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Der gekränkte Mann Der gekränkte Mann - eBook-Ausgabe

Tobias Haberl
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Verteidigung eines Auslaufmodells

— Die Rolle des modernen Manns heute

„›Der gekränkte Mann‹ ist ein Buch über die Frage, wie man im 21. Jahrhundert Mann sein kann und darf – fortschrittlich, aber nicht dressiert, überzeugend, aber nicht toxisch.“ - Chamer Zeitung

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Der gekränkte Mann — Inhalt

Wie geht das, Mann sein heute?

Männer sind die Geisterfahrer der modernen Gesellschaft: Der Feminismus stellt sie als Mängelwesen dar – „toxische Männlichkeit“ ist zu einem Kampfbegriff geworden. Und die vermeintlichen Übeltäter? Passen sich geschmeidig an. Oder fühlen sich überrollt von einer Logik, die Männer grundsätzlich als Problem und Frauen als Lösung darstellt.

Wie fühlt sich diese Kränkung an, wenn man nicht wie ein Feldherr durchs Leben laufen, aber auch kein Vorzeigefeminist sein möchte, wenn man sich selbstkritisch beobachtet, aber auch nicht umkrempeln lassen möchte wie ein altes Hemd? Warum ist es gar nicht so einfach, einen Kultur- und Normenwandel anzunehmen, der alles, was einem jahrzehntelang als erstrebenswert verkauft worden ist, als peinlich, fragwürdig oder unmoralisch entwertet? Und wie kann man heute überzeugend Mann sein – offen und empathisch, aber nicht dressiert und glattgeschliffen?

 „Freches, faires, aufrichtiges Buch: Tobias Haberl kämpft sich durch das Dickicht der Geschlechterdebatten – zwischen den dauergekränkten alten und den enthaarten, veganen neuen Männern. Das geht alle an, Frauen wie Männer.“ Eva Menasse

€ 22,00 [D], € 22,70 [A]
Erschienen am 31.03.2022
256 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07113-0
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€ 21,99 [D], € 21,99 [A]
Erschienen am 31.03.2022
256 Seiten
EAN 978-3-492-60054-5
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Leseprobe zu „Der gekränkte Mann“

Vorwort

Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem ich beschloss, dieses Buch zu schreiben: Es war Oktober, draußen regnete es, ich nahm lächerlicherweise ein Honigschaumbad und blätterte im Spiegel, als ich in einem Interview mit Alice Schwarzer folgenden Satz las: „Rechtsradikale und Islamisten sind im Grunde gleich toxisch, es geht um den gekränkten Mann.“[i] Ich hielt inne, wurde nachdenklich, irgendwann ließ ich das Magazin über den Badewannenrand gleiten und verfiel in langes Grübeln: Der gekränkte Mann – irgendwas lösten diese drei Worte in mir [...]

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Vorwort

Ich erinnere mich genau an den Moment, in dem ich beschloss, dieses Buch zu schreiben: Es war Oktober, draußen regnete es, ich nahm lächerlicherweise ein Honigschaumbad und blätterte im Spiegel, als ich in einem Interview mit Alice Schwarzer folgenden Satz las: „Rechtsradikale und Islamisten sind im Grunde gleich toxisch, es geht um den gekränkten Mann.“[i] Ich hielt inne, wurde nachdenklich, irgendwann ließ ich das Magazin über den Badewannenrand gleiten und verfiel in langes Grübeln: Der gekränkte Mann – irgendwas lösten diese drei Worte in mir aus.

Ich fühlte mich nicht gemeint, nicht direkt jedenfalls, schließlich bin ich weder rechtsradikal noch ein Islamist. Trotzdem spürte ich, dass in dem Satz eine tiefe Wahrheit steckt, weil sich vieles, was in unserer Gesellschaft gerade beschwerlich oder bedrohlich ist, damit erklären lässt, dass sich unsere Vorstellung von Männlichkeit gewandelt hat, ja dass Männlichkeit an sich immer öfter attackiert und verurteilt wird.

Ich bin sechsundvierzig. Kein alter Mann, aber auch kein junger mehr, der seine Jeans nach oben krempelt, damit man seine nackten Knöchel sehen kann. In den letzten Jahren stand man als mittelalter weißer Mann ganz schön unter Druck. Gerade hatte man sich damit abgefunden, dass einem Haare nur noch an Körperstellen wachsen, an denen gar keine sein sollten, schon musste man sich anhören, wie fragwürdig und toxisch man ist, im Grunde ein Auslaufmodell, ein Zivili-sationsirrtum, verantwortlich für jede Menge Unheil auf der Welt, denn ohne die Vorherrschaft der alten weißen Männer, das hört man ständig, wäre die Welt eine bessere, dann wären nicht Geld, Macht und Ichsucht unser Antrieb, sondern Empathie und Solidarität. Zu Beginn der Finanzkrise veröffentlichte das Süddeutsche Zeitung Magazin das Foto eines gewaltigen Büroturms, dazu die Überschrift: „Hochmut kommt vor dem Phall – Die Wirtschaftskrise ist vor allem eine Krise der Männer“, und dahinter in Klammern: „Im Ernst: Wäre Frauen der ganze Mist passiert?“

Okay, ich muss mich korrigieren, vielleicht bin ich doch gekränkt. Nicht so, dass ich weinen muss, aber immerhin arbeite ich an einem Buch, obwohl draußen der Sommer kommt. Vielleicht bin ich auch gar nicht selbst, sondern stellvertretend für andere Männer gekränkt, deren Lebensleistung ich kenne, die ich respektiere, bewundere oder liebe, zum Beispiel meinen Vater.

Auch ich finde, dass es jetzt mal reicht mit der Alleinherrschaft der weißen Männer, gleichzeitig geht mir die Aggressivität (und manchmal auch Heuchelei) der Gender-Debatte ziemlich auf die Nerven. Einerseits ist die Gleichstellung noch lange nicht erreicht, andererseits beobachte ich, wie ein teils dogmatischer Feminismus verunsicherte Männer nicht nur nicht überzeugt, sondern verschreckt, indem er sie als Mängelwesen diffamiert, die hoffentlich bald tot sind. Rational erkenne ich die Notwendigkeit einer Neuordnung, emotional kann ich mich nur schwer vom Bild des traditionellen und ja, wahrscheinlich auch fragwürdigen Mannes lösen.

Im Moment geht es vielen Männern so. Woher ich das weiß? Sie erzählen es mir. Die einen offen, die anderen hinter vorgehaltener Hand, im Flüsterton oder per E-Mail. Typen, die morgens mit der Lunchbox ins Büro radeln und abends Netflix schauen, Männer, die mit Helmut Kohl und der Schwarzwaldklinik, aber ohne Instagram aufgewachsen, die weltoffen und selbstkritisch sind, sich aber schon fragen, warum sie auf einmal „gebärender Elternteil“ sagen sollen, wenn sie „Mutter“ meinen.

Der Männlichkeit ist die Selbstverständlichkeit abhandengekommen. Das ist gut, weil sich gesellschaftliche Normen verschoben haben, das ist aber auch heikel, weil Millionen gekränkter Männer ein politisches Problem sind. Im Moment inszenieren sich die einen als Vorzeigefeministen, während sich andere resigniert durch die Kommentarspalten im Internet hassen. Ich kann mich mit keinem der beiden Lager identifizieren, weil ich Männer, die sich ihre Artigkeit wie eine Medaille um den Hals hängen, zu geschmeidig und Männer, die Feministinnen für „schlecht gefickt“ halten, indiskutabel finde.

Ich bin irgendwas dazwischen: für gleiche Chancen, gleiche Rechte, gleiches Einkommen, aber gegen Gendersternchen, für mehr Frauen in Führungspositionen, aber gegen die reflexhafte Skandalisierung jedes nicht hundertprozentig besenreinen Satzes. Ich finde Sophie Passmann gut, aber Harald Martenstein auch, bewundere die Tennisspielerin Naomi Osaka, finde aber Frauenfußball langweilig, verehre die Schriftstellerin Sally Rooney und lese doch meistens Romane von weißen Männern, weil ich mich irgendwie mehr gemeint fühle. Es gibt Feministinnen, mit denen bin ich befreundet, andere respektiere ich, wieder andere empfinde ich als Zumutung. Ich bin fasziniert von Menschen, die weder Mann noch Frau sein können oder wollen, hänge aber an der Idee der traditionellen Familie, freue mich jetzt schon auf meine Elternzeit und spüre doch einen Stich, wenn ich Männer mit gepunkteten Socken sehe, die mit stillenden Müttern im Café „Schneewittchen“ über Kitagebühren plaudern. Es ist tatsächlich so, dass ich im Bayerischen Wald, wo ich aufgewachsen bin, als fortschrittlich und in München, wo ich wohne, als konservativ wahrgenommen werde. Die einen sagen: Man merkt, dass du in der Stadt lebst. Die anderen: Man merkt, dass du vom Land kommst.

Es geht in diesem Buch um die Sehnsucht nach einer Männlichkeit, die sich nicht verleugnet, aber auch nicht anbiedert, denn natürlich möchte ich kein Typ von gestern, aber halt auch nicht dressiert und totalangepasst, nicht immer nur zeitgemäß und glatt geschliffen sein. Im Moment bin ich auf der Suche, weil die Idee von Männlichkeit, die mich ein Leben lang begleitet hat, nicht mehr gilt. Weil vieles, was früher okay war, problematisch und vieles, was lässig war, lächerlich geworden ist. Weil ich aufpassen muss, wie ich mich hinsetze (nicht zu breitbeinig!), wie ich spreche (geschlechtergerecht!), wie ich Witze mache (diskriminierungsfrei!), weil ich also erkannt habe, dass ich mich mit Mitte vierzig noch mal grundsätzlich hinterfragen muss.

Ich habe Freunden von diesem Buch erzählt. Einer hielt mich für lebensmüde, ein anderer für masochistisch. In den Tagen danach hatte ich ernste Motivationsprobleme. Irgendwann habe ich mich selbst gefragt, warum ich eigentlich für Männer in den Ring steige, von denen ich die meisten selbst peinlich finde, und warum ich mir das alles antue: böse E-Mails, fiese Shitstorms, geschockte Kollegen, enttäuschte Cousinen. Ich bin nämlich gar kein Alphamann, im Gegenteil: Ich finde Macht so langweilig wie Promi Big Brother, rede fast nur über Gefühle und fange nach den ersten Takten von Schuberts Winterreise zu heulen an. Am Ende habe ich nur eine Antwort gefunden: Bevor Björn Höcke oder Jan Böhmermann auf die Idee kommen, sich Gedanken über Männlichkeit zu machen, mache ich es lieber selbst, weil die Sache an den politischen Rändern ja klar ist: Der eine will den starken Mann zurück, dem anderen kann es nicht gendersensibel genug sein. Interessant aber ist es dazwischen, wo es widersprüchlich wird und sich meistens auch die Wahrheit versteckt.

Ich weiß, dass ich den Zeitgeist eher nicht auf meiner Seite habe: Bücher, die traditionelle Männlichkeit nicht nur verteufeln, stehen in der Buchhandlung irgendwo zwischen Kollegah und Thilo Sarrazin. Die Gefahr, dass ich in eine finstere Ecke geschoben werde, ist groß, ziemlich sicher werden mich einige absichtlich falsch verstehen. Außerdem hat man, wenn man sich in der Geschlechterdebatte auf keine Seite schlägt, am Ende meistens alle gegen sich. Aber wie sagte schon Stefan Zweig: „Jede Widerstandsgeste ohne Risiko ist nichts als Geltungssucht.“

Es gibt Menschen, die jeden Trend mitmachen, weil sie das Neue grundsätzlich interessanter als das Alte finden. Mich hat immer nur das Wahrhaftige interessiert, egal, ob es alt oder neu ist. Und wenn ich ehrlich bin, denke ich seit Jahren darüber nach, welche der vom Zeitgeist geforderten Verhaltens- und Sprachrevisionen nur sinnvoll erscheinen, weil sie neu sind, und welche, weil sie unsere Gesellschaft tatsächlich gerechter machen. Was ist gut, und was klingt nur gut – auf Twitter und in Talkshows? Was ist aufrichtig, was Effekthascherei? Was Ethik, was Heuchelei?

Ich bin seit Jahren elektrisiert von der Gender- und Identitätsdebatte, fühle mich mal zu Recht, mal zu Unrecht angeklagt, manchmal denke ich so lange über einen einzigen Tweet nach, dass am Ende der Abend vorüber ist und ich mich frage, ob das noch verhältnismäßig sein kann, weil es in Europa doch Frauen und Männern ziemlich gut geht. Viele Vorwürfe gegen traditionelle Männlichkeit teile ich, andere finde ich überzogen, über manche zerbreche ich mir seit Jahren den Kopf, und dann gibt es rote Linien, die ich nicht überschreite, weil ich mich nicht selbst verraten möchte, als Mann nicht und als Mensch auch nicht. Leider wird die Debatte von vielen Selbstdarstellern geführt, die in einer Eskalationssymbiose aneinandergekettet sind. Die einen schreien: „Männer sind dominant und gewalttätig!“ Die anderen schreien zurück: „Feministinnen sind hysterisch und sehen scheiße aus!“ Was passiert, wenn sie sich gegenseitig niederbrüllen, um anschließend ihre Likes zu zählen, kann man jeden Tag auf Twitter verfolgen.

Ich schäme mich, wenn Männer Frauen abwerten oder belästigen. Ich schäme mich, wenn Männer im Internet erläutern, wie man eine Frau vergewaltigt, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich schäme mich, wenn bild.de schreibt, der Sexualstraftäter Harvey Weinstein sei irgendwie „auch eine geniale Sau“ gewesen. Ich schäme mich, wenn Männer verzweifelte Rückzugsgefechte führen, um längst verlorenes Terrain zurückzuerobern, weil sie nicht begreifen, dass alles, wirklich alles eines Tages vorübergeht, auch ihre tief empfundene Überzeugung von der Vormachtstellung des weißen Mannes.

Und dann gibt es Momente, in denen ich trotzig und manchmal sauer werde: Wenn jemand pauschal Stimmung gegen Männer macht, um ein paar Follower abzugreifen. Wenn die FDP-Politikerin Cornelia Pieper mal eben die These aufstellt, dass Männer von der Evolution und dem weiblichen Geschlecht überholt worden seien. Wenn mir mal wieder ein ideologischer Shitstorm ins Gesicht bläst, der mich nur als privilegierten weißen Mann und nicht als Mensch wahrnimmt. Es gibt Momente, in denen fühle ich mich so falsch verstanden, dass ich am liebsten schreien würde. Und dann fällt mir wieder ein, was Margarete Stokowski mal geschrieben hat, nämlich dass der Feminismus zu weit gehen müsse, wenn er die bestehenden Verhältnisse überwinden wolle, dass ein Feminismus, der nicht übertreibe, kein Feminismus sei. Was, wenn sie recht hat? Wenn eine Revolution absurde Züge annehmen muss, damit die Verhältnisse sich um zwei Zentimeter verschieben?

Als weißer Mann wird man heute grundsätzlich infrage gestellt: Könnte James Bond nicht von einer Frau gespielt werden? Muss der Papst wirklich ein Mann sein? Und das Jesuskind in der Krippe ein Junge, wo es doch vor allem darum gehe, dass Gott Mensch und nicht Mann geworden sei? Inzwischen wird sogar darüber nachgedacht, ob das Maskottchen des 1. FC Köln, der Geißbock Hennes, nach zweiundsiebzig Jahren durch eine Ziege ersetzt werden könnte. Einen Tag vor der Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden titelte die Süddeutsche Zeitung: „Es wird ein Mann“, um deutlich zu machen, was es definitiv nicht wird, nämlich eine Frau. Dass Männer rundherum toll sind, finden eigentlich nur noch Gangsta-Rapper, Wladimir Putin und Zlatan Ibrahimović, der auf die Frage, warum er seiner Frau nichts zum Geburtstag geschenkt habe, meinte: „Sie hat doch schon Zlatan.“

In deutschen Vorständen sitzen weniger Frauen als Männer, die Michael oder Thomas heißen. Keine einzige deutsche Universität ist nach einer Frau benannt. Fast jeder Aspekt unseres Lebens, von der Höhe unserer Kleiderschränke bis zu den Dummys, mit denen Autofirmen die Sicherheit neuer Modelle testen, orientiert sich an männlichen Merkmalen. Mir ist schon klar, dass ich in dieser Angelegenheit auf keinen Fall das Opfer bin und dass Männerfeindlichkeit – wie die französische Feministin Pauline Harmange schreibt – Stand heute zu „null Toten und null Verletzten“ geführt hat.[ii] Aber erstens gibt es schon so viele gute Bücher über Feminismus und so wenige über Männer, und zweitens fühlt sich irgendwas falsch an, wenn man eigentlich beim Gegensteuern mithelfen will, aber permanent ausgebremst wird, weil man nicht jede Volte mitmachen will, die einem vom Zeitgeist aufgedrängt wird.

Vor drei Jahren habe ich ein Porträt über die Feministin Margarete Stokowski geschrieben, das nicht nur wohlwollend war. Danach habe ich mich drei Tage lang nicht auf die Straße getraut, aus Angst, vermummte Soziologiestudentinnen könnten mich mit einem handbedruckten Jutebeutel erwürgen. Auch darum geht es in diesem Buch: um den reflexhaften Vernichtungswillen einiger Twitter-Brigadisten, die tief empfinden und wenig argumentieren.

Ich möchte die problematischen Aspekte von Männlichkeit nicht bagatellisieren: die Gewalt, den Missbrauch, die Skrupellosigkeit, die Rechten und die Incels, die starke Frauen dafür verantwortlich machen, dass sie keinen Sex und auch sonst nichts auf die Reihe kriegen. Frauen, Homosexuelle und Transmenschen werden definitiv stärker diskriminiert als heterosexuelle weiße Männer. Ehrlich gesagt bin ich bei der Recherche für dieses Buch auf derart schockierende Statistiken gestoßen, dass ich mich mehr als einmal gefragt habe, ob es vielleicht kein Wagnis, sondern eine Dummheit ist. Ich bin dann mit jeder weiteren Seite vorsichtiger geworden, aus einem Plädoyer für wurde eine tastende Suche nach Männlichkeit.

Natürlich sind Männer seit Jahrhunderten für Gewalt und Profitgier verantwortlich. Auf der anderen Seite hatten die meisten Frauen nicht die Möglichkeit, andere Menschen zu unterdrücken oder zu enteignen. Im Moment ist es leider so, dass ein paar Äußerlichkeiten genügen, schon ist die Schublade zu und der Schlüssel versteckt: Transmensch? Gut. Alter weißer Mann? Böse. Junge Frau, die Karriere machen will? Gut. Alter weißer Mann, der noch ein bisschen mitmischen will? Böse. Junger Aktivist, der sich für Berggorillas und die LGBTQ-Community einsetzt? Gut. Alter weißer Mann, der in die Kirche geht? Böse.

Von Montaigne stammt der Satz, dass es doch erlaubt sein müsse, von einem Dieb zu sagen, dass er ein schönes Bein habe. Heute sagen viele: Dieb ist Dieb – und meist ist er ein Mann. Die feministische Schriftstellerin Doris Lessing beklagte schon vor Jahren, dass die Abwertung alles Männlichen so sehr Teil unserer Kultur geworden sei, dass sie kaum noch wahrgenommen werde. Wir hätten uns so lange eingeredet, dass Männer das Problem und Frauen die Lösung seien, dass es sich natürlich anfühle, ja dass wir es tatsächlich glaubten.

Im Moment sind weiße Männer die Geisterfahrer der modernen Gesellschaft, über die alles gesagt werden darf – nur nichts Gutes. Verdächtig ist jeder, der weiß, heterosexuell, über vierzig und mit seiner Identität einigermaßen einverstanden ist. Problematisch wird es, und das ist nur die Shortlist, wenn er Tweedsakkos trägt, Botho Strauß liest, Briefmarken sammelt, in der Provinz lebt, einen Diesel fährt, ZDF schaut, das Gender-Sternchen ablehnt, CDU wählt oder in die Kirche geht, dann nämlich wird er verspottet, und zwar von denselben Menschen, die im Netz für Toleranz und Meinungsfreiheit eintreten.

Die meisten Männer sind weder glühende Feministen noch Frauenfeinde, sondern irgendwas dazwischen. Im Moment sind viele von ihnen verunsichert, weil sie – während andere Identitäten aufbrechen und gefeiert werden – mit fragwürdigen Geschlechtsgenossen in einen Topf geworfen werden, als steckte in jedem Mann ein möglicher Teufel. Viele ältere Männer fühlen sich abgehängt in einer Arbeitswelt, die jünger und weiblicher zu werden versucht, sind irritiert von einer digitalisierten Gegenwart, die sich so rasant verändert, dass sie sich überfordert, bedeutungslos und manchmal wie Rocky Balboa vorkommen, wenn er ein letztes Mal in den Ring steigt, um sich zu beweisen, dass er noch nicht überflüssig ist in einer Welt, die er immer weniger versteht.

Sollte man diese Männer nicht lieber auf eine beschwerliche, aber aufregende Reise einschwören, statt ihnen vor dem Aufbruch ein paar Ziegelsteine in den Rucksack zu schmuggeln? Sollte man ihnen nicht lieber die Hand reichen, statt sie zu verspotten? Sollte man ihnen nicht erklären, dass das Ziel der Reise auch ihnen gefallen könnte, weil sie dort freier und ohne Dauerdruck und Schutzpanzer leben könnten? „Wovon wird einer klüger?“, heißt es in Bertolt Brechts „Lied über die guten Leute“. „Indem er zuhört, und indem man ihm etwas sagt.“

Die Ära des Patriarchats stirbt vor sich hin, unsere Gesellschaft ist transparenter und vielfältiger geworden. Trotzdem gibt es noch jede Menge zu tun. Es wird Jahrzehnte dauern, bis die erkämpften Rechte gelebte Wirklichkeit werden und sämtliche Vorurteile gegen Frauen und Minderheiten aus unseren Köpfen verschwunden sind. Neue Formen von Macht, Verantwortung und Liebe werden entstehen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, auch neue Konflikte und Verteilungskämpfe. Wer weiß, vielleicht ist unsere Geschichte am Ende tatsächlich eine der Verweiblichung, bei der das vermeintlich schwache Geschlecht über das vermeintlich starke triumphiert, wie Annalena Baerbock über Robert Habeck, als sie die erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Grünen wurde.

Aber noch sind wir nicht so weit. Noch stecken wir in einem anstrengenden Kulturkampf, der mit Verletzungen auf beiden Seiten einhergeht. Ich glaube nicht, dass wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln, wenn wir ältere weiße Männer grundsätzlich als Mängelwesen demontieren. Man kann viel kaputt machen, wenn man für eine gute Sache ohne Empathie und Rücksicht auf Verluste kämpft. Vielmehr sollten wir den Wettbewerb im Schuldzuweisen hinter uns lassen, weil er uns in eine totalitäre Welt fragwürdiger Reinheitsfantasien führt, in der wir seelenlos aneinander vorbeileben, und eben nicht in eine ausbalancierte Gesellschaft, die mit sich selbst Frieden geschlossen hat. Deshalb plädiert dieses Buch für einen gemeinsamen Aufbruch in eine Welt, die wir noch nicht kennen. Für Verständnis und Geduld mit Männern, die sich schwertun mit einer Welt, die ganz anders ist als die, die sie jahrzehntelang kannten, deren Gewiss- und Gewohnheiten von den emanzipatorischen Errungenschaften der letzten Jahre erschüttert wurden. Als Verlierer der neuen Gesellschaftsordnung gehen sie einer unsicheren Zukunft entgegen. Sie brauchen keine Häme, sondern Verständnis, weil es nun mal dauert, um sich von erlernten Konventionen zu lösen, selbst wenn man sie als falsch durchschaut hat.


[i] „Picasso ist ja auch nicht in Rente gegangen“, Interview mit Alice Schwarzer von Nils Minkmar und Eva Thöne, in: Der Spiegel, 2. Oktober 2020.

[ii] Pauline Harmange, Ich hasse Männer. Hamburg 2020, S. 12.

Tobias Haberl

Über Tobias Haberl

Biografie

Tobias Haberl, geboren 1975 im Bayerischen Wald, hat Literaturwissenschaften in Würzburg und Groß­britannien studiert. Er schreibt für das Süddeutsche Zeitung Magazin. Sein letztes Buch Die große Entzauberung – Vom trügerischen Glück des heutigen Menschen wurde ein Bestseller. Er lebt in München.

Tobias Haberl im Interview

Herr Haberl, können Sie uns in drei Sätzen sagen, worum es in Ihrem Buch geht?
Es geht um die Kränkung, die viele ältere Männer empfinden, weil sich die Welt um sie herum so rasant wandelt, dass sie kaum noch hinterherkommen. Darum, dass man nicht automatisch ein reaktionärer Frauenfeind ist, nur weil man nicht mit allen Forderungen des Zeitgeists einverstanden ist. Und um eine tastende Suche nach einer Männlichkeit, die sich nicht verleugnet, aber auch nicht anbiedert.

Wie könnte diese Männlichkeit aussehen?
Ich glaube, sie liegt irgendwo zwischen den Ringelshirt-Typen, die ihre Kinder mit dem Lastenfahrrad spazieren fahren, während sie per Kopfhörer an einem Kick-off-Meeting teilnehmen, und den gefühlsgestörten Angsthasen, die einfach nicht kapieren, dass sich heute vor allem Männer verändern müssen, wenn sie nicht auf der Strecke bleiben und vor sich hinwelken möchten.    

Gibt es einen konkreten Anlass für Ihr Buchthema?
Ja, in einem Interview mit Alice Schwarzer bin ich über den Begriff des „gekränkten Mannes“ gestolpert. Auf einmal begriff ich: Die männliche Kränkung erklärt so vieles, was gerade auf der Welt passiert, Terroranschläge, Rechtsruck, Hassmails, aber auch die ständigen Mann-Frau-Debatten im Büro oder auf Twitter. Dazu kommt, dass man zuletzt viele feministische Stimmen dazu gehört hat. Das war notwendig und soll so bleiben. Trotzdem fand ich es an der Zeit, dass auch mal ein Mann aufrichtig und selbstkritisch davon erzählt, was dieser Kultur- und Normenwandel mit einem macht, wie schwer es ist, sich von erlernten Rollen und Konventionen zu lösen.

Was sind Sie eigentlich selbst für ein Mann?
Ich versuche kein moderner Mann, sondern ein guter Mensch zu sein, das ist ein Unterschied. Auch darum geht es in diesem Buch: um meine Sozialisation in einer konservativen Familie, um meinen Vater, der strahlen konnte, weil meine Mutter im Hintergrund die Fäden gezogen hat. Ich habe tatsächlich erst bei der Arbeit an diesem Buch gemerkt, dass ich ausnahmslos von Männern geprägt wurde: meine Klassenlehrer, mein Tennistrainer, meine Uni-Professoren, meine Chefs – alles Männer. Auch die Romane und Filme, die mich fasziniert haben: Geschichten von Männern über Männer. Ich war ein Träumer, der lange gebraucht hat, bis er begriffen hat, wie einseitig die vermeintlich ideale Welt seiner Kindheit war, wie er von der grandiosen Mythenmaschine des weißen Mannes eingesogen wurde.

Ist die Kritik an den „weißen alten Männern“ berechtigt?
Ja, aber der Begriff ist unglücklich, weil er jeden älteren Mann pauschal vor den Kopf stößt. Wir sollten mehr Verständnis für die Erfahrungen dieser Männer haben. Sie haben keine One-Pot-Pasta beim Koreaner gegessen oder fürs Wochenende eine Airbnb-Wohnung in Barcelona angemietet. Selbst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die meisten Männer keine Täter, sondern Opfer anderer Männer. Und deswegen ist es bei aller berechtigter Kritik am Patriarchat scheußlich kaltherzig, wenn diese Männer, die es meist auch nicht besser wussten, nachträglich abgekanzelt werden, erst recht von einer Generation, für die ein Hotelzimmer ohne WLAN die größte Katastrophe ihres bisherigen Lebens ist.

Wie reagieren Männer, wenn Sie ihnen von Ihrem Buch erzählen? Wie reagieren Frauen, wenn Sie ihnen von Ihrem Buch erzählen?
Ziemlich ähnlich. Manche verstehen mich auf Anhieb, andere sind skeptisch, alle sind neugierig und wollen mehr wissen: Warum gekränkt? Ist das nicht selbstgerecht, wo Männer doch immer noch privilegiert sind? Wie kann man gegen Gendersternchen, aber für Frauen in Führungspositionen sein? Das Thema treibt die Menschen um, es gibt einen riesigen Redebedarf, weil dauernde Shitstorms dazu führen, dass kaum noch jemand aufrichtig seine Gefühle äußert.

Stört Sie die Debatte um die Geschlechterrollen an sich – oder die Art und Weise, wie Sie geführt wird?
Nur die Art und Weise. Die Gender- und die Identitätsdebatte sind wichtig, ja notwendig, weil wir zu lange in einer Logik gelebt haben, die Frauen und Minderheiten nicht wahrgenommen hat. Was mich stört, ist der aggressive Ton und die destruktive Lust, mit der selbst Kleinstvergehen aufgespürt und angeklagt werden. Manchmal hat man den Eindruck, als hielten einige permanent mit dem Feldstecher Ausschau, ob sich mal wieder ein Kegelverein ohne Frau fotografieren hat lassen, um endlich drauflostwittern zu können.

Sind Männer ein Auslaufmodell, oder gibt es noch Hoffnung?
Man würde sich wünschen, dass ein bestimmter Mann ein Auslaufmodell wäre: der selbstherrliche, dominante, rücksichtslose Patriarch. Aber die Sache ist vertrackt: Je weicher der moderne Mann wird, desto stärker scheint die Anziehungskraft einer fragwürdigen patriarchalen Männlichkeit. Anders gesagt: Millionen gekränkter Männer sind ein politisches Problem. Deshalb sollte man ältere Männer nicht verhöhnen, sondern ihre Nöte ernst nehmen.

Wollen Sie die Uhr zurückdrehen – zurück zu den guten alten Zeiten, als die Rollen zwischen Männern und Frauen noch klar verteilt waren?
Natürlich nicht. Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon selbst unter einem narzisstischen Alpha-Mann gelitten hätte. Natürlich müssen sich vor allem Männer verändern, aber man sollte Geduld haben und sie unterstützen, weil man sich nun mal nicht per Knopfdruck von erlernten Konventionen lösen kann. Es ist wichtig, diese Männer davon zu überzeugen, dass eine gerechtere Gesellschaft auch sie freier werden lässt.

Wie sieht für Sie eine überzeugende Männlichkeit heute aus?
Eine, die Aspekte traditioneller und zeitgemäßer Männlichkeit verbindet. Also Empathie, Fürsorge, Verantwortungsbewusstsein, gepaart mit Durchsetzungsvermögen und Risikobereitschaft, weil wir nur mit Regenbogenflaggen und Eiern aus Bodenhaltung die Herausforderungen der Zukunft nicht bewältigen werden.

Mit Ihrem Buch stellen Sie sich bewusst gegen den Mainstream. Das wird vielen nicht gefallen: Fürchten Sie um Ihre Freundschaften, Ihren Ruf, Ihr Leben?
Ich wende mich nicht gegen den Mainstream. Oder will der keine gerechte, ausbalancierte Gesellschaft, die mit sich selbst Frieden geschlossen hat? Ich wende mich nur gegen dogmatische Auswüchse, Pauschalurteile und die Selbstherrlichkeit einiger Twitter-Brigadisten, die mit ihrem Männerhass ein florierendes Geschäft betreiben.

Pressestimmen
Publik Forum

„Alles ist glänzend erzählt: lebensnah, ehrlich, provozierend wie vermittelnd, an- und aufregend.“

Sat 1 „Frühstücksfernsehen“

„Ein spannendes Buch.“

SWR 2 „am Morgen“

„Sein Buch ›Der gekränkte Mann‹ erfordert eines: die Bereitschaft zu differenzieren und eben nicht gleich auf die Barrikaden zu gehen, in die eine oder andere Richtung.“

Chamer Zeitung

„›Der gekränkte Mann‹ ist ein Buch über die Frage, wie man im 21. Jahrhundert Mann sein kann und darf – fortschrittlich, aber nicht dressiert, überzeugend, aber nicht toxisch.“

Zeit Magazin

„›Der gekränkte Mann‹ klingt nach einem gewagten Titel, doch Haberl nähert sich der Frage, wie toxisch Männer wirklich sind, sehr behutsam.“

Bremen Zwei

„Da schreibt sich einer richtig was von der Seele, was ihn schon ganz lange beschäftigt. Das tut er mit ganz viel Herzblut, sehr persönlich, gleichzeitig aber auch wirklich sachlich sehr fundiert und gut recherchiert.“

Abendzeitung, Landshuter Zeitung

„Intellektuell anregend und süffig geschrieben.“

Sonntags Zeitung

„Haberl hat ein so ehrliches wie kluges und süffig zu lesendes Buch über die Gleichberechtigung geschrieben.“

Podcast „Ildiko von Kürthy Frauenstimmen"

„Wirklich wunderbares, großartiges und interessantes Buch.“

Ruhr Nachrichten

„Das Buch empfehle ich jedem, der einen versöhnlichen, aber spannenden Ansatz zu diesem Thema sucht.“

Stern

„Eine Streitschrift, die sich durch etwas auszeichnet, das in der Geschlechterdebatte leider selten geworden ist: Selbstreflexion und Nachdenklichkeit.“

Die Weltwoche

„Innerhalb der neueren und ziemlich drögen Männerliteratur ist Haberls Buch ein schöner Farbtupfer.“

Original

„Das Buch ist ein erfreulich differenzierter Beitrag in einem Feld, in dem es zurzeit gerne mal so aussieht, als wären die Sachen immer schwarz oder weiß.“

trend Edition

„Facettenreich wie pointiert analysiert Haberl den Kulturwandel.“

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