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Der Duft von Rosmarin und Zedern (Elenas Erbe 3)

Der Duft von Rosmarin und Zedern (Elenas Erbe 3) - eBook-Ausgabe

Luanne G. Smith
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Roman

— Romantischer Hexenroman um eine verwunschene Parfümerie in Frankreich
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Der Duft von Rosmarin und Zedern (Elenas Erbe 3) — Inhalt

Sinnliches Parfüm und französisches Flair!

Frankreich zur Jahrhundertwende: Sidra wird beschuldigt, ihren Ehemann getötet zu haben. Um ihre Unschuld zu beweisen, flieht sie in das verschlafene Dorf ihrer Kindheit, das als Heimat renommierter Parfümhersteller bekannt ist. Doch Sidra kann ihrer Vergangenheit nicht entkommen. Sie fühlt sich beobachtet – von jemandem, der den Mord an ihrem Mann rächen will. Zum Schutz vertraut Sidra auf die älteste Waffe des Dorfs: ein Parfüm, das nicht nur anziehende und betörende Düfte enthält, sondern in dem angeblich auch besondere Kräfte schlummern.

Eine romantische Geschichte über Freundschaft, Rache und Vergebung.

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 31.03.2022
Übersetzt von: Vanessa Lamatsch
304 Seiten
EAN 978-3-492-60103-0
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Leseprobe zu „Der Duft von Rosmarin und Zedern (Elenas Erbe 3)“

1


Das Parfüm war schon lange verbraucht, der letzte Tropfen vor Jahren auf die Haut aufgetragen – und doch verharrte der süße Duft von Jasmin im Flakon. Die Essenz eines gebrochenen Versprechens. All die Morgen, die es nie geben würde, gegenwärtig gemacht durch einen einzigen Atemzug: Schließ die Augen, atme tief die Trauer des Verlustes ein und erinnere dich an den Traum davon, was hätte sein können.

Sidra bewegte sich träge innerhalb des Flakons. Eine Schlange aus Rauch und tiefem Bedauern … Sie könnte tausend Jahre hier ruhen, verloren in den [...]

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1


Das Parfüm war schon lange verbraucht, der letzte Tropfen vor Jahren auf die Haut aufgetragen – und doch verharrte der süße Duft von Jasmin im Flakon. Die Essenz eines gebrochenen Versprechens. All die Morgen, die es nie geben würde, gegenwärtig gemacht durch einen einzigen Atemzug: Schließ die Augen, atme tief die Trauer des Verlustes ein und erinnere dich an den Traum davon, was hätte sein können.

Sidra bewegte sich träge innerhalb des Flakons. Eine Schlange aus Rauch und tiefem Bedauern … Sie könnte tausend Jahre hier ruhen, verloren in den Erinnerungen an die Vergangenheit und vollkommen ungestört. Solcherart verwahrt, war sie sicher vor ihren Verfolgern, unbelastet von den Sorgen der Welt, frei von Verpflichtungen und Schmerz.

Ein Fingernagel klopfte gegen das Glas. Gleich dem Schlagen einer Rathausuhr durchbrach das Geräusch die angenehme Stille. Sidra würde das Mädchen dafür umbringen, dass es ihren hart erarbeiteten Frieden störte.

Yvette zog den Stopfen aus der Flasche. „Raus“, sagte sie.

Das Mädchen trat zurück, sodass Sidra nicht länger das fahle Auge sehen konnte, das in den Flaschenhals spähte. Der Gestank von Yvettes Zigaretten dagegen drang in die Öffnung, schal und beißend. Sidra sank noch tiefer und weigerte sich, auf die Störung zu reagieren.

Wieder ein Klopfen, zusätzlich schüttelte Yvette den Flakon noch. Sidras Wut flackerte auf. Ihre Melancholie verklang, vertrieben von einem Zorn, der Herz und Gedanken zum Rasen brachte und nach Taten dürstete. Sie schoss aus der Flasche – eine Kreatur geboren aus Feuer und Luft, ein Wirbelsturm tosender Energie, getragen von unsichtbaren Strömungen, die ihren Befehlen folgten. Sie wünschte sich einen Körper, und sofort verbanden sich Geist, Gedanken, Fleisch und Knochen in der offenen Luft, bis der Sog der Schwerkraft ihren frisch geschaffenen Leib auf die Erde zwang – falls denn auf selbiger jenes lichterfüllte Reich lag, in das sie sich eingeschmuggelt hatte.

„Ich dachte, ihr Dschinn müsstet jedem gehorchen, der eure Flasche öffnet.“

„Und ich dachte, du dürftest im Heim deiner Vorfahren nicht rauchen.“ Sidra trat näher an Yvette heran, gewillt, deren Selbstsicherheit zu erschüttern, aber das Mädchen wich nicht länger zurück. Nicht mehr, seitdem sie Kontakt zu dem rauschenden Fluss ihrer Fée-Macht aufgenommen hatte.

„Anscheinend brechen wir heute alle Regeln.“ Yvette leuchtete sanft, als sie die Zigarette in einem goldenen Kelch ausdrückte. „Grand-Père hat von deiner Anwesenheit hier erfahren. Er bittet dich zu einem ›Schwatz‹ am Fluss.“

Verflucht sollte dieser Oberon sein. Sidra hatte einen Weg gefunden, der stinkenden Stadt voller Ungläubiger zu entkommen, trotz der Magie, die sie dort festgehalten hatte … Und nun drohte dieser Elfenkönig mit seiner Einmischung alles kaputtzumachen. Aber auch das war zum Teil vom Feuer vorhergesagt worden.

Sidra wartete, bis Yvette ihre Zigaretten und das Feuerzeug vom Schminktisch genommen und tief in ihren Taschen vergraben hatte, dann folgte sie dem lebensfrohen Mädchen aus der Grotte und durch den Wald. Der Pfad erstreckte sich unter einem Baldachin aus dem Laub von Bäumen, deren Stämme mit Moos und Flechten überzogen waren und nach frischem Wachstum rochen. Knollige, rot-weiße Pilze ragten zu ihren Füßen aus der Erde, während winzige Frösche im Unterholz quakten. Blauglöckchen klingelten im Takt ihrer Bewegungen ein leises Lied.

Sidra verabscheute jeden Schritt durch die feuchte Luft. Sie sehnte sich nach der brennenden Hitze und der unbarmherzigen Trockenheit des Wüstenschirokkos. Sie verzehrte sich nach der Gesellschaft von Eidechsen mit ihrer feinperligen Haut, die über Sandkörner huschten, um Schutz vor der Mittagssonne zu finden. Sie hätte viel dafür gegeben, wieder im Schneidersitz unter den Palmenbäumen zu sitzen, die ihre spärlichen Blätter als Krone trugen. Das waren die Bäume, die dafür sorgten, dass man das Leben zu schätzen lernte, nicht aber diese wassersatten Monstrositäten, die ihre leuchtend grünen Blätter auf den Weg fallen ließen wie billige Souvenirs.

„Sie haben gesagt, wir sollen am Steinkreis nach ihm suchen.“ Yvette erhob sich ein kleines Stück über den Boden, um über einen blühenden Busch zu spähen. Dass sie dabei glitzerte und leuchtete, war lediglich Angeberei. Das Mädchen hatte erst vor Kurzem gelernt, wie es seine Kräfte einsetzen konnte, um sich in die Luft zu erheben, und präsentierte diese Fähigkeit jetzt bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Als wäre es schwierig, auf den Luftströmungen zu reisen. Dschinn wurden in der Luft geboren. Sie konnten fliegen, wohin auch immer sie wollten, in jeder Form, die sie sich wünschten.

Das Schwatzen kleiner, beflügelter Kreaturen hinter Grasbüscheln und Steinen brachte Sidra dazu, angewidert den Saum ihres Kaftans zu heben, damit diese garstigen Viecher sich nicht daran festhielten. Hätte sie gewusst, dass diese unerträglichen Wesen so zahlreich durch den Wald wuselten wie Läuse, hätte sie vielleicht noch mal darüber nachgedacht, ins Land der Fée zu entkommen. Aber nein, sie war nicht bereit gewesen, sich ihrem Feind zu stellen. Jedenfalls noch nicht. Daher musste sie dieses abscheuliche Reich so lange wie eben nötig ertragen.

Ein Irrwisch mit ledriger Haut flog vor ihr Gesicht und bespritzte sie mit Nektar aus einer molligen Blüte, die er am Weg gepflückt hatte. Sie schlug das Ding zur Seite. Die Hitze ihrer Haut ließ die zarten Flügel in einer Rauchwolke vergehen. Sidra zog eine gewisse Befriedigung aus dem Wissen, dass sie einen solchen Effekt auf die nervigen Biester ausübte.

Yvette deutete auf den Kreis aus aufrecht stehenden Steinen. Ihre hauchdünne, neue Kleidung, die viel zu elegant für eine sharmoota war, bewegte sich in der Brise und umschmeichelte ihren Körper wie eine zweite Haut – ein weiterer dieser Elfentricks, denn Sidra wusste genau, dass das Mädchen mehrere unförmige Gegenstände in ihren Taschen trug. Ihre Silhouette gab darauf indes keinen Hinweis. Beneidenswerte Magie. Für jemanden mit Yvettes klebrigen Fingern dürften solche Taschen ausgesprochen praktisch sein, selbst wenn sie inzwischen längst nicht mehr wie eine kleine Diebin wirkte. Befreit von der Anklage für einen Mord, den sie nicht begangen hatte, hatte Yvette ihre Rolle als Tochter des Elfenhofes mit mehr Würde angetreten, als Sidra erwartet hätte. Widerwillig bewunderte sie den Mut der jungen Frau. Sie benahm sich oft unflätig und unangemessen, doch die Dschinn vermutete, dass Yvette damit lediglich dem Wesen ihrer Art gerecht wurde.

„Sei gegrüßt.“

Die große Frau, die Königin dieses Ortes, bedeutete ihr mit einem kalten Lächeln auf den Lippen, näher an den Thron heranzutreten, der aus miteinander verwobenen Weidenästen bestand. Zu ihren Füßen saßen zwei dieser winzigen, geflügelten Teufel, knackten Haselnüsse und sammelten die Früchte in einem Korb. Sie zischten Sidra an, als hätten sie gesehen, was sie mit der dritten Kreatur angestellt hatte, die eigentlich bei ihnen sein sollte.

„Titania“, sagte Yvette und senkte den Kopf.

„Unsinn. Nenn mich Grand-Mère, Kind.“

Das Mädchen wandte sich an den Mann, aus dessen Schläfen ein Geweih wuchs, und verbeugte sich. „Oberon … ähm, Grand-Père.“

„Dein Strahlen verbessert sich“, sagte er. „Mögest du weiterhin leuchten.“

„Danke.“

Yvette wusste immer noch nicht recht, was sie mit Komplimenten anfangen sollte, doch sie wurde besser darin, freundliche Worte zu akzeptieren, ohne sie wegzuscheuchen wie Fliegen. Das Mädchen nickte in Sidras Richtung. „Ich habe sie mitgebracht, ganz wie du es gewünscht hast.“

Die Dschinn hatte diese formelle Begrüßung passiv verfolgt, den Körper hoch aufgerichtet. Diese nichtigen Fée mit ihren federleichten Körpern und ihrem narzisstischen Getue kümmerten sie nicht. Für Sidra zählte nur der sichere Hafen, den die Abgeschiedenheit dieses Reiches vor dem Rest der Welt bot. Und dennoch: Als Oberon seine Aufmerksamkeit endlich auf sie richtete – seine goldenen Augen waren durchzogen von den Farben des Waldes und starr im Morgenlicht –, konnte sie nicht leugnen, dass in seinem Blick das volle Gewicht königlicher Autorität lag. Sie hatte Geschichten über den König der Fée gehört. Wie stolz er war. Wie ausschweifend sein Lebenswandel. Als er den Wein in dem Glas in seiner Hand kreisen ließ, bevor er ihn in einem einzigen Zug hinunterstürzte, erfasste Sidra die Wahrheit all dieser Gerüchte.

Oberon wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. „Wir heißen Gäste in unserem Reich willkommen“, setzte er an. „Wir sind von Natur aus soziale Wesen. Stolz auf unsere Sitten und Gaben, die wir freigiebig teilen.“ Er stellte das Glas ab und lehnte sich vor. Gleichzeitig senkten sich seine Brauen, die an Eichenblätter erinnerten. „Aber wir sind es nicht gewohnt, blinde Passagiere zu beherbergen, die sich lediglich vor den Problemen der Welt bei uns verstecken wollen.“

Sidra bemühte sich, stoisch zu bleiben, doch gegen ihren Willen verzog sich ihre Oberlippe. „War es das Mädchen, das mich verraten hat?“

Oberon lehnte sich in seinem Thron zurück, als amüsierte ihn die Frage. „Glaubst du, ein König ist darauf angewiesen, dass seine Enkelin ihm erzählt, was in seinem eigenen Königreich vor sich geht? Deine Gegenwart war vom Moment deiner Ankunft an so offensichtlich wie ein glühendes Stück Kohle zwischen Schneeflocken.“

Sidra hatte ihr Zeitgefühl verloren. Wie lange wusste er schon, dass sie hier war, und hatte nichts unternommen? Wochen? Monate? Hatte sie den Fehler begangen, dieses Wesen aus Licht und Leichtfertigkeit zu unterschätzen?

„Ich bitte um Entschuldigung, Oberon.“ Die Worte schmeckten wie Asche in ihrem Mund, doch ihr fiel nichts anderes ein, wollte sie ihr Verbleiben in diesem Reich sichern.

„Entschuldigung akzeptiert. Allerdings wird dir deine aufgesetzte Demut hier nichts nützen.“

Wut brodelte unter Sidras Haut auf und erfüllte sie mit kribbelnder Hitze. Wie würde ihre Magie im Land der Fée wirken? Gegen dessen König? Die Feuchtigkeit des Waldes und die Allgegenwart des Nebels ließen sie zögern. Was, wenn ihr Feuer nur schwelte und zischte …?

„Es ist nicht ihre Schuld“, erklärte Yvette in einem seltenen Anflug von Reue. „Ich war es. Ich habe Sidra einen Wunsch gestohlen, daher schuldete ich ihr einen Gefallen. Sie war in einer Flasche verborgen, die ich für sie aufbewahrt habe, als wir hier gelandet sind. Das habe ich als Geheimnis für mich behalten, obwohl ich es dir hätte erzählen müssen.“

Sidra hob stolz ihr Kinn. „Wir sind dem Pfad eines Feueromens gefolgt.“

Oberon schien über diesen Einwurf nachzudenken, während er einen Geruch in der Luft witterte. „Ich bin mir der prophezeienden Fähigkeiten der Dschinn wohl bewusst“, sagte er, den Blick auf Sidra gerichtet. „Der Funke, aus dem deine Magie erwächst, mag vielleicht älter sein als die Quelle, aus der mein Volk entsprungen ist … doch solltest du im Kopf behalten, dass du hier nicht als Einzige fähig bist, in die Zukunft zu sehen.“

Der König stand auf und ging hinüber zu einer Vogeltränke, die zwischen zwei Steinen neben dem Thron aus Ästen stand. Ein Trio von Blumenelfen saß auf dem Rand, die Füße im Wasser, und lachte über die eigenen Grimassen, die es über der spiegelnden Wasseroberfläche schnitt. Oberon scheuchte die Geschöpfe kurzerhand weg. Sofort suchten sie Schutz in dem langen Mantel aus Moos, den der König trug. Für einen Moment folgten seine Augen einer Bewegung, die er über der Oberfläche des Wassers wahrnahm. Er lächelte in sich hinein, dann verzog er das Gesicht und sah mit hochgezogener Augenbraue zur Großmutter des Mädchens. Diese blickte wortlos zurück – bis ihr Lächeln verblasste, als der König einen Finger ins Wasser tauchte und ihn siebenmal kreisen ließ, worauf sich ein kleiner Strudel bildete. Oberon beobachtete das wirbelnde Wasser und ließ die Hand über die Oberfläche gleiten, als wollte er seiner eigenen Magie Einhalt gebieten. Mit einem Seufzen trat er wieder vor Sidra und Yvette. Hinter ihm kaute die Königin auf der Unterlippe.

„Die lange Spirale des Schicksals wird sich selbst verschlingen, wenn sie sich allzu lange im Kreis dreht“, sagte er. Der König ragte hoch über Sidra auf und sah sie unverwandt an. „Ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagt. Eine Schlange, die sich selbst frisst. Ein Ende, das von einem hungrigen Anfang gelöst wurde.“ In seinen Augen glänzte das Licht der Prophezeiung, als wäre er immer noch halb in seiner Vision gefangen. „Auch wenn ich verstehe, dass deine Art gerne in den Schatten wandelt … Du gehörst nicht hierher. Du darfst dich nicht länger innerhalb der Grenzen meines Reiches verbergen“, sagte er, bevor er auf den Thron neben Titania zurückkehrte.

Das Feuer, das bis in Sidras Fingerspitzen gekrochen war, pulsierte, als bettelte es um Freiheit. Verflucht sollte dieser Elf für seinen Blick in die Zukunft sein. Hatte er ihren Schmerz und ihre hoffnungslosen Aussichten gesehen? War ihm ihr Schicksal so einerlei, dass er sie zertrat wie ein Blatt, das von einem seiner grotesken Bäume gefallen war? Die Kreaturen schossen kichernd unter seinem Mantel hervor, als wollten sie Sidra verspotten, und besaßen sogar die Dreistigkeit, an ihrem Gewand zu zerren.

„Aber was, wenn sie gute Gründe hat zu bleiben?“, gab Yvette in einem Ton zu bedenken, den nur eine Enkelin beherrschte.

Der König warf ihr einen zweifelnden Blick zu, der die Äste der Bäume erzittern ließ.

Sidra schnippte ein trockenes Blatt von ihrer Schulter. „Ich werde niemanden um Zuflucht anbetteln, wenn sie mir nicht freiwillig gewährt wird.“

„Aber du kannst nicht zurück. Dieser Widerling wird dich in Stücke reißen.“

„Ich habe es nicht nötig, dass du ein gutes Wort für mich einlegst, Mädchen.“

„Nun mach mal halblang, ich habe doch nur versucht, dir zu helfen. Aber meinetwegen, lass dich ruhig verbannen, dann sind wir dich wenigstens los!“

Eine Kreatur, nicht größer als ein Kolibri, flatterte vor Sidras Gesicht. Sie war völlig nackt, hatte sich kleine Kastanienzweige rechts und links an den Kopf gebunden, mit denen sie Oberons Geweih nachahmte. Das Wesen grinste, bevor es sein Wasser auf Sidras Kaftan abschlug.

„Ist das ein Beispiel für die berühmte Gastfreundlichkeit der Fée?“, fragte Sidra, als sie den besudelten Seidenstoff hob, um allen den Fleck darauf zu zeigen. „Dann ist es wirklich besser, wenn ich von hier verschwinde.“

Yvette verdrehte die Augen. „Es waren doch bloß ein paar Tropfen.“

Sidra blies heißen Atem auf die gemeine Kreatur. Damit verbrannte sie das Wesen zwar nicht, doch die Haare auf seinem Kopf verpufften in Rauch und das Geweih aus Zweigen zerfiel zu Asche, bevor dieser Stänkerer davonflatterte, um neben seiner Königin zu schmollen.

„Genug!“ Oberon stand auf. Seine geflügelten Untertanen erstarrten in der Luft, um abzuwarten, aus welcher Richtung der wankelmütige, königliche Wind nun wohl blasen würde. „Auch wenn ich keinen Groll gegen deine Art empfinde, Dschinn, gehörst du doch nicht in diese Gefilde. Nicht, weil du nicht willkommen wärest, sondern weil das Schicksal deine Rückkehr in die andere Welt vorsieht. Die Folgen deines Tuns sind nicht aus der Welt, nur weil du vorübergehend einen sicheren Unterschlupf gefunden hast.“

„Ich werde den Gesetzen des Schicksals gehorchen. Aber ich weiß, dass mich lediglich der Tod erwartet, wenn ich in diese Stadt der Ungläubigen zurückkehre.“

„Jemand hat einen Fesselzauber auf sie gelegt“, fügte Yvette mit einem Seitenblick zu Sidra hinzu. „Sie neigt dazu, diese Art von Hass auf sich zu ziehen.“

Sidra fletschte die Zähne, doch diesmal hielt ihre Feindseligkeit nicht lange vor. Sie machte einen untypischen Rückzieher und wandte sich ab, als ihre Gefühle drohten, ihr Feuer zu dämpfen. „Ich kann nicht dorthin zurückkehren“, sagte sie entschieden, sobald sie die Selbstkontrolle zurückgewonnen hatte. „Fessele meine Flammen nicht, indem du mich zurück an diesen Ort schleuderst! Ich würde lieber für eine Ewigkeit auf den Boden meiner Flasche sinken, als erneut in diesen Wirbelwind aus Trauer geworfen zu werden.“

Oberon ergriff die Hand seiner Frau und schien den Appell der Dschinn abzuwägen. „Die Gesetze, denen wir alle folgen, gestatten dir nicht, in Passivität und Stagnation zu verweilen. Das Leben hält niemals jäh in der Mitte inne, sondern strebt stets seinem natürlichen Ende entgegen.“

Titania stieß ein fast unhörbares Geräusch aus, bevor sie die Hand vor den Mund hob und zu flüstern begann. Ihr König lehnte sich zu ihr, um zu lauschen. Einen Augenblick später richtete er sich wieder auf, und in seinen Augen funkelte eine aufkeimende Idee. Die Dschinn zog ihren leicht feuchten Kaftan um sich, als könnte sie das vor seinem Urteil schützen.

Seine geflügelten Lakaien brachten dem König der Elfen einen hölzernen Stab mit einem Kristall am Ende. „Nach sorgfältiger Abwägung billige ich die Flucht aus der Stadt, an die du gefesselt warst“, sagte er zu Sidras tiefer Erleichterung. Und dann fügte er ein „Allerdings …“ hinzu, welches die Dschinn mit einem solchen Grauen erfüllte, dass sie sich wünschte, sich an irgendetwas festzuklammern.

Dieses Wort hing in der Luft – und es war das Letzte, woran sich Sidra erinnerte, bevor sie durch einen schmalen Spalt zwischen den Welten gepresst wurde, in dem glitzernde Lichter in ihren Augenwinkeln tanzten wie das Funkeln der Sonne auf dem Wasser.



2


Eine winzige, kleine Ranke entfaltete sich in Elenas Hand, klein und zerbrechlich zwar noch, doch innerhalb weniger Wochen würde sie zu einem festen Anker heranwachsen, der stark genug war, den Ast zu halten, selbst wenn schwere, dicke Trauben daran hingen. Elena legte ihre Hand auf den Weinstock und schloss die Augen, um auf das Leben darin zu lauschen. Zellen pulsierten leise, als Nährstoffe aus dem Boden die Wurzeln stärkten und die Energie sammelten, die für neues Wachstum nötig war. Zufrieden mit dem Zustand der Pflanze wickelte Elena die Ranke über den Stützstock und hängte ein Medaillon aus Senfsamen und Rosmarin daran, um diese Pflanzenreihe vor jedem Schattenzauber zu schützen, der des Nachts voller Hoffnung, einen Pilzbefall zu erzeugen, an die Wurzeln kriechen könnte.

Eine Biene brummte neben Elenas Ohr und äußerte ihre gute Meinung über den Weinberg.

„Ja, sie wachsen schnell dieses Jahr“, pflichtete sie dem Insekt bei. Die Sonne am Himmel hatte damit genauso viel zu tun wie die sanften, morgendlichen Regenschauer in den letzten drei Tagen. Insgesamt waren Elena und die Bienen sich einig, dass es ein ertragreiches Jahr werden konnte. Und das galt nicht nur für die Trauben. Der Weinkeller war gefüllt mit großen Fässern aus dem letzten Jahr. Ihr erster Jahrgang, seitdem sie den verhängnisvollen Fluch bezwungen hatte. Schon in ein paar Monaten konnten sie den Wein in Flaschen füllen und zum Verkauf anbieten – auf dem gesamten Kontinent, allen, die bereit waren, eine Kiste zu erwerben. Wenn ihnen das Glück hold war, würden sie genug verdienen, um das undichte Dach des Hauses zu reparieren, bevor die morschen Balken im Speicher nachgaben.

Drei Stockreihen entfernt war Jean-Paul ebenfalls damit beschäftigt, die Ranken sanft in der richtigen Position zu befestigen, um möglichst viele Trauben zu halten. Obwohl er ein Sterblicher war, besaß er eine natürliche Begabung für Wein. Er wusste es nicht, doch die Pflanzen neigten sich ihm leicht entgegen, wann immer er sich vorbeugte, um ihre Wurzeln zu säubern.

Nachdem Jean-Paul ein paar überflüssige Knospen abgeknipst hatte, nahm er seine flache Kappe vom Kopf. Die Arbeit war anstrengend, dreckig und wollte nie enden, aber es gab keinen Ort, an dem sie beide sich lieber aufhielten als zwischen den Weinstöcken, von ihrem Ehebett vielleicht abgesehen. Jean-Paul wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche. Während er trank, fiel sein Blick auf den Hang des Hügels.

„Da ist er wieder“, sagte er und zeigte auf einen Punkt. „Dieser Hund, von dem ich dir erzählt habe.“

Elena folgte seinem Blick, sah aber nur noch einen braunen, geringelten Schwanz, weil das Tier sich sofort hinter die Weinstöcke zurückzog.

„Er treibt sich jetzt schon seit drei Tagen hier herum.“ Jean-Paul setzte seine Kappe wieder auf, dann grinste er Elena an. „Einer von deinen Leuten?“

Er meinte es als Witz, doch Transmogrifikation war durchaus vorstellbar. Elena hielt sich schützend die Hand vor die Augen, um die Bewegungen hinter den Weinstöcken besser erkennen zu können. Ein Blatt zitterte, dann sah sie, dass das Tier sie aus seinem Versteck oben auf dem Hügel anstarrte, vielleicht hundert Meter entfernt. Seine Bewegungen wirkten unnatürlich schnell, selbst für einen Hund.

„Drei Tage, sagst du?“

„Könnte vom Anwesen von Du Monde kommen. Dort ist ein neuer Besitzer eingezogen.“

„Möglich.“ Elena senkte die Hand und machte sich wieder daran, die Triebe zu befestigen, wobei sie darauf achtete, dass sie sich an das Rankgitter anschmiegten und damit den Wuchs sicherstellten. Ihr goldener Ehering glitzerte in der Sonne, als sie die Hand über die Äste gleiten ließ. Nachdem die Ereignisse des letzten Herbstes es ihr fast unmöglich gemacht hätten, ihren Lebensunterhalt als Weinhexe zu verdienen, gab sie sich mit jeder Aufgabe besondere Mühe, wusste sie jedes frische Blatt und jede sich entfaltende Knospe noch höher zu schätzen. Fast wäre sie dem Zauber der Blutlinie ihrer Mutter verfallen. Elena hatte sich tiefer und tiefer in die Kunst der Giftmischerei versenkt, bis jede Berührung eines Giftpilzes oder der harten Schale eines Belladonna-Samens tödliches Wissen in ihr aufgerufen hatte. Am Ende hatte sie der Verlockung widerstanden, indem sie dem Einfluss ihrer Mutter abgeschworen hatte. Die positive Energie, um die sie so hart gekämpft hatte, floss heute frei durch ihr Herz und ihre Hände, einzig dazu eingesetzt, Ranken zu versorgen und Trauben ins Leben zu locken.

Mit einem Mal rührte sich etwas in Elena. Ihre Intuition heischte Aufmerksamkeit. Erneut spähte sie zu dem Hund auf dem Hügel hinüber. Das Tier starrte sie unverwandt an. Seine Ohren blieben entspannt, aber wachsam gehoben, bis plötzlich das linke Ohr zuckte. Er hatte etwas gehört. Seine Nase schnellte in die Richtung des Geräusches. Er witterte. Elena reckte ihren Hals, um zu erkennen, was das Tier verstört hatte. Zwei Männer kamen die Straße zum Weinberg entlang. Der eine war mindestens dreißig Zentimeter größer als der andere und trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug sowie einen Derby-Hut. Sein Gefährte war in eine lange, weiße Tunika gewandet, während seinen Kopf ein schlichter Strohhut bedeckte.

Ah, Bruder Anselm.

„Deine Intuition ist fast so gut, wie es die von Grand-Mère war“, lobte Elena den Hund, wobei sie mit einem Zauber dafür sorgte, dass ihre Worte seine Ohren erreichten. Das Tier zuckte leicht zusammen, als die Worte landeten, und drehte den Kopf, um sie erneut zu beobachten.

„Was hast du gesagt?“, fragte Jean-Paul.

„Wir haben Gesellschaft.“

Das Paar legte die sécateurs in einen Korb und trat zwischen den Reben heraus, um die Besucher im Hof von Château Renard zu begrüßen – dessen Name viel großartiger klang, als es das einfache Herrenhaus mit den sechs Zimmern und dem Blick über das Chanceaux-Tal wirklich war. Noch bevor die Männer nah genug waren, um sich mit ihnen zu unterhalten, trottete der Hund davon, Kopf und Schwanz gesenkt.

Jean-Paul tupfte sich mit seinem Halstuch abermals den Schweiß von der Stirn und band es sich gleich darauf wieder um. Bruder Anselm winkte ihnen von der Straße aus zu, doch der Mann neben ihm gab sich keinerlei Mühe, einen freundlichen Eindruck zu machen. Ganz im Gegenteil, dachte Elena, dieser Mann riecht nach Ärger. Und wie steif er in seinem Anzug wirkt …

Elena winkte zurück und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab – nicht, dass das gegen die grünen Verfärbungen unter ihren Daumennägeln geholfen hätte, die vom ständigen Abtrennen von Blättern stammten.

„Bonjour“, sagte der Mönch, als er sie erreichte, und nahm seinen Hut ab. Ein Kranz aus grauen Haaren zog sich über seinen Ohren entlang.

Elena küsste ihn zur Begrüßung auf beide Wangen. Wie gewöhnlich roch Bruder Anselm nach Hefe, Essig und gut gereiftem Käse. Sie trat zurück und wartete, während Jean-Paul den Mönch umarmte, um dann seine Hand zu schütteln. Der Fremde beobachtete sie leicht misstrauisch, zumindest, wenn sie seine zusammengekniffenen Augen richtig deutete.

„Ich entschuldige mich vielmals für diesen unangekündigten Besuch“, sagte Bruder Anselm, „aber dieser Herr hier meinte, seine Geschäfte wären dringend.“ Der Mönch drehte seinen Strohhut in den Händen. „Darf ich euch Jamra …“

„Sie sind Elena Boureanu?“ Der Mann streckte ihr weder die Hand entgegen noch schenkte er ihr einen freundlichen Blick.

„Mittlerweile Elena Martel“, entgegnete sie. Da er so groß war, musste sie den Blick heben, um ihn anzusehen.

„Ah, Gratulation, Madame.“ Er räusperte sich, dann kam er umgehend zum Punkt: „Bitte verzeihen Sie die Störung, aber ich hoffe, jemanden zu finden, den Sie kennen.“

„Wenn ich Ihnen helfen kann …“, antwortete sie vage, doch ihr Instinkt wies sie bereits an, ihre Zunge bestmöglich zu zügeln. Elena konnte nicht wie Grand-Mère die Omen lesen, aber sie ahnte, dass die alte Frau beim Anblick dieses Mannes die Hände an die Brust gepresst hätte. Was hatte er an sich, das ihre Intuition in Alarmbereitschaft versetzte? Bei näherer Betrachtung wirkte der Teint des Mannes wie verdorbenes Fleisch – fettig, blass und schlecht genährt. Ob er an einem Magengeschwür litt und sich der Schmerz all der aufsteigenden, sauren Galle bereits im Erscheinungsbild seiner Haut niederschlug? Auf Heilung durfte er bei Elena mit ihren Kräutern aber nicht hoffen, da musste er sich an andere Hexen wenden, die dieser Kunst näherstanden.

„Ich denke schon, dass Sie mir helfen können“, sagte er, fast, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Bruder Anselm versuchte sich an einer Erklärung. „Jamra ist ein Geschäftsmann. Aus der Stadt. Ich glaube, er …“

„Sidra“, sagte der Mann und fiel dem Mönch in seiner Ungeduld ein weiteres Mal ins Wort. „Sie waren es doch, die ihr geholfen hat, aus der Stadt zu entkommen, nicht wahr? Sie müssen mir sagen, wo ich sie finden kann. Es ist sehr dringend.“

Der Gestank verbrannter Erde stieg unter den Füßen des Mannes auf. Zuerst dachte Elena, der Geruch stamme von der Asche aus einer brouette, die sie im Winter am Fuß der alten Reben ausgeleert hatte. Aber nein. Der Geruch stammte von diesem Mann. Mit scharfem Blick musterte sie seine Gestalt. Kein Auraspektrum, aber trotzdem übernatürlich. Während ihr eigenes Feuer ehrliche Wärme versprach, erinnerte seines an ein brennendes Dach kurz vor dem Einsturz.

„Welcher Art von Geschäften gehen Sie doch gleich nach?“, wollte Jean-Paul in eisigem Ton wissen

„Ich habe nicht mit Ihnen geredet.“ Jamra bedachte ihn mit einem Blick, der diesen unmissverständlich vor weiteren Einmischungen warnte, und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Elena. „Also, wo ist sie?“

O ja, dieser Mann kam mit finsteren Absichten und mit einem noch finstereren Temperament zu ihnen. „Ich bin mir nicht sicher, was Sie das angeht“, sagte Elena mit wenig Sympathie für diesen Fremden.

Jean-Paul biss die Zähne zusammen und trat neben Elena, um sich dem Mann entgegenzustellen, falls es nötig werden sollte. Eigentlich süß, wie er unverdrossen annahm, er könne sie besser beschützen als sie sich selbst. Aber sterbliche Männer hatten in der Regel eine recht übersteigerte Meinung von ihren eher durchschnittlichen Fähigkeiten.

„Du wirst mir sagen, was ich wissen will“, erklärte der Mann. Elena fühlte ein Zucken in ihrem Instinkt, als hätte der Fremde versucht, in ihre Erinnerungen einzudringen. Was für ein grober Klotz!

Bruder Anselm räusperte sich auf seine typische, bestimmte Weise. „Anscheinend habe ich einen Fehler begangen“, sagte er mit einem strengen Blick auf den Fremden, ehe er sich wieder an Elena und Jean-Paul wandte. „Ich entschuldige mich, falls ich mit diesem Besuch heute irgendwelchen Ärger verursacht habe.“

Jedem weiteren Imponiergehabe der Männer kam Elena mit einer Frage zuvor: „Woher kennen Sie Sidra?“

Jamras kohlschwarze Augen richteten sich wieder auf Elena. „Sie ist durch Eheschließung meine Schwester. Ich fürchte, sie steckt in Schwierigkeiten, die sie überfordern.“

Hm, möglich. Doch Elena hatte nicht das Gefühl, dass er die volle Wahrheit sagte. „Ich fürchte, Sie sind den weiten Weg umsonst gekommen“, entgegnete Elena. „Sidra informiert mich nicht über ihr Tun und Lassen. Wenn sie die Stadt verlassen hat, dann aus eigenem Antrieb.“

„Nein, Hexe, ich versichere dir, dass ihr das nicht möglich gewesen wäre.“ Der Mann starrte sie an, als hielte er sie für eine Lügnerin.

Jean-Paul hatte langsam genug. Gastfreundlichkeit bedeutete nicht, sich von einem Fremden im Hof des eigenen Hauses beleidigen zu lassen. „Meine Frau hat Ihnen gesagt, was sie weiß“, meinte er. „Daher denke ich, die Zeit für Ihren Aufbruch ist gekommen.“

Der beißende Geruch von glühenden Kohlen erfüllte die Luft. Jamra lächelte wie eine Schlange, die jeden Moment zubeißen wollte.

Und dann brach sich seine Rachsucht Bahn.

Jamra schob sich an Jean-Paul vorbei und stieß ihm dabei hart vor die Brust. Dieser setzte ihm sofort nach. Seine Wut sprach aus jedem der schweren Schritte auf dem Pflaster, doch er konnte den Mann im schwarzen Anzug nicht einholen. Der Dschinn stoppte vor der nächstgelegenen Reihe von Reben. Vor den alten Stöcken, die Grand-Père in seiner Jugend gepflanzt hatte … „Ihr wollt mir nicht erzählen, was ihr wisst? In Ordnung.“ Der Dschinn fuhr mit der Hand durch die Luft, die Finger gespreizt, den Teller nach vorn gekehrt.

„Nein! Bitte nicht“, rief Anselm.

Die Reihe der Rebstöcke vertrocknete, wurde braun und schwarz wie die leere Hülle eines Käferpanzers, während die trockenen Blätter zu Boden rieselten und in tausend Stücke zerfielen.

Elena spürte einen scharfen Schmerz unter den Rippen, als hätte ihr jemand gegen die Brust geschlagen. Die schiere Niedertracht, die nötig war, um etwas so Wunderbares, etwas so Verehrtes zu töten, überraschte sie. Einen Moment lang konnte sie nur schockiert dastehen und blinzeln. Als ihr das wahre Ausmaß der Vernichtung klar wurde, bündelte sie ihre Wut in einem Wirbelsturm aus Energie. Das Gefühl brodelte in ihr, stieg höher und höher auf, bis ihre Haut kribbelte. Jean-Paul trat zur Seite und hob einen Arm vor die Augen, als hätte er die Energie gespürt, die von ihr ausging. Anselm wich ebenfalls ehrfurchtsvoll zurück.

 

„Wind und Feuer, in Wirbel verbunden,

gebt frei die Macht, die in mir ich gefunden.“

 

Elenas Finger zitterten, als sich auf der einen Handfläche Feuer, auf der anderen die Macht des Windes materialisierten. Sie ließ die Hände kreisen, um die beiden Kräfte zu vereinen, bis sie als Tornado in der Luft standen. Dann schickte sie diesen mit der gesamten Kraft, die ihr zu Gebote stand, gegen den Mann. Sobald sie die Magie freigegeben hatte, strich sie sich die Haare aus den Augen, bereit, erneut zuzuschlagen, bevor der Dschinn sich erholen konnte – entdeckte ihn aber drei Meter rechts von sich, die Hand ausgestreckt, um die Macht ihres Zaubers in die zweite Rebenreihe abzulenken. Lächelnd verfolgte er, wie ein halber Hektar alter Weinstöcke in Flammen aufging.

Jean-Paul presste sich die Hände an die Schläfen und stieß ein Geräusch aus, das an ein waidwundes Tier in Gefahr erinnerte.

„Du kannst kein Feuer gegen mich einsetzen und hoffen, damit einen Sieg zu erringen“, sagte Jamra und rieb sich langsam die Hände. „Ich frage dich zum letzten Mal: Wo finde ich Sidra?“ Er kniff die Augen zusammen, als studierte er Elenas offenkundiges Entsetzen darüber, was ihr Feuer angerichtet hatte. „Sag es mir, und ich werde dir den Schmerz ersparen, den dir die Vernichtung dieser Pflanzen offenbar verursacht.“

Welche Magie beschwor er mit der Hitze und dem Knistern zwischen seinen Händen? Welche Gedanken las er, die sie nicht vor ihm hatte verbergen können? Wenn Jamra jetzt verschwand, konnte sich das Weingut von dem Schaden erholen. Sie und Grand-Mère hatten durch Hagelstürme schon größere Schäden erlitten und neu anpflanzen müssen, nachdem die Reben zerschlagen worden waren. Sie und Jean-Paul könnten das ebenfalls schaffen.

Bruder Anselm legte eine Hand an ihren Ellbogen, als wolle er sie ermutigen. „Wenn du weißt, wo diese Sidra ist, wäre es dann nicht das Beste, es ihm zu sagen?“, fragte er. „So ersparst du dir zumindest weiteren Ärger.“

„Ich kann nicht verraten, was ich nicht weiß.“ Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es ihm nicht sagen, dachte sie, wobei sie den Irren mit dem schwarzen Derby-Hut anstarrte, als wollte sie ihn mit ihrem Bick in die Flucht schlagen.

„Dann hast du deine Wahl getroffen“, sagte der Dschinn. Mit der Geschwindigkeit eines jagenden Falken stürzte er sich auf Jean-Paul und presste ihm die Hände an die Schläfen. Jean-Paul setzte alles daran, sich aus dem Griff des Dschinn zu befreien, doch noch ehe Elena einen zweiten nutzlosen Zauber wirken konnte, sank ihr Ehemann zu Boden.

Luanne G. Smith

Über Luanne G. Smith

Biografie

Luanne G. Smith ist Bestsellerautorin und lebt in Colorado am Rande der schönen Rocky Mountains. Sie verbringt ihre Zeit am liebsten mit Lesen, Gärtnern und Wandern und lässt sich gerne von der Magie in den Kleinigkeiten ihres Alltags verzaubern. „Der Zauber von Wein und Lavendel“ ist ihr erster...

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