Der Duft des Regenwalds (Südamerika-Saga) - eBook-Ausgabe
Roman
„Rosa Zapato lässt mich beim Lesen in eine faszinierende vergangene Welt eintauchen.“ - Tina - Buchmessenbeilage
Der Duft des Regenwalds (Südamerika-Saga) — Inhalt
Eine starke junge Frau in der Wildnis Mexikos
Veracruz, 1903: Alice Wegener hat die weite Reise von Berlin nach Mexiko angetreten, um ihren Bruder Patrick zu besuchen. Doch es kommt nicht zu einem Wiedersehen – Patrick wurde im Dschungel Opfer eines Verbrechens. Als Alice näheres zu den Umständen wissen möchte, stößt sie auf eine Mauer des Schweigens. So stellt Alice ihre Nachforschungen auf eigene Faust an und bringt neben der Wahrheit über Patricks Tod auch das Geheimnis einer Maya-Prinzessin ans Licht – das letztendlich auch sie zur wahren Liebe führt …
Leseprobe zu „Der Duft des Regenwalds (Südamerika-Saga)“
1. Kapitel
Alice zog die Vorhänge zurück und lehnte sich aus dem Fenster. Vor ihr lag eine breite, von Kutschen und Trambahnen befahrene Straße, die auch kurz vor Mitternacht nicht ganz zur Ruhe kam. Sie liebte die Geräusche der Großstadt, deren Vertrautheit sie gewöhnlich beruhigt in den Schlaf sinken ließ, doch diesmal hielt die Aufregung sie wach. Morgen war Sonntag, sie würde so lange schlafen können, wie es ihr gefiel, da sie seit zwei Monaten nicht mehr an den Wochenenden arbeiten musste.
Sie trat zu der alten Kommode und schenkte sich ein Glas [...]
1. Kapitel
Alice zog die Vorhänge zurück und lehnte sich aus dem Fenster. Vor ihr lag eine breite, von Kutschen und Trambahnen befahrene Straße, die auch kurz vor Mitternacht nicht ganz zur Ruhe kam. Sie liebte die Geräusche der Großstadt, deren Vertrautheit sie gewöhnlich beruhigt in den Schlaf sinken ließ, doch diesmal hielt die Aufregung sie wach. Morgen war Sonntag, sie würde so lange schlafen können, wie es ihr gefiel, da sie seit zwei Monaten nicht mehr an den Wochenenden arbeiten musste.
Sie trat zu der alten Kommode und schenkte sich ein Glas Portwein ein. Zwar hatte sie bereits genug Champagner getrunken, aber das Gefühl der Euphorie floss mit solcher Kraft durch ihre Adern, dass sie für andere Rauschzustände unempfänglich wurde. In ihrem Ohrensessel sitzend, nippte sie an dem Glas und zündete eine Zigarette an. Das Rauchen gehörte zu den Lastern, die sie von Harry gelernt hatte, doch beschränkte sie sich aus finanziellen Gründen auf ein Minimum. Sie beobachtete, wie der Rauch langsam zur Zimmerdecke schwebte. Der Putz wies schwarze Flecken auf, die noch vom Vormieter oder dessen Vorgängern aus dem vergangenen Jahrhundert stammen mussten. Die Tapete war an zahlreichen Stellen vergilbt, und das Polster, auf dem Alice saß, sah aus, als wäre ein Unbekannter mit einem Messer darauf losgegangen. Kurz meinte sie, die Stimme ihres Vaters zu hören, der ihr eine Zukunft in Schmach und Elend prophezeit hatte, als sie sein Haus verließ. Diese Wohnung wäre für ihn nur ein erster Schritt in diese Richtung gewesen. Alice verjagte entschlossen den Schatten von Unbehagen, der sich plötzlich in ihre Welt geschlichen hatte. In dieser neuen Wohnung, die sie am vierten Februar 1903 hatte beziehen können, gab es wenigstens kein Ungeziefer, und die Nachbarn schrien nachts nicht herum. Zwar verfügte sie nur über ein einziges, schäbiges Zimmer, aber ihre erste Ausstellung war ein Erfolg gewesen. Darauf vor allem kam es an.
Sie leerte ihr Weinglas und fühlte, wie wohlige Wärme sich in ihrem Körper ausbreitete. Nun würde sie friedlich schlafen können und morgen in Ruhe über jenes Problem nachdenken, das wie ein unsichtbarer Stein auf ihrer Seele lastete. Mit geübtem Griff zog sie die Nadeln aus ihrem Haar. Schmetterlinge und verspielte Blüten aus Schmucksteinen zierten sie gemäß der neuesten Mode. Alice streifte ihre Strümpfe ab. Sie war zu müde, um sich noch die Schminke abzuwaschen. Dafür war morgen Zeit genug.
Als sie sich das Kleid über den Kopf ziehen wollte, hörte sie den Schlüssel in der Tür. Sie erschrak, doch hier im wohlhabenden Charlottenburg gab es weitaus lukrativere Adressen für einen Einbruch, und zudem verfügten Einbrecher gewöhnlich nicht über Wohnungsschlüssel. Als ihr klar wurde, um wen es sich handelte, atmete sie zwar erleichtert auf, war aber auch ein wenig verärgert, derart in ihrer Privatsphäre gestört zu werden. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, Harry einen Schlüssel zu geben.
Er spazierte auch schon herein. Die Kappe saß schräg auf seinem Kopf, das Hemd war schief geknöpft, und das hellbraune Haar wucherte in alle Richtungen. Alice fühlte ein warmes Kribbeln in ihrem Unterleib. Harry stand nichts besser als schlampige Lässigkeit.
„Nun, wie erging es meiner Schneekönigin heute Abend? Hat sie all die kultivierten Schöngeister mit ihrem unterkühlten Charme bezaubert?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zur Kommode, schenkte sich Portwein ein und zog eine Zigarette aus Alice’ Packung. Sie protestierte nicht. Harry zu versorgen gehörte zu den niemals ausgesprochenen, aber allmählich gewachsenen Regeln ihrer Beziehung. Er hatte sie Otto Julius Bierbaum und anderen einflussreichen Kritikern der Kunstszene vorgestellt. Zwar hatte sie als Kellnerin im Café Josty bekannte Literaten bedient, doch hätte sie niemals den Mut aufgebracht, diese mit ihren persönlichen Belangen zu behelligen. Harry besaß jedoch den beneidenswerten Vorzug eines frechen Mundwerks, kombiniert mit Gleichmütigkeit, sodass er abweisende Reaktionen gelassen hinnahm. Man fragt einfach so lange, bis jemand Interesse zeigt, lautete sein Prinzip. Ohne seine Unterstützung wäre es nicht zu der heutigen Ausstellung gekommen. Als Gegenleistung bot sie Harry bei seiner Odyssee von einer Arbeitsstelle zur anderen und den wechselnden Wohnsitzen einen Rettungsanker, wann immer es ihm danach verlangte. Seine Besuche fielen unregelmäßig aus und wurden so gut wie nie angekündigt. Sie störte sich nicht wirklich daran. Ein derart unzuverlässiger Liebhaber hatte seine Vorteile, da er keine falschen Hoffnungen weckte.
„Es lief gut“, beantwortete Alice seine Frage. „Ich habe ein paar Bilder verkauft. Mit etwas Glück bekomme ich einen Auftrag, für die Münchner Kunstzeitschrift ›Jugend‹ ein paar Illustrationen anzufertigen. Einer der Besucher der Ausstellung fragte mich, ob ich Interesse hätte.“
Nun, da es ausgesprochen war, begann Alice das ganze Ausmaß des Erfolges zu begreifen. Sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, ob sie diese winzige Wohnung auf Dauer bezahlen konnte. Die Arbeit im Café Josty würde sie auf drei Tage in der Woche reduzieren, um sich in Ruhe der Malerei widmen zu können. Vielleicht machte es nun Sinn, sich um eine Aufnahme im Verein der Berliner Künstlerinnen zu bewerben. Bisher hatte ihr dazu schlichtweg die Zeit gefehlt. Ohne zu überlegen, schenkte sie sich ebenfalls ein weiteres Glas Portwein ein. Wenn es einen Tag gab, an dem sie sich betrinken durfte, dann war es dieser.
„Na, dann auf deine Zukunft, meine Schöne“, meinte Harry grinsend und stieß mit ihr an. „In ein paar Jahren hängen deine Arbeiten vielleicht Unter den Linden. Wer könnte einer Frau wie dir einen Wunsch verweigern?“
Alice fühlte Ärger in ihrem Magen kribbeln, was nicht allein an seinem unüberhörbar spöttischen Tonfall lag.
„Es geht dabei um meine Bilder, nicht um mein Aussehen“, meinte sie und erschrak selbst ein wenig über ihren eisigen Tonfall. Harry lachte auf.
„Dein Aussehen könnte dir durchaus helfen, denn Kunstkenner sind Ästheten“, widersprach er gelassen. „Leider weigerst du dich, es zu deinem Vorteil einzusetzen. Aber so bekomme ich wenigstens keine Konkurrenz.“
Er legte seine Arme um Alice’ Taille, hob sie hoch und trug sie zielstrebig zu dem Bett, wo sie sich vor einer Weile in Ruhe hatte hinlegen wollen. Nun spürte sie Wellen freudiger Erregung durch ihren Körper strömen, obwohl eine leise Stimme in ihrem Kopf flüsterte, dass sie sich wie die Heldin eines schlechten Liebesromans benahm, die dem frechen Charme des charakterlosen Schurken erlag. Doch leider hatte dieser Charme tatsächlich eine unwiderstehliche Wirkung auf sie.
Sie hatte Harry im Café Josty kennengelernt, wo er bei seinen gelegentlichen Besuchen durch schlampige Kleidung, blendendes Aussehen und freche Kommentare aufgefallen war. Er verbrachte Stunden damit, eine einzige Tasse Kaffee zu trinken, da ihm wohl das Geld für weitere Bestellungen fehlte. Dabei kritzelte er ständig in einem Notizbuch herum, nannte sich Journalist, doch gelang es ihm nur sehr selten, einen Artikel zu veröffentlichen. Er hatte völlig schamlos und offen mit allen Kellnerinnen geflirtet. Alice war verärgert gewesen, dass so viele, durchaus intelligente junge Frauen in seiner Gegenwart nur noch erröten und dumm kichern konnten. Sie hatte ihn die ganze Wucht ihrer eisigen Ablehnung spüren lassen und zum ersten Mal erlebt, dass ein Mann sich davon nicht eingeschüchtert zeigte.
Harry hatte alle Mauern, hinter denen sie sich seit Jahren versteckte, überwunden, indem er ihre Existenz schlichtweg ignorierte. Irgendwann hatte sie über seine maßlose Frechheit lachen müssen, ihn um seine Nonchalance und Sorglosigkeit beneidet. Es hatte sie selbst überrascht, wie einfach und selbstverständlich es gewesen war, seine Geliebte zu werden. Ein Teil ihres Wesens, den sie bisher beflissen ignoriert hatte, war durch ihn nach außen gelockt worden. Nun umschlangen sie einander, keuchten und stöhnten, bis Alice für einen Moment nur noch fühlen und nicht mehr denken konnte.
Laut atmend grub sie ihren Kopf in das Daunenkissen. Ihr war nicht entgangen, dass Harry wie immer vorsichtig gewesen war. Auch das schätzte sie an ihm, denn freie Liebe und Fruchtbarkeit vertrugen sich schlecht.
Sie fühlte, wie seine Finger sanft, fast andächtig über ihr Gesicht strichen.
„Du bist so unglaublich schön“, flüsterte er. Alice zuckte zusammen. Das Kompliment passte nicht zu Harrys bisherigem Verhalten, denn der spöttische Tonfall war verschwunden.
„Ich werde bald für längere Zeit fortgehen“, sagte sie ohne jede Vorwarnung und musterte aufmerksam Harrys Gesicht. Es zeigte keinerlei Enttäuschung, nur Staunen, was sie erleichterte.
„Eine aufregende Reise mit ein paar anderen Schöngeistern, vermute ich. Paris, Venedig oder einfach nur München, wo sich jetzt auch viele moderne Künstler tummeln sollen?“, fragte er.
Alice schluckte.
„Mexiko“, erwiderte sie. Seltsamerweise war in diesem Augenblick der Entschluss endgültig gefallen. Harry fuhr auf und stieß ein kurzes Lachen aus.
„Das ist doch ein Witz, oder? Was willst du irgendwo in der Wildnis?“
Alice begann zu frösteln. Diese Frage hatte sich die letzten zwei Wochen wie ein Kreisel in ihrem Kopf gedreht.
„Ich muss nach meinem Bruder sehen, das ist alles“, entgegnete sie.
„Einmal kurz nach deinem Bruder sehen, das klingt, als würdest du einen Ausflug nach Potsdam machen“, entgegnete Harry kichernd. „Dabei fährst du um die halbe Welt. Allein die Reise wird Wochen dauern. Jetzt fängst du endlich an, hier ein bisschen bekannt zu werden. Du solltest dich weiterhin mit Leuten aus Künstlerkreisen treffen, an deinen Bildern arbeiten statt …“
„An meinen Bildern kann ich auf der Reise arbeiten“, unterbrach Alice ihn. „Und ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich zu tun habe, vor allem nicht von einem solchen Sturkopf wie dir, der es sich selbst zur Lebensaufgabe gemacht hat, gegen sämtliche Konventionen zu verstoßen und einfach zu tun, was er will.“
Harry hatte bereits begonnen, seine Kleidung aufzusammeln. In Hemd und Hose ging er wieder zur Kommode, um sich eine weitere Zigarette anzuzünden.
„Weißt du, was mich an dir so überrascht?“, sagte er ruhiger. „Du wirkst wie eine Eisprinzessin, die in erster Linie an ihre Malerei denkt, dann an sich selbst, und anschließend kommt erst einmal sehr lange gar nichts. Aber wenn es um deinen Bruder geht, dann verwandelst du dich plötzlich in eine fürsorgliche Glucke. Der Kerl ist doch erwachsen, verdammt! Wer hat ihn denn gezwungen, irgendwo zwischen Giftschlangen und Riesenspinnen an uralten Steinen herumzukratzen, als ob es in der Welt nichts Wichtigeres zu tun gäbe?“
Alice kämpfte ihren Ärger nieder. Harry verhielt sich beinahe eifersüchtig, was sie irritierte.
„Du weißt nicht, was alles dahintersteckt“, begann sie zu erklären. „Patrick hat mir sehr geholfen. Selbst als mein Vater nichts mehr von mir wissen wollte, schickte er mir heimlich Geld. Nach dem Tod meines Vaters überließ er mir freiwillig ein Drittel seines Erbes, obwohl ich im Testament nicht einmal erwähnt wurde. Ansonsten gäbe es diese Wohnung nicht, und ich hätte niemals die Zeit gefunden, genug Bilder für eine Ausstellung zu malen. Ich habe ihn ermutigt, seinen Traum von der Archäologie wahr zu machen. Daher trage ich eine gewisse Verantwortung für ihn.“
Harry setzte sich wieder auf die Bettkante, wandte ihr aber den Rücken zu, während er rauchte.
„Na gut, wie du meinst. Wann fährst du los? Kannst du die Fahrkarte überhaupt bezahlen?“
„Natürlich kann ich das“, zischte Alice. Hielt er sie denn für ein hilfloses, kleines Mädchen? Als Harry auf den giftigen Tonfall nicht reagierte, setzte sie zu einer Erklärung an.
„Dr. Scarsdale, dieser amerikanische Archäologe, der mit meinem Bruder zusammenarbeitet, hat mir eine Fahrkarte geschickt. Er meint, ich solle unbedingt kommen. Patrick ist im Begriff, eine große Dummheit zu begehen, weil er sich in die falsche Frau verliebt hat. Er gefährdet das ganze Projekt und verärgert wichtige Leute. Es könnte übel ausgehen, ich meine, Mexiko ist ein ziemlich wildes Land.“
Harry zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß, sich zu verlieben, das ist für reine Kopfmenschen wie dich eben eine große Dummheit“, spöttelte er und schnürte bereits seine Schuhe zu. Alice erstarrte. Sie wollte vor Wut schreien, denn Harry hatte ihr stets klargemacht, dass tiefe Empfindungen für ihn der größtmögliche Fehler einer Frau sein könnten, da sie Besitzansprüche und Hoffnungen nach sich zogen. Doch kein Wort kam über ihre Lippen. Sie hasste Gefühlsausbrüche.
„Ich wünsche dir eine gute Reise, meine Schöne“, meinte Harry, steckte noch zwei Zigaretten aus Alice’ Packung in seine Jackentasche. „Ich hoffe, du schmilzt unter der glühenden Sonne nicht ganz dahin. Und jetzt gehe ich, damit deine feinen Nachbarn nicht im Morgengrauen etwas von dem Männerbesuch mitbekommen.“
Ein Lächeln, ein knappes Kopfnicken zum Abschied, dann war die Tür hinter ihm zugefallen. Alice blieb verstört zurück, strich mit der Hand über das zerwühlte Laken, auf dem noch die Wärme von Harrys Körper zu spüren war. Sie wusste nicht, ob er vor ihrer Abreise noch mal kommen würde. Wenn sie nach Berlin zurückkehrte, dann würde es sicher bereits eine neue Frau geben, die den charmanten Taugenichts durchfütterte und ihn heimlich in ihr Schlafgemach schleichen ließ.
Die Vorstellung, Harry vielleicht zum letzten Mal gesehen zu haben, löste ein Gefühl der Wehmut aus, doch als sie die Details der bevorstehenden Abreise zu planen begann, verflog es allmählich.
An einem unerwartet kühlen Tag im Mai stand Alice am Hamburger Hafen und hielt ihren Koffer umklammert, während sie sich auf der Gangway zwischen den aufgeregten Menschen durchschob. Ihre Staffelei hatte sie, sorgfältig verpackt, unter den anderen Arm geklemmt, das Ridikül mit Geld und ihren Papieren baumelte um ihren Hals. Sie war sich bewusst, eine keineswegs damenhafte Erscheinung abzugeben, doch konnte sie sich keinen Träger für ihr Gepäck leisten. Hinter ihr drängte eine mehrköpfige Familie vorwärts. Kurz vor dem Schiffsdeck hatte sich eine Wand aus menschlichen Rücken gebildet, an der niemand vorbeikam. Unter all diesen brüllenden, fluchenden und angesichts des bevorstehenden Abschieds manchmal auch weinenden Menschen fühlte Alice sich verloren. Es gab niemanden, der sie bis nach Hamburg begleitet hatte. Die anderen Mädchen aus dem Café Josty hatten ihr zum Abschied ein spanisch-deutsches Wörterbuch, einen Baedeker über Amerika und einen Reisebericht über Mexiko geschenkt, die alle in ihrem Koffer lagen. Wider Erwarten hatten diese Geschenke ihr Tränen in die Augen getrieben, denn sie wusste selbst, wie mager der Lohn der Serviererinnen war. Alle gemeinsam mussten mehrere Wochen gespart haben, um diese Bücher erwerben zu können.
Während Alice sich auf das Oberdeck des Dampfers vorkämpfte, überlegte sie, warum ihr Leben in den letzten Jahren so einsam gewesen war, dass sie nun eine verlorene Gestalt in einer riesigen Menschenmenge war. Allein reisende Frauen waren allgemein ein ungewohnter Anblick, vor allem aber auf einem Dampfschiff, das zu einer Fahrt um die halbe Welt aufbrach. Seit sie ihr Elternhaus verlassen und alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte, war sie entschlossen einem Ziel gefolgt. Ihr Leben hatte fast ausschließlich aus Arbeit bestanden, als Kellnerin, als kleine Aushilfskraft in den Kontoren von Geschäftsleuten, und wenn es bereits dunkel war, stand sie vor ihrer Staffelei. All diese Aufgaben hatten ihr Leben ausgefüllt, keinen Raum mehr für engere Kontakte zu anderen Menschen gelassen. Es war nicht ihre Schuld, beschloss sie und verdrängte ihre Enttäuschung, dass Harry, für den sie erstmals eine Ausnahme gemacht hatte, nicht nach Hamburg mitgekommen war. Sie entdeckte eine winzige Lücke in der Menschenmenge und schob sich mitsamt ihren Habseligkeiten hinein. Ihr nächstes Ziel bestand darin, heil in die Kabine zu gelangen, wo der Griff des Koffers endlich nicht mehr wie ein Messer in ihre Handfläche schneiden würde.
Sie hielt einem uniformierten Mann ihre Fahrkarte und ihren Pass entgegen, dann lief sie über das Deck des Schiffs, um schließlich in ein unterirdisches Labyrinth von Gängen und Räumen hinabzusteigen. Dr. Scarsdale hatte ihr eine eigene Kabine der zweiten Klasse gegönnt, was sie ihm hoch anrechnete, denn die Vorstellung, mehrere Wochen lang der unmittelbaren Nähe fremder Menschen ausgesetzt zu sein, trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Ihr wurde wieder bewusst, wie sehr sie ihre Einsamkeit im Grunde liebte.
Zwei Stockwerke tiefer und am Ende eines verwinkelten Ganges war sie endlich am Ziel. Eine winzige Kammer tat sich auf, spärlich eingerichtet mit einem Bett, Nachtkästchen und einem Waschbecken, aus dessen rostigem Wasserhahn in regelmäßigen Abständen Wasser tropfte. Es gab eine Toilette am anderen Ende des Ganges. Alice wollte nicht wissen, mit wie vielen Leuten sie diese in den nächsten Wochen würde teilen müssen, doch es war kaum zu erwarten gewesen, dass Dr. Scarsdale ein Vermögen ausgeben würde, um ihr eine luxuriöse Reise zu ermöglichen. Eine runde Luke ließ durch milchige dicke Scheiben spärliches Licht eindringen, zum Glück stand daneben eine Gaslampe. Alice stellte ihr Gepäck in einer Ecke ab, wodurch der Raum noch ein wenig zu schrumpfen schien. Dann ließ sie sich auf das schmale Bett fallen, streifte ihre Schuhe ab und atmete tief durch. Der erste Teil des Abenteuers war überstanden, und sie beschloss, erst einmal zufrieden mit sich zu sein, da sie alle Schwierigkeiten gemeistert hatte. Die nächsten Wochen würde sie kaum etwas anderes tun können, als zu warten, bis dieses Ozeanungetüm sein Ziel erreichte. Ein schriller Ton erklang, die Kabine erzitterte, und die kleine Welt, in der Alice nun fast einen Monat leben sollte, setzte sich Richtung Atlantik in Bewegung. Sie schloss die Augen, denn all das Ruckeln und Beben wirkte beruhigend wie das Schaukeln einer Wiege. Die letzten Nächte hatte sie vor Aufregung kaum schlafen können, nun überfiel sie eine bleierne Müdigkeit. Geräusche drangen an ihr Ohr. In der Nebenkabine schrien Kinder auf Spanisch, gelegentlich unterbrochen von dem Zetern ihrer Mutter, die über noch mehr Stimmgewalt verfügte. Die Vorstellung, wie viel Zeit sie mit diesen Nachbarn würde verbringen müssen, entlockte Alice einen Seufzer. Draußen eilte hektisch ein fluchendes Paar vorbei, das offenbar seine Kabine noch nicht gefunden hatte. Irgendwo in der Ferne wurde mit falschen Tönen eine Opernarie geschmettert. Alice grübelte, ob der mittelprächtige Sänger wohl auf eine Karriere in Mexiko hoffte, dann schlief sie endlich ein.
Das Läuten einer Glocke riss sie aus Träumen von Schlangen und riesigen Spinnen, die über jene breiten, symmetrischen Gebäude krochen, von denen Patrick ihr Zeichnungen geschickt hatte. Sie fuhr auf, rieb sich die Augen und war erleichtert, die enge Kabine zu erblicken. Noch befand sie sich in der Zivilisation. Benommen drehte sie die Gaslampe auf, denn hinter der runden Scheibe zeichnete sich ein bereits dunkelgrauer Himmel ab. Dann verspürte sie die Leere ihres Magens. Außer einem belegten Brötchen am Hamburger Bahnhof hatte sie nichts mehr gegessen, und das war früh am Morgen gewesen. Ihr wurde bewusst, dass gerade zum Abendessen gerufen wurde, was ihren Bedürfnissen entsprach.
Sie öffnete den Koffer, denn ihr Rock war bereits vor der Zugfahrt völlig zerknittert gewesen, und auf ihrer Bluse hatte der am Hamburger Bahnhof erworbene, heiß ersehnte Kaffee ein paar braune Tupfen hinterlassen. Rasch packte sie ein dunkelblaues Kleid mit weißem Spitzenkragen aus, zog sich um und steckte die Nadeln in ihren Haaren wieder fest. Eine in Silber gefasste Kette mit einem Saphiranhänger hing um ihren Hals, und ähnliche Schmucksteine baumelten an ihren Ohrläppchen, ein paar letzte Erbstücke ihrer Mutter. Den Großteil ihrer Besitztümer hatte Alice in der kleinen Wohnung zurückgelassen, deren Miete sie dank Patricks Großzügigkeit im Voraus bezahlen konnte. Wer brauchte schon Schmuck und schöne Kleider in der Wildnis? Nun war sie mit ihrem Äußeren zufrieden, sie wirkte elegant, aber auch dezent und unauffällig. Es war an der Zeit, den Ozeanriesen genauer in Augenschein zu nehmen.
Auf dem Korridor waren bereits Schritte von Gleichgesinnten zu vernehmen. Als Alice die Tür öffnete, stieß sie fast mit einer kleinen, rundlichen Frau zusammen. Sie entschuldigte sich hastig und wurde von haselnussbraunen Augen neugierig gemustert.
„Sie also unsere Nachbarin! Wir denken, die Kabine leer, so still. Ich bin Emilia Grünwald, darf ich vorstellen meine Familie?“
Ohne eine Zustimmung abzuwarten, wies Emilia Grünwald auf ihre vier Kinder und schließlich auch auf einen dünnen, schlaksigen Mann mit Halbglatze, den sie Günter nannte. Alice begriff, wer bei der Abfahrt für den Lärm verantwortlich gewesen war. Emilias kaffeebraune Haut, der zarte, dunkle Flaum auf ihrer Oberlippe und das gebrochene Deutsch ließen auf eine mexikanische Herkunft schließen. Herr Grünwald jedoch konnte seine nordeuropäischen Vorfahren kaum verleugnen, dazu war sein Gesicht zu fahl und das schüttere Haar von zu hellem Braun.
„Mi esposo aus Bremerhaven. Wir besuchen Familie, jetzt fahren zurück. Er Juwelier in Ciudad de Mexico, seit fünfzehn Jahren“, plapperte Emilia weiter. Unaufgefordert hakte sie sich bei Alice ein.
„Sie reisen ganz allein?“
Die Frage klang mitfühlend. Alice straffte trotzig die Schultern, nickte aber.
„Por que?“
Alice verstand die Worte nicht, aber ihr war klar, dass eine Erklärung verlangt wurde. Zorn über so viel Aufdringlichkeit kribbelte in ihrem Magen, während sie von Emilia weitergezogen wurde.
„Ich besuche meinen Bruder. Er arbeitet als Archäologe in Mexiko.“
„Ah, su hermano. Er sicher froh, Sie zu sehen.“
Alice hoffte, dass diese Aussage der Wahrheit entsprach. Mit leichtem Unmut ließ sie sich von Emilia vorwärtsschieben, denn es wäre unhöflich gewesen, die kleine, unablässig plappernde Frau abzuschütteln.
Sie erreichten einen großen Saal, in dem es vor Menschen wimmelte wie auf einer Einkaufsstraße. Der Geruch von Kohl und gebratenem Fleisch stieg in ihre Nase. Obwohl er ranziges Fett erahnen ließ, hörte Alice ihren Magen sehnsüchtig knurren.
„Essen mit uns. Nicht allein, das nicht gut für junge Frau“, bestimmte Emilia. Alice fehlte die nötige Dreistigkeit, das Angebot abzulehnen, sodass sie von Emilia zu einem kleinen Holztisch gelotst wurde. Die vier Kinder schubsten sich gegenseitig herum, bis es auf unerklärliche Weise zu einem Waffenstillstand bezüglich der Platzverteilung kam. Günter Grünwald setzte sich auf einen freien Stuhl. Emilia schimpfte auf Spanisch die Kinder aus, was keine besondere Wirkung zeigte, dann nahm sie ebenfalls Platz und zog Alice neben sich auf einen Stuhl. Schwarz gekleidete Kellner mit weißen Schürzen huschten herum, um Teller zu füllen. Es gab Grünkohl, dazu fetttriefendes Rindfleisch und matschige Kartoffeln. Alice seufzte leise. Ob es wohl möglich wäre, gegen einen Aufpreis mit den Passagieren der ersten Klasse zu speisen? Leider fehlte ihr dazu die angemessene Kleidung.
„Wo arbeitet Ihr Bruder denn als Archäologe, Fräulein Wegener?“, fragte Günter Grünwald. Alice staunte, wie viel er von ihren Aussagen aufgenommen hatte, denn er hatte einen geistesabwesenden Eindruck gemacht.
„In Palenque. Das liegt im Süden von Mexiko, im Bundesstaat Chiapas.“
Sie war sehr stolz, sich diese fremden Namen gemerkt zu haben.
„Ach, Nueva Alemania, da, wo Kaffeeplantagen“, mischte sich Emilia ins Gespräch. Sie ließ anderen Menschen niemals viel Gelegenheit zum Reden. „Ich dir immer sagen, kaufen Land, das besser als Laden, aber du nicht hören“, meinte sie, an ihren Ehemann gewandt.
„Ich bin Juwelier, mein Herz, kein Kaffeebauer“, erwiderte Günter kauend. Emilia schnaufte laut, widersprach aber nicht.
„Wieso neues Deutschland?“, fragte Alice, insgeheim erfreut, wie viel sie nach kurzem Blättern im Wörterbuch bereits verstand.
Günter holte Luft, doch Emilia war wie immer schneller.
„Weil dort viele Deutsche Land gekauft. Als billig war, weil neuer Präsident es nehmen von Indios und geben Leuten, die besser verwalten.“
Alice war verwirrt.
„Wie konnte man einfach jemandem Land wegnehmen, dem es bisher gehörte?“, fragte sie interessiert.
„Ach, neue Regierung, neue Gesetze, alles möglich“, meinte Emilia ungeduldig angesichts einer ihrer Meinung nach überflüssigen Frage und überschüttete dann ihre ältere Tochter, die ein Wasserglas umgeworfen hatte, mit einem Schwall spanischer Wörter. Günter nutzte die Gelegenheit, um zu einer längeren Erklärung anzusetzen. So erfuhr Alice, dass nach der Hinrichtung des von den Franzosen eingesetzten Kaisers Maximilian 1867 ein gewisser Benito Juarez, gebürtiger Indio, ins Präsidentenamt aufgestiegen war und umfassende liberale Reformen durchführte. So war die Macht des Militärs und der Kirche, die bisher in Mexiko das Sagen gehabt hatten, eingeschränkt worden, und alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, wurden vor dem Gesetz für gleichwertig erklärt. Die darüber ungehaltenen konservativen Kreise brachten jedoch fünf Jahre später Porfirio Díaz an die Macht, der das Rad energisch wieder zurückdrehte.
„Im Augenblick ist die Regierung sehr konservativ, unterstützt die Großgrundbesitzer und die Kirche“, beendete Günter seine Erklärung und trank einen Schluck Bier. „Doch das führte auch zu einer bemerkenswerten Stabilität nach vielen Jahren des Chaos.“
„La politica es aburrida!“ Damit fegte Emilia das für sie langweilige Thema vom Tisch. Günter verstummte folgsam. Die Kellner räumten inzwischen die Teller ab. Gleich darauf wurden zum Nachtisch Kaffee und Apfelkuchen serviert, die besser rochen als alle bisher dargebotenen Speisen. Alice’ Stimmung verbesserte sich ein wenig. Vielleicht war der für die zweite Klasse zuständige Koch nicht ganz so untalentiert wie befürchtet.
„Wie kommt es, dass Sie nicht verheiratet sind?“, fragte plötzlich ein zartes Mädchen an ihrer Seite, als Alice gerade ein Stück weichen, süßen Teig auf ihrer Zunge zergehen ließ. Emilias ältere Tochter, die ungefähr zwölf Jahre alt sein musste, sah sie mit großen, schwarzen, ernsten Augen an.
„Alberta, so etwas fragt man nicht, taktlos!“, schalt die Mutter. Die Übeltäterin errötete und sackte auf ihrem Stuhl zusammen. Alice’ Mitgefühl war geweckt.
„Weil ich es eben nicht bin“, erwiderte sie so beiläufig wie möglich. „Es gefällt mir, allein zu leben. Ich bin Malerin, da bleibt mir nicht viel Zeit für eine Familie.“
Nicht nur Alberta, sondern auch Emilia und die drei anderen Kinder warfen ihr befremdete Blicke zu. Alice straffte die Schultern. Sie war es gewöhnt, wegen dieser Einstellung als seltsam angesehen zu werden.
„Na, sie ist noch jung und hat eine Menge Zeit. Es wird sich alles fügen, so wie es sein soll“, beendete Günter zu ihrer Erleichterung das Thema. Emilia aß nun ebenfalls Kuchen, der ihr ausnehmend gut zu schmecken schien, da sie für eine Weile schwieg. Nur Alberta musterte Alice weiterhin verstohlen aus den Augenwinkeln.
„So eine schöne Frau und ledig!“, erklärte sie völlig unerwartet. „In Mexiko werden sich die Männer um Sie prügeln, da bin ich mir sicher.“
Emilia tadelte die vorlaute Tochter noch mal auf Spanisch. Alice lächelte, um die Situation zu entspannen. Albertas Blicke ruhten voll aufrichtiger Bewunderung auf ihr, was sie zu ihrem eigenen Staunen sogar als schmeichelhaft empfand.
Vermutlich gab es in Mexiko nicht allzu viele Blondinen, überlegte sie. Sie würde sich gleich nach der Ankunft einen Hut besorgen, der ihr Haar verbarg. Das Letzte, wonach sie sich sehnte, waren gierig glotzende Kerle, die hinter ihr herliefen.
Nach dem Abendessen flüchtete Alice unter dem Vorwand, müde zu sein, in ihre Kabine, denn das unablässige Stimmengewirr in dem riesigen Speisesaal hatte in ihr ein Bedürfnis nach Stille und Alleinsein geweckt. Sobald die Tür hinter ihr zugefallen war, kramte sie den Reiseführer aus dem Koffer. Günter Grünwalds Ausführungen hatten sie wirklich neugierig gemacht, mehr über Mexiko zu erfahren. Sie erkannte den üblichen roten Baedeker-Einband. Die Ausgabe befasste sich hauptsächlich mit Nordamerika, schlug aber auch einen Ausflug nach Mexiko vor, für das es bisher keine eigenen Reiseführer zu geben schien, sodass die Mädchen aus dem Café Josty sich für dieses schwere, sicher nicht billige Buch entschieden hatten. Alice blätterte herum, doch sie erfuhr über Veracruz, das erste Ziel ihrer Reise, nur, dass es Touristen nicht viel Sehenswertes zu bieten hätte. Ungeduldig griff sie zum Reisebericht. Er war von einer Frau verfasst, Caecilie Seler-Sachs, deren Mann sich der Erforschung präkolumbianischer Altertümer gewidmet hatte. Patrick hatte mit ihm eine Weile in Briefkontakt gestanden, fiel ihr ein. In diesen Briefen beschrieb sie ausführlich ihre erste Reise durch Mexiko und Guatemala, doch sie erwähnte im Inhaltsverzeichnis fast nur Namen von Orten, mit denen Alice nichts anfangen konnte: Oaxaca, Mixteca Alta, Isthmus. Außerdem enthielt das Buch Zeichnungen von Statuen mit grimmigen Gesichtern, die Alice bereits von Patricks Briefen kannte. Auf einigen Illustrationen waren auch Menschen mit breitkrempigen Hüten und Speeren in der Hand zu sehen, die ihr lebendige Ausgaben der Statuen schienen, denn auch sie blickten nicht besonders freundlich drein. Nach einer Weile ließ sie das Buch wieder sinken. Es gefiel ihr nicht. Sie hätte lieber mehr über diesen Benito Juarez erfahren, der tatsächlich versucht hatte, das Licht der Moderne in ein Land zu bringen, das seit Jahrhunderten vom Recht des Stärkeren bestimmt worden war. Ein gebürtiger Indio. Patricks Berichte über die indianischen Völker des alten Amerika hatten blutige Menschenopfer beschrieben und in ihr die Vorstellung von einer streng autoritär geführten, hierarchisch strukturierten Gesellschaft geweckt. Sie hatte nicht verstehen können, was ihren sanftmütigen Bruder an dieser fremden, blutrünstigen Kultur faszinierte. Doch waren auch Indios wohl in der Lage, aufgeklärtes Denken zu begreifen.
Verwirrt angesichts der rätselhaften Widersprüche dieser Welt und ihrer Bewohner, rieb sie sich die Schläfen. Wieder wurden ihre Augenlider schwer. Sie schaffte es noch, das Kleid gegen ein Nachthemd zu tauschen und sich an dem rostigen Wasserhahn zu waschen. Dann schaukelte das Schiff sie in den Schlaf, trotz der lautstarken Auseinandersetzungen der Grünwalds hinter der dünnen Wand. Diesmal schlichen sich jene kleinen, braunen Menschen mit schmalen Augen und breiten Gesichtern, die sie auf den Zeichnungen in Patricks Forschungsbüchern gesehen hatte, in ihre Träume, kletterten statt der Spinnen und Schlangen an den Gebäuden herum. Sie schlief dennoch friedlich, bis ein weiteres Klingeln sie zum Frühstück weckte.
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