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Entfesselte Kraft (Bitter & Bad 3)

Entfesselte Kraft (Bitter & Bad 3) - eBook-Ausgabe

Linea Harris
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Bitter & Bad 3

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Entfesselte Kraft (Bitter & Bad 3) — Inhalt

Nachdem der Dämonenfürst Baal von seinem größten Konkurrenten Kronos entführt wurde, herrscht Chaos in der Unterwelt. Wer soll die Herrschaft über Baals Fürstentum übernehmen? Seine Tochter, die Halbdämonin Jill, will nicht glauben, dass Baal tot sein könnte. Verzweifelt versucht sie, Baals Männer auf ihre Seite zu ziehen, um Kronos' geheime Festung zu suchen und Baal zu befreien. Doch sowohl die Dämonen in der Unterwelt als auch Jills Freunde in der Realität lehnen es ab, ihr zu helfen. Als sie sich auf den Weg zu Kronos' Festung begibt, stehen Jill neben wenigen Dämonen nur der Kobold Cox und ihr Exfreund, der gut aussehende Vampir Ryan, zur Seite. Doch dann bekommt Jill Unterstützung von unerwarteter Seite ...

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 01.03.2019
352 Seiten
EAN 978-3-492-99377-7
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Leseprobe zu „Entfesselte Kraft (Bitter & Bad 3)“

Prolog


„Kronos, ich beschwöre dich.“

Die Worte hallten in seinem Kopf. Ganz schwach und doch gut hörbar schlichen sie sich in seine Gedanken. Das Ziehen in seinem Magen verriet ihm, dass jemand ein Ritual zur Beschwörung durchzuführen versuchte. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Kronos lehnte sich zurück und kostete den Moment aus. Er hätte nicht nachgeben müssen. Seine Macht war mittlerweile so groß, dass er selbst entscheiden durfte, ob er sich in der Realität zeigte. Die Beschwörung war nutzlos. Es hätte nur einen leichten Wink mit der [...]

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Prolog


„Kronos, ich beschwöre dich.“

Die Worte hallten in seinem Kopf. Ganz schwach und doch gut hörbar schlichen sie sich in seine Gedanken. Das Ziehen in seinem Magen verriet ihm, dass jemand ein Ritual zur Beschwörung durchzuführen versuchte. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Kronos lehnte sich zurück und kostete den Moment aus. Er hätte nicht nachgeben müssen. Seine Macht war mittlerweile so groß, dass er selbst entscheiden durfte, ob er sich in der Realität zeigte. Die Beschwörung war nutzlos. Es hätte nur einen leichten Wink mit der Hand benötigt, um die flehende Stimme in seinen Gedanken verstummen zu lassen.

Doch zugegeben, die Neugier war ebenso groß. Wer in drei Teufels Namen wagte es, ein so mächtiges Wesen wie ihn zu beschwören? Er hatte so eine Vermutung.

Jillian Benett musste wissen, dass er die Unterwelt nicht verlassen konnte, dafür war er viel zu sehr mit dieser Welt verbunden. Er war ein Teil von ihr. Seine eigene Macht zog er direkt aus der Prana, aus der diese Welt bestand. Genau das war der Punkt, der ihm Kopfzerbrechen bereitete. Es ließ sich nicht mehr leugnen, dass die Unterwelt schrumpfte. Und mit ihr verringerte sich auch seine Lebensenergie.

Zumindest Letzteres wusste Jillian nicht und er beabsichtigte auch nicht, es ihr zu sagen. Das Ziehen in seinem Bauch wurde stärker, je mehr er es zuließ. Er konnte sich gut vorstellen, um was sie ihn bitten würde, schließlich hatte er gerade ihren heiß geliebten Vater Baal entführt.

Baal war sein eigener Sohn, der nichts weiter als eine Enttäuschung für ihn gewesen war.

Die Welt verschwamm um Kronos herum. Er spürte, wie sich ein Teil seiner Seele löste und in die Realität wanderte, angezogen von der Beschwörungsformel, die seine Enkelin immer und immer wieder vor sich hin murmelte, mit wachsender Verzweiflung, je länger er auf sich warten ließ. Es war ein unangenehmes Gefühl, so auseinandergerissen zu werden. Während sein Körper in der Unterwelt verblieb, spaltete sich sein Geist und ein Teil davon wechselte die Welten.

Das Bild vor seinen Augen veränderte sich. Die wirbelnden Farben bildeten Kontraste und fügten sich zu einem gemütlichen Zimmer zusammen. Jillian konnte ihn noch nicht sehen, also nutzte er die Zeit, um sich umzublicken. Ihr Zimmer gab nicht viel Aufschluss über ihre Persönlichkeit. Ein unordentliches Bett, ein mit Waffen beladener Schreibtisch, kaum persönliche Gegenstände.

Sie verbrachte offensichtlich nicht allzu viel Zeit hier. Dann fiel sein Blick auf seine Enkelin, sein eigen Fleisch und Blut. Mit zusammengekniffenen, leuchtend grünblauen Augen musterte sie den Beschwörungskreis, als könne sie ihn tatsächlich sehen. Braune Locken umrahmten ein hübsches, schmal geschnittenes Gesicht. Sie ließ sich ihre Aufregung nicht anmerken, aber er konnte sie förmlich am eigenen Leib spüren. Er beschloss, dass es an der Zeit war, Gestalt anzunehmen. Wo vorher nur ein schwaches Flimmern zu sehen gewesen war, formte sich sein Geist zu einer tiefschwarzen Rauchsäule. Mehr würde sie von ihm nicht zu Gesicht bekommen. Er konnte sowieso keine feste Gestalt in dieser vermaledeiten Welt annehmen.

„Kronos.“ Ihre Stimme klang kratzig, aber fest. Er betrachtete sie genauer, konnte aber keinerlei Ähnlichkeiten zu ihm feststellen. Das war nicht verwunderlich, denn er hatte sich über die Jahre so verändert, dass er selbst kaum noch wusste, wie seine ursprüngliche Gestalt ausgesehen hatte.

Seine Enkelin jedenfalls hatte etwas Kriegerisches an sich. Es war die Art, wie sie ihn anfunkelte und furchtlos die braunen Locken über die Schulter warf, die geschwungenen Lippen fest zusammengepresst. Dunkle Augenringe und blasse Haut verrieten, was sie in den letzten Tagen der Ungewissheit durchgemacht hatte.

Und da war diese Dunkelheit in ihr. Dieselbe Dunkelheit, die auch ihn beherrschte.

„Was willst du?“, fragte er grollend.

Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme in ihren Gedanken hörte, ohne dass ihre Ohren sie vernommen hatten.

„Ich will meinen Vater zurück.“

Er lachte auf, freudlos und kalt. Dass sie so direkt war, hatte er nicht vermutet. Unwillkürlich beeindruckte ihn ihr Mut. Nicht jeder würde dem gefährlichsten Geschöpf der Unterwelt solche Forderungen stellen.

„Nein“, antwortete er schlicht. Amüsiert beobachtete er, wie Jillian aufbrausend aufstand.

„Wieso hast du ihn entführt? Er stellt keine Bedrohung für dich dar!“

„Das weiß ich.“

Er sah die Fragen in ihren Augen sowie den verzweifelten Versuch, die Zusammenhänge zu verstehen.

„Was willst du von Baal? Jahrzehntelang hast du ihn in Ruhe gelassen, also wieso jetzt? Weil er die Dämonen in die Realität integrieren wollte? Der Versuch ist gescheitert, du hast ihn vereitelt. Baal hat keinen Nutzen für dich, also lass ihn frei!“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich bitte dich“, fügte sie hinzu.

Bitte. Wie sehr er dieses Wort verabscheute. Bitten und Flehen, über Jahre hatte er nichts anderes gehört, von Untertanen, Gefangenen und Feinden. Sie flehten um ihr Leben, um seine Gunst und um Gnade.

Als sie noch Forderungen gestellt hatte, war er kurzzeitig beeindruckt gewesen. Doch nun verzog sich sein geistiges Gesicht vor Enttäuschung. Um etwas zu bitten bedeutete, Schwäche zu zeigen. Er hasste Schwäche. Dieses Gespräch begann ihn zu langweilen.

„Baal kann gehen, sobald seine Aufgabe erledigt ist“, gab er gedehnt zurück.

Jillian horchte auf und unterdrückte mit Mühe ihren Zorn. Er spürte ihre Magie in Wellen von ihr ausgehen, ihre Haare schwebten bereits in der knisternden Luft. Seine Neugier kehrte zurück.

„Welche Aufgabe?“, forderte sie zu wissen.

Kronos zog den Moment bis zu seiner Antwort in die Länge und beobachtete interessiert, wie ihre Wut und Verzweiflung sich mit jeder Sekunde steigerten. Bläuliche Funken tanzten bereits auf ihrer Haut, als sie mehr und mehr die Kontrolle über sich selbst verlor.

Zum ersten Mal bekam er persönlich einen Eindruck davon, mit was für einer Energie sie gesegnet war. Mit eigenen Augen zu sehen, wie dieses Mädchen um Beherrschung kämpfte, begeisterte ihn fast genauso, wie es ihm Sorge bereitete. Kisin hatte nicht gelogen, als er Kronos regelmäßig Bericht über Jills Fortschritte erstattet hatte. Aber Kisin war tot. Er war Kronos’ Wut zum Opfer gefallen, weil er seinen letzten Auftrag nicht richtig ausgeführt hatte. Kronos duldete keine Fehler. Die Luft um Kronos herum vibrierte spürbar, als sich Jills Prana weiter aufbauschte und sich immer mehr ihrer Kontrolle entzog.

Er beschloss, dass er nicht weiter auf seine Antwort warten lassen konnte, wenn er nicht riskieren wollte, dass seine Enkelin sich doch noch selbst umbrachte. Ob sie am Ende genügend Selbstbeherrschung erlernen würde, um die ihr gegebene Macht zu beherrschen, würde sich noch zeigen. Aber nicht heute.

„Baal wird einen Weg finden, die Unterwelt vor der Zerstörung zu bewahren. Danach steht es ihm frei, zu gehen“, sagte Kronos schließlich.

Jills Augen weiteten sich.

„Aber das ist unmöglich“, hauchte sie. „Die Unterwelt kann nicht gerettet werden, wir haben es versucht.“

„In einem Meer voller Schwierigkeiten liegt immer eine Insel der Möglichkeiten. Man muss sie nur finden.“

Frustriert brauste Jill auf. „Baal wird es nicht schaffen. Lass ihn frei, die Unterwelt braucht ihn. Ich brauche ihn.“

Kronos antwortete nicht. Stattdessen zog er sich zurück und bereitete sich auf seine Rückkehr in die Unterwelt vor. Jill bemerkte es.

„Warte!“, rief sie zornig aus und konnte die Panik in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken. „Kronos, es gibt keinen Weg, die Unterwelt zu retten!“

Sie war fest davon überzeugt, dass ihr Vater scheitern würde.

„Dann wird er sterben“, ließ er seine Stimme ein letztes Mal in ihrem Kopf hallen, bevor er sich zurückzog. Es wurde Zeit, dass er ihr Gelegenheit gab, sich wieder zu fangen, bevor sie noch das Haus über sich selbst einstürzen ließ. Er ignorierte ihre wüsten Beschimpfungen, als die Welt um ihn herum begann, sich wieder in Farben aufzulösen.

Doch plötzlich veränderte sich etwas. Durch die Schlieren konnte er gerade noch erkennen, dass Jill ihre Hand in den Schutzkreis streckte, als wolle sie ihn gewaltsam in der Realität halten. Was bei den drei Teufeln tat sie da? Ein überraschter Laut entglitt ihm, als sie versuchte, nach der Rauchsäule zu greifen, ohne dass sie sie zu fassen bekam.

Auch Jill musste einsehen, dass es ein sinnloses Unterfangen war, Kronos zu einem Gespräch zwingen zu wollen. Ihr frustrierter Aufschrei vermischte sich mit dem Tosen ihrer Magie. Sie würde tatsächlich noch das Haus zum Einsturz bringen, wenn sie diese Energie nicht sofort unter Kontrolle bekam.

Doch dann tat sie etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Statt sich zurückzuziehen und alles daranzusetzen, sich um ihre Selbstbeherrschung zu kümmern, ließ sie die Energie frei. Und zwar direkt in den Beschwörungskreis, in dem er sich befand.

Er war viel zu überrascht, um rechtzeitig handeln zu können. Mit einem schmerzerfüllten Schrei kehrte er zurück in die Unterwelt, wo sich sein gepeinigter Geist wieder mit dem dort zurückgebliebenen Teil vereinte.

Knurrend presste er die Hände an die Schläfen, als rasende Kopfschmerzen von ihm Besitz ergriffen. Sie hatte ihn mit ihrer unbändigen Magie verbrannt, als sein Geist mehr oder weniger schutzlos gewesen war. Doch trotz der Qualen, die ihn die nächsten Stunden vermutlich nicht mehr loslassen würden, stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen. Sie würde seinen Zwecken dienlich sein, dessen war er sich nun sicher. Die Zeit würde kommen.





Kapitel 1


„Prinzessin, Ihr müsst etwas essen.“

Jennas Stimme drang nur teilweise durch das dichte Gewirr meiner aufgewühlten Gedanken. Nicht einmal der Pranahimmel der Unterwelt konnte den Aufruhr in mir besänftigen, obwohl die blauen Wellen, die das Schwarz des Himmels in beruhigender Langsamkeit durchzogen, mich immer wieder an die Nordlichter der Realität erinnerten.

„Ich habe keinen Hunger“, murmelte ich, ohne mich von dem Fenster meiner Gemächer abzuwenden. Doch Jenna wäre nicht Jenna gewesen, wenn sie diese Antwort ohne Weiteres akzeptiert hätte. Mit mütterlicher Bestimmtheit fasste die Haushälterin meines Vaters mich am Ellenbogen und führte mich zu der eleganten Sitzgruppe aus Polstermöbeln. Ich ließ es geschehen und als sie die Servierplatten auftischte, meldete sich tatsächlich mein leerer Magen zu Wort. Ich hatte gar nicht bemerkt, was für einen Hunger ich hatte.

„Ihr müsst bei Kräften sein, wenn die Herrschaften eintreffen“, erläuterte Jenna überflüssigerweise.

Das Hungergefühl verschwand. Die Herrschaften. Natürlich.

„Was, wenn sie mir nicht helfen wollen?“, flüsterte ich zum wiederholten Mal, während mir die Haushälterin eine Ladung Kartoffelpüree und Gemüse auf den Teller schöpfte. Sie drückte mir den Teller in die Hand, ich nahm ihn widerstandslos entgegen. Jenna würde den Raum nicht verlassen, bevor ich etwas gegessen hatte. Ich traute ihr auch zu, dass sie mich füttern würde, sollte ich mich verweigern. Aber das war nicht nötig. Das Essen duftete himmlisch und Jenna hatte recht, ich brauchte die Energie.

„Wenn sie nicht helfen wollen, finden wir eine andere Lösung“, beantwortete die Haushälterin meine Frage, wie schon so oft zuvor. Ich schob mir nachdenklich etwas Essen in den Mund und zwang meinen Fuß dazu, mit dem nervösen Wippen aufzuhören.

„Prinzessin, Ihr wisst, was ich von Eurem Vorhaben halte“, begann Jenna zögerlich und ihre Falten vertieften sich vor Sorge. Ich hinderte sie mit einem scharfen Blick daran, weiterzusprechen.

„Ich werde meinen Vater nicht im Stich lassen“, entgegnete ich bestimmt. „Kronos braucht ihn, was bedeutet, dass er ihn am Leben lässt. Und solange er am Leben ist, besteht auch noch eine Chance, dass wir ihn befreien.“

Dabei stellte sich nur die Frage, wie lange das sein würde. Kronos verlangte von meinem Vater, dass er eine Lösung zur Rettung der Unterwelt fand. War das überhaupt möglich? Und wie lange würde es dauern, bis Kronos die Geduld verlor, falls nicht?

In Jennas Blick aus den dämonenblauen Augen mischte sich ein Hauch Mitleid. Sie leistete mir schweigend Gesellschaft und ich schätzte sie dafür. Jenna machte keinen Hehl daraus, dass sie meine Meinung nicht teilte, doch sie respektierte sie immerhin. Sie hatte mir ihre nun unausgesprochenen Gedanken schon einmal mitgeteilt.

Euer Vater würde nicht wollen, dass Ihr Euch in Gefahr begebt. Niemand weiß, wo Kronos sich aufhält. Selbst wenn Ihr es herausfindet, wird Euch niemand folgen. Allein seid Ihr chancenlos.

Ich erkannte die Wahrheit in ihren Worten, auch wenn sie mir ein Loch in die Seele brannte. Doch tatenlos abzuwarten, bis Kronos meines Vaters überdrüssig wurde, war noch viel schlimmer. Ich brauchte also Männer, die sich an meine Seite stellten, bestenfalls eine Armee bestehend aus den besten und fähigsten Dämonen der Unterwelt. Ich wollte keinen Krieg anfangen. Die Unterwelt hatte genug unter Kriegen zu leiden gehabt, die Folgen waren bekanntermaßen verheerend. Auch Kronos war sich dessen bewusst. Was würde passieren, wenn er sich einer Streitmacht gegenübersah? Würde er Vernunft annehmen? Zumindest erhoffte ich mir, dass er mir zuhören würde. Ich musste ihn dazu bewegen, meinen Vater freizulassen.

Doch mit dem Verschwinden meines Vaters hatte sich auch der Zusammenhalt seiner Gefolgschaft im lauen schwülwarmen Wind der Unterwelt aufgelöst. Die meisten seiner Anhänger waren noch in derselben Nacht wie er verschwunden, um sich andere Fürsten zu suchen oder die neu gewonnene Freiheit zu genießen. Nur die treuesten waren geblieben, kaum zwei Dutzend Dämonen, die zu Baals engsten Gefolgsleuten und Beratern gezählt hatten. Und Jenna.

Mein Vater hatte noch keinen offiziellen Nachfolger bestimmt, seit mein Bruder Chaz verkündet hatte, dass er den Rest seines Daseins mit seiner großen Liebe Alissa in der Realität verbringen würde. Ich verdrängte den leichten Anflug von Wut, wie immer, wenn meine Gedanken dahin wanderten, wie einfach Chaz sich aus dem Verkehr gezogen hatte.

Nun hatte man eine Versammlung der Dämonenfürsten des Landes einberufen. Es musste eine Lösung für die Zeit gefunden werden, in der mein Vater abwesend war, damit der von ihm über viele Jahre hergestellte Frieden bestehen blieb. Ich erhoffte mir die Hilfe der Fürsten, die Baal unterstellt gewesen waren.

„Wie viel Zeit haben wir noch?“, fragte ich Jenna und zwang den Rest des Essens hinunter.

„Die Ersten sind schon im Schloss eingetroffen. Ihr solltet Euch fertig machen, Prinzessin.“

Sie stand auf und verschwand in dem begehbaren Kleiderschrank, in dem noch immer die Kleider meiner Mutter hingen, die mir aber ebenfalls passten. Baal hatte den Schrank mit einigen moderneren Sachen aufgestockt, nachdem ich lange genug über die fehlende Bewegungsfreiheit der älteren Kleider geklagt hatte. Ich fühlte mich eben am wohlsten in meinem ledernen Kampfanzug, den ich auch jetzt wie eine zweite Haut trug.

Daher war ich überrascht, als Jenna mit einem bodenlangen, tiefseeblauen Kleid zurückkehrte.

„Auf keinen Fall“, stieß ich hervor, doch Jennas bestimmter Blick sagte mir bereits, dass ich verloren hatte. Sie schürzte die Lippen.

„Kleider machen nun einmal Leute, Prinzessin. Es geht heute nicht darum, Eure Kampffertigkeiten zur Schau zu stellen, sondern darum, als die Tochter Eures Vaters aufzutreten. Ihr müsst die Dämonen davon überzeugen, dass Ihr mehr seid als ein rebellisches und draufgängerisches Mädchen, das eine Selbstmordmission plant. Ihr müsst beweisen, dass Ihr befähigt seid, bis zu Baals Rückkehr die Zügel in der Hand zu halten und einen Einsatztrupp für seine Befreiung zu leiten.“

Mein Magen rebellierte wieder.

„Ich habe also absolut keinen Druck“, murmelte ich sarkastisch und ließ mich zurück in die Kissen des Sofas fallen. Wie gerne hätte ich mich hier eingerollt und in meinem Zimmer verkrochen. Einfach das Zepter aus der Hand gegeben und irgendwem anders die Rettung meines Vaters überlassen. Doch ich wusste, dass ich nicht darauf hoffen durfte. Niemand würde Baal zu Hilfe kommen, wenn ich nicht endlich ein paar Dämonen zusammentrieb, die bereit waren, ihr Leben für den kompetenten Anführer aufs Spiel zu setzen.

Jenna kannte kein Erbarmen. Sie verschränkte die Arme und blickte mich abwartend an, bis ich schließlich nachgab und mir von ihr beim Anziehen helfen ließ. Ich musste zugeben, dass sie eine ausgezeichnete Wahl getroffen hatte. Der Stoff umschmiegte meinen Körper, doch das Kleid war keinesfalls zu aufreizend. Der hochgeschlossene Stehkragen aus schwarzer Spitze war elegant. Automatisch strafften sich meine Schultern, als ich einen Blick in den Spiegel warf.

„Macht Euch keine Sorgen, Prinzessin. Haltet den Kopf oben und lasst Euch nicht unterkriegen.“

Ich nickte und mit einem letzten Gedanken an meinen Vater kehrte auch meine Entschlossenheit zurück.

Vor meinem Zimmer wartete Oriax, einer der treuesten Anhänger Baals. Er war nicht nur ein guter Stratege, dessen Rat mein Vater sehr schätzte, sondern kannte als Befehlsgeber auch sämtliche Untertanen meines Vaters.

Der hochgewachsene Mann mit den grauen Schläfen neigte grüßend den Kopf. „Prinzessin.“

Ich zwang mich zu einem Lächeln. „Nenn mich Jill.“

„Das steht mir nicht zu, Prinzessin.“

Ich rollte innerlich mit den Augen. Wie oft schon hatte ich Jenna und Oriax gebeten, mich beim Vornamen zu nennen und Du zu mir zu sagen? Sie weigerten sich strikt, erwarteten jedoch trotzdem, dass ich ihnen nicht mit der gleichen Höflichkeit entgegentrat und sie beim Namen nannte.

„Wie ist der Stand der Dinge?“, fragte ich Oriax, obwohl mir vor der Antwort graute.

„Drei weitere Deserteure heute Nacht“, antwortete er knurrend und ich schloss für einen Herzschlag die Augen. Nach der Entführung meines Vaters hatte es nicht lange gedauert, bis die ersten seiner Anhänger aus dem Dienst getreten waren. Zuerst war es nur eine kleine Gruppe Aufsässiger gewesen, die morgens einfach nicht zum Dienst erschienen war, obwohl Oriax strikt befohlen hatte, dass alles wie bisher laufen sollte, bis Baal wieder seinen Herrscherposten einnahm.

Danach wurden schnell die ersten Stimmen laut und die einst so treuen Männer verließen in Scharen das Schloss, um woanders ihren Dienst anzubieten.

Später gab es noch ein paar wenige, die sich nachts davongestohlen hatten, aus Scham oder Angst vor Oriax’ Reaktion.

„Und die anderen?“

Der Dämon schnaubte und verkündete damit seinen Unmut. „Die verbliebenen sechsundzwanzig werden bleiben, wenn Ihr mich fragt. Ich habe ihnen heute Morgen ein Loyalitätsversprechen abgerungen und den Zweiflern eine letzte Möglichkeit eingeräumt, eigene Wege zu gehen. Wer bis jetzt geblieben ist, wird es vermutlich auch weiterhin tun.“

Sechsundzwanzig. Das also war übrig geblieben von Baals stolzer Streitmacht. Den Männern, die so viele Kämpfe ausgetragen hatten, bis sie endlich den lang ersehnten Frieden in Baals Reich wiederhergestellt hatten.

Die Hilflosigkeit, die ich bei dem Gedanken verspürte, machte mich wütend. Keiner von denen, die gegangen waren, glaubte an Baals Rückkehr. Niemand rechnete ihm auch nur die geringste Chance zu.

Nur Oriax und seine verbliebenen Männer taten alles, um Baals so mühsam aufgebautes Regime am Laufen zu halten. Doch der Frieden, den Baal in seinem Reich geschaffen hatte, begann bereits zu bröckeln. In der Stadt Ignis Tenebris machten sich die ersten Unruhen bemerkbar. Dämonen waren eben keine friedlichen Wesen und ohne einen Anführer, der die auferlegten Friedensregeln durchsetzte, war es nur eine Frage der Zeit, bis hier wieder Anarchie herrschte.

Und wir wissen, wohin das geführt hat.

Die vielen Kriege hatten die Unterwelt über Jahrhunderte so weit zerstört, dass sie sich nicht mehr selbst erholen konnte.

Baal hatte alles versucht.

Einst hatte ein Gleichgewicht in der Unterwelt geherrscht. Die Welt bestand aus Dämonenprana. Die reine Lebensenergie durchzog sogar den Himmel und war der Grund dafür, dass die Dämonen hier bedeutend mächtiger als die Hexen der Realität waren. Die Energie dieser Welt entstammte einer Quelle, einem See inmitten des verlorenen Waldes. Die Quelle wiederum zog ihre Energie aus den Bäumen und Pflanzen, die von Elfenmagie zum Blühen gebracht wurden. Es war ein Kreislauf, der lange Zeit wunderbar funktioniert hatte.

Dann hatten die Kriege Einzug gehalten, als die Dämonen ihren eigenen Frieden zerstörten, um ihre Kräfte zu messen.

Die Natur war weitestgehend vernichtet worden, die kleinen geflügelten Elfen verschwanden, das Gleichgewicht war gestört. Die Quelle zog weiter Energie aus dem Mutterboden. Energie, die die Pflanzen ohne die Fürsorge der Elfen nicht mehr aufbringen konnten.

Ich hatte die Unterwelt als trostlosen Ort kennengelernt, der von schwarzen Wiesen verrotteten Grases, verdorrten Bäumen und vertrockneten Blumen durchzogen war. Seitdem hatte sich nicht viel geändert. Mit der Freilassung der von den Dämonen in Gewächshäusern gefangenen Elfen schien es kurzzeitig so, als könne die Welt doch noch gerettet werden. Zumindest um Ignis Tenebris, der Dämonenstadt am Fuße des Bergs, auf dem Baals Schloss stand, hatte sich eine deutliche Besserung der Lage verzeichnet. Hier und da gab es sogar wieder Blumenwiesen.

Doch das alles war ein Trugschluss, wie sich herausgestellt hatte. Die Unterwelt war unwiderruflich zerstört. Sie löste sich auf, schrumpfte, wurde kleiner. Und den Untergang der Unterwelt zu verhindern, hatte Kronos nun meinem Vater auferlegt.

Baal allerdings hatte längst erkannt, dass es unmöglich war, die Welt zu retten. Er hatte die letzten Jahre seine Energie dafür verwendet, die Realität auf die Integration der Dämonen vorzubereiten, um wenigstens ein paar von ihnen retten zu können.

Wie viel Zeit würde ihm also verbleiben? Wie lange würde es dauern, bis auch Kronos zu dem Schluss kam, dass Baal machtlos und damit für seine Zwecke nutzlos war? Uns lief die Zeit davon. Alles hing davon ab, ob ich es schaffen würde, meinen Vater rechtzeitig aus den Fängen meines Großvaters zu befreien.

Wie ich schon sagte: Ich hatte absolut keinen Druck.

Linea Harris

Über Linea Harris

Biografie

Linea Harris ist seit 2012 als Werbetexterin und Grafikdesignerin tätig. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Bürokauffrau veröffentlichte die junge Mutter 2014 ihren ersten Fantasyroman „Bitter & Sweet. Mystische Mächte“ im Selfpublishing und landete damit einen großartigen Erfolg. Kurz darauf...

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