Dragon Flame (Dragon 7) — Inhalt
Als Leibwächter der Drachenkönigin erhält Celyn, der Schwarze, auch mal den einen oder anderen ungewöhnlichen Auftrag. Jetzt soll er ausgerechnet Elina Sheszakova beschützen, jene Menschenfrau, die er nach einem Mordanschlag auf seine Königin höchstselbst ins Gefängnis befördert hatte. Elina ist nicht nur wenig begeistert, ihn zu sehen (Menschen sind eben nachtragend), sie zeigt sich auch noch von Celyns Charme völlig unbeeindruckt. Doch so schnell gibt der stolze Drache nicht auf – er wird alles dafür tun, die Flammen der Begierde in Elina zu entfachen.
Leseprobe zu „Dragon Flame (Dragon 7)“
Kapitel 1
Elina Shestakova von den Schwarzbärenreitern der Mitternachtsberge der Verzweiflung in den fernen Weiten der Steppen der Außenebenen – oder für Faulpelze einfach Elina – bahnte sich vorsichtig einen Weg den Berg hinauf. Ihrem Schicksal entgegen.
Es war natürlich nicht das Schicksal, das sie für sich selbst wollte. So hatte ihr Plan fürs Leben nicht ausgesehen. Aber sie hatte keine Wahl, oder? Glebovicha, die Anführerin ihres Stammes, hatte ihr diese Aufgabe zugewiesen. Um, wie sie sagte, Elina Gelegenheit zu geben, sich bei ihrem Stamm einen [...]
Kapitel 1
Elina Shestakova von den Schwarzbärenreitern der Mitternachtsberge der Verzweiflung in den fernen Weiten der Steppen der Außenebenen – oder für Faulpelze einfach Elina – bahnte sich vorsichtig einen Weg den Berg hinauf. Ihrem Schicksal entgegen.
Es war natürlich nicht das Schicksal, das sie für sich selbst wollte. So hatte ihr Plan fürs Leben nicht ausgesehen. Aber sie hatte keine Wahl, oder? Glebovicha, die Anführerin ihres Stammes, hatte ihr diese Aufgabe zugewiesen. Um, wie sie sagte, Elina Gelegenheit zu geben, sich bei ihrem Stamm einen Namen zu machen, auf den sie stolz sein könne. Vielleicht sogar bei allen Stämmen der Steppen, die unter der Herrschaft von Anne Atli standen. Aber Elina gab sich darüber keinen Illusionen hin.
Ihr Leben war vorbei, ganz gleich, welche Entscheidung sie traf. Daher konnte sie ihre jämmerliche Existenz ruhig so weit in die Länge ziehen, wie es ging. Und wer wusste das schon? Vielleicht würde so das Ende schneller und viel weniger schmerzhaft sein, als wenn sie Glebovicha sagte, sie solle sich mit ihrem lächerlichen Auftrag zur Hölle scheren.
Also stieg Elina weiter diesen Berg hinauf. Er hieß Devenallt Mountain und lag tief im Herzen der Südländer. Angeblich war er die Heimat der gefürchteten Drachenkönigin.
Der Berg war ein gewaltiger Brocken. Aber man hatte Elina, seit sie stehen konnte, gelehrt, größere Berge zu besteigen. Ihr Volk, die Töchter der Steppen, oder – wie andere sie nannten – die Schrecken der Außenebenen, liebte den Krieg. Früher einmal waren die Steppen ein Flickenwerk zufälliger Herrschaftsgebiete einander ständig bekämpfender Räuberbanden gewesen. Eine abscheuliches Leben – und die Frauen hatte es am schlimmsten getroffen, weil sie oft ihrem Stamm geraubt und von Kindern und Familien getrennt worden waren, um die Konkubinen irgendeines fremden Häuptlings zu werden.
Dann war vor vier- oder vielleicht fünftausend Jahren eine Kriegerin namens Anne Atli zur Welt gekommen. Sie wurde die erste Hauptfrau der Reiter, hatte eine Gabe für Pferde und wusste ihre Waffen auf eine Weise zu benutzen, die sie allen anderen überlegen machte. Schließlich ergriff sie alle Macht und vernichtete jeden, der sie herausforderte. Und sie tat das wieder und wieder, bis sie endlich die Stämme unter ihrem Banner einte und die Aufmerksamkeit der Krieger voneinander weg und auf jene lenkte, die die Steppen mit Überfällen und Plünderzügen peinigten.
Seither hatten die Töchter der Steppen das Land beherrscht, und Anne Atli, Mutter der Steppenreiter, beherrschte sie alle. Der Titel und Name war nicht erblich – wer bereit war, ihn für sich zu fordern, und in der Lage, ihn zu behaupten, nahm ihn sich und erwies damit der Frau, die das alles begonnen hatte, ihre Hochachtung.
Natürlich war Elina nicht bereit sich irgendetwas zu nehmen. Sie war nie dazu bereit gewesen. Sie hatte kein Interesse daran, die Steppen zu beherrschen. Sie hatte kein Interesse daran, Kriegerin zu sein. Aber jedem der Stämme unter Anne Atlis Banner war sehr an seinem Ruf gelegen, und wenn sie nur herumsaß und die Hände in den Schoß legte, wie Glebovicha sich ausgedrückt hatte, würde Elina den Rest ihres Stammes schwach erscheinen lassen. Elina bezweifelte das – bedachte man Glebovichas eigenen Ruf. Sie war eine gefürchtete Stammesführerin, und Elina war nur eine von vielen in ihrem Stamm. Aber Glebovicha hasste sie. Inbrünstig, so schien es. Und so hatte sie Elina losgeschickt, um die herauszufordern und zu töten, die man die Weiße Drachenkönigin nannte.
Darum war Elina jetzt hier … und kletterte einen Berg von der größeren Sorte hinauf, die die Steppen umringten. Zudem gab es in diesen Bergen Drachen, so sagte man, aber Elina war noch keinem begegnet. In Wahrheit hätte sie es vorgezogen, niemals einem Drachen zu begegnen. Sie hätte ihr ganzes Leben zubringen können, ohne jemals einem Drachen zu begegnen, und sie wäre recht glücklich damit gewesen.
Das kam jedoch nicht länger infrage. Also kletterte sie. Und kletterte. Tagelang. Abends schlug sie sogar manchmal direkt am Berghang ihr Zelt auf, damit sie schlafen konnte. Glücklicherweise drehte sie sich im Schlaf nicht um. Das wäre … ungünstig gewesen.
Am fünften Tag erreichte Elina endlich den Gipfel des Devenallt Mountain. Sie zog sich die letzte Felswand hoch, blieb auf den Knien und atmete tief durch, während sie demjenigen Pferdegott dankte, der vielleicht gerade zuhörte.
Es war sehr hell da oben. Mittag. Sodass der große, dunkle Schatten, der sich langsam über sie schob, ein wenig … unvorbereitet kam. Sie hoffte, dass es eine Wolke war. Eine große, albtraumhafte Wolke, die einen schrecklichen Sturm ankündigte. Aber sie wusste es besser … sie wusste, dass da keine Wolke über ihr schwebte.
Sie ließ die Schultern sinken und sah nach oben.
Er war groß. So furchtbar groß. Und schwarz wie die Diamanten aus den Zwergenminen der Steppen. Alles an ihm war schwarz: Die Schuppen. Die Klauen. Die Augen. Die lange Mähne. Alles bis auf die Reißzähne. Sie waren weiß … strahlend weiß.
Scheinbar eine Ewigkeit starrten sie einander an. Dann sprach er endlich. Seine Stimme war die eines Mannes.
„Was tust du hier?“, fragte er.
Elina versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Sie war in dem Glauben aufgewachsen, Drachen seien nicht mehr als Tiere. Wie Dschungelkatzen oder Bären. Nur größer und in der Lage, Feuer zu spucken – sodass man ihnen definitiv am besten aus dem Weg ging. Aber dieser hier war kein Tier ohne Vernunft. Er sprach wie ein Mensch – wenn auch mit einem weichen, südländischen Akzent. Auf dem Weg durch die Gebiete dieser verkommenen, faulen Menschen hatte sie nicht wenige Südländer kennengelernt. Ja, er sprach genau wie die männlichen Südländer.
Elina erhob sich langsam und wandte sich dem Drachen zu.
„Ich bin gekommen, um die Weiße Drachenkönigin zu töten“, verkündete Elina. Es kostete sie etwas Mühe, die überall außerhalb der Steppen üblichen Artikel korrekt zu verwenden.
Der Drache blinzelte einige Male. „Tatsächlich?“, fragte er schließlich.
„Tatsächlich.“
„Hm“, sagte er nach einer kurzen Pause. Dann drehte er sich langsam um und schickte sich an, so lautlos wieder zu gehen, wie er gekommen war. Elina war überrascht. Vielleicht waren die Untertanen der Drachenkönigin nicht so loyal, wie ihre Leute dachten. Vielleicht wollten sie den Tod ihrer Königin. Nun, für Elina spielte es nicht wirklich eine Rolle. Sie hatte einen Auftrag, und sie würde sterben, wenn sie ihn zu erfüllen versuchte. Kein glücklicher Gedanke, aber leider ein zutreffender.
Also warf sich Elina ihr Reisebündel über die Schulter und griff nach ihrem Speer. Und im gleichen Moment wischte der lange, schwarze Schwanz des Drachen plötzlich herum, schlang sich ihr um die Taille und presste ihr die Arme an den Leib.
Vor Schreck schrie Elina nicht einmal, und sie kämpfte auch nicht, obwohl sie den Speer noch immer in der Hand hielt. Der Drache ging einfach weiter, Elina sicher in seinem Schwanz verstaut … und summte vor sich hin.
Sie musste zugeben, sie fand das Summen ärgerlich.
Celyn der Charmante vom Cadwaladr-Clan liebte seine Arbeit! Soweit es ihn betraf, hatte er die beste Stellung im Reich der Königin.
Obwohl er zugeben musste, dass seine Geschwister ihn verspotteten. Während sie in die Schlacht zogen, Monate im Schlamm verbrachten und jeden verdammten Tag jede verdammte Kreatur dort töteten, war Celyn einer der persönlichen Leibwächter Ihrer Majestät. Er trainierte jeden Tag, genau wie seine Geschwister. Lebte das Leben eines Militärdrachen genau wie seine Geschwister. Und er tötete, wenn es nötig war – im Gegensatz zu seinen Geschwistern, die töteten, wann immer ihnen danach zumute war.
Und doch nahmen nur wenige Celyn ernst, weil er sich nicht mit dem Gesicht voran im Blut und der Hirnmasse einer Schlacht suhlte. Aber das brauchte er auch gar nicht zu tun. Denn er hatte die beste Stellung aller Zeiten!
Er warf einen Blick auf die Menschenfrau, die er mit dem Schwanz gefangen hatte. Er hatte noch nie zuvor einen Menschen gesehen, der so aussah wie sie. So interessant. Langes, weißblondes Haar, das ihr über den Rücken fiel und ein ovales Gesicht einrahmte. Bleiche Haut bedeckte rasiermesserscharfe Wangenknochen unter leuchtenden, leuchtenden blauen Augen, die schmal waren wie die einer Hauskatze. Volle, rosige Lippen und ein Kinn mit einem Grübchen rundeten dieses Gesicht ab. Sie war definitiv jemand, die er angesprochen hätte, wären sie sich in der nächsten Kneipe begegnet. Aber war nicht der Fall. Stattdessen war sie ihm auf dem Gipfel des Devenallt Mountain erschienen. Dem Berg der Königin.
Der Devenallt Mountain war der Sitz der Macht der Südländischen Drachenkönigin, Rhiannon der Weißen, und die einzigen Menschen, die hierherkamen, waren die, die von ihrer Majestät eingeladen oder hierhergebracht wurden, um gefressen zu werden. Eine Praxis, die sie beendet hatten, als die Kinder der Königin – Celyns königliche Cousins und Cousinen – sich erstmals mit Menschen paarten. Der Königin war es geschmacklos vorgekommen, Brüder derjenigen zu fressen, die ihre Kinder liebten. Celyn war es gleichgültig gewesen. Er war auch mit einer guten Kuh zufrieden, die hatten außerdem mehr Fleisch auf den Knochen.
Trotzdem, dass ein Mensch auftauchte und offen zugab, dass er gekommen war, um die Königin zu töten … das war ungewöhnlich. Aber Celyn liebte das Ungewöhnliche.
Celyn hatte gewusst, dass die Frau tagelang in den Bergen herumgekraxelt war. Alle Wachen hatten es gewusst. Es war ihre Aufgabe, die Königin zu beschützen, und das bedeutete, jederzeit zu wissen, wer sich in der Nähe der Residenz aufhielt. Doch nachdem sie am ersten Tag nicht in den Tod gestürzt war, hatten alle Wachen sehen wollen, wie weit der Mensch kommen würde. Sie hatten Wetten abgeschlossen. Celyn war sich sicher gewesen, dass sie es schaffen würde, sobald er beobachtet hatte, wie sie ihr Zelt am Berghang errichtete und dort ihre Nacht verbrachte – also hatten sie sie in Ruhe gelassen und abgewartet. Er hatte Dienst gehabt, als sie den Gipfel erreichte, und sie daher als Erster angesprochen. Leise. Nicht nötig, ihr mit Flammen entgegenzutreten oder ein Zornesbrüllen zu entfesseln, bei dem sie sich vielleicht in die Hosen gepinkelt hätte. Dergleichen überließ er seinen Geschwistern. Celyn bevorzugte eine sanftere Herangehensweise.
Doch er hätte nie erwartet, dass sie zugeben würde, dass sie hier war, um seine Königin zu töten. Natürlich hätten seine Geschwister sie an Ort und Stelle ermordet. Aber Celyn kannte die Königin. Sie war seine angepaarte Tante, und sie hatten den gleichen Humor. Sie liebte es, unterhalten zu werden.
Und er war sich ganz sicher, dass diese Frau die beste Unterhaltung sein würde, die seine Königin heute bekam.
Die Weiße Drachenkönigin saß auf ihrem steinernen Thron, den gewaltigen Kopf auf die linke Klaue, den Ellbogen auf die Armlehne des Throns gestützt. Ihr extrem langer Schwanz schlängelte sich um die Rückseite ihres Throns bis nach vorn, wo die Spitze im gleichen Rhythmus auf den Steinboden schlug wie eine Kralle ihrer rechten Klaue auf die andere Armlehne des Throns.
Die Königin musterte Elina und fragte schließlich: „Könntest du das wiederholen?“
Elina schnaufte und umfasste ihren Speer ein wenig fester. Den Speer, den der schwarze Drache ihr gelassen hatte. Das war ihr töricht vorgekommen, bis sie die Größe der Drachenkönigin erfasst hatte … und die all der anderen Drachen, die um ihren Thron standen … und sie anstarrten. Götter, Elina hatte nie zuvor so große Kreaturen gesehen – oder gewusst, dass es so viele von ihnen gab.
„Ich bin hier, um …“ Sie räusperte sich. „… dir das Leben zu nehmen, Königin der Drachen, und meinem noblen Volk deinen Kopf zu bringen.“
Die Weiße Drachendame nickte langsam. „Ah ja. So hatte ich es auch verstanden.“
Ein tödliches Schweigen folgte, und Elina machte sich bereit, ihren Vorfahren auf der anderen Seite zu begegnen. Aber dann schnaubte plötzlich einer der alten Drachen, die hinter der Königin standen. Und sobald er schnaubte, brach der Rest der Drachen in hysterisches Gelächter aus, während die Drachenkönigin eine Handbewegung in Richtung des alten Drachens hinter ihr machte.
„Ältester Clesek!“, brachte sie unter unablässigem Gekicher hervor.
„Es tut mir leid, meine Königin. Ich … ich kann einfach nicht …“ Er brach abermals in Gelächter aus, und der Rest des königlichen Hofs lachte mit ihm.
Elina schaute hinter sich, aber der schwarze Drache, der sie hereingebracht hatte, war fort. Nach einem getuschelten Gespräch mit der Königin hatte er Elina hier zurückgelassen. Nicht dass sie ihm einen Vorwurf daraus machte. Vielleicht wollte er ihren schmutzigen Tod nicht mitansehen.
„Mein liebes Mädchen“, übertönte die Königin das Gelächter der anderen, „wer hasst dich so sehr, dass er dich hierhergeschickt hat … um mir entgegenzutreten?“
„Es ist eine Ehrenmission.“
„Eine, die du dir selbst ausgedacht hast?“, fragte Königin. Und als Elina nicht antwortete, nickte sie. „Wenn du dir all das selbst ausgedacht hättest, wäre es unglaublich dumm gewesen. Aber wenn jemand dich zu mir geschickt hat? Das ist einfach grausam. Irgendjemand will offensichtlich, dass du stirbst.“
Elina seufzte. „Das weiß ich.“
„Warum bist du dann hergekommen? Warum bist du nicht weggelaufen und hast irgendwo anders ein neues Leben begonnen?“
„Ich bin Tochter der Steppen“, erwiderte sie. Sie merkte sofort, dass sie die Sprache der Südländer nicht ganz richtig hinbekam. Sie benutzen hier zu viele Worte – es war schwer, an alle zu denken, die man verwenden musste.
„Ich laufe nicht weg“, fuhr Elina fort. „Wenn ich durch deine Klaue Tod finden soll, dann werde ich finden.“
„Tochter der Steppen? Du kommst von den Außenebenen?“
„So ist es.“
„Von den Reiterstämmen, die die Täler der Nordländer überfallen, die quintilianischen Provinzen und das Annaigtal? Dein Volk wird weithin gefürchtet. Sag mir, kleiner Mensch, wie heißt du?“
„Ich bin Elina Shestakova vom Schwarzbärenstamm der Mitternachtsberge der Verzweiflung in den fernen Weiten der Steppen der Außenebenen.“
Die Königin blinzelte mehrfach, bevor sie fragte: „Das Ganze ist dein Name?“
„Es ist der, den man mir bei Geburt gegeben hat.“
„Verflucht bei der Ankunft und beim Abgang, nicht wahr, Süße?“
Der alte Drache beugte sich vor und sagte: „Mylady, vielleicht sollten wir für ein schnelles Ende sorgen, statt es unnötig in die Länge zu ziehen, jetzt, da wir wissen, wie es um sie bestellt ist.“
Die Königin sah den Drachen an. „Worauf willst du hinaus?“
„Es erscheint mir grausam, mit ihr zu spielen.“
Die Königin runzelte die Stirn und schockierte Elina mit ihrer Fähigkeit, trotz all ihrer Schuppen Gefühle zu zeigen. Die Königin ließ den Blick über ihren Hof wandern, und ihr Gesichtsausdruck war jetzt verwirrt. Schließlich rief sie: „Wie … glaubt ihr alle, ich hätte vor, sie zu verspeisen?“
Der alte Drache hinter der Königin zuckte kaum merklich die Achseln. „Hast du das nicht?“
„Nein! Das tue ich nicht mehr. Es scheint mir unschicklich zu sein … mit den Enkelkindern und allem. Außerdem … seht euch das arme Ding doch an.“ Und sie alle sahen sie an. Die Größe der Drachen war grauenerregend genug, aber tatsächlich waren es die mitleidigen Mienen, die Elina vor Entsetzen erstarren ließen. Es hätte sie eigentlich nicht kümmern müssen – sie kannte diesen Gesichtsausdruck von anderen Stammesmitgliedern.
„Du armes, armes Ding“, sagte die Königin.
Der schwarze Drache, der Elina hierhergebracht hatte, kehrte plötzlich zurück. Er sah sie im Vorbeigehen kaum an. Er nahm so viel von ihr wahr wie Elina von einer Maus, die ihr außerhalb der Stammesgebiete im Wald über den Weg lief.
„Meine Königin“, begann der schwarze Drache mit leiser Stimme, „Ich sollte dich wissen lassen, wenn Lord Bercelak sich dem Berg nähert.“
„Ja, ja. Wir werden sie an einen sicheren Ort bringen müssen.“
Der Drache schaute abermals zu Elina hinüber und zurück zur Königin. „An einen sicheren Ort?“
„Jawohl. Und wir müssen diese Information vor Bercelak geheim halten.“
Der schwarze Drache schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Ich bin deine Königin.“
„Ja. Aber du himmelst mich an. Dein Bercelak … weniger. Und er hat eine kräftige Handschrift.“
„Also wirklich! Hast du Angst vor deinem eigenen Onkel?“
„Ja! Und ob! Daher der weinerliche Ton in meiner Stimme.“
„Bring sie an einen sicheren Ort.“
„Tantchen …“
„Komm mir nicht mit Tantchen, Celyn der Charmante! Wie bist du überhaupt zu diesem Namen gekommen? Offensichtlich verdienst du ihn nicht!“
„Du hast ihn mir gegeben.“
„Was eindeutig ein Fehler meinerseits war.“
„Du machst niemals Fehler, meine Königin, das hast du mir selbst gesagt.“
Langsam musterte die Königin den schwarzen Drachen. Er wiederum grinste und ließ eine Anzahl außerordentlich großer Reißzähne aufblitzen. Die größten Reißzähne, die zu sehen Elina jemals das Missgeschick hatte.
„Bring sie“, befahl die Königin, „an einen sicheren Ort. Und tu es, bevor ich gezwungen bin, meinen Hintern von diesem Thron hochzukriegen, damit ich dich erwürgen kann!“
Der schwarze Drache machte eine kleine Verbeugung. „Wie du befiehlst, meine Königin.“
„Ach, lass das, Celyn.“
Sie hörte den schwarzen Drachen kichern, während er langsam seinen massigen Körper drehte. Er musterte Elina für einen Moment, dann stolzierte er davon. Nachdem er vorbeigegangen war, senkte Elina gerade rechtzeitig den Blick, um zu sehen, wie sich sein Schwanz um ihre Taille legte.
„Nicht …“, war alles, was sie herausbrachte, bevor er sie mit hochhob und aus einem Nebeneingang in die Halle hinaustrug. Während sie sich entfernten, hörte Elina die Königin rufen:
„Bercelak, mein Liebster! Ich bin ja so froh, dass du zu Hause bist!“
„Warum“, fragte eine weitere leise Stimme aus dem Thronsaal der Königin, „siehst du so schuldbewusst aus? Was verheimlichst du mir, Rhiannon?“
Celyn landete auf der Insel Garbhán dicht vor dem Machtzentrum der menschlichen Königin der Südländer. Er ließ die Frau, die er im Schwanz hielt, los und nahm Menschengestalt an. Dann warf er der Frau einen warnenden Blick zu: „Versuch nicht, wegzulaufen.“
„Weglaufen?“, wiederholte sie mit dem schweren Akzent der Außenebenen. „Weglaufen wohin, Drache? Man kann Misserfolg nicht weglaufen. Oder Enttäuschung. Unglück. Warum also überhaupt versuchen?“
Celyn griff nach einigen Kleidungsstücken, die für die vielen Drachen, die kamen und gingen, draußen vor der Stadt bereitlagen. Dann hielt er einen Moment inne und sah wieder zu der Menschenfrau hinüber. „Du bist ein lustiges, vorwitziges Mädchen, nicht wahr?“, witzelte er.
Sie zuckte die Achseln. „Ich bin bei Stamm als unverschämt wohlgelaunt bekannt. Fluch, dem ich nicht entfliehen kann.“
Nicht bereit, über diese Information auch nur kurz nachzudenken, zog sich Celyn schnell gepanzerte Hosen an, ein Kettenhemd und Lederstiefel. Sobald er angekleidet war, nahm er der Frau den Speer aus der Hand und warf ihn auf einen Haufen anderer Waffen. Dann fasste er sie am Arm und führte sie durch das Stadttor. Die Wachen nickten ihm zu, und er nickte zurück.
„Also“, fragte sie plötzlich, „wird meine Hinrichtung lang und schmerzhaft sein oder schnell und brutal?“
„Wenn die Königin deine Hinrichtung gewollt hätte, hätte sie das selbst erledigt. Du lebst aufgrund ihrer Gnade.“
„Sie ist nicht, was ich erwartet habe“, gestand die Frau.
„Was hast du denn erwartet?“
Die Frau zuckte die Achseln. „Geifernde Bestie von Eidechse, die es verdient, tausend Tode zu sterben. Stattdessen … war sie ziemlich nett.“
Celyn grunzte. „Tut mir ja so leid, dass wir dich enttäuscht haben.“
Sie tätschelte die Hand, die sie festhielt. „Nicht deine Schuld.“
Celyn blieb stehen und drehte sich zu ihr um. Er wollte ihr gerade erklären, wie beleidigend ihr Verhalten war, als ihm etwas an ihr auffiel, und er vermutete: „Du wolltest das nicht tun … nicht wahr?“
Sie wandte schnell den Blick ab, bevor sie schließlich antwortete: „Spielt das Rolle? Man hat mir Aufgabe gegeben, und ich bin gescheitert. Ich habe Stamm enttäuscht. Tu dein Schlimmstes mit mir.“
Er verdrehte die Augen. „Fürstin Elend, steig vom Scheiterhaufen … wir brauchen das Holz.“
„Wie meinst du?“, fragte sie, während sie die Straße entlanggingen.
„Es bedeutet, dass du aufhören sollst, dir selbst leidzutun. Offensichtlich hat dich jemand hierhergeschickt, damit du stirbst. Das sollte dich wütend machen. Ich wäre wütend.“
„Zuerst, Drache, ich tue mir nicht selbst leid. Ich habe versagt, und wenn ich für Versagen sterben muss – dann soll sein. So sind Dinge eben. Zweitens“, fügte sie zunehmend gereizt hinzu, „tu nicht so, als wäret ihr besser als wir.“ Er dachte zuerst, dass sie von Drachen und Menschen sprach, aber nein. Das war es nicht, was sie meinte. „Ihr seid faule, verweichlichte Südländer. Leben von Armen. Abschaum von verrottendem Imperium. Und“, fuhr sie fort und zeigte mit einem Finger auf ihn, „ich weiß, du hältst mich schwach, weil ich Frau bin. Aber ich Tochter der Steppen. Kein bedürftiges, nutzloses Mädchen aus Südland, das Mann anfleht, zu sorgen. Ich stärker als diese Frauen.“
Celyn lachte. „Jawohl. Das ist definitiv das Problem. Südländische Frauen sind so überaus schwach. Alle, die ich kenne, sind schwache Frauen. Oh, wie sie mich anwidern! Die schwachen Frauen aus dem Südland.“
„Genau habe ich gedacht“, sagte sie naserümpfend.
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