Eichmann war von empörender Dummheit Eichmann war von empörender Dummheit - eBook-Ausgabe
Gespräche und Briefe
„Hannah Arendts Analyse dieses Phänomens, durch die Fragen von Fest klug provoziert, weist über Eichmann und seinesgleichen hinaus und lässt uns spüren, wie schwer uns der Blick in das Abgründige unserer Vergangenheit nach wie vor fällt.“ - Rhein-Neckar-Zeitung
Eichmann war von empörender Dummheit — Inhalt
In einem bislang unbekannten Briefwechsel und einer wiederentdeckten Radiosendung diskutieren Hannah Arendt und Joachim Fest über Adolf Eichmann und die Frage: Wie konnte ein „erschreckend normaler“ Mensch zu einem Verbrecher werden, der als selbst ernannter „Spezialist“ an entscheidender Stelle für den Völkermord an den europäischen Juden verantwortlich war?
Leseprobe zu „Eichmann war von empörender Dummheit“
Einleitung
„Das war die Dummheit, die so empörend war. Und das habe ich eigentlich gemeint mit der Banalität“, erklärt Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim Fest. Ihr Bericht von der Banalität des Bösen1 über den Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann, der als Leiter des „Judenreferats“ im Reichssicherheitshauptamt für die Deportation von Millionen Menschen in die NS-Vernichtungslager verantwortlich war, hatte gleich nach Erscheinen eine erbitterte internationale Kontroverse ausgelöst. Wie konnte das „Böse“ im Zusammenhang eines derartigen Verbrechens [...]
Einleitung
„Das war die Dummheit, die so empörend war. Und das habe ich eigentlich gemeint mit der Banalität“, erklärt Hannah Arendt im Gespräch mit Joachim Fest. Ihr Bericht von der Banalität des Bösen1 über den Jerusalemer Prozess gegen Adolf Eichmann, der als Leiter des „Judenreferats“ im Reichssicherheitshauptamt für die Deportation von Millionen Menschen in die NS-Vernichtungslager verantwortlich war, hatte gleich nach Erscheinen eine erbitterte internationale Kontroverse ausgelöst. Wie konnte das „Böse“ im Zusammenhang eines derartigen Verbrechens und Täters „banal“ genannt werden ? Arendt antwortet im Gespräch mit Fest, indem sie eine Geschichte aus Ernst Jüngers Tagebuch Strahlungen erzählt: „Fahrt zum Friseur. Dort Unterhaltung über die russischen Gefangenen, die man aus den Lagern zur Arbeit schickt. ›Da sollen böse Brüder drunter sein. Die fressen den Hunden das Futter weg. ‹ “ Dass diese Menschen faktisch am Verhungern waren, war dem Friseur nicht in den Sinn gekommen. „Diese Dummheit“, so Arendt, „hat etwas wirklich Empörendes.“ Eichmann sei in gewisser Hinsicht „intelligent“ gewesen, „aber diese Dummheit hatte er. […] Da ist keine Tiefe – das ist nicht dämonisch! Das ist einfach der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist.“2
Joachim Fest stellte für Arendt einen besonders geeigneten Gesprächspartner dar, um diese kontroversen Fragen zu diskutieren. Sein Buch Das Gesicht des Dritten Reiches, wie das englische Original von Arendts Eichmann in Jerusalem 1963 erschienen, porträtierte erstmals die Führungsriege des NS-Regimes von Hitler über Himmler und Göring, von Ribbentrop und Heß bis Heydrich und Schirach. Die Geschichte jener Epoche mit Blick auf die politischen Führer zu schreiben, resümiert Fest im Schlusskapitel seines Buches, sei „nicht, wie man oft gemeint hat, eine Aufgabe der Dämonologie “. Vielmehr sei man mit dem Problem konfrontiert, wie „so viel Unvermögen, so viel Durchschnittlichkeit und charakterliche Nichtigkeit“ mit den ungeheuren Verbrechen, die hiervon ausgingen, in einen begreifbaren Zusammenhang zu bringen sind.3
Arendt und Fest debattieren jene Fragen nicht nur im Rahmen der Radiosendung, die der Südwestdeutsche Rundfunk am 9.ůNovember 1964 ausstrahlte und die hier erstmals in Buchform dokumentiert wird,4 sondern auch in bisher unbekannten Briefen, die beide Autoren zwischen 1964 und 1973 miteinander wechseln. Die Briefe begleiten die Jahre von Fests Zusammenarbeit als „vernehmender Lektor “ mit Albert Speer5, Hitlers vertrautem Architekten und späteren Rüstungsminister, aus der Speers Erinnerungen (1969) hervorgehen, sowie die Zeit, in der Fests Hitler-Biografie (1973) entsteht. Für Hannah Arendt markieren die Jahre nach dem Erscheinen von Eichmann in Jerusalem ebenfalls einen Wendepunkt: International angefeindet, steht sie im Mittelpunkt einer Kontroverse um die Darstellung und Bewertung der Verbrechen des NS-Regimes, in der selbst enge Weggefährten und Freunde sich von ihr abwenden. Sie wird dies zum Anlass nehmen, nicht nur über „Wahrheit und Politik“ nachzudenken, sondern sich intensiv den Tätigkeiten des Denkens und Urteilens zuzuwenden. Ihre philosophische Hinterlassenschaft The Life of the Mind, an der sie während der Korrespondenz mit Fest zu arbeiten beginnt, nimmt die beunruhigende Frage aus der Konfrontation mit Eichmann wieder auf: Kann das Denken davor bewahren, Böses zu tun?6
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Der international gesuchte NS-Verbrecher Adolf Eichmann wurde im Frühjahr 1960 in Argentinien vom israelischen Geheimdienst aufgespürt und nach Israel entführt. Zwischen April und Dezember 1961 stand der ehemalige SS-Obersturmbannführer, der die Wannsee-Konferenz mit vorbereitete sowie das Protokoll verfasste, in Jerusalem vor Gericht. Am Ende des Verfahrens wurde Eichmann zum Tode verurteilt undů– nach erfolgloser Berufung sowie Ablehnung seines Gnadengesuchs – am 31.ůMai 1962 hingerichtet. Hannah Arendt beobachtete das Verfahren als Berichterstatterin für die Zeitschrift The New Yorker. „An diesem Prozeß teilzunehmen ist irgendwie, so meine ich, eine Verpflichtung, die ich meiner Vergangenheit gegenüber habe“, schrieb sie vor ihrer Abreise zum Prozess nach Jerusalem .7 Die Jüdin Hannah Arendt hatte 1933 vor den Nazis fliehen müssen, zunächst nach Paris und 1941 weiter nach New York. Ihr Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1955 auf Deutsch und vier Jahre früher auf Englisch erschienen, war eines der ersten Bücher, die den Epochenbruch jener Zeit reflektierten. Nach dem Krieg reiste Arendt häufig nach Europa und Deutschland, erstmals 1949/50 im Auftrag der Jewish Cultural Reconstruction, um geraubte jüdische Kulturgüter aufzufinden und sicherzustellen.8 Ihr Lebensort blieb das Exil, 1951 wurde sie amerikanische Staatsbürgerin. Ihr politischtheoretisches Denken aber war, neben Krisenerscheinungen der amerikanischen Republik, weiterhin der Vergangenheit und den Nachwirkungen des NS-Regimes verpflichtet. Sie bedauerte, „die Nürnberger Prozesse verpaßt “ und „ diese Leute nie leibhaftig “ gesehen zu haben – das Verfahren gegen Eichmann bot ihr dazu, wie sie schrieb, „wahrscheinlich meine letzte Chance“.9
Die Erfahrung „leibhaftiger“ Anschauung ist Arendt eine Voraussetzung des Denkens und Urteilens. Die beunruhigende Formulierung von der „Banalität des Bösen “ gewinnt sie in einem Verfahren, staunend „ dabei “ zu sein, Worte zu suchen, den Eindrücken nachzudenkenů– in einem offen bleibenden, beweglichen Prozess. Sie ist nicht der Ableitung aus einer Theorie geschuldet oder gar als Mitteilung eines Ergebnisses anzusehen. Dieses Vorgehen hat nicht zuletzt damit zu tun, dass in Gestalt von Eichmann ein Verbrechen zur Anklage stand, vor dem überlieferte Kategorien wie „Mord“ oder überzeugend „motivierte Täterschaft“ versagten.
Nach Arendts Ansicht stand in Jerusalem ein Angeklagter vor Gericht, an dessen Schuld kein Zweifel bestand. Die Schwierigkeit für die Richter war, „Recht zu sprechen und der Gerechtigkeit Genüge zu tun “.10 Dies hatte vor dem Hintergrund der Schoah zu geschehen, dem „ Verwaltungsmassenmord “, für den es in der Geschichte keine Vorläufer gab. Im Unterschied zu anderen Genoziden wurden hier ganze Völker und Menschengruppen vernichtet, ohne dass es eine „zweckmäßige“ Begründung gab: Juden, Polen, Sinti und Roma, Homosexuelle, körperlich Behinderte oder geistig Kranke wurden nicht etwa deshalb vertrieben und massenhaft umgebracht, weil es militärisch wichtige Regionen zu besetzen oder gefährliche Regimegegner auszuschalten galt. Ihr Tod war vollkommen „sinnlos“. Ihnen wurde das Daseinsrecht als Mitglieder der Menschengemeinschaft ausgeschlagen. Aus diesem Grund spricht Arendt von beispiellosen „Verbrechen gegen die Menschheit“, indem sie sich auf den Begriff „crimes against humanity“, wie ihn die Nürnberger Prozesse geprägt hatten, beruft. Die deutsche Übersetzung als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit “ hält sie für eine unzulässige Verharmlosung, „als hätten es die Nazis lediglich an ›Menschlichkeit‹ fehlen lassen, als sie Millionen in die Gaskammern schickten “11. Seit den Nürnberger Prozessen von 1945/46 befasste sich in Jerusalem nun erstmals wieder ein Gericht mit einem Hauptverantwortlichen dieser Verbrechen.
Eichmann erklärte dem Jerusalemer Gericht, er habe sich mit der Geschichte des Zionismus beschäftigt und bei der Organisation der „Ausreise [sic] vieler Juden“ mit Vertretern von deren Organisationen am selben „Strang gezogen“12. Sich vor Gott schuldig zu fühlen, zog er in seinen Aussagen in Erwägung, nicht aber vor dem Gesetz: Er habe lediglich getreu seinem Amtseid gehandelt, als kleines Rädchen im großen Getriebe, dessen Mahlwerk auch ohne ihn funktioniert hätte. Arendt nimmt Eichmanns Selbsteinschätzung insofern ernst, als sie sein Tun nicht als das Handeln eines Judenhassers oder ideologischen Fanatikers bewertet. „Tatsache war ja, daß er ›normal‹ und keine Ausnahme war“, so Arendt, „ unter den Umständen des Dritten Reiches. “13 Umstände, unter denen Adolf Hitler das Gesetz „Du sollst töten!“ erlassen hatte. Eichmanns Gerede vom Handeln auf höheren Befehl indes enthüllt Arendt als simple Ausflucht vor der Verantwortung. Der „leibhaftige“ Angeklagte in Jerusalem, so zeigten die Indizien inklusive seiner Aussagen, hatte bis hin zu konkreten Tötungsmechanismen in den Lagern „ mit eigenen Augen gerade genug gesehen, um genau Bescheid zu wissen, wie die Vernichtungsmaschinerie funktionierte “14. Warum befolgte er dennoch die offensichtlich verbrecherischen Befehle seiner Vorgesetzten ?
Statt Eichmanns Verhalten mit Geltungsbedürfnis, Triebhaftigkeit, Gruppendynamik oder anderen (sozial-) psychologischen Theoremen zu erklären oder wegzuerklären, lenkt Arendt das Augenmerk auf ein grundsätzliches und politisches Problem: das Funktionieren der menschlichen Urteilskraft. Eichmann habe sich gegen die Wirklichkeit abgedichtet, indem er für jede Erfahrung ein Klischee oder eine Sprachschablone bereithielt: „Amtssprache ist meine einzige Sprache.“ In dieser Unfähigkeit sich auszudrücken erkennt Arendt eine Unfähigkeit zu denken und zu urteilen: Eichmann war nicht in der Lage, eine Angelegenheit von verschiedenen Gesichtspunkten aus zu betrachten, sich die Konsequenzen seines Tuns vorzustellen, die Wahrnehmung von Wirklichkeit auf diese Weise rückwirken zu lassen und zu einem unabhängigen Urteil zu kommen. Dass die schiere „Realitätsferne und Gedankenlosigkeit in einem mehr Unheil anrichten können als alle die dem Menschen vielleicht innewohnenden bösen Triebe zusammengenommen“, betrachtete Arendt als die wichtigste Lektion aus dem Prozess.15 In jener abgrundtiefen Oberflächlichkeit Adolf Eichmannsů – er sei kein „Ungeheuer“, sondern eher ein „Hanswurst“16ů– manifestierte sich für Arendt etwas, das sie in die Formulierung „Banalität des Bösen“ brachte.
Zeigte sich hier ein neuer Tätertyp? Eine Kombination aus Wirklichkeitsverweigerung, Erfahrungsverlust, Pflichttreue und Verantwortungslosigkeit, die auch ein Paradigma der Moderne bildet? In welchem Verhältnis stehen in dieser Hinsicht Eichmann, Hitler, Speer? Hannah Arendt und Joachim Fest werden diese Fragen in ihren Gesprächen und Briefen diskutieren.
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Den Anlass für die Gespräche liefert Hannah Arendts Prozessbericht. Um Eichmann in Jerusalem fertigzustellen, hat sie sich viel Zeit genommen bzw. nehmen müssen. Zwei Schicksalsschläge haben sie nach dem Beginn der Arbeiten zurückgeworfen: eine ernste Erkrankung ihres Mannes Heinrich Blücher und ihr Unfall in einem Taxi im Central Park (am 19.ůMärz 1962), dessentwegen sie längere Zeit im Krankenhaus verbringen muss. Dann wartet sie auf das Urteil, das am 29.ůMai 1962 ergeht und kurz darauf vollstreckt wird. „ Ich bin froh, dass sie Eichmann gehängt haben“, schreibt sie an MaryůMcCarthy: „Nicht dass es etwas ausmachen würde. Aber sie hätten sich, nach meinem Gefühl, völlig lächerlich gemacht, wenn sie die Sache nicht zum einzig logischen Abschluss gebracht hätten.“17 Der Freundin berichtet sie regelmäßig vom Fortgang der Arbeit: „Ich bin mitten im Eichmann und ziemlich verzweifelt, weil ich es nicht so kurz machen kann, wie ich wollte.“ Der Umgang mit Tatsachen und konkreten Dingen aber mache Spaß; ihr Zimmer sehe aus „ wie ein Schlachtfeld, mit den Papieren und den kopierten Seiten des Prozessmaterials, die überall verstreut sind“; dann schließlich, der Eichmann-Artikel sei ein „Buch“ (von 312ůSeiten in der ersten englischen Ausgabe) geworden, der New Yorker habe es angenommen.18 Es folgen Monate, in denen sich das Manuskript den die Tatsachen und den Sprachstil prüfenden Blicken der Mitarbeiter des New Yorker zu stellen hat. Gleichzeitig wird die Buchausgabe vorbereitet. Die Phase des Korrigierens dauert bis zur letzten Minute, bevor am 16.ů Februar 1963 die erste der fünf Folgen von „Eichmann in Jerusalem“ erscheint. Als begeisterte Leserin meldet Mary McCarthy aus Paris zu den „Eichmann pieces “ : „ This is a real victory of spirit over matter, an exemplary victory, and I think it’s a splendid thing that they’re published in a popular magazine. […] As a fellow-contributor, I can assure you that you’ve not been in any way New Yorkerized. This is quite an accomplishment.“19 Als McCarthy ihren Brief schreibt, ist Hannah Arendt bereits in Europa. Sie hatte am 19.ůFebruar New York verlassen, vier Tage später in Basel an den Feiern zu Karl Jaspers’ 80.ů Geburtstag teilgenommen und war dann nach Deutschland weitergereist. Ende März bricht sie zusammen mit ihrem Mann zu einer langen Urlaubsreise nach Griechenland und Italien auf (mit Abstecher nach Israel). Erst Anfang Juli kehren beide per Schiff nach New York zurück. Was sich dort während ihrer Abwesenheit abgespielt hatte, holt sie nun unaufhaltsam ein: „Die ganze Wohnung [war] buchstäblich voll mit ungeöffneter und nicht nachgeschickter Post.“20 Was war geschehen ?
Arendts Prozessreportage löste, wie Fest rückblickend feststellt, „ den zweifellos größten Skandal “ aus, den „ ein Buch in Jahrzehnten hervorgerufen hat“.21 Kaum ist die fünfte und letzte Folge von „Eichmann in Jerusalem“ im New Yorker vom 16.ůMärz 1963 erschienen, beginnt die „ Kontroverse “ oder auch „ Arendt-Kontroverse “22. Den ersten Vorstoß unternimmt der Council of Jews from Germany, der am 22.ůMärz die in deutscher Sprache verfasste Erklärung „ Die Reaktion der Juden auf die Verfolgungen der Nazizeit “ veröffentlicht.23 Der Council, 1945 als Zusammenschluss der aus Deutschland ausgewanderten Juden gegründet, war von Anfang an eine in Israel und den USA einflussreiche Gruppe. In seiner Erklärung wendet er sich mit Nachdruck gegen das „verfälschte Geschichtsbild“, wie es Arendts „Eichmann in Jerusalem“ (damals noch nicht als Buch auf dem Markt) und Raul Hilbergs The Destruction of the European Jews24 zeichnen : Über jenes „ furchtbare Kapitel “ů– die Lage der Juden und insbesondere der Judenräte unter der Naziherrschaft – „ moralisch zu urteilen, steht denen nicht zu, die nicht dabei gewesen sind“. Der Council bereite seinerseits eine Reihe von Veröffentlichungen vor, die zeigen werden, „wie die deutschen Juden sich in äußerster Anspannung aller moralischen und materiellen Kräfte zu gegenseitiger Hilfe organisiert und wie sie unter schwierigsten Umständen Selbstbesinnung und Selbstachtung aufrecht erhalten haben“.25 Damit ist ein Grundthema der Kontroverse formuliert: Es geht um nichts Geringeres als „Um Ehre und Rettung“26. Man wolle „der Kontroverse um die Haltung der Juden die Richtung dadurch weisen“, so Siegfried Moses, der Präsident des Council, „dass sie jene sachlich und menschlich nicht verantwortbaren Publikationen“ů– wie vor allem die von Hannah Arendtů– „analysiert“. Dies geschieht zunächst im Mitteilungsblatt des Council, kurz darauf werden die entsprechenden „Analysen“ in einer Broschüre gesammelt veröffentlicht.27
Parallel dazu wird Hannah Arendt ab Ende März in der New Yorker deutsch-jüdischen Wochenzeitung Aufbau scharf angegriffen.28 Mehr als zehn Einzelbeiträge erscheinen in den nächsten acht Wochen, dazu unzählige Leserbriefe. In der Ausgabe vom 29.ůMärz 1963, die den Auftakt hierzu macht, titelt die Redaktion „Der Sturm um Hannah Arendts ›Eichmann‹“ und bringt als Erstes die Erklärung des Council of Jews from Germany, diesmal in englischer Sprache. Zwei Themen werden in den Vordergrund gerückt: die Frage des jüdischen Widerstands und des Verhaltens der Judenräte während der Nazizeit sowie die Ehrenrettung von Leo Baeck („So war Rabbiner Leo Baeck “ ). Obwohl Arendt in den Jahren 1941 bis 1945 regelmäßig Artikel im Aufbau geschrieben hatte, verweigert man ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme.29 Erst im Dezember 1963 druckt man auszugsweise ihre Antwort auf einen Brief Gershom Scholems ab, die zuvor zusammen mit Scholems Brief in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen war.30 In dieselbe Nummer wird außerdem „eine in dieser Form bisher im ›Aufbau‹ nicht vertretene Stellungnahme “ů– eine Richtigstellung im Sinne von Arendtů– aufgenommen.
„Was hat Hannah Arendt eigentlich gesagt?“, fragt Joseph Maier, einstiger Kollege beim Aufbau, der schon in den 1920er-Jahren aus Deutschland nach Amerika kam und als vernehmender Offizier der US Army bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen eingesetzt war. In seinem angesichts des hitzigen Tons der Kontroverse ungewöhnlich sachlichen Beitrag stellt Maier klar: „Das Buch von Hannah Arendt […] ist in der Hauptsache ein auf den Prozessakten und den Polizeiverhören basierender Bericht über Eichmann. Es berührt nichts, was nicht im Prozess selbst vorkommt. Es ist kein Buch über die Juden und die jüdische Geschichte. In seinem Mittelpunkt steht, wer hingehört: Adolf Eichmann. Vielleicht war es vorauszusehen, dass es mit seiner These von der Banalität des Bösen von vielen missverstanden und falsch gedeutet werden würde. Die Behauptungen aber, dass es sich hier um eine pauschale Verwerfung des Prozesses, eine selbstbewußte, herzlose, taktlose, seelenlose Anklage gegen die Opfer und weiss der Himmel was noch handle, sind offensichtlich böswillige Unterstellungen.“ Dann wendet sich Maier dem Prozessgeschehen als solchem zu und schreibt: „Den Prozess vornehmlich als politische, nicht als juristische Aktion zu führen“, war zwar die Absicht des Premierministers David Ben Gurion und des Staatsanwalts Gideon Hausner, aber dem vorsitzenden Richter Moshe Landau „sei es gelungen, ihn in eine juristische Aktion zu wenden. Hannah Arendt lässt keinen Zweifel daran, dass in Jerusalem Recht gesprochen wurde.“
„Wer immer die Geschichte des Zwanzigsten Jahrhunderts und was ihr vorausging in ihrem Wesen verstehen will, der wird in diesen beiden seine wahren Wegbegleiter finden. Das vorliegende Buch wird dafür allemal ein gutes Brevier abgeben.“
„Die Ausgabe empfiehlt sich nicht nur als penible zeitgeschichtliche Dokumentation, sie ist auch eine hervorragende Einführung in das intellektuelle Temperament der politischen Theoretikerin Hanna Arendt.“
„Hannah Arendts Analyse dieses Phänomens, durch die Fragen von Fest klug provoziert, weist über Eichmann und seinesgleichen hinaus und lässt uns spüren, wie schwer uns der Blick in das Abgründige unserer Vergangenheit nach wie vor fällt.“
„Das Gespräch ist das Herzstück dieses Buches. Zusammen mit einer klugen Einführung der Herausgeber und einigen zentralen Stellungnahmen aus der Eichmann-Kontroverse (…) bietet es einen ausgezeichneten Einblick in die Diskussion um Arendts Eichmann-Bericht, der damals die jüdische ebenso wie die nicht-jüdische westliche Welt erregt hat.“
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