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Ewig und einsEwig und eins

Ewig und eins Ewig und eins - eBook-Ausgabe

Adriana Popescu
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Roman

„Dieser Roman ist ein wahrer Trip.“ - Märkische Allgemeine

Alle Pressestimmen (2)

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Ewig und eins — Inhalt

Ein warmherziger und humorvoller Roman über Liebe und Freundschaft, um Erinnerungen und Neuanfang

„Manchmal habe ich Angst, dass wir eines Tages nur noch eine Erinnerung sind und langsam verblassen.“

Sie dachten, ihre Freundschaft wäre für immer. Doch dann kam das Leben. Nach sieben Jahren Funkstille sehen sich Ben, Jasper und Ella auf einem Klassen­treffen wieder. Als die Feierlichkeiten zu Ende gehen, beschließen die drei, noch weiter zusammen um die Häuser zu ziehen. Wie damals. Nur für eine Nacht. Doch noch immer sind viele Fragen offen, und je später es wird, desto schneller schlägt Ellas Herz – bis ein paar über die Jahre hinweg gerettete Worte es brechen lassen. Vielleicht für immer.

„Ein Roman fürs Herz.“ 
BILD

€ 14,99 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 05.08.2019
320 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-50265-8
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€ 5,99 [D], € 5,99 [A]
Erschienen am 05.08.2019
320 Seiten
EAN 978-3-492-98573-4
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„Dieser Roman ist ein wahrer Trip.“
Märkische Allgemeine

Leseprobe zu „Ewig und eins“

Comeback


Manchmal habe ich Angst,

dass wir eines Tages

nur noch eine Erinnerung sind

und langsam verblassen.


„Wow! Du hast die beiden also ewig nicht mehr gesehen?“

Für meinen Geschmack schaut Kerstin, die 20-jährige Studentin am Steuer, etwas zu selten auf die Straße vor sich. Immerhin befinden wir uns auf einer dreispurigen Autobahn und fahren entspannte 220 Stundenkilometer, und wenn wir schon dabei sind: Sie sollte sich auch anschnallen und den Schulterblick beim erneuten Einfädeln zumindest antäuschen. Okay, sie könnte auch mal den Blinker setzen. Gerne [...]

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Comeback


Manchmal habe ich Angst,

dass wir eines Tages

nur noch eine Erinnerung sind

und langsam verblassen.


„Wow! Du hast die beiden also ewig nicht mehr gesehen?“

Für meinen Geschmack schaut Kerstin, die 20-jährige Studentin am Steuer, etwas zu selten auf die Straße vor sich. Immerhin befinden wir uns auf einer dreispurigen Autobahn und fahren entspannte 220 Stundenkilometer, und wenn wir schon dabei sind: Sie sollte sich auch anschnallen und den Schulterblick beim erneuten Einfädeln zumindest antäuschen. Okay, sie könnte auch mal den Blinker setzen. Gerne nur, wenn sie die Spur wechseln, überholen oder abbiegen will.

„Ja. Sieben Jahre. Eine gefühlte Ewigkeit.“

„So alt siehst du gar nicht aus.“

In ihrer Überraschung reißt Kerstin das Lenkrad nach rechts und zwängt sich somit – vermutlich ungewollt – zwischen einen LKW und einen Kombi, dessen Fahrer wütend gestikuliert, was ich im Rückspiegel erkenne. Das würde Kerstin auch, wenn sie den Rückspiegel so einstellen würde, dass sie zur Abwechslung mal sieht, was hinter uns passiert. Vielleicht würde sie ihn dann sogar auch mal in Gebrauch nehmen.

Tut sie aber nicht.

Also lasse ich mich etwas tiefer in den Sitz ihres roten VW Golf GTI sinken und bete schnell noch mal zu einer höheren Macht, irgendeiner Gottheit – oder wer auch immer für das Überleben im Straßenverkehr zuständig ist.

Wenigstens drängelt sie, seit wir uns über mein anstehendes Abiturtreffen unterhalten, keine BMWs mehr von der linken Spur. Ein echter Lichtblick, wenn ich nicht lesen könnte, dass der LKW vor uns im November zum TÜV muss.

„Aber … trifft man sich normal nicht nach fünf Jahren oder zehn oder so?“

Kerstin sieht mich ernsthaft irritiert an, ohne auch nur eine Schrecksekunde an Massenkarambolagen oder unsere Sterblichkeit zu denken.

„Ja, eigentlich sollte es unser Fünfjähriges werden, aber die Chaoten, die für die Planung zuständig waren, haben ziemlich lange dafür gebraucht. E-Mail-Verteiler aktualisieren, perfekten Termin finden, keine Schulferien erwischen, Geburtstermine abwarten … Solche Dinge.“

Das nächste Autobahnschild lässt mich kurz aufatmen: „Stuttgart 80 km“. Ich habe es fast überlebt.

„Und ihr hattet gar keinen Kontakt? Nicht mal über Facebook?“

Kerstin starrt mich noch immer ungläubig von der Seite an, während sie links ausschert, um den LKW doch noch zu überholen – natürlich ohne dabei auch nur einen Blick auf die Fahrbahn zu werfen. Wie um alles in der Welt macht sie das nur?

„Nein, nicht mal über Facebook.“

Dort sind wir zwar noch befreundet, aber unser „Kontakt“ beschränkt sich seit Jahren darauf, dass ich ab und an schaue, was sie gepostet haben. Ben wohnt alle drei Monate in einer anderen Stadt und hält sich mit kleineren Jobs bei Filmproduktionsfirmen über Wasser, und Jasper bereist die ganze Welt, wo er bei Vernissagen seine Gemälde bestaunen lässt. Er hat es von uns dreien am weitesten gebracht. Momentan wohnt er in Kapstadt, soweit ich weiß. Ich versuche, nicht zu oft auf ihren Profilen herumzulungern, weil ich die beiden dann noch viel mehr vermisse und mich frage, wie es nur dazu kommen konnte, dass wir gar keinen Kontakt mehr haben. Wir! Ausgerechnet wir.

„Das ist krass. Meine Freunde von damals und ich, wir sind noch voll tight.“

Süß, wie sie „von damals“ betont und es so klingen lässt, als würde zwischen ihrem Abitur und dem heutigen Tag mindestens ein Menschenleben liegen. Dabei klebt auf der Heckscheibe noch immer ein großes, ausgeblichenes „Abi 2013“ von letztem Jahr. Irgendwie niedlich – und irgendwie saublöd. Jetzt fühle ich mich alt, dabei bin ich noch nicht mal 30. Noch lange nicht!

„Und das wird sich auch niemals ändern, echt jetzt.“

Fast empört blickt Kerstin endlich wieder durch die Frontscheibe.

„Wir bleiben immer Freunde. Immer.“

Dann tritt sie das Gaspedal noch etwas mehr durch. Wie schnell kann so ein GTI überhaupt fahren? Hat er auf beiden Seiten Airbags? Und vor allem: Habe ich meinen Organspendeausweis eingepackt?

„Best friends forever.“

Inzwischen spricht sie nur noch mit sich selbst und murmelt alle zwei Kilometer freundschaftserhaltende Mantras vor sich hin. Zumindest sieht sie mich jetzt nicht mehr so an, als wäre ich aus einem anderen Jahrhundert in ihrem Wagen gelandet. Danke, liebe Mitfahrzentrale, für dieses Abenteuer!

Ich lehne meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe und betrachte die Sommerlandschaft, die viel zu schnell an uns vorbeizieht. So wie mein Leben. Sieben Jahre nach dem Abi komme ich also tatsächlich wieder nach Hause. Zurück in die Stadt, die ich wie meine Westentasche kenne, in der ich aufgewachsen bin und einmal glücklich war – und eine kleine Berühmtheit. Okay, man hat mich nicht auf der Straße er­­kannt und um ein Autogramm gebeten. Dafür gibt es einfach zu wenige Leute, die sich für Ballett begeistern. Meine Eltern haben trotzdem einen ganzen Ordner voll mit Zeitungsberichten über mich gesammelt. Ich habe es geliebt zu tanzen, und ich war auch gut darin. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich Ballettunterricht genommen, und als ich dann mit sieben an der renommierten Stuttgarter John-Cranko-Ballettschule aufgenommen wurde, konnte ich mein Glück kaum fassen. Vormittags saß ich ganz normal in der Schule, nachmittags hat meine Mutter mich in die Innenstadt gefahren, wo meine musikalische und rhythmische Begabung gefördert wurde – am Ende sechs Mal in der Woche. Ich war die jüngste Tän­zerin, die jemals bei einer der großen Cranko-Produktionen im Opernhaus Stuttgart die Julia in „Romeo und Julia“ von Sergej Prokofjew tanzen durfte, vor ausverkauftem Haus. Alle waren sich damals sicher: Aus der kleinen Ella Klippenbach wird mal was ganz Großes! Die erobert die Herzen und Bühnen der Welt im Sturm!

Kurz schließe ich die Augen.

Die Musik des Orchesters setzt ein. Der Vorhang geht langsam auf, und der Zuschauerraum liegt dunkel vor der hell erleuchteten Bühne. Dennoch meine ich, in den Augen der Zuschauer in den ersten Reihen wachsende Bewunderung zu erkennen, als ich beginne, mich zu bewegen, während ich loslasse und das tue, was als Bestimmung durch meine Adern fließt. Die tiefe Leidenschaft, die durch meinen Körper strömt und mich antreibt. Weiter, immer weiter, immer höher lasse ich mich von den Melodien tragen, bis alles um mich herum verschwindet. Ich tanze. Mein Körper wird eins mit der Musik, und erst als der letzte Ton verhallt ist, komme ich wieder zu mir. Dann bricht die Begeisterung in einem lauten Applaus über mich herein. Nicht nur für mich. Für alles: die Musik, die Choreografie, das Bühnenbild, die Kostüme … Der Applaus für das große Ganze.

Plötzlich spüre ich, wie sich etwas tief in mir schmerzhaft zusammenzieht. Damals schien alles möglich, heute … kehre ich zum ersten Mal zurück, in meine schwäbische Heimat, wo alles angefangen hat, wo ich einmal glücklich war – wo ich nie wieder hinwollte, weil inzwischen alles vorbei ist. Für immer.

So hatte ich mir vor sieben Jahren meine Rückkehr jedenfalls nicht vorgestellt. Ich komme weder mit dem Flugzeug aus dem Ausland noch mit einer großen Limousine. Ich komme nicht mal mit dem Zug, weil sogar das zu teuer ge­­worden wäre. Nein, ich komme mit dem Auto, allerdings nicht mit meinem eigenen – denn ich habe keinen Wagen –, sondern mit einer geschwindigkeitsbesessenen Studentin, die von Stuttgart weiter an den Bodensee zu einem Musik­festival mit „richtig guten DJs und so“ fahren wird.

Ich komme als Touristin in meine Heimat, und ich mache mir keine Hoffnungen: Ich werde hier mein altes Leben nicht wiederfinden. Ich komme nur als Besucherin, die sich ein paar alte Erinnerungen gönnt, und dann, bevor das Wochenende vorbei ist, wieder in den Norden verschwindet. Zurück nach Hamburg an die Staatsoper, wo ich nicht auf der Bühne stehe, sondern Reisegruppen durch das Haus an der Dammtorstraße führe. Hamburg, das „Tor zur Welt“, ist schon etwas anderes als diese Kesselstadt, die außer Wein­bergen und einem Fernsehturm nicht viel zu bieten hat. Das behaupte ich zumindest im Norden, wo man den Süden nicht besonders mag. Ist klar. Also habe ich versucht, mich anzupassen, und behaupte immer wieder: „Stuttgart? Ach was, fehlt mir gar nicht. Wieso auch? Hat ja nicht mal das Meer.“ Die Wahrheit ist eine andere: Ich vermisse Stuttgart! Mir fehlen die vertrauten Gerüche und Geräusche, die Stuttgarter Luft, das Leben hier, das Gefühl, wirklich zu Hause zu sein. Das alles habe ich zurückgelassen. Und noch so viel mehr.

Sofort blitzt Bens Lachen und das Leuchten seiner grünen Augen in meinem Kopf auf. Ich sehe, wie er und Jasper sich nach einem Tor johlend in die Arme fallen – im VfB-Trikot in der Cannstatter-Kurve. Dann spüre ich, wie er meine Hand nimmt, mich zu sich zieht, mich anlächelt und küsst, während um uns herum Tausende Menschen jubeln.

Mein Herz hat gerade spontan an Gewicht zugenommen und hängt jetzt etwas tiefer in meinem Brustkorb. Es ist immer schwer, an die beiden zu denken. Sie fehlen mir. Ich hätte nicht gedacht, dass das letzte Gespräch zwischen Ben und mir – am Flughafen in New York – alles verändern würde. Für uns drei. Zu vieles ist damals ungesagt geblieben, weil mir die Worte gefehlt haben. Die richtigen Worte. Oder überhaupt irgendwelche Worte. Ich habe einfach nur dagestanden und ihn angesehen: meine erste große Liebe, meinen Ben. Wenn ich damals das Richtige gesagt hätte, wäre er ge­­blieben. Da bin ich mir sicher. Aber das, was heute, im Nachhinein, vielleicht richtig gewesen wäre, erschien mir damals falsch. Zu viel hatte ich in meinen Traum investiert, zu groß war das Glück gewesen, ein Stipendium an der Juilliard School in New York zu bekommen – und es wären ja nur vier Jahre gewesen, bis ich meinen Bachelor gemacht hätte. Dann wäre ich zurückgekommen, zu ihm. Aber alles das habe ich ihm nicht gesagt, und so ist er gegangen – und ich bin geblieben. Seitdem fühlt es sich an, als ob unsere Geschichte mit einem großen Cliffhanger geendet hätte, und die Leute warten seit Jahren auf die neue Staffel von „Ben & Ella“, weil sie sich fragen, wie es wohl mit uns weitergehen wird.

Okay, vielleicht frage auch nur ich mich das. Ben, so nehme ich an, beschäftigt das schon lange nicht mehr. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Er hat den Kontakt damals von einem Tag auf den anderen komplett abgebrochen und ihn seither nicht mehr aufgenommen. Er postet lieber Fotos von Filmpremieren auf Facebook, auf denen er war und auf denen er meist nur halb zu sehen ist. Ohne mich. Ohne Jasper. Warum allerdings auch Jasper den Kontakt damals abgebrochen hat, weiß ich nicht. Ich habe bis heute keine Antwort auf meine Fragen bekommen. Von keinem von beiden. Sie haben mich einfach aus ihrem Leben gelöscht und dann vergessen.

Bei diesem Gedanken kracht mein Herz irgendwo auf meinen Magen. Man sollte doch annehmen, dass man mit den Jahren erwachsen wird und über so etwas hinwegkommt, oder? Über die erste große Liebe und alte Freundschaften aus der Schulzeit. Über die Menschen, die einen so gesehen haben wie noch kein anderer Mensch zuvor. Oder danach. Oder überhaupt.

„Hattest du was mit einem von beiden? Oder sogar mit beiden?“

Ich höre ein Kichern neben mir und reiße erschrocken die Augen wieder auf. Kerstin!

„Ähm. Mit Ben war ich früher mal zusammen. Jasper ist nur ein Freund.“

„Nur ein Freund?“

Kerstin zieht das Wort „Freund“ so lange, bis es eindeutig zweideutig klingt.

„Ja, nur ein Freund. Mehr nicht.“

Nein, Jasper war mein bester Freund, und das so lange ich denken kann. Die meisten Frauen hatten in ihrer Kindheit und Jugend beste Freundinnen, ich hatte Jasper. Das klingt im ersten Moment vielleicht fast wie eine Krankheit, aber er war das Beste, was mir passieren konnte. Es existiert in meinem Kopf keine nennenswerte Erinnerung, in der Jasper nicht vorkommt. Dieser durchgeknallte Chaot, der zu jeder Tages- oder Nachtzeit vor unserer Haustür stand. Sein schiefes Grinsen, die großen dunklen Augen hinter noch größeren Bril­lengläsern, das ständige Plappern und die fiese Frisur, die das letzte Mal bei Hugh Grant im Film „Notting Hill“ angesagt war. Wobei – vermutlich nicht mal da. Zum Glück kam irgendwann die Pubertät, und Jasper hat sich von dem Modegeschmack seiner Mutter emanzipiert. Aber auch nachdem er die Brille gegen Kontaktlinsen eingetauscht hat und die ersten Mädchen auf ihn aufmerksam geworden sind, hat es ­Jasper nie wirklich interessiert, was andere von ihm denken. Er hat schon früh das Interesse daran verloren, jemandem gefallen zu wollen. Ich glaube, so ungefähr mit vier Jahren, als er den Nikolaus im Kindergarten für die endlich freigewordenen neuen Wachsmalstifte links liegen gelassen hat. Aber so schrullig und eigenartig Jasper war, ich konnte mich immer auf ihn verlassen. Wie oft habe ich ihn angerufen und ihm panisch mein Teenager-Leid geklagt? Und wie schnell hat er dann eine Ausrede gefunden, um über die Straße zu mir nach Hause zu kommen? In den Sommerferien hat er fast bei uns gewohnt.

Plötzlich setzt sich zum ersten Mal, seit wir Hamburg verlassen haben, ein Lächeln auf meine Lippen. Jasper und ich: Wir waren unzertrennlich.

Und dann kam Ben.

„Da lief nie was?“

„Mit Jasper? Nein. Nie.“

„Echt? Geht das überhaupt? Männer und Frauen und Freundschaft und so?“

„Ja, das geht. Glaub mir.“

Jasper und ich, wir sind die Anti-Version zu „Harry und Sally“. Wir sind wirklich Freunde. Oder waren es. Damals.

„Das ist trotzdem irgendwie voll strange.“

„Ach ja? Warum?“

Kerstin antwortet nicht sofort. Sie blickt nachdenklich durch die Frontscheibe, und ich bemerke, wie wir langsamer werden. 180 Stundenkilometer statt 220.

»Also, ich habe meinen besten Freund im Vollsuff ge­­küsst.«

„Aha.“

Die Tachonadel nähert sich inzwischen 150 Stundenkilometern, und Kerstin reiht sich in die mittlere Fahrspur ein. Natürlich ohne zu blinken, aber immerhin.

„Normal, oder?“

Hm. Meine Kopfbewegung liegt zwischen einem wohlwollenden Nicken und energischem Kopfschütteln, weil ich nicht so genau weiß, welche Antwort zu einer erneuten Be­­schleunigung führen könnte. Aber sie sieht mich gar nicht an, sondern sinniert weiter vor sich hin.

„Ich meine … irgendwie … schon, oder?“

Ich verhalte mich mucksmäuschenstill, denn ich werde sie bestimmt nicht bei dem, was sie gerade macht, stören. Dafür erhöhte es unsere Überlebenschancen einfach viel zu sehr. Wir sind inzwischen bei 120 Stundenkilometern angelangt!

„Also … keine Ahnung.“

Sie schüttelt leicht den Kopf und scheint jeden Moment aus ihrer Trance zu erwachen.

„Das hätte nie geklappt. Zwischen uns. Echt nicht.“

Sie wirft einen kurzen Blick auf den Tacho und scheint von sich selbst überrascht. Im nächsten Moment spüre ich, wie ich leicht in den weichen Ledersitz gedrückt werde. Nein! Ich muss etwas unternehmen. Sie darf sich jetzt nicht wieder aufs Fahren konzentrieren.

„Wirklich? Bist du dir da sicher? Wie ist es danach mit euch weitergegangen?“

Sie zögert.

„Keine Ahnung. Er ist nach München gezogen.“

Ihr Blick wird wieder leicht glasig, die Tachonadel sinkt. Sie denkt. Sehr gut.

Nach drei Minuten – das sind bei 120 Stundenkilometer die angenehmsten 6 Kilometer der bisherigen Fahrt – wendet Kerstin sich plötzlich zu mir.

„Und heute siehst du sie wieder? Alle beide?“

„Nein. Nur Ben.“

Das stimmt nicht ganz, und bei dem Gedanken spüre ich einen brennenden Stich in der Herzgegend. Ich werde nicht nur Ben wiedersehen, sondern auch seine „Plus eins“ kennenlernen. Er kommt nicht alleine. Darauf hat mich Facebook nicht vorbereitet, als ich mit klopfendem Herz seinen Eintrag auf der Doodle-Liste für das Klassentreffen gesehen habe. Da stand plötzlich „Plus eins“. Auf keinem seiner ge­­posteten Fotos war eine Frau zu sehen, und der Beziehungsstatus war immer „Single“. Zuerst wollte ich kneifen und meine Zusage zurücknehmen, aber dann ist mir bewusst ge­­worden, dass es vielleicht die letzte Chance ist, ihn jemals wiederzusehen. Die letzte Chance, mich so von ihm zu ver­abschieden, wie er es verdient hat. Wenn er überhaupt noch mit mir spricht.

„Und Jasper?“

Vielleicht sollte Kerstin sich doch wieder auf das Fahren konzentrieren. Und Jasper? Eine sehr gute Frage, auf die ich leider keine Antwort habe. Früher, als wir in der gleichen Straße gewohnt haben, wusste ich immer, wo er ist. Meistens war ich nämlich dabei. Heute? Laut Facebook war er vor einer Woche zu Hause in Kapstadt.

„Der ist unterwegs.“

„Na, dann weißt du zumindest, wen du heute Abend noch küssen wirst.“

Sie kichert so, wie eine aufgeregte Studentin nach sechs Stunden Autobahnfahrt, vier Red Bull und zu viel Schokolade eben kichert. Dabei hat sie nicht die geringste Ahnung, wie schnell dieser Satz mein Herz aus der Magengegend wieder nach oben katapultiert. Es prallt in meinem Hals irgendwo ab – vermutlich an dem Kloß, der sich dort festgesetzt hat – und schlägt laut und aufmüpfig vor sich hin. Alles nur, weil ich für den Bruchteil einer Sekunde an Bens Lippen denken muss. An unseren ersten Kuss. Auf der Grillparty von Markus Vogelhauser. Kurz nach Mitternacht. Schüchtern und unsicher. Und an unseren letzten Kuss. Am Flughafen. Voller Verzweiflung und Schmerz und Liebe. Danach hat mich kein Mann mehr so geküsst. Auch nicht Karsten, mit dem ich zwei Jahre zusammen war und dessen Küsse so anders geschmeckt haben.

„Oder hast du einen Freund?“

„Nein.“

Wieder ein Seitenblick. Mitleid. Zum Glück sind es nur noch knapp 20 Kilometer bis nach Stuttgart, denn nun weiß ich nicht, wie weit ich in Kerstins Augen noch sinken kann. Und ob. Alt, ohne Freunde, spießig und Single. Wow! Ich kann förmlich sehen, wie plötzlich in ihrem Kopf eine geistige Notiz erscheint: „Bloß nicht so werden wie Ella Klippenbach!“


Als wir endlich Stuttgart erreichen, wird es für mich langsam knapp. Kerstin wird mich vor meinem Hotel in der Nähe des „Mos Eisley“ rauslassen, einer Bar, in der in einer Stunde unser Abitreffen beginnen wird. Ja, ich werde in meiner Heimatstadt in einem Hotel übernachten. Meine Eltern sind vor vier Jahren in ein Kaff in die Nähe der französischen Grenze gezogen, weil es dort so viel ruhiger und schöner ist. Ich habe es ihnen nicht gesagt, aber ein bisschen habe ich ihnen das übel genommen. Sie haben meine Nabelschnur zu dieser Stadt einfach so gekappt. Ohne mich zu fragen, ob das okay ist. Seither habe ich gar keinen Grund mehr, hierherzukommen – wobei es jetzt auch nicht so ist, dass ich unbedingt einen suchen würde. Oder zwei.

„Wird sicher voll komisch nach so langer Zeit. Ich meine, ob ihr noch Gemeinsamkeiten habt? Immerhin seid ihr beide älter geworden.“

„Huh?“

„Na ja, man verändert sich, oder? Wenn man sich nicht dauernd sieht, entwickelt man sich doch auseinander und so. Vielleicht wisst ihr gar nicht, über was ihr reden sollt und schaut euch nur so voll komisch an.“

Muss Kerstin ausgerechnet jetzt philosophisch-nachdenkliche Erkenntnisse von sich geben, die mich noch mehr verunsichern? Kann sie nicht wieder über Handynetze und verkorkste Selfies schimpfen? So hat diese ganze dämliche Unterhaltung doch kurz nach Kassel überhaupt erst angefangen. Aber nein! Sie kurbelt meine Zweifel jetzt erst so richtig an, indem sie mich auf eine Reise zurück an den Ort in meinem Gehirn schickt, wo ich diese Gedanken bisher ziemlich erfolgreich unter Verschluss gehalten habe. Wie wird es sein, wenn ich Ben das erste Mal wieder gegenüberstehe?

„Wir sind im Guten auseinandergegangen. Irgendwie klappt das schon.“

Dabei weiß ich das nicht, und dieser Gedanke beschert mir Magenkrämpfe. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn ich Ben überschwänglich begrüßen will und er sich einfach wegdreht. Immerhin haben wir seit New York nicht mehr miteinander gesprochen. Kein Wort. Inzwischen ist so viel passiert, und ich kenne ihn vielleicht wirklich gar nicht mehr. Den neuen Ben mit seiner „Plus eins“.

Ich kenne nur den alten Ben. Den Ben, in den ich mich verliebt habe und den ich bis heute in meinem Herzen eingesperrt habe. Meinen Ben, für den ich alles war, bei dem ich mich immer sicher gefühlt habe und der den schönsten Liebesbrief in der Geschichte der Liebesbriefe geschrieben hat. Für mich. Kurz nachdem ich in New York angekommen bin, lag eines Morgens ein Brief in meinem Campus-Postfach. Ohne diesen Brief hätte ich die erste Zeit in New York nicht überlebt. Oder die Wochen nach seinem Besuch. Aber auch später, als alles vorbei war, war es Bens Brief, der mich davor bewahrt hat, mein Leben komplett aufzugeben.

„Na, wenn du meinst. Deswegen werde ich immer Kontakt mit meinen Freunden von damals halten. Keine Ahnung, aber sonst ist es an so Abenden wie deinem heute echt einfach nur scheiße.“

Sie mag nicht gerade Sokrates sein, ihre Worte sind deswegen aber nicht weniger wahr. Heute Abend kann es richtig bescheiden werden, weil Menschen sich aus den Augen verlieren und sich verändern. Nicht immer zum Guten. So wie ich. Andererseits hat Kerstin mir vorhin stolz erzählt, dass sie über tausend Freunde auf der ganzen Welt hat – laut Facebook. Vielleicht sollte ich ihre Vorstellung von Freundschaft doch nicht überbewerten.

„Na, viel Glück damit!“

„Danke, aber wir sind echt Freunde für immer. BFF und so.“

Best friends forever. Für immer. Das habe ich auch gedacht, als ich damals direkt nach dem Abi aufgebrochen bin, um in der Stadt, die niemals schläft, meinen Traum zu verwirklichen. So kann man sich irren.

Weil Kerstin aber gerade wieder so verträumt vor sich hin – und noch immer auf die Fahrbahn – blickt, will ich sie nicht aus ihrer perfekten Illusion reißen. Stattdessen nicke ich und wünsche ihr wirklich, dass sie bei ihrem Abitreffen nicht so viel Angstschweiß verliert wie ich. Mein Herz klopft nämlich gerade mit jedem Kilometer, den wir uns meinem Ziel nähern, panischer in meiner Brust. Bald ist es so weit. Bald sehe ich Ben wieder. Bald habe ich meine letzte Chance auf einen Abschied von ihm, mit dem ich leben kann.

Ich blicke aus dem Seitenfenster und hoffe, dass mich meine müde in der Abendsonne daliegende Heimatstadt etwas beruhigt oder wenigstens ablenkt. Jetzt ist es nicht mehr weit, nur noch an der Wilhelma vorbei und … da trifft es mich wie der Blitz. Ein heller Silberstreifen zuckt kurz durch meinen Körper.

Wäre das zu absurd? Wäre es. Natürlich. Aber auch wunderschön, oder? Ich muss es wissen.

Möglichst unauffällig drücke ich auf den Knopf, der die Fensterscheibe an meiner Seite runterlässt. Sofort erfüllt warme, frische Luft den Innenraum des kleinen Golfs.

„Musst du kotzen?“

Kerstin sieht mich ernsthaft alarmiert an und wird langsamer. 80 Stundenkilometer und damit verdammt nah an den vorgeschriebenen 70 Stundenkilometern dran. Ein Rekord.

„Vielleicht.“

Es kommt darauf an, was gleich passiert.

„Kotz ja nach draußen! Ohne Witz! Ich muss noch bis zum Bodensee.“

»Aber gerne doch. Kannst du ein bisschen langsamer ­fahren?«

Dann richte ich mich leicht auf, strecke meinen Kopf aus dem Fenster, und die angenehme Abendluft weht mir ins Ge­­sicht. Mir wird beim Autofahren nie schlecht. Wenn ich mich hätte übergeben müssen, dann bestimmt viel eher bei einem ihrer waghalsigen Überholmanöver mit 220 Sachen und nicht hier auf einer zweispurigen Straße in der Tempo-70-Zone in Bad Cannstatt. Nein. Ich will einfach nur sehen, ob es noch da ist. Ich bete, dass es noch da ist.

In der Ferne sehe ich sie schließlich: die Brücke, die von der Wilhelma bis nach Bad Cannstatt reicht und die über alle vier Spuren und dem Grünstreifen in der Mitte führt. Der einzige Weg, um zu Fuß über die vielbefahrene Straße zu kommen, auf der sich niemand an das vorgeschriebene Tempolimit hält. Unsere Brücke. Sofort sausen tausend Erinnerungen wie kleine Glühwürmchen durch meinen Kopf. ­Jasper, der todesmutig über der Brüstung hängt, Ben, der ihn mit einem ziemlich zweifelhaft aussehenden Kletterseil sichert, und ich mit einer Taschenlampe und klopfendem Herzen. Genau wie jetzt.

Der Fahrtwind verschluckt Kerstins fragende Stimme aus dem Inneren des Autos, und ich schließe ganz kurz die Augen. Ich weiß noch zu genau, wie es ausgesehen hat. Unbewusst fahre ich mit dem Zeigefinger über die Innenseite meines linken Handgelenks – über diese eine Stelle, die sich etwas rauer anfühlt, weil eine Nadel vor Jahren dort schwarze Farbe unter die Haut geschossen hat. Inzwischen trage ich links oft breite Armreifen. Nicht, weil ich mich für das Tattoo schäme, sondern weil ich dann nicht immer die Hintergrundgeschichte erzählen muss und so viele Erinnerungen an die Oberfläche gespült werden. Erinnerungen an die Ella, die ich einmal war. Erinnerungen an die Freundschaft, die mein Leben verändert hat.

Als ich die Augen wieder öffne, spüre ich, wie sich ein Lächeln auf meine Lippen legt. Es ist noch da. Ich kann es trotz der leichten Dämmerung sehen. Da oben, an der Brücke, verblasst und nur noch für das wissende Auge erkennbar: eine umgefallene Acht in einem perfekten Dreieck. Das gleiche Symbol wie an meinem Handgelenk. So, wie wir drei immer hätten sein müssen: ewig.

Adriana  Popescu

Über Adriana Popescu

Biografie

Adriana Popescu (1980 in München geboren) arbeitete als Drehbuchautorin für das deutsche Fernsehen, als freie Autorin für verschiedene Zeitschriften und studierte Literaturwissenschaften, bevor sie damit begann, Romane zu veröffentlichen. 2012 erschien ihr Debüt „Versehentlich verliebt“ als enorm...

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dierabenmutti

„Ewig und Eins“ hat mich mitgenommen auf emotionale Achterbahnfahrt, bei der man hofft, dass sie nie endet.

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