Ein Knödel zu viel (Allgäu-Niederrhein-Krimis 1) - eBook-Ausgabe
Kriminalroman
„Power-Krimi“ - Rheinische Post
Ein Knödel zu viel (Allgäu-Niederrhein-Krimis 1) — Inhalt
Kommissar Robert Mayr steht vor einer Herausforderung. In seinem Heimatort wurde ein Toter gefunden – das Schlimme daran: Ein Preuße! Gestorben an einer vergifteten Portion Schupfnudeln. Als sich ein Zusammenhang mit einem Mord am Niederrhein auftut, bleibt Robertt Mayr nichts anderes übrig, als mit den Gladbacher Kollegen zusammenzuarbeiten, für die das Allgäu Bayern ist und die Borussia die beste Fussballmannschaft der Welt.
Leseprobe zu „Ein Knödel zu viel (Allgäu-Niederrhein-Krimis 1)“
I.
„Für wann braucht’s ihr den Tisch? – Drei Personen? – Aha. – Gut. Dann pfüat di!“ Martin Mader legte auf und notierte die Reservierung in die große Kladde, die er aus dem schmalen Fach unter dem Telefon herausgezogen und auf den polierten Tresen gelegt hatte.
Obwohl das Jahr noch lange nicht rum war, hatte das dunkel eingebundene Buch schon etliche Eselsohren. Der Betrieb lief gut. Seit der Rottachsee frei zugänglich war, kamen jedes Jahr mehr Touristen. Geschäftig blätterte der Wirt durch die Seiten, dann legte er die Kladde an ihren Platz zurück.
Währ [...]
I.
„Für wann braucht’s ihr den Tisch? – Drei Personen? – Aha. – Gut. Dann pfüat di!“ Martin Mader legte auf und notierte die Reservierung in die große Kladde, die er aus dem schmalen Fach unter dem Telefon herausgezogen und auf den polierten Tresen gelegt hatte.
Obwohl das Jahr noch lange nicht rum war, hatte das dunkel eingebundene Buch schon etliche Eselsohren. Der Betrieb lief gut. Seit der Rottachsee frei zugänglich war, kamen jedes Jahr mehr Touristen. Geschäftig blätterte der Wirt durch die Seiten, dann legte er die Kladde an ihren Platz zurück.
Während er mit flinken Schritten durch die Pendeltür und über den Flur in Richtung Küche verschwand, blickte Franz Josef Strauß wie immer staatstragend aus seinem Bilderrahmen in die kleine, zu dieser Tageszeit noch leere Gaststube an der Moosbacher Dorfstraße.
Der CSU-Politiker befand sich dabei in durchaus illustrer Gesellschaft, denn aus dem Herrgottswinkel schräg gegenüber schaute als Lithografie der berühmteste Bayernkönig, allem Weltlichen entrückt, ins Irgendwo. Und über der Eckbank stand Martin Mader höchstpersönlich in einer Schwarz-Weiß-Aufnahme lässig in einer dem Betrachter unbekannten Gasse auf dem Trottoir, einen weißen Schäferhund liegend neben sich. Das Gesicht des Wirtes beschattete ein Strohhut. Ob er auf jemanden wartete? Auf jeden Fall blickte auch der beleibte Wirt ins Irgendwo, aber deutlich entspannter als die erwähnte Prominenz.
„Für was soll ich mich aufregen? Des bringt doch nix“, war seine Devise. Und er tat gut daran, bei dieser Einstellung zu bleiben. Vor allem in diesen Tagen.
Noch lag Ruhe über dem kleinen Dorf im Oberallgäu. Aber die Luft färbte sich schon gelb. Es war still, kein Wind ging. Die Atmosphäre würde sich krachend entladen, noch bevor der Regen einsetzte.
Auf seinem Weg zurück in die Gaststube blieb Martin Mader einen Augenblick an der Eingangstür stehen und sah hinaus. Der Himmel über der schmalen Dorfstraße zog sich zu. Da kommt was, dachte er. Er würde die Sonnenschirme auf der Terrasse vorsorglich zusammenfalten.
II.
„Heute Nacht?“
„Heute Nacht.“
„Ich weiß nicht.“
„Schluss jetzt, die Gelegenheit ist günstig.“
„Es muss gut gehen.“
„Das wird’s auch. Wirst schon sehen.“
„Und wenn uns jemand sieht?“
„Keine Sorge. Es dauert ja nicht lange.“
III.
Krachend fuhr der Blitz in den Dachstuhl. Holz splitterte unter der Wucht des Einschlags. Der Widerschein des nächtlichen Spektakels spiegelte sich grell in seinen aufgerissenen Augen. Sein Blick war ungläubig, als hätte er viel zu spät den Sinn dieses Treffens erkannt.
Er war heuer schon die zweite Rottach-Leiche, wenn man die ersoffene Katze mitzählte.
IV.
Moosbach ist ein guter Ort zum Leben. Zum Sterben auch, dachte er. Wie lange bin ich schon nicht mehr hier gewesen?
Vom Kirchhof aus ging sein Blick ungehindert über das sanfte Ufer und den ruhigen Spiegel des Rottachsees bis hinüber nach Petersthal. Weiter rechts ragte das schroffe Profil des Grünten auf. Zu seinen Füßen legten sich die weiten Wiesen wie frisch aufgeschüttelte Plumeaus über das Allgäuer Nagelfluhgestein.
Kriminalhauptkommissar Robert Mayr nahm mit hörbar tiefen Atemzügen den Duft frisch geschnittenen Grases in sich auf. So roch nur seine Heimat. Viel zu lange war er schon nicht mehr hier oben gewesen. Er hatte fast vergessen, wie ruhig es in Moosbach sein konnte. Im Vergleich war Kempten der reinste Hexenkessel.
Der Ermittler der Kemptener Polizei blinzelte in die Sonne. Er hatte an diesem Morgen dienstlich in dem kleinen Ortsteil oberhalb von Sulzberg zu tun. Die Freiwillige Feuerwehr Moosbach hatte bei Löscharbeiten nach einem Blitzeinschlag einen Toten gefunden. „Ein Preuße“, wie der Einheitsführer diensteifrig über Funk gemeldet hatte. Ernst Büschgens, Unternehmer aus Mönchengladbach.
Robert Mayr war von den Kollegen der Kriminalwache aus dem Schlaf geholt worden. Ohne Martina zu wecken, war er aus dem Bett geschlüpft, hatte sich aus der Warmhaltekanne den Rest lauwarmen Kaffees vom Vorabend eingeschenkt und war nach Moosbach gefahren. Auf der Fahrt den Berg hinauf hatte er die Gänge seines alten Dienstwagens krachend eingeworfen und dabei gedacht: Mönchengladbach. So, so. Borussia. So, so. Die Fohlenelf: lange her und auch schon mal abgestiegen. Ein Gladbacher Unternehmer in Moosbach also. Hatte er schon gehört: Seit ein paar Jahren kamen mehr und mehr Preußen ins Allgäu. Seltsamer Volksstamm. Und jetzt war einer von denen tot.
Mitten im Ort war ein altes Bauernhaus in Flammen aufgegangen. Es war das älteste Haus im Dorf gewesen, ganz aus Holz. Für das Allgäu ein unschätzbares Baudenkmal, hatte ihm einer der Schaulustigen aufgeregt und empört zugerufen.
Als Erstes hatte der Kommissar aus Kempten den Brandort an der Alten Dorfstraße weiträumig absperren lassen. Die Maßnahmen der vor ihm eingetroffenen Streifenwagenbesatzung waren ihm nicht ausreichend erschienen. Erst dann hatte er sich den Toten zeigen lassen. Die Wehrleute hatten den Mann im Untergeschoss gefunden. An einem Strick. Der Körper war nicht vollständig verbrannt gewesen. Und man hatte die Leiche gerade noch rechtzeitig bergen können, bevor die Außenwände aus jahrhundertealten Balken in sich zusammengestürzt waren. Die Feuerwehr hatte den Körper abseits der Trümmer abgelegt und eine Löschdecke darübergebreitet.
Robert Mayr hatte im Schein der nur noch spärlich aufflackernden Flammen und zuckenden Blaulichter nicht viel erkennen können. Der feuerwehreigene Lichtmast schien ausgeliehen oder kaputt zu sein. Der Kriminalhauptkommissar hatte nicht viel mehr tun können, als den Fortgang der Löscharbeiten zu beobachten sowie Spurensicherung und Gerichtsmedizin zu informieren.
Robert Mayr seufzte. Er hätte gerne noch länger das sanfte Panorama betrachtet, das sich jenseits der barocken Kirche St. Johannes auf der anderen Seeseite vor ihm ausbreitete. Aber er musste etwas über diesen Ernst Büschgens erfahren. Falls es sich bei der Leiche tatsächlich um den Unternehmer aus Mönchengladbach handelte. Außerdem hatte Mayr Hunger.
Der Ermittler verließ den kleinen Friedhof und ging am Kriegerdenkmal vorbei die schmale steile Straße hinauf, die in Höhe des Gasthofs Zum Kreuzauf die Dorfstraße stieß. Kurz entschlossen drückte er gegen die Eingangstür. Sie war nicht abgeschlossen. Für einen Augenblick blieb er im Flur stehen, seine Augen mussten sich erst an das Halbdunkel gewöhnen.
„Servus.“
Robert Mayr drehte sich zu der Stimme hin. In der Tür zum Gastraum stand ein kleiner dunkelhaariger Mann, dessen rundliche Figur in einem kurzärmeligen Hemd und einer speckigen Lederhose steckte. An den Füßen trug er graue Wollsocken und Pantoffeln, die mit Kuhfell besetzt waren. Der Mann bemerkte den neugierigen Blick des Kommissars.
„Das sind zum Arbeiten die bequemsten. Bei der Hin- und Herlauferei jeden Tag.“
„Sind Sie der Wirt?“
„Ja, freilich.“ Das runde offene Gesicht des Kreuz-Wirtes hatte etwas Vertrautes. Seine kleinen dunklen Augen blitzten freundlich, in den Augenwinkeln saßen tiefe Lachfalten.
„Kann ich bei Ihnen frühstücken? Oder sind Sie nicht auf Frühstücksgäste eingerichtet?“
Der Wirt zögerte kaum merklich und nickte dann. „Freilich. Kein Problem. Ich bring Ihnen Brot, Wurst und an Käs.“ Mit einem für seine Statur erstaunlichen, dafür aber umso eleganteren Hüftschwung umrundete der Wirt den Ermittler und verschwand in der angrenzenden Küche.
Robert Mayr blieb einen Augenblick verdutzt im Halbdunkel stehen und betrat dann die kleine Gaststube. Gleich neben der Tür stand die kompakte Theke. Davor ein wuchtiger Stammtisch, der mit seinem hellen Holz nicht recht zum übrigen Mobiliar passen wollte. Links vom Eingang hing der Fächerkasten des örtlichen Sparvereins.
Der Kriminalhauptkommissar durchquerte die Stube und setzte sich an den Tisch im Herrgottswinkel. Der Wirt musste ein Faible für König Ludwig II. haben, denn von seinem Platz über der alten halbhohen Holzvertäfelung hinter ihm übersah der tragische Bayernregent würdevoll die einfachen Tische der kleinen Gaststube. Neben dem „Kini“ hingen gerahmte Fotos einer Trachtengruppe und eines Fußballvereins. Auf einem anderen war der Wirt mit lachenden Motorradfahrern zu sehen. Ihre selbstverständlich wirkende Nähe zum Regenten zeugte vom pragmatischen Umgang des gastgebenden Untertans mit dem Andenken an seine Majestät.
„Ein Feriengast sind Sie nicht, oder? Sie sind wegen des Feuers da.“ Der Wirt trug mit kleinen schnellen Schritten ein Tablett mit dem bestellten Frühstück an Mayrs Tisch und deckte ebenso bestimmt ein, wie er seine Beobachtung präsentiert hatte.
„Das stimmt. Ich bin der zuständige Ermittler.“
Der Kommissar betrachtete den Brötchenkorb und die ausladende Platte mit Wurst und Käse. Sein Magen begann augenblicklich zu knurren. Es würde ein ordentliches Frühstück werden.
„Schlimme Sache. Ist er tot?“ Der Wirt des Gasthofes zog einen Stuhl heran und setzte sich ungefragt zu Robert Mayr.
„Wen meinen Sie mit ›er‹?“
„Na, Ernst Büschgens.“
„Wir können noch nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob es sich bei dem Toten um diesen Herrn Büschgens handelt. Das wird die Obduktion ergeben. Kennen Sie Ernst Büschgens?“ Dieser Unternehmer schien ein bekannter Mann in Moosbach zu sein. Robert Mayr schnitt sorgsam ein Brötchen auf. Die hausgemachte Blutwurst auf dem Teller sieht ziemlich fettig aus, dachte Mayr, aber für diesen Morgen war sie genau das Richtige. Sie würde er sich bis zum Schluss aufheben.
„Na ja, ich weiß nur, dass er den Hof gekauft hat und umbauen wollte. Und das, was die Leut’ so reden. Was man im Dorf halt verzählt.“
„Dorftratsch?“
„Ja, ja, das Übliche halt.“
„Und was ist das ›Übliche‹?“ Der Kaffee schmeckte kräftig.
„Der alte Hof hat lange leer gestanden. Büschgens hat ihn vor einem halben Jahr gekauft. Da hieß es gleich, er tät ihn abreißen lassen und neu aufbauen. Dabei ist das Haus doch mehr als 200 Jahre alt gewesen. Das reißt man doch nicht ab.“
„Und? Abgerissen hat er es ja anscheinend nicht.“
„Trotzdem, die Leut’ haben ihn nicht gemocht. Was will ein Preuße in Moosbach?“
„Hat er sich auffällig benommen?“
„Nein.“
„Dann gab es keinen Grund für diese Ablehnung?“
„Er war eben ein Fremder, noch dazu ein Preuße. Das hat viele im Dorf gestört. Auch wenn sie’s nicht offen ausgesprochen haben. Das wäre schlecht fürs Geschäft. Viele leben nämlich mittlerweile ganz gut von den Touristen.“
„Und Sie?“
„Na ja, ich kann auch nicht klagen.“
„Das meine ich nicht.“ Mayr betrachtete mit Genuss die goldgelbe Butter und die dicke Scheibe Bergkäse auf seiner Semmel. So was gab’s in ihrer Kantine drunten in Kempten nicht. Auch ein Grund, warum er lieber mit Martina frühstückte, wenn sie nicht gerade mit ihren Freundinnen in aller Herrgottsfrühe zum Walken verabredet war. Martina kannte die besten Adressen für Bergkäse. Sie war Expertin, denn sie hatte das Käsen von ihrer Mutter gelernt. Martina war sowieso Expertin in allen Lebensfragen. Er dachte für einen Augenblick an ihre hellen blauen Augen, die so klug und so schelmisch und so zärtlich schauen konnten.
„Ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Ich habe mich gefreut, dass das alte Haus nicht einfach so verschwindet. Schließlich gehört es zum Dorfbild. Außerdem ist Büschgens oft zum Essen hergekommen. Da hat er immer gesessen, mit seiner Freundin. Da, wo Sie jetzt hocken. Und unser Meckatzer Zwickel hat er gerne gemocht, genau wie die Kässpatzen, die Knödel und die Schupfnudeln mit Kraut. Herr Mader, hat er immer gesagt, Ihre Knödel sie ja schon 1a, aber Ihre Schupfnudeln sind ein Gedicht.“ Der Wirt faltete zufrieden die Hände über seinem Bauch und lehnte sich zurück.
„Wann war er das letzte Mal bei Ihnen?“
„Gestern Abend. Da hat er gesessen. Wie immer.“ Martin Mader zeigte auf Mayrs Platz und machte ein bekümmertes Gesicht. „Gewohnt hat er in einer kleinen Kammer auf dem Hof. Er hat ja oft am Haus gearbeitet. Mindestens alle sechs Wochen war er hier. Wenn man bedenkt, dass er 600 Kilometer fahren musste. Einfache Strecke! Manchmal ist er auch bis Memmingen geflogen und dann mit Bahn und Bus heraufgekommen. – Was für ein Unfug.“ Der Wirt horchte seinen eigenen Worten nach.
„War seine Freundin gestern auch dabei?“
„Nein, die ist in Mönchengladbach, nein, in Düsseldorf geblieben, hat er erzählt. Weil sie sich um ihre kranke Tante kümmern wollte.“
„Kennen Sie den Namen der Frau?“ Robert Mayr musste sich beherrschen, um vor Wohlbehagen nicht laut zu schmatzen.
„Nein, doch, warten Sie, Marie-Schatz hat er sie immer genannt. Er war ziemlich verliebt.“
„Und sonst war niemand auf dem Hof?“
„Seit die Erben ihn verkauft haben, ist keiner von ihnen mehr hier gewesen. Sie wohnen irgendwo bei Memmingen, glaube ich.“
„Wenn jemand aus dem Dorf wegzieht, weiß man doch, wo er wohnt, oder?“
„Uns hat das nicht interessiert, wir waren froh, dass die beiden Brüder weg waren. Die haben nie dahergepasst, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Nein.“
„Sie hatten den Hof auch nur geerbt und nicht lange dort gewohnt. Ursprünglich kamen sie aus der Gegend von Ottobeuren, haben immer so neureich getan, hatten die Nase weit oben. Aber wenn sie betrunken waren, haben sie gerauft.“
„Hat es Schwierigkeiten gegeben beim Verkauf, Streit mit Nachbarn vielleicht? Haben Sie irgendwas mitbekommen?“
Martin Mader strich bedächtig mit seiner breiten Hand über das karierte Tischtuch und legte den Kopf schief, als ob er seine Antwort abwägen wollte. Er entschied sich, nichts zu sagen.
„Also hat es Streit gegeben.“
Der Gastwirt sah auf die Wanduhr neben der Tür und stand unvermittelt auf. „Der Heimatverein hat das Haus auch kaufen wollen, und einer aus Rettenberg. Aber die haben nicht genug geboten.“
„Bleiben Sie doch noch ein wenig. Das Frühstück ist übrigens wirklich ausgezeichnet.“ Robert Mayr sah ebenfalls zur Uhr. „Die Kollegen von der Spurensicherung werden mittlerweile mit ihrer Arbeit angefangen haben.“
Martin Mader blieb stehen. „Soll ich Ihnen noch Brot bringen oder Kaffee? Sie essen ja kaum etwas. Mögen Sie keine Blutwurst? Ist frisch vom Höbel, drunten in Sulzberg.“
„Ernst Büschgens hatte also, sagen wir es vorsichtig, keinen leichten Start in Moosbach.“ Er griff zur Blutwurst. Sie würde ihm auch ohne Semmel schmecken.
„Stimmt.“
Eine halbe Stunde später stand Robert Mayr am Seeufer. In einiger Entfernung sah er ein einzelnes Boot über das Wasser gleiten. Das gleichmäßige Eintauchen der Ruderblätter hatte etwas Zuverlässiges. Der Kommissar erinnerte sich: Der See war ein künstlich angelegter Trinkwasserspeicher. Mehrere Häuser waren damals in den Fluten versunken. Aber mittlerweile war der Rottachsee ein beliebtes Ausflugsziel für das gesamte Allgäu. Selbst aus München kamen sie herauf.
Mayr wandte seinen Blick ab. Der Hof und der Preuße. Die Faktenlage war ausgesprochen dünn. Er hatte noch nicht viel. Eigentlich nichts, dachte er. Ein uraltes Bauernhaus geht in Flammen auf, der neue Besitzer hängt an einem Balken. Der Tote konnte Ernst Büschgens sein. Selbstmord bei Gewitter. Eine unpassendere Gelegenheit hätte er sich nicht aussuchen können. Oder hatte das Gewitter die Todessehnsucht erst ausgelöst? Gab es ja. Warum hatte der Mann sich das Leben genommen? Weil er psychisch krank war? Weil seine Freundin ihn verlassen wollte? Weil er finanzielle Schwierigkeiten hatte? Weil er erpresst wurde? Weil ihn der Denkmalschutz zur Verzweifelung gebracht hatte? Der Tote konnte natürlich auch ein Mordopfer sein. Opfer eines Raubmordes vielleicht.
Robert Mayr atmete wie ein Jogger tief ein und aus. Die frische Luft und die Ruhe taten ihm gut. Moosbach war ein verdammt schöner Ort zum Leben. Aber auch ein verdammt normaler Ort zum Sterben. Langsam ging er zu seinem Wagen zurück.
V.
„Seid’s ihr sicher?“ Robert Mayr klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und versuchte gleichzeitig, sich im Sitzen einen Schuh zu binden. „Was? Ich versteh nicht!“ Mayr ächzte leise, denn Telefonieren und dabei Schnürsenkelentknoten, gehörten für ihn für gewöhnlich nicht zusammen. Er hatte nicht bedacht, dass ihm bei der ungewohnten Leibesübung nicht nur das Telefon, sondern auch sein Bauch im Weg war. Wobei Martina statt vom Bauch gerne auch von seiner erweiterten „erotischen Nutzfläche“ sprach.
„Was? Nein, mir ist nicht schlecht. Mir geht’s gut. So, ja.“ Robert Mayr richtete sich auf. Seine Augen schmerzten. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen.
Er nahm das Telefon wieder in die Hand. „Also, Kollege, ich fasse zusammen: Ernst Büschgens hat bisher unauffällig in Mönchengladbach gelebt und in diesem, diesem, also in diesem Nordpark ein Maklerbüro betrieben. Nordpark – sagt mir nix, wo ist das genau? Aha, im Westen. Nein, sagt mir immer noch nichts. Borussia? Aha.“
Robert Mayr zuckte mit den Schultern und suchte Papier und Kugelschreiber, um mitzuschreiben, was die Mönchengladbacher Kollegen bisher ermittelt hatten: Der 52 Jahre alte Büschgens war kinderlos, seit zwei Jahren Witwer, hatte eine 37 Jahre alte Freundin, mit der er aber nicht zusammenlebte, war seit 25 Jahren im Immobiliengeschäft, saß im Stadtrat und hatte entscheidend dazu beigetragen, dass dieser Nordpark mehr und mehr zum Dienstleistungs- und Szenequartier wurde. Büschgens Freundin hatte einen Job an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Die Wissenschaftlerin war in ihrer Oberkasseler Wohnung mit einem Weinkrampf zusammengebrochen, als sie vom Tod ihres Freundes erfuhr.
Offenbar hatte Büschgens sich mit ihr in Moosbach zur Ruhe setzen wollen. Sie wären zusammen in das alte Haus gezogen. Ob Büschgens in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt hatte, wurde noch ermittelt. In seiner großzügigen Wohnung und in seinem Büro waren jedenfalls keine irgendwie auffälligen Unterlagen gefunden worden. Auch die Geschäftskonten waren auf den ersten Blick in Ordnung. Einen Geschäftspartner hatte der Makler nicht gehabt. Büschgens’ Sekretärin war schockiert über den Tod ihres Chefs. Beim Besuch der Ermittler hatte sie vor Aufregung den Glasballon mit dem frisch aufgebrühten Kaffee fallen lassen. Das halbe Büro sei mit Kaffeeflecken versaut worden. Diese Anekdote war der vorläufige Schlusspunkt. Mehr hatten die Kollegen auf die Schnelle nicht ermitteln können.
„Dann danke ich recht herzlich, Herr, äh, wie war Ihr Name? Schrievers? Ah ja. Servus, Kollege Schrievers. Ja, ja, wir bleiben in Verbindung.“
Robert Mayr legte auf. Diese Niederrheiner hatten einen merkwürdigen Singsang-Dialekt. Wie die Kölner. Und für sie war Borussia Mönchengladbach offenbar die einzig erwähnenswerte Fußballmannschaft. Als gäbe es keine Kleeblätter. Er schüttelte den Kopf. Über seine Greuther ging nix. Schon gar nicht wegen Martina, deren Opa väterlicherseits bei der SpVgg Greuther Fürth gekickt hatte. Bevor er ins Allgäu umgezogen war. Mayr seufzte. Nicht wegen des Opas, sondern wegen Martina. Seit er sie liebte, liebte er auch die Greuther.
Er warf den Stift auf die Schreibtischunterlage und rollte mit seinem Stuhl ein Stück zurück. Er legte den Kopf in den Nacken, massierte seine Schläfen und musterte nachdenklich die Zimmerdecke.
Ihm würde keine Wahl bleiben. Er würde zunächst die Mordkommission in Kempten belassen und die kommenden Tage in Moosbach verbringen. Keine schlechte Vorstellung. Martina war die nächste Zeit ohnehin nicht zu Hause. Aber auch sonst wäre sie sicher nicht mitgekommen. Sie zog sich stets zurück, wenn er einen Mord aufzuklären hatte. Sie wollte ihn in Ruhe arbeiten lassen. Außerdem, und das war der wahre Grund, hatte sie einmal im Streit erklärt, wollte sie seine Launen nicht ertragen müssen. Denn die waren während seiner Ermittlungen zugegebenermaßen kaum auszuhalten.
„Wenn du unsere Liebe nicht umbringen willst, dann komm erst zurück, wenn du deinen Mörder hast“, hatte sie bereits ganz zu Beginn ihrer Beziehung gescherzt. Aber er hatte gleich gewusst, dass sie es ernst meinte. Trotzdem war er damals ein bisschen gekränkt gewesen, heute konnte er Martina verstehen.
Robert Mayr stand auf und betrachtete missmutig die Tabelle der 2. Bundesliga, die er aus einem Sportheft herausgerissen und mit Reißnägeln an die Wand geheftet hatte. Die SpVgg stand tatsächlich auf Platz 15. Da gab es nichts zu deuteln.
Entschlossen wandte er sich ab, er hatte jetzt wirklich keine Zeit, sich darüber aufzuregen, er hatte einen Fall aufzuklären. Und dazu musste er raus aus seinem Büro.
Piper: Herr Schrievers, essen Sie gerne Knödel?
Schrievers: Ich bin allem Kulinarischen gegenüber sehr aufgeschlossen. Besonders, wenn meine Gertrud gekocht hat. Und, ja, Knödel gehören unbedingt zu meinem Speiseplan. Vor allem mit Gans, Ente oder Sauerbraten und Rotkohl. Das sieht man doch auch. (streicht sich zufrieden über seinen stattlichen Bauch) Aber, wie gesagt, meine Gertrud muss am Herd gestanden haben.
Piper: Das spricht für Ihre Frau. Sie gelten als Gemütsmensch.
Schrievers: Sie meinen, weil ich im Dienst gerne Strickjacke und Filzpantoffeln trage? (lacht) Warum soll ich mir meinen Arbeitstag nicht so angenehm wie möglich gestalten? In meinem Archiv kann ich mir das erlauben.
Piper: Stimmt es, dass es, wenn sich zwei Niederrheiner treffen, keine zehn Minuten dauert, bis man auf gemeinsame Verwandte gestoßen ist?
Schrievers: Ist das nicht überall so?
Piper: Nein.
Schrievers: Bei uns auf dem Dorf und am Niederrhein geht es gar nicht ohne. Es ist geradezu lebenswichtig vom Anderen zu wissen, woher er kommt und wer seine Cousinen und Cousins sind. Das ist doch ganz normal.
Piper: Stimmt eigentlich, wo Sie´s gerade sagen. Das ist Ihnen mit dem Kemptener Kollegen Carsten Jakisch ja ähnlich gegangen.
Schrievers: Ja. Unser niederrheinisches Blut reicht sogar bis ins Allgäu.
Piper: Eine sehr eigene Landschaft mit einem eigenen Menschenschlag, sagt man …
Schrievers: Für mich ist das Allgäu der Niederrhein Bayerns. Insofern sind wir uns vom Charakter sehr ähnlich.
Piper: Ein gewagter Vergleich. Finden Sie nicht?
Schrievers runzelt fragend die Stirn und schweigt.
Piper: Gut, also, Sie arbeiten ja bereits seit vielen Jahren eng mit Ihren Kollegen und Freunden KHK Frank Borsch und KHK Michael "Ecki" Eckers zusammen. Daher dürfen wir die Frage stellen: Worum geht es in dem neuen Fall, „Ein Knödel zu viel“?
Schrievers: Normalerweise bin ich nicht befugt, Auskunft zu geben. Ich verweise daher auf die erste Mitteilung unserer Pressestelle: Die Kollegen haben in Moosbach eine männliche Leiche gefunden, in einem ausgebrannten alten Allgäuer Bauernhof. Ein Immobilienhändler aus Mönchengladbach. Kurz darauf wird eine Frau aus dem Kreis Viersen am Rottachsee erschossen aufgefunden. Eine Prostituierte. Soweit die ersten Fakten. Nun ja, unter uns, vielleicht sollten Sie noch wissen, dass es da eine junge Rechtsanwältin gibt, die unter Umständen mit einem Immobilienskandal um das NRW-Landesarchiv in Verbindung steht. Aber auch eine Allgäuer Bäuerin scheint ihre Finger im Spiel zu haben. Jedenfalls: Wir werden das gemeinsam mit unseren Kollegen aus Kempten klären.
Piper: Na, dann viel Erfolg! Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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