Fleischkonsum (33 Fragen – 33 Antworten 8) — Inhalt
Ist Fleisch essen gut oder schlecht?
Das Thema Fleisch polarisiert und wirft Fragen auf: Darf man mit Genuss Fleisch essen? Ist das gut oder schlecht für die Gesundheit? Was bedeutet das für die Tiere? Wie wirkt sich ein hoher Fleischverbrauch global aus? Sind Klimaschutz und Fleischkonsum vereinbar? Was hat Fleischkonsum mit Menschenrechten und Insektensterben zu tun? Soll man doch besser vegetarisch leben – oder sogar vegan? Dieses Buch beantwortet die wichtigsten Fragen zu einem Thema, das uns täglich beschäftigt.
Leseprobe zu „Fleischkonsum (33 Fragen – 33 Antworten 8)“
Einleitung
Als die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 vorschlugen, in Kantinen den „Veggie Day“ einzuführen, also einen fleischfreien Tag pro Woche, brach – angeheizt durch eine falsche Berichterstattung der Bild-Zeitung – ein lauter Sturm der Empörung los. Als hätten die Grünen Fleischessen, Autofahren und Fliegen für alle und immer verboten. Dabei hatte die Partei nur einen vorsichtigen Vorschlag gemacht für etwas, was aus wissenschaftlicher Sicht sehr schnell geschehen muss: Der Fleischkonsum muss sinken. Weltweit wird so unfassbar viel Fleisch [...]
Einleitung
Als die Grünen im Bundestagswahlkampf 2013 vorschlugen, in Kantinen den „Veggie Day“ einzuführen, also einen fleischfreien Tag pro Woche, brach – angeheizt durch eine falsche Berichterstattung der Bild-Zeitung – ein lauter Sturm der Empörung los. Als hätten die Grünen Fleischessen, Autofahren und Fliegen für alle und immer verboten. Dabei hatte die Partei nur einen vorsichtigen Vorschlag gemacht für etwas, was aus wissenschaftlicher Sicht sehr schnell geschehen muss: Der Fleischkonsum muss sinken. Weltweit wird so unfassbar viel Fleisch produziert, dass die Biomasse der sogenannten Nutztiere um ein Vielfaches größer ist als die Masse aller wild lebenden Tiere auf der ganzen Welt.
Die vielen Milliarden Tiere in der Landwirtschaft haben Folgen für das Klima, den Boden, das Grundwasser, die Biodiversität und unsere Gesundheit. Der in weiten Teilen der Welt immer noch völlig sorglose Umgang mit Antibiotika bringt multiresistente Keime hervor, sodass Mediziner ein postantibiotisches Zeitalter kommen sehen.
Die EAT-Lancet-Kommission, ein gemeinsames Forschungsprojekt von Medizinern und Erdsystemwissenschaftlern, bringt es auf den Punkt: Die Fleischfrage entscheidet über die Zukunft des Planeten. Und sie spaltet unsere Gesellschaft – nicht nur Tierrechtler und Schweinemäster stehen sich unversöhnlich gegenüber. Der Sonntagsbraten ist politisch geworden.
Doch für einen echten Wandel bräuchte es ganz andere Gesetze – und Konsumgewohnheiten.
Immerhin: Jeder kann hier etwas tun, nämlich viel weniger Fleisch essen, und wenn, dann aus ökologischer Weidehaltung. Und nicht nur Steak, sondern vom ganzen Tier.
1. Haben die Menschen schon immer Fleisch gegessen?
Unsere frühesten bekannten Vorfahren lebten vor etwa 55 Millionen Jahren, sie waren etwa sieben Zentimeter lang (mit Schwanz fast zwanzig) und ernährten sich von Insekten. Einige der Nachfahren dieser frühen Primaten stiegen auf Früchte und Blätter um. Unser naher Verwandter, der Menschenaffe Australopithecus, der vor viereinhalb bis zwei Millionen Jahren in Afrika lebte, aß vor allem Nüsse, Samen und Wurzeln. Heute würde man ihn wohl als Flexitarier bezeichnen, denn vermutlich verzehrte er bei Gelegenheit auch ein wenig tierische Nahrung: Aas und Insekten. Irgendwann in dieser Zeit begannen die frühen Menschen, Werkzeuge zu schnitzen und zu jagen – nach vielen Millionen Jahren einer beinahe vegetarischen Lebensweise ihrer Vorfahren.
Diese Ernährungswende hatte es in sich: Je besser und gehaltvoller die Nahrung wurde, desto mehr wuchs das Gehirn des Homo sapiens, und dies wiederum ließ ihn zu einem besseren Jäger werden, was wiederum seine Nährstoffversorgung verbesserte. Das machte die frühen Menschen flexibler als ihre nächsten Verwandten, die Paranthropus-Arten, die sich weiterhin von Pflanzen ernährten und später ausstarben. Auch der Homo sapiens, also unsere Art, die vor gut 300 000 Jahren in den Savannen Ostafrikas entstanden ist, jagte Tiere und aß ihr Fleisch, aber auch weiterhin pflanzliche Nahrung, weshalb wir Menschen als Omnivoren, also Allesfresser, gelten. Wie hoch der Anteil von pflanzlicher oder tierischer Nahrung in dieser Zeit war, ist unbekannt.
Ende der 1980er-Jahre schlug der amerikanische Mediziner Stanley Boyd Eaton vor, dass wir uns auch heute an der Ernährung der Steinzeitmenschen orientieren sollten, um gesünder zu leben. Das menschliche Genom habe sich seit der Zeit der Sammler und Jäger nicht verändert, argumentiert Eaton, weshalb wir auch heute noch am besten an die Lebensmittelauswahl der Steinzeit angepasst seien. Dazu gehörten Wildpflanzen, Fleisch von wilden Tieren und auch Fisch. Im Vergleich zu heute konsumierten die Steinzeitmenschen weniger Zucker und Getreide, so gut wie keine gesundheitsschädlichen Transfettsäuren, dafür viel Ballaststoffe. Und anders als heute mussten sie körperlich schuften für ihre Mahlzeiten. Übersetzt in die heutige Zeit hieße das: viel Obst und Gemüse, wenig Getreide, dafür Fleisch. Und Bewegung. Wobei es ziemlich schwer ist, wirklich nach einer Steinzeitdiät zu leben, denn die Wildtiere damals wiederum lebten und ernährten sich ganz anders als die Stalltiere heute, sodass ihr Fleisch auch eine andere Zusammensetzung hatte.
Schon lange bevor die Menschen selbst Feuer machen konnten, hielten sie die Feuer von Bränden in Gang, um ihre Nahrung darin zu garen, mindestens seit 300 000 bis 400 000 Jahren. Das wären mehr als 10 000 Generationen, das ist lange genug für unser Verdauungssystem, sich an die gekochte Nahrung anzupassen. Deshalb sind wir Menschen eigentlich keine Omnivoren, sondern Cucinivoren.
Heute weiß man, dass sich Gene schneller an veränderte Lebensbedingungen anpassen, als Eaton und seine Kollegen vor wenigen Jahrzehnten angenommen hatten. Vor rund 12 000 Jahren begannen die Menschen im Nahen Osten, Felder zu bewirtschaften und Getreide zu züchten. Die neue Ernährung hat offensichtlich Gene der Ackerbauern verändert. Sie produzieren mehr von dem Enzym Amylase, das man braucht, um Stärke zu verdauen. Jäger in der Arktis, Hirten oder Regenwaldbewohner haben weniger davon in ihrem Speichel.
Noch eine genetische Anpassung: Vor etwa 10 000 Jahren domestizierten die Menschen Ziegen, Schafe, Rinder, Schweine und Hühner, und nur wenige Tausend Jahre danach entwickelten die frühen Ackerbauern und Tierzüchter in Europa die Fähigkeit, Laktose auch nach dem Ende der Säuglingszeit zu verdauen. Damit konnten sie die Milch ihrer Rinder, Schafe und Ziegen verwerten.
Die menschliche Anatomie zeigt, wie gut wir an pflanzliche Ernährung angepasst sind: Fleischfresser reißen Fleisch aus ihrer Beute, schlingen sie hinunter und haben große Mägen zum Verdauen. Unsere Mägen hingegen sind kleiner, der Dünndarm ist dafür länger, und unser Dickdarm enthält Muskelschichten und Ausbuchtungen, die typisch für Pflanzenfresser sind. Die breiten Backenzähne dürften wir geerbt haben, weil unsere Vorfahren Rinden und Blätter zermahlen mussten. Das macht uns flexibel bei der Nahrungszusammenstellung. Wir können uns beinahe ausschließlich von Fleisch ernähren, wie manche Pastoralisten, also nomadisch lebende Hirten, aber auch vegetarisch. Das hat unsere Vorfahren so flexibel gemacht bei ihrer Ausbreitung über die ganze Erde. Überall haben sie etwas gefunden, womit sie sich ernähren konnten. Fleisch war oft dabei, aber nicht immer.
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