zu locken. Nicht nur die Liebe zur Musik schenkte mir in den Momenten das letzte Quäntchen Mut, auch Bands wie BTS, Stray Kids oder EXIT halfen mir dabei, mich selbst mehr zu akzeptieren und zu lieben. Deswegen war ich dem K-Pop so verfallen. Die Bindung zwischen Fans und Idol war unfassbar stark, die Bands vermittelten so viel Liebe und Kraft, dass man praktisch keine Möglichkeit hatte, sich dem zu entziehen. Einmal in der Bubble kam man nur sehr schwer wieder heraus – oder eben gar nicht.
Mein Handy vibrierte, während ich das Backblech mit der selbstgemachten Pizza in den Ofen schob. Ich sah auf das Display und runzelte die Stirn. Es war Cassy. Seltsam, um diese Zeit müsste meine beste Freundin eigentlich in der Buchhandlung sein. Sie arbeitete ebenso wie ich bei Tony’s Books, dem kleinen Buchladen nahe meines Lieblingscafés, der bekannt für seine Klassiker-Abteilung war. Im Gegensatz zu mir war es bei Cassy nur ein Aushilfsjob, der ihr das Studium mitfinanzierte, während ich dort arbeitete, um die Miete und laufenden Rechnungen bezahlen zu können und meine Mutter so gut es ging zu unterstützen.
„Hey, was gibt’s?“, begrüßte ich sie. Im Hintergrund dröhnte bereits der Verkehrslärm durchs Telefon. Sie musste wohl schon auf dem Heimweg sein.
„Kannst du morgen meine Schicht in der Buchhandlung übernehmen?“, fragte sie geradeheraus.
Ich musste mir ein Aufstöhnen verkneifen. Cassy wusste genau, dass ich morgen nur den halben Tag arbeiten wollte, um alles für meinen Geburtstag in zwei Tagen vorzubereiten. Meine Cousine Dina kam zu Besuch und ich freute mich sehr darauf.
„Was hast du für eine Schicht?“ Morgen hätte ich Frühschicht gehabt, also von halb acht bis eins.
„Von zehn bis drei. Mom und Dad können nicht zu Ellis Fußballspiel kommen und ich habe es ihr versprochen. Pete ist zwar mit seiner Frau auch da, aber sie wird enttäuscht sein, wenn ich nicht komme. Die Vorbereitungen fangen schon ab zwölf an.“ Elli war Cassys kleine Schwester und da ihre Eltern oftmals geschäftlich unterwegs waren, passte Cassy häufig auf sie auf. Ihr großer Bruder war bereits vor Jahren ausgezogen und hatte mittlerweile seine eigene Familie, weswegen alles an Cassy hängenblieb. Manchmal war ich mir nicht so sicher, ob sie nicht auch lieber in einem Studentenwohnheim gelebt hätte, anstatt weiterhin daheim zu bleiben. Aber Elli war erst vierzehn, sie konnte nicht ständig allein zuhause sein.
Jetzt konnte ich mir das Seufzen doch nicht mehr verkneifen. „Ja, ich denke, es lässt sich einrichten. Passt mir zwar nicht so, aber ich mach’s.“
„Du bist die Allerbeste, weißt du das eigentlich?“
„Klar. Hab viel Spaß beim Fußballspiel und feuere Elli für mich mit an.“
„Immer. Sie wird sich freuen. Wieso kommst du nach der Arbeit nicht zu uns? Wir wollen grillen, Peter kommt auch mit seiner Familie vorbei. Oh, und Simon.“
Meine Wangen wurden warm, als sie Simon erwähnte. Er war ein Kommilitone von Cassy und ich war ihm bereits öfter begegnet. Wenn ich daran dachte, was passiert war, als wir das letzte Mal gemeinsam bei Cassy gewesen waren, dann wurden meine Wangen nicht nur warm, sondern heiß. Schnell schob ich die Erinnerungen beiseite.
„Ich schau mal, ob ich es einrichten kann, okay? Ich muss Dina auch noch vom Flughafen abholen.“
„Bring sie einfach mit. Das Barbecue fängt bestimmt erst um sechs oder so an.“ Es knackte und kurz darauf kaute Cassy geräuschvoll auf irgendetwas herum, was sich wie eine Möhre anhörte. Dina würde gegen halb fünf ankommen, also hatten wir noch genug Zeit, zu Cassy zu fahren. Ein Teil von mir hatte bereits entschieden, hinzugehen, während der andere noch haderte.
„Ich melde mich bei dir.“
„Wir sehen uns morgen, June. Was habe ich dir über das Schneckenhaus erzählt?“
„Es ist dazu da, um es zu verlassen. Jahaa, ich weiß.“
„Schön, dass du dich an meine Worte erinnerst. Also, bis morgen“, verabschiedete sie sich schließlich. Ich beendete den Anruf und legte das Handy auf die Anrichte vor mir. Cassy wusste, dass es mir manchmal schwerfiel, aus mir herauszukommen, aufgeschlossen und unbeschwert zu sein. Während sie laut und bunt war, waren meine Farben eher schlicht und gedeckt gehalten. Komisch, dass wir trotz unserer Unterschiede beste Freundinnen waren – vielleicht aber auch gerade deshalb. Außerdem hatten wir eine große Gemeinsamkeit: die Liebe zum K-Pop. Das verband uns seit Jahren eng miteinander.
Mein Handy leuchtete wieder auf und riss mich aus den Gedanken.
Mom: Verspäte mich, es gab einen Unfall mit mehreren Verletzten. Iss schon ohne mich. xoxo
Ich stieß das nächste Seufzen aus. Obwohl sie so viel arbeitete, reichte es kaum aus, die Schulden abzubezahlen. Um mir eine Kindheit in einem Haus, statt in der muffigen kleinen Wohnung zu ermöglichen, in der wir bis zu meinem siebten Lebensjahr gelebt hatten, hatte sie damals einen hohen Kredit aufgenommen. Außerdem mussten wir das Pflegeheim, in dem mein Grandpa lebte, bezahlen und auch das war leider teuer. Mein Job in der Buchhandlung war zwar unterbezahlt, doch etwas Besseres hatte ich bisher nicht gefunden – schließlich hatte ich keine Ausbildung, kein Studium. Ich hatte nichts vorzuweisen, außer einen Highschool-Abschluss und natürlich meinen Willen, zu arbeiten und meine Mom zu unterstützen.
Manchmal nervte mich das alles so sehr. Dass ich meinen Vater, der in Seoul lebte, nur einmal im Jahr, oder manchmal sogar nur alle zwei Jahre, sah, dass Mom so viel arbeitete, die Situation mit Grandpa, dass ich nicht studieren konnte. Dabei wollte ich nichts sehnlicher, als mich an einem College zu bewerben, um irgendwann Musik produzieren zu können. An manchen Tagen spürte ich die Verzweiflung ein kleines bisschen mehr als sonst. Als würde sie über die Mauer klettern und ihre Finger nach mir ausstrecken, mich beinahe berühren. Dann war es schwer, ihr nicht meine Hand reichen zu wollen und mich in der Genervtheit und Ungerechtigkeit zu suhlen.
Aber heute ließ ich nicht zu, dass das passierte. Ich machte weiter wie immer, holte nur einen Teller aus dem Schrank und tippte Mom eine Antwort.
June: Pass auf dich auf. Hab Pizza gemacht, ist dann im Ofen. xx
Wahrscheinlich würde sie diese sowieso nicht mehr lesen. Wenn es einen Unfall gegeben hatte, würde im Krankenhaus die Hölle los sein. Auch wenn sie immer sagte, dass alles okay wäre, zog sich der Knoten in meinem Inneren bei jeder ihrer zahlreichen Überstunden fester.
Gerade als ich Spotify wieder öffnen wollte, um etwas gegen die Stille im Haus zu tun, ploppte eine Benachrichtigung auf, dass Taewon von EXIT ein Live-Video gestartet hatte. Ich tippte auf die Nachricht, wartete einen viel zu langen Moment, ehe die App startete, und sah wenige Sekunden später Taewon auf meinem Display. Er saß vor seinem Handy und machte im Sitzen die Cheoreo eines EXIT-Songs mit, der im Hintergrund lief. Dabei trug er das wohl schönste und breiteste Grübchen-Lächeln, das ich je in meinem Leben gesehen hatte. Postwendend kam die Nachricht von Cassy, dass Taewon live war. Ich antwortete ihr, dass ich es auch schaute.
Cassy: O mein Gott, siehst du dieses Lächeln?! ICH WEINE GLEICH!
Cassy: Wie schön kann ein Mann sein? Taewon: Ja!
Cassy: Lass mich in Seoul sein, biiitteeeee!!
Cassy: Singt er gerade EUPHORIA?! Diese Jungkook Vibes
Cassy: KILL ME NOW
Es war schier unmöglich, mit dem Tippen hinterherzukommen, dank ihr musste ich aber lachen, als nur noch Emojis mit platzendem Kopf kamen. Taewon war Cassys Bias von EXIT und somit ihr unangefochtener Favorit. Lächelnd ermahnte ich sie, dass sie mir weniger schreiben und ihm mehr zusehen sollte. Dann lehnte ich mein Handy gegen den Mixer, um beide Hände für die Pizza freizuhaben. Nachdem ich das Blech ohne verbrannte Finger auf der Arbeitsfläche abgestellt hatte, nahm ich mir ein Stück und setzte mich an den Tisch. Natürlich nicht ohne mein Handy.
„Kannst du bitte Englisch sprechen?“, las Taewon gerade eine Frage auf Koreanisch vor. Er lachte. „Ihr wollt nur meinen australischen Akzent hören“, switchte er ins Englische.
Ein Zwinkern für die Kamera. Das Grübchen in seiner linken Wange hatte gefährliche Ausmaße angenommen und ich schaute ihm zu, wie er über einen Kommentar lachte, während ich meine Pizza aß. Vielleicht mochte es für den ein oder anderen echt traurig aussehen – aber ich war froh, dass ich nicht ganz allein in völliger Stille essen musste. Mom war oft nicht da und trotzdem hatte ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, so viel allein zu sein. An manchen Tagen genoss ich die Ruhe und die Einsamkeit, doch an anderen war es eben genau das – einsam. Also lauschte ich Taewon, der in seinem ziemlich attraktiven australischen Akzent Fragen beantwortete.
Am oberen Displayrand tauchten Nachrichten von Cassy auf.
Cassy: Sollte ich ihm eine Frage stellen?
Cassy: Ja, oder?
Cassy: Es ist eh unwahrscheinlich, dass er sie beantwortet. Weil eine von Tausenden und so.
Cassy: Ach, scheiß drauf! No risk no fun.
Natürlich wurde Cassys Frage, ob EXIT bei der nächsten Tour nach Amerika kommen würde, nicht beantwortet. Taewon erzählte noch von den letzten anstehenden Konzerten in Südkorea, ehe die Band sich eine Pause gönnen wurde. Seit dem letzten Comeback waren sie nonstop bei Terminen für die Promotion des neusten Albums gewesen und hatten direkt im Anschluss eine Tour gestartet, weshalb sie seit Monaten unterwegs waren. Das sah man Taewon allerdings auch an. Er war ungeschminkt, hatte leichte Ränder unter den Augen und sein Englisch war noch akzentreicher als ohnehin schon. Dass er trotzdem für die Fans Live kam, zeigte nur einmal mehr, wie viel diese ihm bedeuteten.
Nach einer halben Stunde verabschiedete er sich dann auch schon wieder, weil er noch Dinge zu tun hatte, wie er so schön sagte. Kein Wunder, es war früher Morgen in Seoul, während es hier noch der Abend vorher war. Die Zeitverschiebung war nervig, vor allem, wenn ich mit meinem Vater telefonieren wollte.
Nachdem ich gegessen hatte, räumte ich das schmutzige Geschirr weg und ging schließlich nach oben in mein Zimmer. Meine schwarze Akustikgitarre blitzte mir entgegen und ich setzte mich mit ihr aufs Bett und fuhr über die Saiten.
Einen kurzen Moment haderte ich, doch dann lehnte ich sie gegen das Bett, stand auf und schaltete mein Ringlicht an. Ich befestigte das Handy am Stativ, strich mir die Haare glatt, ehe ich mich wieder setzte und die Gitarre zur Hand nahm. Dann begann ich „The Truth Untold“ von BTS zu spielen. Koreanische Songs zu singen, half mir dabei, die Sprache nicht zu verlernen. Mit meinem Vater unterhielt ich mich zu selten, als dass mein Koreanisch nicht einrosten würde.
Mit pochendem Herzen und leicht außer Atem beendete ich den Song und die darauf eintretende Stille erdrückte mich beinahe. Diese gewohnte Leere in meiner Brust tauchte sofort auf, als der letzte Laut der Gitarrensaiten verklang. Das Gefühl, stehen zu bleiben, mich in einem Käfig zu befinden, drohte mich zu übermannen und ich schloss kurz die Augen, ehe ich schließlich aufstand und das Video beendete. Sofort kam das schlechte Gewissen, weil ich mich so unfassbar undankbar fühlte. Meine Mom hatte mir während der Schulzeit alles ermöglicht, was irgendwie ging. Sie hatte sich verschuldet, um mir ein gutes Leben zu ermöglichen. Auch wenn Appa uns monatlich etwas an Lebenshaltungskosten überwies, reichte es einfach nicht. Es war das Mindeste, was ich tun konnte, mich hintenanzustellen und sie, wo ich konnte, zu unterstützen.
„Manchmal ist das nur nicht so leicht, was?“, murmelte ich also zu mir selbst und ging ins angrenzende Bad, um mich bettfertig zu machen. Mittlerweile war es schon spät und ich war müde vom langen Tag. Als ich wieder in meinem Schlafzimmer ankam, blinkte eine Benachrichtigung auf meinem Handy auf.
Ich öffnete den Post von Jaemin auf Social Media, um ihn vollständig ansehen zu können.
Erinnerung für heute: Du machst das gut. x
Unweigerlich musste ich lächeln. Er hatte es öffentlich gepostet, einfach so aus dem Nichts und trotzdem gaben mir diese Worte unheimlich viel Kraft.
Genügend, um mit einem besseren Gefühl ins Bett zu kriechen. Ich nahm mir das Buch, in dem ich schon seit mehreren Wochen las, zur Hand, und blätterte die Seite auf, bei der ich stehengeblieben war.
Und für den Moment konnte ich in eine fremde Welt abtauchen, was ich mehr als nötig hatte.
2장 | Taewon
노래: My House
– 2PM
Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen nichts so funktionieren wollte, wie ich es gerne gehabt hätte. Seit geraumer Zeit arbeitete ich an einem Song und wollte endlich mein eigenes Mixtape veröffentlichen, doch mein Kopf war wie leergefegt. Als würde ich keine Inspiration mehr finden, als wäre ein dicker Nebel aufgezogen, der mein Denken beeinträchtigte. Doch es war nicht nur dieser Nebel, der mich hemmte, es war auch der Druck.
Seit wir vor drei Jahren debütiert hatten, arbeiteten wir praktisch pausenlos durch. EXIT war immer bekannter geworden, bis wir letztes Jahr sogar einen eigenen Light Stick bekommen hatten. Damit setzte unser Management nicht nur ein Zeichen dafür, dass es sich mehr von uns versprach und wir uns bisher rentiert hatten, es erhöhte auch unaufhörlich das Gewicht auf meinen Schultern. Wir waren auf dem besten Weg, die erfolgreichste Band des Entertainments zu werden.
Je bekannter wir wurden, desto größer wurden die Erwartungen. Nicht nur die des Managements, sondern auch unserer Fans, den Luvers, die sich schon lange nicht mehr nur auf Südkorea begrenzten.
Doch genau das war es doch, wofür wir – ich – so hart gearbeitet hatten. In der K-Pop-Branche bekannt zu werden, wirklich Fuß zu fassen, war unglaublich schwer und in uns und unser Können wurde so viel Vertrauen gesteckt. Man zählte auf uns. Und wie dankte ich es ihnen? Indem ich einfach Panik bekam. Panik, weil wir von einem Termin zum nächsten hetzten, unsere letzten Konzerte der Tour planten, trainierten, an unserer Musik arbeiteten … und dabei ganz und gar vergaßen, zu atmen.
Die Gedanken beiseiteschiebend starrte ich auf die leere Notizen-App auf meinem Smartphone. Ich stützte meinen Ellbogen auf die Tischplatte, stütze meinen Kopf in die Handfläche. Jedes Mal, wenn ich irgendetwas schreiben wollte, fühlte es sich nicht richtig an, das kribbelnde Gefühl der Aufregung setzte nicht ein – egal, ob in Koreanisch oder Englisch, der Funke sprang einfach nicht über. Chan-Sung und ich waren für die Songs verantwortlich, wir schrieben und produzierten sie. Doch aktuell war ich nicht auf der Höhe und scheinbar zu nichts zu gebrauchen. Ausgerechnet jetzt, wo uns das Management zum ersten Mal nicht in unsere Arbeit reinreden wollte. Seit CEO Kang von Blossom Music unsere Company übernommen und sie zu Blossom Entertainment geworden war, hatten wir freie Hand bei unseren Songs. Vorher war alles von anderen geplant worden, und uns am Ende nur vorgesetzt worden. Nach außen hin sagte man, wir würden uns selbstproduzieren, doch wir spielten im Endeffekt doch nur die Musik, die andere machen wollten.
Müde schloss ich die Augen und fuhr mir über die Stirn. Mein Kopf tat weh. Trotzdem wollte ich den Tag noch nicht beenden. Also stand ich auf, ging aus meinem Studio und die mittlerweile dunklen Flure entlang Richtung Trainingsräume. Ich öffnete die Tür, schaltete das Licht und die Bluetooth-Boxen an. Unentschlossen skippte ich durch die Songs in meiner Playlist und traf schließlich doch meine Wahl. Dann zog ich mir den Pullover über den Kopf und begann mit Einsetzen des Beats zu tanzen.
Das Tanzen half immer. Bis an meine Grenzen zu gehen und neue Schritte auszuprobieren, gaben mir wenigstens für den Moment das Gefühl, als würde ich etwas Produktives und Sinnvolles für die Band tun.
Ich verlor mich völlig in der lauten Musik und konzentrierte mich so auf meine brennenden Muskeln, dass ich erst eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm, als der laufende Song sein Ende fand. Mein Brustkorb hob und senkte sich heftig, Schweiß rann mir die Schläfen hinab, während ich mich herumdrehte.
„Jae-ssi“, begrüßte ich den Maknae der Band und griff nach einem Handtuch, das auf dem Boden lag. „Was machst du hier? Es ist spät.“
„Ich dachte mir, dass du hier bist, als ich die Musik gehört habe.“ Er kam näher und schob die Hände in die Hosentaschen. „Muss ich mir Sorgen machen? In letzter Zeit trainierst du oft noch bis spätabends.“
Ich stoppte den nächsten Song, der bereits anlief, und griff nach meinem Pullover, um ihn wieder überzuziehen. Dann zuckte ich mit einer Schulter und setzte mich auf den Boden. Ich konnte ihm nichts von meinen Zweifeln erzählen, oder? Eigentlich hatten wir innerhalb der Band keine Geheimnisse. Nur deswegen waren wir so weit gekommen: Wir waren wie eine Familie. Wir hielten zusammen. Doch jemanden von meinen Ängsten und Sorgen zu erzählen, fühlte sich undankbar an. Als würde ich wirklich an dem Druck scheitern, als würde ich das, was wir erreicht hatten, nicht wertschätzen.
„Ich will einfach noch besser werden, daran ist nichts verwerflich, oder? Außerdem gehe ich neue Schritte durch, die wir vielleicht nutzen können.“ Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber definitiv auch keine Lüge.
Jae setzte sich mir gegenüber im Schneidersitz auf den Boden. „Du siehst aus, als würde dir viel im Kopf herumschwirren.“
Irgendwie hatten wir uns schon immer auf einer Wellenlänge befunden, weswegen es mich jetzt nicht wunderte, dass er ahnte, dass meine Gedanken zu laut waren.
„Es ist nichts“, erwiderte ich ausweichend und wandte mich von ihm ab.
„Genau. Und deswegen kannst du mich nicht mal ansehen, wenn du das sagst.“ Jae rutschte näher zu mir und stieß mich sacht gegen die Schulter. „Rede mit mir, hyung.“
Ich raufte mir das blondierte Haar. Es war ein Wunder, dass sie mir noch nicht reihenweise abgebrochen oder ausgefallen waren. Nach den Konzerten würde ich ihnen eine Auszeit von dem Färben gönnen, so viel stand fest.
„Bist du glücklich?“ Ich sah ihm direkt in seine dunklen Augen. Noch immer traute ich mich nicht ganz mit der Sprache rauszurücken, doch es kribbelte mir bis in die Fingerspitzen, diese Wahrheit loszuwerden. Bisher hatte ich noch mit niemanden darüber gesprochen, wie ich mich in der letzten Zeit gefühlt hatte. Was, wenn ich das alles einfach einmal rauslassen musste?
Verwirrt runzelte er die Stirn. „Wie meinst du das?“
Wieder zuckte ich mit den Schultern, haderte noch immer damit, meine Gedanken auszusprechen.
„Tae-hyung, rede mit mir. Was ist los?“ Jae lehnte sich zu mir rüber und griff nach meinen Händen.
„Ich meine es, so wie ich es gesagt habe. Bist du glücklich? Ich weiß nicht, ob ich es bin. Wir haben in den letzten Monaten so viel erreicht, aber ich fühle nicht das, was ich denke, fühlen zu müssen. Ich müsste erfüllt von Glück sein, denkst du nicht?“ Ich tippte mir mit der Hand auf die Brust, dort, wo mein Herz schlug. „Ich fühle mich … so leer. Ausgelaugt. Als würde etwas fehlen, dabei habe ich alles, was ich mir je gewünscht habe. Ihr seid da, wir haben Erfolg, für den wir hart gearbeitet haben. Und trotzdem ist da diese Leere in mir und ich fühle mich so verdammt undankbar.“
„Es wird einfach Zeit, dass wir eine Pause haben.“ Jaes dunkle Augen blickten mich direkt an und er drückte meine Hände. „Du bist nicht undankbar, nur weil du an deinen Grenzen ankommst. Wir machen seit Jahren nichts anderes als durchzupowern. Ein Auftritt nach dem anderen, die Tour, Interviews, Shootings, Videodrehs. Jeder von uns ist irgendwann am Ende und glaub mir, ich bin auch froh, wenn wir etwas Freizeit haben, egal wie sehr ich das liebe, was wir tun.“
Ich nickte. Es tat gut, diese Bestätigung von ihm zu bekommen. Und trotzdem füllte sie das Loch in meinem Inneren nicht, was schwer auf mein Herz drückte.
Was war es, das mir so offensichtlich fehlte?
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