Classic Krakauer Classic Krakauer - eBook-Ausgabe
Die besten Reportagen aus drei Jahrzehnten
„Gründlich recherchiert, nah dran.“ - Ruhr Nachrichten
Classic Krakauer — Inhalt
„Ein erstklassiger Journalist“ San Francisco Chronicle
Er gehört zur Crème de la Crème des investigativen Journalismus in Amerika – der Bestsellerautor Jon Krakauer schrieb zahlreiche Reportagen und Essays für Magazine wie The New Yorker, Outside oder das Smithsonian. Dieser Band vereint neun dieser packenden Storys und offenbart das breite Spektrum seiner einzigartigen Berichterstattung. Krakauer versetzt uns in atemberaubende und faszinierende Situationen: in eine dramatische Lawinenkatastrophe am Everest, an den Ort eines drohenden Vulkanausbruchs oder in eine Höhle in Mexiko, in der Bedingungen wie auf dem Mars herrschen. Blendend recherchiert und von mitreißender Lebendigkeit zeugt diese Sammlung von Krakauers Liebe zu wilder Natur und seiner unermüdlichen Suche nach der Wahrheit.
Leseprobe zu „Classic Krakauer“
Einleitung
Meine literarische Karriere begann ich Anfang der 1980er-Jahre als freiberuflicher Autor für die Zeitschriften Outside, Rolling Stone, Smithsonian und eine illustre Mischung weiterer, weniger bekannter Publikationen. Um meine Miete zahlen zu können, musste ich dreißig bis vierzig Aufträge im Jahr ergattern, und das meiste, was ich schrieb, war ziemlicher Schrott. Immerhin gelang es mir, damit ein mageres Auskommen zu finden, und bei der Gelegenheit lernte ich mein Handwerk. Im Jahr 1990 stellte ein kleiner, unabhängiger Verleger ein Dutzend [...]
Einleitung
Meine literarische Karriere begann ich Anfang der 1980er-Jahre als freiberuflicher Autor für die Zeitschriften Outside, Rolling Stone, Smithsonian und eine illustre Mischung weiterer, weniger bekannter Publikationen. Um meine Miete zahlen zu können, musste ich dreißig bis vierzig Aufträge im Jahr ergattern, und das meiste, was ich schrieb, war ziemlicher Schrott. Immerhin gelang es mir, damit ein mageres Auskommen zu finden, und bei der Gelegenheit lernte ich mein Handwerk. Im Jahr 1990 stellte ein kleiner, unabhängiger Verleger ein Dutzend kürzerer Texte, die ich zum Thema Klettern verfasst hatte, zu einem Buch zusammen und veröffentlichte sie unter dem Titel „Auf den Gipfeln der Welt. Die Eiger-Nordwand und andere Träume“. Als Honorarvorschuss erhielt ich 2000 Dollar. Ich war total aus dem Häuschen.
Diese fürstliche Summe reichte jedoch nicht, um mir die Gläubiger vom Leibe zu halten, sodass ich weiterhin wie ein Besessener einen Magazinartikel nach dem anderen produzierte. Einen davon arbeitete ich zu „In die Wildnis“ um, meinem zweiten, 1996 veröffentlichten Buch. Nachdem fünfzehn Monate später mein drittes Buch, „In eisige Höhen“, erschienen war, verfügte ich endlich über die nötigen Mittel, um meine Arbeit für Magazine deutlich zu reduzieren und mich stattdessen weiteren Buchprojekten zu widmen. Es war befreiend, mich über fünf oder sechs Jahre auf ein einziges Vorhaben konzentrieren zu können, anstatt mehrere Aufträge gleichzeitig und innerhalb weniger Monate oder gar Wochen bewältigen zu müssen, nur um ein finanzielles Desaster abzuwenden.
Die meisten kürzeren Texte, die ich in den Jahren zwischen „Auf den Gipfeln der Welt“ und „In eisige Höhen“ verfasste, verschwanden in den Tiefen der Zeit. Nun aber wurden sieben Beiträge von damals sowie zwei weitere Essays jüngeren Datums aufgestöbert und mit der vorliegenden neuen Sammlung „Classic Krakauer“ vor dem Vergessen bewahrt. Danke für Ihr Interesse.
Mark Foos letzter Ritt
35 Kilometer südlich von San Francisco führt der Highway 1 an einer zerklüfteten Landzunge namens Pillar Point vorbei, die sich energisch in den kalten Pazifik hinausschiebt. Es war Freitag, der 23. Dezember 1994, und über dem Küstenabschnitt wurde es Tag. Berghohe Wellen brachen sich an den Felsen und ließen Gischtwolken aufsteigen, die sich träge über die Strände ausbreiteten. Auf dem Wasser am Ende der Landzunge schaukelten in der fahlen Wintersonne etwa fünfzehn Surfer auf und ab, den Blick starr auf die heranrollende Dünung am Horizont gerichtet.
Es war nichts Ungewöhnliches, Surfer in dicken Neoprenanzügen mit Kapuzen vor dem Pillar Point – an jener Stelle, die sie Mavericks nannten – auf ihren riesigen Surfbrettern sitzen zu sehen. Der über ihnen kreisende Helikopter, die drei Boote mit Fotografen direkt vor dem Aufprallbereich der Wellen und der Pulk von Zuschauern am Klippenrand ließen jedoch erkennen, dass es sich um keine der üblichen Surf-Sessions handelte.
Seit über einer Woche waren die gewaltigsten, perfektesten Wellen des vergangenen Jahrzehnts über das Riff am Ende des Pillar Point gedonnert. In der internationalen Surf-Szene hatte sich die Nachricht rasch verbreitet: Bei Mavericks, einem Spot, dessen Wellen seit einiger Zeit zu den höchsten der Welt zählten, ging es ab. Sobald Brock Little, Ken Bradshaw und Mark Foo – ein gefeiertes Trio von Big-Wave-Surfern von den hawaiianischen Inseln – die Nachricht vernommen hatten, brachen sie nach Kalifornien auf, um sich den einheimischen Surfern anzuschließen.
Den meisten der fünf Millionen Surfer auf diesem Planeten waren die Namen und Gesichter der drei Hawaiianer vertraut. Wer von ihnen in der Brandung die Nummer eins war, wurde immer wieder lebhaft diskutiert, doch es bestand kein Zweifel daran, wer auf dem Wasser als der Profilierteste galt.
Mark Sheldon Foo wurde nicht gerade von übermäßiger Bescheidenheit oder Selbstzweifeln geplagt. In seiner Vita beschrieb er sich ganz unverfroren als „lebende Surf-Legende“. Kritiker nannten ihn – unter anderem – großspurig, doch seinem Stil tat das keinen Abbruch. In seinem Adressbuch standen die Telefonnummern der führenden Fotografen der Surf-Szene, Kontakte, die er pflegte und auch nutzte. Mit verblüffender Regelmäßigkeit erschienen in der Presse Fotos von Foo, und im Kabelfernsehen lief eine Surf-Show, die er moderierte.
Foo machte keinen Hehl aus seinem Drang nach Ruhm oder der Strategie, mit der er diesen erlangen wollte: Er würde die größten Wellen der Welt mit unvergleichlichem Wagemut bezwingen – und zwar vor laufender Kamera. An jenem Freitagmorgen jedenfalls waren mehr als genug Kameras vor Ort, um das historische Zusammentreffen von Foo und seinen berühmten Kollegen am Mavericks-Riff zu dokumentieren. Es sollte sich als folgenschweres Debüt für eine bis dahin unterschätzte kalifornische Welle entpuppen.
Trotz der Nähe zu San Francisco und Santa Cruz war Mavericks bis 1990 gänzlich unbekannt. Nur eine gute Handvoll Einheimischer hatte bislang davon gehört, und außer einem einzigen mutigen Menschen – einem Städter namens Jeff Clark – hatte niemand am Riff gesurft. Mit der Zeit aber war immer öfter von jenem mysteriösen Spot in der Nähe von Half Moon Bay die Rede, wo sich gewaltige, alles zermalmende Wasserwalzen bildeten, die so hoch waren, dass man mit einem Bus hätte durchfahren können. Den Gerüchten zufolge waren sie mindestens genauso groß und noch hohler als die berühmten Wellen, die in der Waimea Bay auf Hawaii, dem „Mount Everest“ des Surfens, an Land donnerten. Außerdem haftete dem Mavericks-Riff ein Mythos an, der jenen der berüchtigten Waimea Bay im Vergleich geradezu harmlos wirken ließ. Ben Marcus beschrieb Mavericks 1992 in einem Artikel für die Zeitschrift Surfer als „unheimlich, abgeschieden, durch und durch böse. Das Riff ist von tiefem Wasser umgeben und allem, was sich oberhalb und unterhalb der Wasseroberfläche des Pazifik findet, schutzlos ausgeliefert: der Aleuten-Dünung, Winden aus Nordwest, Stürmen aus Südost, eisigen Strömungen, wild gewordenen See-Elefanten und noch übleren Kreaturen, die wild gewordene See-Elefanten mit einem Happs verschlingen.“ An der Wand eines Angelgeschäfts in Pillar Point Harbor klebt ein vergilbter Zeitungsartikel über einen Fischer aus dem Ort, der an einem einzigen Tag drei große Weiße Haie aus den umliegenden Gewässern gezogen hat.
Wie es der Zufall wollte, blieb die Höhe der Wellen an jenem Freitagmorgen jedoch zunächst einmal weit unter den überzogenen Erwartungen der anwesenden Surfer und der versammelten Presse. Entsprechend war auch keiner der drei erfahrenen Waimea-Surfer besonders beeindruckt oder eingeschüchtert von dem, was er sah, als er zum Line-up hinauspaddelte, der Zone, wo die Surfer auf eine geeignete Welle warten. Die sagenhafte Brandung der vorangegangenen Woche war leicht abgeflaut. Die vielen Menschen im Wasser und oben auf den Klippen vermittelten ein ungewohntes Gefühl der Sicherheit. „Es war fast ein bisschen enttäuschend“, erklärt Bradshaw. „Nur wenige große Sets liefen herein, aber nichts wirklich Großes. Wir hatten viel Spaß da draußen, aber mehr auch nicht.“
Kurz vor Mittag jedoch zeigte Mavericks plötzlich sein wahres Gesicht. Von der Tribüne auf den Klippen schrie irgendwer: „Set!“ Eine ganze Reihe verdächtiger schwarzer Linien rauschte mit einer Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern auf das Riff zu. Rund 800 Meter vor der Küste sah Bradshaw die herannahende Dünung und brachte sich in Position.
Die erste Welle des Sets ließ er unter sich durchrollen, dann begann er entschlossen, auf die nächste zuzupaddeln. Die Woge baute sich aus dem tiefen Wasser auf und rauschte über das Riff, wobei sie Dimensionen annahm, die mit denen einer Leinwand im Autokino vergleichbar waren. Einen Herzschlag lang schien sie innezuhalten, wie um ihre Kräfte zu bündeln, und begann dann, sich zu überschlagen. Während Bradshaw die noch ungebrochene Oberfläche der anschwellenden Welle durchschnitt, sah er, wie Foo – sein Freund und langjähriger Gegenspieler – nur wenige Meter vor ihm und ein Stück weiter rechts dieselbe Welle ansteuerte.
Den ungeschriebenen Gesetzen des Surfens zufolge stand die Welle Bradshaw zu, weil er sich tiefer darin befand, also ihrem Scheitelpunkt am nächsten war. Von diesem „Peak“ aus würde sie sich jeden Moment überschlagen und Richtung Küste rollen. „Vielleicht war ich ja auch schon ein bisschen zu tief drinnen“, überlegt Bradshaw, „und weil ich erkannte, wie wild entschlossen Mark war, entschied ich mich dafür, auszusteigen und sie ihm zu überlassen.“ Bradshaw brach das Manöver ab und setzte sich rittlings auf sein Brett, um mit den Beinen abzubremsen. Die Welle bäumte sich zu voller Größe auf und glitt dann unter ihm durch. In dem kurzen Augenblick, als Bradshaw auf dem sich überschlagenden Wellenkamm balancierte, sah er, wie Foo kraftvoll die Oberfläche der Welle entlangstrich, bereit, jeden Moment aufzuspringen und sich in die ideale Position zu bringen, um die Welle zu erwischen. Die Motoren der mehr als zwölf Kameras – allesamt auf Foo gerichtet – begannen zu surren. Es war das letzte Mal, dass Bradshaw Foo lebend zu Gesicht bekam.
Die meisten Menschen sehen im Surfen – ob berechtigterweise oder nicht – eine sommerliche Freizeitbeschäftigung abhängender Halbwüchsiger. Das Big-Wave-Surfen hingegen hat mit Spiel und Spaß am Strand kaum etwas gemeinsam. Die damit verbundenen Risiken und Herausforderungen verleihen dieser Aktivität vielmehr eine ernsthafte Zielsetzung, wenn nicht sogar eine gewisse Erhabenheit.
Nicht einmal hundert Menschen weltweit verfügen über die Balance und die Reflexe, die nötig sind, um sich in den Rachen einer zwölf Meter hohen Welle zu werfen und aufrecht stehend wieder herauszukommen. Mit der Höhe einer Welle steigt exponentiell auch ihre Masse und ebenso die Kraft, die freigesetzt wird, wenn sie bricht. Der Unterschied zwischen einem Ritt auf einer mannshohen Welle (dem obersten Limit der meisten Wellenreiter) und dem auf einem hohlen, sich überschlagenden Zwölf-Meter-Monster lässt sich in etwa mit dem Unterschied zwischen einer Autofahrt mit einer Geschwindigkeit von sechzig oder aber von 200 Stundenkilometern vergleichen.
Ab einer Wellenhöhe von elf oder zwölf Metern beginnt das Big-Wave-Surfen laut Bradshaw „interessant zu werden“. Nicht dass er oder irgendein anderer Surfer, der etwas auf sich hält, jemals von einer Elf-Meter-Welle als Elf-Meter-Welle sprechen würde. Big-Wave-Surfer verwenden, was derartige Angaben betrifft, ein geheimnisvolles, durch gnadenlose Untertreibung gekennzeichnetes System, an dem sie strikt festhalten und bei dem einer Welle in der Regel nur die Hälfte ihrer tatsächlichen Dimensionen zugeschrieben wird. Misst sie vom Wellental bis zum Scheitelpunkt beispielsweise elf Meter, so spricht man von einer Fünf-Meter-Welle (oder vielleicht einer Sechs-Meter-Welle, falls der Surfer, der sie einzuschätzen versucht, nicht von Hawaii, sondern aus Kalifornien stammt und zu wilden Übertreibungen neigt).
Das Big-Wave-Surfen entstand im Jahr 1957 an der North Shore der hawaiianischen Insel Oahu. Greg Noll war damals der Erste, der eines der legendären Ungeheuer der Waimea Bay bezwang. Eine Handvoll anderer Surfer folgte seinem Beispiel, und von da an fand sich die Bruderschaft der Big-Wave-Jünger Jahr für Jahr im November zeitgleich mit der Ankunft des Aleutian Juice – der starken Dünung aus dem Golf von Alaska – hier ein. Im Lauf der folgenden 25 Jahre blieb die Szene eine enge, eingeschworene Gemeinschaft, die von der sporadischen Aufmerksamkeit ihrer Umwelt weitgehend unbeeinträchtigt blieb. Ihre Kultur war von erbitterten Konkurrenzkämpfen und purem Machismo gekennzeichnet, und dennoch ging es den meisten der Jungs letztendlich nur darum, innerhalb der Gruppe Eindruck zu schinden.
Etwa 1983 sollte sich das schlagartig ändern. Im Winter jenes Jahres war die Brandung an der North Shore besonders stark und die Wellenfrequenz ungewöhnlich hoch. Zugleich erkannte man das finanzielle Potenzial der beeindruckenden Fotografien, die im Kielwasser der Saison entstanden und veröffentlicht worden waren. Nachdem die meist in Kalifornien ansässigen Surf-Magazine sich lange mit exzentrischen Manövern auf eher kleinen Wellen und der entsprechenden Beach-Punk-Attitüde der Szene beschäftigt hatten, wandten sie sich nun immer mehr der puristischeren, elementareren Herausforderung des Big-Wave-Surfens zu.
Waimea und Todos Santos – ein weniger bekannter Surf-Spot vor der mexikanischen Stadt Ensenada – rückten zunehmend in den Blickpunkt der Herausgeber, und die amerikanischen Konzerne entdeckten das enorme Vermarktungspotenzial der großen Wellen. Die Marketing-Entscheider begriffen, wie gut sich heroische Bilder von Männern, die gigantischen Wellen die Stirn boten, dazu eigneten, ein Produkt abzusetzen. Damit war es einem erfolgreichen Surfer mit einem Mindestmaß an Medienwirksamkeit plötzlich möglich, sich mit den großen Wellen von Waimea ein bescheidenes Einkommen zu verdienen.
Ebenfalls im Jahr 1983 stieß Mark Foo zu der Szene in der Bucht. Aufgrund seiner dreisten Selbstvermarktung und absoluten Unerschrockenheit machte er schon bald von sich reden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Surfer die großen Wellen mit Vernunft und Geradlinigkeit angegangen, die in der Regel dafür sorgten, dass sie am Leben blieben. Foo führte einen schrilleren Stil ein und stürzte sich mit derselben Hemmungslosigkeit in die Riesen von Waimea, wie er sie beim Ritt auf kleineren Wellen unter Beweis stellte. „Mark war bei der Jagd auf große Wellen immer etwas ehrgeiziger als die meisten anderen Jungs hier draußen“, sagt sein Freund Dennis Pang, ein angesehener Surfer und Board-Designer von der North Shore. „Er ging zweifellos ein höheres Risiko ein.“
Die Gemeinschaft der Big-Wave-Surfer quittierte eine gewisse Unverfrorenheit schon immer mit großem Respekt, wobei jedoch sehr genau zwischen Mut und Leichtsinn unterschieden wird. Letzterer gilt als kook behaviour, als „idiotisches Verhalten“, im Wortschatz der Surfer eine der übelsten Schmähungen. Auch Foo wurde von manchen seiner Kontrahenten als kook bezeichnet, doch seine überwältigenden Leistungen auf dem Wasser sorgten dafür, dass solche Verunglimpfungen ihm nichts anhaben konnten. Schon nach kurzer Zeit begeisterte Foo mit seinem unorthodoxen Surf-Stil eine ganze Horde neuer Big-Wave-Surfer.
Über das Risiko, das er dabei einging, sagte Foo: „Wer die ultimative Welle reiten will, muss bereit sein, den ultimativen Preis dafür zu bezahlen.“ Er wiederholte dieses Motto so oft und gegenüber so vielen Menschen, dass es zum geflügelten Wort wurde. Engen Freunden gegenüber äußerte er auch die feste Überzeugung, dass er früh sterben werde. Die meisten seiner Bekannten, die sein Faible für melodramatische Ankündigungen nur allzu gut kannten, nahmen solche Äußerungen nicht ernst und lachten eher darüber.
Es ist einen Monat her, seit Mark Foo ertrunken ist. Ein paar Häuserblocks von dem entfernt, was man als Zentrum von Half Moon Bay bezeichnen könnte, steht Jeff Clark in seiner Werkstatt und hängt seinen Erinnerungen an die Tragödie nach. Auch er war an jenem Freitagvormittag draußen auf dem Meer und mit der Elite der Big-Wave-Surfer unterwegs. Als derjenige, der die Aufmerksamkeit der Surf-Szene überhaupt erst auf Mavericks lenkte, wird er das Gefühl nicht los, irgendwie mitverantwortlich für den Tod eines seiner persönlichen Idole zu sein.
Er beendet seine düsteren Grübeleien, wirft einen Blick auf einen an die Wand gepinnten Bestellzettel und schaltet seine Hobelmaschine ein. Knöcheltief in einem Haufen sauberer weißer Schaumstoffspäne stehend, schneidet er breite Streifen aus der unförmigen Polyurethanplatte, bis allmählich die schlanken Kurven eines Big-Wave-Boards erkennbar werden.
Früher bezeichnete man sie als „Nashornjäger“ oder „Elefantenbüchse“. Ihre außergewöhnliche Länge und die speerartigen Proportionen haben schon immer reichlich Stoff für Fachsimpeleien geboten. Doch manchmal – wie Freud es vermutlich ausgedrückt hätte, wenn er gesurft wäre, anstatt Zigarren zu rauchen – ist ein Surfbrett eben auch nur ein Surfbrett. Große Wellen brechen mit einer beachtlichen Geschwindigkeit. Will man eine von ihnen erwischen, um noch vor der sich überschlagenden Lippe der Welle ihre Oberfläche zu durchschneiden, benötigt man ein Brett, mit dem man sehr schnell paddeln kann, das also eine möglichst lang gestreckte Wasserlinie aufweist. Die extreme Länge verleiht dem Brett außerdem die nötige Stabilität, damit man trotz aufgewühlter Wasseroberfläche mit hohem Tempo agieren kann. Niemand, der halbwegs bei Verstand ist, würde eine Welle von sechs Metern Höhe oder mehr anpaddeln, wenn sein Brett nicht mindestens eine Länge von zwei Meter neunzig hat.
Nachdem Clark die eine Seite des Surfbretts grob bearbeitet hat, hält er inne, mustert sein halb fertiges Werk, legt dann den Hobel beiseite und wischt sich die Schaumstoffspäne von Armen und Schultern. „Wissen Sie was“, seufzt er. „Irgendwie habe ich heute keine rechte Lust. Mir geht zu viel im Kopf rum. Schauen wir uns stattdessen doch mal Mavericks genauer an.“
Clark ist 38 Jahre alt, ein wortkarger, kräftig gebauter Mann mit eisblauen Augen. Sein ungekämmtes Haar ist steif vom Salz seiner morgendlichen Surf-Session. Seit er neun ist, hat er noch nie mehr als acht Kilometer entfernt von Mavericks gelebt.
Mavericks liegt hinter den hohen Uferklippen verborgen und ist vom Highway aus nur dann zu sehen, wenn man genau weiß, wo man danach Ausschau halten soll. Der Erste, der das Riff entdeckte, war Alex Matienzo, ein Surfer aus San Francisco. Im Jahr 1962 paddelte er auf einer niedrigen Dünung hinaus und ritt auf ein paar kraftlosen Walzen über das innere Riff. Er gab dem Spot den Namen seines Schäferhundes Maverick, der ihn beim Surfen immer mit ins Wasser begleitete.
Clark hatte bereits als Teenager mit dem Gedanken gespielt, eines Tages Mavericks zu surfen. Winter für Winter beobachtete er, wie die dicken, weit aufklaffenden Walzen am Ende des Pillar Point vorbeirollten, und fragte sich, weshalb niemand dort surfte. Im Winter 1974/75 paddelte er allein hinaus, um sich Mavericks genauer anzusehen, erwischte mit seinem zwei Meter zwanzig langen Brett – dem längsten, das er damals besaß – fünf stattliche Wellen und wurde so zum ersten Menschen, der Mavericks surfte, wenn es am Riff abging.
Clark konnte keinen der anderen dazu überreden, mit ihm hinauszupaddeln. Zu groß erschienen ihnen die Wellen, zu bedrohlich die Bedingungen am Riff. So ritt er die nächsten fünfzehn Jahre weiterhin allein auf den Wellengipfeln von Mavericks. Es hätte ihn durchaus gereizt, den Spot auch anderen Surfern zu eröffnen, ihnen seine Entdeckung zu zeigen, doch die Einsamkeit störte ihn nicht weiter. „Ich habe so viel Zeit allein dort draußen verbracht“, erklärt Clark, „dass ich irgendwann fast schon unbewusst spürte, wie die Wellen brechen würden.“ Tag für Tag und Jahr um Jahr beobachtete er jede Nuance des Windes, der Gezeiten und der Dünung und dokumentierte alles im Geiste.
Es machte Clark nichts aus, wenn die Bedingungen mäßig waren. Es war ihm egal, wenn er von einer Welle vom Brett gewaschen wurde, es im Wasser verloren ging und er die weite Strecke zurück an den Strand schwimmen musste. „Diese immense Kraft zu erfahren, zu spüren, wie klein man ist …“, schwärmt Clark. „Da draußen zu sein macht mich echt high.“
Obwohl Clark ein außergewöhnliches Talent zum Surfen hat, reichte es nie aus, um mit gnadenlos harten Profi-Wettbewerben ein Einkommen bestreiten zu können. Er bewunderte Foo ungemein, umso mehr, da dieser bewiesen hatte, dass es sehr wohl möglich war, mit dem Big-Wave-Surfen Karriere zu machen. Foos Tod – und die Tatsache, dass er am Mavericks-Riff ertrank – erschütterte Clark zutiefst. Es war für ihn fast so, als hätte sich der American-Football-Profi Joe Montana die Ehre gegeben, ihn zum gemeinsamen Abendessen zu besuchen, nur um dann an einem Hühnerknochen zu ersticken. „Als ich dazukam, hatten sie ihn gerade gefunden“, sagt Clark mit starrem Blick. „Ich habe gesehen, wie er in seinem Neoprenanzug auf dem Hinterdeck des Bootes lag – ich konnte einfach nicht glauben, dass es Mark war.“
Clark steigt die Treppe zu seiner kleinen Wohnung im zweiten Stock hinauf, greift nach einem Fernglas und geht voraus auf die Terrasse. Wenn er ganz in der einen Ecke steht und sich über das Geländer beugt, kann er bis zum Cabrillo Highway und zu einem schwarzen Stück Meer hinüberschauen. Von hier oben hat er einen freien Blick auf Mavericks, rund acht Kilometer die Küste aufwärts. Durch sein 10x50-Fernglas sieht er, wie hoch über den sägezahnförmigen Felsnadeln an der Spitze des Pillar Point alle paar Minuten eine Gischtfontäne emporschießt.
„Die Dünung wird stärker“, bemerkt er, und in seiner Stimme ist ein unerwarteter Anflug von Erregung zu erkennen. „Wahrscheinlich geht es am Riff zur Sache, wenn am Nachmittag Ebbe ist.“
Das äußere Riff, ein überspültes Felsplateau, das sich unvermittelt vom Meeresgrund erhebt, liegt rund sechs Meter unter der Wasseroberfläche verborgen. Wogen von weniger als drei oder dreieinhalb Metern Höhe rollen darüber hinweg, ohne sich zu überschlagen. Sobald aber die Winterstürme eine konzentrierte Tiefdruckzelle die Sturmbahn entlangtreiben und beginnen, gewaltige, in großen Abständen aufeinanderfolgende Wogen vor sich herzuschieben, klebt Clark mit dem Ohr am Radio und verfolgt die Wetterprognosen des amerikanischen Wetterdienstes NOAA mit den Bojenberichten. Wenn die Dünung dann pulsierend auf das Land zuläuft, ist das Erste, worauf sie nach ihrer über 3000 Kilometer langen Reise über das offene Meer trifft, das Mavericks-Riff. Wie ein Skispringer, der von der Schanze in die Luft katapultiert wird, schießt Welle um Welle an der Außenseite des Riffs in die Höhe.
In Kalifornien gibt es angeblich mehr als eine Million Surfer. Man darf sich also durchaus fragen, weshalb es so lange gedauert hat, bis zumindest ein paar von ihnen merkten, dass sich direkt vor ihrer Nase Wellen überschlugen, die zu den größten weltweit zählen. Es ist keineswegs so, dass Clark versucht hätte, sein Wissen für sich zu behalten. „Ich hätte gern jemanden gehabt, der hier mit mir surft“, erklärt er. „Ich habe etlichen Leuten erzählt, was für eine erstklassige Welle Mavericks ist, aber weil die Info von einem wie mir kam, haben die meisten nichts drauf gegeben.“
Es gibt etliche geniale Surfer in San Francisco und noch mehr in Santa Cruz, doch ihre Provinzialität verstellte ihnen den Blick. Damals war es für die Größen von Ocean Beach und Steamer Lane schlichtweg undenkbar, dass ein unbekannter Surfer aus einem Nest wie Half Moon Bay eine neue Welle entdeckt haben könnte, die ihre Beachtung verdiente.
Erst im Jahr 1990 begannen auswärtige Surfer aufzuhorchen und Notiz von Mavericks zu nehmen. Am 22. Januar traf eine Dünung von historischen Ausmaßen aus nordwestlicher Richtung auf die gesamte Länge der kalifornischen Küste. Jeff Clark war in die Stadt gefahren, wo er bei einem Bauprojekt beschäftigt war, doch als er im Radio die Bojenberichte hörte, ließ er sofort alles stehen und liegen und machte sich auf den Weg zum nahe gelegenen Ocean Beach. Auf dem Parkplatz begegnete er zufällig zwei berühmten Surfern aus Santa Cruz, Dave Schmidt und Tom Powers.
Die Brandung am Ocean Beach war so stark, dass die üblichen Messgeräte nicht mehr ausreichten, ihre Dimensionen zu erfassen. Unbezwingbare, neun Meter hohe Sets von Wellen, die auf ihrer gesamten Länge gleichzeitig brachen, donnerten mit voller Wucht ans äußere Riff. Jetzt dort hinauszupaddeln wäre reiner Selbstmord gewesen. Clark erzählte den beiden anderen, dass er eine Stelle kenne, wo es noch höhere, perfektere Wellen gebe. Powers und Schmidt waren skeptisch, fuhren aber dennoch mit Clark nach Half Moon Bay.
Clark führte sie zum Steilufer nördlich des Pillar Point hinauf und zeigte ihnen von dort aus das Mavericks-Riff, als gerade ein Set dort durchrauschte. „Dave fiel die Kinnlade herunter“, erinnert sich Clark, „und er sagte: ›Wahnsinn! Das hier ist ja Waimea!‹ Und dann rannte er hin und her, immer wieder, schaute sich die Wellen an und sagte: ›Das ist echt krass! Ich glaub’s einfach nicht! Das hier ist Waimea!‹“ Voll angespannter Erwartung paddelten die beiden Neuankömmlinge gemeinsam mit Clark zum Riff hinaus. Als der Tag zu Ende ging, hatte Schmidt sechs Wellen erwischt, Powers zwei, und beide waren tief beeindruckt von Clarks Darbietung.
Einmal war Clark gestürzt, als er sich in einer weit geöffneten Walze in die Tiefe fallen ließ; die Lippe der Welle traf ihn mit voller Wucht, als sie brach, und er wurde so lange unter Wasser gedrückt, dass er sich ernsthaft fragte, ob seine Luft reichen würde, um jemals wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. Doch alle drei überlebten die Session, und als sie schließlich aus dem Wasser stiegen, waren die beiden Surfer aus Santa Cruz zu Mavericks-Jüngern geworden.
Im Lauf der folgenden zwei Winter tauchten einige der unerschrockensten Surfer Kaliforniens am Riff auf, um mit eigenen Augen zu sehen, was wirklich an den Geschichten über Mavericks dran war. Die meisten, die bereits in Waimea gesurft waren, befanden einstimmig, dass die kalifornische Welle ebenso groß und gewaltig war wie die Wellen an der North Shore – aber auch darüber, dass ein Fehler hier weitaus schlimmere Konsequenzen hätte. Das Wasser ist siebzehn Grad kälter als auf Hawaii, was enorm viel Kraft kostet, zu Muskelkrämpfen führt und die Zeitspanne, in der man die Luft anhalten kann, drastisch verkürzt. Zudem ist es zwingend erforderlich, einen Neoprenanzug zu tragen, der den Surfer in seiner Bewegungsfreiheit einengt und durch seine Auftriebseigenschaften das Durchtauchen von Wellen in der Impact Zone – also dem Bereich, wo die Lippe der Welle nach dem Brechen auf die Wasseroberfläche trifft – erschwert.
Was das Surfen am Mavericks-Riff jedoch besonders respekteinflößend macht, sind die Felsen. Die äußerste Spitze der Landzunge ist so stark zerklüftet, dass jeder, der einen Drop vermasselt und schon gleich beim Hineinfahren in die Welle auf die Schnauze fällt, Gefahr läuft, in den „Friedhof“ geschwemmt zu werden, einen Haufen schroffer, lastwagengroßer Felsbrocken, gegen die ihn jede eintreffende Welle schleudern würde, und zwar mit voller Wucht.
Auch Clark hat schon mehrmals auf ziemlich brutale Weise Bekanntschaft mit dem „Friedhof“ gemacht. Er sagt: „Bevor man rauspaddelt, sollte man sich wirklich gut überlegen, wie das Worst-Case-Szenario aussehen würde und ob man wirklich bereit ist, sich darauf einzulassen. Fehler rächen sich am Mavericks-Riff mehr als anderswo. Ich habe da draußen schon einige üble Dinge miterlebt.“
Der Flug von Honolulu hatte die ganze Nacht gedauert. Die Sonne war bereits aufgegangen, als Ken Bradshaw das Mietauto auf dem von Spurrillen durchzogenen Parkplatz am Pillar Point zum Stehen brachte und er und Mark Foo mit steifen Gliedern ausstiegen. Die beiden waren ein ungewöhnliches Paar: Bradshaw, ein bulliger Typ mit der Statur eines Tight End und markanten, typisch amerikanischen Zügen, überragte den nur 1,73 Meter großen Foo, der den gleichmütigen Gesichtsausdruck eines konfuzianischen Priesters hatte, um ein gutes Stück. Noch ungewöhnlicher aber war die Tatsache, dass die beiden als enge Freunde hierhergekommen waren, hatten sie doch seit jeher als erbitterte Rivalen gegolten.
Foo war 36, also fünf Jahre jünger als Bradshaw. Er hatte immer noch die drahtige Figur eines Fliegengewichtlers, doch seine Kinnpartie war nicht mehr ganz so straff wie früher, und die Fältchen um seine Augen waren unübersehbar. Die 26 Jahre in der Brandung hatten ihre Spuren hinterlassen.
Foo war in Singapur als Sohn chinesischstämmiger Eltern zur Welt gekommen und hatte die meiste Zeit seiner Kindheit im Großraum Washington, D. C., verbracht, wo sein Vater für die US-amerikanische Behörde für Öffentlichkeitsarbeit und Diplomatie arbeitete. Erst als Foo zehn Jahre alt war und die Familie nach Hawaii umzog, lernte er schwimmen und dann surfen, doch in dem Moment, als er diese Sportart kennenlernte, stand für ihn fest, dass er das Surfen zu seinem Lebensinhalt machen würde.
1970 wurde sein Vater nach Washington zurückbeordert, und die Familie ließ sich im miefigen Maryland nieder, ein Umzug, mit dem der eigenwillige Zwölfjährige nicht zurechtkam. Zwei Jahre nach seiner Ankunft an der Ostküste zog Foo zum großen Entsetzen seiner Familie von zu Hause aus, um sich in Florida einen Namen als Surfer zu machen. „Brave chinesische Jungen wollten keine Surfer werden“, sagt Sharlyn Foo-Wagner, Marks ältere Schwester. „Meiner Mutter wäre es lieber gewesen, wenn er Anwalt oder Arzt geworden wäre, wie unser Bruder Wayne.“
Sharlyn zufolge wuchsen die drei Geschwister in gesicherten Verhältnissen auf und in einer Familie, die sich eher an den Werten des amerikanischen Mainstreams als an jenen der chinesischen Tradition orientierte. „Unser Dad war letztlich ein typischer mittelamerikanischer, distanzierter, arbeitssüchtiger Vater. Unsere Mutter war willensstark und unabhängig, eine Feministin der alten Schule.“ Was auch immer der Grund dafür gewesen sein mag, alle drei Geschwister waren, in Sharlyns Worten, „von frühester Kindheit an echt krass drauf“.
Mit siebzehn war Mark schließlich an der North Shore von Oahu gelandet, dem unbestrittenen Dreh- und Angelpunkt des gesamten Surfer-Universums, wo er sich entschlossen in die ersten großen Wettbewerbe stürzte. Zunächst waren seine Leistungen vielversprechend, doch als er 1982 immer noch nicht mehr erreicht hatte als den 66. Platz in der Weltrangliste der Profi-Surfer, musste er wohl oder übel akzeptieren, dass er niemals ein Star auf dieser Bühne werden würde.
Foos Entscheidung, nicht weiter bei Profi-Turnieren anzutreten, sondern sich stattdessen darum zu bemühen, sein Konterfei publik zu machen, sollte sich als geschickter Schachzug erweisen. Wie sich zeigte, besaß er tatsächlich das nötige Talent für dieses Vorhaben. Er knüpfte enge Kontakte zu den besten Fotografen der Surf-Szene, wovon beide Seiten profitierten, und schaffte es so ein halbes Dutzend Mal auf die Titelblätter der zwei großen Surf-Magazine – öfter als die Weltmeister, die ihn bei den Wettbewerben links liegen gelassen hatten.
Seine Allgegenwart in Magazinen, Videos und im Fernsehen brachten ihm mehrere Werbeverträge mit Unternehmen ein, die mit der Surf-Szene in Verbindung standen und ihm als Werbeträger für ihre Produkte ein eher bescheidenes Honorar zahlten. Einmal konnte er einen Sponsoring-Vertrag mit der Brauerei Anheuser-Busch aushandeln, doch wirklich reich wurde Foo nie. Als Freiberufler, der außerhalb der Profi-Strukturen agierte, verdiente er kaum mehr als 30 000 Dollar im Jahr, doch immerhin erlaubte ihm das, zu surfen, wo und wann er wollte. Das reichte aus, um ihm die dauerhafte Feindschaft missgünstiger Kollegen einzutragen.
Manche Surfer überhäuften Foo mit Kritik an seinem zielgerichteten Streben nach Öffentlichkeit. Er surfe nur, schimpften sie, solange eine Kamera auf ihn gerichtet sei. Doch er reagierte erstaunlich gelassen auf derartige Schmähungen und setzte seinen Versuch, als Surfer berühmt zu werden, mit ungebrochenem Eifer fort. „O ja, Bruddah Mark liebte es, fotografiert zu werden“, sagt Dennis Pang, einer von Foos langjährigsten und engsten Freunden, mit einem Lachen. „Er hat ganz schön was auf die Mütze gekriegt deswegen, aber das hat ihn nicht gejuckt.“
1983 surfte Foo zum ersten Mal in der Waimea Bay. Unbeeindruckt von ihrem mythischen Ruf ging er die gewaltigen Wellen mit einer solchen Unerschrockenheit an, dass der alten Garde der Surfer nichts anderes übrig blieb, als seine Leistung neidisch zur Kenntnis zu nehmen. Im Januar 1985 startete Foo in eine Waimea-Welle, die angeblich mehr als achtzehn Meter hoch war und damit größer als alle Wellen, die er je bezwungen hatte. Er stürzte vom Wellenkamm aus, überschlug sich und wurde unter Wasser gedrückt. Die Wucht der über ihm brechenden Lippe zerschmetterte Foos Surfboard und beutelte ihn wie einen Putzlumpen in der Wäscheschleuder, doch dann tauchte er unversehrt wieder auf und wurde sofort von einem Rettungshubschrauber aus der Aufprallzone geborgen.
Obwohl er die Welle nicht einmal annähernd bezwungen hatte, zögerte Foo nicht, Berichte über seinen Versuch an Magazine in der ganzen Welt zu schicken. Die Artikel, die daraufhin erschienen, festigten sein Renommee als Big-Wave-Guru. In einem kurz danach geführten Interview behauptete Foo: „Was die Performance angeht, glaube ich, dass es niemanden gibt, der die Waimea-Wellen besser surft als ich.“
Ken Bradshaw, damals der amtierende Großmeister von Waimea, teilte Foos Ansicht nicht. Bereits neun Jahre bevor Foo auch nur den großen Zeh ins Wasser der Waimea Bay getaucht hatte, war er hier gesurft, und die Vermessenheit und Großtuerei seines Kollegen – sein fehlender Respekt – ärgerten ihn. Foo wohnte nicht weit von Bradshaw entfernt, nur ein Stück weiter den Kam Highway hinunter, und die beiden Surfer begegneten einander oft, im Wasser ebenso wie an Land. Je länger Foos kometenhafter Aufstieg anhielt, umso angespannter verliefen die Begegnungen der beiden Surfer.
Einen Tiefpunkt erreichte ihre Beziehung im Jahr 1987, am Morgen eines großen Surf-Wettbewerbs am Sunset Beach. Pang erinnert sich, was während der Aufwärmphase vor Beginn des Wettkampfs geschah: „Mark kam Bradshaw immer wieder in die Quere und schnappte ihm die Wellen weg. Irgendwann rastete Kenny aus. Er folgte Mark in die Walze und begann auf ihn einzuschlagen, ihn unterzutauchen und unter Wasser zu halten. Richtig verletzt hat er ihn zwar nicht, aber er machte ihn vor den besten Surfern der Welt lächerlich. Als Mark zurück an den Strand kam, rief er mich sofort an und erzählte mir, wie erschüttert er über all das sei. Immerhin kam er ziemlich schnell über die Geschichte hinweg. Schon ein paar Tage später war es, als sei nichts geschehen. Mark hat sich von solchen Dingen einfach nicht beirren lassen.“
Hand in Hand mit Foos unglaublichem Elan ging die Tatsache, dass er ein unverbesserlicher Optimist war. Er war davon überzeugt, dass es seine Bestimmung war, auf gigantischen Wellen Großartiges zu leisten. Wenn es draußen auf dem Meer brenzlig wurde, half ihm sein Glaube an das Schicksal, die nötige innere Ruhe und gedankliche Klarheit zu bewahren. Foo war ein gläubiger Mensch; in der tosenden Brandung war er sich der wilden Gegenwart des Allmächtigen so bewusst wie nirgendwo sonst, er konnte sie förmlich in seinem Rachen schmecken.
Obwohl Foo monoman und egozentrisch war, zeigte er sich gelegentlich, wenn es ihm gerade gefiel, auch als außergewöhnlich sympathischer, ja sogar regelrecht geselliger Typ. Seine Leidenschaft und kindliche Begeisterung hatten zweifellos auch etwas Gewinnendes. Mindestens fünf Menschen bezeichneten ihn als ihren besten Freund. „Entweder man mochte Mark sehr“, sagt Sharlyn, „oder man mochte ihn überhaupt nicht. Gleichgültig stand ihm niemand gegenüber.“
Trotz all der Verwegenheit, die Foo auf dem Wasser an den Tag legte, ließ er sich doch nie so ganz in die machistische Schablone der Big-Wave-Bruderschaft pressen. Zu bereitwillig sprach er über seine innersten Gefühle und enthüllte seine emotionalen Schattenseiten. Er scheute sich nicht, auch mal seine sensible Seite zu zeigen. Es gab etliche Frauen, die Foo verfielen. Er überhäufte seine Schwester und seine Mutter mit leidenschaftlichen, rührseligen Briefen. „Mark und ich standen uns so nahe“, erklärt Sharlyn, „dass manche Leute unser Verhältnis für etwas seltsam hielten.“
In der Woche, bevor er zum Mavericks-Riff flog, verlobte Foo sich mit der 28-jährigen Lisa Nakano. „Er liebte Lisa wirklich“, sagt Allen Sarlo, einer von Foos engsten Freunden. „Und seine Mutter stimmte der Verbindung zu, was Mark sehr viel bedeutete.“
Sarlo schweigt ein paar Sekunden lang, dann fährt er fort: „Was die ganze Sache so schwierig macht, ist, dass sein älterer Bruder, Wayne, vor zwei Jahren starb, kurz nachdem er mit dem Medizinstudium fertig geworden war, und sein Dad ungefähr vor drei Jahren. Und neulich hat Mark seiner Mutter noch in einem Brief geschrieben, er liebe sie so sehr, dass er sich nicht vorstellen könne, jemals ohne sie zu leben, und dass er vor ihr sterben wolle. Marks Tod war für sie wirklich eine Katastrophe.“
„Krakauer schreibt schnörkellose, extrem detailgenaue Reportagen, deren Spannung von Anfang bis zu Ende anhält.“
„Gründlich recherchiert, nah dran.“
„Jon Kraukauer gehört noch einer Journalistengeneration an, die hinaus in die Welt ging, um etwas zu erleben und darüber zu schreiben. Das merkt man seinen Reportagen an. Das macht sie so authentisch.“
„vorbildlich recherchiert und lebendig geschrieben erzeugt ›Classic Krakauer‹ eine Spannung, die den Leser bis zum Schluss in ihren Bann zieht.“
„Krakauer wagt sich in seinen Reportagen in Bereiche vor, die keine Heldengeschichten hervorbringen. Er ist ein Könner seines Fachs. Wie er dazu geworden ist, lässt sich in Classic Krakauer … nachlesen. Es ist ein Blick in Krakauers Werkstatt, der zeigt, dass kein Meister vom Himmel fällt.“
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