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Der kleine Garten zum Verlieben (Willkommen in Herzbach 4)

Der kleine Garten zum Verlieben (Willkommen in Herzbach 4) - eBook-Ausgabe

Janina Lorenz
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Roman

— Charmanter Gute-Laune-Roman in einem Dorf, in dem Wünsche wahr werden
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Der kleine Garten zum Verlieben (Willkommen in Herzbach 4) — Inhalt

Herzklopfen gefällig? Auch im vierten Teil der gefeierten Herzbach-Reihe ist ein kleines Dorf das Zuhause großer Gefühle!

Fachwerkhäuser, Blumengärten und die große Liebe – Janina Lorenz heißt Sie zum vierten Mal „Willkommen in Herzbach“!

Sagen Sie alle Termine ab und starten Sie Ihren Wellness-Urlaub: „Der kleine Garten zum Verlieben“ entführt Sie ins idyllische Herzbach im Münsterland. Vor charmanter Kulisse aus liebenswerten Charakteren, blumenumrankten Fachwerkhäusern und verträumten Gärten entfaltet sich ein mitreißender Wohlfühlroman:

Raus aus der Stadt, rein ins Glück? Das hat Investmentbankerin Maria nicht im Sinn, als sie mit ihrer Freundin Sara nach Herzbach reist, um einen Knick in ihrer Karriere zu verarbeiten. Das Dorf heißt sie nicht nur mit offenen Armen willkommen. Es präsentiert ihr fast vergessene Gefühle auf dem Silbertablett. Schuld daran ist Landschaftsgärtner Jan. Doch der ist eigentlich längst anderweitig vergeben.

In der Willkommen in Herzbach-Reihe dürfen große Gefühle nach Herzenslust durch eine Dorfgemeinschaft toben, in der jeder gern leben würde. „Der kleine Garten zum Verlieben“ ist eine Auszeit zum Lesen, eine Hommage an das Dorfleben und eine Erinnerung daran, was im Leben wirklich zählt!

Die romantischste Neuerscheinung 2021!

Janina Lorenz kann gar nicht so schnell schreiben, wie ihre Fans nach neuen Geschichten aus Herzbach rufen. Mit „Der kleine Ort zum Glücklichsein“, „Der kleine Chor der großen Herzen“ und „Der kleine Brunnen der guten Wünsche“ setzte die Münsterländerin bereits neue Standards für den ultimativen Feelgood-Roman.

Liebeskummer, Heimweh, Traurigkeit? Das Glück erwartet Sie in Herzbach!

Leichtfüßige Unterhaltung, die Sie genau im richtigen Moment empfängt: Die Willkommen in Herzbach-Reihe lässt Leser von Jenny Colgan, Manuela Inusa und Petra Durst-Benning mit einem wunderbar warmen Gefühl zurück, das im Alltag oft zu kurz kommt.

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 31.05.2021
336 Seiten
EAN 978-3-492-99879-6
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Leseprobe zu „Der kleine Garten zum Verlieben (Willkommen in Herzbach 4)“

1 – Maria
Maria

Obwohl es ein Abend mitten im August war, zog ein kühler Wind durch die Frankfurter Innenstadt. Als ich das Gregorelli’s betrat, brachte der Luftzug von draußen die Kerzen auf den weiß eingedeckten Tischen zum Flackern. Wie immer war das italienische Restaurant, das fußläufig zum Bankenviertel lag, gut besucht. Um diese Uhrzeit waren es überwiegend Paare, die sich die vorzügliche Küche schmecken ließen. Ich selbst verbrachte hin und wieder meine Mittagspause hier, wenn das Lokal von Geschäftsleuten bevölkert wurde, doch heute kam ich aus [...]

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1 – Maria
Maria

Obwohl es ein Abend mitten im August war, zog ein kühler Wind durch die Frankfurter Innenstadt. Als ich das Gregorelli’s betrat, brachte der Luftzug von draußen die Kerzen auf den weiß eingedeckten Tischen zum Flackern. Wie immer war das italienische Restaurant, das fußläufig zum Bankenviertel lag, gut besucht. Um diese Uhrzeit waren es überwiegend Paare, die sich die vorzügliche Küche schmecken ließen. Ich selbst verbrachte hin und wieder meine Mittagspause hier, wenn das Lokal von Geschäftsleuten bevölkert wurde, doch heute kam ich aus einem anderen Grund. Der Gedanke zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht.
Ich hatte Simon bereits entdeckt, der an einem Tisch am Fenster saß und konzentriert auf sein Handy schaute. Das gab mir die Gelegenheit, ihn vom Eingang aus heimlich zu mustern. Mit seinem gepflegten schwarzen Haar, in das sich silbergraue Strähnen mischten, und der markanten Brille, die seinen schmalen Zügen einen intellektuellen Anstrich verlieh, entsprach er genau meinem Typ. Außerdem war er groß, bestimmt fast zwei Meter. Tatsächlich war mir das als Erstes an ihm aufgefallen, als wir uns vorgestern in der Kantine der Bank, für die ich seit nunmehr zehn Jahren arbeitete, kennengelernt hatten. Er stand vor mir an der Kasse, sodass ich zunächst nur seinen geraden Rücken bewundert hatte, der sich unter dem maßgeschneiderten Jackett abzeichnete. Was für eine wohltuende Abwechslung, den Blick heben zu müssen, um einem Mann in die Augen zu schauen, hatte ich in diesem Moment gedacht. Ich selbst war einen Meter zweiundachtzig groß, das kam also nicht allzu häufig vor. Als er bezahlen wollte, stellte sich heraus, dass sein Betriebsausweis nicht genügend Guthaben aufwies. Großzügig sprang ich ein und übernahm seine Rechnung. Er bedankte sich überschwänglich und erkundigte sich, wo er mich finden könne, um mir das Geld zurückzubringen.
„Im Handelsraum im zweiten Stock“, sagte ich.
Er war beeindruckt: „Eine Investmentbankerin.“
Eine Stunde später erschien er vor meinem Arbeitsplatz. Für den Zutritt war ein spezieller Ausweis notwendig, er musste heimlich hineingeschlüpft sein. Mit einem charmanten Lächeln reichte er mir einen Zehneuroschein und meinte: „Ich würde mich gerne mit einem Abendessen revanchieren. Wie wäre es mit Mittwoch nach der Arbeit im Gregorelli’s … hast du Lust?“
In unserer Bank gehörte es zur Unternehmenskultur, sich zu duzen. Mein Kollege Felix, der rechts neben mir saß, grinste von einem Ohr zum anderen. Unter meinem strengen Blick zuckte er zusammen. Mit einer Geste von Zeige- und Mittelfinger bedeutete ich ihm, dass ich ihn im Auge behielt, dann wandte ich mich wieder meiner neuen Bekanntschaft zu.
Ich vergewisserte mich, dass der Mann keinen Ehering trug, und antwortete: „Sehr gerne. Ich bin übrigens Maria.“
„Freut mich, Maria. Ich heiße Simon.“ Er schüttelte meine Hand und grinste. „Ich habe letzte Woche neu im Risikocontrolling angefangen. Das Gregorelli’s ist das einzige Restaurant, das ich bisher in Frankfurt kenne. Wollen wir uns dort treffen? Um zwanzig Uhr?“

Und nun war es also so weit. Ich hatte ein Date. Das erste seit einem halben Jahr, und dazu mit einem Mann, den ich überaus attraktiv fand. Rasch überprüfte ich mein Erscheinungsbild in der Fensterscheibe und war zufrieden mit dem, was ich sah. Das schwarze ba&sh-Kleid mit dem Blumenmuster, das ich mit einem breiten Taillengürtel, schwarzer Lederjacke und cognacfarbenen Wildlederstiefeln kombiniert hatte, saß wie angegossen. Der Look hatte etwas Herbstliches, was ich bei diesem Wetter angemessen fand. Meine dunkelbraunen Locken fielen mir dicht und glänzend über den Rücken. Auch wenn sie vom Wind zerzaust waren, bildeten sie einen schönen Kontrast zu dem knallroten Lippenstift, den mir meine Freundin Ellie bei meinem letzten Besuch in Herzbach geschenkt hatte.
In diesem Moment wendete Simon den Kopf in meine Richtung. Als er mich sah, ging ein Lächeln über sein Gesicht. Winkend erhob er sich von seinem Platz, und ich bahnte mir meinen Weg durch das Restaurant. Eine Sekunde lang standen wir voreinander, unsicher, wie wir uns begrüßen sollten. Schließlich entschieden wir uns für eine Umarmung, die ein wenig linkisch geriet. Der Geruch seines After Shaves stieg mir in die Nase. Es war kein unangenehmer Duft, allerdings hatte er es nach meinem Empfinden zu großzügig aufgetragen. Ein Parfum immer dreimal in die Luft sprühen und anschließend wie eine Königin durch den Nebel schreiten, hatte meine Mutter mir schon als Kind beigebracht. Eine Devise, an die ich mich bis heute hielt. Ebenso wie an ihren Rat, niemals ohne Lichtschutzfaktor aus dem Haus zu gehen, jeden Abend Augencreme und Zahnseide zu benutzen und an den Wochenenden eine Gesichtsmaske und eine Haarkur aufzutragen. Meine Mutter war weiß Gott nicht die beste Mutter der Welt, aber ihre Schönheitstipps waren Gold wert. Zumindest wurde ich meist deutlich jünger geschätzt als meine siebenunddreißig Jahre.
„Ich habe einen Riesendurst“, verkündete ich, nachdem wir uns gesetzt hatten, und griff nach der Getränkekarte. Die letzten Meter von der U-Bahn-Haltestelle war ich zügig gegangen, jetzt freute ich mich auf ein kühles Bier.
Simon legte seine Arme auf den Tisch und zwinkerte mir zu. „Ich habe schon für dich bestellt. Ich weiß doch, was ihr Mädchen mögt.“
Ihr Mädchen? Irritiert über seine Bevormundung und die Herablassung in seiner Stimme runzelte ich die Stirn. Vor meinem inneren Auge erschien das Gesicht meiner besten Freundin Isabell. Gib dem armen Kerl eine Chance, riet mir Isa mit liebevoller Strenge. Wenn du immer gleich den Rückzug antrittst, sobald ein Mann einen falschen Satz sagt, werde ich niemals Trauzeugin …
Na schön, dachte ich und schob das ungute Gefühl, das bei Simons Bemerkung in mir aufgestiegen war, beiseite. Immerhin hatte ich mich auf die Verabredung mit ihm gefreut. Ich war nach der Arbeit sogar schnell nach Hause gefahren, um zu duschen und mich umzuziehen. Einen solchen Aufwand betrieb ich sonst nicht für einen Mittwochabend.
Die Bedienung kam an unseren Tisch und stellte einen Kir royal vor mich hin. Neidisch schielte ich zu dem Weizenbier, das die junge Frau anschließend Simon servierte. An den Außenwänden des Glases perlten kleine, erfrischend aussehende Wassertropfen ab. Simon fing meinen Blick auf.
„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich mit einem Anflug von Besorgnis. „Du trinkst doch Kir royal?“
Ich rang mir ein Lächeln ab. „Natürlich“, antwortete ich, konnte mir jedoch nicht verkneifen hinzuzufügen: „Wir Mädchen lieben Kir royal, das weiß doch jeder.“
Simon, dem meine Ironie offenbar entging, wirkte beruhigt. Er hob sein Glas und prostete mir zu.
„Aber Essen hast du noch nicht für mich bestellt, oder?“, fragte ich nur halb im Scherz, nachdem wir den ersten Schluck getrunken hatten.
Simon stutzte kurz, dann schüttelte er den Kopf, und ich atmete erleichtert aus. Den ganzen Tag schon hatte ich von einer großen Pizza Parma und einem Schokoladensoufflé zum Nachtisch geträumt. Für etwas musste es schließlich gut sein, dass ich dreimal in der Woche ins Fitnessstudio ging.
„Erzähl mir von dir“, bat Simon, nachdem wir unsere Bestellungen aufgegeben hatten. „Was tust du so, wenn du nicht gerade fremde Männer in der Kantine vor dem Spüldienst bewahrst?“
Belustigt nippte ich an meinem Getränk. Auch wenn mir ein Weizenbier lieber gewesen wäre, schmeckte es nicht schlecht.
„Ich arbeite sehr viel, wie vermutlich jeder im Investmentbanking“, begann ich. „Wenn ich freihabe, mache ich Sport oder treffe mich mit meinen Freundinnen. Außerdem gehe ich gerne shoppen. Am liebsten samstags, wenn ich den ganzen Tag Zeit habe und mich treiben lassen kann. Und ich verreise für mein Leben gern. Mein Traum ist eine Eigentumswohnung in Nizza, die …“
„Was für ein Zufall! Ich liebe Frankreich!“, fiel mir Simon ins Wort. Er rückte an seiner Brille. „Nach dem Abitur war ich für ein Jahr in Paris. Wenn ich heute Franzosen begegne, halten die mich immer für einen Landsmann, so perfekt ist meine Aussprache.“
Er lachte, wobei seine Zähne aufblitzten, die, wie mir jetzt auffiel, zu weiß und zu gerade waren, um natürlich zu sein. Ich hatte nichts dagegen, wenn Menschen der Natur ein wenig nachhalfen. Solange sie es nicht übertrieben. Denk immer daran, Maria, weniger ist mehr, pflegte meine Mutter zu sagen.
Ich räusperte mich. „Da kannst du froh sein. Ich finde Französisch wahnsinnig schwer. Schon seit Monaten versuche ich es mit einer App zu lernen, wegen der Wohnung in Nizza, aber so richtig …“
„Das bin ich auch!“, unterbrach Simon mich erneut. Er stützte seine Ellbogen auf die Tischplatte. „Dabei kann ich gar nichts dafür, das Sprachtalent wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt. Neben Französisch, Niederländisch und Englisch spreche ich übrigens auch fließend Spanisch.“ Er senkte die Stimme, als ob er mir ein Geheimnis anvertrauen wollte. „Mein früherer Chef war mit einer Spanierin verheiratet. Er war so beeindruckt von meinen Kenntnissen, dass er mich zu sich nach Hause zum Abendessen eingeladen hat. Es gab ein Vier-Gänge-Menü, Champagner und Wein, alles vom Feinsten. Du kannst dir vorstellen, wie eifersüchtig meine Kollegen waren. Sie hatte er noch nie gefragt.“
Er grinste verschwörerisch, doch ich ging nicht darauf ein. Dafür störte mich der selbstzufriedene Ausdruck in seinem Gesicht zu sehr. Abgrundtiefe Enttäuschung stieg in mir auf. Mein erster Eindruck von Simon war so positiv gewesen. Ein Lichtblick nach all den Wichtigtuern, denen ich in letzter Zeit begegnet war und die sich selbst für Gottes Geschenk an die Frauen hielten. Und nun stellte sich heraus, dass Simon um keinen Deut besser war. Unauffällig warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr und hätte am liebsten laut aufgestöhnt. Es waren erst zwanzig Minuten vergangen, seit ich das Restaurant betreten hatte. Wenn das so weiterging, würde es ein langer Abend werden. Am liebsten wäre ich aufgestanden und gegangen, doch das wäre unhöflich gewesen. Schließlich arbeiteten wir im selben Unternehmen. Resigniert hob ich mein Glas und leerte es in einem Zug. Simon schob mir sein Bier herüber.
„Hier“, meinte er. „Ich bestelle mir ein Neues.“
Überrascht und ein wenig besänftigt von seiner aufmerksamen Geste beschloss ich, ihm doch noch eine Chance zu geben. Immerhin war es möglich, dass er sich nur deshalb wie ein Idiot aufführte, weil er nervös war. Vielleicht war sein letztes Date ebenfalls eine Weile her.
Während wir auf das Essen warteten, fragte mich Simon, ob ich diesen Sommer schon im Urlaub gewesen war, und so erzählte ich ihm von meiner Reise mit meinem Patenkind.
„Leni ist neun und die Tochter meiner besten Freundin Isabell, die ich schon seit dem Kindergarten kenne“, erklärte ich ihm. „Ich habe Leni die Reise zur Kommunion geschenkt. Wir waren im Juli für eine Woche auf einem Reiterhof in Bayern. Es war wunderschön … Isa meinte, Leni redet seitdem von nichts anderem mehr“, schloss ich stolz.
Ich selbst hatte keine Kinder, umso mehr genoss ich die Zeit mit meinem Patenkind und freute mich über unser enges Verhältnis. Zwischen euch passt kein Blatt, sagte Isa oft, und so war es auch.
Simon fuhr sich mit einer Hand über das glatt rasierte Kinn. „Das kommt mir bekannt vor. Bei meinen beiden Neffen ist es genauso. In den Weihnachtsferien habe ich sie mit auf die Aida genommen. Wir waren in der Karibik. Mein Bruder ist Grundschullehrer und seine Frau Altenpflegerin, da ist eine solche Reise natürlich nicht drin.“
Bei dem gönnerhaften Ton in seiner Stimme regte sich erneut Widerwillen in mir. Diesmal so heftig, dass ich sarkastisch erwiderte: „Da kann deine Familie ja von Glück reden, dass sie dich hat.“
Simon, der erneut unter Beweis stellte, dass er keinerlei Antennen für Zwischentöne besaß, nickte geschmeichelt. „Ja, sie sind mir wirklich sehr dankbar.“
In dieser Sekunde brachte die Bedienung das Essen an unseren Tisch und bewahrte mich damit davor, darauf reagieren zu müssen. Der Anblick meiner Pizza tröstete mich ein wenig über das katastrophale Date hinweg, und beherzt griff ich nach dem ersten Stück und biss hinein. Der Boden war knusprig und dünn, der Käse cremig zerlaufen und schmeckte in Verbindung mit der fruchtigen Tomatensoße und dem salzigen Parmaschinken einfach nur himmlisch. Ich musste unbedingt an einem Samstag mit Isa und Leni hierherkommen. Die beiden liebten Pizza. Wir könnten das Essen mit einer Shoppingtour verbinden. Ich dachte an den Newsletter von meinem Lieblingsladen, den ich heute Morgen per E-Mail erhalten hatte. Ein Mantel im Oversize Look hatte es mir besonders angetan. Man müsste ihn nur richtig kombinieren, damit die Silhouette weiterhin zur Geltung kam. Vielleicht mit einer Skinny Jeans und einem eng geschnittenen Oberteil. Ja, das würde super aussehen. Eine aufgeregte Vorfreude erfasste mich. Am besten, ich schaute gleich morgen nach der Arbeit in dem Geschäft vorbei, bevor der Mantel noch ausverkauft war …
„Bevor ich nach Frankfurt kam, habe ich übrigens für eine Privatbank in Zürich gearbeitet“, rief sich Simon, den ich für einen Moment vergessen hatte, wieder in Erinnerung.
Er hatte die Dorade bestellt und offenbar einige Mühe, den Fisch von seinen Gräten zu lösen. Ich unterdrückte den Impuls, ihm meine Hilfe anzubieten. Wenn er der Mann war, für den er sich hielt, würde er es sicher mit einer kleinen Dorade aufnehmen können. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Halb fasziniert, halb abgestoßen beobachtete ich, wie Simon das arme Flossentier mit Messer und Gabel massakrierte, ohne nennenswerte Erfolge zu erzielen. Derart abgelenkt sickerten seine Worte mit einiger Verspätung in mein Bewusstsein.
„Lange Zeit war ich in meiner Bank der Buhmann, weil ich mich als Risikocontroller gegen diese Art von Geschäften ausgesprochen habe. Aber nachdem Lehman Brothers pleiteging, und die Produkte nichts mehr wert waren, hat mir unser Gesamtvorstand auf Knien gedankt. Immerhin habe ich ihm durch meine Weitsicht riesige Verluste erspart. Wer weiß, ob es die Bank in Zürich ohne mich heute noch geben würde …“
Ich vergaß zu kauen. Ungläubig starrte ich Simon an. Wollte er mich auf den Arm nehmen? Die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2018 auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise war nicht nur der größte Konkursfall der amerikanischen Geschichte gewesen, sie hatte auch eine fatale Kettenreaktion in Gang gesetzt, die die Welt in die schlimmste Rezension seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hatte. Die Auswirkungen waren bis heute spürbar, nicht nur in der Bankenwelt. Wollte Simon tatsächlich behaupten, er hätte seinen vorherigen Arbeitgeber im Alleingang sicher durch die Krise gebracht? Seine selbstgerechte Miene sprach Bände. Ich öffnete den Mund, um ihm gründlich die Meinung zu sagen, als es in meiner Handtasche zu klingeln begann. Offenbar hatte ich vergessen, mein iPhone auf lautlos zu stellen. Normalerweise hätte ich das Gespräch weggedrückt, doch so, wie Simon sich gebärdete, kam mir die Unterbrechung gerade recht. Sein missfälliges Stirnrunzeln ignorierend zog ich mein Handy hervor und blickte auf das Display. Die Anruferin war Frau Steffen, die Leiterin des Seniorenstifts, in dem meine Mutter seit letztem Frühjahr lebte. Ein eisiger Schrecken durchfuhr mich. Bitte, lass nichts passiert sein, betete ich.
„Hallo, Frau Lehrbach“, ertönte es fröhlich aus der Leitung.
Eine Welle der Erleichterung durchströmte mich. Wer so unbeschwert klang, überbrachte keine Hiobsbotschaften. Mit dem iPhone am Ohr drehte ich mich auf meinem Stuhl ein Stück zur Seite. „Frau Steffen, wie schön, von Ihnen zu hören. Was kann ich für Sie tun?“
„Gar nichts“, entgegnete sie gut gelaunt. „Ich wollte es mir nur nicht nehmen lassen, Ihnen persönlich zum Geburtstag zu gratulieren.“
Ich zögerte. „Das ist sehr nett von Ihnen, nur habe ich heute gar nicht Geburtstag.“
„Nicht?“, erwiderte Frau Steffen überrascht. „Aber Ihre Mutter hat doch beim Frühstück behauptet …“ Sie brach ab.
Gegen meinen Willen musste ich schmunzeln. „Sie wissen schon, warum meine Mutter bei Ihnen ist?“
Statt einer Antwort ertönte ein verlegenes Lachen. Meine Mutter litt an Demenz, und ich hatte für mich herausgefunden, dass ich diese schreckliche Krankheit besser ertrug, wenn ich sie, wann immer es möglich war, mit Humor nahm.
Frau Steffen, der ihr Versehen hörbar unangenehm war, wechselte das Thema. „Wann kommen Sie uns mal wieder besuchen?“, erkundigte sie sich.
Das Haus Morgenröte lag im Münsterland, wo meine Mutter bereits in den vergangenen Jahren vor ihrer Demenz gewohnt hatte. Mit dem Wagen waren es beinahe drei Stunden von Frankfurt, weswegen ich nicht so oft hinfuhr, wie es meine Mutter in unseren täglichen Telefonaten von mir verlangte. Ein Umstand, der unser ohnehin schwieriges Verhältnis noch zusätzlich belastete. Doch Mitte September hatte ich eine Woche Urlaub, den ich bei meiner Freundin Ellie in Herzbach verbringen würde. Das bezaubernde Dorf am Ufer der Stever mit seinen hübschen Fachwerkhäusern und den liebenswerten Bewohnern war genau der richtige Ort, um nach den anstrengenden letzten Monaten in der Bank ein wenig zur Ruhe zu kommen. Von dort aus war es nur ein Katzensprung bis nach Mondstein zu meiner Mutter, sodass ich sie jeden Tag besuchen konnte. Nachdem ich Frau Steffen von meinen Plänen berichtet und sie gleichzeitig gebeten hatte, ihre Kollegen im Seniorenstift lieb von mir zu grüßen, legten wir auf.
„Also, ich stelle mein Handy ja immer auf lautlos, wenn ich zum Abendessen verabredet bin“, ließ Simon mich wissen.
Er klang vorwurfsvoll und ziemlich beleidigt. Wortlos schaute ich ihn an und entschied, dass meine Lebenszeit zu kostbar war, um sie weiter mit ihm zu verbringen. Selbst wenn wir Kollegen waren. Entschlossen biss ich ein letztes großes Stück meiner Pizza ab. Dann wischte ich mir die Hände an meiner Serviette sauber, nahm zwanzig Euro aus meinem Portemonnaie, legte sie auf den Tisch und stand auf. Simon entglitten sämtliche Gesichtszüge. Fassungslos sah er von dem Geldschein zu mir.
„Du willst schon gehen?“, stammelte er.
Mit einem Mal wirkte er so unsicher, dass er mir schon wieder leidtat. Er sah sich hektisch nach allen Seiten um.
„Du kannst mich doch nicht einfach hier alleine sitzen lassen“, zischte er. „Was sollen die Leute denken?“
Ich holte tief Luft. Das Mitleid, das ich gerade noch für ihn empfunden hatte, verpuffte.
„Aber du bist doch gar nicht alleine“, entgegnete ich und griff nach meiner Handtasche. „Dein Ego leistet dir Gesellschaft.“


2 – Maria
Maria

Als ich am nächsten Morgen die Bank betrat und auf die gläsernen Fahrstühle im Foyer zusteuerte, fühlte ich mich ziemlich gerädert. Das lag weniger an dem großen Glas Weißwein, das ich mir zu Hause in meiner Wohnung noch gegönnt hatte, als an der Tatsache, dass mein Date so katastrophal verlaufen war. Wieder einmal. So langsam fragte ich mich, ob es mein Schicksal war, mein restliches Leben allein zu bleiben. Meine längste Beziehung hatte gerade mal vier Jahre gehalten und war zudem eine Ewigkeit her. Thomas und ich hatten uns auf dem Gymnasium in Sachsenhausen kennengelernt, wo ich aufgewachsen war, und mit Anfang zwanzig geheiratet. Nach den Flitterwochen, die wir im Ferienhaus von Thomas’ Patenonkel am Timmendorfer Strand verbrachten, bezogen wir eine winzige Wohnung im Frankfurter Gallus. Anders als heute war das damals ein Viertel, aus dem die Leute lieber wegzogen, doch mehr konnten wir uns mit Thomas’ Auszubildendengehalt als Speditionskaufmann und meinem Studenten-BAföG nicht leisten. Das Zusammenleben war neu für uns, und es dauerte nur wenige Wochen, da fingen wir an, uns gegenseitig auf die Nerven zu gehen. Thomas fand meine Kommilitonen im Mathestudium, die er allesamt als Nerds bezeichnete, eingebildet und schräg, ich die Bürogeschichten, die er beim Abendbrot erzählte, zum Gähnen langweilig. Nach und nach, und ohne dass wir es richtig bemerkten, fingen wir an, unsere Freizeit getrennt voneinander zu verbringen. Von den Studentenpartys kam ich oft erst am frühen Morgen nach Hause. Dann war Thomas bereits im Badezimmer, um sich für den neuen Arbeitstag fertig zu machen. Als er mich eines Sonntags – wir waren elf Monate und eine Woche verheiratet – anfuhr, ich solle das Duschgel nach dem Benutzen wieder richtig schließen, war der Tiefpunkt erreicht. Ich wurde wütend und beschimpfte ihn als elenden Spießer, er mich als vergnügungssüchtige Egomanin. Nachdem wir unser Pulver verschossen hatten, setzten wir uns an den Küchentisch und redeten. Noch am selben Tag packte Thomas seine Sachen und zog zurück zu seinen Eltern. Ein Jahr später wurden wir geschieden. Ich ignorierte die missbilligenden Bemerkungen meiner Mutter, die mir die alleinige Schuld am Scheitern meiner Ehe gab, und genoss meine Freiheit in vollen Zügen.
Nach dem Studium ergatterte ich einen gut bezahlten Job im Investmentbanking in London. Drei Jahre blieb ich dort, dann zog es mich zurück nach Frankfurt, und ich fing bei der Bank an, für die ich heute noch tätig war. Von Heiraten wollte ich nichts mehr wissen. Ich bereiste die Welt, ging mit attraktiven, erfolgreichen Männern aus und machte einen großen Bogen um diejenigen, die von Reihenhäusern und Kindern träumten. Damit war ich lange glücklich, doch in letzter Zeit überkam mich immer häufiger das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlte. Ob es daran lag, dass die interessanten Männer rarer zu werden schienen und nur noch solche wie Simon übrig blieben? Oder hatte es damit zu tun, dass ich älter wurde und alle Freunde in meinem Bekanntenkreis in festen Beziehungen lebten? Wie auch immer, überlegte ich, es wäre schön, sich zu verlieben. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie sich das anfühlte. Wie mit Sam vielleicht, dem Anwalt von Freshfields, mit dem ich ein paar Monate eine stürmische Beziehung hatte, bevor ihn seine Kanzlei nach New York schickte? Damals war ich vierunddreißig. Allerdings konnte ich mich nicht erinnern, lange gelitten zu haben, nachdem er fort war. Von daher war es wohl doch keine Liebe. Ich ging weiter in die Vergangenheit zurück. Christoph vielleicht? Nein, die Anziehung zwischen uns war rein körperlich gewesen. Als ich ihn näher kennenlernte und seinen Egoismus und seine Arroganz bemerkte, hatte ich schnell die Flucht ergriffen. Ich seufzte innerlich. Es musste doch einen Mann geben, in den ich richtig verliebt gewesen war.
Meinen Gedanken nachhängend betrat ich den Aufzug und nickte den anderen Fahrgästen, zwei Frauen und einem Mann, flüchtig zu. Während sich die Türen schlossen und der Fahrstuhl nach oben fuhr, erzählte die eine Frau der anderen, dass sie sich am Wochenende bei einem Züchter in Eschborn Labradorwelpen angesehen hatte.
„Die waren so süß“, schwärmte sie. „Es war sofort um mich geschehen. Und meinem Mann und den Kindern ging es genauso. Wir bekommen den Kleinsten im Wurf. Er hat so einen niedlichen weißen Fleck über den Augen, wie ein Stern. Am liebsten hätte ich ihn direkt mitgenommen. Aber ein bisschen müssen wir uns noch gedulden.“
Ich spürte ein heftiges Brennen in meiner Brust, weil ich plötzlich an Bautz denken musste. Bautz war der Rauhaardackel meiner Mutter. Nachdem sie in den Seniorenstift gezogen war, hatte ich ihn zu mir genommen. Doch in Frankfurt musste ich schnell einsehen, dass ich mich aufgrund meiner Arbeitszeiten nicht so um ihn kümmern konnte, wie er es brauchte. Zwar fand ich eine Nachbarin, die tagsüber mit ihm Gassi ging, aber als Dauerlösung kam das natürlich nicht infrage. Bautz brauchte Zuwendung und Nähe. Als ich meinen Chef Lars nach einer Homeoffice-Regelung fragte, meinte er, das könne er nicht entscheiden, und verwies mich an unseren Bereichsleiter. Eine Woche lang musste ich auf den Termin warten. Umso niederschmetternder war das Ergebnis. Sobald ich das Wort „Homeoffice“ ausgesprochen hatte, schaute mein Bereichsleiter mich ungläubig an und brach dann in so lautes Gelächter aus, dass seine Sekretärin hereinkam, um sich zu erkundigen, ob bei uns alles in Ordnung sei.
„Maria will ihren Job von zu Hause aus erledigen“, keuchte er und wischte sich dabei die Tränen aus den Augenwinkeln. „Was kommt als Nächstes? Urlaubstage, so viel man will?“
Zornig verließ ich sein Büro. So ein Dinosaurier! Es war kein Wunder, dass unsere Bank Schwierigkeiten hatte, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Wer wollte schon für ein Unternehmen arbeiten, dessen Management Modern Work für eine ansteckende Krankheit hielt? Da half es auch nichts, wenn sich alle duzten.
Nach dem Termin sah ich mich schweren Herzens nach einem neuen Zuhause für Bautz um und wurde bei Isa fündig, die mit ihrem Ehemann Paul, ihren Töchtern Leni und Frida und dem Bobtail Smiley eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt in einem kleinen Dorf im Taunus lebte. So konnte ich Bautz zwar immer noch häufig sehen und wusste, dass er es gut hatte, nur änderte das nichts daran, dass ich ihn schrecklich vermisste. Ganz abgesehen von dem schlechten Gewissen, das mich plagte, weil ich ihn weggegeben hatte. Meiner Mutter hatte ich bisher nicht gebeichtet, dass Bautz jetzt bei Isa lebte, und mir graute vor dem Tag, an dem sie es herausfand.

Im Handelsraum war es morgens um acht noch ruhig. Insgesamt arbeiteten in dem Saal hundert Leute, was verglichen mit dem der Deutschen Bank noch überschaubar war. Es gab die Händler, den Vertrieb und die Strukturierer, zu denen auch ich zählte. Wir saßen an langen Tischen, die durch einen Mittelgang voneinander getrennt waren. Von der Decke hingen in regelmäßigen Abständen Fernseher, auf denen ntv lief. Im Laufe des Vormittags kam Leben in den Handelsraum, dann sprangen die Kollegen auf und brüllten sich gegenseitig Fragen und Auftragsdetails zu, doch jetzt lasen alle das tägliche Research.
Ich zog meinen beigen Burberry-Mantel aus und hängte ihn an die Garderobe. Anschließend startete ich meinen PC, und die fünf Bildschirme vor mir erwachten zum Leben. Felix bemerkte ich erst, als er einen dampfenden Kaffee vor mich hinstellte. Auf dem Becher stand in bunten Buchstaben Tausche Montagmorgen gegen Freitagabend.
„Danke dir“, rief ich inbrünstig. „Du bist ein Schatz.“
„Keine Ursache. Wie war dein Date gestern?“
Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Frag nicht.“
„Das wollte ich hören“, entgegnete Felix mit einem zufriedenen Grinsen. „Dann kannst du ja jetzt mit mir ausgehen.“
Nun musste ich ebenfalls grinsen. „Tut mir leid, aber du bist leider zu jung für mich“, gab ich ihm meine Standardantwort. „Dafür komme ich ins Gefängnis.“
Felix war Trainee und Mitte zwanzig, sah aber mit seinem hellblonden Haar und den babyblauen Augen aus wie ein Teenager. Seit er vor einem Jahr bei uns begonnen hatte, wurde er nicht müde, mich um ein Date zu bitten, und ich hegte die starke Vermutung, dass er vor Schreck tot umfallen würde, sollte ich jemals zustimmen.
Felix lachte vergnügt, wie er es immer tat, und setzte sich auf seinen Platz neben mich. Dabei streifte sein Blick meine Handtasche. „Ist die neu?“, erkundigte er sich interessiert.
„Definiere neu“, murmelte ich, während ich meine E-Mails aufrief.
„Neu heißt: In den letzten drei Wochen gekauft.“
„Dann ja.“
„Chloé?“, hakte Felix nach. Der Junge war mit einer älteren Schwester aufgewachsen, die erfolgreich modelte, weswegen er sich erstaunlich gut auskannte.
Ich nickte und lächelte. „Ist sie nicht traumhaft schön?“
Ich hatte eine Schwäche für Handtaschen und war entzückt, im testosterongeschwängerten Handelsraum auf jemanden zu treffen, mit dem ich mich austauschen konnte.
„Das ist sie. Und das Grün mit dem Gold steht dir fantastisch.“
„Ich störe euren kleinen Plausch ja nur ungern“, ertönte plötzlich eine näselnde Stimme, „aber könnte ich mal kurz deine Aufmerksamkeit haben, Maria.“
Felix und ich drehten gleichzeitig die Köpfe. Im Mittelgang stand Michael Berger und blickte finster. Was will der denn hier, stöhnte ich innerlich. Michael arbeitete im Backoffice. Erst letzte Woche waren wir am Telefon böse aneinandergeraten. Ich hatte ein Geschäft falsch ins System eingetragen, und damit ihm und seinem Team zusätzliche Arbeit verschafft. Das Ganze war natürlich ein Versehen gewesen, für das ich mich entschuldigt hatte, doch Michael hörte mir gar nicht zu, sondern zeterte immer weiter, bis mir der Kragen geplatzt war und ich ihn zur Schnecke machte, wie Felix es hinterher ausdrückte.
„Als Frau im Investmentbanking darf man nicht zimperlich sein“, hatte ich dem jungen Kollegen daraufhin erklärt. „Sonst gehst du unter.“
Dass sich Michael Berger nun aus seinem Büro im vierten Stock zu mir in den Handelsraum begab, verhieß nichts Gutes.
„Du hast gestern Abend schon wieder eine falsche Wertpapierkennnummer eingetragen“, platzte es auch schon aus ihm heraus. „Machst du das extra? Glaubst du, das Backoffice ist nur dafür da, um deine Fehler auszubügeln? Weißt du, wie viel Zeit uns das jedes Mal kostet?“
Ich atmete tief durch. Ruhig bleiben, mahnte ich mich selbst. Ich war gestern Abend in Eile gewesen, um rechtzeitig zu meiner Verabredung mit Simon zu kommen. Da war es durchaus möglich, dass es zu einem Zahlendreher gekommen war. Das war natürlich keine Entschuldigung. Ich konnte es selbst nicht leiden, wenn ich schludrig arbeitete, aber ich hasste es, wenn mich andere darauf aufmerksam machten. Kritikfähigkeit gehörte nicht zu meinen Stärken, dessen war ich mir bewusst. Erst recht nicht, wenn die Kritik von jemandem wie Michael kam. Während er sich weiter aufplusterte, drehte er kaum merklich den Kopf, als wolle er sich vergewissern, dass sämtliche Augenpaare im Handelsraum auf ihn gerichtet waren. Hitze wallte in mir auf. Was bildete der sich ein? Kam an meinen Arbeitsplatz, um mich vor meinen Kollegen bloßzustellen. Für eine Sache, die wir genauso gut am Telefon hätten klären können. Mein Puls schnellte in die Höhe, und wütend stand ich auf. Nun war ich einen halben Kopf größer als Michael. Dass er zu mir aufsehen musste, schien ihn nur noch weiter anzustacheln. Er nestelte an seiner randlosen Brille herum, die ihn wie das Klischee eines Buchhalters aussehen ließ, und zeterte: „Ich werde mich über dich beschweren. Von wegen Star-Strukturiererin.“
Da! Schon wieder diese seltsame Bewegung, als wolle er sichergehen, dass sein Publikum ihn hörte. An meinem Hals begann eine Ader zu pochen, und meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Felix, der sich ebenfalls erhoben hatte, wollte mir etwas zuflüstern, doch ich schüttelte unwillig den Kopf. Die Sache ging nur Michael und mich etwas an.
„Du“, sagte ich gefährlich leise zu dem kleinen Mann, „hast jetzt mal Sendepause.“
Im Saal wurde es so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.
„Maria …“, setzte Felix erneut an.
„Nicht jetzt“, entgegnete ich unwirsch.
Ich trat auf Michael zu. Der wich instinktiv einen Schritt zurück, doch in seinen eng stehenden Augen meinte ich Triumph zu lesen. Vorsicht, der Giftzwerg will dich provozieren, warnte eine Stimme in meinem Kopf. Und wenn schon, rief eine andere. Gib’s ihm!
Und genau das tat ich. Im Nachhinein konnte ich mich nicht mehr genau an den Wortlaut erinnern, doch Michaels schockiertem Gesichtsausdruck nach musste ich in Hochform gewesen sein. Leider währte das befriedigende Gefühl in meinem Inneren nur kurz.
„Ähm, Maria …“, ertönte erneut Felix’ Stimme an meinem Ohr.
Langsam drehte ich mich zu ihm und dann weiter in die Richtung, in die er mit seinem Kinn wies. Ich erstarrte, und in meinem Magen bildete sich ein harter Knoten.
„Maria“, sagte mein Chef. „Kommst du mal bitte mit.“


3 – Maria
Maria

„Er hat es darauf angelegt“, verteidigte ich mich, sobald wir das Bankgebäude verlassen hatten. Ich hatte erwartet, dass Lars mich in sein Büro führen würde, um dort unter vier Augen mit mir zu reden, stattdessen schlug er einen Spaziergang durch den kleinen Park vor, der nur zwei Gehminuten entfernt lag. Genau wie gestern war es ein windiger Tag, die Wolken hingen schwer und grau am Himmel, und es roch nach Regen.
„Ich weiß“, sagte Lars.
Überrascht blieb ich stehen. „Ach so? Warum dann dieses Gespräch? Lass uns zurückgehen, hier draußen friere ich mir den Hintern ab.“ Fröstelnd schlug ich den Kragen meines Mantels hoch. Lars schaute mich mit seinen seelenvollen braunen Augen an. Er war einer dieser Menschen, die etwas Altersloses an sich hatten. Wir verstanden uns gut, deshalb wusste ich, dass er vor einem Monat einundfünfzig geworden war und seine Frau ihm ein verlängertes Wochenende in Weimar geschenkt hatte, aber er hätte genauso gut vierzig sein können. Oder sechzig.
„Wir können leider noch nicht zurück, Maria“, erklärte er bedauernd. „Du hast Michael eine Pissnelke genannt, und darüber müssen wir zwei jetzt reden.“
Er setzte sich wieder in Bewegung, und ich beeilte mich, zu ihm aufzuschließen.
„Das ist mir im Eifer des Gefechts so rausgerutscht“, erwiderte ich, wobei ich darauf achtete, meine Stimme angemessen zerknirscht klingen zu lassen. In Wahrheit tat mir meine Bemerkung kein bisschen leid. Michael war eine Pissnelke, Punkt. Was konnte ich dafür?
Lars antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln meinte ich zu sehen, wie sich seine Mundwinkel kräuselten, aber ganz sicher war ich mir nicht. Er war viel zu professionell, um mir in dieser Situation seine wahren Gefühle zu zeigen.
Inzwischen hatten wir den Park erreicht. Genau genommen handelte es sich um eine quadratische Rasenfläche mit ein paar Bäumen und Sträuchern drum herum, durch die sich schnurgerade Kieswege zogen, aber um in der Mittagspause ein wenig Luft zu schnappen, reichte es. Da es noch früh am Morgen war und das Wetter zu wünschen übrig ließ, waren wir die einzigen Spaziergänger.
„Wie auch immer“, nahm Lars den Faden wieder auf. „Fest steht: Du hast dich nicht im Griff.“
Es klang nicht vorwurfsvoll, eher wie eine Feststellung. Dennoch fühlte ich mich tief getroffen.
„Das stimmt doch gar nicht“, behauptete ich und kam mir dabei selber wie eine beleidigte Sechsjährige vor.
Nun lächelte Lars doch ein wenig und hob vielsagend eine Augenbraue.
„Okay“, räumte ich ein. „Vielleicht stimmt es ein bisschen.“ Ich warf ihm einen vorsichtigen Seitenblick zu. „Und was stellen wir nun an mit dieser Erkenntnis?“
Lars holte tief Luft, und ich wappnete mich innerlich. „Ich möchte, dass du ein Konfliktbewältigungstraining absolvierst.“
Ich starrte ihn an, öffnete den Mund und schloss ihn direkt wieder. „Du nimmst mich auf den Arm“, stammelte ich schließlich.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Das war ernst gemeint.“
Ich wollte etwas entgegensetzen, aber mir fehlten die Worte. Zum ersten Mal in unserer zehnjährigen Arbeitsbeziehung war ich sprachlos, das erreichte sonst nur meine Mutter bei mir. Lars wies auf eine Parkbank, und wir setzten uns. Sein Blick folgte einem Eichhörnchen, das einen Baumstamm emporflitzte und dann zwischen den Ästen und Blättern in der Krone verschwand.
„Es war kein Zufall, dass ich gerade im Handelsraum war“, sagte er. „Michael hat das so inszeniert. Offenbar wollte er, dass ich Zeuge eures Streits werde.“
Ich sog mit einem scharfen Laut die Luft ein. Die Information musste ich erst mal verdauen.
Lars holte ein Taschentuch aus seiner Manteltasche und schnäuzte sich die Nase. „Michael war schon letzte Woche in meinem Büro. Er meinte, du hättest falsche Kennzahlen ins System eingetragen, und ihn dann, als er dich um mehr Sorgfalt gebeten hat, beleidigt.“
Er ließ das Taschentuch in seiner Manteltasche verschwinden und sah mich ernst an.
„Ich habe seine Beschwerde ignoriert, Maria. Aber das kann ich nun nicht mehr. Mit seiner Aktion hat mich Michael unter Zugzwang gesetzt.“
Lars hatte das Wort „Abmahnung“ nicht ausgesprochen, aber das musste er auch nicht. Ein schlechter Geschmack bildete sich in meinem Mund, und ich schluckte hart.
„Und das alles nur, weil ich ihn Pissnelke genannt habe?“
„Ich dachte eher an deine Äußerung über seinen kleinen … du weißt schon.“
Hitze stieg mir in die Wangen. Ich konnte mich nicht an alles erinnern, was ich zu Michael gesagt hatte, aber ich war so in Rage gewesen, da konnte es gut sein, dass mir etwas Derartiges rausgerutscht war. Erst jetzt wurde mir die Tragweite meines Verhaltens so richtig bewusst, und ich spürte einen Anflug von Panik in mir aufsteigen. Nervös rieb ich meine Handflächen über meine Oberschenkel.
„Wie viel Urlaub hast du dieses Jahr noch?“, fragte Lars unvermittelt.
„Vier Wochen“, antwortete ich und schluckte erneut. „Warum?“
Er sah mich weiter an. „Ich möchte, dass du ihn komplett nimmst. Ab Montag. Michael ist im Grunde kein schlechter Kerl. Wenn ich ihm sage, dass du die Sache bereust und freiwillig einen Konfliktbewältigungskurs absolvierst, dazu noch während deines Urlaubs, wird ihn das milde stimmen. Vielleicht sieht er dann von weiteren Schritten ab, und wir kommen noch mal an personalrechtlichen Maßnahmen vorbei.“
Erleichterung durchflutete mich, aber nur kurz. Stattdessen brandete das Gefühl in mir auf, ungerecht behandelt zu werden. Nur über meine Leiche würde ich einem solchen Kompromiss zustimmen. Konfliktbewältigung … Wie sich das schon anhörte. Bestimmt saßen da auch Typen, die ihre Ehefrauen grün und blau schlugen.
„Ich gehe in keinen Kurs“, sagte ich bestimmt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du weißt doch, wie im Handelsraum geredet wird. Erst gestern hat einer von den Sales-Leuten einen der Händler aufs Übelste beleidigt. Anschließend sind die beiden im Hof eine Zigarette rauchen gegangen. Wie die allerbesten Freunde. Das mag ja für andere abstoßend klingen, aber so ist der Ton im Investmentbanking nun mal. Und niemand regt sich darüber auf. Nur wenn ich etwas sage, heißt es auf einmal: Oh, wie kann sie nur?! Warum? Weil ich eine Frau bin?“ Ich merkte selbst, dass ich mich erneut in Wut geredet hatte, aber ich konnte nichts dagegen tun.
„Ja“, nahm Lars mir den Wind aus den Segeln. „Vielleicht liegt es daran, dass du eine Frau bist.“ Er zählte an seinen Finger ab: „Du bist attraktiv, klug, selbstbewusst und verdienst ein Heidengeld, was du mit deiner gesamten Erscheinung zum Ausdruck bringst. Die Jungs im Handelsraum fressen dir aus der Hand. Ständig heißt es Maria hier, Maria da, alle wollen mit dir in der Pause zu Mittag essen. Wenn ich zu euch runterkomme, steht jedes Mal eine Traube Kollegen vor deinem Schreibtisch, euer Lachen schallt durch den Saal, und wenn dir Fehler unterlaufen, witzelt ihr gemeinsam darüber. Überspitzt dargestellt“, fügte er hinzu, als ich ihn empört unterbrechen wollte. Er berührte mich kurz am Arm. „Du bist gleich dran, Maria, hör mir noch kurz zu, bitte.“ Er atmete tief durch. „Michael ist eifersüchtig, und das macht ihn gefährlich. Er wäre gerne genauso beliebt wie du, weiß aber, dass das niemals passieren wird. Und wenn du ihm dann noch Überstunden einbrockst und dich, anstatt dich angemessen zu entschuldigen, über ihn lustig machst oder ihn anfährst, wird er fies. Das Ergebnis haben wir eben gesehen.“
Lars schwieg. Ich sah auf meine Fußspitzen, um mich zu sammeln. Das Bild, das mein Chef von mir gezeichnet hatte, schockierte mich mehr, als ich zugeben wollte. Nicht der Teil mit dem exklusiven Erscheinungsbild und den Kollegen, die mit mir befreundet sein wollten, sondern der, der danach gekommen war. „Ich bin doch kein Mensch, der andere fertigmacht“, sagte ich leise. Ich dachte an die Szene mit Michael und schüttelte den Kopf. „Zumindest nicht mit Absicht. Vielleicht aus dem Affekt heraus, wenn ich mich sehr geärgert habe. Aber ich habe keinen Spaß daran, ich meine, ich bin doch keine Sadistin, der es Freude bereitet, andere zu quälen.“ Ich verstummte. Zu meinem Ärger spürte ich Tränen aufsteigen. Hastig blinzelte ich sie weg.
„Das hat auch niemand behauptet“, erwiderte Lars sanft. „Aber was ich beobachte, ist, dass dein Geduldsfaden ziemlich schnell reißt. Er war nie besonders strapazierfähig, aber in letzter Zeit bist du extrem dünnhäutig. Das ist auch kein Wunder, du hast viel um die Ohren. Der Stress im Job, die Krankheit deiner Mutter, die Sache mit Bautz … es tut mir übrigens sehr leid, dass das mit dem Homeoffice nicht geklappt hat.“
Er schaute mir offen ins Gesicht. „Jeder von uns kommt mal an einen solchen Punkt, das ist nur menschlich. Du bist eine tolle Mitarbeiterin und Kollegin, Maria, und ich möchte nicht auf dich verzichten.“ Er hielt inne. „Wir machen es so“, sagte er nach einer kurzen Pause. „Nimm deinen Jahresurlaub und spann mal so richtig aus. Nicht in Frankfurt, irgendwo, wo es ruhig ist und du nachts die Sterne sehen kannst. Kümmere dich um dich. Danach wird es dir besser gehen, davon bin ich überzeugt, und dann gehst du auch nicht mehr so leicht an die Decke. Michael überlässt du in der Zwischenzeit mir, ich regele das mit ihm.“
Ich biss mir auf die Lippen. „Was ist mit dem Konfliktbewältigungstraining?“, fragte ich.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Lars antwortete.
„Wenn du zurück bist, bringst du mir eine Bescheinigung mit, die dir einen erfolgreichen Abschluss attestiert. Mit einem amtlich aussehenden Stempel. Können wir uns darauf verständigen?“
Ein amtlich aussehender Stempel …
Prüfend sah ich meinem Chef in die Augen. Ungerührt erwiderte er meinen Blick.
„Ich denke schon“, sagte ich dann.

Das Freizeichen ertönte dreimal, bis meine Freundin Ellie das Gespräch entgegennahm.
„Hallo, Maria“, rief sie erfreut und ein kleines bisschen außer Atem, so als sei sie zu ihrem Smartphone gerannt, was vermutlich auch zutraf, denn Ellie war immer in Bewegung. „Wie geht’s dir? Sara und ich können es kaum erwarten, dass du nach Herzbach kommst. Nur noch einen Monat, dann haben wir drei uns endlich wieder.“
„Genau darüber wollte ich mit dir sprechen“, erwiderte ich.
Nach dem Spaziergang mit meinem Chef war ich an meinen Arbeitsplatz zurückgekehrt. Felix’ neugierige Fragen hatte ich mit einem Achselzucken abgetan, bis er aufgegeben und sich wieder seinen Aufgaben zugewandt hatte.
Jetzt war es acht Uhr abends, und ich saß mit einem Becher Tee auf dem Sofa meiner schicken Neubauwohnung im Westend und erklärte Ellie, was sich am Vormittag in der Bank ereignet hatte.
„Lars und ich haben vereinbart, meinen plötzlichen Urlaub mit meiner Mutter zu begründen“, schloss ich, „aber wie ich den Berger einschätze, wird er überall herumerzählen, dass ich ein Konfliktbewältigungstraining absolvieren muss. Weil ich mich nicht genügend unter Kontrolle habe.“ Ich schnaubte.
„Ach, Süße“, bemerkte Ellie bedauernd. „Das tut mir so leid. Dieser Berger ist wirklich schrecklich.“
Obwohl mir nicht danach zumute war, musste ich lächeln. Ellie war immer auf meiner Seite, ganz egal, was passierte. Das mochte ich so an ihr.
Wir hatten uns letztes Jahr im Mai kennengelernt, als ich den Umzug meiner Mutter in den Seniorenstift organisiert hatte. Mit Anfang sechzig hatte meine Mutter ein zweites Mal geheiratet und war von Frankfurt nach Herzbach gezogen, wo ihr Mann, Ludwig Mahler, ein großes Haus besaß. Nachdem er gestorben war, wohnte sie alleine dort. Bis sie auf einer Stufe ausrutschte und sich das Bein brach. Ihre Putzhilfe fand sie Stunden später im Flur, wie sie besinnungslos am Fuß der Treppe lag. Danach stand für mich fest, dass sie nicht länger alleine leben konnte. Ich begann nach einem Heimplatz für sie zu suchen und ergatterte einen im Haus Morgenröte in Mondstein, fünf Kilometer von Herzbach entfernt. Bei dem Seniorenstift handelte es sich um ein ehemaliges Gestüt, das aufwendig renoviert worden war. Die Gebäude lagen um einen bezaubernden Rosengarten herum, und auch sonst erinnerte das Haus Morgenröte eher an ein Fünfsternehotel als an einen Alterswohnsitz. Dennoch war es ein harter Kampf gewesen, meine Mutter von der Notwendigkeit zu überzeugen. Selbst als ich sie mit den kleinen gelben Zetteln konfrontierte, die ich nach ihrem Sturz überall im Haus gefunden hatte und auf denen Erinnerungsstützen standen wie „Kaffeemaschine ausstellen“, „Klospülung drücken“ oder „Mantel anziehen, wenn es draußen kalt ist“, blieb sie uneinsichtig und bockig wie ein kleines Kind. Als sie mir wieder einmal vorwarf, sie abschieben zu wollen, anstatt mich um sie zu kümmern, wie es sich für eine gute Tochter gehöre, ließ ich sie krakeelend in ihrem Wohnzimmer stehen, schnappte mir ihren Dackel Bautz und marschierte mit ihm in den Wald. Und dort lernte ich Ellie kennen, die ebenfalls auf einem Spaziergang unterwegs war. Unsere erste Begegnung geriet alles andere als freundlich. Aufgrund des Streits mit meiner Mutter war ich in keiner besonders guten Stimmung, und dann trat Ellies Labrador, der eigentlich ihrer Großtante Ava gehörte, auch noch mit seinen Riesenpfoten auf meine nagelneuen Tod’s.
Zum Glück liefen wir uns kurze Zeit später erneut über den Weg, was zum Beginn einer wunderbaren Freundschaft führte. Durch Ellie lernte ich Sara kennen, sie war die dritte im Bunde. Inzwischen lebte meine Mutter seit über einem Jahr im Seniorenstift, hatte Freundschaften geschlossen, nahm an verschiedenen Angeboten teil und fühlte sich rundum wohl. Dafür fand sie andere Dinge, die sie mir vorwerfen konnte. Ich war daran gewöhnt, besser wurde es dadurch nicht.
„Natürlich kannst du auch schon früher kommen und bei uns wohnen“, sagte Ellie jetzt. „Nur hast du das Haus dann erst mal für dich alleine. Ich fliege doch morgen nach Wellington und treffe mich dort mit Jonas. Wir kommen erst in knapp vier Wochen zurück.“
Mist, das hatte ich vollkommen vergessen. In Gedanken schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Ellies Freund Jonas war Universitätsprofessor. Sein kleiner Sohn aus erster Ehe wuchs bei seiner Ex-Frau in Neuseeland auf, wo Jonas ihn in jeden Semesterferien besuchte. Während ich überlegte, was ich erwidern sollte, plauderte Ellie bereits munter weiter. „Aber das ist überhaupt kein Problem. Sara hat einen Schlüssel zu unserem Haus, den holst du einfach ab, wenn du ankommst. Ich beziehe dir das Bett im Gästezimmer. Nur einkaufen schaffe ich vor meiner Abreise leider nicht mehr.“
Ich war gerührt. „Du bist so lieb“, sagte ich.
„Nein“, erwiderte Ellie mit Nachdruck. „Ich bin einfach nur deine Freundin.“ Sie schwieg einen Moment, bevor sie in bedächtigem Tonfall fortfuhr: „Möchtest du wirklich deinen kompletten Resturlaub in Herzbach verbringen, hast du dir das gut überlegt? Du weißt, wie sehr ich unser Dorf liebe, aber wird dir das nicht zu langweilig hier, so ganz ohne Fitnessstudio, schicke Restaurants, fancy Bars und tolle Läden zum Shoppen?“
Eine Sekunde lang war ich betroffen. Das Gespräch mit Lars kam mir wieder in den Sinn. War das wirklich das Bild, das ich nach außen abgab? Ich verscheuchte den Gedanken und erwiderte: „Langeweile ist genau das, wonach ich suche. Mein Chef hat ja nicht unrecht mit dem, was er gesagt hat.“
Ich sah aus dem Fenster in den akkurat gestalteten Innenhof. Auf einer Bank saß eine Frau in den Zwanzigern und rauchte, während sie mit ihrem Handy telefonierte. Ich hatte sie noch nie gesehen, was kein Wunder war. Dafür gab es in dem Neubaukomplex, in dem ich lebte, einfach zu viele Menschen.
„Ich raste tatsächlich ziemlich schnell aus“, räumte ich ein. „Das habe ich vorher gar nicht so realisiert, aber es stimmt. Ich muss dringend mal abschalten und runterkommen, und wo ginge das besser als in Herzbach? Außerdem habe ich so Gelegenheit, mehr Zeit mit meiner Mutter zu verbringen. Wer weiß, wie lange das noch geht.“
Ellie gab einen mitfühlenden Laut von sich. „Es ist wirklich schrecklich, wie schnell ihre Krankheit fortschreitet. Als Sara und ich deine Mutter letztes Wochenende besucht haben, konnte sie sich nicht mehr an unsere Namen erinnern. Das war schon hart.“
Ein vertrauter Schmerz, der irgendwo hinter meinem Brustbein lag, meldete sich. „Das kann ich mir vorstellen. Aber wie wunderbar von euch, dass ihr sie besucht habt, das bedeutet mir viel.“
„Das ist doch selbstverständlich.“
„Ist es eben nicht.“

Janina  Lorenz

Über Janina Lorenz

Biografie

Janina Lorenz, geboren 1979, wuchs in der Nähe von Münster auf. Heute lebt und arbeitet sie in Düsseldorf. Wann immer ihre Zeit es zulässt, schreibt sie – am effektivsten am Schreibtisch, doch am liebsten auf dem Sofa oder in Düsseldorfs bezaubernden Cafés. Dabei haben es ihr besonders moderne...

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