Die Weisheit der Elefanten
Was ich als Rangerin im Krüger-Nationalpark fürs Leben lernte
Die Weisheit der Elefanten — Inhalt
Die erfolgreiche deutsche Unternehmerin und Publizistin Kerstin Plehwe bricht auf, um sich in Südafrika zur Rangerin ausbilden zu lassen. Im großartigen Krüger-Nationalpark wird die blackberry- und termingetriebene Unternehmerin zur wissbegierigen Schülerin: Sie lernt, Fährten zu lesen, Tierstimmen zu erkennen, wilde Tiere und ihre eigene Ungeduld zu bändigen – und mitten in der Nacht zum weit entfernten Toilettenzelt zu laufen, ohne sich mit einer Stirnlampe als leichte Beute für die benachbarte Löwenfamilie erkennen zu geben. Ein wunderbar originelles Afrikaabenteuer einer sehr einnehmenden und humorvollen Frau.
Leseprobe zu „Die Weisheit der Elefanten “
Jede Reise hat eine Vorgeschichte – dies ist meine
Oft kann man den Faden einer Vorgeschichte einen weiten Weg zurückverfolgen. Währenddessen eröffnen sich einem dann manchmal Erkenntnisse, die einem helfen, das eigene Leben und Handeln besser zu verstehen, insbesondere dann, wenn der Faden bis in die Kindheit zurückverfolgt werden kann.
Mit der Kindheit ist es aber so eine Sache. Zumindest in meinem Fall. Obwohl ich mich sicher nicht beschweren darf über diese frühe Zeit – Eltern, die es immer gut mit einem meinten und die typischen Verhältnisse einer [...]
Jede Reise hat eine Vorgeschichte – dies ist meine
Oft kann man den Faden einer Vorgeschichte einen weiten Weg zurückverfolgen. Währenddessen eröffnen sich einem dann manchmal Erkenntnisse, die einem helfen, das eigene Leben und Handeln besser zu verstehen, insbesondere dann, wenn der Faden bis in die Kindheit zurückverfolgt werden kann.
Mit der Kindheit ist es aber so eine Sache. Zumindest in meinem Fall. Obwohl ich mich sicher nicht beschweren darf über diese frühe Zeit – Eltern, die es immer gut mit einem meinten und die typischen Verhältnisse einer deutschen Durchschnittsfamilie –, so hatte ich sie doch in die hintersten Ecken meiner Erinnerung verbannt. Wozu auch daran denken ?
Ich war erwachsen, und ich war heilfroh darüber. Ich blickte auf eine langjährige, spannende und in den Augen vieler erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit als Beraterin für Unternehmen und politische Parteien zurück, mit Fernsehauftritten, Strategiegesprächen und internationalen Wahlkampfanalysen. Ich war beruflich viel unterwegs, verdiente mehr als ausreichend Geld, hatte eine Menge Länder gesehen, traf interessante Menschen, schrieb Bücher und war – vor allem ( !) – sehr beschäftigt. Meine Arbeitstage waren lang, die freien Wochenenden wenig an der Zahl. Urlaube fand ich überbewertet, es sei denn, man konnte sie mit einer spannenden Konferenz verbinden. Aber das alles störte mich nicht, hatte ich mir es doch selbst so ausgesucht.
Ich wollte ganz oben mitspielen, mein eigenes Unternehmen haben, und beklagte mich deswegen auch nicht über den Preis, den das kostete. Das fand ich nur fair, schließlich genoss ich ja auch die vielen Vorzüge dieses Lebens ohne finanzielle Schwierigkeiten und voller beruflicher Herausforderungen. Mein Leben war anstrengend, aber toll. Und wenn es einmal nicht toll war, dann biss ich mich eben durch. Wie ein echter Manager eben. Wobei: Den Begriff „Manager“ meine ich durchaus weit gefasst. Es gibt viele Arten von Managern: Alle haben Tag für Tag viel zu organisieren, viel Verantwortung und wenig Zeit für sich. Insofern sind auch Mütter, Politiker, Krankenschwestern, Rechtsanwälte etc. in meinen Augen Manager – und ich eine von vielen.
Die Kindheit eines Managers ist meist lange her und verläuft bei jedem Einzelnen sicher immer sehr unterschiedlich, aber die Rahmenbedingungen in der Gegenwart sind oft ähnlich. Sie zeigen ein immer größer werdendes Ungleichgewicht zwischen Input und Output.
Die Gleichung: „Je mehr man gibt, desto mehr erhält man zurück“, geht irgendwann einfach nicht mehr auf. Im Gegenteil: Eine vage Leere und das Gefühl, dass etwas falsch läuft, nicht nur bei einem selbst, sondern in unserer gesamten Gesellschaft, klopft in stets kürzer werdenden Abständen an die Tür des eigenen Bewusstseins. Im Alltag dreht sich währenddessen das Hamsterrad weiter. Der äußere Druck steigt, die Zufriedenheit nimmt ab, und man sagt sich immer öfter, man muss doch dankbar dafür sein, wie gut es einem im Vergleich zu anderen geht.
Auch die Leichtigkeit, mit der früher Dinge angestoßen und umgesetzt wurden, schwindet. Zwischen stetigem Zeit- und Termindruck, steigender Komplexität im Umfeld, zunehmender Fremdbestimmtheit und einem hohen Investment von Energie schleicht sich die leise Frage nach der eigenen Führung ein: Wer hat hier eigentlich die Zügel in der Hand ? Sitze ich eigentlich im Sattel meines Lebens oder reitet mein Leben mich ?
Bei mir sah es genau so aus. Ich war ständig beschäftigt, aber nur selten befriedigt. Hinzu kam, dass mich, wie in einem schleichenden Prozess, viele Dinge deutlich weniger befriedigten, als es früher der Fall gewesen war. Vielleicht hatte ich mich ganz einfach an die Dinge gewöhnt, die mir früher so wichtig gewesen waren und die ich nun aber in meinem Leben versammelt hatte. Ein tolles Auto, Statussymbole, Erfolg.
Und vielleicht war es ebendiese unterschwellig vorhandene Unzufriedenheit, dieses Fehlens von etwas Wichtigem, das mich im Kopf wieder offen werden ließ für neue Möglichkeiten und Herausforderungen jenseits alter Muster. Neue Chancen, die meinem Leben mehr Tiefe geben konnten. Und natürlich Sinn. Denn den suchen wir alle irgendwie in dem, was wir tun, oder ?
Natürlich betrieb ich diese Suche nicht aktiv. Dazu hatte ich gar keine Zeit. Meine Tage waren dank Assistentin, Blackberry und vieler verschiedener Verantwortungen auch außerhalb meiner Beraterfirma bis in den kleinsten Winkel des Tages durchgetaktet. Dennoch gab es da ein Gefühl notwendiger Veränderung in mir, dem ich zwar nicht bewusst nachging, aber es auch nicht vor mir selbst verleugnete.
Und dann half mir das Leben. Denn unser Leben ist nichts anderes als eine Reise, die, ob man es plant oder nicht, immer wieder ganz unerwartete Perspektiven für jeden von uns bereithält. Und wenn diese Möglichkeiten kommen und man sie erkennt, muss man nur noch zugreifen.
Für manche ist dieses Zugreifen einfacher als für andere, aber wer es tut, wird für seinen Mut belohnt. In meinem Fall trat die Chance in Person einer jungen Frau auf mich zu. Und an diesem Tag passierte etwas in meinem Erwachsenenleben, was eng mit meiner nahezu vergessenen Kindheit verbunden war.
Ein Kindheitstraum wird neu erweckt
Der Tag, der mein Leben verändern sollte, begann wie so viele Tage des Jahres in Berlin: grau, verregnet, hektisch. Nichts wies darauf hin, dass es ein besonderer Tag werden sollte, ein Tag, an den ich noch heute, viele Monate später, oft und gerne zurückdenke.
Ich war von meiner Wohnung auf dem Weg zum Flughafen, und mein Taxi schob sich durch den schier endlosen Verkehr. Ich tat, was ich immer im Taxi tat: Ich las und beantwortete E-Mails und ärgerte mich über mich selbst, dass mein Magen das fehlende Frühstück in Verbindung mit der großen Portion Kaffee und das Starren in meinen steten Blackberry-Begleiter nicht wirklich gut vertrug.
Schließlich gab ich dem Grollen meines Magens nach, steckte den Blackberry in die Handtasche und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich gleich nach Dublin fliegen würde, um eine spannende Person zu treffen, die ich für ein Buch über erfolgreiche Frauen aus aller Welt porträtieren wollte. In Female Leadership – Die Macht der Frauen wollte ich die Wege von Top-Frauen zum Erfolg nachvollziehen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen durch persönliche Gespräche für andere nutzbar machen. Der Name der Frau, die ich an diesem Tag treffen wollte, war Caroline Casey, eine junge Irin, die mich aufgrund ihrer Lebensgeschichte schon bei der Vorabrecherche sehr beeindruckt hatte. Sie war blind, was sie aber nicht davon abgehalten hatte, eine international anerkannte, soziale Unternehmerin zu werden. Nach einer beeindruckenden Karriere in einer Unternehmensberatung setzt sie sich heute mit ihrer Stiftung „Kanchi“ sehr erfolgreich und innovativ für die Integration von Behinderten in normale Jobs in der Wirtschaft ein. Ich freute mich auf das Kennenlernen dieser ungewöhnlichen Frau, das an diesem Tag für elf Uhr vormittags angesetzt war.
Dublin war bei der Ankunft genauso grau und verregnet wie Berlin, der Verkehr auf den Straßen nicht minder hektisch. Das Büro von Caroline Casey lag zentral, und ich schaffte es tatsächlich, um elf Uhr bei ihr zu sein. Punktlandung. Als sie mir dann die Tür zu ihrem Büro öffnete, war ich bass erstaunt: Caroline bewegte sich nicht wie eine blinde Frau. Sie sah auch überhaupt nicht so aus, wie ich mir blinde Menschen vorgestellt hatte. In ihr war eine unglaubliche Energie, das war vom ersten Moment an zu spüren.
Nach der Begrüßung raste sie regelrecht einen langen Gang entlang in Richtung eines Meeting-Raums, riss die Tür zu diesem auf, alles mit einer hohen Selbstsicherheit, als würde sie jeden Millimeter des Raumes kennen. Sie bot mir einen Platz an einem langen Konferenztisch an, danach ein Getränk, alles mit einer enormen Geschwindigkeit. Dass ich das so deutlich registrierte, hatte damit zu tun, dass ich sie mir wohl langsamer und unsicherer in ihren Bewegungen vorgestellt hatte. Sie aber wirkte wie ein Mensch, der ganz normal sehen konnte. Unfassbar. Schlagartig wurde mir klar: Dieses Gespräch wird um ein Vielfaches spannender als jede Darstellung der (beeindruckenden) Fakten ihres Lebens online. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass mein eigenes Leben nach diesem Gespräch eine neue Wendung bekommen sollte und ich nicht nur hier war, um Carolines Geschichte zu hören.Caroline Casey wurde mit einer schweren Augenkrankheit geboren, einer Augenkrankheit, die sie mit den Jahren fast vollkommen blind machte und die vielen anderen Menschen ein Leben als behinderter Mensch vorherbestimmt hätte. Nicht so Caroline. Ihre Eltern bestanden darauf, sie normal aufzuziehen. Ohne Sonderbehandlungen, ohne Blindenschule, ohne Ausflüchte. Im Gegenteil. Ihr Vater forderte seine Tochter immer wieder heraus und brachte ihr von klein auf bei, dass sie nicht blind sei, sondern lediglich anders sehen würde als beispielsweise ihre Mitschülerinnen.
Unternahm er einen Segelausflug mit ihr, verlangte er von ihr, das Boot zurück in den Hafen zu steuern, und in der Schule forderte er Gleichberechtigung für seine Tochter ein. Später setzte er sie im eigenen Unternehmen, einer Druckerei, in dem Bereich ein, in dem man sicher am wenigsten ein nahezu blindes Mädchen im Ferienjob erwartet: in der Qualitätssicherung von Druckerzeugnissen. Insofern dauerte es auch fast achtzehn Jahre, bis Caroline akzeptierte, dass sie bestimmte Dinge nun beim besten Willen nicht tun konnte. Autofahren zum Beispiel. Dies musste ihr allerdings erst ein Amtsarzt in Dublin mitteilen. Denn beantragt hatte sie den Führerschein mit der ihr eigenen Überzeugung, nicht blind zu sein, sondern nur anders zu sehen als andere.
Auch in ihrem weiteren Leben war Caroline nicht gewillt, Rückschritte oder Einbußen hinzunehmen. Sie absolvierte eine Business School und machte Karriere bei einer internationalen Unternehmensberatung. Mit Recht war sie stolz auf die außerordentliche Extraleistung ihres Körpers, mit dem sie nach außen hin ein nahezu normales Leben führte. Bis er eines Tages nicht mehr wollte und ihr dies durch verschiedenste Zeichen und große Schmerzen auch unmissverständlich deutlich machte. So lag es an ihr, eine neue berufliche Herausforderung zu suchen, eine, bei der sie niemandem etwas beweisen musste und doch sie selbst sein konnte. Und ebendiese Herausforderung fand sie dann, und sie wurde der Grund, warum ich Caroline porträtieren wollte: Sie hatte nämlich beschlossen, als erste Frau der Welt auf einem Elefanten durch Indien zu reiten, um auf die Fähigkeiten (nicht die Behinderung !) von blinden Menschen aufmerksam zu machen. Warum wählte sie diesen Weg ?
„Warum ein Elefant ?“, fragte ich sie.
Die einfache Antwort von ihr: „Weil es mein Kindheitstraum war, wie Mogli aus dem Dschungelbuch auf einem Elefanten zu reiten.“
Nee, ist klar, ein Kindheitstraum, dachte ich leicht ironisch. Was soll einen sonst motivieren, alleine auf einem Elefanten durch Indien zu reiten ?
Während ich dieser jungen Frau gegenübersaß, konnte ich kaum fassen, was ich in der letzten Stunde gehört und gesehen hatte. Nicht nur, dass Caroline nicht blind aussah – wahrscheinlich sahen für mich blinde Menschen irgendwie alle wie Stevie Wonder aus, entweder mit Brille oder einem ganz spezifisch abwesenden Gesichts- und Augenausdruck, jedenfalls deutlich erkennbar blind. Sie aber war das Gegenteil davon. Ihre blauen wachen Augen und langen blonden Haare machten sie zu einer außerordentlich attraktiven Frau, die in keinster Weise eingeschränkt wirkte. Sie versprühte auch eine Überzeugungskraft und Power, die ich in vielen Jahren im Umgang mit Managern und Politikern selten erlebt hatte. Und sie sprach von einem Kindheitstraum, den sie als Erwachsene umgesetzt hatte. Wer tut das schon ?
Und dann, mir nichts, dir nichts, ohne Ankündigung oder Vorwarnung, wendete sie das Blatt unseres Gesprächs. Völlig unvermittelt und mir direkt in die Augen schauend fragte sie: „Und was war dein Kindheitstraum ?“
Ich war perplex, wusste keine Antwort. Aber von irgendwo ganz tief in mir stieg etwas auf. Keine Antwort, aber ein Gefühl. Und ehe ich mich versah, war dieses Gefühl weiter aufgestiegen und war so intensiv, dass es mir, der Geschäftsfrau, Tränen in die Augen trieb. Mir blieb die Luft weg. Was war das denn ?
Was da hochstieg, war das tiefe Empfinden einer großen Traurigkeit, und noch ehe ich reagieren konnte, hatte Caroline (obwohl nichts sehend) meine Reaktion mitbekommen. Sie stand wortlos auf und holte Taschentücher. Ich blieb zurück und kämpfte weiter gegen meine Tränen an. Verwirrt, peinlich bewegt, ertappt.
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