Eierlikörtage (Hendrik Groen 1) Eierlikörtage (Hendrik Groen 1) - eBook-Ausgabe
Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 83 1/4 Jahre
— Witziger Senioren-Roman mit einem verschroben-liebenswerten Protagonisten„›Eierlikörtage‹ ist alles zugleich: lustig, ernst, traurig, unterhaltsam und vor allem wohl einfach wahr.“ - Ruhrnachrichten
Eierlikörtage (Hendrik Groen 1) — Inhalt
Hendrik Groen mag alt sein (genauer gesagt 83 1/4), aber er ist noch lange nicht tot. Zugegeben, seine täglichen Spaziergänge werden kürzer, weil die Beine nicht mehr recht wollen, und er muss regelmäßig zum Arzt. Aber deshalb nur noch Kaffeetrinken, die Geranien anstarren und auf das Ende warten? Kommt nicht infrage. Ganz im Gegenteil. 83 Jahre lang hat Hendrik immer nur Ja und Amen gesagt. Doch in diesem Jahr wird er ein Tagebuch führen und darin endlich alles rauslassen – ein unzensierter Blick auf das Leben in einem Altenheim in Amsterdam-Nord.
Leseprobe zu „Eierlikörtage (Hendrik Groen 1)“
Mittwoch, 2. Januar
Es war reichlich Puderzucker danebengegangen. Um den Tisch besser feucht abwischen zu können, stellte Frau Smit den Teller mit den Apfeltaschen kurz auf einem Stuhl ab.
Frau Voorthuizen setzte sich mit ihrem Riesenhintern mitten auf den Gebäckteller und merkte es nicht einmal.
Erst als Frau Smit den Teller suchte, um ihn wieder auf den Tisch zu stellen, hatte jemand die Idee, unter Frau Voorthuizen nachzugucken. Als sie aufstand, klebten drei Apfeltaschen an ihrem geblümten Kleid.
„Die passen doch hübsch zum Muster“, sagte Evert. Ich bin [...]
Mittwoch, 2. Januar
Es war reichlich Puderzucker danebengegangen. Um den Tisch besser feucht abwischen zu können, stellte Frau Smit den Teller mit den Apfeltaschen kurz auf einem Stuhl ab.
Frau Voorthuizen setzte sich mit ihrem Riesenhintern mitten auf den Gebäckteller und merkte es nicht einmal.
Erst als Frau Smit den Teller suchte, um ihn wieder auf den Tisch zu stellen, hatte jemand die Idee, unter Frau Voorthuizen nachzugucken. Als sie aufstand, klebten drei Apfeltaschen an ihrem geblümten Kleid.
„Die passen doch hübsch zum Muster“, sagte Evert. Ich bin fast erstickt vor Lachen.
Dieser prächtige Start ins neue Jahr führte zu allgemeiner Heiterkeit, gab aber auch Anlass zu dreiviertelstündigem Gezeter über die Schuldfrage. Ich wurde von mehreren Seiten schief angesehen, weil ich es offenbar lustig gefunden hatte. Und ich – ich murmelte ein paar Entschuldigungen in mich hinein.
Statt noch lauter zu lachen, murmelte ich Entschuldigungen in mich hinein.
Ich, Hendrikus Gerardus Groen, bin nämlich immer korrekt, gewinnend, freundlich, höflich und hilfsbereit. Nicht, weil ich das alles wirklich wäre, sondern weil ich nicht anders sein darf. Ich sage selten, was ich sagen will. Immer gehe ich den Weg des geringsten Widerstands. Meine Spezialität: den perfekten Kompromiss für alle finden. Einen braveren Jungen hätten meine Eltern gar nicht großziehen können. „Kennt ihr nicht Hendrik, der immer so höflich den Hut zieht, wenn er vorbeigeht?“ – Das bin ich.
Ich krieg eines Tages noch Depressionen von mir selbst, dachte ich. Deswegen hab ich beschlossen, auch mal was vom wahren Hendrik Groen herauszulassen: Genau ein Jahr lang werde ich meinen unzensierten Blick auf das Leben in einem Altenheim in Amsterdam-Nord wiedergeben.
Wenn ich am Ende des Jahres sterbe, ist das höhere Gewalt. Für diesen Fall werde ich meinen Freund Evert Duiker bitten, auf meiner Beerdigung eine Blütenlese aus meinem Tagebuch vorzutragen. Wenn ich in dem kleinen Saal des Krematoriums „Der Horizont“ aufgebahrt liege, sauber gewaschen und gebügelt, wird das unbehagliche Schweigen der rauen Stimme Everts weichen, der einem bestürzten Publikum ein paar nette Passagen vorliest.
Nur um eines mach ich mir Sorgen: Was, wenn Evert nun vor mir stirbt?
Das wäre nicht sehr nett von ihm, vor allem, weil ich viel mehr Krankheiten und Tumore habe als er. Auf seinen besten Freund sollte man sich schon verlassen können. Ich werde noch mal mit ihm darüber sprechen.
Donnerstag, 3. Januar
Evert war begeistert, wollte aber nicht garantieren, dass er länger leben wird als ich. Allerdings hatte er auch einige weitere Bedenken. Erstens, dass er sich nach dem Vortrag aus meinem Tagebuch wahrscheinlich einen anderen Wohnheimplatz suchen müsse. Und zweitens sorgte er sich um den Sitz seiner Zahnprothese. Letzteres hat mit einem schlampigen Billardstoß von Vermeteren zu tun. Seit der am rechten Auge Star hat, muss man ihm beim Zielen helfen. Evert, der schon immer sehr hilfsbereit war, stellte sich hinter ihn, um Anweisungen zu geben, mit der Nase auf Höhe des Queues. „Ein bisschen nach links, und dann den Ball schön weit unten treffen und …“, und bevor er seinen Satz beendet hatte, hatte ihm Vermeteren seinen Queue mitten durch die Dritten gerammt. Karambolage!
Evert sieht aus wie ein Schulkind, das gerade seine Milchzähne verliert. Man versteht ihn kaum, weil er so lispelt. Bevor er an meiner Bahre vorlesen kann, muss das Gebiss also gerichtet werden. Aber da kommt gleich das nächste Problem ins Spiel: Der Zahntechniker hat nämlich ein Burn-out. Zweihunderttausend im Jahr, ein Prachtstück von Assistentin, dreimal im Jahr nach Hawaii, und trotzdem unterm Stress zusammenbrechen – wie ist so was möglich? Vielleicht sind ihm all die Prothesen aufs Gemüt geschlagen, bei denen die Essensreste manchmal so lange in den Ritzen hängen, dass man schon Maden drin findet. Sozusagen.
Die Silvesterkrapfen, die sie unten im Gesellschaftsraum immer auf den Tisch stellen, haben sie dieses Jahr von der Bürgerhilfe geholt. Aus reiner Höflichkeit habe ich mir gestern Morgen einen Krapfen genommen, und mit dem hatte ich dann erst mal zwanzig Minuten zu kämpfen. Zum Schluss musste ich einen aufgegangenen Schnürsenkel vortäuschen, damit ich mich bücken, unter den Tisch abtauchen und das letzte Stück in meiner Socke verschwinden lassen konnte.
Nur deswegen stehen auch noch lauter volle Gebäckteller rum. Normalerweise ist hier nämlich alles, was man umsonst kriegt, innerhalb kürzester Zeit weg.
Im Gesellschaftsraum soll um 10:30 Uhr Kaffee serviert werden. Wenn der Kaffee um zwei Minuten nach halb elf noch nicht da ist, fangen die ersten Bewohner an, völlig übertrieben auf ihre Armbanduhren zu schauen. Als ob sie noch etwas zu tun hätten. Dasselbe Spielchen beim Tee, der um 15:15 Uhr serviert wird.
Einer der spannendsten Momente des Tages: Was für Kekse gibt es heute? Vorgestern und gestern gab es zum Kaffee und zum Tee angealterte Silvesterkrapfen. Weil „wir“ selbstverständlich kein Essen wegwerfen. Lieber ersticken wir dran.
Freitag, 4. Januar
Gestern hab ich einen kleinen Spaziergang zum Blumenstand gemacht und dort einen kleinen Karton Blumenzwiebeln gekauft. Auf die Art habe ich es in einer Woche, wenn die Hyazinthen austreiben, quasi schon geschafft, einen neuen Frühling zu erleben.
In den meisten Zimmern hier stehen im April noch die Weihnachtsgestecke herum. Neben einem uralten Bogenhanf und einer Primel im Endstadium. „Wär doch eine Sünde, die wegzuwerfen.“
Mag sein, dass die Natur eine erbauliche Rolle im Leben eines Menschen spielen kann, aber ganz bestimmt nicht im Wohn- und Schlafzimmer eines niederländischen Senioren. Da ist der Zustand der Topfpflanze meistens ein getreues Abbild der Situation, in der sich ihr Versorger befindet: Sie wartet auf ihr trostloses Ende. Weil sie nichts anderes zu tun haben oder weil sie so schrecklich vergesslich sind, gießen die Alten so eine Pflanze dreimal am Tag. Das hält auf die Dauer der härteste Bogenhanf nicht aus.
Frau Visser hat mich heute Vormittag zu einer Tasse Tee eingeladen. Ich hätte ablehnen sollen, denn sie müffelt, aber natürlich habe ich zugesagt und mir damit den Vormittag verdorben. Gott, ich bin so ein Schlappschwanz. Nie fällt mir im entscheidenden Moment die richtige Ausrede ein, also bin ich immer wieder dazu verdammt, leeres Geschwätz und trockenen Kuchen zu ertragen. Wie Frau Visser es anstellt, innerhalb kürzester Zeit aus dem saftigsten Kuchen staubige Pappe zu machen, ist mir ein Rätsel. Da brauch ich für jedes Stück drei Tassen Tee. Morgen werde ich heldenhaft ein zweites Stück verweigern. Das wird der Beginn eines neuen Lebens.
Ein neues Leben mit sauber geputzten Schuhen. Damit war ich den halben Morgen beschäftigt. Die Schuhe selbst gingen ziemlich schnell. Die meiste Zeit ging dafür drauf, die Schuhcreme aus meinen Hemdsärmeln zu kriegen. Aber jetzt glänzen sie sehr hübsch. Die Schuhe, meine ich. Die Ärmel hab ich am Ende dann einfach hochgekrempelt. Die krieg ich nicht mehr sauber.
Deswegen werde ich mir bestimmt noch einen Kommentar anhören müssen: „Wie schaffen Sie das immer, dass bei Ihnen die Ärmel so schmutzig werden, Herr Groen?“
Das Leben besteht hier aus Nie oder Immer. Das Essen ist an einem Tag „nie pünktlich und immer zu heiß“, am nächsten Tag wieder „immer zu früh und nie warm“.
Manchmal mache ich die Menschen auf ihre widersprüchlichen Aussagen aufmerksam, aber von Logik will man hier nichts wissen. „Sie wissen es natürlich mal wieder besser, was, Herr Groen?“
Samstag, 5. Januar
Gestern war wieder was los beim Abendessen: Auf dem Speiseplan stand Nasi Goreng. Die meisten alten Jungs und Mädels hier sind eher einfach gestrickt, denen braucht man gar nicht zu kommen mit so einem exotischen Kram. Die sind ja schon ausgestiegen, als Mitte der Sechzigerjahre Spaghetti in den Niederlanden eingeführt wurden. Das passte nicht ins Schema: Montag Endivien, Dienstag Blumenkohl mit Hollandaise, Mittwoch ist Hackfleischtag, Donnerstag Grüne Bohnen, Freitag Fisch, Samstag Suppe mit Brot dazu und Sonntag Roastbeef. Wenn sie mal so richtig auf den Putz hauen wollten, dann aßen sie am Dienstag schon Hackfleisch, waren danach aber für den Rest der Woche völlig von der Rolle.
Und für ausländische Faxen haben wir ja gar nichts übrig. Meistens können wir eine Woche im Voraus zwischen drei verschiedenen Menüs wählen, aber manchmal läuft eben was falsch. Gestern gab es aus unerfindlichen Gründen nur Nasi Goreng. Irgendwas mit „falsche Lieferung“ oder so. An unserem Koch lag es sicher nicht.
Also konnten wir aus Nasi Goreng wählen. Menschen mit speziellen Diätvorschriften bekamen Brot.
Ein Aufschrei der Entrüstung. Frau Hoogstragen van Dam, die sich gerne mit ihrem vollen Namen ansprechen lässt, puhlte nur die Eierstückchen heraus, van Gelder „fraß“ kein Nasi Goreng, aber dafür das ganze Glas saure Gurken, und der dicke Bakker verlangte lautstark nach Sauce für seinen Reis.
Mein Freund Evert, der manchmal mitisst, wenn er von seinen eigenen Kochkünsten genug hat, bot seinen nichts ahnenden Tischgenossen Sambal Oelek an. „Wollen Sie vielleicht etwas Ketchup übers Nasi Goreng?“
Er stellte sich einfach dumm, als Frau De Prijker anschließend ihre Dritten ins Dessert hustete. Sie wurde röchelnd weggeführt, und Evert ging etwas später mit ihrer Prothese herum und ließ die Leute sie anprobieren, als wäre sie Aschenputtels gläserner Schuh. Als er hinterher zur Abteilungsleiterin bestellt wurde, mimte er den Unschuldigen und drohte sogar, die Lebensmittelaufsicht einzuschalten, weil er im Dessert ein Gebiss „gefunden“ hatte.
Vor dem Mittagessen bin ich noch schnell auf Teebesuch bei Frau Visser gewesen. Ihr Geschwätz ist noch dünner als ihr Tee. Habe behauptet, dass mein Arzt mir Kuchen verboten hat. Warum auch nicht? Ich behauptete, es sei wegen meines Blutspiegels. Der ist mit 20 bis 25 an der Obergrenze. Ich hab den Blödsinn einfach so rausgeblökt, bevor ich drüber nachdenken konnte, aber sie fand es sehr vernünftig. Ich musste drei Stück Kuchen mitnehmen, für später, wenn der Spiegel wieder gesunken ist. Die liegen jetzt im Aquarium im dritten Stock.
Sonntag, 6. Januar
Ich fange immer mehr an zu tröpfeln. In weißen Unterhosen kommen die gelben Flecken besonders gut zur Geltung. Gelbe Unterhosen wären viel praktischer. Da ich mich vor den Damen von der Wäscherei ziemlich schäme, versuche ich momentan immer, die schlimmsten Flecken vorher selbst rauszumachen, bevor ich meine Unterhosen in die Wäsche gebe. Sozusagen eine Vor-Vorwäsche. Wenn ich nichts mitgeben würde, würden sie argwöhnisch werden. „Haben Sie saubere Unterwäsche angezogen, Herr Groen?“, würde sich die dicke Dame vom Haushaltsdienst erkundigen. „Nein, dicke Dame vom Haushaltsdienst, diese Unterhose ist so an meinem alten Arsch festgeklebt, dass ich die jetzt für den Rest meines Lebens anlasse“, würde ich dann zu gerne antworten.
Ein anstrengender Tag ist das heute: Mein Körper kracht in allen Fugen. Der Verfall lässt sich eben nicht aufhalten. Man hat höchstens mal einen Tag, an dem man etwas weniger Beschwerden hat, aber bergauf geht es nicht mehr. Nicht mal die Haare wollen mehr wachsen. Zumindest nicht die auf dem Kopf – in Nase und Ohren sieht es schon anders aus. Die verstopften Adern werden nicht mehr frei. Schwellungen wollen nicht mehr verschwinden, und der Wasserhahn da unten tröpfelt pausenlos. Einbahnstraße Richtung Sarg. Man wird nicht wieder jünger, keinen Tag, keine Stunde, keine Minute.
Aber ich jammere hier herum wie ein alter Mann. Wenn ich Lust habe, kann ich ja nachher in den Gemeinschaftsraum runtergehen. Da ist Jammern Zeitvertreib Nummer eins. Ich glaube nicht, dass auch nur eine halbe Stunde vergeht, ohne dass jemand eine Krankheit zur Sprache bringt.
Meine Stimmung ist wohl recht düster im Moment. Man soll seine alten Tage ja genießen, aber das ist gar nicht so leicht, wie man denkt.
Zeit für einen kleinen Spaziergang, es ist schließlich Sonntagnachmittag. Danach ein bisschen Mozart mit einem hübschen Gläschen Kognak. Vielleicht auch kurz bei Evert reinschauen, dessen Grobheit kann manchmal wirklich therapeutische Qualität haben.
Montag, 7. Januar
Gestern wurde eine Ermittlung eingeleitet, weil ganz unerwartet einer der Fische im dritten Stock gestorben ist. Es trieb auch ziemlich viel Kuchen im Wasser.
Es war nicht besonders schlau von mir, den Kuchen von Frau Visser ins Aquarium zu werfen. Wenn ihr zu Ohren kommt, dass die Fische an einer Überdosis nassem Kuchen gestorben sind, wird die Spur direkt in meine Richtung führen. Ich muss meine Verteidigung vorbereiten und werde gleich mal bei Rechtsanwalt Duiker vorbeigehen, um mir guten Rat zu holen. Evert ist Experte im Erfinden von Notlügen.
In diesem Heim sind Haustiere nicht erlaubt, mit Ausnahme von Fischen und Vögeln, „solange sie nicht größer sind als zehn beziehungsweise zwanzig Zentimeter“, so steht es in der Hausordnung. Um zu verhindern, dass wir hier Haie und Seeadler halten.
Ein ziemliches Leid für die Herrchen und Frauchen, die gnadenlos von ihren Hunden und Miezekatzen getrennt wurden, als sie ins „Haus Untergang“ einzogen. So ruhig und wohlerzogen, so alt und gebrechlich die Vierbeiner auch sein mochten, Regeln sind Regeln: Ab ins Tierheim!
„Nein, es ist egal, ob Racker der Einzige auf der Welt ist, der Sie liebt, wir können nun mal keine Ausnahmen machen.“
„In der Tat, Ihre Mieze liegt den ganzen Tag nur auf der Fensterbank, aber wenn wir eine Katze erlauben, dann will morgen jemand drei Dänische Doggen auf seiner Fensterbank haben. Oder eine lila Kuh.“
Frau Brinkman ist die Rekordhalterin: Es ist ihr gelungen, sieben Wochen lang einen alten Dackel im Spülschrank zu verstecken, bevor er entdeckt wurde. Wahrscheinlich war Verrat im Spiel. Unglaublich – den Krieg mitgemacht haben, dann aber einen alten Hund bei der Direktorin denunzieren. Und statt die verräterischen Nazis zu teeren und zu federn, deportiert die Direktorin lieber das Hündchen ins Tierheim. Es hat dort zwei Tage ununterbrochen gejault und ist dann elend eingegangen. Und wo war da die Tierschutzpolizei?
Die Direktorin zog es vor, Frau Brinkman das eine oder andere Detail zu verschweigen. Als diese nach drei Tagen die richtige Straßenbahn herausgekriegt hatte, lag ihr Hündchen schon unter der Erde.
Frau Brinkman hat gefragt, ob ihr Hündchen neben ihr begraben werden darf, wenn sie selbst stirbt. „Das ist gegen die Vorschriften“, wurde ihr in der Zwischenzeit mitgeteilt.
Morgen früh muss ich zum Arzt.
Dienstag, 8. Januar
Am Schwarzen Brett neben dem Fahrstuhl hing ein Schreiben:
Im Aquarium im dritten Stock wurden große Mengen Kuchen gefunden. Die Fische im Aquarium sind daran gestorben. Jeder, der sachdienliche Hinweise zu diesem Vorfall geben kann, wird gebeten, sich umgehend bei Abteilungsleiterin Frau De Roos zu melden. Auf Wunsch wird Anonymität garantiert.
Um 11 Uhr bin ich zu Frau De Roos gegangen. Was für eine seltsame Fügung des Schicksals, dass diese Frau so einen Namen trägt. Im Grunde wäre Frau Brennnessel noch zu viel der Ehre für diese Frau.
Wenn so richtig hässliche Menschen zum Ausgleich wenigstens besonders nett wären – aber hier ist das Gegenteil der Fall: Sie ist eine fest gemauerte Wand aus Verdrossenheit.
Aber gut, Frau De Roos, so heißt sie nun mal.
Ich erzählte ihr, dass ich den Kuchenvorfall vielleicht aufklären könnte. Sofort war sie ganz Ohr. Ich sagte, dass ich den selbst gebackenen Kuchen von Frau Visser nicht hatte ablehnen wollen, deswegen hätte ich in der Kaffeeküche im dritten Stock die Stücke auf einen Teller auf dem Tisch gelegt und darauf vertraut, dass die Bewohner dieses anonyme Geschenk annehmen würden. Zu meinem Bedauern musste ich hören, dass der Kuchen irgendwie ins Aquarium geraten war, und mein blauer Teller war auch verschwunden.
De Roos hörte sich die Geschichte mit unverhohlenem Misstrauen an. Warum ich den Kuchen nicht selbst aufgegessen hätte? Warum ausgerechnet im dritten Stock? Ob jemand meine Geschichte bestätigen könne?
Ich bat sie, dass die Sache unter uns bleibt. Sie meinte, sie würde sehen, was sie für mich tun könne.
Unmittelbar darauf begann sie, Nachforschungen anzustellen, wie Frau Visser selbst einen Kuchen hatte backen können. Kochen und Backen ist in den Zimmern verboten. Ich fügte noch rasch hinzu, dass ich nicht sicher wüsste, ob er selbst gebacken war, aber es war schon zu spät: Der Kuchenvorfall war jetzt an der Öffentlichkeit. Ich würde die Sympathie von Frau Visser verlieren – das war an sich noch kein Unglück. Aber das Misstrauen der Abteilungsleiterin, das ohnehin schon ziemlich groß war, würde sich jetzt wochenlang weiter zuspitzen, und obendrein würde die Gerüchteküche heiß laufen.
Dann bin ich noch beim Arzt gewesen. Der war aber krank. Wenn es ihm am Montag noch nicht besser geht, kommt ein Vertreter. Für Notfälle könnten wir zum Arzt eines Konkurrenz-Altenheims gehen. Manche würden lieber sterben, als ihr runzliges altes Gerippe dem „Quacksalber von Haus Abenddämmerung“ zu zeigen. Andere lassen am liebsten für jeden Furz den Unfallhubschrauber kommen. Mir ist es im Grunde ziemlich egal, welcher Arzt mir sagt, dass nicht mehr viel zu machen ist.
Mittwoch, 9. Januar
Gestern war ich noch ein bisschen angeschlagen: Von dem ganzen Kaffee bei Frau Visser und von der Aufregung um die toten Fische hatte ich Durchfall gekriegt und den halben Abend mit alten Zeitschriften auf dem Klo gesessen, die ich mir aus dem Gemeinschaftsraum geliehen hatte.
Evert ist eben kurz vorbeigekommen und hat mich durch die Klotür über die neuesten Entwicklungen informiert: Jetzt misstraut jeder jedem und sieht in jedem Mitbewohner einen potenziellen Fischmörder. Meine Abwesenheit weckte Misstrauen. Ich hab Evert gefragt, ob er meinen Durchfall unauffällig hinausposaunen könnte, als Alibi quasi. Ich selbst konnte nicht viel mehr tun, als die Klotür und die Tür zum Flur einen Spaltbreit offen zu lassen. Normalerweise kann ich mich ganz gut riechen, aber im Moment wird mir von mir selber schlecht. In zweifacher Hinsicht, denn im Grunde bin ich ein ganz schön berechnender Scheißkerl. Ein Ausdruck, der in diesem Fall besonders gut passt.
Wo wir gerade von Gerüchen sprechen: Ich muss mal wieder raus. Nach einem Tag mit Zwieback und Kohletabletten kann ich das wohl wagen. Hab mich auf die Suche nach dem Scharbockskraut gemacht, das laut Zeitung und dem phänologischen „Naturkalender“ (oha!) das erste echte Frühlingssignal ist. Sollte ich neben dem Scharbockskraut auch noch Huflattich, Wiesenkerbel oder ein Märzveilchen finden, dann ist der Frühling Tatsache. Ich hab bloß keinen Schimmer, wie die alle aussehen.
Die Natur hat sich einen Vorsprung von sechs Wochen vor sich selbst gegeben. Aber – schlechte Nachrichten für die Zugvögel, die gerade beschlossen hatten, dieses Jahr zu Hause zu bleiben – die Kälte kommt noch.
„Ein feinfühliges Porträt über einen Mann, der fühlt, dass sein Körper die Kraft verliert. Seine Seele aber noch viel zu lebendig ist, um aufgeben zu wollen.“
„›Eierlikörtage‹ ist zum Teil zum Brüllen komisch - wobei einem in manchen Augenblicken das Lachen im Halse stecken bleibt.“
„Das Buch macht Mut, das Alter selbst lebenswerter zu gestalten.“
„›Eierlikörtage‹ ist alles zugleich: lustig, ernst, traurig, unterhaltsam und vor allem wohl einfach wahr.“
«Groen teilt mit provokantem Wortwitz, eruptiver Situationskomik und verblüffenden Einsichten nach allen Seiten aus.«
„›Eierlikörtage‹ erzählt realistisch und dennoch unterhaltsam ein Jahr im Leben eines hochbetagten, aber keineswegs senilen Mannes in einem Altenheim in Amsterdam.“
„Ein rundum liebenswerter, genau beobachteter, bissiger, humorvoller, trauriger Roman(...) Groens intelligentes Buch entgeht zudem noch einer weiteren Falle. Denn es werden nicht nur Schrulligkeiten aufgespießt, Groen spart bei allen skurrilen Attacken der geriatrischen Spaß-Guerilla auch die Schattenseiten nicht aus.“
„Wunderbar schonungslos und selbstironisch“
„Geniale Mischung aus ›Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg …‹ und ›Das Tagebuch des Adrian Mole‹“
„Lustig, traurig, ehrlich, melancholisch, schön, herzerwärmend und, obwohl erfunden, realistisch.“
„Es gibt Bücher, bei denen weiß man schon nach wenigen Seiten, dass das Ende der Geschichte viel zu schnell kommen. wird. "Eierlikörtage" ist ein solches Buch...“
„Ein sehr humorvolles Buch mit Tiefgang.“
„"Eierlikörtage" ist ein Buch zum Lachen und Weinen, voll menschlicher Wärme und einem humorvollen, doch immer ehrlichen Blick aufs Alter. Es ist erfrischend, macht Mut, es tröstet und beschönigt nichts. “
„Ein Plädoyer für Lebenslust und Würde im Alter - frei nach dem Motto der ›Alanitos‹: ›Aktiv bis zum Umfallen und zu gegebener Zeit - nichts Menschliches ist uns fremd - auch mit Kaffee, Brot und Wein.“
„Ein gut formulierter Zeitspiegel zu einem Thema, dem man schwer entkommen kann: quasi der Begleiter zur demografischen Entwicklung.“
„Leichte und unterhaltsame Lektüre, die zum Nachdenken anregt, herrlich geschrieben mit viel trockenem Humor.“
„Unbedingte Leseempfehlung!“
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