Das Fremde Meer Das Fremde Meer - eBook-Ausgabe
Roman
„‘Das fremde Meer‘ verbindet überzeugend Magie mit der Realität, blickt in die Vergangenheit und ahnt eine Zukunft. Je länger man ‚Das fremde Meer‘ verfolgt, je tiefer man eintaucht, desto mehr fängt es seinen Leser ein […] ein kunst- und kraftvoll gebauter Roman. […] Katharina Hartwell erweist sich als begabte Erzählerin.“ - Berliner Zeitung
Das Fremde Meer — Inhalt
Eine Liebe, viel zu groß, um sie nur einmal zu erzählen, ein Buch, das wie eine Reise ist: in die Salpêtrière, die Pariser Psychiatrie, in der Sigmund Freud Schüler bei Charcot war; in den Winterwald, aus dem eine gelangweilte Prinzessin einen Prinzen retten will; in die Wechselstadt, in der ganze Häuser als „Mobilien“ durch die Stadt wandern… Zehn Kapitel, zehn Mal die Geschichte von Marie und Jan. „Katharina Hartwell erzählt so gut, dass sie auf jeden Fall einen neuen Weltrekord im literarischen Zehnkampf aufgestellt haben dürfte.“ (Spiegel online) – ein magischer Roman.
Leseprobe zu „Das Fremde Meer“
Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass sie sich schützen können, wenn sie mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Kata- strophen immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind.
Dass man ihnen entkommen kann, wenn man sie erwartet.
Zuerst muss ich von mir erzählen.
Und ich fange ganz am Anfang an.
Die Geschichte der Kindheit
Als Kind hatte ich viele Freunde. Fast ausschließlich Jungen. Die Mädchen konnten wenig mit mir anfangen. Ich war zu laut, zu grob, zu schnell, meist war ich schmutzig, die Arme voller blutiger Kratzer, die Beine voller [...]
Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass sie sich schützen können, wenn sie mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Kata- strophen immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind.
Dass man ihnen entkommen kann, wenn man sie erwartet.
Zuerst muss ich von mir erzählen.
Und ich fange ganz am Anfang an.
Die Geschichte der Kindheit
Als Kind hatte ich viele Freunde. Fast ausschließlich Jungen. Die Mädchen konnten wenig mit mir anfangen. Ich war zu laut, zu grob, zu schnell, meist war ich schmutzig, die Arme voller blutiger Kratzer, die Beine voller blauer Flecken.
Ich war ein wildes Kind.
Im Garten meiner Großeltern gehorchte mir alles. Der Bach hinter dem Haus, die Insekten und die Pflanzen, die Nüsse und die Beeren, die Eichhörnchen und die Fische, der Teich und die Frösche darin, alles unterstand mir. Nur die Krähen hatten ihren eigenen Kopf, und ich fürchtete mich vor ihnen.
In den Ferien verbrachten wir oft ganze Tage im Garten, aber auch während der Schulzeit kamen die Jungen nachmittags vor- bei. Niemand sonst hatte einen Garten wie meine Großeltern, weitläufig und verwinkelt, und darin gab es alles, Schilf um den Teich, hohe Bäume, ein kleines Gartenhaus voller Spinnweben und einen steinigen, schmalen Weg, der hinunter zum Bach führ- te. Dort, am Ufer und auch im Bach selbst, spielten wir vor allem im Sommer. Wir häuften Geröll und Äste zu Inseln an, auf denen wir standen und einander zuwinkten.
Unsere Vorhaben waren stets ehrgeizig und aussichtslos. Ein Boot wollten wir bauen, eine Brücke, einen Damm. Im Herbst ver- legten wir unsere Spiele wieder zurück in den Garten. Unter dem Kastanienbaum errichteten wir aus Ästen, aus Laub, aus Ziegeln, die wir im Keller gefunden hatten, Burgen für die Ewigkeit. Wir spielten zu jeder Jahreszeit draußen. Auch im Winter, auch, wenn es schon früh dunkel wurde und meine Großmutter sich um uns fürchtete. Nur mein Onkel Paul konnte uns überreden, ins Haus zu kommen. Dann durften wir in sein Zimmer, wo alles besonders und anders war: Seine Steinsammlung zeigte er uns, und seine elektrische Schreibmaschine. Paul wollte uns beibringen, Schach zu spielen, aber uns wurde schnell langweilig. Mir wurde schnell langweilig, und ich gab den Ton an. Mir war nicht danach, still zu sitzen und kleine Holzfiguren vor- und zurückzuschieben. Mir war nach großen Expeditionen. Meine Pläne trug ich mit Be- stimmtheit vor. Jeden Nachmittag entwarf ich einen neuen Kos- mos, legte den Handlungsverlauf unserer Spiele fest, bis in jedes Detail, bis in die Unterhaltungen: Du würdest zum Haus des Jägers kommen, und ich wäre bereits dort. Du würdest fragen, und ich würde sagen.
Bei anderen Spielen ging es genau darum, nichts zu planen, nichts zu wissen. Es ging darum, sich im Wald zu verlieren und aufspüren zu müssen. Es ging darum, schneller als der andere zu sein, weniger Angst zu haben. Eines unserer wilderen Spiele be- stand darin, dass wir hoch in die Bäume kletterten und uns in die flachen Baumkronen fallen ließen. Wenn uns das Netz der Zweige nicht hielt, krachten wir hinunter auf den Waldboden. Ich zog mir unzählige Kratzer und blaue Flecken zu, aber anders als meine Großmutter es mir voraussagte, brach ich mir nie einen Arm oder ein Bein.
Meine Großeltern waren immerzu in Sorge um mich. Sie fürch- teten, ich würde im Bach ertrinken, ich würde beim Überqueren
der Landstraße überfahren, dass mich ein namenloser, schwarz gekleideter Mann, der in den Städten und in den Dörfern die Kin- der verschwinden ließ, mitnähme.
Vergeblich versuchten sie, meine Mutter davon zu überzeugen, dass es gefährlich sei, uns den halben Vormittag unbeaufsichtigt im Wald oder am Bach spielen zu lassen. Meine Mutter aber glaub- te nicht an Verbote und nicht an Beaufsichtigung.
„Es ist gut für Nina und Marie, wenn sie sich allein zurecht- finden“, sagte meine Mutter bei jeder Gelegenheit, und ich nickte stolz, denn aus ihren Worten schloss ich, dass wir uns allein zu- rechtfanden.
Ich habe erst viel später verstanden, dass die Überzeugungen meiner Mutter, was für meine Schwester und mich gut sei, im Wesentlichen davon abhingen, was für meine Mutter gut war. Etwa zwei Jahre nach Ninas Geburt hatte meine Mutter erkannt, dass es nicht gut für ihre Töchter sei, in der Stadt aufzuwachsen, und war zurück nach Erlburg gezogen, ein kleines Dorf, in dem auch sie selbst großgeworden war. Es sei gut für uns, erkannte sie weiter, im Kreis der Familie aufzuwachsen. Dass wir hierfür un- seren Vater zurückließen, war nicht weiter wichtig, und so zogen wir ohne ihn in das Haus meiner Großeltern, in dem auch mein Onkel Paul lebte.
Gut zehn Jahre später hatte meine Mutter genug vom Dorf- leben. „Es ist viel zu ruhig für uns“, erklärte sie meiner Schwester und mir eines Abends. „Die Stadt wird uns guttun. Später werdet ihr mir noch dankbar sein, und neue Freunde findet ihr sicher auch schnell.“
Hier irrte meine Mutter.
Ich war ihr nicht dankbar, und ich fand auch keine neuen Freunde.
Auch meine Schwester murrte zunächst, aber anders als ich lebte sie sich schnell ein und gehörte an unserer Schule schon bald zu den beliebteren Mädchen. Ich hingegen machte alles falsch, die einfachsten Dinge machte ich falsch. Sprach zu laut und zu ernst, verstand die Witze auf dem Schulhof nicht. Ich korrigierte und berichtigte und fiel ins Wort und eckte an. In den Pausen saß ich allein auf einer Bank und las. Sportlich war ich damals nicht, bewegte mich ungelenk und langsam, stand betreten am Rand des Spielfelds und wartete, wie ich überhaupt immer wartete. Ich ahnte bereits, ohne dass ich es so genau hätte benennen können, dass ich mit diesem Abschnitt meines Lebens nicht viel mehr tun konnte, als ihn auszusitzen.
Als meine Mutter mit uns fort aus Erlburg und in die Stadt zog, war es, als habe sie meine Schwester und mich in ein anderes Land verfrachtet, an einen Ort mit fremden Gesetzen und Gepflogen- heiten, sogar eine andere Sprache gab es, und andere Moden: klobige, schwere Schuhe und unförmige Hosen. Der Umzug war nicht nur die Abkehr von einem vertrauten Ort, sondern auch von einer vertrauten Zeit. In der Heimat war ich ein Kind gewesen, und in der Welt der Kinder hatte ich mich gut zurechtgefunden, aber an der neuen Schule waren die Kinder keine Kinder, sondern noch nicht voll ausgebildete Erwachsene. Sie wollten keine Spiele spielen, in denen ich Identitäten vorgab und festlegte, wer was zu sagen hatte. Sie wollten überhaupt keine Spiele spielen, oder wenn doch, dann solche, die so kompliziert waren, dass ich sie nicht verstand.
Mit einem Mal war es, als trüge ich mein eigenes Gravitations- feld mit mir umher. Sobald ich unsere Wohnung verließ, entfaltete es sich wie ein Raum um mich. Ich machte alles schwer und ernst, meine Mutter sagte in dieser Zeit oft, beinahe täglich, so kommt es mir heute vor: „Nimm es dir nicht so zu Herzen.“ Aber ich nahm mir alles zu Herzen – dass die anderen Kinder mein Haar lustig fanden, meine Pullover, meine Haltung, meine Art zu gehen, meine Art zu sprechen, meine Stimme, meine Größe, meine Bücher. Dass sie Bilder von ausgemergelten, in sich verknoteten Strichmännchen malten und meinen Namen darunter schrieben. Dass sie mich nachäfften, wie ich x-beinig neben dem Kiosk stand. Dass sie mich wegen meiner tiefen Stimme Froschmädchen nann- ten. Ich nahm mir auch zu Herzen, dass Nina beliebt war und ich nicht, dass meine Mutter erst spätabends nach Hause kam und ich meist alleine aß (Nina ging zu Freunden). Ich nahm mir jeden Ta- del jeden Lehrers zu Herzen. Ich nahm mir das Leben zu Herzen. Und in meinem Gravitationsfeld zog ich Menschen und Momente und manchmal ganze Tage zu Boden. Ich hatte mich schon immer vor Krankheiten, vor Katastrophen, vor dem Tod gefürchtet, auch schon im Haus meiner Großeltern, aber in der Stadt fürchtete ich mich vor allem vor dem Leben.
Die beiden einzigen guten Freunde meiner Jugend hießen Merwin und Corwin. Etwa fünf Jahre sahen wir uns beinahe täglich, dann verloren wir uns aus den Augen.
Merwin und Corwin waren Zwillinge mit einem auffälligen Er- scheinungsbild: Ich habe sie immer bloß im Anzug gesehen, und sie hatten beide kein einziges Haar auf dem Kopf, ihre polierten Schädel glänzten im Licht meiner Schreibtischlampe. Die beiden wohnten auf dem Dach des Hauses, gleich über unserer Wohnung, und eine Zeitlang fürchtete ich mich, wenn sie nachts an mein Fenster klopften. Bald schon aber waren sie meine einzigen Ver- bündeten, und ich erzählte ihnen alles. Im Nachhinein betrachtet waren sie mir weniger Freunde, denn zwei weise, wenn auch welt- fremde Väter. Sie sprachen stets sanft, aber bestimmt; sie hatten klare Standpunkte, auch wenn sie nicht immer dieselbe Position vertraten. Sie hörten sich meine Sorgen an, meinen Kummer, sie bedauerten mich und gaben mir ungewöhnliche Ratschläge.
„Schneide ihr doch den Zopf ab!“, empfahl Corwin, als ich von der blonden Sabine erzählte, die sich über mein krauses Haar lustig machte.
Merwin und Corwin hatten alle Bücher gelesen, die ich auch gelesen hatte, und dieselben Filme gesehen, und meist unterhielten wir uns in Andeutungen und Zitaten. Abends las ich ihnen vor. Man kann nicht sagen, dass wir Abenteuer erlebten, so wie ich sie früher mit den Freunden im Garten meiner Großeltern erlebt hatte, aber ich war nie allein.
Meine Mutter und Nina wussten nichts von meinen besten Freunden, und das war besser so, denn obwohl meine Mutter gern betonte, dass sie das exzentrische Leben einer Künstlerin führe, hätte der Spaß bei den imaginären Freunden ihrer Tochter sicher aufgehört.
*
Alles ändert sich. Das Gute und das Schlechte. Gerade als ich denke, dass es für immer so weitergehen wird, dass ich für den Rest meines unendlichen Lebens morgens um sieben aufstehen und mit dem Bus zur Schule fahren muss, mich für immer auf der Eckbank neben der Cafeteria und hinter den Büschen verstecken werde, gerade als ich das denke, ist alles schon wieder vorbei.
Ich kehre Merwin und Corwin den Rücken, kehre meinem al- ten Zimmer den Rücken und ziehe aus. Ich schreibe mich für Kul- turwissenschaften ein, ich komme an. Und in den ersten Monaten meine ich, nicht mehr zu gehen, sondern zu schweben, durch die Gänge, die Vorlesungssäle, die Bibliothek und den Flur vor dem Lesesaal, in dem nur geflüstert werden darf. Es dauert eine Weile, bestimmt zwei, drei Monate, bis mich die Zweifel, die Sorgen wie- derfinden, so wie sie mich immer finden, bis heute. Immerhin ist es mir nun ein Leichtes, unsichtbar zu bleiben. Wir sind zu viele, als dass es eine strikte Hierarchie gäbe, ein feinmaschiges Netz
aus vorgegebenen Positionen – die Außenseiter, die Wilden, die Beliebten –, in dem jeder gezwungen ist, seine Rolle einzunehmen und sie zu behalten. Trotzdem fühle ich mich fremd, auf dem großen Rasen sitzend, auf dem Sommerfest, auf den Partys. Da ist die alte Angst, man werde mir auf die Schliche kommen, etwas herausfinden über mich. Ohne dass ich sagen könnte, was mein Geheimnis ist, der Fehler, der Makel, um den es geht, sehe ich sei- ner Enthüllung angespannt und voll böser Vorahnung entgegen. Die Welt scheint mir aus Detektiven zu bestehen, alle beauftragt mit der Ermittlung meiner Person und dunkler Geheimnisse, die ich selbst bloß erahne. Ich fürchte mich vor der Friseurin, die über mein stumpfes Haar streicht, vor dem Zahnarzt, der durch die Lö- cher und bis in die Abgründe im Kopfinneren zu blicken scheint, vor der Mutter, die sich beiläufig erkundigt, ob noch immer kein Mann, keine Frau, ja nicht einmal eine Katze meine Wohnung mit mir teile.
Ich fürchte mich.
Die Geschichte von Paul
Als ich die Bibliothek gegen sieben Uhr verlasse, habe ich drei An- rufe in Abwesenheit auf meinem Handy. Seitdem ich an meiner Magisterarbeit schreibe, nehme ich das Handy nicht mehr mit in den Saal. Schon in den Tiefen der Tasche sehe ich es blau leuchten. Und als ich auf dem Display lese, dass ich drei Anrufe verpasst habe, weiß ich, dass etwas Schreckliches passiert ist. Jemand muss gestorben sein.
Ich werde nicht behaupten, ich hätte eine Vorahnung gehabt. Es würde auch nicht stimmen. Ich habe mit meinen Befürchtun- gen bloß einmal richtiggelegen. Zumindest fast. Denn als ich die Nummer meiner Schwester sehe, bin ich überzeugt, dass meine
Mutter gestorben ist. Meine Schwester würde mich nicht ohne Grund anrufen, wir haben uns ja nichts zu sagen.
Obwohl man auf dem Gang vor dem Lesesaal nicht telefonieren darf, rufe ich sie gleich zurück.
Meine Schwester nimmt ab und fängt an, umständlich von ihrer zu hohen Nebenkostenabrechnung zu erzählen und von einem Mann, den sie kennengelernt hat. Ich halte es für immer weniger wahrscheinlich, dass meine Mutter gestorben ist. Dann räuspert Nina sich, und in dem Räuspern erkenne ich, was ich gleich hätte verstehen müssen: dass sie wahllos und ein wenig gehetzt über Banalitäten spricht, weil sie hinausschiebt, mir zu erzählen, weswegen sie mich eigentlich angerufen hat. Ich habe den Bruchteil einer Sekunde Zeit, um das zu begreifen, da sagt sie es bereits, „Paul ist tot“, sagt sie, und ich sacke zusammen; die Bücher in meinem Arm sind so schwer, dass ich sie nicht länger halten kann. Statt sie fallen zu lassen, setze ich mich mitten in den Gang und lege sie ab.
„Aber wie … wie ist er denn gestorben?“
„Sie wissen es nicht genau.“
„Und ungefähr?“
„Er hat wohl viele Schmerztabletten genommen. Und getrun- ken hat er ja sowieso.“
„Aha“, sage ich.
Ich sitze auf dem Boden vor den Schließfächern und würde ger- ne würgen. Stattdessen schlucke ich sehr konzentriert mehrmals hintereinander. Irgendwann höre ich meine Schwester am anderen Ende der Leitung quäken, und ihre Stimme scheint mir unange- messen, aufdringlich in ihrer Lautstärke und ihrem Ton.
„Marie, Marie bist du noch da?“, fragt sie.
Es fühlt sich nicht so an, als ob ich noch da wäre, aber ich antworte: „Ja.“
„Wir müssen jedenfalls nach Erlburg“, sagt Nina dann. „Ich
kann dich morgen früh abholen. Mama fährt am Mittwoch, und ich denke, es wäre besser, wenn wir vorher schon da sind.“
Mein Onkel lebt in Erlburg. Hat in Erlburg gelebt. Auch als meine Mutter wieder in die Stadt ging, ist er nicht ausgezogen, hat mit 48 noch immer im Haus seiner Eltern gewohnt. Aber darüber hat sich niemand in unserer Familie lustig gemacht. Alle sind dank- bar gewesen, denn nach dem Tod meines Großvaters hätte meine Großmutter nicht alleine leben können. Dank Paul, der sich zu- nehmend um seine Mutter gekümmert, sie überall hingefahren und alle Einkäufe erledigt hat, ist sie noch bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren in dem Haus geblieben.
Es gab vielleicht eine kurze Zeit – aber ich kann mich nicht an sie erinnern –, in der die Möglichkeit bestand, dass mein Onkel ausziehen würde. In einem der Brüche, die das Leben unterteilen, etwa nach der Schule, als er begann zu studieren. Paul aber blieb, wo er war, blieb in dem Haus, in welchem er Kindheit und Jugend verbracht hatte. Während seines Studiums zog er nicht aus, weil er sich eine eigene Wohnung nicht hätte leisten können, und nach seinem Germanistikabschluss zog er nicht aus, weil er sich bereits um seine Mutter, meine Großmutter, kümmerte. Er hatte gleich begonnen, an einer Doktorarbeit zu W. G. Sebald zu arbeiten. Die letzten fünfzehn Jahre hatte er an besagter Arbeit geschrieben, ohne dass irgendwer wusste, ob er Fortschritte machte und wie viele Seiten er bereits verfasst hatte. Ob überhaupt ein Abschluss in Aussicht stand, niemand wusste es.
Die Fahrt bis nach Erlburg dauert beinahe zwei Stunden, und ei- nen Großteil der Zeit schweigen Nina und ich.
Obwohl wir beide in der gleichen Stadt wohnen, sehen wir uns nur selten. Ich kann mich nicht erinnern, ob es einmal anders war, ob es eine Zeit gab, in der wir einander nicht verwirrt, beinahe peinlich berührt, gegenüberstanden, wenn man uns alleinließ, nur wir beide, keine Mutter, keine unbeteiligten Dritten. Als hätte uns ein gemeinsamer Freund einander vorgestellt, um mit den Worten „Lernt euch kennen“ davonzurauschen, obwohl wir beide auf den ersten Blick festgestellt hatten, dass wir nichts miteinander anfan- gen können. Aber es ist kein gemeinsamer Freund, der uns immer wieder zusammenführt, sondern eine gemeinsame Mutter.
„Was macht Tom?“, frage ich Nina, denn ich will mir nicht vorwerfen müssen, ich hätte mir keine Mühe gegeben.
„Ach der“, sagt Nina.
„Wie läuft die Arbeit?“, fragt meine Schwester.
„Gut“, lüge ich.
Nina stellt lauten deutschen Hiphop an, von dem ich Kopf- schmerzen bekomme. Umständlich schmiere ich mir Tigerbalm auf die Schläfen und versehentlich auch ein wenig in die Augen, sodass ich den Rest der Fahrt durch einen dramatischen Tränenschleier wahrnehme.
Alles ist anders. Erlburg ist mir fremd.
Es gibt einen neuen Kreisel, in der Mitte steht eine Skulptur: ein schmaler Kupferjunge neben einem Fahrrad. Ich nehme an, dass er etwas mit der Geschichte der Stadt zu tun hat. Es gibt zwei neue Supermärkte, und das alte Kino ist verschwunden. Irgendwo wird es ein bedeutend größeres Kino mit „plex“ am Ende geben, aber wir wissen nicht wo, wir kennen uns nicht mehr aus in dem Dorf, in dem wir aufgewachsen sind.
Als Nina endlich vor dem Haus meiner Großeltern parkt, er- schrecke ich. Auf der Rasenfläche hinter dem Grundstück stehen Neubauten. Wo vorher nichts war, sind nun Fremde zu Hause.
„Ich bin froh, dass ich damals mit euch in die Stadt gezogen bin“, sagt meine Mutter oft. „Wenn man bleibt, dann erwartet man, dass alles andere auch bleibt.“
Ich bin nicht geblieben, und ich habe trotzdem erwartet, dass alles bleibt.
Seitdem meine Großmutter vor zwei Jahren starb, redeten meine Mutter und Paul davon, das Haus zu verkaufen.
„Das Haus ist viel zu groß für Paul“, hat meine Mutter bei etwa jedem dritten Telefongespräch zu mir gesagt.
„Das Haus ist viel zu groß für mich“, hat Paul bei jedem einzel- nen Telefongespräch zu mir gesagt.
Ich habe beiden zugestimmt, gleichzeitig aber gewusst, dass Paul nicht ausziehen würde. Statt sich etwa einen Untermieter zu suchen, hat mein Onkel außer seinem eigenen Zimmer nur noch die Küche und das Bad benutzt. Und der Rest des Hauses ist zunehmend verwahrlost und verfallen, ist zum Geisterhaus geworden.
Nachdem wir das Geisterhaus betreten haben, geht Nina in die Küche, um den Kühlschrank auszuräumen, und ich gehe hinauf in Onkel Pauls Zimmer. An den Wänden hängen Poster einer Band, die ich nicht kenne, die ich auf die späten Siebziger oder frühen Achtziger datiere, und ein gerahmtes Twin-Peaks-Plakat. Auf sei- ner Kommode und den beiden Fensterbänken steht noch immer seine staubige Mineraliensammlung. Seitdem er ein Kind war, hat mein Onkel Mineralien gesammelt, und auch als Erwachsener hin und wieder von der Eröffnung eines privaten Mineralienmuseums gesprochen. Natürlich ist es nie dazu gekommen. Als ich mich aber umsehe, die vergilbten Poster betrachte und die umfangreiche Sammlung an V HS-Videokassetten, die wie geheime Artefakte in ihren Schubern ruhen, denke ich, dass er sein Museum doch noch bekommen hat, oder vielleicht eher eine Zeitkapsel, denn ein Museum würde zumindest besucht, und ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass jemand das Zimmer meines Onkels betreten hat. Ich setze mich auf Pauls breites Bett. Ein Doppelbett, in dem er meines Wissens immer alleine geschlafen hat. Mir fällt auf, dass das Bett gemacht ist. Hat sich irgendwer darum gekümmert? Die Polizei? Die Sanitäter? Oder die Nachbarn, die Paul gefunden ha- ben, nachdem meine Mutter sie gebeten hat, nach ihm zu schauen, weil sie ihn drei Tage lang nicht erreichen konnte? Vielleicht hat er das Bett auch selbst gemacht, vielleicht hat er seine Pullover zu- sammengelegt und in den Schrank geräumt, und vielleicht ist ihm schon ein wenig mulmig und schlecht gewesen, als er durch den Flur bis zur Tür zum ehemaligen Schlafzimmer seiner Eltern ge- laufen ist, um sich dort auf den Teppich zu legen und nie wieder aufzustehen.
Plötzlich ist mir, als hätte jemand ein kleines Fläschchen mit Säure in meinem Magen umgekippt, ein Brennen breitet sich unter meinen Rippen aus. Ich lege eine Hand auf den Bauch, friere und sitze regungslos in Pauls Zeitkapsel. Die Veränderung hat das Haus umzingelt, die Zeit ist wie eine große, unaufhaltsame Welle über den Ort hinweggegangen, und vor der Haustür hat sie nicht Halt gemacht. Auch Paul hat sie gefunden, zwischen den vergilbten Postern und leiernden Kassetten hat sie ihn gefunden. So wie sie mich findet, wie sie uns alle finden wird, denn die Veränderung ist ja schon in uns, ist in unseren Körpern angelegt, die zerfallen, sich neu aufbauen, sich reparieren und wieder zersetzen und endgültig zersetzen.
Ich denke an meine Schwester, wie sie unten in der Küche ver- schimmeltes Brot wegwirft. Ich denke an meine Mutter, mit der ich immer noch jeden Tag telefoniere. Ich denke an meine ver- storbenen Großeltern, die über fünfzig Jahre verheiratet waren und einander erst verloren durch den Tod meines Großvaters. Ich denke an meinen Vater, der uns irgendwann verlieren wollte, an Paul, den niemand gefunden hat. An die Menschen, mit denen wir gemeinsam ins Leben aufbrechen, und wie sie einer nach dem anderen stehen bleiben, aber man selbst läuft weiter, man kann gar nicht anders. Ich denke an mich selbst, im Garten meiner Groß- eltern und dass ich dort draußen Burgen für die Ewigkeit gebaut habe, aus Laub, aus Ästen. Ich war ein wildes Kind, und im Garten meiner Großeltern gehorchte mir alles.
Ich möchte die Uhren im Geisterhaus anhalten, die Türen ver- barrikadieren und die Fenster, aber auch, wenn man beschließt, das Haus nie wieder zu verlassen, nicht hinausgeht und nieman- den hereinlässt, ist und bleibt ein jeder Tag ein viel zu großer Schritt in die Zukunft, und wir werden weiter mitgeschleppt.
„Nina! Nina!“, rufe ich. Denn mit einem Mal bin ich sicher, hier und jetzt im Zimmer meines Onkels sterben zu müssen.
Und Nina kommt. Sie rennt die Treppe hinauf, vielleicht, weil sie denkt, ich hätte ein Geheimnis gefunden, Liebesbriefe, deren Adressat uns mehr als verblüffen wird. Sie rennt in Pauls Zimmer und findet mich hustend auf allen vieren. Sie schlägt mir auf den Rücken, denn sie fürchtet wohl, dass ich mich an einem von Pauls klebrigen Hustenbonbons verschluckt habe, dabei ist es ja das ganze Zimmer, Pauls Einsamkeit, die mir quer in der Luftröhre steckt.
Ich versuche aufzustehen, halb stolpernd, halb kriechend aus dem Zimmer zu kommen. Nina packt mich unter den Armen, zieht mich in den Flur. Dort gibt sie mich nicht frei, sie hält mich weiter im Klammergriff, lässt auch dann nicht los, als ich anfange zu strampeln, zu rudern und um mich zu treten. Sie hält mich fest, bis ich ruhig werde und in mich zusammensacke.
*
Nachdem wir Pauls Zimmer ausgeräumt haben, kehre ich in mein Leben zurück und weiß, dass ich nun alles ändern werde.
Ich werde aus meiner kleinen, dunklen Ein-Zimmer-Wohnung in eine helle freundliche WG voller heller, freundlicher Menschen ziehen. Ich werde meine Magisterarbeit zu Ende schreiben und dann etwas ganz und gar Unvorhersehbares tun und wie sämt- liche Freunde meiner Schwester nach Südamerika reisen. Oder ich werde mir einen Übergangsjob suchen, in einem Café oder einer Bibliothek, wo ich viel mit Menschen in Kontakt und bald schon für meine Freundlichkeit bekannt sein werde.
(Ich werde freundlich sein.)
Ich werde nicht und unter keinen Umständen promovieren. Ich werde die Bibliothek ein für alle Mal verlassen, ich werde Veränderungen begrüßen und die Menschen, die mir begegnen, mit offenen Armen in meinem Leben empfangen.
Aber zunächst schlafe ich. Ich schlafe bis zu vierzehn Stunden am Tag, an den Wochenenden noch länger. Auch in der Biblio- thek schlafe ich. Meine Arbeit langweilt mich so sehr, dass ich nur noch wenige Minuten am Stück daran schreiben kann, bevor ich entweder einschlafe oder FreeCell spiele.
Zu meinem Abschluss schenkt meine Mutter mir ein Bild einer apokalyptischen, grauschwarzen Landschaft, auf dessen Rückseite sie mit Bleistift geschrieben hat: Große Veränderungen erfordern große Veränderungen.
Die Geschichte der Zweifel
Ein Jahr später habe ich nicht nur meine Wohnung, sondern auch die Stadt gewechselt. Ich bin nicht in eine helle, freundliche WG gezogen, sondern in eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Allein. Ich habe mir keinen Übergangsjob besorgt; soweit ich beurteilen kann, bin ich nicht freundlich geworden.
Ich habe mit der Promotion begonnen. Noch immer schlafe ich sehr viel. Zumindest tagsüber.
Nachts liege ich wach und fürchte mich vor Einbrechern. Unter meinem Bett verwahre ich ein Pfefferspray und ein Brotmesser. Noch immer telefoniere ich täglich mit meiner Mutter. Sie ver- steht nicht, wieso ich keine Freunde finde. Sie selbst hat viele Freunde. Auch meine Schwester hat viele Freunde.
„Gehst du auf Partys?“, fragt sie mich regelmäßig. So wie sie mich früher gefragt hat, ob ich meine Zähne geputzt, ob ich auch Zahnseide benutzt habe, so fragt sie mich jetzt: Gehst du aus, gehst du weg?
„Auf was denn für Partys?“, frage ich.
„Ich weiß nicht. Von deinen Mitstudenten?“
„Ich habe keine Mitstudenten. Ich promoviere.“
„Dann von deinen Mit-was-auch-immer. Du kannst mir nicht erzählen, dass es in der ganzen Stadt keine Partys gibt. Das glaube ich dir nicht, Marie.“
„Es gibt bestimmt welche. Aber keine, zu denen ich eingeladen werde.“
Das ist eine Lüge. Ich werde eingeladen – von Institutsmitarbeitern, von Frank und Nils, die zusammen mit mir promovieren. Ich werde zu Brunchs und Geburtstagsfeiern und Sektempfängen ein- geladen. In der Regel gehe ich nicht hin, und wenn ich doch hin- gehe, dann weiß ich nichts mit mir anzufangen. Während ich mich hinter bräunlichen Topfpflanzen herumdrücke, erschließt sich mir die englische Beschimpfung: A waste of space. Genauso fühle ich mich: als Verschwendung von Raum, als ein sperriges Zuviel, mit schlechter Haltung und einem Kopf voller unpassender Bemer- kungen. Den ganzen Abend über hoffe ich, nicht angesprochen zu werden, denn ich habe ja nichts zu sagen. Den ganzen Abend über hoffe ich, angesprochen zu werden, denn nichts ist schlimmer, als in einem Raum voller Menschen der Einzige zu sein, mit dem sich niemand unterhalten möchte.
Seitdem ich das Graduiertenkolleg besuche, bin ich auf drei
Dates gewesen, eine überschaubare Reihe an demütigenden Desastern. Ich habe kein Talent für unverbindliche Unterhaltungen, langweile mich schnell und bin zu ungeduldig, um einen Hehl daraus zu machen.
„Du bist zu kritisch“, sagt meine Mutter.
„Besser als nicht kritisch genug“, sage ich. Eine Anspielung auf meine Schwester, die im vergangenen Jahr glaubte, im In- ternet ihre große Liebe gefunden zu haben. Nach zweimonatigem E-Mail-Wechsel gab sie ihre Wohnung auf und zog ins fünfhundert Kilometer entfernte München, nur um zwei Wochen später mit hängendem Kopf bei meiner Mutter aufzutauchen und sich für ein halbes Jahr in ihrem Arbeitszimmer einzuquartieren.
„Ich meine nur“, sagt meine Mutter.
Sie verrät mir nicht, was sie nur meint, aber ich weiß es ja auch so, ich habe die Sätze so oft gehört, dass ich sie auch im Schlaf rezitieren könnte:
Ich werde auch nicht jünger. Eine große, geheimnisvolle Uhr tickt. Der Lauf der Zeit ist nicht aufzuhalten, und wer jetzt kein Haus baut, der baut keines mehr.
All das ist mir bekannt, und ich lache abfällig darüber, wenn ich mit meiner Mutter spreche. Nachts aber, wenn ich in meinem Bett liege, unter mir Pfefferspray und Brotmesser, hält mich die Vor- stellung wach, dass etwas mit mir im Zimmer ist, ein unvorstellbar großes, dem Auge jedoch verborgenes Tier, das die Wände ent- langschleicht. Ein Raubtier, nur schwerer, behäbiger, ein unsicht- barer Elefantenlöwe, der einen nicht zu Tode beißen, sondern mit seinem schieren Gewicht erdrücken würde. Will man nicht gefun- den werden, ist es wichtig, vollkommen regungslos zu liegen, flach und genau getaktet zu atmen.
*
Die Professorin, die meine Arbeit betreut, ist eine robuste, ener- gische Frau, und als sie beim Streichen ihrer Altbauwohnung von einem Stuhl fällt und sich den Oberschenkel bricht, sind wir alle sehr überrascht. Für mich, Frank und Nils, die Professor Dunker ebenfalls betreut, wird eine kleine Notkonferenz einberufen. In den Monaten zuvor bin ich zweimal mit Nils ausgegangen – aber an keinem der beiden Abende ist eine romantische Stimmung auf- gekommen, stattdessen haben wir uns über Lacans Spiegelstadium gestritten. Den zweiten Abend haben wir in dem Einverständnis beendet, kein tatsächliches, sondern bloß ein freundschaftliches Verhältnis zu beginnen. Ich glaube aber nicht, dass man behaup- ten könnte, wir seien Freunde.
Als wir die Nachricht von Professor Dunkers Oberschenkel- halsbruch erhalten, tauschen wir besorgte Blicke und kauen an unseren Fingernägeln. Wann wird Professor Dunker zurückkom- men, und was, wenn jemand anderes unsere Betreuung überneh- men muss, und was, wenn wir darauf hoffen müssen, von einem anderen Graduiertenkolleg irgendwo in Deutschland aufgenommen zu werden?
Es ist ein komplizierter Oberschenkelhalsbruch, teilt uns Profes- sor Dunkers Mann mit. Er unterrichtet ebenfalls am Institut. Um mit uns zu sprechen, ist er in Professor Dunkers Büro gekommen, und dort steht er vor ihrem aufgeräumten Schreibtisch wie ein befangener Eindringling, wie eine traurige Schildkröte. Sie wird das Krankenhaus so schnell nicht wieder verlassen, erklärt er uns, und dass man über ein künstliches Hüftgelenk nachdenken müsse. Nicht bloß wegen des Sturzes. Sie habe schon länger Schwierigkei- ten mit dem Laufen gehabt, aber das sei uns ja sicher aufgefallen. (Es war uns nicht aufgefallen.)
„Wir müssen sie besuchen“, sagt Frank später, als wir in der Cafeteria vor unserem dritten Kaffee sitzen.
Einen kurzen Moment suche ich nach einer Lüge (Ich bin allergisch gegen den Fußbodenreiniger, den sie in Krankenhäusern verwenden), aber statt mich lächerlich zu machen, nicke ich. Dann halte ich mich an meiner Kaffeetasse fest.
„Ungeheuerliche, soghafte, magische Erzählungen von archaischer Kraft münden in eine berührende Liebesgeschichte. Ich habe diesen Roman verschlungen - und der Roman mich.“
"Katharina Hartwell kann zaubern. Bei ihr spürt man den großen Rückenwind des Erzählens. „Das Fremde Meer“ geht dem ältesten Großprojekt der Literatur nach: die Rettung - wenn nicht des, so doch eines Menschen."
„Katharina Hartwells Roman ist eine atemberaubend sicher erzählte Verwirbelung der klassischen Motive der Literatur: Liebe, Angst und Tod. Berührend einfach, grandios komponiert, von sprühender Intensität. Ich bin berauscht.“
„Ein Debüt, das einen lange nicht mehr loslässt.“
„‘Das fremde Meer‘ verbindet überzeugend Magie mit der Realität, blickt in die Vergangenheit und ahnt eine Zukunft. Je länger man ‚Das fremde Meer‘ verfolgt, je tiefer man eintaucht, desto mehr fängt es seinen Leser ein […] ein kunst- und kraftvoll gebauter Roman. […] Katharina Hartwell erweist sich als begabte Erzählerin.“
"Zauberhaft!"
"Hartwells Sprache ist reduziert, ihre Fantasie überbordend. Ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastischer Erstling!"
"Ein poetisches Debüt."
"Hartwells Sprache ist dicht und sensibel. Ohne in Esoterik oder Kitsch abzugleiten, überzeugt die Autorin den Leser davon, dass nur die Liebe das Individuum aus seiner es ständig bedrohenden Verlorenheit retten kann. Dabei schielt sie keineswegs auf ein Happy End. Die Kraft der Liebe erweist sich in ihrem Vollzug - unabhängig vom Ergebnis. Das ist romantisch und realistisch zugleich."
"Ein verwirbeltes Kaleidoskop von einem Buch, ein Ritt durch die Genres, ein Sprungtanz zwischen den Orten: vom Winterwald in die Psychatrie, von der Wechselstadt, wo Häuser und Stadtviertel teleportiert werden, in die Geisterfabrik. Und immer geht es um Jan und Marie, um die Liebe, die Sehnsucht und die Angst vor Verlust. Sprühendes und tiefschichtiges Debüt der jungen Autorin Katharina Hartwell."
"Es heißt: Ein gutes Buch erkennt man auf den ersten 20 Seiten. Dieses hier wird ab Seite 50 attraktiv, auf Seite 120 spannend und auf Seite 568, im allerletzten Satz entwickelt es sich zu einem ganz großen Werk. Selten sind zehn Erzählstränge, Rahmenhandlung (Marie und Jan) und neun Novellen, so kunstvoll verwoben worden. Selten sind Erzählmotive - Meer, Fische, Krankheit, der große, dunkle angsterregende Schattenmann - in verschiedenen Geschichten so dezent variiert worden, dass es für Verwirrung und Spannung gleichzeitig sorgt. Selten waren Sätze und Worte so einfach-alltäglich und doch so aussagekräftig."
„Schon in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Erzählungsband "Im Eisluftballon" hat die 1984 in Köln geborene Katharina Hartwell gezeigt, wie gut sie die Dinge zum Flirren bringen kann. Auch in ihrem Debütroman weicht sie nun die Umrisse auf. Unter der Oberfläche der Sätze indes entspinnt sich ein Netz von Andeutungen und Motiven, die allesamt etwas mit dem Verschwinden zu tun haben, mit dem Fremdsein und der Angst, die Liebe könnte plötzlich vergehen. Die Fäden verschlingen sich immer weiter und werden erst auf den letzten Seiten verknotet. Es gehört zur Kunstfertigkeit dieses Romans, dass er seine Erzählidee trotzdem nicht ganz auflöst. Denn wie heisst es über die Stimmen, an die wir uns erinnern: "Wir sind der Spuk in den Köpfen der Gespenster. Aber wer wir einmal waren, ist nicht weiter wichtig, es geht immer bloss um das Jetzt und um das, was sein wird."“
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