Frauenmahd (Garmisch-Krimis 4) - eBook-Ausgabe
Kriminalroman
„Ritter ist (...) ein geschickter Verwerter und Überzeichner von Stereotypen aus dem bayerischen Raum, die er in eine Krimihandlung hineingießt.“ - Süddeutsche Zeitung
Frauenmahd (Garmisch-Krimis 4) — Inhalt
„Der Förster schmeißt einen Mann in den Kuhflucht-Wasserfall. Die Story musst du machen!“ Als Lokalreporter Karl-Heinz „Gonzo“ Hartinger den Anruf von der Zeitung bekommt, ist er gerade in Berlin gelandet, um ein wildes Wochenende zu verbringen. Daraus wird nichts. Kurz darauf stürzt die grüne Landtagsabgeordnete auf einer steilen Bergwiese, der Frauenmahd, zu Tode. Zufall, dass beide Tote in der Nähe des geplanten Pumpspeicherkraftwerks gefunden werden? Oder ist eine uralte Familienfehde Hintergrund der Morde?
Leseprobe zu „Frauenmahd (Garmisch-Krimis 4)“
1
Es war das Beeindruckendste, was er seit Langem gesehen hatte. Dabei war er hier aufgewachsen. Ganz in der Nähe. Dass er es in über vierzig Jahren nicht geschafft hatte, hier heraufzukommen! Dabei waren es nur drei Stunden vom Tal.
Unter ihm schoss das Wasser aus dem Berg, fiel die senkrechte Wand hinab, schlug auf, stürzte in Kaskaden tief und immer tiefer. Ohrenbetäubendes Getöse begleitete den harten Fall des weichen Wassers. Seit Tausenden von Jahren musste dieser Klang alle anderen Geräusche übertönen. Die Kuhflucht gehörte diesem Getöse, und es [...]
1
Es war das Beeindruckendste, was er seit Langem gesehen hatte. Dabei war er hier aufgewachsen. Ganz in der Nähe. Dass er es in über vierzig Jahren nicht geschafft hatte, hier heraufzukommen! Dabei waren es nur drei Stunden vom Tal.
Unter ihm schoss das Wasser aus dem Berg, fiel die senkrechte Wand hinab, schlug auf, stürzte in Kaskaden tief und immer tiefer. Ohrenbetäubendes Getöse begleitete den harten Fall des weichen Wassers. Seit Tausenden von Jahren musste dieser Klang alle anderen Geräusche übertönen. Die Kuhflucht gehörte diesem Getöse, und es gehörte zur Kuhflucht.
Strahlend drehte er sich um. Er wollte danken. Umarmen. Seine Begleitung hatte ihn überredet heraufzuwandern.
Das Strahlen kam nicht zurück. Er schaute in kalte Augen. Erschrak, als er die Hände auf sich zukommen sah. Er konnte nicht fassen, dass er gestoßen wurde. Nach hinten, in die Schlucht.
Sein gellender Schrei begleitete den Fall. Er übertönte das Tosen des Wasserfalls für unendliche drei Sekunden. Seit Jahrtausenden das erste und einzige Geräusch, das lauter als der dröhnende Wasserfall war.
Den dumpfen Aufschlag seines Körpers auf dem Felsquader nahm kein Mensch wahr. Kein Tier schreckte auf.
Die Kuhflucht gehörte wieder ganz dem Getöse ihres Wassers.
2
Leopold Seidl war nicht sicher. Er war auch nicht ziemlich sicher. Und auch nicht ganz sicher. Er wusste, was er gesehen hatte. Durch das Fernglas hatte er es genau beobachtet. Die Person im roten Anorak hatte den Mann in den Wasserfall gestoßen. Den Mann, der jetzt in einem schwarzen Sack verpackt an der Seilwinde des Bundeswehrhubschraubers hing. Der zum Umbetten in den Zinksarg der Gerichtsmedizin in das Klinikum geflogen wurde. Leopold Seidl wusste, was er gesehen hatte. Er wusste es genau.
Schlecht für Leopold Seidl, dass ihm das niemand glaubte. Und dass die Person im roten Anorak, die er gesehen hatte, nicht zu finden war. Nicht von den zwanzig Beamten der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen, die das Gelände durchsuchten. Nicht von der Hundestaffel der Polizei. Nicht von den Jagdgehilfen, die der Polizei zu Hilfe gekommen waren. Nicht von der Besatzung des Polizeihubschraubers, der knapp über den Baumwipfeln kreiste und mit der Infrarotkamera nach einer Person suchte, die sich im Unterholz verkrochen hatte.
Dumm für Leopold Seidl, dass der Tote von den Männern der Bergwacht als Mathias Kupfer identifiziert worden war. Der Verunglückte hatte einen Geldbeutel mitsamt Ausweis im Rucksack gehabt. Den Rucksack hatten sie zusammen mit der zerschmetterten Leiche in den schwarzen Sack gepackt. Und den schwarzen Sack an die Seilwinde des Bundeswehrhubschraubers gehängt.
Saudumm für Leopold Seidl, dass Mathias Kupfer der Mann seiner Exfrau war.
Großartig, das Ganze, für Ludwig Bernbacher. Der Leiter der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen würde in die Annalen der bayerischen Polizei eingehen als leitender Beamter mit der kürzesten Aufklärungszeit bei einem Mord. Glaubte er. Den Seidl hatte er schon lange auf dem Kieker.
Blöd nur für Bernbacher, dass er nach einer Stunde Vernehmung des Leopold Seidl noch immer keinen Grund wusste, warum dieser die Polizei hätte verständigen sollen, nachdem er den Kupfer Hias in die Kuhfluchtfälle geschubst hatte.
Besser verhielt es sich mit einem Motiv für den Schubser. Bei Licht betrachtet musste der Seidl Leo dem Kupfer Hias eigentlich dankbar sein. Dafür, dass er ihm seine Exfrau Luise ausgespannt hatte. Die ihm damals derartig Hörner aufgesetzt hatte. Ach was, Hörner! Mit dem Geweih eines Vierzehnenders war der Seidl Leo durch den Ort gelaufen. Alle hatten es gewusst. Dass sich, während er die kalten Nächte auf dem ungemütlichen Hochstand verbrachte, in seinem Bett der halbe John’s Club – Crew wie Gäste – an den warmen Gemütlichkeiten seiner Luise labte. Alle hatten das gewusst. Nur der Leo nicht. Erst als sich ein Jagdgast mit der Flinte den rechten kleinen Zeh weggeschossen hatte, darauf der Seidl Leo statt morgens um acht schon um vier Uhr die Dienstwohnung im Forstamt Garmisch-Partenkirchen aufsperrte, hatte auch er mit einem Schlag Bescheid gewusst. Da war der Kupfer Hias mit der Luise zu Gange gewesen.
Mit der Scheidung hatte der Leo dann das große Los gezogen. Das fanden alle am Ort. Erstens war er die blöde Gans los, die die Luise von Geburt an halt war. Zweitens hatte der Leo die Frankfurter Bankierstochter Annabella von Bürstner geehelicht. Beziehungsweise hatte sich die reiche Annabella den einsamen Leo gekrallt.
Zum schier unüberschaubaren Vermögen der Familie von Bürstner gehörte der Bergwald am Wank, der vom Staatsforst umgeben war. Für diesen Staatsforst war der Seidl Leo zuständig. Treibjagden gegen das baumfrevelnde Rotwild veranstaltete man gemeinsam. Auf einer solchen Veranstaltung hatten sich Leo und Annabella kennengelernt. Schon vor zehn Jahren. Annabella hatte von ihrem Vater Eduard Wilbert von Bürstner III. das Bankhaus, die Firmenbeteiligungen und Ländereien auf allen Kontinenten sowie die Liebe zu den Bergen übernommen – und daraus, zu Leo Seidls Glück, eine Liebe zu unrasierten lodenbejankerten Gebirglern entwickelt. Sie hatte ihn erst getröstet und dann geheiratet, kaum dass er von Luise geschieden gewesen war.
Sollte dieser Glückspilz sein Leben durch einen Mord ruinieren? Das unfassbare Glück derart zu gefährden, da wäre der Leo ein vollkommener Idiot. Einen Mord am Kupfer Hias? Warum sollte sich der betrogene Ehemann fünf Jahre Zeit dafür lassen? Andererseits: Richtige Rache rostet nicht (oder so), dachte sich Bernbacher.
Ja, wenn er es sich so richtig überlegte: Das Setting taugte zum Beziehungsmord. Er nahm sich vor, durch unerbittliches Fragen die Wahrheit aus dem Seidl Leo herauszuquetschen. Mochte der auch über seine Frau und deren Verbindungen mit einer Macht ausgestattet sein, gegen die die Autorität eines Landpolizisten so klein erschien wie die einer Fruchtfliege im Vergleich zu einem awaks-Flieger. Immerhin lebte man in Bayern in einem Rechtsstaat. Zumindest in so etwas Ähnlichem.
„Und du sagst, du bist nach wie vor sicher, dass das ein Mann im roten Anorak war, der den Hias da runtergeschmissen hat?“, fragte er den Leo zum gefühlt dreihundertsten Mal.
„Nein, das habe ich nicht gesagt.“
„Hast du schon.“
„Ich hab gesagt, dass es eine Person war. Ich hab nicht gesehen, ob es ein Mann war. Dass da eine Person war, die den Hias geschubst hat – da bin ich mir nicht sicher, das weiß ich. Sie sind zu zweit an den Rand des Wasserfalls gegangen, und dann hat der Hias sich umgedreht. Und die Person hat den Hias geschubst. So ungefähr.“ Leopold Seidl packte Polizeihauptkommissar Bernbacher an den Kragenaufschlägen der Uniform und schob ihn einen Meter nach hinten. Der bräsige Polizist geriet ins Straucheln.
„Spinnst du?“, plärrte Bernbacher. Er fing sich, bevor er vor drei seiner Beamten auf dem Hosenboden landete und den Abhang ein paar Meter hinunterkullerte. Frech war der Leo schon immer gewesen. Aber das ging zu weit.
So leicht würde Bernbacher ihn nicht davonkommen lassen. War es nicht an der Zeit, dass er seine Karriere mit einem Erfolg krönte? Wobei – ob er sich da den Richtigen ausgesucht hatte? Die Anwälte der Familie von Bürstner waren sicher nicht die schlechtesten. Egal, es galt den Verdächtigen unter Druck zu setzen. Vielleicht kam dabei ein spontanes Geständnis heraus. Hier, direkt in der Nähe des Tatorts, noch im Wald an den Kuhfluchtfällen.
„Wir haben einen Zeugen, der dich gesehen hat“, log Bernbacher.
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