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Der Waldwanderer Der Waldwanderer - eBook-Ausgabe

Gerald Klamer
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6000 Kilometer durch Deutschland – was wir jetzt für unsere Wälder tun können

— Als Förster zu Fuß durch unsere Wälder und Nationalparks
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Der Waldwanderer — Inhalt

Ein Förster auf der Suche nach Lösungen für die Klimakrise

Nach 25 Jahren als hessischer Forstbeamter beschließt Gerald Klamer, seinen Job zu kündigen, seine Wohnung aufzugeben und auf eigene Faust loszuziehen. Auf 6000 Kilometern quer durch fast alle Bundesländer und Nationalparks Deutschlands will er herausfinden, wie es wirklich um unsere Wälder bestellt ist, und dabei nach Lösungen für die Waldkrise suchen.

Es besteht Hoffnung für den Wald!

Die Waldproblematik ist zum einen im Klimawandel begründet, zum anderen aber auch in unserem Umgang mit dem Wald. Lange Zeit war er für viele lediglich eine Art Holzfabrik, seine Funktion als wichtiges Ökosystem wurde kaum wahrgenommen. Nach drei Dürresommern, Borkenkäferplagen und Kahlschlägen ist die Situation in einigen Teilen Deutschlands brenzlig. Anderswo hingegen entdeckt Gerald Klamer fast schon urwaldartige Zustände, die Hoffnung geben, dass unsere Wälder noch nicht verloren sind.

„Klamers Buch soll aufrütteln, es macht aber auch Lust, im Wald vor der eigenen Haustüre mal nach dem Rechten zu sehen.“ Neue Osnabrücker Zeitung online

Unterwegs trifft Gerald Klamer auf Förster, Bürgerinitiativen, Wissenschaftler und andere Waldfreunde. Gemeinsam mit ihnen zeichnet er ein einmaliges Bild vom Zustand der deutschen Wälder. Er zeigt uns, was wir jetzt für sie tun können, und entfacht unsere Begeisterung für den Wald und seine Bewohner noch mal ganz neu – denn nur was man liebt, das schützt man auch.

„Ein spannender Reisebericht mit einigen hoffnungsvollen Ansätzen.“ Frankfurter Rundschau

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 03.05.2024
272 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40670-3
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€ 15,99 [D], € 15,99 [A]
Erschienen am 28.07.2022
272 Seiten
EAN 978-3-492-60276-1
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Leseprobe zu „Der Waldwanderer“

Prolog
Es herrscht stockfinstere Nacht. Blitze zucken in rascher Folge am Himmel über dem Thüringer Wald, und tiefes Donnergrollen versetzt meinen Körper in Alarmstimmung. Als ich mein Lager vor wenigen Stunden in dem alten Fichtenwald hier aufschlug, deutete nichts auf ein Unwetter hin. Im Gegenteil: Auch meine Wetter-App sagte lediglich fünf Prozent Regenwahrscheinlichkeit voraus. Noch hoffe ich, dass das Gewitter an mir vorüberzieht ...
Es gibt wenig, wovor man im deutschen Wald Angst haben muss, doch Sturm und Gewitter gehören definitiv dazu. Dabei [...]

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Prolog
Es herrscht stockfinstere Nacht. Blitze zucken in rascher Folge am Himmel über dem Thüringer Wald, und tiefes Donnergrollen versetzt meinen Körper in Alarmstimmung. Als ich mein Lager vor wenigen Stunden in dem alten Fichtenwald hier aufschlug, deutete nichts auf ein Unwetter hin. Im Gegenteil: Auch meine Wetter-App sagte lediglich fünf Prozent Regenwahrscheinlichkeit voraus. Noch hoffe ich, dass das Gewitter an mir vorüberzieht ...
Es gibt wenig, wovor man im deutschen Wald Angst haben muss, doch Sturm und Gewitter gehören definitiv dazu. Dabei besteht die Gefahr weniger darin, vom Blitz getroffen zu werden – umstürzende Bäume und herabfallende Äste sind eine weitaus größere Bedrohung, vor allem in einem Fichtenwald, der erfahrungsgemäß nicht besonders stabil steht.
Leichter Regen setzt ein, gefolgt von heftigen Windstößen, die mein nur unzureichend befestigtes Tarp anheben und die Wassertropfen unter die Plane treiben. Das ist unangenehm, ich werde nasser und nasser, aber gefährlich ist es nicht. Schlimm wird es einige Minuten später, als die Sturmböen einen Zahn zulegen und sintflutartiger Regen in Vorhängen durch den düsteren Wald getrieben wird. Im gleißenden Licht der Blitze sehe ich, dass die Baumkronen über mir bedrohlich schwanken, und die ohrenbetäubenden Donnerschläge lassen den Boden erzittern.
Jedes Mal, wenn irgendwo ein Blitz einschlägt, bin ich froh, dass ich noch einmal verschont wurde. Am liebsten wäre ich jetzt unter einem schützenden Dach, aber ich weiß, dass es keinen Sinn hat, auf der Suche danach ziellos durch die finstere Nacht zu rennen, und so harre ich unter meiner Plane aus und hoffe einfach inständig, dass das Unwetter bald vorüberzieht. Das Wort „ausgeliefert“ beschreibt meine Situation sehr treffend. Obwohl mir bewusst ist, dass ich jetzt besser nicht hier sein sollte, gibt es keine Möglichkeit, der Gefahr zu entgehen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal zu ergeben …
Dann kommt eine Sturmböe und zieht die beiden Heringe aus dem Boden, mit denen mein Tarp befestigt ist. Jetzt flattert die Plane mit einem knatternden Geräusch im Wind, und der strömende Regen trifft mich mit voller Wucht. Bevor ich klatschnass bin, gelingt es mir, das Tarp zu greifen und notdürftig über meinen Kopf zu halten, sodass mein Rucksack und ich halbwegs geschützt sind. Allerdings ist es sehr anstrengend, die schwere Plane festzuhalten; ich weiß nicht, wie lange mir das noch gelingen wird.
Ich könnte jetzt gemütlich zu Hause im Trockenen und Warmen sitzen, wo einem die Naturgewalten in der Regel nichts anhaben. Stattdessen hocke ich im klatschnassen Wald, in diesem krassen Gewitter, und hoffe, dass meine unbehagliche Lage bald ein Ende findet. Dabei geht mir nur eine Frage durch den Kopf: Warum tue ich mir das bloß an?


Hessen und Nordrhein-Westfalen
Von Marburg durch Sauerland und Siebengebirge in die Eifel


Ein fulminanter Start
Am Morgen des 26. Februar 2021 schaue ich um kurz vor neun Uhr aus dem Fenster meiner Wohnung in Marburg und traue meinen Augen kaum: Vor der Tür stehen acht Medienvertreter von Fernsehen, Radio und Presse. Gleich kommt der Hausmeister zur Schlüsselübergabe, denn heute ziehe ich aus der Wohnung aus, die lange Jahre mein Zuhause war. Ich habe meinen sicheren Job gekündigt, mein Auto verkauft, den Großteil meiner Habseligkeiten verschenkt und den überschaubaren Rest bei einem Freund verstaut. Ich bin bereit für meinen Neustart.
Eigentlich war mein bisheriges Leben ziemlich perfekt: Ich hatte meine Begeisterung für Wald und Natur zum Beruf gemacht und arbeitete seit nunmehr 25 Jahren als Förster. Dabei war ich viel draußen, was sehr wichtig für mich ist, erledigte meine Aufgaben weitgehend selbstständig und hatte durchaus kreativ etwas bewegt. Als Beamter konnte ich mich zudem relativ problemlos freistellen lassen und unbezahlte Auszeiten nehmen, um meiner zweiten großen Leidenschaft nachzugehen: dem Wandern. Auf fast allen Kontinenten bin ich schon in Wanderschuhen unterwegs gewesen – sei es in den großen Gebirgen wie dem Himalaja, den Anden und den Rocky Mountains, sei es in den heißen Wüsten des amerikanischen Südwestens oder den dampfenden Regenwäldern Borneos und des Kongo. Tausende von Kilometern zu Fuß lagen bereits hinter mir.
Allerdings gab es viele Dinge in meinem beruflichen Alltag, die mich mit den Jahren immer mehr störten, insbesondere, dass bei vielen Entscheidungen wirtschaftliche Argumente den Ausschlag gaben – egal, ob die Walderschließung sich stärker an den Anforderungen der Großmaschinen als an der Schonung der Böden orientierte oder in den alten Laubwaldbeständen viel zu viele Bäume gefällt wurden. Oft konnte ich abends nicht mehr guten Gewissens in den Spiegel schauen.
2018 begann dann eine schwere Krise für den Wald in Deutschland. Drei aufeinanderfolgende Trockenjahre zogen alle Baumarten stark in Mitleidenschaft und führten dazu, dass Fichten in gigantischem Umfang abstarben. Bundesweit sind so Kahlflächen entstanden, die größer als das Saarland sind! Nach dem Waldbericht der Bundesregierung weist nur noch einer von fünf Bäumen keine erkennbaren Schäden in seiner Krone auf. Natürlich ist der menschengemachte Klimawandel die Ursache für diese Krise, aber mir war auch klar, dass die Bewirtschaftung des Waldes in dieser Situation entweder für eine weitere Destabilisierung sorgen oder die Effekte der Dürre abmildern kann.
Irgendwann hatte ich genug. Während einer viermonatigen Wanderung durch die Alpen im Sommer 2020 fasste ich den Entschluss, meinen Beruf an den Nagel zu hängen und etwas zu unternehmen, um auf die Bedrohung des Waldes aufmerksam zu machen: Ich würde durch Deutschlands Wälder wandern und berichten, wie es um sie bestellt ist. Ich würde Menschen und Initiativen besuchen, die sich für die Rettung der Natur einsetzen, denn nur so könnte ich ein umfassendes Bild vom Zustand unserer Wälder liefern und zeigen, dass wir alle etwas zu ihrem Erhalt beitragen können. Ich dachte an eine Mischung aus naturnah arbeitenden Forstbetrieben, Wissenschaftlern, die zum Thema Wald und Klimawandel forschen, Bürgerinitiativen und Naturschützern. Vor allem positive Beispiele dafür, wie ein Umdenken gelingen kann, haben die Kraft, zum Handeln zu motivieren. Denn darum ging es mir: die Menschen für den Schutz des Waldes zu gewinnen.
Schnell wurde aus der groben Idee meines Projekts „Waldbegeisterung“, wie ich es getauft hatte, ein konkreter Plan: Meine Tour würde etwa 6000 Kilometer umfassen und circa achteinhalb Monate dauern. Das war schon nötig, denn ich hatte vor, (fast) alle Bundesländer und die wichtigsten Waldgebiete Deutschlands abzuwandern. Mehr als 50 Stationen plante ich ein, an denen ich interessante Menschen treffen würde – etwas Spielraum blieb natürlich, denn ich wollte auch für spontane Aktionen offen sein. Außerdem machte ich mein Projekt bekannt und richtete einen Blog ein, über den man meine Ideen, Ziele und Erlebnisse auf der Wanderung quasi live mitverfolgen konnte, damit ich auch wirklich viele Menschen erreichen würde.
Jetzt, im Februar 2021, sind all diese Vorbereitungen abgeschlossen, es kann endlich losgehen. Ohne die sichere Beamtenstelle lebe ich von nun an zwar in völlig ungewissen finanziellen Verhältnissen, kann mich dafür aber frei äußern und muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Zumindest meine Fixkosten sind auf ein Minimum heruntergefahren, alles andere wird sich schon finden.
Die Temperatur beträgt gerade einmal zwei Grad, und es regnet, als ich meine Haustür ein letztes Mal hinter mir zuziehe. Dennoch trage ich lediglich das speziell für die Tour mit dem Logo „Waldbegeisterung“ versehene T-Shirt über langärmliger Thermowäsche. Während ich loswandere, interviewt mich eine Radioreporterin, ich werde gefilmt und beantworte zwischendurch noch die Fragen der anderen Journalisten. Das ist alles ziemlich anstrengend und vor allem ungewohnt, aber gerade zu Beginn des Projekts ist diese Medienaufmerksamkeit natürlich extrem wichtig. Nach einer halben Stunde erreichen wir den ersten Wald, wo das Filmteam des Hessischen Rundfunks noch einige Einstellungen dreht.
Als wir mit den Aufnahmen fertig sind, zittere ich bereits vor Kälte und bin froh, dass ich mir endlich eine Jacke überziehen kann. Während der Regen mich trotzdem langsam, aber sicher durchnässt, laufe ich auf den Rimberg zu, einen 497 Meter hohen Berg mit Aussichtsturm in etwa 13 Kilometern Entfernung. Als ich den Turm erreiche, hört es auf zu regnen. Aus den Baumkronen steigt fast herbstlich anmutender Dunst auf, und schüchtern durchbricht die Sonne die Wolkendecke. Magische Momente.
Oberhalb von Buchenau schlage ich schließlich mein erstes Nachtlager auf. Da das Zelten in Deutschlands Wäldern fast überall verboten ist, habe ich bloß eine Plane als leichten Wetterschutz dabei, ein Tarp, das ich jetzt an zwei Bäumen festknote und mit Heringen abspanne.
Mein Kopf ist noch voll von den Ereignissen dieses spannenden ersten Tages, als ich mich in meinen Schlafsack einkuschele, der mich in der frischen Februarnacht warm halten soll. Als Unterlage verwende ich nur eine dünne Kunststoffplane und eine alte, verknautschte Isomatte, aber das ist ausreichend, denn nicht zuletzt habe ich auch noch die weiche Blattschicht dieses Eichenwaldes unter meinem Körper. Es ist für mich nichts Neues, im Wald zu schlafen, ich fühle mich dort stets geborgen und empfinde keine Angst, auch wenn ich dann und wann ein Tier über das Laub trappeln höre. Nach Monaten der Vorbereitung hat die Wanderung jetzt wirklich begonnen, und ich bin gespannt, was mich erwartet. Es dauert einige Zeit, bis ich die Gedanken in meinem Kopf loslassen kann und einschlafe.


Ins Land der toten Fichten
Früh am nächsten Morgen bin ich wieder unterwegs und durchstreife die weiten, einsamen Wälder des Lützelgebirges, die ich beruflich so gut kenne. Ich überschreite die Sackpfeife – dieser 674 Meter hohe Berg heißt tatsächlich so! – und gelange an die Grenze zu Nordrhein-Westfalen, wo für mich Neuland beginnt. Jetzt, gegen Mittag, ist die Sonne da und wärmt mich, als ich auf einer Wiese an der Landesgrenze Pause mache und, auf meiner Plane sitzend, Schokolade esse.
Während auf der hessischen Seite Mischwald vorherrschend ist, dominiert hier ganz klar die Fichte. Im Regenschatten des Rothaargebirgskamms ist in den letzten Jahren viel weniger Niederschlag gefallen als sonst, und das hat die Fichten stark geschwächt. Sie brauchen ausreichend Wasser, um Harz zu produzieren, mit dem sie sich gegen Borkenkäfer wehren, die sich unter ihrer Rinde einnisten wollen. Außerdem werden Borkenkäfer, wie alle Insekten, durch warmes, trockenes Wetter begünstigt. In riesigen Mengen bohren sie sich durch die Rinde und legen ihre Eier ab. Die Larven, die daraus schlüpfen, fühlen sich in der zuckerhaltigen Wachstumsschicht des Baums wie im Schlaraffenland. Durch ihre Fraßgänge unterbrechen sie dann irgendwann den Stofftransport zwischen Baumkrone und Wurzeln, und die Fichte stirbt ab.
Es gibt kein wirksames Mittel gegen Borkenkäfer. Fällen und Abtransportieren des befallenen Holzes, bevor die nächsten Bäume angegriffen werden, funktioniert in der Regel nicht, denn häufig stehen gerade dann, wenn sich die Käfer in Massen vermehren, zu wenig Erntemaschinen zur Verfügung. Ganze Berghänge mit Fichten sind hier im Wittgensteiner Land abgestorben. Teilweise stehen die trockenen, graustämmigen Baumleichen noch, oft erstrecken sich aber dort, wo bisher ein grüner Wald wuchs, weite, offene Flächen. Als ich durch diese stark geschädigten Wälder wandere, beschleicht mich ein beklemmendes Gefühl. Sieht der Wald mittlerweile überall so aus? Ist das der Wald der Zukunft?
Als es Abend wird, suche ich mir in einem noch intakten, relativ jungen Fichtenbestand abseits des Wegs einen Platz, wo ich mein Tarp aufspanne. Anschließend rolle ich Unterlage und Isomatte aus, lege alles bereit, was ich noch brauchen werde, ziehe mein Schlafzeug, bestehend aus Socken, langer Hose und Sweatshirt, an und schlüpfe in den Schlafsack.
Zum ersten Mal gehe ich jetzt meinen abendlichen Pflichten nach, einer Routine, die ich für die nächsten Monate beibehalten werde: Zunächst schreibe ich Tagebuch in meine kleine Kladde. Dann esse ich erst einmal etwas. Ich habe keinen Kocher dabei, um Gewicht zu sparen, daher bleibt die Küche kalt. Wenn man jeden Tag um die 30 Kilometer zu Fuß zurücklegt, verbraucht man eine Menge Kalorien. Es ist also sehr wichtig, energiereiches Essen zu sich zu nehmen. Meine Standardabendmahlzeit besteht aus einer Mischung aus Haferflocken, Erdnüssen, Babypulver und Wasser, angereichert mit Honig, Schokocreme oder Erdnussbutter. Nach dem Essen putze ich Zähne, schließe dann meine Kamera an den Laptop an und übertrage die Bilder des Tages. Anschließend schreibe ich digital quasi ein zweites Mal Tagebuch, das ich auf meinem Blog „Waldbegeisterung“ veröffentliche. Das ist alles noch ziemliches Neuland für mich, funktioniert aber ganz gut.
Mit dem Bloggen ist noch nicht alles erledigt, Posts auf Instagram und Facebook müssen erstellt, Zuschriften beantwortet und die Termine der nächsten Tage organisiert werden. Viele der Förster, Wissenschaftler und Naturschützer, die ich in den nächsten Monaten besuchen will, habe ich schon lange vor meiner Tour angeschrieben, nun muss ich die Termine konkretisieren. Allerhand zu tun im Waldbüro!
Am nächsten Tag wandere ich durch die lang gestreckten Wiesentäler hinter Bad Laasphe in Richtung des Rothaargebirgskamms. Einige der Waldflächen hier sind gerade erst von toten Fichten geräumt worden, die durch Borkenkäferbefall abgestorben waren. Das erledigt eine große Holzerntemaschine, der Harvester, der auf Rückegassen im 20-Meter-Abstand bergab fährt, sodass die Berghänge wie mit einem Streifenmuster überzogen aussehen. Rückegassen sind unbefestigte Fahrspuren, die in der Regel mit Sprühfarbe an den Randbäumen markiert werden. Die Harvester können nur etwa zehn Meter weit greifen, und so benötigt man ein dichtes Netz, damit die Maschinen alle Bäume erreichen. In einem Arbeitsgang werden die Bäume gefällt, entastet, auf Längen zwischen zwei und zwölf Metern eingeschnitten und am Rand der Rückegassen abgelegt. Dieses Holz wird dann von einer weiteren Maschine, dem Rückezug, aufgeladen und an einen befestigten Waldweg gebracht, wo es schließlich auf einen Lkw geladen und abtransportiert werden kann. Bei einer Breite von vier Metern, die die riesigen Maschinen benötigen, werden rein rechnerisch mindestens 20 Prozent der Waldfläche befahren. In der Praxis ist es oft viel mehr, da die Berghänge meist die Form von Tortenstücken haben, wodurch die Rückegassen stellenweise sehr dicht nebeneinanderliegen.
Die feinen Bodenporen, in denen der Großteil des Bodenwassers gespeichert wird, werden schon bei einer einzigen Befahrung wie ein Schwamm zusammengedrückt, können sich aber im Gegensatz zu diesem nicht wieder ausdehnen. In den befahrenen Arealen büßt der Boden so bis zu 80 Prozent seiner Wasserspeicherkapazität ein, was natürlich gerade in diesen trockenen Zeiten das Letzte ist, was der Wald braucht. Außerdem werden die für die Baumernährung so wichtigen Pilzgeflechte unterbrochen. Die sogenannten Mykorrhizapilze umgeben die Wurzeln der Bäume mit ihren feinen Geflechten und verbessern dadurch ganz erheblich die Fähigkeit der Bäume zur Nährstoff- und Wasseraufnahme. Im Gegenzug erhalten die Pilze Zuckerverbindungen von den Bäumen, die sie nicht selbst herstellen können, weil ihnen die Blätter zur Fotosynthese fehlen. Beide Partner profitieren von dieser Symbiose genannten Zusammenarbeit, die durch die starke Befahrung der Waldböden empfindlich gestört werden kann.
Der Waldspaziergänger nimmt die Bodenschäden meist nur wahr, wenn bei Nässe tiefe Fahrspuren entstehen. Aber auch bei trockener Witterung sind die Auswirkungen der Befahrung gigantisch. Leider ist es unrealistisch zu erwarten, dass alles Holz mit Pferden oder Krananlagen aus dem Wald an die festen Wege gelangen kann, aber eine Vergrößerung des Rückegassenabstands von 20 auf 40 Meter wäre arbeitstechnisch durchaus möglich und wird in vielen naturnah arbeitenden Forstbetrieben bereits praktiziert, wie ich auf meiner Wanderung noch erleben werde. Möglichkeiten dazu liegen beispielsweise in der Kombination von Waldarbeitern und Maschinen. Die Holzernte wird so zwar etwas teurer, doch das sollte uns der Wald wert sein!
Schließlich erreiche ich den Hauptkamm des Rothaargebirges, wo sogar noch etwas Schnee liegt. Am späten Nachmittag will ich mir im Buchenwald am Hang einen Übernachtungsplatz suchen. Leider ist es hier ziemlich steil, aber dann stoße ich auf eine kreisrunde ebene Fläche. Ich vermute, dass sie ein alter Köhlerplatz ist. Vor Beginn des Steinkohleabbaus im 19. Jahrhundert war Holzkohle aus dem Wald der wichtigste Energieträger. In aufgeschichteten runden Meilern wurde vor allem Buchenholz verkohlt und so ein Brennstoff gewonnen, der viel leichter als das ursprüngliche Material war. Die hohe Nachfrage nach Holz führte zu einer starken Übernutzung der Wälder. Nicht zuletzt, um der Holzknappheit entgegenzuwirken, wurden dann auf großen Flächen Fichten angepflanzt, die robust sind und schnell wachsen. So kam diese Baumart in Gegenden, wo sie ursprünglich gar nicht heimisch war. Die runde ebene Fläche im Hang, auf der ich jetzt mein Lager aufschlage, muss einst der Standort eines solchen Meilers gewesen sein.
In der Nacht ist es so windig und kalt, dass sich der erhebliche Nachteil des Tarps gegenüber einem Zelt deutlich zeigt: Es bietet viel weniger Schutz. Ich bekomme nur wenig Schlaf, diese Nacht wird ziemlich ungemütlich … Nachdem ich wie an jedem Morgen einen Brei aus Müsli mit Babypulver gegessen habe, packe ich meine Sachen zusammen und breche auf. Ich folge einem mit Laubwald bestandenen Tal nach Latrop. Die Wiesen sind von weißem Raureif überzogen, und mein Atem bildet Wölkchen in der klaren Luft.
In Latrop treffe ich mich mit Hans von der Goltz, mit dem ich mich schon lange vor Beginn meiner Wanderung verabredet habe. Der sympathische Endsechziger strahlt gute Laune aus und hat ganz offensichtlich Humor. Er war hier 30 Jahre lang Forstamtsleiter und ist seit drei Jahren pensioniert. Nichtsdestotrotz ist er in der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) schwer aktiv, der er seit 18 Jahren als Bundesvorsitzender vorsteht. Die ANW wurde bereits 1950 gegründet und schrieb sich für die damalige Zeit revolutionäre Bewirtschaftungsgrundsätze auf die Fahnen wie das Arbeiten ohne Kahlschlag, Naturverjüngung statt Pflanzung, Mischwald statt Monokulturen sowie Wertholz- statt Massenproduktion. An einigen Beispielen im Wald erläutert mir Hans von der Goltz diese Prinzipien. So sehen wir, wie sich in eintönigen Fichtenbeständen durch behutsame Auflichtungen Buchen und Bergahorne von selbst angesamt haben, wodurch ein Mischwald aus älteren Fichten und jungen Laubbäumen entstanden ist. Ich werde auf meiner Wanderung eine ganze Reihe von Forstbetrieben besuchen, die nach den Grundsätzen der ANW arbeiten, daher ist diese Begegnung wichtig für mich.
Wir verabschieden uns erst am späten Nachmittag. Allein setze ich meinen Weg durch das große Waldgebiet am Rothaarkamm fort, während die sonnenüberfluteten Hänge langsam von den Schatten des aufziehenden Abends erobert werden. Ich wähle die Schutzhütte an der Millionenbank direkt am Rothaarsteig für mein Nachtlager aus und entrolle meine Matte auf dem nackten Hüttenboden. Der Rothaarsteig ist ein 156 Kilometer langer Fernwanderweg, der das Mittelgebirge von Norden nach Süden durchquert.
Als es schon fast dunkel ist, kommt eine ältere Frau vorbei. Erstaunt frage ich sie: „Was machen Sie denn hier zu dieser späten Stunde?“
„Och, das ist meine übliche Spazierrunde, die ich im Schlaf kenne“, antwortet sie lachend. „Und immer, wenn ich dabei irgendwo Müll herumliegen sehe, lese ich ihn auf und entsorge ihn zu Hause. Auch wenn ich nicht viel für den Wald tun kann, ist dies doch mein Beitrag, unsere Heimat sauber zu erhalten.“
Ich bin beeindruckt. Das Beispiel der Frau zeigt wieder einmal, dass sich jeder für den Wald einsetzen kann.


Die Rückkehr der Wisente
Nach einer frostigen Nacht, in der der Waldkauz in der Nähe der Hütte seine lang gezogenen Rufe erschallen ließ, bin ich bereits um sieben Uhr unterwegs. Es ist noch bitterkalt, aber die schon bald hinter den Hügeln hervorlugende Sonne verspricht einen schönen Tag, und so wandere ich mit guter Laune drauflos. Wenige Kilometer später komme ich an der Wisent-Welt vorbei, dem in Westeuropa einzigartigen Projekt zur Wiederansiedlung von Wisenten.
Der Wisent ist ein großes Wildrind und war lange Zeit in weiten Teilen Europas verbreitet. 1793 gab es noch einige der Tiere in Sachsen, aber nach dem Ersten Weltkrieg wurden die letzten frei lebenden Wildrinder im Białowieża-Urwald an der polnisch-weißrussischen Grenze und im Kaukasus ausgerottet. Glücklicherweise überlebten einige Exemplare in zoologischen Gärten und wurden Jahre später im Freiland ausgewildert, sodass es in Białowieża heute wieder über 1400 Wisente gibt.
Einen davon habe ich sogar einmal selbst bei einem Besuch in Polen gesehen, als ich den Urwald durchstreifte. Ich wusste, dass die Wildrinder dort leben, und hatte auch schon ihre Spuren bemerkt, war dann aber doch sehr überrascht, als sich aus einem Dickicht nur wenige Meter vor mir eines dieser mächtigen braunen Tiere erhob und dann gleich das Weite suchte. Da die Begegnung so plötzlich und kurz war, konnte ich gar keine Angst entwickeln, obwohl so große Tiere potenziell natürlich nicht ungefährlich sind. Der Białowieża-Urwald ähnelt einem alten Laubwald bei uns, man kann sich daher nur schwer vorstellen, dass so riesige Tiere – mit bis zu zwei Meter Schulterhöhe und einer Tonne Gewicht – dort leben. Umso stärker hat mich diese Begegnung beeindruckt – wie eine Erinnerung an eine ferne Zeit, als auch der größte Teil Deutschlands noch wilder Urwald war.
Hier in Westfalen hatte es sich Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg in den Kopf gesetzt, die erste frei lebende Population in Deutschland zu begründen, er stellte seinen Wald zur Verfügung, und engagierte Bürger gründeten den Verein „Wisent-Welt-Wittgenstein“. Im Jahr 2013 wurde die Idee dann tatsächlich Realität. Inzwischen streift eine Herde von 25 Exemplaren frei durch die Wälder des Rothaargebirges.
Allerdings hat ihre Wiederansiedlung aus wirtschaftlicher Sicht auch negative Folgen und ist daher nicht unumstritten. Die großen Tiere schälen oft die Rinde von Bäumen ab und schaffen damit Eintrittspforten für Fäulnispilze. Sogar ziemlich dicke Buchen werden so geschädigt, wie ich auf meinem Weg hierher beobachten konnte. Allerdings werden den Waldbesitzern die wirtschaftlichen Einbußen durch den Verein erstattet, der die Wiederansiedlung betreibt. Und nicht zuletzt frage ich mich: Welches Recht haben wir, einer ursprünglich heimischen Tierart die Rückkehr zu verweigern?
Zum Glück scheinen das die meisten Menschen in der Umgebung auch so zu sehen. Sie wirken durchaus stolz auf „ihre“ Wisente, wie eine Plastik am Ortseingang von Bad Berleburg mir gezeigt hat. Repräsentative Umfragen haben ergeben, dass über 80 Prozent der örtlichen Bevölkerung die Rückkehr der großen Rinder befürworten.


Vom Umgang mit Borkenkäferflächen
Als Nächstes komme ich durch das Sauer- und Siegerland und stelle fest, dass der Wald hier regelrecht durchlöchert wirkt. Alte und neue Kahlflächen werden von noch lebenden Fichtenbeständen unterbrochen. 2007 hat der Orkan Kyrill riesige Freiflächen geschaffen, auf denen jetzt überwiegend dichter junger Fichtenwald wächst.
In der Regel wird so ein Wald nicht gepflanzt, sondern ist durch Naturverjüngung entstanden. Andernorts werden solche „Katastrophenflächen“ in der Regel als Erstes von sogenannten Pionierbaumarten wie Birke und Aspe besiedelt. Diese sind auf die Bewaldung von Kahlflächen spezialisiert, indem sie reichlich Samen produzieren, die äußerst flugfähig sind. Zudem kommen sie mit den extremen Witterungsbedingungen auf Freiflächen gut klar und wachsen sehr schnell, sodass sie der Konkurrenz von Gräsern und Brombeeren rasch entkommen können. In ihrem Schutz siedeln sich dann in der natürlichen Waldentwicklung einige Jahre später empfindlichere Baumarten wie die Buche an, sodass ein Mischwald entsteht. Leider funktioniert das hier aber kaum noch, weil Birken und Aspen über Jahrzehnte als „Unkraut“ gezielt bekämpft wurden und daher kaum noch Samenbäume vorhanden sind. Stattdessen entstehen eben junge Fichtenwälder wie auch hier.
Kurz bevor ich Freudenberg erreiche, komme ich durch ein richtiges Katastrophengebiet, in dem das Abräumen der Hänge in vollem Gang ist. Es regnet, und der Himmel ist grau, passend zu dem, was sich vor meinen Augen abspielt. Die Wege sind total verschlammt und teilweise völlig zerfahren, sodass die Lastwagen die Massen von Holz, die hier gelagert sind, erst holen können, wenn teure Instandsetzungsarbeiten an den Wegen durchgeführt worden sind. Dabei ist das Holz kaum noch etwas wert, zum einen weil die Preise seit 2018 um etwa 75 Prozent eingebrochen sind, zum anderen weil das Holz der toten Bäume bereits durch Verfärbungen und beginnende Fäule stark an Qualität eingebüßt hat. Die auf wenige Meter Länge zurechtgeschnittenen Stammstücke tragen alle keine Rinde mehr, die Borkenkäferbrut ist längst ausgeflogen, daher geht von diesem Holz auch keine Infektionsgefahr mehr für angrenzende, noch halbwegs intakte Bestände aus.
Die Rückegassen verlaufen in Falllinie hangabwärts bis zu einem von Lastwagen befahrbaren Weg unmittelbar neben einem Bach. Obwohl es gar nicht so stark regnet, ist dieser bereits schlammbraun. Das ist Bodenerosion: Von den Kahlflächen abgespültes Erdreich trübt das normalerweise klare Gewässer stark ein und gefährdet sämtliche kleinen Wasserorganismen, vom Bachflohkrebs bis zur Feuersalamanderlarve. Natürlich kann ich mit bloßem Auge nicht erkennen, wie gravierend die Beeinträchtigung ist, aber dass sämtliche Ökosysteme in diesem Kahlschlagbereich in Mitleidenschaft gezogen werden, liegt auf der Hand.
Irgendwann gelange ich an einen Platz, auf dem mehrere Lkw mit osteuropäischem Kennzeichen stehen. Sie verladen das Holz in Container und transportieren es dann zu einem Hafen, von wo aus es nach Asien exportiert wird. In normalen Zeiten kann die deutsche Forstwirtschaft den Bedarf der inländischen Holzindustrie nicht decken, aber seit Beginn der Dürre 2018 ist so viel Fichtenholz auf den Markt gekommen, dass die heimische Industrie diese Mengen nicht mehr aufnehmen kann. Aufgrund des stark gesunkenen Holzpreises ergeben sich nun so widersinnige Dinge wie das Verramschen von Billigholz nach Asien.
Wenn man sich den ganzen Energieaufwand dafür anschaut, von den ungeheuren Dieselmengen, die die Harvester benötigen, über den Kraftstoff für die Lastwagen bis hin zum Schwerölverbrauch der Containerschiffe, scheint das Holz absurderweise wohl doch nicht ganz der nachhaltige Rohstoff zu sein, als der es stets propagiert wird.
Warum werden solche Abräumaktionen durchgeführt, die offensichtlich sowohl ökologisch als auch ökonomisch völlig unsinnig sind? Ich fürchte, hier spielt die deutsche Ordnungsliebe eine große Rolle: Ganze Hänge mit toten Bäumen – solch einen Anblick wollen wir doch niemandem zumuten! Da sind saubere Freiflächen, die noch dazu schöne Ausblicke gewähren, doch viel besser – oder?
Genau das Gegenteil ist der Fall! Auch die abgestorbenen Bäume sorgen noch in gewissem Umfang für Schatten und Windruhe, speichern Wasser und bilden natürliche Wildschutzzäune, wenn sie dann irgendwann umfallen. Das alles sind Faktoren, die der neuen Waldgeneration viel bessere Startbedingungen ermöglichen. Weitere Argumente gegen das Abräumen der Schadflächen sind, dass die der Sonne ausgesetzten Kahlflächen leicht mit Brombeeren, Ginster oder Gräsern zuwuchern, der wertvolle Humus im vollen Sonnenlicht schnell abgebaut wird und unter Umständen trinkwasserschädigende Stoffe freigesetzt werden.
Auch aus Klimaschutzgründen ist es besser, die toten Wälder nicht abzuräumen. Bei der natürlichen Vermoderung der abgestorbenen Baumstämme wird das gebundene Kohlendioxid nur sehr langsam über Jahrzehnte freigesetzt. Der im Boden gespeicherte Kohlenstoff bleibt erhalten, da dieser vor allem unter dem direkten Sonneneinfluss auf Kahlflächen als klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre entweicht. Dagegen wird ein Großteil des auf den Borkenkäferflächen geernteten Holzes lediglich für kurzlebige Produkte wie Verpackungsmaterial verwendet. Schon allzu bald landen solche Wegwerfprodukte im Müll und werden zur Entsorgung verbrannt. Damit ist das ursprünglich im Holz gebundene Kohlendioxid wieder in der Luft gelandet …
Als am Abend die Sonne in einen noch intakten alten Fichtenwald scheint und helle Lichtflecke auf den schattigen, mit saftig grünem Moos bewachsenen Boden wirft, bin ich fast wieder versöhnt mit der Welt, trotz all der traurigen Bilder, die ich in den letzten Tagen gesehen habe. Und auch wenn die Nächte nach wie vor sehr kalt sind, zeigen die gelb blühenden Kätzchen des Haselstrauchs mir am nächsten Tag, dass der Vorfrühling Einzug hält. Außerdem werden die Wegränder von den gelb leuchtenden Blüten des Huflattichs geschmückt. Endlich Farbe nach dem Grau des Winters. Ich freue mich schon sehr auf das weitere Erwachen der Natur!
Nach den durchlöcherten Wäldern, die ich zuletzt durchquert habe, ist der Wald der Hatzfeldt-Wildenburgschen Forstverwaltung eine wahre Wohltat: Unter den hohen Altfichten wachsen hier überall in bunter Mischung junge Buchen, Weißtannen und andere Bäume. Nachdem bei den Stürmen Vivian und Wiebke im Jahr 1990 große Schäden in dem 7000 Hektar umfassenden Gebiet entstanden waren, entschloss man sich zu einer kompletten Umstellung der Bewirtschaftung im Sinne der ANW-Prinzipien, die ich ja schon bei Hans von der Goltz kennengelernt habe. Und nach nur 30 Jahren ist das Ziel, einen Mischwald entstehen zu lassen, bereits auf großer Fläche verwirklicht! Dr. Franz Straubinger, der jung gebliebene und dynamische Betriebsleiter, mit dem ich mich treffe, fasst es sehr schön zusammen: „Vielfalt Mischwald statt Eintracht Fichte ist unser Ziel!“
Ich wandere weiter durch eine hügelige Landschaft aus Wäldern und ausgedehnten Wiesenflächen. Leider sind viele Wege asphaltiert, was nicht gerade angenehm zum Laufen ist, aber in Deutschland sehr häufig vorkommt. Und obwohl die Sonne scheint, ist es ziemlich kalt, sodass ich fast den ganzen Tag mit Daunenjacke wandere und zügig laufe, um warm zu bleiben. Auch die Nacht kommt wieder mit klirrendem Frost daher, am Morgen ist sogar das Wasser in meiner Flasche gefroren. Natürlich hätte ich meine Wanderung auch später starten können, aber ich wollte ganz bewusst den Übergang vom Winter in den Frühling erleben, daher akzeptiere ich die unangenehm kalten Bedingungen, obwohl ich mich, wenn ich ehrlich bin, auch danach sehne, dass es wärmer wird.
Am Nachmittag gelange ich nach etwa 20 Kilometern in den Nutscheid, ein großes, zusammenhängendes Waldgebiet im Bergischen Land, das schwer von den Borkenkäfern in Mitleidenschaft gezogen wurde. Unglaublich, wie radikal sich die Landschaft in wenigen Jahren verändert hat. Immerhin ist hier auch die Wiederbewaldung schon in vollem Gang. Dabei werden keine kompletten Flächen bepflanzt, wie sonst meist üblich, sondern man setzt überall punktförmig Trupps von verschiedenen Laubbaumarten auf die Kahlflächen. Ein, wie ich finde, sinnvolles Vorgehen, da so einerseits die Weichen für einen zukünftig vielfältigeren Wald gestellt werden, andererseits aber auch genügend Raum für die natürliche Entwicklung gelassen wird. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn man die Altbestände nicht komplett abgeräumt hätte.


Durch den Sturm in die Eifel
Während ich bisher meist durch Regionen gelaufen bin, die überwiegend von Nadelwald geprägt waren, erreiche ich mit dem Siebengebirge bei Bonn nach elf Tagen Wanderung endlich ein großes Laubwaldgebiet. Die Bergkuppen sind vulkanischen Ursprungs und werden von schönen alten Mischwäldern aus Buchen, Eichen, Ahornen, Eschen und anderen Baumarten bedeckt. Das Siebengebirge ist eines der ältesten deutschen Naturschutzgebiete und wurde schon 1923 als solches ausgewiesen; mittlerweile hat es eine Größe von fast 5000 Hektar.
Endlich mal keine Katastrophenflächen! Die alten, artenreichen Laubwälder mit ihren knorrigen Baumgestalten sind eine Augenweide, und so laufe ich beschwingt dahin. Dazu kommen das erste zarte Frühlingsgrün, das sich am Waldboden zeigt, und eine abwechslungsreiche Topografie aus Tälern und felsigen Kuppen. Einfach nur herrlich!
Das Siebengebirge gefällt mir sehr gut, und so bedauere ich, dass ich es schon nach wenigen Stunden durchquert habe. Bei Königswinter setze ich mit einer Fähre über den Rhein und erreiche dann den Kottenforst. Dieser ist mit 2500 Hektar zwar kleiner als das Siebengebirge und sieht als Flachlandwald ganz anders aus, ist aber ebenfalls sehr eindrucksvoll. Vor allem begeistern mich die ausgedehnten alten Eichenwälder. Der Kottenforst ist ebenfalls Naturschutzgebiet, wird aber noch bewirtschaftet. Doch man hat die Eichenbestände hier offenbar stets behutsam behandelt, denn sie wirken keineswegs ausgeplündert.
Während ich im Regen am Rand von Rheinbach ein Radiointerview gebe und die Terminplanung für die nächste Zeit vornehme, wird mir klar, dass das nasskalte Wetter eine gute Gelegenheit für eine Hotelübernachtung ist. Dabei geht es mir in erster Linie darum, an eine Steckdose zu gelangen, um Laptop, Powerbank und Fotoakkus aufzuladen. Etwa alle sieben bis zehn Tage ist das notwendig. Kurzerhand rufe ich im Hotel Nord an und erläutere mein Projekt, da touristische Übernachtungen momentan wegen der Coronapandemie nicht erlaubt sind.
Als ich eine halbe Stunde später an der Rezeption stehe, werde ich noch einmal nach meinem beruflichen Hintergrund gefragt und verweise auf meinen Blog, der auch gleich gefunden wird. Danach ist das Einchecken kein Problem mehr, ich kann meine Geräte laden, und sogar meine Wäsche wird gewaschen!
Während ich unter der heißen Dusche stehe, sinniere ich über die Annehmlichkeiten unserer Zivilisation. Im normalen Alltag ist so etwas wie eine Dusche ja nichts Besonderes, jetzt aber ruft sie regelrechte Glücksgefühle hervor! Erstaunlich, wie man durch einen minimalistischen Lebensstil die einfachen Dinge wieder richtig zu schätzen lernt.
Nach einem guten Frühstück laufe ich weiter in Richtung Eifel. Heute ist es viel milder, und mittags entdecke ich schon die ersten Ameisen, die auf ihrem Haufen in der Sonne Wärme tanken. Als krabbelnde Heizkörper wecken sie dann ihre Kollegen im Inneren der Burg. Erst hinter der A1 schlage ich in einem Kiefernwald mein Tarp auf. Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie ich die Plastikplane mit ihren diversen Laschen und Ösen verwenden kann. Manchmal spanne ich sie mit Schnüren zwischen vier Bäume; besseren Schutz bietet aber eine zeltartige Konstruktion, bei der ich die Plane mit meinen beiden Wanderstöcken aufrichte und dann mit einigen Heringen abspanne.
In der Nacht wird es ziemlich windig, sodass ich aus dem warmen Schlafsack kriechen muss, um meine Wanderstöcke ein ums andere Mal neu aufzustellen. Am Morgen tobt dann ein richtiger Sturm, die Kronen der Bäume schwingen hin und her, und es klingt, als würde ein Düsenflugzeug abheben. Kein schöner Start in den neuen Tag und im Wald auch nicht gerade ungefährlich.
Ich wandere trotzdem los. Immer wieder gehen kurze Schauer nieder, dazwischen scheint aber auch die Sonne und zaubert einen kompletten Regenbogen an den dunklen Himmel. Bereits gegen Mittag, als der Sturm etwas nachgelassen hat, erreiche ich den Nationalpark Eifel. Ich durchquere relativ jungen, dichten Buchenwald und gelange dann in große Bereiche, wo die Fichten schon seit Langem abgestorben sind und lediglich ihre nackten grauen Stämme noch stehen.
Hier zeigt sich ein Dilemma vieler deutscher Nationalparks: Von Natur aus würde es in der Eifel keine einzige Fichte geben, im Nationalpark Eifel beträgt ihr Anteil an der Waldvegetation aber 50 Prozent. Nun sollen Nationalparks eine Mindestgröße von 10000 Hektar aufweisen und gleichzeitig naturnah sein. Da es in Nordrhein-Westfalen kein Gebiet gibt, das beide Kriterien erfüllen kann, ist man mit der Ausweisung des Nationalparks Eifel im Jahr 2004 eben einen Kompromiss eingegangen und hofft, dass er sich irgendwann naturnah entwickeln wird. Das bedeutet in diesem Fall: Buchen und Eichen statt Fichten. Ich finde es sehr wichtig, der Natur Raum zu geben, wo sie sich nach ihren eigenen Regeln entfalten kann, und das ist die Zielsetzung von Nationalparks. Deren Motto lautet: „Natur Natur sein lassen“. Dabei sollten vor allem Laubwaldgebiete berücksichtigt werden, denn die sind unser eigentliches Naturerbe. Von Natur aus gäbe es in den meisten Gebieten Deutschlands gar keine Nadelbäume! Doch heute ist die Fichte mit 25 Prozent unser häufigster Waldbaum, die Buche, die ursprünglich etwa 70 Prozent der Landesfläche bedeckte, hat dagegen nur noch einen Anteil von 15 Prozent.
Ich wandere durch die steilen Hänge des Kermeters hoch über der Urft-Talsperre. Auf diesem trockenen, nährstoffarmen Standort wächst ein ausgedehnter Eichen-Buchen-Wald, in dem die Bäume aufgrund der schwierigen Verhältnisse nicht sehr dick werden, dafür aber oft ziemlich knorrig sind. Später finde ich dann einen mir halbwegs windgeschützt erscheinenden Platz für mein Tarp.
Mitten in der Nacht wache ich plötzlich auf, weil mir der Regen ins Gesicht fällt. Was ist passiert, wo ist mein Tarp? Hat der zurückgekehrte Sturm etwa meine Plane davongeweht? Meine Gedanken wirbeln umher, und ich fürchte schon, dass mir jetzt eine extrem unangenehme restliche Nacht bevorsteht. Dann merke ich aber, dass sich nur ein Hering gelöst hat, sodass die Plane zurückgeschlagen wurde. Rasch schäle ich mich aus dem Schlafsack, befestige den Hering wieder und kehre dann unter das Tarp zurück, jetzt wieder vor den Regentropfen geschützt. Noch mal Glück gehabt!

Gerald Klamer

Über Gerald Klamer

Biografie

Gerald Klamer, geboren 1967, war über 25 Jahre Förster in Hessen. Neben dem Wald gilt seine Leidenschaft dem Wandern, am liebsten in Wildnisgebieten überall auf der Welt. Er unternahm zahlreiche mehrmonatige Touren, unter anderem durch den Himalaja, die Anden, die Rocky Mountains, die Alpen und...

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