Der Tod kann warten (Sandner-Krimis 3) - eBook-Ausgabe
Ein Fall für Josef Sandner
„Roland Krause erzählt mir viel schillerndem Wortwitz und dem genau richtigen Gespür für Spannungsaufbau.“ - Die Rheinpfalz
Der Tod kann warten (Sandner-Krimis 3) — Inhalt
Kidnapping im Altenheim! Die 97-jährige Mutter des pensionierten Oberstaatsanwalts ist aus dem Seniorenheim verschwunden. Ihre Entführer fordern nur eines: die Aufklärung eines alten Mordfalls. Während sich seine Kollegin auf die Suche nach der alten Dame macht, begibt sich Hauptkommissar Josef Sandner undercover in die Münchner Vorstadt, in der einst der Mord geschah, und stößt dort auf eine ganze Menge Verdächtige …
Leseprobe zu „Der Tod kann warten (Sandner-Krimis 3)“
Rauchzeichen
Nicht einmal das Wetter ist gekommen. Kein Regen, kein Windhauch, kein Sonnenstrahl.
Achthundert Euro zahlst du für die Verbrennung in Tschechien. Discountpreis für das finale Einschüren.
Sie sind mit dem Reisebus gekommen. Nebeneinander mussten sie ausharren, vier Stunden lang. Kein Wort ist zwischen ihnen gefallen. Es hätte auch keiner von beiden aufheben und verwenden können. Zu Asche soll werden, was ihnen gemeinsam war. Ihr Sohn.
Merkwürdig, dass es kein unfassbarer Moment ist. Unwirklich – ja, aber es fühlt sich an, als wäre ihnen beiden [...]
Rauchzeichen
Nicht einmal das Wetter ist gekommen. Kein Regen, kein Windhauch, kein Sonnenstrahl.
Achthundert Euro zahlst du für die Verbrennung in Tschechien. Discountpreis für das finale Einschüren.
Sie sind mit dem Reisebus gekommen. Nebeneinander mussten sie ausharren, vier Stunden lang. Kein Wort ist zwischen ihnen gefallen. Es hätte auch keiner von beiden aufheben und verwenden können. Zu Asche soll werden, was ihnen gemeinsam war. Ihr Sohn.
Merkwürdig, dass es kein unfassbarer Moment ist. Unwirklich – ja, aber es fühlt sich an, als wäre ihnen beiden längst klar gewesen, einmal genau so dazustehen. Mit hängenden Schultern und dieser Leere hinter der Stirn.
Die Jahre haben sie vorbereitet.
Wenn das Schicksal einmal beschlossen hat, sich den Schlagring überzuziehen, prügelt es immer weiter. Und du gewöhnst dich daran, die Haut wird ledern, der Geist undurchlässig wie Felsgestein.
Ein Messerstich. Mitten ins Herz. Er hat nicht leiden müssen, hat ihnen ein triefäugiger Beamter mitgeteilt. Die Worte von sanfter Stimme ummantelt, wie die scharfe Klinge durch die Scheide. Als machte das einen Unterschied – danach.
Eine Rauferei soll es gewesen sein. Gestritten hat er immer gern – mit allen und jedem sich angelegt. Ein Rumtreiber, einer der sich nichts sagen ließ. Nicht einmal Schläge haben geholfen. Und später, als die Polizei zum ständigen Gast geworden war, hat der Vater ihn rausgeschmissen. Alles hat doch einmal ein Ende haben müssen, den Krug hatten sie viel zu lange zum Brunnen getragen.
Die Frau denkt zurück – an das Baby auf ihrem Schoß. Warm, glucksend vor Vergnügen und voller Neugier auf den Augenblick. Kurz legt sie ihre Hände auf den Bauch.
So lange her und doch schmerzlich nah.
Das grummelnde Förderband setzt den Sarg in Bewegung. Kiefer aus Rumänien. Chopins Trauermarsch beginnt, aus den Boxen zu scheppern. Es wird ihren Leibern warm.
Der Boandlkramer hat sich zuletzt des Burschen angenommen – für ihn ist ein jeder bedeutsam. Achtsamkeit ist sein Motto.
Und so sät der Sensenmann, dort, wo er gemäht hat, auch all die Gespenster und Fratzen, die verblichenen Träume und Hoffnungen, das Leiden und die Schuld.
Manchmal dauert es nur einen Augenblick, bis sie austreiben und bittere Früchte tragen – manchmal fünf lange Jahre.
Aber es passiert. Und immer gibt es jemanden, der ernten wird.
Kriegspfad
Die Gegner belauern sich. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Schweißtriefende Oberkörper schaukeln hin und her, als wären es fleischerne Bojen auf hoher See.
Sie kennen sich genau. Den linken Fuß vorgestellt, die Leiber unter geduckter Anspannung, stoßen sie zögerlich Fäuste heraus, die wirkungslos auf die Deckung prallen. Das Patschen der gepolsterten Handschuhe klingt nicht saftig genug, um zu beeindrucken. Zermürbungstaktik, warten auf die Lücke – oder nackte Vernunft angesichts drohender Prügel.
Zu viel Ritual, zu wenig effektive Aggressivität zeigt der geringschätzige Gesichtsausdruck des blumenohrigen Zuschauers an. Vom „Punch“ ganz zu schweigen. Der Mann hält sich neben der Ringmatte auf und leidet sichtlich. Als wäre er gezwungen, zickende Möchtegern-Models im TV zu beglotzen. Seine hellwachen Augen begleiten jede Nuance des Schauspiels. Die Stirn unter kahlem Schädeldach gefaltet, zucken seine Schultern, antrainierten Bewegungsimpulsen folgend, immer wieder nach vorn.
„Was soll des darstellen, Mädels? Geht’s doch ins Ballett!“, schmeißt er seine heißere Stimme in den Ring. „Steck dir a Rosen in den Oasch, Sandner!“
Lebende Blumenvase zieht der angesprochene Hauptkommissar nicht in Erwägung. Tänzeln und Fintieren ist seine Sache nicht. Die Füße flach in die Plane gestemmt, versucht er, sich seiner Haut zu erwehren. Gerade hat er genug damit zu tun, Luft zu bekommen. Seine halbherzigen Schwinger verprügeln die abgestandene Luft. Salziger Schweiß brennt in seinen Augen. Die Arme werden schwer und schwerer, als hätte er Hufeisen in den Handschuhen verborgen. Seiner Schlagkraft könnte es nicht schaden. Jeder Fausthieb wird begleitet von tierhaftem Ächzen. Klingt nach Paarungsritual der Riesenschildkröten. So ein Panzer wäre dem Sandner recht. Kopf einziehen und sorgenlos.
Zehn Zentimeter größer als der Sandner und zumindest zehn Kilo leichter kommt sein Gegenüber, der Miran, daher. Drahtig und beweglich. Nicht ganz auf Augenhöhe, die beiden Kampfhähne.
Trotz seiner eins achtzig boxt der Hauptkommissar im Schwergewicht. Knapp fünfundachtzig Kilo, ohne Schuhe. Minotaurus-Stil. Kompakt, den Kopf gesenkt, die Schultern nach vorn. Seit dem Vierzigsten hat sich die letzten sechs Jahre noch das eine oder andere Kilo zur Polsterung hinzugesellt, trotzdem wirkt der Mann nicht füllig. Aber selbst wenn das dunkelblonde Haar noch jedem Kamm trotzt und die Stirnfalten einstellig sind, so schnauft er doch wie der Marathonläufer auf den letzten Metern. Nur noch ein paar Minuten durchhalten – und Schluss für heute mit der Schinderei. Für diese Woche. Für diesen Monat.
„Herr Sandner!“
Der scharfe Schrei schlitzt den Hallenmief auf, wie ein Metzgermesser die Sau. Sandners Blick jagt für den Bruchteil einer Sekunde umher. Was zum Kuckuck ...?
Der Leberhaken kommt wie aus dem Nichts. Wamp! Unter den Ellenbogen gesetzt – Volltreffer. Chirurgische Präzision, wie der Fachmann kommentieren würde.
Augenblicklich weicht alle Luft aus seiner Lunge. Aus! Ihm wird schwarz vor Augen, die Knie knicken ein. Nach einer Vierteldrehung sinkt er hin. Gefällt wie eine morsche Eiche. Ein Yoga-Guru hätte Sandners Haltung vielleicht als Schlusssequenz der „tibetischen Niederwerfung“ interpretiert – inklusive aufgesetztem Schädeldach. Dumpfer Schmerz verteilt sich großzügig. Jede Faser im Körper soll von der Gaudi etwas abbekommen.
Im Menscheninneren tummeln sich Dutzende Organe. Beim Sandner scheinen alle gemeinsam einen Tumult anzuzetteln. Als wollten sie heraus aus dem Häuflein Fleisch, Knochen und Elend, das auf dem Gummiboden kniet und japst.
Er speit den Mundschutz aus.
Die Stimme ist unverkennbar gewesen.
Jetzt kauert sich ihr Besitzer neben ihn – legt den Kopf schräg, um ihm in die Augen zu schauen, zwei Fingerbreit über der Matte.
Es ist der Kommissar Hartinger. Für den rothaarigen Jungspund der Münchner K11 kann es nur einen Grund geben, beim Faustkampf das Zünglein an der Waage zu spielen: ein Todesopfer in München. Mit dem Verkünden einer Gewalttat hätte der Kommissar es nicht so eilig haben müssen. Seinem Chef hat er einen schmerzhaften Vorgeschmack kredenzt. Der dankt auf Knien.
„Alles okay?“, vergewissert sich der Hartinger. Ausgestattet mit solch einer Beobachtungsgabe könntest du die nächste Leich am Tatort genauso gut fragen: „Geht’s wieder?“
„So war es recht, Miran“, schnarrt die Stimme des Boxprofis anerkennend dazwischen. „Ned rumkasperln, gleich drauf auf den Mann.“
Der besagte „Mann“ sagt nichts. Jeder ausgekeuchte Buchstabe wäre Quälerei. Er dreht den Kopf zur Seite, schaut dem jungen Kollegen in die arglose Visage. Stirn und Augenbrauen formulieren eine Frage.
„Es pressiert“, versichert ihm der Bursch, „wirklich!“
„Wenn nicht ...“, grunzt der Sandner und versucht, sich hochzustemmen. Die Knie leisten Widerstand. Der unvollendete Satz schmiegt sich dem jungen Polizisten wie eine hungrige Python um den Kragen. Zeit für die Fütterung.
Standesgemäß im grauen Everlast-Jogginganzug stakst der Sandner neben dem Kollegen zum Dienstwagen, als hätte er nicht bloß einen dornigen Stängel in der Rosette, sondern den kompletten Rosenstock. Duschen ist ausgefallen. Keine Zeit – und zu bewegungsintensiv. Dass es um Leben und Tod ginge, hat sein polizeilicher Begleiter dramatisiert.
Der Hauptkommissar hatte sich in der Boxhalle nicht auf Diskussionen einlassen wollen. Die Neugier allenthalben wäre zu gerne abgefüttert worden. Hier klopfte sich manch ein Journalist seinen Frust von der Seele – die Ohren auf Stand-by. Ärzte und Anwälte gab es epidemisch. Neben dem kopflastigen Studieren musst du die niederen Instinkte berücksichtigen. Das Tier in dir spüren, den Moschusochsen brüllen lassen. Mindestens Geländewagen solltest du fahren oder ein Trekkingbike in der Garage haben.
Die Frage von Leben oder Tod ist in Sandners Gewerbe zweifelsfrei beantwortet worden – vom Gerichtsmediziner. Um das Sterben in all seinen Formaten ist es gegangen. Der Tod fordert dich zum Tanz auf, wenn du Ermittler bei der Münchner Mordkommission bist. Manchmal Tango, manchmal Capoeira, immer trampelt dir der Boandlkramer schmerzhaft auf die Zehen.
Der Miran hatte ihm zugeraunt, er solle bloß nicht mit „Ablenkung“ als Ausrede daherkommen – die zwanzig Euro würde er trotzdem kassieren. Sein begleitendes Grinsen konnte den Leberschmerz locker übertrumpfen.
Die männliche Eitelkeit kennt kein Alter. Die strotzt vor Energie, wenn sie dich am Wickel hat. Würde und Weisheit taugen nicht zur Doppeldeckung.
Malträtiertes Fleisch fleht den Sandner an, nicht mehr den Peter Pan zu geben. Der Chor der geknechteten Muskeln rechnet ihm die Lebensjahre vor. Er hatte den inneren Schweinehund angezählt und sich motiviert, an der Fitness zu arbeiten – da kam die knallharte Rechte. Die großspurigen Vorsätze abgekocht und ausgeknockt. Vielleicht wäre eine Mikadorunde die Alternative.
Der Sandner schleicht belämmert über den Parkplatz.
An seiner Seite wacht der Rotschopf. Seine erhobenen Hände hält er in zupackender Bereitschaft. Altenpfleger-Attitüde. Nicht, dass ihm sein Chef aus den Latschen kippt. Großes Zutrauen scheint er in dessen Konstitution nicht zu haben. Kein Wunder. Niedergeschlagen, im reinsten Wortsinn.
Betätscheln lässt sich der Hauptkommissar nicht, dagegen wirkt ein abwehrender Knurrlaut. Meter für Meter schleppt er sich dahin.
Den Dienstwagen hat der Hartinger ums Eck abstellen müssen. Nichts ist in München kostbarer als ein fußläufig erreichbarer Parkplatz. Aber was heißt schon erreichbar für den Sandner? Endlich vor dem Fahrzeug, schnauft er durch. Der Kragen seines Sweatshirts ist feucht. Alles hat seine Zeit. Der Rotschopf lässt bereits den Motor aufheulen.
„Woher hast du überhaupt gewusst, wo ich bin?“, will der Kriminaler von ihm wissen, nachdem er die Beifahrertür des Dienst-BMWs zugezogen hat. Das Angurten ist ein mentaler Kraftakt. Empfange den Schmerz wie einen Bruder. Der Sandner wäre diesbezüglich lieber Einzelkind.
„Ich sollte rasch bei Ihnen vorbei, weil Ihr Handy ausgeschaltet war. War ein Versuch. Vor Ihrem Haus ist eine alte Frau gestanden, wohl Ihre Nachbarin ...“
Eine der Ratschn! Er ist sich sicher, niemand im Haus ahnt, dass er mehr mäßig als regelmäßig beim Boxtraining vorbeischaut. Du brauchst nicht allüberall Überwachungskameras, Facebook und Paybackkartengschiss. Letzten Endes bist du sowieso der gläserne Bürger. Bei ihm unterm Dach haust der hundertäugige Argus. Schmerz und Ärger verbrüdern sich.
„Sie hat mir gleich aufs Brot geschmiert, Sie wären mit Sporttasche los“, unterbricht der Hartinger seine Grübelei, „hat wohl gerochen, zu wem ich wollte. Und der Brauner hat gemeint, er wisse, dass Sie mal geboxt haben – früher. Zumindest sich darin versucht.“
Jugendliche Überheblichkeit produziert ein Lächeln, das prompt an Sandners versteinerten Zügen zerbröselt.
„Versucht? Pass auf, was du daherredst – und wieso der Brauner? Also was ist los – sag?“
„Zu dem müssen wir – der wartet.“
Während der Hartinger samt Fahrgast gen Obermenzing prescht, versucht er sich im Multitasking. Er gehört zu der Sorte Menschen, die ihre Reden gestenreich untermalen. Wenn du die Hände am Steuer lassen solltest, ist der pantomimische Ansatz kontraproduktiv. Er steigert nur die Herzschlagfrequenz beim Mitfahrer.
Der Sandner kauert auf dem Beifahrersitz. Probehalber bewegt er den rechten Arm, ballt die Faust. Taub fühlt der sich an, bis zur Schulter. Häuserzeilen rauschen an ihm vorbei, als wäre er im ICE unterwegs, bis der Petueltunnel ihm kurzzeitig die Sicht nimmt. Der Hartinger beherrscht die Kunst, sich selbst in zähem Verkehr durchzuschlängeln, als hätte das Auto eine Aalhaut. Immer am Limit.
„Hartinger! Ich hab nicht gewusst, dass es um Leben und Tod bei mir gehen soll! Reiß dich zam.“
Bis zum Gasfuß des jungen Kollegen dringt die Mahnung nicht vor. Der scheint ein autarkes Leben zu führen.
„Dem Oberstaatsanwalt Brauner haben sie die Mutter entführt!“, platzt es endlich aus dem Hartinger heraus.
Der Sandner fährt im Sitz hoch und starrt den Fahrer an, als hätte der sich vor seinen Augen in einen sprechenden Kohlrabi verwandelt.
„Was sagst du? Bist du narrisch! Die lebt immer noch? Die muss doch schon bald hundert sein.“
„Keine Ahnung, aber jedenfalls ist sie abgängig, und die Entführer haben sich beim Brauner schon gemeldet.“
„Entführer? Sakrament – was wollen die? Und was haben wir damit zu tun? Ich hab nicht einmal Bereitschaft. Kreuzkruzifix.“
„Ich weiß nicht mehr darüber. Der Brauner hat nach Ihnen verlangt – subito.“
Der Sandner versinkt in Schweigen. Nach ihm verlangt hat er also, der ehemalige Oberstaatsanwalt. Kein Grund zu hyperventilieren.
Zum Knecht taugt er nicht. Da hat er ein Wort mitzureden. Das muss der Brauner gut begründen können, sonst geht es wieder retour. Warum sollte jemand das alte Waiberl eintüten? Anders als bei der schönen Helena kann man schmachtende Liebe als Beweggrund für ein Kidnapping ausschließen. Rache? Bei einer gebrechlichen Alten ist das Risiko hoch, dass sie die Geschichte nicht an einem Stück übersteht.
Dann hast du eine überflüssige Leich und das Malheur. Meistens weißt du nicht, wohin damit. Es gibt ja keine Container wie beim Altglas – vielleicht ein zukunftweisender Gedanke. Zumindest für Urnen, falls der Platz knapp wird. Braun, silber und schwarz getrennt.
Möglicherweise hat der Miran dem Sandner die Birne weich gekloppt. Mit der Konzentration hapert es gewaltig. Kein Wunder, wenn deine Leber dir suggeriert, sie hinge an der Steckdose.
Falls der Tod der alten Brauner von den Entführern einkalkuliert wäre – dann gut Nacht. Lösegeld? Besonders wohlhabend kommst du mit der Beamtenpension nicht daher.
Den Brauner kennt er seit zwanzig Jahren. Bis zu seiner Pensionierung war er eine charismatische Figur innerhalb der Staatsanwaltschaft – quasi Legende. Ein dickköpfiger, gefürchteter Grantler, aber ein kompetenter Kopf – und was für den Sandner essenziell war: Er hat alle Fünfe gerade sein lassen können und ihm manches Mal den Kopf aus der Schlinge gezogen. Ohne dessen Fürsprache wäre er mutmaßlich Ampelersatzkraft oder dürfte in schicker Uniform Katzenaugen an Fahrrädern zählen.
Nach Obermenzing schafft es der Hartinger in zwanzig Minuten – ohne Blaulicht.
An der Würm lässt es sich aushalten. Das haben sie schon vor viertausend Jahren gewusst. Aus der Bronzezeit ist das entdeckte Hockergrab in Obermenzing gewesen. Es lässt sich also auch gut sterben am Fluss. Daran wird der Brauner nicht gedacht haben, als er vor vierzig Jahren seine Zelte hier aufgeschlagen hat. Er wird dereinst kein Bronzeschwert mit ins Grab bekommen, höchstens ein Strafgesetzbuch. Die Zeiten ändern sich und damit das Handwerkszeug für die Rechtsprechung.
Ein gemächliches, sattes Fleckerl Erde. Schloss Blutenburg im stolzen Wappen. Den alten Zehentstadel gibt es noch, allerdings könnten die Bewohner heutzutage schwerlich ihre bäuerliche Abgabe leisten. Sense und Dreschflegel hängen als museale Relikte zur Dekoration in der Stube. Statt Schwielen an den Händen haben die Leut im Stadtteil höchstens Blasen vom Geigeüben.
Brauners Domizil liegt in der Finsterwalder Straße.
Weder finster noch Wald. Gediegene Einfamilienhäuser in Reih und Glied aufgepflanzt. Kein Pomp, keine Kristallkugeln oder tönernes Viechzeug in den Vorgärten. Den soliden Wohlstand der Sechziger strahlen sie aus, die cremefarbigen Gemäuer. Wenn du ein Studierter gewesen bist, damals, oder leitende Arbeitsbiene, ist ein Häuserl drin gewesen – zwei Kinder dazu und fertig verschnürt war der Lebenstraum. Heutzutage musst du eine perverse Ader haben, wenn du dich mit dem Erwerb von Wohneigentum im Münchner Einzugsgebiet beschäftigst. Der Gedanke ist schmerzlicher als die Neunschwänzige – falls dir nicht bereits als kleiner Hosenscheißer die Bauklötze durch Goldbarren ersetzt worden sind.
Im Braunerschen Garten ist der Rasen kurz rasiert, wie das Haupthaar vom Eigentümer, der auf ihr Läuten hin die Tür aufreißt. Als hätte er im Flur auf sie gelauert. Das letzte Mal hat ihn der Sandner zufällig in einem Gasthaus getroffen, bei der turbulenten Verhaftung eines Mordverdächtigen. Der Trachtenjanker scheint derselbe zu sein – der Mann nicht. Gebeugt kommt er daher, gelbliche Gesichtsfarbe, die Augen tief in den Höhlen.
Den Lack hat sie ihm abgeschmirgelt, die Geschichte, und darunter werden die Rostlöcher sichtbar. Selbst argloses Opfer zu werden hätte er sich nicht vorstellen können. Das bringt den Motor zum Stottern.
Ohne ein Wort hinkt der Hausherr vor ihnen her ins Wohnzimmer. Schwer stützt er sich auf seinen Stock.
In der Stube umzingeln deckenhohe Bücherregale die dunklen Kolonial-Sitzmöbel. Seine Klassiker hat der Brauner gelesen. Gewichtige Wälzer in gefärbtes Schweinsleder gebunden. „Wallenstein“ von Golo Mann besetzt aufgeschlagen einen Sitzplatz. Wohl der Lesesessel samt passendem Fußschemel und Stehlampe. Ein muffiger, musealer Geruch liegt in der Luft.
Dem Sandner kommt es vor, als müsste er sie mit Händen zerteilen, um sich fortzubewegen. Zum Staubwedeln scheint der Alte nicht oft zu kommen. Auf einem Tisch im Eck ruht ein Hackbrett. Der Oberstaatsanwalt pflegt die Stubenmusi.
Die beiden setzen sich an den Wohnzimmertisch. Massiv und unverwüstlich ist der, gleich seinem Besitzer.
„Wieso hat das so lang gedauert?“, wird der Hauptkommissar angeraunzt, vom eisernen Blick festgenagelt. Der Ledersessel mutiert zur Anklagebank. Noch ehe der Ermittler Einspruch erheben kann, winkt der Brauner ab. Sich aufs Wesentliche zu besinnen fällt ihm sichtlich schwer. Die unruhigen Finger hat er ineinander verknotet. Knorrige Wurzeln, die aus seinen Hemdsärmeln zu wachsen scheinen.
„Zur Lage“, beginnt er, sich an die vertraute Floskel klammernd. „Um sechs hab ich einen Anruf bekommen. Sie hätten meine Mutter, hat der Mann am Telefon gesagt. Ich hab geglaubt, das ist ein depperter Scherz. Was will jemand mit meiner Mutter? Wenn du die näher kennst, überlegst du dir das zweimal. Aber der Sauhund hat bloß gesagt, der Fuhrer Benedikt säße unschuldig im Gefängnis. Ich solle den wahren Mörder finden, und meine Mutter käme frei. Wenn ihnen die Polizei auf den Pelz rückte, müsst meine Mutter sterben. Und aufgelegt.
Ich ruf also im Altenheim an. Die haben erst nachschauen müssen, verstehst. Nachschauen! Da lach ich doch in Wald nei. Und dann haben sie gesagt, sie könnten sich das nicht erklären – die wäre tatsächlich weg. Ja, so eine Überraschung. Das Gschwerl! Da können die Spitzbuben reinspazieren und die Leut mitnehmen, wie es ihnen passt.“
Er ist außer Atem und wischt sich über die Augen.
Der Sandner verkneift sich die Bemerkung, dass im Allgemeinen keiner die lästigen Greise wiederhaben will, wenn sie einmal geparkt sind. Altenheim ist kein Leihhaus.
„Wer ist das, der Fuhrer Benedikt?“, will der Hartinger wissen. Er hat sich unauffällig neben der Tür aufgestellt. Hierarchisches Gespür für den optimalen Platz – quasi Hundedecke.
Die beiden Männer reagieren nicht.
Der junge Polizist räuspert sich entschlossen.
„Haben Sie das Telefonat vielleicht aufgezeichnet, Herr Brauner?“
Von den „Senioren“ wird ein Blick auf ihn abgeschossen, als hätte er sich die Hose heruntergerissen, um einen lauten Furz zu lassen.
„Was ist denn das für eine depperte Frage?“, braust der Brauner auf. „Ich weiß gar nicht, wie das geht an dem Glumptelefon. Normalerweise hebst du ja nicht den Hörer ab und schneidest alles mit.“
„Na ja, hätte ja sein können – wäre hilfreich.“ So leicht lässt sich der Rotschopf nicht den Maulkorb umhängen. Die Zeiten wandeln sich.
Aktuell hat ihn der Ruheständler offensichtlich als Sandners Chauffeur abgespeichert. Er hat noch nie mit ihm fahren müssen. Da erscheint das Jenseits in Sichtweite. Der Sandner verzichtet, wann immer möglich. Selten genug.
„Ist der fähig, dein Mitarbeiter, oder bloß ein Dampfplauderer?“, wendet sich der Brauner an den Hauptkommissar.
„Horch zu, da gibt’s Routinen“, knurrt der Angesprochene, die Frage ignorierend. „Spezialisten, Fachleute für Kidnapping. Verhandlungsprofis, was immer du willst. Dir muss ich doch nicht erzählen, wie das abläuft bei einer Entführung. Dokumentierte Vorgehensweisen aus dem Qualitätshandbuch und das ganze Technikgrafl. Wenn die Mutter von einem Staatsanwalt wegkommt, steht München Kopf. Da haut sich jeder Beamte rein, als wär’s das eigen Fleisch und Blut. Da stampfen sie ruckzuck eine Soko aus dem Boden. Also, was heckst du aus, Brauner? Warum sollt ausgerechnet ich her? Da müsst doch gerade eine Hundertschaft das Altenheim auseinandernehmen, bis auf die Grundmauern.“
Der Brauner schnauft auf und rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her. Nach einer Prise Schnupftabak legt er los.
„Ich hab der Heimleitung klargemacht, die polizeiliche Untersuchung leite ich in die Wege. Damit waren sie zufriedengestellt. Da ruft jetzt keiner von denen auf der Dienststelle an. Ich weiß, dass man die Leute immer beruhigt, die Polizei regelt das, und man soll ihnen vertrauen und eiapopeia, Kind schlaf ein. Hab ich selber oft genug erlebt und vorgebetet. Aber es ist meine Mutter und ...“
„Wir sind als Ermittler da – oder?“
„Ja, schon irgendwie – und du als Freund – verstehst? Ich brauch jemanden, dem ich vertrauen kann. Keine fremden Gschaftlhuber, die sich bloß wichtig machen. Von denen kommt mir keiner ins Haus!“
Dem Sandner schwant Böses. Für solch eine Vorahnung brauchst du in niemandes Gedärmen lesen oder Knöchelchen werfen. Er dürfte nicht hier sein, der Hartinger ebenso wenig. Und trotzdem werden sie sich alles anhören und mitentscheiden. Hinterher könnte er immer noch den korrekten Weg veranlassen – oder dem Brauner Vernunft einbläuen. Hinterher.
Red dir nichts ein, Sandner. Es gibt kein Hinterher, nur ein Mittendrin. Sie waren bereits auf dunklen Pfaden unterwegs. Die Show hatte begonnen, und ob sie alle mit heiler Haut und ohne dienstliche Schrammen davonkommen würden, stand auf einem anderen Blatt.
Die Entführung der alten Dame hatte mit Brauners letztem Fall zu tun. Er musste ihn übernehmen, weil damals die Influenza drei Viertel der Staatsanwaltschaftsbelegschaft ins Bett geworfen hatte. Kein Standvermögen, die jungen Burschen. Aber herausgeputzt wie die Brauereigäule zur Wiesnzeit. Seidentüchlein und Lackschuh im Gerichtssaal – und Duftwässerchen und Puderchen, dass du meinen könntest, die Reinkarnation vom Sonnenkönig defiliert an dir vorbei.
Er hatte seinen Schreibtischinhalt bereits in der Schuhschachtel verstaut. Eine versilberte Schnupftabakdose mit Monogrammvon den Kollegen überreicht bekommen und ein Reserve-Bürgermeister hatte ihm die Hand getätschelt. Er hat längst vergessen, welcher es war. Fünf Jahre her. Das Haifischlächeln nebst gewollt sportlichem Händedruck ist ja bei allen Politikern identisches Handwerk.
Und dann dieser Fall:
Ein kleines Licht aus dem Harthofviertel hätte bei einer Rauferei seinen Kontrahenten abgestochen. Zwei Stiche, einer exakt ins Herz. Wohl ein Zufallstreffer. Glück gehabt. Eine erfolgreiche Aktion mit zwei Promille im Blut. Da könntest du getrost im Kasino zocken. Wobei sich Glück unterschiedlich definieren lässt. Keine große Sache – ermittlungstechnisch eindeutig. Abgefüllt bis zur Oberkante, vom Tatort geflüchtet, und das Messer wurde später in seinem Kellerverschlag gefunden. Andere Täter kamen nicht infrage. Bingo. Noch Fragen, Herr Richter? Dass der Mann bis zuletzt seine Unschuld beteuert und einen Unbekannten als Täter benannt hatte, war nur eine Randerscheinung gewesen. Typischer Täterreflex. Jeder Zweite gibt die Scheherazade und probiert es mit einem Märchen aus Tausend und einer Nacht. Die wenigsten sind unterhaltsam. Schützt daher vor Strafe nicht. Letzten Endes Indizienprozess, zwölf Jahre Stadelheim.
„Und jetzt haut mir jemand die alte Geschichte um die Ohren“, schließt der Alte seine Erzählung ab, „wie ein Springteufel hupft die aus dem Kasterl.“
Brauners Mutter lebt seit neun Jahren im Altenheim. Damit dürfte sie sich hierarchisch und überlebenstechnisch weit nach oben gearbeitet haben im Bewohner-Ranking. Du brauchst eine Portion Fatalismus oder musst religiös gut unterfüttert sein. Wenn du zuschauen darfst, wie die jüngeren „Golden Agers“ sich himmelwärts davonmachen, fragst du sonst am Ende gar nach Sinn.
Der Sandner hat sie und ihren Sohn einmal getroffen – überraschenderweise in einem Jazzclub in Haidhausen beim Gastspiel der „Al Porcino Big Band“. Anders als der Oberstaatsanwalt, der bayrisches Liedgut vorzieht, ist sie der zeitgenössischen Musik aufgeschlossen gegenübergestanden. Louis Armstrong und Ella Fitzgerald hat sie vergöttert – aber die heutigen Jazzgrößen durchaus nicht verschmäht. Der Brauner hat in den sauren Apfel beißen müssen. Es ist ihr Geburtstagswunsch zum Fünfundneunzigsten gewesen. Er wäre lieber zum Obermenzinger Musikantenstammtisch im „Grünen Baum“ gegangen.
Die alte Frau und ihr Sohn sind früh verschwunden an jenem Abend. Weil er nebst anregender Begleitung am Nebentisch gesessen ist, hat der Sandner ab und zu einen Blick auf sie geworfen. Ein ums andere Mal ist der Seniorin, trotz treibender Rhythmen und virtuoser Trompetensoli, der Kopf auf die Brust gesunken. Wie sie beide synchron mit ihren Gehstöcken von dannen gezogen sind, hätte man sie fast für ein Paar halten können. Im Alter nähert man sich halt immer weiter an.
Kurz hatte sich der Sandner mit der Frage beschäftigt, ob er wohl in dreißig Jahren genauso daherhatschen würde, als exotisches Exemplar zwischen feierndem Jungvolk. Oder wäre er längst von Spinnweben überzogen, auf seinem Couch-Stammplatz vor dem brüllenden Fernseher festgeklebt? Bei Mutter Brauner war offensichtlich noch genug Saft in der Batterie gewesen.
Brauners Vater Justus ist aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr heimgekommen. Serbische Partisanen haben ihm das Kerzerl ausgeblasen. Da hat sein Stammhalter gerade die ersten Wörter gebrabbelt. „Papa“ hat er nicht mehr lernen brauchen.
Überhaupt ist die männliche Verwandtschaft dezimiert worden in jener Zeit. Ein Onkel hat die Nazi-Polizeihaft in der Ettstraße nicht überlebt, einen anderen hätte die Tuberkulose weggerafft – wurde ihnen von Amts wegen bescheidet. Beiden ist ihr Rückgrat zum Verhängnis geworden. Kein Wunder, dass ein Streben nach Gerechtigkeit im jungen Brauner-Bursch aufgekeimt ist.
Die Mutter hat den Jungen allein groß bekommen und das Studium der Rechtswissenschaften ermöglicht. Er hat nie geheiratet. Vielleicht aus Verehrung für die Frau, die ihn zu dem verholfen hat, was er darstellt. Da wird er keinen Ersatz gefunden haben, der diesem Anspruch standgehalten hätte.
Er ist ein Eigenbrötler. Tisch und Bett hättest du als Eheweib mit Aktenbergen teilen müssen. Die Antwort auf die Frage, wem er lieber Zeit und Energie auf der Matratze opfern mag, hätte jede halbwegs fleischeslustige Frau tief gekränkt auf Abwege getrieben.
Der Sandner könnte nur spekulieren, ob das eine oder andere Hurenhaus eine alternative Geschichte über den Brauner zu erzählen wüsste. Schlamm drüber – über die Untiefen.
Im Pasinger Altenheim hat seine Mutter ein Einzelzimmer bezogen, weil sie zuletzt ihre Gedanken nicht immer in die richtigen Schubladen sortieren konnte. Der Brauner hätte das nicht stemmen können – Reibereien inklusive, wie sie vorkommen bei zwei dickköpfigen Alleinherrschern. Eine stolze Frau, die sich aber für keine Arbeit zu schade gewesen war und gewusst hat, wie man Überleben buchstabiert.
Dem Polizisten erscheint sie vor dem inneren Auge, mit ihren schlohweißen Haaren, der aufrechten Haltung und ihrem Forscherblick aus klaren, graublauen Augen, den sie an ihren Sohn weitergegeben hat. Sonst sollte er in absehbarer Zeit nichts erben müssen.
Persönliche Betroffenheit ist in Sandners Geschäft ein sumpfiger Untergrund. Aber hier und heute wird er dem Brauner und seiner Mutter zur Seite stehen – Sumpf hin oder her.
Und nicht nur er.
Die Sandra Wiesner rekelt sich in der Badewanne. Ein Schnappschuss vollendeter Entspannung. Doch sollte man die Vorstellungskraft nicht in die falsche Richtung lenken. Sie ist allein mit Schaum und Wasser. Einzig dem Badspiegel ist der Anblick vergönnt. Wer ist die schönste Oberkommissarin im Lande? Die Blonde vom Münchner K11. Oh mei. Sag jetzt nichts, Spieglein, was du hinterher bereust. Alles wird gegen dich verwendet.
Das Radio spielt Barbra Streisands geniale Version von Cole Porters „What is this thing called love“. Sie greift gerade nach dem Glas Rioja, als ihr iPhone „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ aufspielt und die Streisand rüde übertönt. Grandiose Idee, es mit ins Bad zu nehmen. Alte Gewohnheit.
Sie hört eine Weile unschlüssig der Melodie zu, bevor sie zugreift. Der Sandner! War nicht anders zu erwarten. Alles liegen und stehen lassen soll sie. Natürlich polizeilicher Kontext. Dennoch kocht Wut in ihr hoch – fast hätte sie das Handy gegen die Fliesen gedeppert. Die Mannsbilder führen allerweil den gleichen Tanz auf. Als wären sie das Auge des Sturms, und du darfst um sie herumwirbeln, wurscht, ob du gerade verschnaufen willst oder das Leben für dich woanders eine zünftige Weise fiedelt.
Im Fernsehen hat sie einmal ein Rindviech gesehen, das mittels eines Hurrikans durch die Luft geblasen wurde, wie ein Fetzen Papier. So schaut es aus. Natürlich alles nicht wichtig!
Der Sandner ist darin Spezialist. Sein augenblickliches Herzblatt hat Glück, dass es achtzig Kilometer weg wohnt. Ruhig in der Badewanne planschen könnte sie, seine Bad Kohlgruber Trulla. Die könnte sich der Hauptkommissar nicht einfach herbestellen wie eine Pizza, wenn er Appetit bekäme.
Die Wiesner versucht, einen Gang herunterzuschalten – es geht ja nicht um den Sandner. Um dem nicht unrecht zu tun – seine Ansprüche sind wenigstens geschlechtsunabhängig. Ob Weiblein oder Männlein, alles soll tanzen nach des Meisters Pfeife. Dienstlich hat er das Motto ausgegeben: „Du sollst keine Götter haben neben mir.“ Das Augenzwinkern dabei nicht vergessen. Herrschen heißt teilen. Und die Wiesner hat sich längst ihren Teil genommen. Leider kannst du dir Emotionen nicht auswählen wie das schmeichelnde Lieblingsgewand. Ihre Gefühlswelt gleicht einer Vulkanlandschaft. Krater, Eruptionen, Verwerfungen, Erdbeben und Geröll – alles dabei. Zur Tropeninsel hat es bei der Polizistin nicht gelangt.
„Beeilst du dich, ja?“
Bevor der Sandner das Gespräch abrupt beendet, sorgt er noch für zügigen Lavafluss. Zehn Minuten später ist die Wiesner gedressed und geschniegelt. Ein Kleid hat sie sich ausgesucht. Schwarz und eng. Aus Trotz leert sie noch das Weinglas, bevor sie die Wohnung in Schwabing verlässt.
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