Damenbesuch (Hendrik Groen 0) Damenbesuch (Hendrik Groen 0) - eBook-Ausgabe
Roman
— Die Vorgeschichte zu „Eierlikörtage“„Ernsthaft und zugleich urkomisch.“ - Leeuwarder Courant
Damenbesuch (Hendrik Groen 0) — Inhalt
Rasselschlamassel: zwei Rentner und ein Baby
Hendrik Groen und Evert sind beste Freunde – in guten wie in schlechten Zeiten. Für gewöhnlich spielen die beiden Siebzigjährigen freitagabends zusammen Schach, trinken ein Gläschen Eierlikör und genießen ihr ruhiges Rentnerdasein. Doch eines Abends bringt Evert unerwarteten Damenbesuch mit: ein Baby. Von den Eltern keine Spur. Die betagten Babysitter wider Willen leisten fortan überraschend gute Arbeit, während sie versuchen, die Kleine möglichst schnell wieder nach Hause zu bringen – was sich als schwieriger erweist als gedacht.
Der neue Roman von SPIEGEL-Bestseller-Autor Hendrik Groen spielt zehn Jahre vor den berühmten Tagebüchern. Wie immer wunderbar schwarzhumorig, vergnügt und tiefsinnig erzählt.
Für Fans von Jonas Jonasson, Fredrik Backman und natürlich Hendrik Groen, dem beliebtesten Rentner der Welt.
Leseprobe zu „Damenbesuch (Hendrik Groen 0)“
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16:30 Uhr — Prinses Margrietschool
„Verdammt, wo bleiben die Engel …“
Ganz kurz verkrampfte sich ihr Gesicht. Dann war das stählerne Lächeln aber gleich wieder da. Zwei Kinder starrten sie an. Nur an den roten Flecken auf ihrem Hals konnte man erkennen, dass Hetty Schutter, die Direktorin der Schule und in Teilzeit auch Klassenlehrerin der 8. Klasse, sich gerade aufregte.
Auf der Bühne standen sieben kleine Hirten, die offenkundig die Übersicht verloren hatten. An der Stelle, wo eben noch ein Schwarm von Engeln die Bühne hatte hinaufflattern müssen, stand [...]
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16:30 Uhr — Prinses Margrietschool
„Verdammt, wo bleiben die Engel …“
Ganz kurz verkrampfte sich ihr Gesicht. Dann war das stählerne Lächeln aber gleich wieder da. Zwei Kinder starrten sie an. Nur an den roten Flecken auf ihrem Hals konnte man erkennen, dass Hetty Schutter, die Direktorin der Schule und in Teilzeit auch Klassenlehrerin der 8. Klasse, sich gerade aufregte.
Auf der Bühne standen sieben kleine Hirten, die offenkundig die Übersicht verloren hatten. An der Stelle, wo eben noch ein Schwarm von Engeln die Bühne hatte hinaufflattern müssen, stand jetzt eine Mutter und machte unverständliche Gebärden. Die Hirten starrten sie verständnislos an. Die Mutter verschwand wieder zwischen den Vorhängen. Eine Weile geschah gar nichts.
Einen Hirten begann es zu jucken, und er fing an, sich unter seiner staubigen alten Hirtentischdecke gründlichst zu kratzen. Ein zweiter Hirte winkte seiner Oma. Der dritte wackelte mit seinen mageren Beinen, weil er vor lauter Nervosität pinkeln musste. Hinter dem Vorhang fiel irgendetwas um. Danach war es wieder still.
Das Publikum wurde unruhig. Die Väter und Mütter im Saal gaben sich Mühe, die Ruhe zu bewahren, aber hie und da brachen doch kleinere Handgreiflichkeiten aus zwischen Brüdern und Schwestern. Es wurde mit elterlicher Gewalt gedroht. Zwei Klappstühle krachten zusammen.
An der Seite der Bühne bewegte sich der Vorhang. Jemand war auf der Suche nach dem Durchgang. Der befand sich drei Meter weiter, dort, wo die Engel vor ein paar Minuten ihren fliegenden Auftritt gehabt hatten. Wer auch immer hinter dem Vorhang stand, wurde eher von Nervosität als von Verstand geleitet, denn auch der größte Simpel hätte nicht länger dafür brauchen können, schließlich auf der anderen Seite der Bühne, neben dem Vorhang, zu erscheinen.
Es war die Direktorin.
„Ähm … sehr geehrte Damen und Herren, durch gewisse Umstände ist etwas schiefgelaufen bei unserer Weihnachtsaufführung, und wir wissen noch nicht, wie wir das Problem lösen können, deswegen machen wir jetzt …“
Gleich hinter ihr begann ein kleiner Hirte zu heulen.
„… erst mal weiter mit dem Losverkauf für unsere Weihnachtslotterie, deren …“
Der heulende Hirte hatte in sein Mäntelchen gepinkelt. Langsam breitete sich ein großer, dunkler Fleck auf seiner Decke aus.
„… Erlös für einen neuen Beamer für unsere Schule verwendet werden soll.“
Die Sprecherin drehte sich halb um, zischte einer Mutter zu, dass sie sich um den nassen Hirten kümmern sollte, und fuhr dann fort: „Die Lose kosten einen Euro, und Sie können tolle Preise gewinnen, die uns zur Verfügung gestellt wurden von …“
Von der Seite kam eine hektische Mutter auf die Bühne, die erst das verkehrte Kind mitnahm und dann mit dem richtigen Kind in die verkehrte Richtung ging, zu einer Tür, die keine Tür war, sondern nur Deko des Operettenvereins.
„… von Eltern und Freunden unserer Schule und den Ladeninhabern, die uns Preise zur Verfügung gestellt haben, wofür wir uns herzlich bedanken. Die Losverkäufer kommen in der Pause bei Ihnen vorbei. Und … äh …“ Sie warf noch einen schnellen Blick über die Schulter nach hinten. „Jetzt ist Pause.“
Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie drehte sich um und trieb die übrigen Hirten an den Dekorationsstücken vorbei, die das offene Feld darstellen sollten, durch die Öffnung im Vorhang. Dahinter befanden sich der Stufenbarren, der Kasten mit Sprungbrett und eine kleine Truppe von verkleideten Kindern, ein paar freiwillige Helfer aus den Reihen der Väter und Mütter, ein Ochse und ein Esel aus Holz und Maria und Josef. Es roch nach Pipi.
2
Zur gleichen Zeit — Hendriks Wohnung
„Evert kann jetzt jeden Moment kommen, Basje“, sagte ich zu Bas, der auf der Ecke der Fensterbank lag und schlief. Er ist ein dicker alter Kater, der sein eines Ohr immer bewegt, wenn ich mit ihm spreche, zum Zeichen, dass er noch am Leben ist. Viel mehr Bewegung ist nicht mehr drin. Nur beim Wort „Kuchen“ rappelt er sich mühsam auf und wartet mit schräg gelegtem Kopf vor mir, bis er einen Keks kriegt. Bas ist wahrscheinlich die einzige Katze der Niederlande, die jede Woche ein Pfund Buttermischung von HEMA verputzt. Eine normale Katze frisst keine Kekse.
Bas bewegt sich wenig, stinkt aber umso mehr. Das hat vermutlich mit seiner Ernährung zu tun. Ich bin der Einzige, den es nicht stört.
„Genieß mal noch ein bisschen die Wärme, Dickerchen, denn wenn Evert kommt, musst du auf den Balkon.“
Ich freute mich auf die Ankunft meines guten Freundes Evert. Große Klappe, Herz aus Gold. Es gibt immer was zu meckern, und es gibt immer was zu lachen. Außerdem ein übersichtliches Programm, wie jede Woche: ein Schnäpschen, Nüsse, ein bisschen Käse, ein, zwei Scheiben Wurst, ein Häppchen zu essen, eine Partie Schach, eine Tasse Kaffee, noch ein letztes Schnäpschen und am Ende wieder zufrieden Abschied nehmen.
3
Eine halbe Stunde vorher im Supermarkt
Schon zum dritten Mal fuhr ein alter Mann Evert mit seinem Einkaufswagen von hinten gegen die Beine. Die türkische Dame, die gerade an der Reihe war, hatte ihre Gartenbohnen nicht gewogen.
„Ich nicht verstehn.“
„Gemüseabteilung, Kasse 4 bitte.“
Ein quengelndes Kind hängte sich an den Arm seiner Mutter, die daraufhin ein Glas Apfelmus fallen ließ, das prompt auf dem Boden zerbrach.
„Darf ich mir mal kurz Ihre Bonuskarte leihen, meine steckt in der Jacke von meinem anderen Ta … äh … in der Tasche von meiner anderen Jacke“, fragte die Frau vor ihm. Evert reichte ihr lächelnd seine Bonuskarte.
„Steck sie dir doch einfach in den … Ach, vergiss es, behalt sie gleich ganz“, sagte er verärgert.
Evert hatte einfach kein Glück. Hendrik hatte vergessen, Erdnüsse zu kaufen, und hatte ihn angerufen und gefragt, ob er kurz beim Supermarkt vorbeigehen könnte, denn ein Schachabend ohne Erdnüsse war doch ein bisschen öde. Aus eigener Initiative hatte Evert auch noch zwei Dosen Bier in seinen Einkaufskorb gelegt, weil er einen Korb, in dem nur eine Tüte Erdnüsse lag, für einen traurigen Anblick hielt.
Und jetzt stand er schon fast eine Viertelstunde in der Kassenschlange wegen dieser blöden Nüsse. Wenn im Leben etwas nicht ganz glatt lief, bekam Evert immer Durst. Sofort nach dem Kassieren öffnete er eine Dose, prostete der erstaunten Kassiererin zu, nahm einen Schluck und ging hinaus. Dort schloss er sein Fahrrad auf, nahm noch einen Schluck und stieg auf. Das Bier war lauwarm.
Man sah nicht oft Menschen auf dem Fahrrad Bier trinken. Wahrscheinlich war es verboten. Vielleicht, weil man dann kein Handzeichen geben kann, dachte sich Evert. Er überlegte, ob in den Niederlanden wohl jemals jemand einen Strafzettel bekommen hatte, weil er vergessen hat, beim Abbiegen ein Handzeichen zu geben. Er hatte es vor über sechzig Jahren auf der Grundschule gelernt: Den rechten Arm seitlich ausstrecken und dann wie ein lahmer Vogel auf und ab bewegen.
„Und wenn man jetzt Handbremsen hat?“, moserte er vor sich hin. „Dann kann man ja nicht mal gut anhalten wegen diesem blöden Handzeichen.“
Er rülpste dezent.
Hendrik konnte zufrieden sein, er hatte die Erdnüsse.
Sein Fahrrad krachte und quietschte.
Es nieselte anhaltend, und langsam wurde er nass.
4
16:35 Uhr — Prinses Margrietschool
Es herrschte Verwirrung. Eltern wollten sich einen Weg bahnen zum einzigen Zugang zu den Kulissen, während die Schulleiterin die Losverkäufer von der anderen Seite her in den Saal schob. Opas, Omas und Kleinkinder drängten in die Richtung der extra für diese Gelegenheit zusammengezimmerten Bar. Die Mütter, die Limonade, Kakao, Kaffee und Tee verkauften, hatten nicht mit dieser verfrühten Pause gerechnet und versuchten, die Plastikbecher möglichst schnell einzuschenken, sodass ziemlich viel danebenging. Kaffee und Limonade liefen in kleinen Rinnsalen über den Tisch auf den Boden.
Die Lehrerinnen und die Direktorin unternahmen zweifelhafte Versuche, etwas Ordnung im Chaos zu schaffen, aber alles, was sie damit bewirkten, war eine Vergrößerung des allgemeinen Durcheinanders. Der Hausmeister passte auch unter diesen erschwerten Umständen auf, dass die Kinder in der Schule kein Kaugummi kauten.
Die Turnhalle war nicht der geeignetste Saal für eine Theateraufführung. Zwei Väter hatten die hohen Fenster mit rotem Krepppapier abgedunkelt, was nicht so sehr Weihnachtsstimmung hervorrief als vielmehr die Turnhalle aussehen ließ wie ein großes Bordell. Obwohl man in einem Bordell meistens keine Sprossenwände, Ringe und hundertfünfzig Klappstühle findet. Ausklappbare Weihnachtsglocken aus rotem und weißem Papier sollten, zusammen mit einem viel zu kleinen Weihnachtsbaum, für „die einmalige Atmosphäre sorgen, die zu einem Fest des Lichts gehört“. Einen größeren Baum lehnte der Hausmeister entschieden ab, denn, wie er sagte: „Wer muss dann hinterher die ganzen Nadeln wegmachen? Außerdem hab ich sowieso nicht genug Lichter.“ Und so hatte er der Schule schon wieder ein hübsches Sümmchen Geld gespart.
Hausmeister Harry van Staveren war ein sparsamer Mann. Er hatte eine spezielle Adresse, wo er sich immer Makronen kaufte, die das Haltbarkeitsdatum schon knapp überschritten hatten. Dass man für jede Tasse Tee einen eigenen Teebeutel brauchte, kümmerte ihn nicht weiter. Die Kantine führte er in Eigenregie, wobei er jeden Cent zweimal umdrehte. Und als Hüter des Erste-Hilfe-Kastens schnitt er die Pflaster so knapp zurecht, dass die Ränder der Schürfwunden darunter hervorschauten. „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert“, heuchelte er, wenn jemand ihn vorsichtig kritisierte. Dabei war er so faul wie ein Löwe im Amsterdamer Zoo. Vor dreiundzwanzig Jahren hatte irgendjemand den Fehler gemacht, ihm eine feste Anstellung zu geben. „Da“, sagte Harry, „bräuchte es schon einen besonders gescheiten Kerl, um mich hier vor meinem Fünfundsechzigsten rauszukriegen.“
Der Hausmeister stand unten an der Treppe zur Bühne, die Direktorin oben.
„Es ist was Schreckliches passiert. Es ist … äh … es ist … schrecklich, ganz furchtbar, alles geht den Bach runter“, stotterte sie. „Alles geht den Bach runter“ würde sie normalerweise niemals sagen. Eher so was wie: „Es läuft ein wenig anders, als wir uns das vorgestellt hatten.“
Jetzt sag doch endlich, was los ist, dachte er bei sich. „Ganz ruhig, Hetty, erzähl erst mal, was los ist, und dann finde ich vielleicht sogar jemanden, der das Problem lösen kann.“
Sie holte tief Luft. „Harry, das Jesuskind ist verschwunden.“
„Ernsthaft und zugleich urkomisch.“
»Hendrik Groen schenkt uns ein geruhsames und lebenswertes Leben im Alter. Er bietet Weisheit, Humor und Lebensfreude. Und lässt uns alle etwas weniger Angst vor dem Älterwerden haben.«
»Es sollte mich doch überraschen, wenn Hendrik Groen nie in den Kanon unseres Landes eingehen würde. Oder zumindest auf ärztliche Verschreibung erhältlich wäre.«
„Geistreich, tragisch und manchmal ergreifend.“
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