Die Haischwimmerin Die Haischwimmerin - eBook-Ausgabe
Kriminalroman
„Heinrich Steinfest, Österreicher in Stuttgart, verschiebt in seinen Krimis die Wirklichkeit um ein paar Meter wunderbar ins Absurde.“ - Sächsische Zeitung
Die Haischwimmerin — Inhalt
Meisterpolizistin Lilli Steinbeck hat eine Vergangenheit namens Ivo. Als Ivo durch einen rätselhaften Auftrag aus seinem beschaulichen, aber lillilosen Leben als Baumheiler gerissen wird, bekommt diese Vergangenheit plötzlich Gegenwart eingehaucht. Ivo soll für ein Pharmaunternehmen einen Baum aus der sibirischen Tundra holen. Der Auftrag führt ihn in eine unterirdische Verbrecherrepublik – und vielleicht brauchte es genau diesen Umweg, damit Ivo Lilli noch einmal begegnen könnte.
Leseprobe zu „Die Haischwimmerin“
Die Orte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Rom: Der Ort, an dem sich Lilli und Ivo erstmals begegnen. Ein Ort, dessen Luft mit bewußtseinsverändernden Giftstoffen angereichert scheint, die von exorzistischen Praktiken des Vatikans herrühren könnten.
Giesentweis: Ort mit Schnee.
Warschau: Großer Ort mit Schnee.
Ochotsk: Kleiner Ort ebenfalls mit Schnee. Verwunschene Ansiedlung an der Nordwestküste des Ochotskischen Meers, die ihre besseren Zeiten hinter sich hat. Vom einstigen Kosakenlager über eine gewisse sowjetische Bedeutung zur neurussischen [...]
Die Orte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Rom: Der Ort, an dem sich Lilli und Ivo erstmals begegnen. Ein Ort, dessen Luft mit bewußtseinsverändernden Giftstoffen angereichert scheint, die von exorzistischen Praktiken des Vatikans herrühren könnten.
Giesentweis: Ort mit Schnee.
Warschau: Großer Ort mit Schnee.
Ochotsk: Kleiner Ort ebenfalls mit Schnee. Verwunschene Ansiedlung an der Nordwestküste des Ochotskischen Meers, die ihre besseren Zeiten hinter sich hat. Vom einstigen Kosakenlager über eine gewisse sowjetische Bedeutung zur neurussischen Depression. Aber nicht ohne Charme, wie so viele Alpträume.
Dschugdschur: Der Dschugdschur, Gebirgsgegend, halb so groß wie Deutschland, jedoch frei vom Tourismus. Beinahe frei. Offiziell dreitausend Bewohner, die man erst einmal aufstöbern muß.
Toad’s Bread: Unterirdische Stadt irgendwo im Dschugdschur. Verbrecherrepublik, gut organisiert. Inoffiziell vierzigtausend Leute, die man aber auch erst einmal aufstöbern muß.
Die Personen in der Vergangenheit
Lilli Steinbeck: Frau mit einem unsichtbaren Pfeil in der Brust. Zudem trägt sie in ihrem Gesicht eine verunfallte Nase, als Zeichen eines tiefen Schmerzes. Eines Schmerzes, den Lilli niemals vergessen möchte.
Ivo Berg: Mann mit einem unsichtbaren Pfeil in der Brust. Einst blind. Dann sehend. Mittlerweile Baumpfleger, der mit Bäumen redet. Erhält einen Auftrag, der ihn nach Russisch-Fernost führt. – Aufträge kommen in die Welt, damit die Welt kompliziert wird.
Dr. Kowalsky: Notar in Giesentweis. Sammler christlicher Kunst. Desillusioniert, was das menschliche Wesen betrifft. Er wird es sein, der Ivo Berg den Auftrag übermittelt.
Marlies Kuchar: Die Vererberin. Vermacht Lilli ein Haus. Damit beginnt das Unglück. Denn in jedem Erbe steckt das Unglück wie ein schlagendes Herz.
Moritz: Ein Junge aus Giesentweis. Wird von Ivo Berg unerbetenerweise gerettet. Dementsprechend sehen die Folgen dieser Rettung aus.
Eila von Wiesensteig: Freifrau und Freidenkerin. Eine Figur aus dem Roman Ein sturer Hund. Taucht nur kurz auf, aber bedeutsam. Ohnehin die beste Art, aufzutauchen.
Die Personen in der Gegenwart
Spirou: Dreizehnjähriger Junge aus Ochotsk, elternlos, lebenserfahren, dient Ivo Berg als Führer. Trägt zu jeder Zeit ein rotes, fleckiges Pagenkostüm und spricht perfekt Deutsch. Beides, wie auch sein Name, ist dem leidenschaftlichen Studium von Band 13 der Comicserie Spirou und Fantasio zu verdanken.
Professor Oborin: Naturwissenschaftler, Mystiker, aber nicht Magier, vor allem Telephonspezialist.
Galina Oborin: Des Professors Tochter, ihres Zeichens Suppenköchin, zudem taubstumm, sagt man. Aber was sagt man nicht alles?
Lopuchin: Gehört zur Fraktion der „Superschurken“, fungiert als der „Zar“ von Ochotsk, gibt sich bösartig und charmant und pflegt die Unart, seine Lieblingsfeinde mit einem Stigma aus fünf kleinen Wunden zu versehen.
Spiridon Kallimachos: Ehemaliger Detektiv. Der dickste, den die Welt je gesehen hat, ziemlich unbeweglich. Muß sich auch nicht mehr bewegen, seit er von den Einheimischen des Dschugdschurgebirges in einer Sänfte herumgetragen wird. Das Gerücht besagt, er sei unverwundbar.
Die Personen in der Zukunft
Kommissar Yamamoto: Seines Zeichens moderner Samurai. Vertritt die alte Bushidô-Anschauung, der Weg des Kriegers liege im Sterben. Doch in Toad’s Bread zu sterben ist gar nicht so einfach.
Madame Fontenelle: Französin in Toad’s Bread. Siebzigjährig, elegant, kämpferisch, gelenkig, eine steinfeste Frau. Darauf bedacht, das Geheimnis der Stadt auch als ein solches zu bewahren.
Dr. Ritter : Ungar in Toad’s Bread. Zahnarzt. Daneben Mitarbeiter von Madame Fontenelle. Mit einer Narbe an der Wange, die genauso aussieht wie die von Ivo Berg.
Giuseppe Tyrell: Erinnert an James Mason, ist aber der Puppenmacher in dieser Geschichte. Ein herrschaftlicher Mann im Smoking. Fertigt Ongghots an, schamanistische Fellpuppen. Daneben unternimmt er es, seine Kundschaft phototechnisch zu dokumentieren.
Breschnew/Romanow: Der Jäger in dieser Geschichte. Man könnte ihn auch als den Undurchsichtigen bezeichnen, der sich auf der Jagd nach etwas Durchsichtigem befindet.
Die Pilze, die Tiere und die Pflanzen
Amanita muscaria: Besser bekannt als Fliegenpilz, nicht so bekannt unter dem Begriff Krötenbrot (Toad’s Bread). Gibt also der Verbrecherrepublik seinen Namen. Und bewirkt auch sonst viel Gutes.
Das Schneeschaf: Wildes Schaf im Nordosten Sibiriens, Opfer unsinniger Jagdleidenschaft.
Die Dahurische Lärche: Im konkreten Fall eine bislang unbekannte Varietät. Ein Baum der anderen Art und Objekt der Begierde. Das absolute Zentrum dieser Geschichte.
I
Vergangenheit
– Sind Sie verletzt, Madam?
– Ich bin tot, Sir.
– Tot. Das ist ernst. Kann ich helfen?
– Werden Sie mich heiraten?
– Madam, ich täte es mit Freuden,
aber ich fürchte, ich habe mir den Knöchel verstaucht.
(Billy Zane und Tilda Swinton
in Sally Potters Film Orlando)
Oft nehmen wir auch nicht einmal wahr,
daß wir im Inneren gar so blind sind.
(Thomas von Kempen,
Die Nachfolge Christi)
1
Jeder Mensch stirbt zweimal. Bekanntermaßen am Ende seiner Jahre, aber auch irgendwann zwischendrin. Das hat aber überhaupt nichts mit jenem James-Bond-Titel zu tun, der uns weiszumachen versucht, man würde zweimal leben. Denn zwischen Leben und Sterben gibt es ja wohl einen Unterschied. Wenn man stirbt, ist man nachher auch tot. Ein zweites Mal zu sterben bedeutet nicht automatisch, auch ein zweites Mal zu leben. Nein, leben tut man nur einmal.
Manche bemerken diesen ersten Tod augenblicklich, andere nach und nach. Meistens tritt er ein, wenn man von einer so absoluten wie schmerzhaften Erkenntnis ereilt wird, ganz wie ein Pfeil, der mitten in die Brust geht und einen tötet. Man läuft den Rest seines Erdendaseins mit diesem Pfeil in der Brust durch die Gegend. Das ist nicht nur ein Bild. Dieser Pfeil steht einem tatsächlich im Wege, beim Arbeiten, beim Faulenzen, beim Liebemachen. Erst recht, wenn auch die andere Person, mit der man da zusammenliegt, einen solchen Pfeil in der Brust trägt. Man kann sich drehen und wenden, wie man will, die verrücktesten Stellungen ausprobieren, zum Therapeuten gehen, Sport treiben, Gewicht verlieren, in den Bauch statt in die Brust atmen, Faktum bleibt, da ist ein Pfeil und dort ist ein Pfeil und die Umständlichkeit beträchtlich.
Natürlich, man gewöhnt sich an den Pfeil, an die Komplikationen, die er verursacht. Nicht wenige Menschen machen aus der Not eine Tugend und sprechen von Überwindung, von Heilung, von Lebensmut. Sie betteln richtiggehend darum, von weiteren Pfeilen getroffen zu werden, um sich unentwegt überwinden und heilen zu können. Aber so, wie es heißt, jeder Mensch müsse irgendwann einmal sterben, stirbt jeder Mensch eben bloß zweimal und nicht etwa, so oft es ihm paßt.
Im ersten Teil eines zweiteiligen Auf-der-Erde-Wandelns läuft man dem Pfeil entgegen, man ist, in anderer Bedeutung der Formulierung, ein „bewegliches Ziel“, das sich unwillentlich in die Flugbahn eines Pfeils stürzt. Manche können sich hinterher kaum noch daran erinnern, wie das war, so ganz ohne das Ding in der Brust. Einige idealisieren diese Zeit. Andere wiederum meinen – um den Pfeil besser auszuhalten –, daß diese Zeit gar nicht so schön war und daß die, die so gerne daran zurückdenken, alles nur verklären.
Ivo Berg gehörte zu den aufgeklärten Verklärern. Er verklärte, was es verdient, verklärt zu werden. Er war unmodern, aber nicht ungebildet. Er wäre nie auf die Idee gekommen, die Schönheit der Heiligen Jungfrau so darzustellen wie Max Ernst, der uns eine ungehaltene Maria präsentiert, die dem Christuskind den Hintern versohlt, bis dieser rot glüht. – Das ist ein geniales Bild, keine Frage. Ivo erkannte das unübersehbar Geniale, mochte es aber trotzdem nicht. Statt dessen Raffael. Ivo war ein Raffaelmensch.
Darf einer sagen, er hätte in seinem Leben echtes Glück erfahren ?
Ivo Berg durfte es. Er konnte das allen Ernstes von sich geben. Nicht einfach nur behaupten, weil man denkt, das Haus der Eltern geerbt, die Tochter des Chefs geheiratet, ein paar stramme Kinder in die Welt gesetzt zu haben, bei der Besetzung eines Postens anderen vorgezogen worden zu sein, dies und anderes würde echtes, wahres Glück bedeuten.
Diesen Irrtum beging er nicht. Er war dem Glück begegnet, wußte, wie es schmeckt, wie es riecht, wie es sich anfühlt und daß es vor allem nicht umsonst ist. Man muß es bezahlen. Auf eine gewisse Weise bezahlt man es mit dem eigenen Leben, mit dem, was vom Leben übrigbleibt, wenn das Glück wieder gegangen ist. Und daß das Glück geht, daß es verschwindet, ist wahrscheinlich sein wesentlichster Zug. Ohne diesen Plan des Verschwindens könnte es gar nicht existieren. Das Glück geht, der Pfeil kommt.
Doch solange das Glück da ist, ist man so blind und blöd davon, daß man nicht begreift, es sei einem nur darum widerfahren, weil man zu denen gehört, die es nicht festhalten können. Die, die dazu in der Lage wären, es festzuhalten, toughe, smarte, praxisorientierte Charaktere, wie man so sagt, lebenstüchtige Menschen, um die herum macht das wahre Glück einen großen Bogen, und es ist bloß ein gefälschtes Glück, das sich hergibt, solchen Leuten zu begegnen.
Paradoxerweise sind es also die von Natur aus eher unglücklichen und schwermütigen und in ihren Ängsten gefangenen Gemüter, die sich eignen, echtes Glück zu erfahren.
Ist das Glück darum bösartig zu nennen? Hinterlistig? Ivo hätte geantwortet: Na, das kann man wohl sagen!
Doch wäre er nochmals vor der Wahl gestanden, diesmal wissend … keine Frage, er hätte sich erneut in die Katastrophe begeben und dankbar sein Schicksal angenommen.
Das Glück ist verrückt nach solchen Leuten wie Ivo. Solche Leute sind Leckerbissen für das Glück. Das Glück frißt sie mit Haut und Haar und spuckt nachher ein paar Knochen aus.
Und genau so, mußte man sich vorstellen, sah dieser Mann aus: ein paar ausgespuckte Knochen. Nicht, daß er unattraktiv gewesen wäre, aber es waren eben allein Knochen, aus denen sein attraktives Äußeres sich zusammensetzte. An ihm klebte das durch das Glück geborene Unglück und verlieh ihm eine Aura. Die Frauen sagten gerne: Er hat so traurige Augen. Diese traurigen Augen waren geradezu eine Eintrittskarte in die Herzen vieler Frauen. Sie wollten von diesem Mann verstanden werden. Nicht, daß das seine Spezialität war, diese Verstehensschiene. Aber die Frauen glaubten es, weil sie den Schatten in seinen Augen so mochten.
Als er Lilli Steinbeck das erste Mal begegnete, war er gerade blind. Oder wenigstens fast blind. Damals in Rom, Ende der Achtziger. Ein Jahr zuvor hatte sich Ivo auf einer Pakistanreise eine unspezifische Krankheit zugezogen und war daraufhin mehrere Monate Patient gewesen. Am Ende dieser Leidenszeit, als die Fieberschübe, die massiven Ausschläge, der Druck auf die Lunge, ja sich die Lebensgefahr gelegt hatten, war gleich einem erstaunlichen Nachwort – als wollte das Nachwort die eigentliche Geschichte übertreffen – etwas eingetreten, das die Mediziner als idiopathischen Blepharospasmus bezeichnen, eine Form des Lidkrampfs, deren Ursache allgemein als uneindeutig gilt. Zwar bot sich in Ivos Fall aufgrund der Virusgeschichte ein Infektionsherd als Auslöser an, aber der behandelnde Arzt meinte, er würde eher einen psychischen Hintergrund vermuten, eine posttraumatische Erscheinung. Eine Reaktion auf das Kranksein an sich, die Todesnähe, die Ivo seiner pakistanischen „Eroberung“ verdankt habe.
Es war nicht so, daß er die ganze Zeit die Augen geschlossen hatte. Gemäß dem gängigen Krankheitsbild besserte sich der Zustand während der Nachtzeit. Allerdings wurde Ivo gegen Abend hin ungemein müde, müde vom Tage, von der vormittäglichen Blinzelei und dem nachmittäglichen völligen Augenverschluß, und anstatt also die Besserung zu genießen, schlief er immer sehr rasch ein, um sich dann während des Schlafs Angstträumen vom dauerhaften Erblinden hinzugeben. Nur beim Frühstück, da ging es gut. Doch spätestens gegen die frühe Mittagszeit hin wiederholte sich das Drama. Er war ab dann gezwungen, sein verkrampftes Antlitz hinter der größtmöglichen Sonnenbrille zu verbergen. Außerdem benötigte er Hilfe, da er vermeiden wollte, gleich einem perkussiven Wünschelrutengeher mit einem Stock herumzulaufen und die Häuserwände und Gehwege abzuklopfen. Er war ja nicht wirklich blind, sondern nur unfähig, seine Lider zu öffnen. Zudem hatte ihm der Arzt versichert, die Sache würde sich wieder geben, denn eine erbliche Vorbelastung, wie sie oft bestehe, sei in seinem Fall auszuschließen. – Freilich fragte sich Ivo, wie der Arzt da so sicher sein konnte, wo doch er selbst, Ivo, nicht mal über seine Urgroßmutter Bescheid wußte. Andererseits wollte er dem Fachmann gerne glauben. Zudem existierte eine Therapieform, nämlich die Behandlung mit Botulinumtoxin – richtig, das Zeug gegen die Falten! –, die als äußerst vielversprechend galt. Nur wollte man damit noch warten, bis die anderen Folgen des pakistanischen Virus vollständig ausgeheilt waren. Es war ein Krieg an vielen Fronten.
Um nun also ohne Stock oder Hund oder dank einer mühsam eingeübten Schrittfolge durch die Stadt zu gelangen, wechselten sich ein paar gute Freundinnen ab, die Ivo an den Arm nahmen und ihm halfen, sich dort hinzubegeben, wo er sich hinbegeben wollte. Im Grunde besaß er bereits damals – obgleich noch jung, nämlich zweiundzwanzigjährig, obgleich noch kein einziges Mal gestorben – diesen Charme trauriger Augen. Die meisten Frauen verfügen diesbezüglich über einen Röntgenblick, mit dem sie nicht nur durch schwärzeste Sonnenbrillen sehen können, sondern eben auch durch geschlossene Lider. Kein trauriges Männerauge entgeht einer schauenden Frau.
In dieser Zeit in Rom gehörte Ivo zu einer Clique deutschsprachiger Studenten, die, mit Stipendien ausgestattet, ihre Gastsemester absolvierten und jene Leichtigkeit genossen, die ihnen an Orten wie Wien oder Klagenfurt oder München oder Zürich bislang verwehrt geblieben war. Zumindest wirkten sie alle sehr ausgelassen, beschwingt und tänzerisch, auf eine Weise betrunken, daß man schwer sagen konnte, wovon eigentlich. Vielleicht vom Alkohol, vielleicht auch von der Luft in den Straßen, die mit dubiosen, bewußtseinsverändernden Giftstoffen angereichert schien. In der Tat, wenn man sich ein bißchen übergeschnappt fühlen wollte, ging man einfach nach draußen und atmete tief ein. Es waren nicht nur die Abgase, sondern … vielleicht das Zeug, das vom Vatikan herübergeweht kam. Und wirklich meinten einige, dies würde von den exorzistischen Praktiken, von den vielen Kräutern, die man dort verbrannte, herrühren. Egal, die römische Luft hatte es jedenfalls in sich.
Ivo selbst war kein Student, sondern lebte hier nur, weil seine Eltern es taten. Steiermärker, die nach Wien und dann nach Rom gegangen waren, um ein Import-Export-Geschäft zu betreiben. Ivo würde niemals richtig sagen können, was da eigentlich importiert und exportiert wurde. Für ihn standen seine Eltern ein Leben lang hinter einem Schleier … nein, Schleier ist ein viel zu poetisches Wort. Die beiden waren keine Schleierleute. Daß ihre Gestalt und ihr Wesen sowie ihr Import und Export so unklar blieben, war dem Stahlbeton zu verdanken, hinter dem sie sich stets aufzuhalten pflegten.
Ivos Vorhaben hingegen bestand darin, als weltreisender Forscher in die Geschichte einzugehen, ohne sich zuvor die Mühen einer akademischen Ausbildung angetan zu haben. Es ging ihm ja nicht darum, eine ethnologische Studie zu verfassen. Er war überzeugt davon, fast alles im Leben sei eine Sache des Instinkts, der Eingebung, nicht zuletzt des Mutes, der Entschlossenheit, Dinge zu tun, die andere für absurd oder kindisch hielten. Sein Plan gipfelte jedenfalls darin, irgendwann einmal auf etwas Unbekanntes zu stoßen, am liebsten ein Tier, das noch nie jemand gesehen hatte, oder ein mysteriöses Artefakt. – Nun, immerhin hatte er es bereits zu einer recht unspezifischen Krankheit gebracht, was aber leider nicht ausreichte, sich einen Namen zu machen. Es sind zumeist die Ärzte, nach denen Krankheiten benannt werden, nicht die Patienten. Was eigentlich ein Skandal ist.
An diesem Tag gegen Ende des Sommers, als in der Luft der Anteil an vatikanischen Substanzen seinen Höhepunkt erreichte, hing Ivo am Arm einer Freundin und ließ sich von ihr in eins der bevorzugten Cafés führen. Welches natürlich an einer stark befahrenen Straße gelegen war, des bewußtseinserweiternden Gestanks wegen. Es war Nachmittag, und Ivo hätte eine Zange benötigt, um seine Augen aufzukriegen.
Ob ihm das nun recht war oder nicht, sein Gehör war in dieser Zeit natürlich besser und besser geworden. Es fungierte als der Blindenstock in seinem Kopf, der die Stimmen und Geräusche abklopfte und die ganz bestimmte Konsistenz und Zusammensetzung des jeweiligen „Objekts“ erkannte. Nicht, daß Ivo begann, am Auspuffgeräusch die Automarken auseinanderzuhalten, aber er registrierte früher als andere, wenn etwa zwei Leute demnächst zusammenstießen. Er hörte ihre Schritte und sah vor seinem geistigen Auge die aufeinandertreffenden, in der Kollision sich vereinigenden Linien. Manchmal sagte er „Vorsicht!“ oder eben „Attenzione!“, aber wenn er dies tat, verhinderte er in der Regel den Zusammenstoß. Die Leute blieben also stehen, starrten ihn an und fragten sich, was mit ihm los sei. Er spürte diese fragenden Blicke. – So ist das, wenn man ein Unglück voraussieht. Darum läßt man es meistens bleiben. So, wie man es ja auch bleiben läßt, einen Tyrannen zu morden, bevor der noch zum Tyrannen wird. Täte man es doch, niemand würde einen verstehen. Leute, die zur rechten Zeit ein Unglück verhindern, stehen im Verdacht, verrückt zu sein. Die Irrenhäuser sind voll mit Leuten, die ein Unglück verhindert haben und jetzt dafür bestraft werden.
„Heinrich Steinfest, Österreicher in Stuttgart, verschiebt in seinen Krimis die Wirklichkeit um ein paar Meter wunderbar ins Absurde.“
„Ein Text, der aufs Wunderbarste die Bücher von Walter Moers, Karl May, Italo Calvino, Haruki Murakami und John Irving mit Comics und Filmen wie Blade Runner und Matrix kombiniert.“
„Skurrile schillernde Figuren, magische Momente, eine schräge Geschichte – Steinfests ›Haischwimmerin‹ ist eine geniale Unterhaltung.“
„Wir können nicht wissen, zu welchen bewußtseinserweiternden Substanzen Heinrich Steinfest greift, um seine überbordende Fantasie zuzuarbeiten. Immerhin wissen wir, dass wir von diesem Stoff auch gern etwas hätten.“
„Das alles ist skurriler, als es die Hochkulturpolizei erlauben dürfte. Zugleich ist es so konsequent absurd, dass der Spaßgewinn des Lesers jeden ihm entgangenen Erkenntnisgewinn locker überbietet.“
„›Die Haischwimmerin‹ ist fast ein Fantasie-Roman, in jedem Fall aber ebenso sprachwitzig wie skurril.“
„Steinfest schreibt keine klassischen Krimis, sondern phantastische Abenteuergeschichten.“
„Schrägste, köstliche Unterhaltung“
„Heinrich Steinfest spielt mit seinen Figuren, zahlreichen Film- und Literatur-Zitaten und auch mit dem Leser. Anspruchsvolles Vergnügen mit Happy End!“
„›Die Haischwimmerin‹ ist ein Buch für alle, die wissen das Intelligenz und Vergnügen zusammengehören.“
„Hintersinnig, manchmal grotesk und voll feinem Humor ist dieses Buch die richtige Lektüre für ein paar weltenflüchtige Stunden.“
„Heinrich Steinfest jagt einer Heldin hinterher, auf dass sich famose Fantasy mit ergiebigen Ermittlungen vermählen. Es geschehen Zeichen, Wunder und Morde, die sich zum großen Spaß auswachsen.“
„Ein grandioser Schwachsinn, herrlich grotesk und abgründig komisch.“
„Steinfest scheint seineFiguren als Weggefährten vor jedem Spaziergang durch die Labyrinthe seiner Fantasie um sich zu scharen, wie andere sich vielleicht einen Tee aufbrühen, als Ritual, das erklärt: ›Jetzt geht’s los mit der Arbeit.‹“
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