Die Legenden der Albae (Die Legenden der Albae 1) Die Legenden der Albae (Die Legenden der Albae 1) - eBook-Ausgabe
Gerechter Zorn
„(…) es gelingt Markus Heitz mit diesem etwas anderen Abenteuer die Leser zum wiederholten Male in seinen Bann zu ziehen.“ - Ostsee-Zeitung
Die Legenden der Albae (Die Legenden der Albae 1) — Inhalt
Sie sind die finsteren Gegenspieler der Zwerge: die Albae, dunkle Elfen, getrieben von Hass und Tod. Der Kampf zwischen Albae und Zwergen währt bereits seit unzähligen Teilen der Unendlichkeit. Und keine der beiden Seiten wird ruhen, bis der Feind endgültig vernichtet ist ... Erstmals sind alle vier Romane um Markus Heitz' dunkle Helden sowie der Erzählungsband „Die Vergessenen Schriften“ als Taschenbuch erhältlich – der unverzichtbare Blickfang im Regal eines jeden Sammlers, Heitz-Fans und Neueinsteigers.
Leseprobe zu „Die Legenden der Albae (Die Legenden der Albae 1)“
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Strahlarm Avaris, 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Sommer
Die Vorfreude pulsierte in Sinthoras, berauschte ihn.
Alles in ihm drängte danach, den Pinsel zu ergreifen, die Borsten in die Farbe zu tauchen und die Eingebung seine Hand führen zu lassen.
Aber noch durfte er nicht beginnen.
Er machte einen hastigen Schritt zurück, weg von der Staffelei, und betrachtete die düstere Grundierung. Lückenlos und gleichmäßig überzog sie die feinporige Leinwand und war bereit. Bereit, dass er [...]
Ishím Voróo (Jenseitiges Land), Albae-Reich Dsôn Faïmon, Strahlarm Avaris, 4370. Teil der Unendlichkeit (5198. Sonnenzyklus), Sommer
Die Vorfreude pulsierte in Sinthoras, berauschte ihn.
Alles in ihm drängte danach, den Pinsel zu ergreifen, die Borsten in die Farbe zu tauchen und die Eingebung seine Hand führen zu lassen.
Aber noch durfte er nicht beginnen.
Er machte einen hastigen Schritt zurück, weg von der Staffelei, und betrachtete die düstere Grundierung. Lückenlos und gleichmäßig überzog sie die feinporige Leinwand und war bereit. Bereit, dass er etwas Einmaliges auf ihr schuf.
Sinthoras goss sich ein Glas roten Wein ein, nippte daran und stellte ihn zur Seite. So sehr er ihn liebte und üblicherweise beim Malen davon trank, heute sagte er ihm nicht zu. Er war zu aufgeregt.
„Ausgezeichnet“, raunte er mit leuchtenden Augen und schlug die zitternden Hände fest zusammen, um nicht doch nach dem Pinsel zu langen.
Lautes Klatschen hallte durch den hohen Raum mit dem großen Fenster, durch welches das Sonnenlicht fiel; das Glas war in einem leichten Blau getönt. Lüftungsklappen ließen frische Luft herein. Entlang der Zimmerwände standen fünf Schritt hohe Regale voller verschlossener Gläser in verschiedensten Größen, gefüllt mit flüssigen und festen Ingredienzen, Pigmenten, Farben und Mischungen, die er zum Malen benötigte. Alle waren kostbar, manche extrem selten und einige unbezahlbar. Nur mithilfe einer langen Leiter, die auf Rollen hin und her geschoben werden konnte, waren die obersten Regale zu erreichen.
Sinthoras strich erhobenen Hauptes um die Staffelei, Ungeduld und Tatendrang trieben ihn an. Das weite, dunkelrote Gewand mit den schwarzen und weißen Stickereien darauf bewegte sich fließend, gleich der Oberfläche eines Sees. Hier und da waren Farbflecken darauf zu sehen, manche älter, manche frisch. Zeugen seines Schaffens.
Er hatte die langen blonden Haare zu einem Zopf gebunden, damit sie nicht aus Versehen in Berührung mit der Farbe auf der Palette oder dem Bild kamen. Das betonte sein schlankes, hübsches Gesicht zusätzlich; die Ohrmuscheln liefen spitz zu und zeigten, dass seine Schönheit nicht menschlicher Natur war.
Sinthoras trat an das Fenster und öffnete die Flügel. Das vergehende Sonnenlicht fiel herein, auf die Staffelei und auf ihn, und seine Augen färbten sich auf der Stelle schwarz und wurden zu dunklen Löchern. Tief atmete er die hereinströmende Luft ein.
Samusin erweist mir seine Gunst, dachte er und spürte den
belebenden Ostwind auf seinem Gesicht. Die leichte Böe trug den Geruch von frischen Blüten mit sich; einzelne weiße Blätter wirbelten in den Raum und ließen sich auf dem dunklen Steinboden nieder.
Es pochte gegen die Eingangstür. „Der Gott der Winde ist mit Euch“, hörte er die Stimme eines Albs gleich darauf sagen.
„Er sandte seinen belebenden Ostwind, um Euer Einfühlungsvermögen zu stärken.“
Sinthoras wandte sich um und verneigte sich vor dem rothaarigen Alb, der auf der Türschwelle stand; ein schwarzbrauner Mantel verbarg seine Kleidung. „Ich danke Euch, dass Ihr meine Malerei mit dem Eurigen Talent unterstützt, Helòhfor. Erst Ihr werdet es zu einer Besonderheit machen.“
Helòhfor trat in den Raum, zwei Sklaven in schlichten, grauen Kleidern folgten ihm. Dem Körperbau nach waren es Menschen; der Alb hatte ihre hässlichen, groben Züge, die man kaum Gesicht nennen durfte, mit einem Schleier versehen. Niemand, der Anstand besaß, ließ die Sklaven unbedeckt in der Stadt herumlaufen.
Einer der beiden nahm Helòhfor den Mantel ab, sodass sein schwarzes Seidengewand mit den dunkelroten Ziersäumen zum Vorschein kam. Der andere trug einen großen Koffer und stellte ihn auf ein Zeichen von Sinthoras neben einem Sessel ab. Dann sandte Helòhfor die Sklaven hinaus und setzte sich. Aufmerksam betrachtete er seinen Gastgeber, die Arme locker auf die Lehnen gelegt. „Ihr seid Euch sicher, dass Ihr das wollt, Sinthoras?“
„Unbedingt“, kam es ohne zu zögern über seine Lippen.
„Ich bin begierig zu erfahren, was geschieht, wenn ich meinen Schaffensdrang mit der Wirkung der Töne eines Seelenberührers verbinde.“
„Nun, das vermag selbst ich nicht vorherzusagen. Ein jeder Alb empfindet sie anders.“ Helòhfor richtete die schwarzen Augen auf Sinthoras, den er mit Blicken prüfte. „Ihr könnt in Trance verfallen und steif wie ein Stock dastehen. Ihr könnt von dem Wunsch beseelt werden, durch das Fenster zu springen und in die Tiefe stürzen zu wollen. Oder Ihr werdet nach Blut lechzen.“ Der Seelenberührer sah zur Leinwand. „Dass Ihr in diesem Zustand ein Bild vollendet, ist eine Möglichkeit von vielen.“
„Tut es, Helòhfor!“, drängte Sinthoras in einer Mischung aus Bitten, Befehl und Verlangen. Er war sich der Unhöflichkeit bewusst, konnte sich aber nicht dagegen wehren. Er wollte unbedingt ein Werk schaffen, das die Bilder der anderen Maler in Avaris ausstach. Alle sollten sehen, dass er nicht nur ein ausgezeichneter Krieger, sondern ein unvergleichlicher Künstler war. „Tut es“, fügte er sanfter hinzu und eilte zur Leinwand.
Eine einzige Farbe würde die Leinwand berühren, nur eine einzige! Doch gerade sie würde sein Schaffen vollkommen machen. Vollkommen und unnachahmlich. Behutsam entfernte er den Verschluss und sah das Dunkelgelb aufleuchten. Sinthoras schauderte, ergriff einen dicken Pinsel und blickte erwartungsvoll und ungeduldig zugleich zum Seelenberührer.
Helòhfor hatte den Koffer geöffnet und sein Instrument herausgenommen. Der Korpus war aus einem Rückgrat gefertigt worden, die Wirbel mit Silberelementen aneinandergefügt. Ventile saßen darauf, über dünne Drähte teilweise miteinander verbunden. Verschiedene Bohrungen waren in die Knochenstücke getrieben worden. Der Alb nahm weitere Teile heraus, metallische, gläserne, knöcherne, und steckte sie unter leisem Murmeln in Bohrungen; schließlich goss Helòhfor eine bräunliche Flüssigkeit in ein bauchiges Gefäß und schraubte es an das Ende des Wirbelkorpus.
Auch wenn Sinthoras jeden Handgriff des Seelenberührers verfolgte, entging ihm nicht, wie genau die Teile des Instruments ineinandergriffen. Ohne eine lange Unterweisung durch einen Meister vermochte kein Alb und schon gar kein anderes Wesen darauf zu spielen. Die Flüssigkeit, so sagte man, sei die Essenz aus dem Gehirnwasser vieler Toter, in dem all deren Träume und Gedanken steckten. Durch die Schwingung der Töne entfalteten sie ihre Macht und wirkten auf den Verstand des Zuhörers ein.
„Empfangt die treibende Macht der Toten und des Todes selbst, Sinthoras. Samusin schütze Eure Seele“, raunte er und setzte die Lippen an das Mundstück. Sanft legten sich seine Fingerkuppen auf die Klappen.
Helòhfor blies sachte hinein, und ein schriller Ton schwoll an. Die Flüssigkeit brodelte zaghaft, dann immer heftiger, als würde sie gekocht. Dampf stieg auf, den Sinthoras in den gläsernen Elementen wirbeln sah. Durch Helòhfors Spiel schienen gleich mehrere Luftströme auf einmal in das Instrument gezogen zu werden und hohe, unpassende Töne gleichzeitig zu erschaffen.
Sinthoras’ Härchen auf den Armen und im Nacken richteten sich auf, und ein gleißender Schmerz stach ihn hinter den Augen, blendete ihn. Keuchend hielt er den Qualen stand. Plötzlich veränderten sich die Laute und wurden zu einer wundersamen Melodie.
Energie jagte durch seinen Körper, ausgesandt von seinem Kopf, und er sah seinen Finger von blauem Licht umfangen. Der Ostwind streichelte seine Züge und hauchte ihm die Inspiration ein, die er benötigte.
Sinthoras sah sich selbst zu, wie er den Pinsel in das Gefäß tunkte, die Borsten sich vollsaugen ließ und die Hand dorthin führte, wo es passend erschien. Das Göttliche lenkte ihn, seine Seele und den Ostwind zu den überirdischen Klängen.
Langsam glitt die feine Spitze des dicken, bauschigen Pinsels über die Leinwand und hinterließ auf der finsteren Grundierung eine dunkelgelbe, gerade Linie, die dünn und dünner wurde. Sinthoras hörte das leise reibende Geräusch, mit dem sich der Rest der Farbe auf den Untergrund übertrug.
Die Farbe glich einer Mischung aus geschmolzenem öligem Gold mit einem Hauch schwarzem Tionium; sie schimmerte metallisch, und doch steckte Leben in diesem außergewöhnlichen Dunkelgelb. Flüssig gewordene Lebendigkeit mit bedrohlicher Strahlkraft.
Die Härchen zuckten mit einer schwungvollen Bewegung nach rechts und wurden dann ruckartig zurückgezogen. Der Strich war dabei schwächer geworden und abgerissen. Unvollständig!
Aber Sinthoras wusste, was dem Werk noch fehlte.
Er sah es vollendet vor sich und hörte schon, wie sein Name dafür voller Neid, voller Anerkennung und Bewunderung von anderen ausgesprochen wurde.
Die Pinselspitze schwebte hinüber zu einem Tiegel, fuhr hinein und wurde zurückgezogen. Nur ein verschwindend geringer Rest der einmaligen Farbe haftete daran.
Zu wenig! Sinthoras’ harmonischer Zustand erhielt einen Riss,
eine klaffende Wunde, aus der seine Eingebung strömte und verging. Zu wenig! Nun geriet sein Bild in Gefahr. „Raleeha!“, gellte sein Ruf zur halb geöffneten Zimmertür hinaus.
Zu seinem eigenen Erstaunen folgte seine Seele der Stimme, als schleudere er sie von sich, während sein Leib an der Staffelei verharrte.
Sein Ruf flog durch den Gang, an dessen Steinholzwänden Gemälde voll düsterer Schönheit hingen, und drang durch das kunstvoll geschnitzte Holz eines zweiflügeligen Portals, auf dem eine Schlachtenszene verewigt worden war.
Weiter sah er nicht.
Die rechte Hälfte des Portals wurde aufgestoßen. Eine hochgewachsene, junge Menschenfrau in einem engen dunkelgrauen Kleid eilte hindurch und hetzte zur Kammer, in der er seine Bilder zu malen pflegte.
Seine Seele folgte ihr, umschwirrte sie.
Nach menschlichen Maßstäben war sie unnatürlich schön, weswegen sie keinen Schleier tragen musste. Sogar Elben hätten anerkennend den Mund verzogen und eingestehen müssen, dass sie sich beinahe mit ihren Schönsten messen konnte. Doch in ihren blauen Augen standen Tränen, und die schwarzen Haare wehten wie ein Trauerschleier hinter ihr her. Um ihren Hals lag das lederne Sklavenband mit den drei filigranen Silberschnallen, das ihr die Kehle so weit abschnürte, dass sie nur mit Müh und Not Luft holen konnte. Essen und trinken durfte sie sowieso nur auf sein Geheiß.
Raleeha erreichte die halb geöffnete Tür, durch die Licht in den Gang fiel und hinter der ihr Gebieter weilte. Sie pochte dagegen und wartete, dass ihr die Erlaubnis erteilt wurde, die Kammer zu betreten. Täte sie dies ohne seine Aufforderung, so würde es ihren Tod bedeuten. Das hatte er ihr selbst eingeschärft. Raleehas Vorgängerin hatte eine solche Gedankenlosigkeit mit dem Leben bezahlt, nachdem sie ihm einen ganzen Teil der Unendlichkeit gedient hatte. Er vergab Menschen nichts.
Faszinierend fand der Alb, dass sein derzeitiger Blickwinkel ihm mehr über sie verriet: Der Tonfall seines Rufs hatte sie vor seiner Unzufriedenheit gewarnt, und das betrübte und beunruhigte sie gleichermaßen.
Die Musik in der Kammer war verstummt. Helòhfor hatte aufgehört zu spielen, da er spürte, dass etwas nicht nach dem Gefallen des Hausherrn verlief.
Etwas zog Sinthoras’ Seele durch die Tür und zwang ihn in seinen Körper zurück. Die Seelenreise war zu Ende, ohne dass er sein Werk hatte beenden können. Durch ihre Schuld!
„Komm“, befahl er Raleeha mit sanfter Stimme, um sie in Sicherheit zu wiegen. Seine Aufgebrachtheit würde er ihr nicht zeigen. Noch nicht.
Zitternd öffnete sie die Tür, senkte den Blick und trat hinein. Ansehen durfte sie ihn nicht. Nicht ohne Erlaubnis.
„Gebieter, wie kann ich Euch zu Willen sein?“
„Raleeha, ich hatte dir gesagt, dass du mich in Kenntnis setzen sollst, wenn der Vorrat an Pirogand-Gelb zur Neige geht“, sagte er milde und weidete sich an ihrer wachsenden Furcht. Ihr wurde sicherlich eiskalt. Sie hatte einen Fehler begangen, und er war zu freundlich zu ihr! Sie musste annehmen, dass ihr Schicksal nun besiegelt war.
Bebend schloss sie die Augen. „Tötet mich rasch, Gebieter“, bat sie und biss sich auf die Unterlippe, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. „Die Ahnen der Lotor werden mich hoffentlich gnädig empfangen.“
„Das Pirogand-Gelb, Raleeha.“ Sinthoras fühlte sich noch immer berauscht. Auch wenn seine Seele nicht mehr schwebte, sein Verstand tat es. Er roch Raleehas Angst wie einen süßen, betörenden Duft.
„Mein Versäumnis, Gebieter.“ Sie warf sich vor ihm zu Boden. „Ich hielt den Tiegel für zu einem Drittel gefüllt. Meine Augen haben mich getäuscht, Gebieter.“
Sinthoras trat auf sie zu. Man hörte einen Alb nie, wenn er es nicht wollte, eine von vielen wunderbaren Eigenschaften. Seine schlanke, fast dürre Hand fasste ihr unters Kinn und hob ihren Kopf an. „Sieh mich an.“ Zwangsläufig glitt ihr Blick über seine Gestalt. „Auf die Knie, Raleeha.“ Er schob ihren Kopf weiter nach oben, sodass sie ihm ins Antlitz schauen musste; das schwarze Lederband um ihren Hals knirschte.
Raleeha hatte es die Sprache verschlagen. Er wusste: Seine Schönheit gebar in ihr Freude, welche die Angst für einen Augenblick überflügelte. Dies war mit ein Grund, weswegen sie sich in freiwillige Hörigkeit begeben hatte.
Er sah sie maßregelnd an, die gänzlich schwarzen Augen erfassten jede Kleinigkeit an ihr. Niemand besaß eine hübschere Menschensklavin als er. Sie zu töten wäre eine zu große Verschwendung. Dennoch musste sie eine Strafe erhalten, welche sie traf und sie leiden ließ. Körperlich, seelisch.
„Du weißt, dass dieses Gelb nur mit großem Aufwand und unter Gefahr zu beschaffen ist. Ich wollte heute mit dem Bild fertig werden. Dazu ließ ich Helòhfor kommen, einen Seelenberührer, um mich zu erhöhen und ein Werk zu schaffen, wie es kein anderer vermag.“ Noch immer lagen seine Finger an ihrem Kinn, drückten leicht in ihr Fleisch. Seine gepflegten Nägel schmerzten gewiss ihre Haut. „Das werde ich jedoch nicht tun können. Wegen dir.“
„Meine Nachlässigkeit ist unverzeihlich, Gebieter“, sagte sie mit spröder Stimme.
Es war nicht geheuchelt, was sie von sich gab. Er wusste, dass sie sich elend fühlte, als eine Verräterin an der Kunst ihres Herrn. Er gewährte ihr einen kurzen Blick an ihm vorbei auf das Bild.
Sie schauderte. „Welch überirdische Kunst – und durch mein Versäumnis unvollendet!“ Sie würgte Speichel herab, um ihre Kehle zu befeuchten, während sie eine weitere Träne vergoss. Tränen der Schande, nicht der Angst.
„Raleeha, ich war stets zufrieden mit dir und deinen Diensten“, sagte er ehrlich enttäuscht. „Ich hatte keine Sklavin vor dir, die meine Bedürfnisse derart zu befriedigen wusste wie du. Aus diesem Grund“, die schmalen Finger gaben sie frei,
„wirst du leben.“
„Herr“, rief sie vor fassungsloser Freude und sank vor ihm auf die Knie, küsste den Saum seines Gewandes und die Stiefelspitzen. „Niemals mehr werde ich unachtsam sein!“
Er berührte sie an der Schulter, und sie sah dankbar zu ihm auf. Dann erschrak sie, als sie in seiner rechten Hand einen dünnen Dolch erkannte. Ihr Schrecken gefiel ihm.
„Du sagtest, deine Augen hätten dich getäuscht?“
„Ja, Gebieter.“
„Dann werde ich nur sie bestrafen, denn der Rest deines Leibes, Raleeha, ist unschuldig und wird mir weiterhin gute Dienste leisten.“ Mit der linken Hand hielt er ihren Schopf fest. Blitzschnell stach die Rechte zweimal nach unten und zerstörte die Augäpfel, ehe sie zu blinzeln vermochte.
Die junge Frau schrie auf, aber sie rührte sich nicht in seinem Griff und nahm die Bestrafung hin. Klare Flüssigkeit und Blut rannen ihre Wangen hinab, folgten den Bahnen der Tränen.
Sinthoras atmete tief ein und fühlte einen Hauch Genugtuung. Er ließ die vollen schwarzen Haare los und wischte seinen Dolch daran ab, ehe er ihn verstaute. „Ich erwarte, dass du dich sehr bald sicher und schnell durch mein Haus bewegst, so als könntest du sehen“, sprach er und löste die mittlere Schnalle des Halsbandes. „Geh zu Kaila und lass dich behandeln. Für heute bleibst du von weiteren Diensten verschont. Erkennst du meine Güte?“
„Ja, Gebieter“, weinte sie und presste die Hände vor die zerschnittenen Augen.
„Beweise mir, dass du sie trotz deines Fehlers verdient hast. Hinaus!“
Die junge Frau erhob sich, tastete unsicher um sich und stöhnte dabei vor Schmerzen. Sie brauchte lange, bis sie den Ausgang gefunden hatte.
„Wäre es meine Sklavin gewesen“, hörte er Helòhfors Stimme in seinem Rücken, „wäre sie Fressen für meine Nachtmahre gewesen.“
Sinthoras drehte sich zu ihm um. Der Seelenberührer hatte sein Instrument bereits auseinandergebaut und verpackt, den Koffer geschlossen. Er stand neben dem Sessel.
„Wäre sie eine herkömmliche Sklavin, hätte sie ihr Leben verwirkt und nicht einmal als Mahl für meinen Nachtmahr dienen dürfen“, erwiderte der Alb. „Aber sie ist eine Lotor und mir dazu hörig. Ihr Leid erquickt mich mehr als ihr Tod.“
„Ihr denkt, sie wird Euch diese Tat vergeben?“
„Sie denkt, sie sei selbst schuld daran“, verbesserte Sinthoras ihn lächelnd. „Ich habe ihr vergeben.“ Dann lachte er böse. „Ich muss sie nicht verstehen, Helòhfor. Sie soll mir nur dienen.“
Der Seelenberührer entgegnete nichts und rief seine Sklaven. „Und ich muss Euch nicht verstehen, Sinthoras. Ihr sollt mich nur bezahlen. Schickt das Gold in mein Haus.“
„Das tue ich. Meinen Dank für Eure Dienste, und lasst Euch sagen, dass sie außergewöhnlich sind. Eine herausragende Erfahrung, die ich beim nächsten Bild wiederholen möchte.“ Er wandte sich von ihm ab, durchschritt den Raum und hielt auf eine andere Tür zu. „Nun verzeiht. Ich muss mir neue Farbe besorgen.“
Raleeha stolperte den Gang hinab zu den Quartieren der Sklaven, um sich Linderung verschaffen zu lassen. Die Schmerzen schienen durch die Augen in ihr Hirn zu sickern, ihre Beine wurden schwächer.
„Kaila?“, schrie sie gequält, als sie das Portal hinter sich gelassen hatte. „Kaila?“
„Ja, Raleeha?“, hörte sie die Aufseherin sagen und gleich danach erschrocken die Luft einziehen. Sie war ebenso ein Mensch wie sie, nur um einiges älter. „Meine Güte! Bei den Infamen!“
„Der Gebieter war gnädig zu mir. Ich hätte den Tod verdient“, erwiderte sie sogleich, um seine Tat zu verteidigen. Dann spürte sie, dass sie am Arm gepackt und geführt wurde.
„Er schickt mich zu dir, um mich verarzten zu lassen.“ Kaila drängte sie rasch zu einer Bank, als die Beine unter ihr nachgaben.
„Die Albae kennen keine Gnade, Raleeha. Schon gar nicht Sinthoras. Alles, was sie tun und lassen, geschieht aus Niedertracht.“ Es raschelte, Glas klirrte, dann gluckerte es.
„Ich packe mit Culinsaft getränkte Wattebäusche auf deine Augen. Das wird eine Infektion verhindern. Gib acht, es brennt.“
Als der ätzende Saft die Wunden berührte, schrie Raleeha hinaus, was an Schmerzen und Gefühlen in ihr tobte. Kaila wickelte ihr eine Binde um den Kopf und vor die Augen, um die Wattebäusche zu fixieren.
Trotz der Schmerzen war Raleeha froh, noch am Leben zu sein. So dürfte sie weiterhin ihrem Gebieter dienen, dem sie freiwillig gefolgt war, nachdem sie ihn nahe ihrem Heimatdorf beim Malen gesehen und beobachtet hatte. Das Kunstwerk, das er auf der Leinwand geschaffen hatte, hatte sie auf magische Weise angezogen und nicht mehr losgelassen. Die gleiche Wirkung hatte seine Anmut auf sie.
„Was hast du angerichtet?“, fragte Kaila.
„Ich habe sein Bild ruiniert. Er hatte nicht genügend Farbe.“ Sie dachte an die Staffelei, an das Herrliche, was sie hatte sehen dürfen. Ihr Gebieter besaß eine sehr lebendige Art zu malen, sein Temperament ging gelegentlich mit ihm durch. Manches Mal fluchte oder lachte er dabei, mal warf er mit der Farbpalette, wenn ihm sein Werk nicht gefiel oder ihm etwas nicht so gelang, wie er es wollte. Mehr als einmal hatte er Bilder zerstört, an denen er lange gearbeitet hatte.
Raleeha fand alles, was er auf Holz, Pergament oder Leinwand malte, geradezu vollkommen. Sie hob die Reste der vernichteten Werke auf und hütete sie wie einen Schatz in ihrer kleinen Kammer.
„Wegen einer fehlenden Farbe sticht er dir die Augen aus?“ Kaila spuckte aus. „Und du hasst ihn nicht dafür?“
„Nein. Wie könnte ich? Es war meine Schuld.“ Ihr wurde schlagartig bewusst, wie grausam seine Strafe für sie wirklich war: Sie würde sein wunderschönes, selig machendes Antlitz nie mehr betrachten können!
Todunglücklich schluchzte Raleeha auf.
„Heitz' Schreibstil ist bekannt gut und die Geschichte spannend und atmosphärisch geschrieben.“
„Schnell stellt sich so die für Heitz typische Faszination ein. (…) Doch nicht nur die Figuren, auch der rasant geschriebene Plot, der mit allem aufwartet, was Fans sich wünschen, tut sein übriges, um den Leser ganz tief in seinen Bann zu ziehen. Alles in allem ist ›Gerechter Zorn‹ ein hervorragend geschriebenes Fantasybuch, das Appetit auf mehr macht.“
„(…) es gelingt Markus Heitz mit diesem etwas anderen Abenteuer die Leser zum wiederholten Male in seinen Bann zu ziehen.“
Der Leser kann sich in der faszinierenden, grausamen Welt der Albae verlieren.
Ein klarer Heitz: Sprich: gut aufgebaut, sehr detailliert ausgeführt.
Markus Heitz hat mit dem zweiten Teil der Reihe ins Schwarze getroffen. Spannende Kampfszenen, aber auch Szenen aus dem alltäglichen Leben der Albae machen das Buch sehr abwechslungsreich und Lust auf die Fortsetzung der Reihen.
Markus Heitz ist ein Phänomen im Bereich der Phantastischen Literatur.
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