Das Haus der tausend Fenster Das Haus der tausend Fenster - eBook-Ausgabe
Roman
— Ein Familiengeheimnis über ein altes Herrenhaus und seine düstere Vergangenheit„Der Roman ist eine wunderbare Mischung aus Geschichte und Mystik. Man taucht in längst vergangene Zeiten ab – eine mitreißende und spannende Erzählung, die den Leser in unterschiedliche Epochen mitnimmt.“ - Radio Euroherz
Das Haus der tausend Fenster — Inhalt
Ein Herrenhaus und sein düsteres Geheimnis
Juliet ist überwältigt, als sie das alte Familienanwesen Havencross zum ersten Mal sieht. Die junge Historikerin wurde von der Familie Somersby beauftragt, das riesige Haus zu entrümpeln. Der attraktive Noah Bennett bietet ihr seine Hilfe an, und bald bekommt Juliet Herzklopfen, wenn sie an seine grünen Augen denkt …
Doch eines Nachts hört Juliet Schritte und glaubt, die Gestalt eines Kindes zu erkennen – sieht sie Geister? Um nicht über die dunklen Seiten ihrer eigenen Vergangenheit nachdenken zu müssen, stürzt sich Juliet in die Geheimnisse von Havencross und stößt auf die Legende vom verschollenen Jungen, die bis zu den Rosenkriegen zurückreicht. Kann es derselbe Junge sein, den Juliet meint in dem hallenden, leeren Haus gesehen zu haben?
Von der Autorin des Publikumserfolgs „Das geheime Turmzimmer“: ein Familiengeheimnis-Roman der Spitzenklasse
Leseprobe zu „Das Haus der tausend Fenster“
1
Juliet
November 2018
Dieses Gebäude ist ein St. Pancras in Miniaturformat, dachte Juliet.
Wobei Miniatur wohl kaum ein passendes Wort war, um Havencross zu beschreiben, überlegte sie weiter. Das Herrenhaus war ein Mammutbau, gigantisch und überwältigend. Zwar mochte das ausgedehnte Gemäuer nicht so viel Platz beanspruchen wie St. Pancras mitsamt seinem Hotel, aber dafür war Londons berühmter Bahnhof von Häusern umgeben, von tobendem Stadtleben und wimmelnden Menschen, sodass das Auge in jedem Moment von etwas Neuem angezogen wurde. Hier in Northumberland [...]
1
Juliet
November 2018
Dieses Gebäude ist ein St. Pancras in Miniaturformat, dachte Juliet.
Wobei Miniatur wohl kaum ein passendes Wort war, um Havencross zu beschreiben, überlegte sie weiter. Das Herrenhaus war ein Mammutbau, gigantisch und überwältigend. Zwar mochte das ausgedehnte Gemäuer nicht so viel Platz beanspruchen wie St. Pancras mitsamt seinem Hotel, aber dafür war Londons berühmter Bahnhof von Häusern umgeben, von tobendem Stadtleben und wimmelnden Menschen, sodass das Auge in jedem Moment von etwas Neuem angezogen wurde. Hier in Northumberland hingegen gab es nichts weiter zu sehen als Havencross, dieses überladene neugotische Bauwerk, das seine extravagante Silhouette mit den gemauerten Ziegelsteintürmen und den gemeißelten Pinakeln gegen den grauen Himmel warf.
Und erst die Fenster: Havencross hatte spitz zulaufende Fenster mit filigranem Maßwerk, Bleiglasfenster und Giebelfenster, kleeblattförmige Fenster, die sich unter Spitztürmchen versteckten. Hundert Augenpaare konnten Juliets Ankommen aus ebenso vielen Fenstern beobachten.
In den nächsten fünf Monaten würde sie allerdings die Einzige sein, die hier aus den Fenstern schaute. Vor fast zweihundert Jahren war das Haus für eine fünfzehnköpfige Familie samt Personal erbaut worden, und später hatte es als Internatsschule für neunzig Jungen gedient. Als Juliet die Stelle angenommen hatte, war sie nicht auf einen derart einschüchternden Reichtum an Baustilen und auch an Raum gefasst gewesen.
Sie begann sich auszumalen, wie Havencross wohl im Dunkeln wirken würde, brach das jedoch schnell wieder ab, denn sie war Meisterin darin, Unangenehmes so lange zu ignorieren, bis es nicht mehr möglich war.
Feigheit, nannten manche das. „Nicht den Teufel an die Wand malen“, hatte ihre Großmutter dazu gesagt, und dieser Ausdruck gefiel Juliet besser.
Nell Somersby-Sims, Rechtsanwältin und Cousine um ein paar Ecken, die die Beschreibung von Havencross verfasst und Juliet für die nächsten fünf Monate eingestellt hatte, wartete draußen vor der hochherrschaftlichen Doppeltür. Als Juliet hielt und das Fenster ihres Leihwagens herunterließ, sagte Nell: „Fahr bis ganz nach hinten durch und dann nach links, da findest du Platz, um den Wagen abzustellen.“
„Möchtest du einsteigen?“, fragte Juliet.
„Ich gehe durchs Haus, und wir treffen uns dann am Waschkücheneingang.“
Ist mir recht, dachte Juliet, denn ihr war noch nicht ganz wohl dabei, auf der linken Straßenseite zu fahren. Es war zwar unwahrscheinlich, dass sie auf dem Weg zur Rückseite des Hauses Gegenverkehr haben würde, aber trotzdem. Zurzeit fand sie es wichtig, kompetent zu wirken. Bei allem, was sie tat. Ausnahmslos.
Auf der Rückseite des Herrenhauses wurden die gotischen Verzierungen von der nüchternen Struktur des ursprünglichen Gebäudes aus dem fünfzehnten Jahrhundert abgelöst. Nell Somersby-Sims – auch wenn sie eine entfernte Cousine war, Juliet konnte nicht anders, als sie in Gedanken mit ihrem vollen Oberschichtsnamen anzusprechen – wartete jetzt an der soliden Eichentür, die in die Waschküche führte, während Juliet ihre Sachen aus dem Auto holte. Nell trug Stiefel mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, die für die City gedacht waren, nicht für Gepäcktransporte über verwilderte Wirtschaftshöfe.
Juliet ließ ihren Koffer und ihre Umhängetasche auf den Fliesenboden der viktorianischen Waschküche fallen und betrachtete die Kupferbottiche und die Gestelle, die man früher mit schwerer, nasser Wäsche behängt und an die Decke hochgekurbelt hatte.
Hastig sagte Nell: „Für die schweren Sachen und für alles, was an den Wänden oder am Fußboden befestigt ist, bist du natürlich nicht zuständig. Wenn du dann wieder fort bist, lassen wir ein Umzugsunternehmen kommen und das ganze Haus ausräumen. Deine Aufgabe ist es, die alten Kommoden, Kleiderschränke und Regale durchzusortieren und solche Dinge.“
„Ja, du hast mir den Job sehr genau beschrieben.“
Eigentlich war es gar kein richtiger Job. Zum einen würde man Juliet nicht bezahlen, oder jedenfalls nicht gleich. Vorerst war es eine Art Tausch. Nach drei Jahren als Lehrbeauftragte für Viktorianische Geschichte in Maine hatte Juliet flüchten müssen – sowohl aus Maine als auch aus ihrer zerbrochenen Ehe. Mit dreißig war sie wieder bei ihren Eltern untergeschlüpft, und ihr Erspartes war nur noch eine ferne Erinnerung … kein schöner Zustand. Sie hatte unbedingt etwas tun wollen, aber nicht die Energie gehabt, selbst die Initiative zu ergreifen, und so war sie in England gelandet, ohne richtig zu wissen, wie sie hergekommen war. Angefangen hatte das alles, als ihre Mutter vor drei Wochen von einer britischen Anwältin – oder Notarin – kontaktiert worden war. Es ging um den Verkauf eines alten, unbewohnten Anwesens, das sich in Familienbesitz befand.
Havencross.
Juliet war zum Teil aufgrund ihres Bewerbungsgespräches über Skype eingestellt worden und zum Teil, weil ihre Mutter angeboten hatte, das Gehalt aus ihrem eigenen Anteil vom späteren Verkaufserlös zu bezahlen. In erster Linie aber hatte man sie angeheuert, weil sie bereit war, allein in einem eintausenddreihundert Quadratmeter großen Haus mitten im Nationalpark Northumberland zu wohnen, an einem rasch dahinströmenden Fluss und zehn Meilen vom nächsten Dorf entfernt. Fünf Monate lang. Fünf Wintermonate.
Havencross sollte in ein exklusives Country Hotel umgewandelt werden, von der Art, die im Herbst Jagdveranstaltungen boten, im Winter Schneeschuhwandern und lodernde Kaminfeuer, im Frühling und im Sommer Angeln und Wandern und dazu einen Küchenchef aus dem Ausland sowie Viersterne-Luxusbetten. Doch bevor die kostspieligen Renovierungen beginnen konnten, musste das Haus von den Hinterlassenschaften einiger Generationen befreit werden.
Nell gab ihr einen kurzen Überblick über das Erdgeschoss, aber als sie anbot, ihr auch den Rest des Hauses zu zeigen, winkte Juliet ab. Sie sah, dass die junge Frau gern wieder loswollte. Und Juliet selbst wollte Nell auch gern los sein, ungeachtet ihrer verwandtschaftlichen Beziehung. Die hätte ebenso gut gar nicht existieren können, denn Juliet hatten den Namen ihrer Cousine vor drei Wochen zum ersten Mal gehört.
Nicht, dass sie etwas gegen Nell Somersby-Sims persönlich gehabt hätte. Mit ihrem schimmernden, schulterlangen Bob, den mit Gel manikürten Nägeln und dem Bleistiftrock in Größe sechsunddreißig war sie wirklich eine nette Frau. Aber Juliet konnte Nells Zweifel förmlich hören: Das geht bestimmt klar, wir haben diese Frau ja nicht eingestellt, um irgendetwas Wesentliches zu tun, sie ist kaum mehr als ein Frühwarnsystem, und es ist ja nicht so, als würde jemand eine unglückliche Wissenschaftlerin vermissen, wenn sie mal fünf Monate lang anderswo ist.
Juliet hatte sich im Umgang mit schönen, beruflich erfolgreichen Frauen schon immer in der Defensive gefühlt. Und nach den letzten drei Jahren, in denen ihre Hormone verrücktgespielt hatten, ihr Mann gleichgültig geblieben war und tiefer Kummer sie bedrückte, war sie überzeugt, dass sie im Grunde unsichtbar war.
„Das ist nur in deinem Kopf“, hatte Duncan ungeduldig gesagt. „Wenn dir dein Aussehen oder deine Emotionen nicht gefallen, wenn es dir nicht passt, dich unsichtbar zu fühlen, dann tu doch was dagegen!“
Im Moment jedoch sehnte Juliet sich geradezu danach, unsichtbar zu sein. Doch, ja, Miss Somersby-Sims, ich komme hier klar, dachte sie. Hier ist ein Grundriss vom Haus, sehr hilfreich, und alle nötigen Schlüssel sind auch da, und es ist sehr nett von dir, dass du für eine Woche Lebensmittel besorgt hast, und ich kann es kaum abwarten, mich in die Arbeit zu stürzen …
Beim Hinausgehen zögerte ihre Cousine an der Waschküchentür. „Rachel Bennett kommt jeden Donnerstag und putzt im Wohnbereich. Sie ist die nächste Nachbarin hier. Auf der Straße sind es fast drei Meilen bis zu ihrer Farm, aber wenn man den Fußweg über die Felder diesseits des Flusses nimmt, ist es nicht so weit. Die Familie Bennett lebt schon ewig hier – wenn du etwas über die Gegend und ihre Geschichte wissen möchtest, ist Rachel genau die richtige Ansprechpartnerin.“
„Das ist schön, danke.“
„Du kannst mich jederzeit mobil erreichen, wenn du Fragen hast oder etwas Unerwartetes auftaucht. Ganz viel Glück.“
Noch bevor Nell in ihrem schnittigen Audi vom Hof gebraust war, machte Juliet die Hintertür zu und lehnte sich dagegen. Sie schloss die Augen und spürte ihr Herzklopfen.
Allein. Genau das hatte sie sich gewünscht.
Oder nicht?
2
Juliet
2018
Als Erstes hatte Juliet das vor, was sie immer als Erstes tat, wenn sie auf Reisen war – auspacken und Ordnung schaffen, um nicht im Chaos wohnen zu müssen. Nell Somersby-Sims hatte sie zu ihrer Unterkunft im Erdgeschoss geführt, einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer mit einem Bad aus den 1940er-Jahren, die Clarissa Somersbys letztes Zuhause gewesen waren. Clarissa war 1894 auf Havencross geboren und mit achtundneunzig Jahren in diesen Räumen verstorben. Juliet war zwar in Bezug auf den Tod nicht abergläubisch – in den vergangenen sechs Monaten hatte sie zeitweise kaum an etwas anderes gedacht –, doch in dieser kleinen Wohnung bekam sie Platzangst, daher schleppte sie ihr Gepäck trotzig die Treppe hinauf und erkundete dann auf eigene Faust das zweite Stockwerk. Nein, das erste Stockwerk, korrigierte sie sich, schließlich befand sie sich nicht mehr in den USA, sondern in England, und hier zählte man das Erdgeschoss als Stockwerk nicht mit. Allerdings spielten solche sprachlichen Unterschiede im Moment wohl kaum eine Rolle, denn sie war allein im Haus und musste auch nicht befürchten, im Fahrstuhl auf den falschen Knopf zu drücken.
Juliet hatte das Exzentrische an der englischen Architektur immer geliebt, aber ein Gebäude wie dieses brachte sie mit ihrer Liebe an ihre Grenzen. Es war als Wohnhaus für eine Familie errichtet worden, in einer Zeit, als große Familien und eine noch größere Anzahl an Dienstboten in den Gesindestuben die Regel waren. Später hatte man es den Bedürfnissen eines Jungeninternates angepasst, und im Zweiten Weltkrieg war es dann requiriert und in ein militärisches Ausbildungszentrum umfunktioniert worden. Diese wechselhafte Geschichte führte dazu, dass Juliet ein Weilchen brauchte, um herauszufinden, wofür die einzelnen Räume ursprünglich genutzt worden waren.
Gleich oben an der Treppe lagen zwei sehr große Zimmer, die als eine Art Empfangsräume gedient haben mussten, auch wenn sie nicht so groß waren wie die hallenähnlichen, formaleren Räumlichkeiten im Erdgeschoss. In einem der beiden Räume schmückten Steinreliefs, die verschiedene Instrumente und Noten darstellten, die Kamineinfassung und die Friese, daher vermutete Juliet, dass es sich hier um ein Musikzimmer gehandelt haben musste. Der andere Raum war vielleicht einst ein Morgenzimmer gewesen, jenes den Frauen aus der Oberschicht vorbehaltene Zimmer, in dem sie ihre private Korrespondenz erledigen und sich in weniger förmlicher Kleidung zeigen konnten als in den allgemein zugänglichen Bereichen des Hauses.
In beiden Räumen stand ein buntes Sammelsurium von Möbelstücken, von einem Chippendale Sideboard über den Nachbau einer mittelalterlichen Bank, auf der zehn Schuljungen nebeneinander Platz gefunden hätten, bis hin zu Militärschreibtischen aus Metall. Als Clarissa in den späten Siebzigerjahren nach Havencross zurückgekehrt war, hatte sie sich offenbar entschieden, diese Räumlichkeiten nicht zu nutzen.
Hinter diesen beiden Zimmern erstreckten sich nach Osten und nach Westen hin lange Flure. Im Westflügel befanden sich Schlafzimmer verschiedener Größen und ein riesengroßes Badezimmer, das in voller Art-déco-Pracht ausgestattet war, mit mintgrünen Fliesen sowohl auf dem Fußboden als auch an den Wänden.
Das geräumigste Schlafzimmer lag ganz am westlichen Ende des Gebäudes. Vier der schmalen, nahezu bodentiefen Fenster mit den schweren grünen Damastvorhängen lagen an der Seite des Hauses, und zwei gingen auf den Fluss hinaus. In diesem Zimmer standen ein wuchtiges Mahagonibett, das hier oben zusammengebaut worden sein musste, weil man es im Ganzen niemals die Treppe hätte hinauftragen können, und eine schöne Frisierkommode. Eingebaute Regale flankierten den marmornen Kamin. Eine Tür führte in ein viktorianisches Ankleidezimmer, von dem aus eine weitere Tür in ein kleineres Schlafzimmer abging, das wohl den Ehemännern gedient hatte, die im Bett ihrer Gattin nicht immer willkommen gewesen waren.
In diesen Räumen gab es viele Dinge, die sortiert werden mussten, denn sie waren in jüngerer Zeit erneut vollgeräumt worden, mit Büchern, Papierstapeln und sogar Truhen mit altmodischer Kleidung. Es mussten Clarissas Zimmer gewesen sein, bevor das Alter sie gezwungen hatte, nach unten zu ziehen. Juliet freute sich zwar darauf, das alles durchzugehen, und die vier Fenster an der Seite boten einen wunderschönen Blick auf den ursprünglichen, ummauerten Garten, aber sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, hier zu schlafen.
Schließlich entschied sie sich für ein Zimmer im ältesten Teil des Hauses. Es war nicht allzu groß, aber sie fand es bezaubernd. Es hatte unterschiedlich steile Dachschrägen und einen Fenstersitz, und die leuchtenden Farben der handbemalten Tapete waren zu einem freundlich milden Hintergrund verblichen. Die Holztäfelung hatte man irgendwann einmal in einem dunklen Grünblau angestrichen; die Innenausstattung erinnerte Juliet an das House of the Seven Gables in Salem, Massachusetts. Duncan und sie hatten Salem immer geliebt. Auf der anderen Seite des Flurs befand sich ein ähnlicher Raum, den sie als Arbeitszimmer oder kleines Wohnzimmer nutzen konnte.
Die Sonne war schon untergegangen, als Juliet ausgepackt hatte und entschied, dass es ungefährlich war, die nächste Toilette aufzusuchen. Zum Duschen würde sie später allerdings nach unten in die Wohnung wandern müssen. Nell und ihre Chefs hatten in den wichtigsten Teilen des Hauses bereits die Elektrik erneuern lassen. Aber selbst mit den nagelneuen Glühbirnen im Korridor und in der Eingangshalle schien Havencross Licht zu schlucken.
Früher hatte Juliet sich vor Dunkelheit gefürchtet. Eine Nachbarin hatte einmal bemerkt, sie wisse immer, wann Duncan nicht da sei, denn dann brenne die ganze Nacht lang Licht im Haus. Doch seit Mai hatte Juliet im Innern für Angst vor eingebildeten Gefahren keinen Raum mehr. Daher stieg sie, nachdem sie sich in der Küche Suppe warm gemacht hatte, wieder in den ersten Stock hinauf und dann weiter bis ins Dachgeschoss des viktorianischen Gebäudeteils.
Sie wollte sich einen Überblick verschaffen, wo wie viel Arbeit anfiel. Und ja, sie inspizierte eine ganze Reihe kleiner Dienstbotenkammern, die mit Kartons und ausrangierten Haushaltsutensilien vollgestellt waren. Am meisten aber überraschte sie ein luftiger Raum mit hoher Decke, der, nach dem schnurlosen Telefon zu urteilen, noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg benutzt worden war.
Das konnte nur Clarissa gewesen sein, denn soweit Juliet wusste, hatte seit sechzig Jahren niemand anderes mehr auf Havencross gewohnt. Voller Neugier betrachtete sie die Regale und den Schreibtisch. Das hier war nicht das Zimmer oder das Büro einer traurigen, exzentrischen Einsiedlerin gewesen; obwohl es seit vielen Jahren nicht mehr benutzt wurde, strahlte es immer noch so viel Lebendigkeit und geistige Eigenständigkeit aus, dass Juliet vermutete, sie hätte sich gut mit Clarissa verstanden. Und warum auch nicht? Clarissa war die Großtante ihrer Mutter gewesen. Damit war sie selbst Clarissas … na ja, jedenfalls war sie irgendwie mit ihr verwandt.
Hier oben hing bloß eine trübe Funzel an der Decke, daher sah Juliet sich nur flüchtig um. In den Schubladen entdeckte sie sowohl getippte als auch handgeschriebene Seiten, und der kurze Blick auf die Regale erweckte den Eindruck, dass sich hier jemand sehr für englische Geschichte interessiert hatte.
Gerade wollte Juliet das Licht wieder ausschalten, da sah sie aus dem Augenwinkel auf einem der unteren Bücherbretter etwas schimmern. Es war ein Silberrahmen, in dem ein altes Foto von einem kleinen Jungen steckte.
Dunkles Haar, runde Wangen, ein gestärktes weißes Hemd und Kniebundhosen aus einer Zeit noch vor dem Ersten Weltkrieg; selbst in der Erstarrung auf der Schwarz-Weiß-Fotografie besaß der Junge einen unwiderstehlichen Charme. Als würde er Juliet jeden Moment mit breitem Lächeln in die Arme springen wollen.
Juliet betrachtete den Jungen viel länger, als die Aufnahme selbst es rechtfertigte. Erst als der Kummer sie zu ersticken drohte, floh sie in die Sicherheit ihres Schlafzimmers und zu ihren Schlaftabletten.
„Als ich 2018 begann, dieses Buch zu schreiben, konnte ich nicht ahnen, dass ich meine Geschichte über die Grippepandemie von 1918 wegen einer neuen, in diesem Jahrhundert ausgebrochenen Pandemie im Lockdown in meinem Haus beenden würde.
Die Idee für Dianas Geschichte ging dem Coronavirus voraus, und Auslöser dafür waren die Hundertjahrfeiern zum Ende des Ersten Weltkrieges. Ich interessiere mich seit jeher für diesen Krieg und dafür, wie sich das Leiden in den Kriegsjahren und das Leiden unter der grausamen Krankheit, die weltweit mehr als doppelt so viele Opfer forderte wie der Erste Weltkrieg, überlagerten.“
„Der Roman ist eine wunderbare Mischung aus Geschichte und Mystik. Man taucht in längst vergangene Zeiten ab – eine mitreißende und spannende Erzählung, die den Leser in unterschiedliche Epochen mitnimmt.“
„‚Das Haus der tausend Fenster‘ ist ein bezaubernder Roman. Laura Andersen verbindet darin Romantik und Spannung in perfekter Kombination.“
DATENSCHUTZ & Einwilligung für das Kommentieren auf der Website des Piper Verlags
Die Piper Verlag GmbH, Georgenstraße 4, 80799 München, info@piper.de verarbeitet Ihre personenbezogenen Daten (Name, Email, Kommentar) zum Zwecke des Kommentierens einzelner Bücher oder Blogartikel und zur Marktforschung (Analyse des Inhalts). Rechtsgrundlage hierfür ist Ihre Einwilligung gemäß Art 6I a), 7, EU DSGVO, sowie § 7 II Nr.3, UWG.
Sind Sie noch nicht 16 Jahre alt, muss zwingend eine Einwilligung Ihrer Eltern / Vormund vorliegen. Bitte nehmen Sie in diesem Fall direkt Kontakt zu uns auf. Sie selbst können in diesem Fall keine rechtsgültige Einwilligung abgeben.
Mit der Eingabe Ihrer personenbezogenen Daten bestätigen Sie, dass Sie die Kommentarfunktion auf unserer Seite öffentlich nutzen möchten. Ihre Daten werden in unserem CMS Typo3 gespeichert. Eine sonstige Übermittlung z.B. in andere Länder findet nicht statt.
Sollte das kommentierte Werk nicht mehr lieferbar sein bzw. der Blogartikel gelöscht werden, ist auch Ihr Kommentar nicht mehr öffentlich sichtbar.
Wir behalten uns vor, Kommentare zu prüfen, zu editieren und gegebenenfalls zu löschen.
Ihre Daten werden nur solange gespeichert, wie Sie es wünschen. Sie haben das Recht auf Auskunft, auf Berichtigung, auf Löschung, auf Einschränkung der Verarbeitung, ein Widerspruchsrecht, ein Recht auf Datenübertragbarkeit, sowie ein Recht auf Widerruf Ihrer Einwilligung. Im Falle eines Widerrufs wird Ihr Kommentar von uns umgehend gelöscht. Nehmen Sie in diesen Fällen am besten über E-Mail, info@piper.de, Kontakt zu uns auf. Sie können uns aber auch einen Brief schicken. Sie erhalten nach Eingang umgehend eine Rückmeldung. Ihnen steht, sofern Sie der Meinung sind, dass wir Ihre personenbezogenen Daten nicht ordnungsgemäß verarbeiten ein Beschwerderecht bei einer Aufsichtsbehörde zu. Bei weiteren Fragen wenden Sie sich gerne an unseren Datenschutzbeauftragten, den Sie unter datenschutz@piper.de erreichen.