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Die Affäre Alaska Sanders Die Affäre Alaska Sanders Die Affäre Alaska Sanders - eBook-Ausgabe

Joël Dicker
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Roman

— Fortsetzung des Weltbestsellers „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“

„Die Präzision, mit der Dicker seine Geschichte entfaltet, und die verzwickten Twists, die er immer wieder bietet, garantieren immer wieder Spannung und maximales Lesevergnügen.“ - Westfälische Nachrichten

Alle Pressestimmen (36)

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Die Affäre Alaska Sanders — Inhalt

Endlich - die Fortsetzung von Joël Dickers Weltbestseller „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“

April 1999. Im friedlichen Mount Pleasant an der amerikanischen Ostküste wird die Leiche der jungen Alaska Sanders geborgen. Die Geständnisse eines Verdächtigen und seines Komplizen genügen, um die Ermittlungen zu einem raschen Erfolg zu führen.

Juni 2010. Sergeant Perry Gahalowood, der seinerzeit von der Schuld des Verdächtigen restlos überzeugt war, erhält anonym eine verstörende Nachricht. Was, wenn er damals die falsche Fährte verfolgt hat? Gemeinsam mit seinem Freund, dem Schriftsteller Marcus Goldman, dessen Erfolg „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ vor der Verfilmung steht, rollt er den Fall neu auf – und fördert Details aus Alaskas Vergangenheit zutage, die die damaligen Ereignisse in ein völlig anderes Licht rücken ...

„Eine großartige Fortsetzung, überbordend, sehr böse und virtuos. Lassen Sie sich drauf ein!“ Le Parisien weekend

€ 26,00 [D], € 26,80 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Michaela Meßner, Amelie Thoma
592 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07196-3
Download Cover
€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 28.11.2024
Übersetzt von: Michaela Meßner, Amelie Thoma
592 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32082-5
Download Cover
€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 01.06.2023
Übersetzt von: Michaela Meßner, Amelie Thoma
576 Seiten
EAN 978-3-492-60416-1
Download Cover
„Dickers verdienter Ruhm liegt im Aufbau von Spannung, im Einsetzen von Plot-Twists und im Täuschen, Verstecken und Verunsichern. Der Mörder ist immer da und trotzdem perfekt getarnt.“
Die Presse am Sonntag (A)

Leseprobe zu „Die Affäre Alaska Sanders“

KAPITEL 1

Nach dem Fall Harry Quebert

Montreal, Quebec
5. April 2010

Der Zufall wollte es, dass der Beginn der Dreharbeiten mit dem Erscheinen von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert zusammenfiel. Nach dem erfolgreichen Buch wurde der Film bereits überall begeistert gefeiert, und die ersten Bilder hatten in Hollywood Aufsehen erregt.

Während draußen ein kalter Wind die Schneeflocken umherwirbelte, hatte man im Studio fast das Gefühl, es wäre Hochsommer: In der erstaunlich realistisch wirkenden Kulisse einer belebten Straße schienen die Schauspieler und [...]

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KAPITEL 1

Nach dem Fall Harry Quebert

Montreal, Quebec
5. April 2010

Der Zufall wollte es, dass der Beginn der Dreharbeiten mit dem Erscheinen von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert zusammenfiel. Nach dem erfolgreichen Buch wurde der Film bereits überall begeistert gefeiert, und die ersten Bilder hatten in Hollywood Aufsehen erregt.

Während draußen ein kalter Wind die Schneeflocken umherwirbelte, hatte man im Studio fast das Gefühl, es wäre Hochsommer: In der erstaunlich realistisch wirkenden Kulisse einer belebten Straße schienen die Schauspieler und Statisten, die von starken Scheinwerfern angestrahlt wurden, unter einer sengenden Sonne zu brüten. Es war eine meiner Lieblingsszenen im Buch: Auf der Terrasse eines Cafés, an dem zahlreiche Passanten vorbeigehen, treffen sich die beiden Protagonisten Mark und Alicia endlich wieder, nachdem sie sich jahrelang aus den Augen verloren hatten. Worte sind überflüssig, ihre Blicke genügen, um die verlorene Zeit wettzumachen, die sie ohneeinander verbracht haben.

Ich saß hinter den Kontrollbildschirmen und verfolgte die Aufnahme.

„Schnitt!“, schrie plötzlich der Regisseur und zerstörte damit den Zauber des Augenblicks. „Die nehmen wir.“ Der erste Assistent, der neben ihm saß, gab die Anweisung über Funk weiter: „Die nehmen wir. Ende der Dreharbeiten für heute.“

Sofort verwandelte sich das Set in einen Ameisenhaufen. Die Techniker packten ihre Ausrüstung zusammen, während die Schauspieler unter den enttäuschten Blicken der Statisten, die sich über ein paar Worte, ein Foto oder ein Autogramm gefreut hätten, in ihre Garderoben zurückkehrten.

Ich schlenderte durch die Kulissen. Die Straße, die Bürgersteige, die Laternen, die Schaufenster – alles wirkte so echt. Ich betrat das Café, voller Bewunderung für die Liebe, die man hier auf jedes Detail verwandt hatte. Ich hatte das Gefühl, in meinem Roman herumzuspazieren. Ich schlich mich hinter die Theke, die mit Sandwiches und Gebäck vollgepackt war: Alles, was man auf der Leinwand sehen konnte, musste realistisch wirken.

Dieser kontemplative Moment war nur von kurzer Dauer, denn eine Stimme riss mich aus meinen Gedanken:

„Bedienen Sie heute, Goldman?“ Es war Roy Barnaski, der exzentrische Verleger von Schmid & Hanson, der meine Bücher publizierte. Er war am Morgen aus New York angereist, ohne jede Vorwarnung.

„Einen Kaffee, Roy?“, schlug ich vor und griff nach einer leeren Tasse.

„Geben Sie mir lieber eines dieser Sandwiches, ich sterbe vor Hunger.“

Ich wusste nicht, ob sie essbar waren, reichte Roy aber trotzdem kurzerhand eine Truthahn-Käse-Kombi.

„Wissen Sie, Goldman“, sagte er, nachdem er genüsslich in die dicken Scheiben gebissen hatte, „dieser Film wird ein Hit! Wir haben übrigens eine Sonderausgabe von G wie Goldstein geplant, das wird ein Hit!“

Falls Sie zu denen gehören, die Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert gelesen haben, ist Ihnen mein ambivalentes Verhältnis zu Roy Barnaski wohlbekannt. Die anderen brauchen nur zu wissen, dass er sich seinen Autoren umso wesensverwandter fühlt, je größer die Geldsummen sind, die er mit ihnen verdient. Mir hatte er zwei Jahre zuvor noch die Hölle heißgemacht, weil ich meinen Roman nicht rechtzeitig abgeliefert hatte, doch die Rekordverkäufe von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert verschafften mir nun in seinem Pantheon der Goldesel einen Ehrenplatz.

„Sie müssen auf Wolke sieben schweben, Goldman“, fuhr Barnaski fort, der offensichtlich nicht merkte, dass er mir lästig war. „Erst der Bucherfolg und jetzt dieser Film. Erinnern Sie sich noch, wie ich vor zwei Jahren alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, damit Cassandra Pollock die Rolle der Alicia bekommt, und Sie mich mit Vorwürfen überhäuften? Schauen Sie, wie sehr sich das gelohnt hat! Alle sind sich einig, dass sie sensationell ist!“

„Wie könnte ich das vergessen, Roy? Sie haben allen weisgemacht, wir hätten eine Affäre.“

„Sie sehen ja, was dabei herausgekommen ist! Ich habe eben einen guten Riecher, Goldman! Deshalb habe ich es so weit gebracht! Übrigens bin ich hier, um etwas Wichtiges mit Ihnen zu besprechen.“

Schon in dem Augenblick, da ich ihn so unverhofft am Drehort auftauchen sah, war mir klar gewesen, dass er nicht ohne Grund nach Montreal gekommen war.

„Worum geht es?“, fragte ich.

„Eine Neuigkeit, die Sie freuen wird, Goldman. Ich wollte sie Ihnen persönlich überbringen.“

Barnaski fasste mich mit Samthandschuhen an, das war kein gutes Zeichen.

„Spucken Sie es schon aus, Roy.“

Er gab sich einen Ruck: „Wir stehen kurz davor, einen Vertrag mit MGM über die Verfilmung von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert abzuschließen! Das wird ein Riesending! So riesig, dass sie ganz schnell eine Absichtserklärung unterzeichnen möchten.“

„Ich glaube nicht, dass ich es verfilmen lassen möchte“, antwortete ich schroff.

„Warten Sie, bis Sie den Vertrag gesehen haben, Goldman. Schon bei Unterzeichnung sind Sie um zwei Millionen Dollar reicher! Sie kritzeln Ihren Namen unten auf eine Seite und schwupps! – haben Sie zwei Millionen Dollar mehr auf Ihrem Bankkonto. Ganz zu schweigen von der Gewinnbeteiligung am Film und allem anderen!“

Ich hatte keine Lust zu diskutieren. „Besprechen Sie das mit meinem Agenten oder meinem Anwalt“, schlug ich vor, um die Sache abzukürzen, was Barnaski sehr ärgerte.

„Wenn mich die Meinung Ihres beschissenen Agenten interessieren würde, Goldman, wäre ich nicht hergekommen!“

„Konnte das nicht bis zu meiner Rückkehr nach New York warten?“

„Ihre Rückkehr nach New York? Sie sind schlimmer als der Wind, Goldman, Sie können nie an einem Ort bleiben!“

„Harry würde einem Film nicht zustimmen“, sagte ich und verzog das Gesicht.

„Harry?“, presste Barnaski hervor. „Harry Quebert?“

„Ja, Harry Quebert. Ende der Diskussion: Ich will keinen Film, weil ich mich nicht mehr damit befassen will. Ich will den Fall vergessen. Ich möchte ein neues Kapitel aufschlagen.“

„Hören Sie sich nur dieses Quengelbaby an!“, sagte Barnaski, der es nicht ertrug, wenn man ihm widersprach. „Man reicht ihm eine Schöpfkelle voll Kaviar, aber Baby Goldman ist trotzig und will den Mund nicht aufmachen!“

Ich hatte die Nase voll. Barnaski bereute sofort, dass er mich so überfahren hatte, und wollte es wiedergutmachen, indem er mit honigsüßer Stimme sagte: „Lassen Sie mich Ihnen das Projekt erklären, mein lieber Marcus. Sie werden sehen, wie schnell Sie Ihre Meinung ändern.“

„Ich brauche erst mal frische Luft.“

„Lassen Sie uns heute Abend zusammen essen gehen! Ich habe in einem Restaurant in der Altstadt von Montreal einen Tisch reserviert. Sagen wir, zwanzig Uhr?“

„Ich habe heute Abend eine Verabredung, Roy. Wir sprechen uns in New York.“

Ich ließ ihn mit seiner Sandwich-Attrappe in der Hand am Set stehen und ging zum Haupteingang des Studios. Kurz vor den großen Flügeltüren befand sich ein Imbissstand. Jeden Tag nach den Dreharbeiten trank ich dort noch einen Kaffee. Es bediente immer die gleiche Kellnerin. Sie reichte mir, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, einen Pappbecher mit Kaffee. Ich dankte ihr mit einem Lächeln. Sie lächelte zurück. Ich werde oft angelächelt. Aber ich weiß nicht mehr, ob die Leute mich anlächeln, den Menschen, der vor ihnen steht, oder aber den Schriftsteller, den sie gelesen haben. Wie zum Beweis zog die junge Frau ein Exemplar von Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert hinter ihrem Tresen hervor.

„Gestern Abend habe ich es zu Ende gelesen“, sagte sie. „Dieses Buch kann man einfach nicht mehr aus der Hand legen! Würden Sie es mir signieren?“

„Mit Vergnügen. Ihr Vorname?“

„Deborah.“

Deborah, natürlich. Das hatte sie mir schon zehn Mal gesagt.

Ich holte einen Stift aus meiner Tasche und schrieb auf das Deckblatt den üblichen Satz, den ich immer für meine Widmungen verwende:

Für Deborah,

die jetzt die ganze Wahrheit über
den Fall Harry Quebert kennt.

Marcus Goldman

 

„Einen schönen Tag, Deborah“, sagte ich und reichte ihr das Exemplar.

„Einen schönen Tag, Marcus. Bis morgen!“

„Da fliege ich zurück nach New York. In einer Woche bin ich wieder hier.“

„Dann also bis bald.“

Als ich gerade gehen wollte, fragte sie: „Haben Sie ihn wiedergesehen?“

„Wen?“

„Harry Quebert.“

„Nein, ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.“

Ich ging durch die Tür des Studios hinaus und stieg in den Wagen, der dort auf mich wartete. Haben Sie Harry Quebert wiedergesehen? Seit dem Erscheinen des Buches wurde ich immer wieder danach gefragt. Und jedes Mal versuchte ich, diese Frage zu beantworten, als würde sie mich überhaupt nicht tangieren. Als würde ich nicht jeden Tag darüber nachdenken. Wo war Harry? Und was war aus ihm geworden?

Nach der Fahrt am Sankt-Lorenz-Strom entlang ging es bergauf Richtung Innenstadt von Montreal, deren Wolkenkratzer sich schon bald vor mir abzeichneten. Ich mochte diese Stadt. Ich fühlte mich wohl dort. Vielleicht weil dort jemand auf mich wartete. Seit ein paar Monaten gab es endlich wieder eine Frau in meinem Leben.

 

In Montreal wohnte ich im Ritz-Carlton, immer in derselben Suite im obersten Stockwerk. Als ich das Hotel betrat, sprach der Rezeptionist mich an, um mir mitzuteilen, ich werde an der Bar erwartet. Ich lächelte: Sie war angekommen.

Ich entdeckte sie an einem Tisch etwas abseits, neben dem Kamin, wo sie, noch immer in ihrer Pilotinnenuniform, an einem Moscow Mule nippte. Als sie mich sah, begannen ihre Augen zu strahlen. Sie küsste mich, ich umarmte sie. Sie gefiel mir jedes Mal besser.

Raegan war dreißig Jahre alt, genau wie ich. Sie war Pilotin bei Air Canada. Wir waren seit über drei Monaten zusammen. Mit ihr fühlte sich mein Leben ausgefüllter an, erfüllter. Ich empfand dies umso stärker, als ich mich sehr schwergetan hatte, eine Frau zu finden, die mir wirklich gefiel.

Meine letzte ernsthafte Beziehung – mit Emma Matthews – lag fünf Jahre zurück und hatte nur wenige Monate gehalten. Nachdem ich Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert beendet hatte, nahm ich mir vor, mich nun ganz meinem Liebesleben zu widmen. Ich stürzte mich in eine Reihe von Abenteuern, die jedoch alle nicht weit führten. Vielleicht hatte ich mich zu sehr unter Druck gesetzt. Jede dieser Begegnungen wurde schnell zu einer Art Einstellungsgespräch: Ich beobachtete die Frau, mit der ich mich erst seit ein paar Minuten unterhielt, und fragte mich, ob sie eine gute Partnerin, eine gute Mutter für meine Kinder sein würde. Und im nächsten Moment mischte sich auch schon meine eigene Mutter ein, die, meinen Gedanken entsprungen, wie ein ungebetener Gast aufkreuzte. Sie schnappte sich einen leeren Stuhl, setzte sich neben die arme junge Frau und begann, unzählige Fehler an ihr festzustellen. Und so gab meine Mutter – oder vielmehr ihr Gespenst – den Kampfrichter bei unserem Date. Markie, meinst du, sie ist die Richtige?, flüsterte sie mir ihre abgedroschene Lieblingsfloskel ins Ohr, als müssten wir uns fürs ganze Leben aneinanderbinden, dabei wussten wir doch noch nicht einmal, ob wir den Abend überstehen würden. Und weil meine Mutter sich große Dinge von mir erhoffte, fügte sie hinzu: Sag mal, Markie, kannst du dir vorstellen, wie dir im Weißen Haus die Medal of Freedom verliehen wird, mit diesem Mädchen an deinem Arm? Der letzte Satzteil wurde im Allgemeinen mit großer Verachtung geäußert, als wollte sie ihr damit den Todesstoß versetzen. Und das tat sie dann auch. So kam es, dass meine arme Mutter, ohne es zu ahnen, mein unbeweibtes Leben nur noch verlängerte. Bis ich, auch das dank ihr, Raegan kennenlernte.

 

Drei Monate zuvor
31. Dezember 2009

Wie immer vor Silvester war ich nach Montclair, New Jersey, gefahren, um meine Eltern zu besuchen. Als wir im Wohnzimmer Kaffee tranken, sagte meine Mutter diesen dummen Satz, den sie manchmal von sich gab und der mich fuchsteufelswild machte:

„Was soll man dir fürs neue Jahr wünschen, mein Schatz, wo du doch schon alles hast?“

„Einen verlorenen Freund wiederzufinden“, gab ich patzig zur Antwort.

„Ist ein Freund von dir gestorben?“, erkundigte sich meine Mutter, die die Anspielung nicht verstanden hatte.

„Ich meine Harry Quebert“, erklärte ich. „Ich würde ihn gern wiedersehen. Ich will wissen, was aus ihm geworden ist.“

„Zum Teufel mit diesem Harry Quebert! Er hat dir nichts als Ärger gebracht! Echte Freunde bringen einem keinen Ärger.“

„Er hat mir geholfen, Schriftsteller zu werden. Ich verdanke ihm alles.“

„Du schuldest niemandem etwas, außer deiner Mutter, der du dein Leben verdankst! Markie, du brauchst keine Freunde, du brauchst eine Freundin! Warum hast du keine Freundin? Willst du mir keine Enkelkinder schenken?“

„Es ist nicht so einfach, jemanden kennenzulernen, Mama.“

Meine Mutter bemühte sich um einen milderen Ton: „Markie, Schatz, ich glaube, du strengst dich nicht genug an, jemanden zu finden. Du gehst nicht genug aus. Ich weiß, dass du dir manchmal stundenlang das Album mit Fotos von dir und diesem Harry Quebert ansiehst.“

„Woher weißt du das?“, fragte ich überrascht.

„Deine Putzfrau hat es mir erzählt.“

„Seit wann sprichst du mit meiner Putzfrau?“

„Seitdem du mir nichts mehr erzählst!“

In diesem Moment fiel mein Blick auf ein gerahmtes Foto, das meinen Onkel Saul, meine Tante Anita und meine Cousins Hillel und Woody in Florida zeigte.

„Weißt du, wenn dein Onkel Saul …“, flüsterte meine Mutter.

„Reden wir nicht darüber, bitte, Mama!“

„Ich möchte nur, dass du glücklich bist, Markie. Du hast keinen Grund, es nicht zu sein.“

Ich wollte einfach nur weg. Ich stand auf und schnappte mir meine Jacke.

„Was hast du heute Abend vor, Markie?“, fragte meine Mutter.

„Ich gehe mit Freunden aus“, log ich, um sie zu beruhigen.

Ich gab ihr und meinem Vater einen Kuss und ging.

Meine Mutter hatte recht: Bei mir zu Hause gab es ein Album, in das ich mich jedes Mal vertiefte, wenn mir wehmütig ums Herz wurde. Wieder zurück in New York, tat ich übrigens genau das. Ich trank ein Glas Scotch und blätterte darin. Ich hatte Harry genau ein Jahr zuvor das letzte Mal gesehen, an einem Abend im Dezember 2008, an dem er mich bei mir zu Hause besucht hatte. Seither gab es von ihm kein Lebenszeichen mehr. Durch meinen Versuch, die Mordanklage von ihm abzuwenden und seine Ehre wiederherzustellen, hatte ich ihn verloren. Ich vermisste ihn schrecklich.

Natürlich hatte ich mich bemüht, seine Spur zu finden – leider vergebens. Ich kehrte regelmäßig nach Aurora, New Hampshire, zurück, wo er die letzten dreißig Jahre gelebt hatte. Spazierte stundenlang durch die kleine Stadt. Irrte stundenlang um sein Haus in Goose Cove herum. Bei jedem Wetter, zu jeder Stunde. Ihn wiederfinden. Alles wiedergutmachen. Doch Harry tauchte nie dort auf.

Während ich in mein Album versunken war und mich wehmütig daran erinnerte, was wir einander bedeutet hatten, klingelte plötzlich mein Festnetztelefon. Einen kurzen Augenblick dachte ich, er wäre es, der anrief. Ich stürzte zum Hörer, um ihn abzunehmen. Es war meine Mutter.

„Warum gehst du denn ran, Markie?“, fragte sie vorwurfsvoll.

„Weil du mich anrufst, Mama.“

„Markie, es ist Silvester! Du hast mir gesagt, du würdest Freunde treffen! Sag mir nicht, dass du allein zu Hause sitzt und dir schon wieder diese teuflischen Fotos ansiehst! Ich werde deine Putzfrau bitten, sie zu verbrennen.“

„Ich werde sie entlassen, Mama. Deinetwegen hat eine tüchtige Frau gerade ihren Job verloren. Bist du nun zufrieden?“

„Du sollst rausgehen, Markie! Ich weiß noch, wie du früher, als du noch in der Schule warst, den Jahreswechsel immer am Times Square gefeiert hast. Ruf ein paar Freunde an und geh raus! Das ist ein Befehl! Seiner Mutter muss man gehorchen.“

Also machte ich mich auf den Weg zum Times Square, allein, denn in New York hatte ich keine Freunde, die ich hätte anrufen können. Als ich bei dem Platz ankam, auf dem die Menschen sich zu Hunderttausenden drängten, fühlte ich mich gut. Friedlich. Ich ließ mich mit der Menge treiben. Und da begegnete ich dieser jungen Frau, die aus einer Flasche Champagner trank. Sie lächelte mich an. Und war mir auf Anhieb sympathisch.

Als es Mitternacht schlug, küsste ich sie.

So trat Raegan in mein Leben.

 

Nach dieser Begegnung besuchte Raegan mich mehrmals in New York, und wir trafen uns in Montreal, wenn ich zu den Dreharbeiten fuhr. Im Grunde kannten wir uns immer noch kaum, dabei waren wir schon seit drei Monaten zusammen. Wir planten unsere nächsten Treffen zwischen zwei Flügen oder zwei Drehtagen. Doch an jenem Abend im April, in der Bar des Ritz in Montreal, merkte ich, wie viel ich für sie empfand. Und während wir uns über alles Mögliche unterhielten, bestand sie mit links den Test als zukünftige Ehefrau und Mutter meiner Kinder: Ich stellte mir verschiedene Lebenssituationen vor, und in jeder einzelnen konnte ich sie mir bestens an meiner Seite denken.

Raegan flog am nächsten Morgen um sieben Uhr nach New York-JFK. Als ich ihr vorschlug, irgendwo essen zu gehen, meinte sie, wir sollten lieber im Hotel bleiben.

„Gerne, das Hotelrestaurant ist sehr gut“, sagte ich.

„Dein Zimmer ist noch besser“, erwiderte sie lächelnd.

Wir zogen uns in meine Suite zurück, wo wir lange in der riesigen Badewanne lagen und im Schutz des heißen Schaumbades durch das Panoramafenster den Schnee bewunderten, der stetig auf Montreal fiel. Dann ließen wir den Zimmerservice kommen. Alles schien einfach, zwischen uns bestand eine Art Osmose. Ich bedauerte nur, dass ich nicht mehr Zeit mit Raegan verbringen konnte. Der Grund: die geografische Entfernung (ich lebte in New York und sie in einer kleinen Stadt eine Stunde südlich von Montreal, in der ich noch nie gewesen war), vor allem aber ihr straffer Flugplan, der ihr nicht viel Freizeit ließ. Auch dieses Treffen bildete keine Ausnahme von der Regel, und es wurde eine kurze Nacht: Um fünf Uhr morgens, als das Hotel noch schlief, waren Raegan und ich schon aufgestanden. Durch die Badezimmertür betrachtete ich sie. Sie trug ihre Uniformhose, aber sonst nur einen BH und schminkte sich, während sie eine Tasse Kaffee trank. Wir würden beide nach New York aufbrechen, jedoch getrennt reisen. Sie würde den Luftweg nehmen und ich die Straße, denn ich war mit dem Auto hergekommen. Ich fuhr sie bis zum Flughafen Montreal-Trudeau. Als ich vor dem Terminal anhielt, fragte mich Raegan: „Warum bist du nicht mit dem Flugzeug gekommen, Marcus?“

Ich zögerte einen Moment, denn ich konnte ihr ganz bestimmt nicht gestehen, warum ich diese Entscheidung getroffen hatte.

„Ich mag die Strecke zwischen New York und Montreal“, log ich.

Sie gab sich nur halb mit dieser Erklärung zufrieden.

„Sei ehrlich, du hast doch nicht etwa Flugangst?“

„Natürlich nicht.“

Sie küsste mich und beruhigte mich mit einem: „Ich mag dich trotzdem.“

„Wann sehe ich dich wieder?“, wollte ich wissen.

„Wann kommst du denn wieder nach Montreal?“

„Am 12. April.“

Sie sah in ihren Kalender: „Ich werde über Nacht in Chicago sein, und dann folgt eine Woche mit Schichtwechsel in Toronto.“

Sie sah meine enttäuschte Miene. „Anschließend habe ich eine Woche frei. Ich verspreche dir, dann werden wir Zeit füreinander haben. Wir werden uns in deinem Hotelzimmer einschließen und uns nicht vom Fleck rühren.“

„Wie wäre es, wenn wir ein paar Tage wegfahren würden?“, schlug ich vor. „Weder New York noch Montreal. Nur du und ich, irgendwohin.“

Sie nickte begeistert und schenkte mir ihr schönstes Lächeln. „Das würde mir sehr gefallen“, flüsterte sie, als wäre es ein beinahe anzügliches Geständnis.

Sie küsste mich lange, dann stieg sie aus dem Auto und ließ mich mit vielen Hoffnungen zurück, was aus uns beiden werden könnte. Während ich zusah, wie sie im Flughafengebäude verschwand, beschloss ich, einen romantischen Trip zu einem Hotel auf den Bahamas zu organisieren, von dem ich gehört hatte: Harbour Island. Sofort griff ich nach meinem Handy und suchte die Website des Hotels. Es lag auf einer Privatinsel und sah paradiesisch aus. Hier würden wir ihre freie Woche verbringen, am Sandstrand eines türkisfarbenen Meeres. Ich buchte sofort und machte mich dann auf den Rückweg nach New York.

Ich fuhr durch die Cantons-de-l’Est bis nach Magog – wo ich anhielt, um einen Kaffee zu kaufen – und dann hinunter in die kleine Stadt Stanstead, die an die USA grenzt und von der Sie vielleicht schon gehört haben, weil es dort die einzige Bibliothek der Welt gibt, die sich genau zwischen zwei Ländern befindet.

Als ich die Grenze überquerte, fragte mich der amerikanische Zollbeamte, der meinen Pass kontrollierte, mechanisch, woher ich kam und wohin ich wollte. Als ich antwortete, ich käme aus Montreal und wollte nach Manhattan, stellte er fest: „Das ist nicht der direkteste Weg nach New York.“ In der Annahme, ich hätte mich verfahren, erklärte er mir, wie ich zur Route 87 gelangen konnte. Ich hörte ihm höflich zu und hatte nicht die geringste Absicht, seinen Anweisungen zu folgen.

Ich wusste genau, wohin ich wollte.

Ich war auf dem Weg nach Aurora, New Hampshire. Dorthin, wo mein Freund Harry Quebert den größten Teil seines Lebens verbracht hatte, bevor er verschwunden war, ohne eine Adresse zu hinterlassen.

Joël Dicker

Über Joël Dicker

Biografie

Joël Dicker wurde 1985 in Genf geboren. Seine Bücher „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ und „Die Geschichte der Baltimores“ wurden weltweite Bestseller und über sechs Millionen Mal verkauft. Für „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, das in Frankreich zur literarischen Sensation des...

Pressestimmen
Die Presse am Sonntag (A)

„Dickers verdienter Ruhm liegt im Aufbau von Spannung, im Einsetzen von Plot-Twists und im Täuschen, Verstecken und Verunsichern. Der Mörder ist immer da und trotzdem perfekt getarnt.“

Kurier

„Der Schweizer Autor versteht es meisterhaft, Details einzustreuen, die sich wie Puzzleteile nach fast 600 Seiten zu einem Lösungsbild fügen. Selbstredend, ein anderes als gedacht.“

Westfälische Nachrichten

„Die Präzision, mit der Dicker seine Geschichte entfaltet, und die verzwickten Twists, die er immer wieder bietet, garantieren immer wieder Spannung und maximales Lesevergnügen.“

Westfälischer Anzeiger

»Das Besondere an ›Die Affäre Alaska Sanders‹ sind aber nicht nur die bis zur letzten Seite hoch gehaltene Spannung und die stets neuen Wendungen in der Betrachtung des Verbrechens – Joël Dicker versteht es auch meisterhaft, seine bisherigen Bücher in das neue zu integrieren, Bezüge herzustellen, die die Lektüre zum doppelten Vergnügen machen.«

Österreich

„Fans von Autor Joel Dicker können sich freuen, denn die Fortsetzung ist würdig, ein wahrer Pageturner rund um ein schreckliches Verbrechen.“

lesenbringtwas

„Chapeau, Monsieur Dicker!“

bbbucherbilder.home.blogspot

„Packend, unterhaltsam, reich an überraschenden Wendungen.“

fraugoetheliest.com

„Er weiß den Spannungsbogen aufzubauen und mit diversen Wendungen zu halten. (…) Der Erzählstil ist bei diesem Buch gewohnt kraftvoll. Es ist ein würdiger Nachfolger des 2012 erschienenen Krimis ›Die Wahrheit über Harry Quebert‹.“

helenas_buchliebe

„Joel Dicker schreibt sehr atmosphärisch und schafft es, wie kaum ein Anderer den Leser komplett in die Geschichte eintauchen zu lassen und sich wie ein Teil der Gemeinschaft zu fühlen.“

Luzerner Zeitung

„Seine Literatur lässt sich ohne Abwertung auf das Prinzip Pageturner reduzieren, das er perfekt beherrscht. Seine Plots treiben unseren Puls in die Höhe.“

booksurfer

„›Die Affäre Alaska Sanders‹ konnte meine hohen Erwartungen absolut übertreffen. Das Buch liefert nicht nur einen spannenden Cold Case Fall, sondern auch interessante Charaktere und ein Wiedersehen mit alten Freunden. Das Ende teasert auch schon eine weitere Fortsetzung an. Für mich definitiv ein Jahreshighlight und eine absolute Leseempfehlung.“

wir-besprechen-spannendes.de

„›Die Affäre Alaska Sanders‹ ist ein sehr gut gelungener, unterhaltsamer und ganz besonders fesselnder Page-Turner.“

lovelybooks.de

„›Die Affäre Alaska Sanders‹ ist ein unheimlich spannender Roman, der den Leser einfängt, ihn bis zum Ende zu lesen.“

Kronen Zeitung

„Dicker hat wieder einen fesselnden Pageturner für den Sommerurlaub geliefert!“

SWR3 „Play“

»Es ist mehr als nur ein weiterer Krimi. Denn Joël Dicker hat dieses Talent, sehr lang und dabei sehr kurzweilig zu schreiben.«

Stern

„Dicker springt wie gewohnt und recht gekonnt zwischen den Zeiten und Handlungsebenen umher und fesselt sein Publikum bis zur letzten Seite. Ein Buch, das unbedingt auf die oberen Plätze jeder Urlaubslektüren-Liste gehört.“

www.literatur-blog.at

„Ein klug geschriebener und raffiniert konstruierter Thriller, der von Anfang bis Ende in Atem hält. So viele Details und Wendungen in einer Story unterzubringen, bei der man doch immer den Überblick behält, ist wirklich großes Kino!“

Goslarsche Zeitung

»Falls Sie die Bücher von Joël Dicker noch nicht kennen sollten, beneide ich Sie fast ein wenig, da Sie die Spannung, den Spaß und die Bekanntschaft mit dem charmanten Marcus Goldman noch dreifach vor sich haben.«

Kulturtipp

»Joël Dicker schreibt wie immer kurzatmig und schnell. Die Leichen türmen sich, Cliffhanger jagt Cliffhanger, und falsche Fährten finden sich allenthalben. Die Perspektiven wechseln ständig, ebenso die Zeitebenen – langweilig wird es nie.«

Heilbronner Stimme

„Mit ›Die Affäre Alaska Sanders‹ ist Dicker ein weiterer Pageturner gelungen, indem er seinem Thema treu bleibt, aber ausreichend Raffinesse mitbringt, um es bis zum Ende überraschend weiterzutreiben.“

Erwin-Magazin

„Ein gelungener Krimi-Schmöker mit tiefen menschlichen Abgründen – und eine gelungene Fortsetzung, die Lust auf mehr macht.“

Der Freitag

„Ein Pageturner, mit philosophischem Ansatz.“

Rhein-Neckar-Zeitung

»Joël Dicker ist ein großartiger Erzähler und das stellt er erneut eindrücklich unter Beweis. Einerseits, weil sich der Leser mit den liebevoll gezeichneten Figuren sofort freundschaftlich verbunden fühlt. Andererseits, weil die Geschichte mit all ihren Verstrickungen so packend ist, dass sie von den Ermittlern nur Stück für Stück entwirrt wird – und sie immer wieder auf Abwege bringt.«

roxyspodcast

„Joel Dicker ist wirklich Meisterklasse.“

Fernsehwoche

„Großartig und böse“

Lippische Landes-Zeitung

„Es entwickelt sich ein spannender Roman, kaum aus der Hand zu legen.“

Münchner Merkur

„Ein detailreicher und klug aufgebauter Fall, der durch fein gezeichnete Charaktere und hohe literarische Qualität brilliert.“

Radio Mülheim

„Eine überaus clever konstruierte Story, bei der der Leser oftmals an der Nase herumgeführt wird und die diesen Roman, der mehr als nur ein Krimi ist, zu einem echten Leseerlebnis macht.“

NDR Kultur „Neue Bücher“

„Er ist dabei sehr geschickt, die Spannung steigt im Laufe des fast 600 Seiten langen Romans stetig. Irgendwann möchte man es einfach nur noch wissen - der Pageturner-Effekt. Hier, bei der Entwicklung des äußerst komplexen Kriminalfalls, erweist Dicker sich als Virtuose. Gekonnt legt er Spuren aus, die sich erst im Nachhinein ganz erschließen.“

Kleine Zeitung NL

„Das bekannt-bewährte Muster, nach dem Joel Dicker die Einwohner von Mount Pleasant vorführt, Verschwiegenes, Geheimnisse, Abgründe und Verbindungen aufdeckt, ist spannend zu lesen und fesselnd bis zum Schluss.“

OÖ Nachrichten

»Der Bestsellerautor Joël Dicker hat es wieder geschafft, den Leser von der ersten bis zur letzten Seite in den Bann zu ziehen. Dieser fesselnde Krimi, der ständig mit Wahrheiten und Zeitebenen spielt, ist Erzählkunst auf höchstem Niveau. Aber Achtung: Suchtgefahr!«

Ö1 "Ex Libris"

„Man erkennt hier einen Joel Dicker, der zu fesseln weiß.“

vonne-emscher.com

»Joël Dicker hat einen ganz besonderen Schreibstil, flüssig, leicht zu lesen, aber mit einem eindringlichen Rhythmus.«

veralitera

»Falls ihr Joël Dicker noch nicht kennt, wird es höchste Zeit!«

TV Media

„Clever konstruiert.“

07 Das Magazin

„Das Buch mit Verwirrungen, jähen Wendungen und einer völlig überraschenden Lösung ist kurzweilig, spannend, flott geschrieben, trotz vieler Rückblenden überschaubar - und mit Genuss zu lesen.“

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