Die Unerwünschte
Roman
In Sachen Kritik ist Elisabeth Plessen eine Meisterin, und in ihrem Roman zieht sie alle Register dichterischen Schimpfens. Die Lektüre wird dazu verführen, die beiden ersten Teile der Trilogie neu zu lesen. - Der Tagesspiegel
Die Unerwünschte — Inhalt
Eine Familiengeschichte von Tradition und Aufbruch
Charlotte und Alma haben sehr verschiedene Perspektiven auf die Welt, als sie sich in einem toskanischen Badeort treffen. Gemeinsam betrachten die betagte Chronistin und ihre selbstbewusste Großnichte über siebzig Jahre Familienvergangenheit. Mit dem Kriegsende 1945 hatte sich das Leben für die norddeutschen Gutsbesitzer grundlegend verändert: Söhne und Stammhalter gingen verloren, und auf den Ländereien suchten Flüchtlinge ihr Heil. Die Frauen mussten die Verantwortung übernehmen: Stefanie, Ingrid und ihre vielen Töchter und Enkelinnen. Eine bewegende Generationen- und Emanzipationsgeschichte.
„… nachdenklich und klug: eine Familiengeschichte auch als deutsche Gesellschaftsgeschichte.“ Jutta Duhm-Heitzmann, WDR 3
„Ein wilder, berauschender Ritt durch hundert Jahre einer Adelsfamilie“ Irene Dische
Leseprobe zu „Die Unerwünschte“
I
1
Sie ritt weit über die Mähne gebeugt, der Hals des Pferdes triefte vor Schweiß. Er verklebte das mahagonifarbene Fell zu dunklen Placken. Sie stand in den Bügeln. Ein Hindernis nach dem anderen, hier, im Land ihres Vaters. Ihrer Vorfahren und Ahnen mit ihren Spuren oben in den Wolken. Wo sie jetzt selbst gern wäre.
Nie habe ich jemand anderen reiten sehen in Greiffensee, wenn ich Stefanie besuchte. Es war immer so. Vor dem Krieg, während des Krieges und danach. Wilde Mohnblumen, Feldlerchen, verschilfte Gräben. Im Sommer, im Winter. Dem Pferd war es [...]
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1
Sie ritt weit über die Mähne gebeugt, der Hals des Pferdes triefte vor Schweiß. Er verklebte das mahagonifarbene Fell zu dunklen Placken. Sie stand in den Bügeln. Ein Hindernis nach dem anderen, hier, im Land ihres Vaters. Ihrer Vorfahren und Ahnen mit ihren Spuren oben in den Wolken. Wo sie jetzt selbst gern wäre.
Nie habe ich jemand anderen reiten sehen in Greiffensee, wenn ich Stefanie besuchte. Es war immer so. Vor dem Krieg, während des Krieges und danach. Wilde Mohnblumen, Feldlerchen, verschilfte Gräben. Im Sommer, im Winter. Dem Pferd war es egal. Wann immer ich an Stefanie denke, sagte Charlotte, kommt mir zuerst dieses Bild in den Sinn: Deine Großmutter im Galopp im Land ihres Vaters.
Aber war es nicht auch das Land ihrer Mutter?, fragte Carlo. Hatte er nicht gesagt: Was meins ist, meine Liebe, ist auch deins? Carlo dehnte das Wort Liebe in die Länge, um es besser zu schmecken. Er sah dabei aus wie Caruso mitten in einer Arie.
Nein, sagte jetzt Alma. Das Land gehörte meinem Urgroßvater. Frauen heirateten bloß ein. Sie sprachen nie darüber oder wenn, dann erst im Alter, als Witwen. Als Witwen dann ununterbrochen.
Abgesehen von Ausnahmen, ergänzte Charlotte, sie hielt nichts von Verallgemeinerungen.
Das Land des Vaters, des Großvaters, des Urgroßvaters.
Sie wirbelte das Leder rechter Hand von Sleipnirs Hals, sie peitschte nicht das Pferd, sie peitschte die Luft. Gipfel der Freiheit. Hörte die Luft. Odins wilde Jagd die alte Heerstraße entlang dort oben. Ein verschneites Feld vor sich bis in den Horizont, kaum auszumachen in der Ferne. Wenn Schnee fiel, fiel er ihr, ein weißer Vorhang, vor die Füße. Im Sommer ein betörend rotes Feld, wie der offene Mantel der Madonna. Bilder. Da und dort ein rosa Klatschmohn. Leicht schäumend färbte sich der Schweiß des Tieres aschgrau unter der Satteldecke. Sleipnirs geräuschlose Hufe. Erst unter dem Torhausbogen hallten sie auf dem Kopfsteinpflaster wider. Beide, Frau und Pferd, erschöpft und verschwitzt von durchstandenem Glück.
Das Pferd hieß tatsächlich Sleipnir, sagte Charlotte, Stefanie zeichnete es viele Male. Es war ein göttliches Pferd, nicht das sie ritt, sondern das sie zeichnete.
Mein Mund bekommt es einfach nicht hin, den Namen auszusprechen, sagte Carlo, die Zunge wehrt sich, ich verheddere mich, bitte sag es noch mal, Alma, langsam, Buchstabe für Buchstabe.
Sleipnir.
Schnell, Alma, los, lauf! Carlo ergriff ihre Hand, und sie lief, so schnell sie konnte, mit ihm, nicht wie eine Sportlerin, nicht in hohen Sprüngen wie ein Reh, wie früher Charlotte, eher wie eine petite dame aus der Großstadt im zu engen Rock. Sie warf die Waden rechts und links. Kleine Trommelwirbel. Trommelnde Keulen ihre Waden. Die Arme ausgestreckt, stürzten sich beide bäuchlings ins Wasser. Charlotte, auf dem großen blauen Tuch im Schatten der Pinie, sah sie durch die Brandung tauchen. Sie selbst war eine tollkühne Schwimmerin gewesen, damals, als sie so alt war wie Alma jetzt, sie war in den Horizont geschwommen, ihre Leute am Ufer sorgten sich, dass sie, kurzsichtig, wie sie war, nicht zurückfinden würde. Nicht zurückfinden, weiter in den lichten Horizont hinein, dieser Sog. Bloß nicht zurück. Ihr Mann hatte wild gestikuliert. John. Dein selbstmörderischer Trotz, Liebling, deine Waghalsigkeit, ja, Dummheit mit deinem Horizont, versetzt mich jedes Mal in Panik, tu das nicht, bitte, verstehst du, mir zuliebe. Sie hatte es nicht verstanden. Jetzt drehten sich die zwei da draußen um und schwammen nebeneinanderher zum Ufer zurück. Rannten den Strand herauf und ließen sich neben sie auf das Tuch fallen. Carlos Rippen wogten wie ein Blasebalg. Alma atmete ruhiger.
Und weshalb fragten die Frauen nichts, Charlotte?
Weiß ich’s? Das Gefälle war zu steil. Gespräche in der Familie führten die Männer. Deine Großmutter übernahm das Muster und sprach nicht mit mir. Ich war ein Mädchen. Weshalb sie ihre Aufmerksamkeit ganz und gar Ludwig widmete, meinem Bruder, zumal er der Erbe war und später den Herrn von Ahlefeld markieren sollte. Dein Onkel. Mädchen wurden übersehen wie durchziehender Wind.
Eines Tages war aber Charlotte plötzlich da, kein lauer Wind mehr, eine Böe, stürmisch, die Familie bis in den Himmel hinauf entehrend, sie habe den altehrwürdigen Namen beschmutzt, besudelt, hieß es. Sie hatte einen Artikel publiziert, dann noch einen, eine ganze Serie, die beschwiegenen Dinge einer Familie beschrieben, die nicht mal nur die eigene war, polemisch, impertinent. Ihr späteres Buch erwies sich landes- und auch ein bisschen weltweit ebenfalls als explosiv. Stefanie war empört. Nestbeschmutzung! Charlotte, ein Wiedehopf, der in sein eigenes Nest schiss.
Deine Großmutter, Alma, nahm mich auf einmal wahr, doch weder ernst noch wahr, was ich geschrieben hatte. Ich sollte also bis in alle Ewigkeit das kleine Mädchen bleiben, so wie mein Vater sie zu behandeln verstand, biegsam, ich sollte sie genauso bewundern und zu ihr hinaufschauen wie Hugo, wenn sie auf ihrem großen Pferd über den Hof angeritten kam. Eine Frau ohne Kopf. Ein gestauchter Körper.
Alma kraulte Carlos Nacken.
Das Klima im Land war aufgeheizt, es war politisch zerrissen, rechtes Lager, linkes Lager, Bemühungen um Aufklärung über Nazideutschland und die Folgen waren verpönt. Als herrschte wieder die alte Duellsituation wie vor dem Ersten Krieg, mit Sekundanten im Nebel morgens um halb sechs. Stefanie gehörte zur abgewirtschafteten Fraktion, im Nebel in aller Herrgottsfrühe.
Eine einsame schrullige alte Frau, von allem abgeschottet, so habe ich sie erlebt, sagte Alma.
Vergiss nicht, sagte Carlo, die schrullige einsame Frau hast du erst viele Jahre später im Torhaus erlebt. Man kann nicht einfach eine ganze Generation überspringen. Überspring nicht ihr Leben. Weißt du noch, wie komisch sie in Rom gewesen sein soll?
Wenn Stefanie unter dem Bogen des Torhauses hindurchritt, klang der Hall von Sleipnirs Hufen anders als auf dem Kopfsteinpflaster der auf das Tor zuführenden Allee und des weitläufigen Hofgeländes, das sie vom Stall her zu überqueren hatte. Der Klang auf dem Stein war dumpf, weil der Torbogen trotz des hohen Gewölbes ihn nicht frei aufsteigen ließ. Erst draußen im Freien, entlang der neu gekappten Linden, gab sie dem Pferd die Zügel frei, ließ die braunen, auf der einen Seite glatten, auf der anderen aufgerauhten Lederriemen an den Schultern des Tieres schleifen und klopfte seinen Hals. Ihre Stiefel glänzten. Der Diener hatte sie sorgfältig geputzt, blanker ging’s nicht, jeden Morgen in der Früh, wenn Stefanie noch schlief. Ein anderer Hausdiener von viel früher, aus ihrer Jugendzeit, den sie Willem genannt hatte, hatte die Stiefel ebenfalls jeden Morgen frisch gewienert in der Garderobe aufgereiht und geprüft, ob sie ausgerichtet waren wie beim Kommis. Ihre, Hugos, Kais und Willos Stiefel, so war die Abfolge. Allein Kais Stiefel, Größe 44, tanzten zu seiner Betrübnis aus der Reihe.
Nestbeschmutzung? Wiedehopf? Carlo hatte nicht verstanden.
In deiner Sprache heißt er Upupa, sagte Alma. Sie studierte Ornithologie und arbeitete über diese Vögel. Und würde nächstes Jahr ihr Praktikum machen, bei einem Winzer am Wagram in Niederösterreich.
L’upupa ma dai, sagte Carlo und versuchte, den Ruf des Vogels zur Paarungszeit nachzumachen. Tiefkehlig sanft lockend wie eine Rohrflöte. Ich liebe diese schönen Vögel.
Ich liebe sie auch, sagte Charlotte, diese Flaneure, die mit dem Kopf wippend durchs Gras schreiten, so als tanzten sie ihr Liebes-Menuett in einer Gavotte.
Lauter Nestbeschmutzer, jedenfalls in unserer Mythologie, sagte Alma.
Un che sputo nel piatto in cui si mangia? Verstehe ich richtig?
Tust du. Und ich bin so froh, dass durch die Initiative von ein paar Leuten die Wiedehopfe zurückkehren. Sie sterben bei uns aus.
Bei uns ist es noch nicht so weit. War deine Großmutter keine Nestbeschmutzerin?
Eher das Gegenteil, denke ich.
Und das wäre? Una persona che parla male del proprio paese, hieße das bei uns. Jemand, der kritische Köpfe diffamiert.
Klar, das ist wohl in allen Sprachen so. Man bricht mit dem, der Tabus bricht.
Unweit des Dorfes zum Beispiel, wo sie aufwuchs, wurde die Außenstelle eines Konzentrationslagers errichtet, ein Jahr vor Kriegsende. Hier wurden Häftlinge für den Ausbau eines Militärflughafens eingesetzt. Zur Erinnerung sollte ich vielleicht festhalten, sagte Charlotte, wer alles Häftlinge waren, lauter unbescholtene Menschen von überall aus Europa, die x-beliebige deutsche Nazis zu Häftlingen erklärten. Mehr als siebenhundert starben bei diesem Gewaltstreich. Endkampf. Vernichtung durch Arbeit. Solche Außenstellen gab es Abertausende, quer durchs Land verteilt. Es ist kein Geheimnis, und auch damals war es das nicht, die meisten wussten davon. Nach dem Krieg herrschte darüber Stillschweigen, bis ein Mann aus dem Dorf, selber Häftling gewesen, den bleiernen Deckel über den mörderischen Geschehnissen hob, und zwar buchstäblich: Er war beim Durchstreifen des Waldes über eine Betonplatte gestolpert, dicht unter dem Laub versteckt, die zur Küche der Nordbaracke gehört hatte. Der Mann begann zu graben. Fortan sah er sich Feinden gegenüber. Anstelle des Lagers vor Kurzem noch war eine blühende Gartenstadt entstanden, deren Bewohner sich nach dem totalen Krieg dem totalen Vergessen verschrieben hatten. Doch mit der Zeit änderte sich auch der Zeitgeist. Aus dem Nestbeschmutzer, wie man ihn in der Umgebung diffamiert hatte, wurde ein hochgeachteter Mann, um ihn versammelten sich Mitstreiter in wachsender Zahl, fest entschlossen, die Verbrechen minutiös aufzudecken. Heute gibt es eine Gedenkstätte im Dorf mit Ausstellungen, Tagungen, Lesungen. Das war kein Einzelfall, bei Weitem nicht. Noch Jahrzehnte nach dem Krieg hing all jenen, die sich gegen die Nazis engagiert hatten – Willy Brandt, Marlene Dietrich, Thomas Mann und so weiter –, der Ruf an, Vaterlandsverräter, Nestbeschmutzer zu sein.
Sie sind so schöne, stolze, elegante Vögel, sagte Carlo. Wiedehopfe. Und ihr beschwert ihre Flügel mit dem Schlamm eurer Geschichte. Ich sehe ihnen gern beim Schreiten zu, wie sie ihre kämpferische Krone im Rhythmus wiegen. Werden sie schlechtgemacht, weil sie so schön sind? In der mediterranen Mythologie findet sich kein Bild für sie als Nestkacker.
Man nennt sie auch Holzhüpfer. Auch ein schönes Wort, nicht wahr? Nicht so lautmalerisch wie Upupa, sondern szenisch. Hüpft im Holz. Bei euch gibt es eine ganze Fraktion Upupisti, nach deren Theorie die noch nicht flüggen Jungen ins Nest scheißen. Ihre Nester haben ja ein großes Einschlupfloch, und wenn Füchse oder Schlangen es auf sie absehen, setzen sie sich mit ihrer Bürzeldrüse zur Wehr. Wenn also der Fuchs ihnen auflauert, drehen sie ihm ihren Hintern zu und spritzen ihm kräftig eine Mischung aus Kot und einem scharfen Sekret ins Gesicht. Bis zu zwei Meter weit soll es die Drüse schaffen. Wenn sie dann fliegen können, bilde sie sich zurück, heißt es, aber das kann man nicht nachweisen, weil sie nie mehr ins Nest zurückkehren, sondern sich anderswo ein neues bauen oder gleich nach Indien oder Afrika fliegen. In der Brutzeit aber bildet das Weibchen die Drüse wieder aus, es wäre sonst schutzlos, und kann sich verteidigen wie die Jungen. Ist das nicht wunderbar?
Charlotte sah aufs Meer hinaus. Eine Jacht steuerte an der Insel vorbei Richtung Hafen. Die Insel war klein, kaum mehr als ein aufragender Fels. Früher war sie häufig zu dem Steinhaufen geschwommen, so wie Alma und Carlo jetzt. Wollte sie wirklich in die Abgründe der Familiengeschichte zurück? So viel Familie, zum Ersticken. Das eigene Leben leben. Nicht das ihrer Tante Stefanie. War aufs Meer schauen, seine Linie am Horizont nachzeichnen oder die weißen Hörner seiner Wellen vor dem Horizont und die schattige Hitze genießen nicht viel angenehmer? Sich endlich einmal wieder gehen lassen. Und darauf hoffen, dass die Krake Berlusconi in ihren letzten Zuckungen verendete. Und die Welt sie wie die Hexe im Märchen umtanzte. Alma und Carlo hatten die Insel fast erreicht.
Ich trockne in der Sonne? An der Sonne? Wie sagt man es richtig?
Beides geht, sagte Alma. Sie beobachtete die Wassertropfen auf Carlos Rücken, die allmählich verschwanden. Sie wartete auf den letzten, eine kleine nasse Blase, die sie ungeduldig wegküsste. Bald würde Charlotte ins Haus zurückkehren. Selbst im Schatten unter der Pinie machte die Hitze sie müde.
Ich kann also beides sagen?, fragte Carlo erstaunt. Und auch ein Drittes dazuerfinden?
Ja, alles. – Schade, dass sie schon so alt ist, flüsterte Alma in Carlos Ohr.
Charlotte hörte es und dachte, schade, dass sie es nicht laut sagt. Es wäre lustiger.
Warum hast du eigentlich nicht wieder geheiratet?, fragte Alma sie jetzt und probierte dabei Charlottes breiten grünen Strohhut mit dem Kirschbukett auf.
Es gab keinen nach John.
Aber Männer gibt es wie Sand am Meer, sagte Carlo. Von Asien bis Europa, von Australien bis Amerika.
Ich wünschte, es wäre so.
Aber?
Ein Sandkorn ist nicht wie ein anderes Sandkorn im Ozean der Sandkörner. Ein Körper im Ozean der Körper, das schon, da hast du vielleicht recht. Aber ein Ozean der Seelen?
Und?
Nichts. Die Stelle war besetzt. Bei keinem, der sich erbot, sprang ein Funke über. Zu viel Wille ist hinderlich, und zu wenig Wille langweilig. Ich blieb lieber allein. Und schloss Freundschaften enger.
Da fehlt dir viel.
Mag sein.
Auch Stefanie hat nicht wieder geheiratet, und deine Mutter, Ingrid, ebenfalls nicht, sagte Alma. Das verbindet euch drei, bei allen Unterschieden.
Darüber habe ich noch nie nachgedacht, sagte Charlotte. Was für eine Verbindung wäre das?, fragte sie sich.
Und weshalb Stefanie und Ingrid nicht?, fragte Carlo. Wegen der gesellschaftlichen Stellung, die sie verloren hätten?
Ich kann für sie nicht sprechen. Ich selbst hatte nichts zu verlieren.
2
Stefanie war eine gute Partie. Freunde der Eltern musterten das Mädchen und dachten an die eigenen Söhne. Einer von ihnen, wäre er erst in dem Alter, könnte sie heimführen. Die Blicke tasteten den noch mageren Körper ab. Auf dem Kopf des Kindes loderten widerspenstige rotblonde Locken, die die große Schleife in der Mitte kaum bändigte. Glühte es im Schamhaar etwa auch? Woher ein solches Feuer, in dieser Familie? Manche schöpften stillen Verdacht, der sich nur mit Geschwätz untermauern ließ.
Sie sollte nicht so mir nichts, dir nichts weggehen. Nein. Meine einzige Tochter, meine kleine Hexe, meinte Ernst August, der Vater. Da werde Namenspolitik gemacht. Aber nachdem zwei ihrer Brüder gefallen waren, der Lieblingsbruder mit der Schuhgröße 44, und Willo, der jüngste, änderte sich die Lage. Die Partie verbesserte sich ins Unvordenkliche und ins Entschiedene, denn es waren nun nicht nur Kai und Willo tot, sondern auch unzählige andere Söhne und junge Heiratskandidaten nicht mehr in Reichweite. Die verheerende Lage im Land hatte dafür gesorgt, dass der Korb leer war.
Wenn nicht das eine, dann das andere, eventuell. Ernst August hatte den Großen Krieg mitgemacht und voraussehend für das Mögliche optiert, selbst wenn er dabei seit Odins Himmelsscharen nur dem Brauch für weibliche Familienmitglieder in christlicher Zeit gefolgt war, indem er Stefanie im Alter von vier in einem Stift für unverheiratete adlige Damen protestantischen Glaubens eingeschrieben hatte. If she is going to become a spinster, wie er einem englischen Hausgast zuwisperte, als Stefanie schon in dem Alter war, in dem sie so viel Englisch verstand, dass der Vater ins Chinesische hätte ausweichen müssen, hätte er nicht getuschelt. Hinter den kurzen Fingern war die Zukunft der Tochter deutlich beschrieben. Stefanie würde bei den Tanten einrücken. Die Tanten traten als Schulfräulein in das Stift ein, rückten in den Rang der Konventualin auf – zwölf an der Zahl –, wenn ältere oben wegstarben, und hatten Anrecht auf Viktualien aus der Landwirtschaft des ehemaligen Klostergutes.
Möweneier, vierzig Stück, Fasane, zwei Stück, einen Hasen, monatliches Taschengeld, rief Alma, davon hat sie mal erzählt.
Und am welken Hals trugen sie eine Gemme, nicht etwa mit pompejanischer Hetäre oder leicht gewandeter Tambourschlägerin in Pink, sondern eine züchtige Kamee in Weiß mit christlichem Kreuz als Schlussstein am hochgeschlossenen Kleid.
Manch eine Tante schaffte es auch bis zur Vorsteherin, ihrer aller Oberin. Die Fräulein beschäftigten sich mit Handarbeit, schrieben Briefe und füllten den Lauf der Tage mit selbst auferlegten Ritualen: genau festgelegten Essenszeiten, five o’clock tea am niedrigen Tisch im Salon, sie holten einander zum sonntäglichen Kirchgang ab, zu dem es nicht sonderlich weit war, da das alte Gotteshaus auf dem umfriedeten Klostergelände lag, angrenzend an die hohe Mauer aus ebenfalls altem, rostrotem Backstein. Hinter der Kirche wohnten die Fräulein, ein jedes im eigenen Haus. Und durch ein Torhaus auch aus altem, rostrotem Backstein – ähnlich dem in Greiffensee, durch das Stefanie auf Sleipnir ritt – fuhr man zu ihnen ein und aus. Es lag nahe, sie als eine bizarre Spezies von Vögeln anzusehen, Vögel der aussterbenden Art, selbst wenn sie morgens nach dem Zähneputzen und dem wieder eingelegten râtelier in der Kapelle zu Gottes Ehre die schönsten Lieder krähten, so laut sie konnten.
Stefanies Lieblingsbruder, nach seinem Patenonkel Willo genannt, ein Kauz und Spötter, der gern sang und pfiff, was er im Elternhaus nicht durfte, sang jeweils aus vollem Hals, sobald er mit ihr durch das Torhaus des Stifts zu den Tanten fuhr, um die eine oder andere zu besuchen und ihnen als Mitbringsel der Mama ein Glas hofeigenen Rapshonig zu überreichen. Der Vogelfänger bin ich ja, sang er fröhlich, ein Netz für Mädchen möchte ich … dann sperrte ich sie bei mir ein, und alle Mädchen wären mein und so weiter. Nein, keine von denen, zu denen wir jetzt fahren, sagte er. Glaub das nicht, Stefanie. Und du landest hier auch nicht. Ich werde dich davor bewahren.
Stefanie war gekränkt, als sie mit sweet seventeen hörte, dass ihr Vater ihr eine solche Existenz schon als Vierjährige zugedacht hatte, offenbar ohne Einspruch der Mutter. Hinter ihrem Rücken. Geradewegs aus dem Nest ins Kloster. Falls sie nicht heiraten sollte. Es kränkte sie, die unter Hugo, Kai und Willo auch ein Junge war, der jüngste. Selbst wenn in der Garderobe der gute Willem, um Stefanies Weiblichkeit hervorzuheben, die von ihm im Morgengrauen geputzte Reihe der Kinderstiefel mit Stefanies Reitstiefeln anführte. Es kränkte sie, die schwärmerische Sätze von sich gab wie: Auf deinem Pferd bist du frei, ein Vogel, der sich in die Lüfte schwingt. Nein. Sie ritt und blieb Brunhilde. Und Brunhilde überflog auf Grane alle Mauern. Doch Stefanie kannte auch ihren späteren Satz, mit dem sie sich beim Vater wieder einzuschmeicheln suchte: War es so schändlich, was ich verbrach?
Als junges Mädchen hatte sie sich für Florence Nightingale begeistert. Ja, auch die habe gedient, habe sich opfern wollen, sagte Stefanie später noch oft, für das Vaterland, das arme, blutende, hingerichtete, zerschossene Vaterland, die armen blutjungen Schweine, so junge, unschuldige Kerle!, notierte sie im Tagebuch. Die Zerballerten, wird Charlottes Hauslehrer sagen, der sich freiwillig zur SS in den Krieg gemeldet hatte.
Sein Bild traf im Gegensatz zum fallen in Stefanies Bildern womöglich ins Zentrum des Mordens, sagte Charlotte. Ich wollte mich in meine Sprache vortasten. War im Feld fallen nicht ein Bild aus vorindustriellen Zeiten? Als in großer Zahl über dem Acker noch die Feldlerchen sangen, Pferde und Ochsen den Pflug zogen und Begriffe wie Materialschlacht oder Menschenmaterial nicht erfunden waren.
Unter dem Hakenkreuz kümmerte sich Stefanie anfangs als Hilfskrankenschwester um die zum Genesungsurlaub heimgeschickten Soldaten im Kirchspiel, und danach arbeitete sie als voll ausgebildete Pflegekraft in einem Lazarett in P., versorgte notdürftig Soldaten, die von der Ostfront hereinkamen. Eingeliefert aus der Gegend vor oder um Berlin, unter ihnen halbwüchsige Jungs, die als Letzte gegen die Panzer der Roten Armee vorgeschickt worden waren.
Der diensthabende Lazarettarzt, Dr. Wolfram, flickte sie kaum mehr zusammen, die Mittel waren ausgegangen, Blutkonserven, Insulin, sogar Verbandsstoff. Er behandelte die Angelieferten so gut oder eben schlecht und unzureichend, wie es gerade ging bei der wachsenden Knappheit an allem, auch der Betten. Überbelegung. Verwundete hätten unversorgt auf dem Gang gelegen, sagte Stefanie, und seien da gestorben. Sie habe Dr. Wolfram assistiert. Florence Nightingale. Über die gemeinsame Arbeit, die sie inmitten des Elends befeuerte und wie eine davon nicht überschwemmte, kleine, exklusive Insel im blauen Meer des Glücks umgab, verliebte Stefanie sich in den Arzt. Er erwiderte die Zuneigung. Neben diesem überarbeiteten Mann hatte sie zum ersten Mal das Gefühl, ihr Leben habe Richtung und Sinn, sie werde gebraucht, ihr Können, das sie, bereit zu helfen, sich in der Kriegszeit angeeignet hatte.
Und wenn es keinen Krieg gegeben hätte?, fragte Alma. Zum Heiraten im Krieg war ja wohl keine Zeit?
Doch schon. Wer heimkam, heiratete oder zeugte während des Fronturlaubs ein Kind. So wie mein Vater Hugo, sagte Charlotte. Also war es nicht der Krieg, der Stefanies Heirat verhinderte. Wen aber hätte sie heiraten sollen? Auch ihre Brüder hatten den Fronteinsatz mit dem Leben bezahlt, Willo in Ostpreußen, auf dem Weg, Leningrad auszuhungern, Kai gleich zu Beginn in Polen. Zur Erinnerung, dass sie einmal Fleisch und Blut und nicht nur eine Idee gewesen waren und Stefanie unendlich viel bedeutet hatten, standen ihre Fotos auf ihrem Schreibtisch. Zwei schlanke, groß gewachsene blonde junge Männer in ihren Nazi-Uniformen: Kai, ein Fähnrich zu Pferd, das Tier in Breitseite festgehalten, er im Profil, und Willo, der Vogelfänger-bin-ich-ja-Draufgänger, frontal auf dem Krad in voller Montur in die Kamera lachend in einer Reihe mit anderen Kameraden. Um Hugo aus dem Kreis ihrer Geliebten nicht auszuschließen, hatte Stefanie auch ihn in Uniform dazugestellt. Ein Foto, im Studio aufgenommen, als Hintergrund nur eine helle Wand. Er schwieg sich dazu aus. Er hatte zu Anfang des Krieges geheiratet und in Amtsstuben gearbeitet. Als Kai und Willo weg waren, unterließ Ernst August jede weitere Ausschau nach einem passenden Schwiegersohn. Weshalb das Töchterchen noch mehr quälen, falls auch der in petto fiele. Ein Kloster würde nicht fallen. Das Kloster würde Stefanie erhalten bleiben, auch nach seinem eigenen Tod.
Neben der Pritsche des Doktors lag ein zerfleddertes Reclam-Heft. Hin und wieder saßen sie auf dem Feldbett und tranken eine Tasse auf dem Petroleumkocher gebrühten Ersatzkaffees. Die Insel, 3 × 3 Quadratmeter. Dr. Wolfram mit den deutschen Balladen. Christen sind ein göttlich Volck / Aus dem Geist des Herrn gezeuget … Dunkel, Dunkel im Moor, und Er liegt so still im Morgenlicht / So friedlich, wie ein fromm Gewissen … Er erzählte Stefanie von seinem Zuhause. Königsberg, eine so schöne Stadt, er holte tief Luft und setzte hinzu, war sie einmal, schön und stolz, nun wohl auch zerballert. Die Stadt, von der er nicht wusste, ob er sie je wiedersehen würde. Er würde sie sonst Stefanie zeigen, sein Königsberg, die Wohnung seiner Eltern, sein Fenster zur Straße, die Grundschule, das Gymnasium, in dem der Vater die Abiturklassen in Deutsch unterrichtete.
Daher die Balladen?
Daher die Balladen.
Von einer Frau war keine Rede.
Stefanie kaute an einem Problem. Ihr Zuhause war immerhin erreichbar. Mit diversen Verkehrsmitteln dauerte es einen Tag, dann war sie in Greiffensee. Die letzten Kilometer in der Kutsche, die Ernst August ihr an den Bahnhof entgegenschickte. Sollte sie den Doktor einmal dorthin mitnehmen, ihm Greiffensee und ihre Kindheitsgegend zeigen?, fragte sie sich im Stillen. Was würden wohl die Eltern sagen, wenn sie ihn zur Taufe des ersten Enkelkindes, Hugos Sohn, mitbrächte als den Mann an ihrer Seite, ihren Tischherrn bei der Feierlichkeit? Immerhin war ja der Stammhalter geboren. Der Etikette wegen dürfte der Doktor jedoch nicht an ihrer Seite sitzen. So blieb es beim Wunsch, und sie unterließ es, den Vater zu fragen.
Sie bat um Sonderurlaub und fuhr allein zur Tauffeier. Sie war zerrissen. Sie stand im Zug am Gangfenster, zu unruhig, um zu sitzen, und zu fahrig für ein Gespräch mit den Nachbarn im Abteil. Sie sah auf die flache Landschaft in ihrem jungen Grün hinaus, durch die der Zug rollte. Wen sollte sie fragen? Kai und Willo waren tot. Hugo? Der hatte nichts zu bestimmen, und außerdem stand er jetzt in Frankreich. Es war Ernst August, der in der Familie entschied. Er allein sprach die Einladungen aus, regelte das Placement und ganz allgemein ihrer aller Zukunft.
Dr. Wolfram hatte zwar die Stunden bis zum Wiedersehen gezählt, doch empfing er Stefanie, um seine Freude zu verbergen, trocken, was ihn selbst überraschte.
Da bist du ja wieder!
Worauf sie, nicht eben schlagfertig, auch nur Unverfängliches herausbrachte. Sei mir gegrüßt!
Er stieß sie gleich mit dem nächsten Satz barsch von sich, ein wenig spöttisch und ein wenig angewidert, und in die Realität zurück.
Wie heißt der junge Erdenbürger, dein Neffe, auf dessen Geburtsurkunde sein Leben lang wie ein Brandmal der Nazistempel prangen wird? Er schaute Stefanie ins Gesicht und sah ihr an, dass sie beim Wort Brandmal schon wieder ausbrach, auf Sleipnir saß, auf dem sie in diesen Urlaubstagen so gern geritten war, Odin und seine luftige Freiheit im Sinn. Wir zwei, fuhr Wolfram fort, Gott sei Dank, meine Liebe, um einiges älter als dieses neue Wurm, wurden wenigstens davor bewahrt.
Stefanie reichte ihm die von einem feinen Goldrand eingefasste Karte vom Tauftag. Sein Sarkasmus kränkte sie. Wollte er, dass sie sich für die Feierlichkeiten in ihrem Zuhause in Zeiten des Krieges schämte? Wo es, wie auf der Karte zu lesen war, Wildsuppe, Gänseleberpastete, Perlhuhn, Erbsen, Kompott und Vanilleeis gegeben hatte, dazu 1934er Hattenheimer Nußbrunnen Edelbeerenauslese, 1920er Château Léoville Barton und Moët Chandon zum Dessert.
Da oben kannst du den Namen lesen, sagte sie.
Über dem Menü prangte das Schwarz-Weiß-Foto, in einem hell ausgeschlagenen Kinderwagen schlafend der kleine Mensch, dem die ganze Veranstaltung galt. Und der Name: Ludwig Friedrich Ernst Ferdinand. Zurück in Dr. Wolframs Welt, die ja auf ungewisse Zeit die ihre war, wollten Stefanie die festen Zusammenkünfte festlichen Weitermachens bei Kerzenschein und geröteten Wangen nicht irreal, eher nur wie der aberwitzige Blick aus dem Zugfenster erscheinen, der fast im selben Moment einen Panzer, zehn tote Soldaten und einen Schwarm fliegender Tauben zeigte. Weshalb freiwillig auf Verwöhntsein und die geliebten Seiten des Luxus und der Tradition in dieser Zeit verzichten? Das Leben ging weiter. Pastor Vreede hatte in der Taufrede darauf hingewiesen. Man war und blieb sich der Dinge in ihrer versammelten Unordentlichkeit bewusst. Das genügte. Er, der Stefanie bei Tisch gegenübergesessen hatte, die geistliche Autorität dieses Tages, ein ungesund rotwangiges, unter hohem Blutdruck leidendes, gleichwohl robustes Tagesgespenst in Talar und weißem Beffchen, sprach das Problem in seinen zensierten Worten zwar nicht aus, umruderte es aber immerhin wie ein Boot einen gefährlich tiefen Strudel: Freude erfüllt das Herz beim Gedanken an die Mutter, die durch alle Schwere hat hindurchgehen dürfen und es nun wieder bekennen kann: In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über Dir Flügel gebreitet. Freude erfüllt das Herz beim Aufschauen dieses Kindleins, das auch als Gruß des Leben schaffenden Gottes geschenkt worden ist. Doch bei allem Sonnenschein, der da ist, können wir die Wolken nicht übersehen, nicht verscheuchen, die auch diese Stunde überschatten. Der Ernst der Zeit lastet viel zu sehr auf uns allen, als dass wir ihn einfach abschütteln könnten. Vor allem fehlt der Vater des Kindes, der bei der Taufe seines Söhnleins in weiter Ferne weilt. So gehen unsere Gedanken einen weiten, weiten Weg … Noch nie war wohl für die Entwicklung und Erziehung des Kindes das Elternhaus so entscheidend wie heute. Und in ihm ist es wieder die Mutter, die das Leben des Kindes entscheidend formt … – Bis zu dieser Stelle seiner Rede hatte Pastor Vreede die blauen Augen vor allem auf Ingrid, der Mutter des Kleinen, ruhen lassen, ihren Eltern, die aus Baden-Baden angereist waren, auf dem Hausherrn und Gastgeber Ernst August, dem Vater des fernen Hugo, und auf Hugos Mutter, die still und in sich gesunken am Tisch saß. Und hatte seine Augen, die im unvergesslichen Blau einer gerade aufblühenden Wegwarte leuchteten, mit ebender Kraft zur Farbe und Entfaltung, hin und wieder über die restliche Tischrunde schweifen lassen. Er legte jetzt eine geschickt abgezirkelte Pause ein, sich der Wirkung auf die Zuhörerschaft bewusst, währenddessen er sich mit dem Taschentuch den weißen Pipps in der Mundecke wegtupfte im Glauben, bislang habe niemand am Tisch diesen kleinen Makel am lang eingeübten Vortrag bemerkt. Doch er täuschte sich, Stefanie hatte ihn genau beobachtet, den Fleck mit ihrem Blick geradezu aufgesogen. Pastor Vreede fuhr fort: Gerade hier aber versagen heute viele Elternhäuser, und wenn dann der Geist der Zeit über einen jungen Menschen hinwegstürmt, dann gibt es oft eine tiefe seelische Not. Wieder machte er eine Pause, tupfte die andere Mundecke frei und sah danach unverwandt zu Stefanie hinüber, als wolle er an ihrem Gegenblick ablesen, welchen Anfeindungen sie in der blutigen Wolken-Welt da draußen, out there oder vor dem Hoftor bei ihrer Arbeit ausgesetzt sei. Ich denke an jenen jungen Soldaten, der schwer verwundet im Lazarett lag. Der Pastor, der ihn besuchte und der nicht lange bei ihm verweilen konnte, ihm ein paar kurze kernige Worte bei der Bibel sagte, stieß auf eine aufgeregte Abwehr: Herr Pastor, verschonen Sie mich mit diesen Worten. – Ja, aber sie haben doch schon so manchem Menschen geholfen und ihn aufgerichtet. – Einerlei, wir Jungen von heute sind anders, wir können das einfach nicht mehr glauben. – Dann aber dreht sich dieser junge Mensch zur Wand, bricht in heißes Schluchzen aus und ruft: Verflucht, die uns den Glauben stahlen!
Den Glauben stehlen. Hart schnitt der Gedanke an dieses Wort des Pastors seit der Tauffeier in Stefanie herum. Auf der Rückfahrt ins Lazarett, am Fenster stehend, während der Zug langsam über die Elbbrücke rollte und sie auf die stillen Auen zu beiden Seiten des Stromes hinausschaute, fand sie die Antwort für sich: Mir wird keiner den Glauben stehlen.
Plessen erzählt die unsentimentale Geschichte eines Niedergangs, ohne Pathos, aber gerade deshalb so eindrücklich.
In Sachen Kritik ist Elisabeth Plessen eine Meisterin, und in ihrem Roman zieht sie alle Register dichterischen Schimpfens. Die Lektüre wird dazu verführen, die beiden ersten Teile der Trilogie neu zu lesen.
„… nachdenklich und klug: eine Familiengeschichte auch als deutsche Gesellschaftsgeschichte.“
„Poetisch und klar, mit Liebe zum Detail erzählt Plessen, die abwechselnd in Berlin und in der Toskana lebt, von einer untergegangenen Gesellschaft auf norddeutschen Ländereien und dem Wandel bis ins 21. Jahrhundert. “
„Präzise, voller Feingefühl“
„Man verfolgt das Geschehen, wird getragen vom Rhythmus der Erzählweise und möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen.“
„Plessens Blick auf die Lieblosigkeit und Verhärtung der Kriegsgeneration ist schonungslos… “
„Der Roman ›Die Unerwünschte‹ ist mehr als ein Adelsepos. Er ist eine bewegende Generationen- und Emanzipationsgeschichte und zugleich eine Reise in eine fast vergessene Welt. Erzählt mit einer immens schönen und opulenten Sprache. Die Vielfältigkeit der Worte lässt Vergessenes wiederaufleben und so liefert der Roman einen facettenreichen und kritischen Blick auf die siebzig Jahre Frauenleben.“
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