Die Schwestern von Auschwitz Die Schwestern von Auschwitz Die Schwestern von Auschwitz - eBook-Ausgabe
Roman nach einer wahren Geschichte
— Holocaust-Biografie von der Autorin des SPIEGEL-Bestsellers „Der Tätowierer von Auschwitz“„Die eindringlichen Schilderungen der Autorin führen einen durch eine Achterbahn von Emotionen.“ - Kleine Zeitung
Die Schwestern von Auschwitz — Inhalt
Drei Schwestern – ein Versprechen für die Ewigkeit
Als Kinder versprechen die Schwestern Cibi, Magda und Livia ihrem Vater, immer zusammenzubleiben, egal was passiert. 1942 wird die jugendliche Livia aus ihrer slowakischen Heimat nach Auschwitz deportiert. Cibi, die Älteste, folgt Livia, entschlossen, ihr beizustehen. Als schließlich auch Magda in das Vernichtungslager gebracht wird, geben sich die Schwestern ein weiteres Versprechen: gemeinsam zu überleben. Und ihr Zusammenhalt macht das Unmögliche möglich. Ihr Weg führt sie aus der Hölle des Konzentrationslagers durch das vom Krieg zerrissene Europa zurück in eine Heimat, die keine mehr ist. So beschließen die Schwestern, in Israel neu anzufangen und nicht nur zu überleben, sondern zu leben.
Die berührende, wahre Geschichte dreier Schwestern, die gemeinsam den Holocaust überlebten, erzählt von der Autorin des Weltbestsellers „Der Tätowierer von Auschwitz“.
„Spannend, herzergreifend und erhebend.“ Christy Lefteri
Die gebürtige Neuseeländerin Heather Morris ist die internationale Bestsellerautorin der beiden Holocaust-Romane „Der Tätowierer von Auschwitz“ und „Das Mädchen aus dem Lager“. Nun wendet sie sich der unglaublichen Geschichte dreier Schwestern zu, die gemeinsam das Grauen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durchstanden haben und sich in Israel ein neues Leben aufbauten. Dafür traf sich die Autorin wiederholt persönlich mit den Zeitzeuginnen Livia Ravek und Magda Guttman sowie deren Nachfahren.
Leseprobe zu „Die Schwestern von Auschwitz“
Prolog
Vranov nad Topľou, Slowakei
Oktober 1929
Die drei Schwestern Cibi, Magda und Livi hocken mit ihrem Vater in einem engen Kreis im kleinen Garten ihres Hauses. Der Oleander, den ihrer Mutter so hartnäckig hegt und pflegt, lässt in einer Ecke des kleinen Gartens trostlos die Blätter hängen.
Livi, mit ihren drei Jahren die Jüngste, springt auf die Füße: Stillsitzen liegt ihr nicht.
„Livi, bitte setz dich“, mahnt Cibi. Mit sieben ist sie die Älteste, und es gehört zu ihren Aufgaben, die Schwestern zu schelten, wenn sie ungezogen sind. »Du weißt doch, [...]
Prolog
Vranov nad Topľou, Slowakei
Oktober 1929
Die drei Schwestern Cibi, Magda und Livi hocken mit ihrem Vater in einem engen Kreis im kleinen Garten ihres Hauses. Der Oleander, den ihrer Mutter so hartnäckig hegt und pflegt, lässt in einer Ecke des kleinen Gartens trostlos die Blätter hängen.
Livi, mit ihren drei Jahren die Jüngste, springt auf die Füße: Stillsitzen liegt ihr nicht.
„Livi, bitte setz dich“, mahnt Cibi. Mit sieben ist sie die Älteste, und es gehört zu ihren Aufgaben, die Schwestern zu schelten, wenn sie ungezogen sind. „Du weißt doch, Vater möchte mit uns reden.“
„Nein“, erklärt die dreijährige Livi, hüpft weiter um die Sitzenden herum und gibt dabei jedem einen Klaps auf den Kopf. Magda, mit fünf die mittlere Schwester, zeichnet mit einem trockenen Oleanderzweig Fantasiegestalten in den Staub. Es ist ein milder, sonniger Herbstnachmittag. Die Küchentür steht offen, die Wärme dringt ins Haus, und gleichzeitig strömt der süße Duft von frisch gebackenem Brot in den Garten. Zwei Fenster, eines zur Küche, eines zu dem kleinen Schlafzimmer der Familie, haben schon bessere Tage gesehen. Auf dem Boden liegen Schuppen abgeblätterter Farbe: Der Winter hat dem Häuschen zugesetzt. Das Gartentor schwingt im Wind, schlägt zu. Der Riegel ist kaputt; noch etwas, was Vater reparieren muss.
„Komm her, Kätzchen. Setzt du dich auf mein Knie?“, lockt Vater sie.
Wenn die große Schwester sagt, was man tun soll, ist das eine Sache; aber wenn ihr Vater sie bittet, und dann noch so zärtlich, ist das etwas ganz anderes. Livi fällt in seinen Schoß, mit Schwung trifft ihr Arm ihn seitlich am Kopf. Sie merkt gar nicht, wie weh sie ihm damit tut.
„Geht es, Vater?“, fragt Magda besorgt, als sie ihn das Gesicht verziehen sieht, während sein Kopf wegzuckt. Sie fährt ihm mit den Fingern über die stoppelige Wange.
„Ja, Liebling. Es geht mir wunderbar. Ich bin bei meinen Mädchen – was könnte ein Vater mehr wollen?“
„Du hast gesagt, du möchtest mit uns reden.“ Die immer ungeduldige Cibi kommt zum Zweck dieser kleinen „Sitzung“.
Menachem Meller sieht seinen hübschen Töchtern in die Augen. Sie sind ganz sorglos, ahnen nicht die harten Wirklichkeiten außerhalb ihres heimeligen Zuhauses. Harte Wirklichkeiten, die Menachem durchgemacht hat und mit denen er immer noch lebt. Die Kugel, die ihn im Weltkrieg nicht getötet hat, steckt immer noch in seinem Nacken, und jetzt, zwölf Jahre später, droht sie ihre Tat zu vollenden.
Die feurige Cibi, die starke Cibi … Menachem streichelt ihr übers Haar. Vom Tag ihrer Geburt an tat sie kund, dass die Welt sich besser in Acht nahm – sie war hier, und wehe dem, der sich ihr in den Weg stellte. Ihre grünen Augen blitzen gelb auf, wenn das Temperament sie überkommt.
Und Magda, die hübsche, liebe Magda, wie ist sie nur so schnell fünf Jahre alt geworden? Er fürchtet, ihr sanfter Charakter wird sie angreifbar machen für andere, die sie verletzen und ausnutzen. Ihre großen blauen Augen blicken ihn an, und er spürt ihre Liebe, ihr Wissen um seine labile Gesundheit. Sie ist reif für ihr Alter, das sieht er, und von einem Mitgefühl, das sie von ihrer Mutter und Großmutter geerbt hat, dazu die wilde Entschlossenheit, für andere zu sorgen.
Livi hört auf zu zappeln, als Menachem mit ihren weichen Locken spielt. Längst hat er zu ihrer Mutter gesagt, sie sei die Wilde von ihnen, diejenige, so fürchtet er, die mit den Wölfen laufen wird und umknicken wie ein junger Baum, wenn sie überrannt wird. Ihre stechend blauen Augen und ihre zierliche Gestalt erinnern ihn an ein Rehkitz, das leicht erschrickt und immer bereit ist zum Sprung.
Morgen wird ihm die wandernde Kugel aus dem Genick operiert. Warum konnte sie nicht einfach da bleiben, wo sie war? Endlos waren seine Gebete um mehr Zeit mit seinen Mädchen. Er muss sie begleiten, bis sie erwachsen sind, ihre Hochzeiten feiern, seine Enkel im Arm halten. Die Operation ist riskant, und wenn er sie nicht überlebt, ist dies vielleicht der letzte Tag, den er mit ihnen verbringt. Und wenn das so ist, dann mag das für diesen herrlichen Sonnentag noch so furchtbar sein, aber es muss jetzt gesagt werden.
„Und, Vater, was willst du uns sagen?“, drängt Cibi.
„Cibi, Magda, wisst ihr, was ein Versprechen ist?“, fragt er bedächtig. Er will, dass sie die Sache ernst nehmen.
Magda schüttelt den Kopf: „Nein.“
„Ich glaube schon“, sagt Cibi. „Das ist, wenn zwei Leute ein Geheimnis haben, oder?“
Menachem lächelt. Cibi wird es zumindest immer versuchen, genau das liebt er an ihr am meisten. „Nahe dran, Liebling, aber zu einem Versprechen können auch mehr als zwei Leute gehören. Ich möchte, dass dieses Versprechen euch dreien gehört. Livi wird es noch nicht verstehen, deshalb sollt ihr ihr immer davon erzählen, bis sie es auch versteht.“
„Aber ich verstehe es ja selbst nicht, Vater“, wirft Magda ein. „Du bist ganz durcheinander.“
„Es ist ganz einfach, Magda.“ Menachem lächelt. Nichts macht ihm so viel Freude wie ein Gespräch mit seinen Mädchen. Es kribbelt in seiner Brust; er muss sich an diesen Augenblick erinnern, an diesen sonnigen Tag, die großen Augen seiner drei Töchter. „Ich möchte, dass ihr mir und euch gegenseitig versprecht, dass ihr immer aufeinander aufpasst. Dass ihr immer füreinander da seid, egal, was kommt. Dass ihr niemals zulasst, dass euch irgendwer voneinander trennt. Versteht ihr?“
Magda und Cibi nicken, und Cibi fragt plötzlich ganz ernst: „Ja, Vater, aber warum sollte uns jemand trennen wollen?“
„Ich sage ja nicht, dass das passiert, ich möchte nur, dass ihr mir versprecht: Wenn jemand versucht, euch zu trennen, erinnert ihr euch, worüber wir heute hier gesprochen haben, und tut alles, was in eurer Macht steht, damit das nicht passiert. Zusammen seid ihr drei stärker, das dürft ihr nie vergessen.“ Menachems Stimme schwankt, er räuspert sich.
Cibi und Magda wechseln einen Blick. Livi sieht von einer Schwester zur anderen, dann zum Vater; sie merkt, dass es ein feierlicher Moment ist, aber sie begreift nicht, was das bedeutet.
„Ich verspreche es, Vater“, sagt Magda.
„Cibi?“, fragt Menachem.
„Ich verspreche es auch, Vater. Ich verspreche, auf meine Schwestern aufzupassen – ich lasse nicht zu, dass jemand ihnen etwas antut, das weißt du.“
„Ja, das weiß ich, meine liebe Cibi. Dieses Versprechen wird ein Pakt zwischen euch dreien und sonst niemandem. Erzählt ihr Livi von diesem Pakt, wenn sie alt genug ist, um es zu verstehen?“
Cibi nimmt Livis Gesicht in die Hände und dreht es zu sich, sieht ihr in die Augen. „Livi, sag ›versprechen‹. Sag ›Ich verspreche es‹.“
Livi mustert ihre Schwester. Cibi nickt, redet ihr zu, ihr die Worte nachzusprechen.
„Ich verspleches“, sagt Livi.
„Jetzt sag es zu Vater, sag ›Ich verspreche es‹ zu Vater“, weist Cibi sie an.
Livi dreht sich zu ihrem Vater, ihre Augen tanzen, das Glucksen in ihrer Kehle droht herauszubrechen, sein warmes Lächeln lässt ihr kleines Herz aufgehen. „Ich verspleches, Vater. Livi versplecht es.“
Er drückt seine drei Mädchen an die Brust, und über Cibis Kopf hinweg lächelt er dem anderen Mädchen in seinem Leben zu, der Mutter seiner Töchter, die in der Tür zum Haus steht mit glitzernden Tränen auf den Wangen.
Er hat zu viel zu verlieren; er muss überleben.
Kapitel 1
Vranov nad Topľou, Slowakei
März 1942
„Bitte sagen Sie mir, dass alles gut wird, ich mache mir solche Sorgen“, fleht Chaya, während der Arzt ihre achtzehnjährige Tochter untersucht.
Magda kämpft seit Tagen mit Fieber.
„Ja, Frau Meller, Magda wird wieder gesund“, beruhigt Dr. Kyselý sie.
In dem winzigen Zimmer stehen zwei Betten: In einem schläft Chaya mit ihrer Jüngsten, Livi; und
das andere teilt Magda sich mit ihrer älteren Schwester Cibi, wenn sie zu Hause ist. An einer der Wände steht ein großer Schrank, vollgestopft mit dem kleinen persönlichen Besitz der vier Frauen im Haus. Auf dem Ehrenplatz: der kristallene Parfümzerstäuber mit smaragdgrünem Schlauch und Quaste und daneben ein körniges Foto. Ein gut aussehender Mann sitzt auf einem einfachen Stuhl, auf einem Knie ein Kleinkind, auf dem anderen ein älteres Mädchen. Ein noch älteres Mädchen lehnt links neben ihm. Zu seiner Rechten steht die Mutter der Mädchen, die Hand auf der Schulter ihres Mannes. Mutter und Töchter tragen weiße Spitzenkleider, und zusammen sind sie eine bildschöne Familie – zumindest waren sie das.
Als Menachem Meller auf dem OP-Tisch starb – die Kugel war endlich draußen, aber der Blutverlust zu groß –, wurde Chaya zur Witwe und die Mädchen vaterlos. Izák, Chayas Vater und der Großvater der Mädchen, zog in das Häuschen, um zu helfen, wo er konnte, und Chayas Bruder Ivan lebt im Haus gegenüber.
Chaya ist nicht allein, so allein sie sich auch fühlt.
Im Schlafzimmer sind die schweren Vorhänge zugezogen und schützen die mit Schüttelfrost daliegende Magda vor der hellen Frühlingssonne, die jetzt über die Vorhangstange hereinblitzt.
„Können wir im anderen Zimmer reden?“ Dr. Kyselý fasst Chaya am Arm.
Livi, die mit übergeschlagenen Beinen auf dem anderen Bett sitzt, sieht zu, wie Chaya ein frisches feuchtes Tuch auf Magdas Stirn legt.
„Bleibst du bei deiner Schwester?“, bittet die Mutter, und Livi nickt.
Als die Erwachsenen den Raum verlassen, geht Livi hinüber zum Bett ihrer Schwester und legt sich neben sie; sorgsam wischt sie ihr mit einem trockenen Handtuch den Schweiß vom Gesicht.
„Du wirst wieder gesund, Magda. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“
Magda zwingt sich zu einem Lächeln. „Das ist mein Text. Ich bin deine große Schwester, ich passe auf dich auf.“
„Dann werde gesund.“
Chaya und Dr. Kyselý gehen die paar Schritte vom Schlafzimmer in den Wohnraum des kleinen Hauses. Der Eingang führt direkt in diesen gemütlichen Raum mit dem Kochherd an der Rückwand.
Am Spülstein steht Izák, der Großvater, und wäscht sich die Hände. Eine Spur aus Hobelspänen zeigt seinen Weg aus dem Garten an, und auf dem verblichenen blauen Filzteppich liegen noch mehr. Erschrocken fährt er herum, Wasser spritzt auf den Boden. „Was ist los?“, fragt er.
„Izák, ich bin froh, dass Sie da sind, kommen Sie, setzen Sie sich zu uns.“
In Chayas Augen steht Angst, als sie sich zu dem jungen Arzt umwendet. Dr. Kyselý lächelt und führt sie zu einem Küchenstuhl, zieht von dem kleinen Tisch einen anderen herüber, auf dem Izák sitzen kann.
„Geht es ihr sehr schlecht?“, fragt Izák.
„Sie wird wieder gesund. Sie hat einen Infekt, nichts, woran ein gesundes junges Mädchen zugrunde geht.“
„Warum dann das hier?“ Chaya weist mit der Hand auf sich und den Arzt.
Dr. Kyselý holt einen dritten Stuhl und setzt sich. „Ich möchte Ihnen keine Angst machen mit dem, was ich Ihnen jetzt sage.“
Chaya nickt kaum; er soll endlich mit der Sprache herausrücken. Die Jahre seit Kriegsbeginn haben sie verändert: Ihre einst glatte Stirn ist faltig, und sie ist so mager, dass die Kleider an ihr herunterhängen wie nasse Lappen.
„Also, was ist?“, fragt Izák. Die Verantwortung für seine Tochter und die Enkelinnen hat ihn vorzeitig altern lassen, er hat keine Zeit mehr für lange Spielchen.
„Ich möchte Magda ins Krankenhaus einweisen …“
„Was? Gerade haben Sie gesagt, sie wird wieder gesund!“, fährt Chaya auf. Sie springt auf, umklammert den Tisch.
Dr. Kyselý hebt eine Hand, um sie zu beruhigen. „Nicht weil sie krank ist. Ich will Magda aus einem anderen Grund einweisen, und wenn Sie mir zuhören, erkläre ich es Ihnen.“
„Um Himmels willen, wovon reden Sie?“, fragt Izák. „Spucken Sie’s aus.“
„Frau Meller, Izák, ich höre Gerüchte, furchtbare Gerüchte – von jungen Juden, Mädchen und Jungen, die aus der Slowakei deportiert werden zum Arbeitsdienst für die Deutschen. Wenn Magda im Krankenhaus ist, ist sie in Sicherheit, und ich sorge dafür, dass ihr nichts zustößt. Versprochen.“
Chaya sinkt auf ihrem Stuhl zusammen, die Hände aufs Gesicht gepresst. Das hier ist viel schlimmer als Fieber.
Izák hat ihr abwesend über den Rücken gestrichen, aber jetzt horcht er genau auf jedes Wort, das der Arzt ihnen sagt. „Und weiter?“, fragt er, sieht dem Arzt in die Augen, drängt ihn, freiheraus zu sprechen.
„Wie gesagt, Gerüchte und Gerede, aber alles nichts Gutes für die Juden. Wenn sie eure Kinder holen, ist das der Anfang vom Ende. Ein Arbeitsdienst für die Nazis? Keine Ahnung, was das bedeutet.“
„Was können wir tun?“, fragt Izák. „Wir haben schon alles verloren – das Recht zu arbeiten, unsere Familien zu ernähren … Was können sie uns noch wegnehmen?“
„Wenn das, was ich höre, irgendeine Grundlage hat, wollen sie eure Kinder.“
Chaya richtet sich auf. Ihr Gesicht ist rot, aber sie weint nicht. „Und Livi? Wer schützt Livi?“
„Ich glaube, sie interessieren sich nur für Ältere. Livi ist fünfzehn, oder?“
„Sechzehn.“
„Also fast noch ein Baby.“ Dr. Kyselý schmunzelt. „Ich glaube, Livi passiert nichts.“
„Und wie lange soll Magda im Krankenhaus bleiben?“, fragt Chaya. Sie wendet sich an ihren Vater. „Sie wird nicht gehen wollen, sie will Livi nicht allein lassen. Weißt du noch, Vater, als Cibi wegging, hat sie Magda das Versprechen abgenommen, dass sie auf ihre kleine Schwester aufpasst.“
Izák tätschelt Chaya die Hand. „Wenn wir sie retten wollen, muss sie gehen, ob sie will oder nicht.“
„Ich denke, ein paar Tage, vielleicht eine Woche, mehr brauchen wir nicht. Wenn die Gerüchte stimmen, passiert es bald, und danach bringe ich sie nach Hause. Und Cibi? Wo ist sie?“
„Sie kennen Sie, sie ist bei der Hachschara.“ Chaya weiß nicht, was sie von der Hachschara halten soll – dort werden junge Menschen wie Cibi in Kursen auf alles vorbereitet, was sie für ein neues Leben in Palästina brauchen, weit weg von der Slowakei und dem Krieg, der in Europa wütet.
„Dann lernt sie immer noch, den Boden zu bestellen?“, scherzt der Arzt, aber weder Chaya noch Izák lächeln.
„Wenn sie auswandert, wird sie genau das vorfinden – jede Menge fruchtbares Land, das darauf wartet, bestellt zu werden“, sagt Izák.
Chaya dagegen bleibt stumm, in Gedanken verloren. Ein Kind im Krankenhaus, ein anderes jung genug, um den Klauen der Nazis zu entgehen. Und das dritte, Cibi, ihre Älteste, gehört jetzt zu einer zionistischen Jugendbewegung, deren Ziel es ist, eine Heimat für die Juden zu schaffen, wann immer es dazu kommen mag.
Längst haben sie alle begriffen, dass sie jetzt ein Gelobtes Land brauchen, und je eher, desto besser. Doch für den Moment, glaubt Chaya, sind ihre drei Kinder wenigstens in Sicherheit.
Kapitel 2
Im Wald außerhalb von Vranov nad Topľou, Slowakei
März 1942
Cibi duckt sich, als ein Stück Brot an ihrem Kopf vorbeifliegt. Vorwurfsvoll sieht sie zu dem jungen Mann hinüber, der es geworfen hat, aber das Zwinkern ihrer Augen sagt etwas anderes.
Cibi hat nicht gezögert, als der Aufruf kam; eifrig folgte sie dem Gedanken, in einem neuen Land ein neues Leben zu beginnen. Auf einer Lichtung mitten im Wald, weit weg von spähenden Augen, wurden ein paar Schlafhütten errichtet, dazu ein Gemeinschaftsraum und eine Küche. Jeweils zwanzig Jugendliche auf einmal lernen dort, autark zu sein, in einer kleinen Gemeinschaft zu leben und zu arbeiten, sich auf ein neues Leben im Gelobten Land vorzubereiten.
Verschafft hat ihnen diese Chance der Onkel eines der Jungen, der auch an dem Kurs teilnimmt. Jozef ist zwar zum Christentum konvertiert, aber trotzdem bekümmert ihn die Notlage der Juden in der Slowakei. Mit seinem Vermögen hat er im Wald vor den Toren der Stadt ein Stück Land erworben, einen sicheren Ort, an dem die Jungen und Mädchen sich für ihren Kurs versammeln können. Nur eine Regel hat Jozef aufgestellt: Jeden Freitagmorgen müssen alle nach Hause, vor dem Sabbat, und sie dürfen erst am Sonntag zurückkehren.
Seufzend sieht Jozef zu, wie Yosi in der Küche mit einem Stück Brot nach Cibi wirft. Für diese Gruppe laufen schon die Reisevorbereitungen – in zwei Wochen werden sie aufbrechen. Sein Ausbildungslager funktioniert: Acht Gruppen sind bereits nach Palästina unterwegs – und trotzdem machen sie hier noch Unfug.
„Wenn uns in Palästina nicht die Hitze umbringt, tut es dein Essen, Cibi Meller!“, ruft der Angreifer Cibi zu. „Vielleicht solltest du es dabei belassen, Essen anzubauen.“
Cibi springt auf den jungen Mann zu und legt ihm den Arm ums Genick. „Wenn du mich weiter mit Dingen bewirfst, wirst du es nicht mehr lebendig bis Palästina schaffen“, erklärt sie und drückt ein kleines bisschen zu.
„Gut jetzt, alle miteinander!“, ruft Jozef. „Jetzt esst auf und seht zu, dass ihr nach draußen kommt. In fünf Minuten beginnt die Übung.“ Er bricht ab. „Cibi, brauchst du noch ein bisschen mehr Zeit in der Küche, um das Brotbacken zu üben?“
Sie lässt Yosis Nacken los und nimmt Haltung an. „Nein, Jozef, ich sehe da keine Verbesserung, egal, wie lange ich in der Küche stehe.“
Während sie noch spricht, rumpeln zwanzig Stühle über den Holzboden im improvisierten Speisesaal; zwanzig jüdische Jungen und Mädchen beenden eilig ihre Mahlzeit, ungeduldig, nach draußen zu kommen und weiterzuüben.
In krummen Reihen nehmen sie Haltung an, als ihr Ausbilder Jozef herankommt. Er strahlt vor Stolz auf seine tapferen Rekruten und ihre Bereitschaft, sich auf eine gefährliche Reise zu begeben, ihre Familien zurückzulassen, ihr Land, während rund um sie der Krieg und die NS-Besatzung wüten. Er ist älter und hat in weiser Voraussicht auf die Zukunft der Juden in der Slowakei die Hachschara ins Leben gerufen, weil er glaubt, dass das ihre einzige Chance ist, wenn sie das Bevorstehende überleben sollten.
„Guten Morgen“, sagt Jozef.
„Guten Morgen“, erwidern die jungen Leute.
„›An dem Tage schloss der Herr einen Bund mit Abram …‹?“, beginnt er, um ihre Kenntnis aus dem ersten Buch der Bibel zu testen.
„›Deinen Nachkommen gebe ich dies Land von dem Strom Ägyptens an bis an den großen Strom, den Euphrat‹“, entgegnet die Gruppe.
„›Und der Herr sprach zu Abram …‹?“
„›Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will‹“, beenden sie den Vers.
Den feierlichen Moment unterbricht das Tuckern eines Lastwagens, der sich mühsam über die Lichtung kämpft. Er hält neben ihnen, ein Bauer klettert heraus.
„Yosi, Hana, Cibi“, ruft Jozef, „ihr seid heute die Ersten bei der Fahrstunde. Und Cibi, mir ist egal, wie gut du kochen kannst, aber du musst lernen, einen Lastwagen zu fahren. Geh es mit derselben Begeisterung an, wie du dich eben über Yosis Genick hergemacht hast, dann zeigst du bald schon den anderen, wie es geht. Ich will, dass jeder von euch eine Sache völlig beherrscht, damit ihr hier beim Üben helfen könnt. Verstanden?“
„Jawohl!“
„Und alle anderen rüber zur Scheune. Da stehen alle möglichen Ackergeräte, die lernt ihr zu benutzen und instand zu halten.“
Cibi, Hana und Yosi treten an die Fahrertür des Lastwagens.
„Dann mal los, Cibi, du zuerst. Aber versuch, ihn nicht kaputt zu machen, bevor Hana und ich an der Reihe sind“, stichelt Yosi.
Cibi stürzt sich auf Yosi, und wieder windet sie ihm einen Arm um das Genick.
„Ich fahre schon durch die Straßen von Palästina, wenn du noch nicht mal den ersten Gang findest“, schnaubt Cibi ihm ins Ohr.
„So, jetzt ist’s aber gut, ihr zwei. Cibi, rauf mit dir – ich setze mich auf die andere Seite“, mahnt der Bauer.
Als Cibi auf den Fahrersitz klettert, hilft Yosi von hinten mit einem kräftigen Schubser nach. Noch auf dem Trittbrett überlegt Cibi, wie sie reagieren soll. Sie beschließt, Yosi nachher genauso zu helfen, wenn er an der Reihe ist.
Yosi und Hana brüllen vor Lachen, als Cibi hinter dem Steuerrad mit lautem Knirschen den Motor in Gang bringt und den Weg hinunterholpert. Aus dem Fenster am Fahrersitz schiebt sich ein Arm, den Mittelfinger erhoben.
"Wie Sie vielleicht wissen, bin ich durch Zufall auf Lale Sokolovs Geschichte gestoßen, ohne viel über den Holocaust zu wissen oder darüber, was danach mit den Überlebenden der Lager geschah. Was ich beim Schreiben meines ersten Romans "Der Tätowierer von Auschwitz" herausfand, führte mich direkt zu Cilka Kleins Geschichte, die ich in "Das Mädchen aus dem Lager" erzählt habe.
Sie wiederum führte mich zu diesem dritten Holocaust-Roman, "Die Schwestern von Auschwitz". Die ProtagonistInnen aller drei Bücher kannten sich und blieben ihr Leben lang in Kontakt.
Mein Sachbuch "Geschichten der Hoffnung" ist die Brücke, welche die drei Romane verbindet. "Die Schwestern von Auschwitz" ist eine Geschichte über das Überleben und weibliche Stärke, aber auch über die Kraft der Schwesternliebe, welche diese drei Frauen nicht nur gemeinsam überleben ließ, sondern ihnen auch ein erfülltes Leben ermöglichte, in dem sie ihre Kinder zusammen aufzogen." Heather Morris
„Die eindringlichen Schilderungen der Autorin führen einen durch eine Achterbahn von Emotionen.“
„Solange es solche Bücher gibt, bleiben wir wachsam. Ein Mahnmal zwischen Buchdeckeln.“
„Die Erzählung von den drei Schwestern Cibi, Livia und Magda zieht den Leser in seinem Bann.“
„Eine berührende Geschichte.“
„Spannend, eindrücklich und keine leichte Kost, denn die Erlebnisse dieser Frauen lassen niemanden kalt.“
„Ein Mahnmal zwischen Buchdeckeln.“
„Wie auch schon bei ›Der Tätowierer von Auschwitz‹ hat mich dieses Buch sehr mitgenommen und ich habe die Schwestern sind mir einfach so ans Herz gewachsen. Ich kann euch dieses Buch auf jeden Fall weiterempfehlen. Vor allem wenn ihr ›Der Tätowierer von Auschwitz‹ mochtet.“
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