Das Loft Das Loft - eBook-Ausgabe
Sie sind deine besten Freunde – aber kannst du ihnen trauen?
— Der SPIEGEL-Bestseller – Jetzt im TaschenbuchDas Loft — Inhalt
Du kennst die Wahrheit? Du kennst sie nicht!
Drei sind einer zu viel
Ein schickes Loft in Hamburg. Ein Paar Anfang dreißig, Sarah und Marc, und ihr Mitbewohner Henning, Marcs bester Freund. Drei Jahre lang sind sie aufs Engste verbunden, teilen ihre Träume und Sehnsüchte. So scheint es zumindest. Dann aber wird Henning grausam ermordet, und sämtliche Spuren deuten auf Sarah und Marc. Hat sie ihn getötet, war er es? Haben sie es gemeinsam getan? Und was hat ihre einst so große Liebe von einen Tag auf den anderen zerrissen? Bei den Vernehmungen erzählt jeder seine eigene Geschichte, aber nur eine ist wahr. Wenn überhaupt …
Jeder hat seine Geschichte – und seine Abgründe: Psycho-Spannung von Bestsellerautor Linus Geschke
Leseprobe zu „Das Loft“
Eins
„Und da sitzt du,
schaust in dir deinen
Liebesfilm an.
So laut wie es geht,
dass man den Schmerz
nicht mehr hört.
Und so treibst du,
und du träumst
von dem was dich quält,
die heile Welt.“
Voltaire, „Wo“ aus dem Album Heute ist jeder Tag
Marc
Das Schöne an Märchen ist nicht, dass sie immer mit „Es war einmal“ beginnen oder mit „Und wenn sie nicht gestorben sind“ enden. Das Schöne ist, dass sie manchmal wahr werden, wenn man sie nur oft genug erzählt.
Mein Märchen mit Sarah begann in einem Ort namens San Vito Lo Capo, dessen kilometerlanger Sandstrand auf der [...]
Eins
„Und da sitzt du,
schaust in dir deinen
Liebesfilm an.
So laut wie es geht,
dass man den Schmerz
nicht mehr hört.
Und so treibst du,
und du träumst
von dem was dich quält,
die heile Welt.“
Voltaire, „Wo“ aus dem Album Heute ist jeder Tag
Marc
Das Schöne an Märchen ist nicht, dass sie immer mit „Es war einmal“ beginnen oder mit „Und wenn sie nicht gestorben sind“ enden. Das Schöne ist, dass sie manchmal wahr werden, wenn man sie nur oft genug erzählt.
Mein Märchen mit Sarah begann in einem Ort namens San Vito Lo Capo, dessen kilometerlanger Sandstrand auf der einen Seite von einem Bergmassiv und auf der anderen von einem malerischen Hafen begrenzt wurde, in dem Fischerboote an Pollern vertäut auf die nächste Ausfahrt warteten. Drei Jahre ist das jetzt her, und an jenem Tag gab es keine bösen Geister, nirgends. Vielleicht habe ich sie auch einfach nicht gesehen.
Du lagst mitten am Strand auf einer Sonnenliege, keine zehn Meter vom azurblauen Wasser des Mittelmeers entfernt. Ein Strohhut und ein Strandkleid hingen über der Lehne, und du sahst jung aus; jünger noch, als du es mit deinen achtundzwanzig Jahren ohnehin erst warst. Deine Haare waren zu einem Dutt hochgesteckt, und auf dem flachen Bauch lag ein Buch: dunkles Cover, gelber Titel, wahrscheinlich irgendein Thriller.
Von deinen Augen konnte ich nichts erkennen, sie waren hinter einer Sonnenbrille verborgen, aber in deinen Mundwinkeln zeichnete sich ein kleines Lächeln ab, als würde dich irgendetwas amüsieren. Wenn ich an unsere Anfänge zurückdenke, hast du eigentlich immer gelächelt. Damals, als noch nichts geschehen war, was dir dieses Lächeln raubte.
Henning stieß mich mit dem Ellbogen an, deutete in deine Richtung und grinste. Er sagte nichts. Er musste auch nichts sagen, die Würfel waren gefallen. An diesem Strand, unter all den Frauen, warst du der Jackpot. Natürlich sahst du gut aus, aber das war nicht das Entscheidende. Viele Frauen sehen gut aus. Wenn ich an die Zeit zurückdenke, kommt es mir ohnehin so vor, als hätte es damals ausschließlich attraktive Mädchen gegeben – vielleicht habe ich die hässlichen auch einfach nur vergessen.
„Du musst dich eincremen, sonst verbrennst du noch.“
Ich weiß nicht, warum ich das sagte; es war so ziemlich das Dümmste, das man in einer solchen Situation sagen konnte. Aber was hätte ich sonst tun können? Die einzige Alternative wäre gewesen, dich aus der Ferne stundenlang anzustarren, aber das wäre noch dümmer gewesen – da sind wir uns hoffentlich einig.
Nachdem die Worte raus waren, hast du in meine Richtung geschaut, die Sonnenbrille abgenommen und meinen Körper betrachtet, der damals noch eine ganze Ecke besser in Form war als heute. Für ein paar Sekunden traf sich unser Blick, dann hast du die Sonnenbrille wieder wie ein Visier vor die Augen geschoben und den Kopf gelangweilt abgewendet.
„Ich würde dich gerne kennenlernen, aber ich will auch nichts Falsches sagen, damit ich nicht wie ein kompletter Idiot dastehe“, sagte ich. „Das ist echt schwer. Ein Dilemma, und ich hoffe, du verstehst mein Problem.“
Mein Puls raste, aber dann hast du gelächelt. Vielleicht nur mitleidig, aber das war mir in diesem Moment egal. Ich wusste nicht, wie du heißt, wo du herkommst oder was du machst; ob du einen Freund hast, verheiratet oder lesbisch bist. Alles, was ich wusste, war, dass ich dich lieben konnte, lieben würde, lieben musste. All diese Dinge wusste ich mit einer Selbstverständlichkeit, die mir auch heute noch Angst macht. Ich war einunddreißig Jahre alt, schon lange kein naives Kind mehr, und dennoch kam es mir vor, als wäre mein bisheriges Leben nur dazu da gewesen, mich an diesen Punkt zu führen.
Zu dir.
„Das ist also deine Art, Frauen anzusprechen“, hast du nach einer Ewigkeit gesagt, und es war wie eine Erlösung.
„Eigentlich nicht“, erwiderte ich achselzuckend, während ich mir gleichzeitig Mühe gab, mir die Unsicherheit nicht ansehen zu lassen. „Ehrlich gesagt, bin ich gerade ein wenig überfordert. Wenn du also einen Tipp hast, was ich stattdessen sagen sollte – gerne her damit!“
Dann kam es wieder, dieses umwerfende Lächeln. „Lass mich darüber nachdenken … und in der Zwischenzeit kannst du mir im Gna’ Sara ja ein Glas Wein spendieren.“
Ohne meine Antwort abzuwarten, zogst du dein bunt gemustertes Strandkleid über. Ich nutzte den kurzen Moment, in dem das Kleid deine Augen verdeckte, um Henning zu signalisieren, dass er sich verziehen sollte. Er verstand sofort und ging in Richtung unserer Liegen davon. Sein Körper war von unserem vorherigen Badeausflug immer noch feucht; Sand bedeckte die Waden, sie sahen aus wie paniert.
„Wie heißt du?“
Ich fuhr herum. „Marc“, sagte ich. „Und du?“
„Sarah. Sarah Hauptmann. Schön, dich kennenzulernen, Marc.“
Als wir über den Strand in Richtung des kleinen Orts gingen, hätte ich am liebsten schon deine Hand in meine genommen. Ich tat es nur nicht, weil ich Angst hatte, dass ich sie nie wieder loslassen würde.
Anfangs unterschieden sich unsere Schritte noch, bis sie einen gemeinsamen Rhythmus fanden und ihre Geräusche sich im Gleichklang ineinanderschoben. Ich schaute rüber zu dir, immer wieder, nur aus den Augenwinkeln. Du warst klein, nur gut einen Meter sechzig groß. Alles an dir wirkte verletzlich, und schon damals hatte ich das Gefühl, dich vor allem Bösen beschützen zu müssen. Ein altmodisches Gefühl, ich weiß, aber dennoch ist es geblieben. Bis heute.
Als wir am Gna’ Sara ankamen, hielt ich dir die Tür auf und verbeugte mich leicht. Du bist wie eine Königin reingegangen, hast dich umgeschaut und auf der Terrasse einen Stuhl gewählt, von dem aus man das Meer sehen konnte. Ich sah nichts, nur dich. Betrachtete deine ungekämmten Haare und die perfekt geschwungenen Lippen, sah die Verletzlichkeit in deinen fast noch kindlichen Gesichtszügen – der Anblick kippte die Zeit aus den Fugen. Augenblicklich wollte ich dich küssen und im Arm halten, nichts anderes. Dir sagen, dass das Herz in deiner Brust nicht grundlos schlug.
Als der Kellner kam, sah er uns an und zögerte kurz. Dann machte er eine dieser wedelnden Handbewegungen, wie sie nur Italiener stilecht hinbekommen, und sagte lächelnd: „Due amanti, un grande amore. Das sieht man sofort!“
Unsere Blicke trafen sich, und ich wusste, dass du es auch wusstest. Dass die ganze Welt es sehen konnte.
Die Vollkommenheit von Glück.
An diesem Sommertag begann mein Märchen mit Sarah, und es endete, als eine Polizistin mich drei Jahre später fragte, ob sie oder ich meinen besten Freund getötet hatte.
Sarah
Die Anfänge kennen das Ende nicht, und das Gute kann sich das Böse nicht vorstellen.
So war es auch mit uns, Marc.
Vom ersten Tag an.
Mit deinem Dauergrinsen und der aufgesetzten Coolness hast du im ersten Moment fast schon arrogant gewirkt, während dein Freund natürlicher rüberkam, irgendwie gelassener. Ich will ehrlich sein: Als ihr betont lässig auf mich zugekommen seid und euch dabei wie die Teenager gegenseitig mit den Ellbogen angestoßen habt, habe ich mir gewünscht, dass er es sein wird, der mich anspricht. Es kam anders, du warst einfach schneller.
Anfangs hoffte ich noch, dass ich über dich an ihn herankomme, aber dann, ja dann ist es passiert. Ich habe mich verliebt. In dich. In den Marc, der hinter dem Dauergrinsen und der aufgesetzten Coolness wohnt.
Kein Mensch kann steuern, in wen er sich verliebt, aber selbst wenn die Entscheidung für dich eine bewusste gewesen wäre, hätte ich sie in den folgenden Jahren nie bereut. Du bist der aufmerksamste Mann, den man sich wünschen kann, und du schaffst es immer noch, mich zu begeistern und zu überraschen.
Wie oft haben mich Freundinnen um dich beneidet? Ich weiß es nicht.
Oft.
Sehr oft.
Von Anfang an war die Liebe ein wichtiger Eckpfeiler unserer Beziehung, die körperliche Anziehungskraft ein weiterer, der stärkste jedoch das Vertrauen. Ich habe dir immer vertraut, und zwar vor allem, weil du mir gegenüber stets ehrlich gewesen bist. Nicht viele Menschen verdienen ein solches Vertrauen. Bei denen, die ich zuvor liebte und die behaupteten, stark zu sein, zeigte sich mit der Zeit, dass auch sie ihre Schwächen haben; dass ihre schönen Fassaden von Rissen durchzogen sind und dass sie auf schwachen, tönernen Füßen stehen. Du jedoch hast niemals vorgegeben, stark zu sein. Du bist es einfach, gleichzeitig jedoch auch strahlend, warm und leuchtend.
Wenn du eine Jahreszeit wärst, dann wärst du der Sommer.
Wahrscheinlich bin ich außer Henning der einzige Mensch, der weiß, dass auch der Winter Teil deines Wesens ist. Dass du etwas Böses in dir trägst. Nicht auf eine übertragene Art und Weise, sondern ganz real, wie ein Organ, das sich im Körper befindet. Vielleicht wird man es nach deinem Tod bei der Autopsie finden. Ich schätze, es ist in etwa so groß wie ein Tischtennisball, sicherlich schwarz, und der Mediziner wird sagen: „Hallo … Was haben wir denn da?“
Aber ich eile den Dingen voraus. Wir sollten nicht über das Ende reden, sondern über den Anfang, denn der hatte es wirklich in sich.
Nach dem Urlaub haben wir uns so oft wie möglich gesehen, trotz der Entfernung zwischen unseren Wohnorten. Du kamst aus Hamburg, ich aus einem kleinen Ort im Taunus, und wenn wir getrennt waren, bestand mein Alltag vor allem aus grenzenlosem Vermissen und einer unglaublichen Sehnsucht. Jeden Abend haben wir stundenlang telefoniert, um die Zeit zu überbrücken, und die Tage gezählt, bis wir wieder zusammen sein konnten.
Erst mit dir habe ich mich vollständig gefühlt, und manchmal ist es mir vorgekommen, als würde ich nur für unsere Treffen leben. So war es wirklich, Marc, auch wenn du mir das später nicht mehr geglaubt hast. Du hast mit der Zeit deine eigene Wahrheit entwickelt, ich habe meine, und die gefährlichsten Lügen sind sowieso die, die wir uns selbst erzählen.
Wir waren gerade mal drei Monate zusammen, als du mich fragtest, ob ich mein Dorf im Taunus nicht verlassen und zu dir nach Hamburg ziehen will. Du sagtest, du hättest sogar schon die perfekte Wohnung für uns gefunden; eine einmalige Gelegenheit, wir müssten uns schnell entscheiden.
Ich hatte insgeheim mit einer Altbauwohnung gerechnet. Zwei Zimmer vielleicht, dazu Küche, Diele, Bad und ein kleiner Balkon. Ein unspektakuläres, aber gemütliches Heim, wo wir uns unsere eigene Welt erschaffen konnten. Wie hätte ich auch mit etwas anderem rechnen sollen? Deine Mutter ist stellvertretende Filialleiterin bei der Volksbank in Eppendorf und dein Vater Professor an der Uni, an der du mit einunddreißig immer noch studiert hast. Ein gutbürgerliches Elternhaus, keine Geldprobleme, aber weit von großem Reichtum entfernt. Umso erstaunter war ich, als ich zum ersten Mal das Loft sah.
Loft – so haben wir die Wohnung von Anfang an genannt, obwohl sie gar kein richtiges Loft ist und nur das riesige Wohnzimmer mit den Stahlträgern unter der Decke so aussieht. Hundertdreizehn Quadratmeter in Elbnähe, eigentlich viel zu groß und viel zu teuer für uns. Du meintest, es ginge, weil Henning mit einziehen und seinen Teil der Miete beisteuern würde. Eine Wohnung, zwei Wohnbereiche, kein Problem.
Mir wäre die kleine Altbauwohnung lieber gewesen.
Am Anfang hat unser Leben zu dritt dennoch erstaunlich gut funktioniert. Wir haben den Alltag hinbekommen, uns beim Kochen abgewechselt, beim Einkaufen oder beim Aufräumen. Ärger gab es nur, wenn Fensterputzen anstand oder wenn Henning mal wieder irgendeine Tussi angeschleppt hat, die dann am nächsten Morgen mit am Frühstückstisch saß und „Hey, ihr wohnt auch hier?“ flötete.
Um ihm zu zeigen, wie belanglos seine One-Night-Stands sind, haben wir uns in den darauffolgenden Nächten immer besonders wild geliebt. Du hast mich besonders hart rangenommen, und ich habe besonders laut gestöhnt, damit meine Lustschreie von den ungeputzten Fenstern abprallen und Henning einen Hinweis darauf liefern, wie wahre Liebe klingt. Auch nach einem Jahr klang sie noch so. Nach zwei Jahren, nach drei.
Der Sex mit dir ist immer gut gewesen.
Der Rest hatte seine Höhen und Tiefen.
Kurz nach dem Umzug habe ich einen Job als Grafikerin gefunden, außerdem wurden wir von deinen Eltern finanziell unterstützt. Dennoch habe ich nie verstanden, wie wir uns von meinem Gehalt und ihren Zuwendungen einen solchen Lebensstil leisten können. Da war ja nicht nur die teure Wohnung, da war auch der neue BMW, unsere Urlaube, die schicken Restaurants.
Na gut, das war gelogen.
Natürlich ahnte ich irgendwann, woher das Geld kam, es hat mich nur nicht interessiert. Ich hatte Geschmack daran gefunden, dein Leben mitzuleben. Du tust, was du tun musst, und ich verschließe die Augen und spiele die süße Freundin. Bin ich deshalb ignorant oder oberflächlich? Vielleicht. Steht es anderen zu, darüber ein Urteil zu fällen? Sicher nicht.
Es lief gut mit uns, richtig gut, und dennoch hat ein Teil von mir immer gewusst, dass ich nicht mein ganzes Leben mit dir verbringen werde. Mit den Jahren hätten wir uns auseinandergelebt; spätestens, wenn ich den Wunsch nach Kindern und etwas Solidem verspürt hätte. Es hätte immer häufiger Streit gegeben, gegenseitige Vorwürfe, und irgendwann hätte ich die Koffer gepackt, wäre gegangen und sanft im Nebel entschwunden. Wir hätten uns noch eine Zeit lang vermisst, der Nebel wäre dichter geworden, und dann wäre aus ihm eine neue Liebe getreten.
Aber so weit kommt es jetzt nicht mehr, nicht wahr? Wir sind nun aneinandergekettet, ob wir wollen oder nicht; keine Chance auf Entkommen, keine Flucht mehr möglich. Wenn irgendwann das Urteil über unsere Verfehlungen fällt, wird entweder das Loft unsere Strafe sein oder eine Zelle in irgendeiner Justizvollzugsanstalt. Meine vielleicht in Billwerder, deine in Fuhlsbüttel, keine Ahnung.
Die einzige Alternative dazu wäre: Du wanderst allein ins Gefängnis, und ich finde eine schöne Altbauwohnung mit zwei Zimmern, Küche, Bad und kleinem Balkon. Das wäre nicht meine Wunschvorstellung gewesen – die besteht immer noch darin, mit dir in Freiheit zu leben, ganz egal, was du getan hast –, aber sie ist deutlich besser als die anderen Optionen.
Denn eines ist sicher: Das Blut in unserer Küche werden wir nicht wegdiskutieren können, die Fingerabdrücke auf dem Messer auch nicht. Dabei können uns weder deine Eltern noch dein Redetalent helfen, und die Polizei will uns beide für den Mord drankriegen, das ist klar.
Die Frage ist nur, was sie bekommt.
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