Gangster School (Blaggard's 1) - eBook-Ausgabe
Roman
„Eine tolle, spritzige, unterhaltsame Geschichte!“ - Hamburger Morgenpost
Gangster School (Blaggard's 1) — Inhalt
Blaggards ist keine Schule wie jede andere: Hier werden die Sprösslinge der berüchtigsten Verbrecherfamilien in Diebstahl, Fälschung und Schwindel ausgebildet, um eines Tages in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Aber die Neuankömmlinge Milly und Charlie sind anders. Sie wollen nicht böse sein. Also unternehmen sie alles, um das kriminelle Tun auf der Schule zu verhindern – nur wie kann man gleichzeitig allen weismachen, dass man der genialste Gangster aller Zeiten werden will? Und es kommt noch schlimmer, als die finstere Superschurkin Pecunia Badpenny zum großen Schlag ausholt. Denn Milly und Charlie sind die einzigen, die das verhindern können ...
Leseprobe zu „Gangster School (Blaggard's 1)“
Kapitel 1
„Du weißt schon, dass du gerade beklaut wirst, oder?“
Charlie sah von dem Spiel auf, das auf seinem Handy lief. Vor ihm hatte sich ein dunkelhaariges Mädchen aufgebaut. Es schien ungefähr so alt zu sein wie er, also zwölf, hatte eine Hand energisch in die Hüfte gestemmt und schwang eine zusammengerollte Zeitschrift. Das Mädchen war hübsch auf eine Leg dich bloß nicht mit mir an-Art. Daran änderte auch nichts, dass es einen ganzen Kopf kleiner war als er.
Die Zeitschrift war der Leitfaden von Blaggard’s, erkannte Charlie. Darin stand alles, was [...]
Kapitel 1
„Du weißt schon, dass du gerade beklaut wirst, oder?“
Charlie sah von dem Spiel auf, das auf seinem Handy lief. Vor ihm hatte sich ein dunkelhaariges Mädchen aufgebaut. Es schien ungefähr so alt zu sein wie er, also zwölf, hatte eine Hand energisch in die Hüfte gestemmt und schwang eine zusammengerollte Zeitschrift. Das Mädchen war hübsch auf eine Leg dich bloß nicht mit mir an-Art. Daran änderte auch nichts, dass es einen ganzen Kopf kleiner war als er.
Die Zeitschrift war der Leitfaden von Blaggard’s, erkannte Charlie. Darin stand alles, was man über seine neue Schule wissen musste. Charlie hatte in sein Exemplar kaum hineingesehen. Es musste noch zu Hause auf dem Küchentisch liegen.
„Hä?“ Charlie zog die Kopfhörer heraus, die sich dabei in seinen Haaren verfingen.
„Verschwinde“, rief das Mädchen, jedoch nicht zu ihm. Sie schoss an Charlie vorbei und schlug einer Sechsjährigen mit der Zeitschrift auf die Hand. Charlie hatte gar nicht mitbekommen, dass die Kleine sich hinter ihn geschlichen hatte. Sie zog die Hand von Charlies Laptoptasche zurück, starrte beide zornig an und stapfte enttäuscht davon. Dann lief sie zu ihren Eltern, die das Geschehen mit gespanntem Lächeln verfolgt hatten. „Ein guter Versuch“, hörte Charlie den Vater sagen, „ich bin stolz auf dich. Aus dir wird mal eine große Diebin.“ Die Kleine streckte Charlie die Zunge heraus, dann versteckte sie sich hinter den Beinen ihrer Mutter.
„Mann! Danke.“ Charlie lächelte seiner Retterin zu. „Ich sollte wohl besser auf meine Sachen aufpassen.“
„Klar. Das ist Blaggard’s, schon vergessen? Und noch was.“ Das Mädchen hielt ihm den Leitfaden hin. „Das solltest du lesen, bevor die Schule beginnt. Und dein Hund auch.“
Charlie sah sie verständnislos an, daher blätterte das Mädchen das Heft auf. „Ist dir klar, dass er nicht mit rein darf? Hier steht es: Die Haltung von Haustieren in Blaggard’s ist strengstens untersagt. Meisterverbrecher sind herzlose Einzelgänger und vermeiden es, flauschige Kätzchen zu knuddeln. So jagt man niemandem Angst ein.“
Charlie blickte den Hund an, der ihm am Bein zu kleben schien. Er hatte lockiges, helles Fell und roch, freundlich ausgedrückt, ziemlich streng. Das Tier wimmerte leise und wandte den Blick keinen Moment von Charlies Gesicht ab. „Klar. Das weißt du ganz genau, Gruffel, oder? Auch wenn du nicht besonders froh darüber bist.“
„Gruffel? Toller Name … ist er ein Pudel?“ Das Mädchen besah sich den Hund.
„Nein. Er ist ein, äh, so genau weiß ich das gar nicht.“ Charlie runzelte nachdenklich die Stirn und betrachtete sein Haustier. „Könnte eine Mischung aus Spaniel und Beagle sein.“
„Ein Spangle also! Das erklärt seine Flecken. Ein gefleckter Pudel kam mir gleich komisch vor.“
Es folgte ein kurzes Schweigen, während beide den Hund musterten. „Er hat eigentlich gar keine Flecken. Er ist ganz weiß. Das ist Matsch … hoffe ich.“
Das Mädchen rümpfte die Nase. Charlie wedelte mit der Hand vorm Gesicht. Dann mussten beide lachen. „Es tut mir leid, dass er so übel riecht. Aber das ist eine lange Geschichte“, sagte Charlie.
„Vielleicht erzählst du sie mir mal irgendwann“, lächelte sie. „Ich bin Milly.“
„Klar, vielleicht“, gab er zurück. „Ich bin Charlie. Und das da drüben sind meine Eltern.“
Er zeigte auf eine zierliche Frau in einem edlen, weißen Kostüm und ihren viel größeren Ehemann, der ebenso fein und makellos gekleidet war. Sie standen in einer Gruppe Erwachsener vor dem großen Doppeltor.
Dem herrschaftlichen Eingang zu Blaggard’s.
Auf den ersten Blick sah das Tor aus wie aufgerichtete metallene Spaghetti, aber wenn man genauer hinschaute, erkannte man darin Formen. Zähnefletschende Bärenköpfe ragten aus Blättern giftigen Efeus hervor. Was sich darum rankte, sah nach kunstvoll gestalteten Brennnesseln aus.
Eine Glocke auf dem Schulgelände läutete und das Tor begann, sich summend zu öffnen.
Neun Uhr.
Die Gespräche verstummten und aller Augen richteten sich auf das Tor. Als der letzte Glockenschlag verklang, erschien eine hochgewachsene Frau in einem grauen Hosenanzug. Sie kam den baumgesäumten Weg im Innern des Schulgeländes entlang. Die Torflügel glitten vollständig auseinander, stählern und unnachgiebig wie die wachsamen Augen der Frau. Ihr glänzendes, braunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Sie schritt anmutig vor die Menge der Wartenden und genoss den spontan aufkommenden Beifall.
„Danke. Willkommen, liebe Eltern, und willkommen, neue Schüler. Willkommen in Blaggard’s Schule für Große Gangster.“ Sie sprach entschlossen, aber nicht unfreundlich. „Ich bin Griselda Martinet, die Direktorin. Ihr habt zweifellos bereits von mir gehört.“ Sie blickte in die Runde. „Nun, es ist Zeit, dass ihr den ersten Schritt durch unser berüchtigtes Verschlungenes Tor tut. Ich werde euch vor dem Schulgebäude erwarten. Also verabschiedet euch jetzt bitte von euren Familien und folgt mir. Euer neues Leben beginnt.“
Sie trat durch das Tor, blieb in einem Fleckchen Sonnenlicht stehen und streckte sich kurz in der Wärme. Sie erinnert mich an eine Katze, dachte Milly.
Charlie umarmte seine Eltern so kurz wie möglich und seinen Hund ein wenig länger. Er und das Mädchen schlossen sich der Menge an, die sich durch das Verschlungene Tor drängte.
Gruffels Heulen begleitete sie.
Vor ihnen lag ein dichter Wald, durch den der Weg zu einem ein Stück entfernten Gebäude führte. Dessen langgestrecktes Strohdach überragte die Bäume.
Charlie fragte: „Und deine Eltern? Sind sie gar nicht hier?“
„Nein. Eigentlich wollten sie kommen, aber ich dachte, der Abschied würde zu schlimm für sie werden, vor allem für Dad.“ Das Mädchen verdrehte die Augen. „Ich gehöre zur Dillane-Familie. Und du bist Charlie Partridge, nicht?“
„Wie hast du …? Das ist ja unheimlich!“ Charlie sah an sich hinab. „Oh. Das Namensschild an meiner Laptoptasche. Und ich dachte schon, du könntest hellsehen!“
„Wenn ich das könnte, wäre ich nicht hier“, erwiderte Milly trocken. Als sie bei Miss Martinet ankamen, drang immer noch das Jaulen von Gruffel zu ihnen herüber, entfernt, aber eindringlich.
Die Direktorin lächelte. „Hunde! Wie anhänglich die armen Tiere doch sind! Irgendwann wird er darüber hinwegkommen. Doch nun zu wichtigen Dingen …“ Sie musterte die erwartungsvollen Neuankömmlinge. „Erstens: Wenn ihr euch außerhalb des Schulgeländes bewegt und über Blaggard’s sprecht, benutzt ihr die Tarnidentität der Schule.“
„Die was?“, fragte ein Junge und kassierte dafür einen abschätzigen Blick.
„Den anderen Namen: Constance Bottomley’s Akademie für Ländliche Landwirtschaft. Die Öffentlichkeit, all diese ahnungslosen, langweiligen, gesetzestreuen Bürger, dürfen unter keinen Umständen unsere wahre Identität erfahren. Von jetzt an gilt: Je weniger ihr mit den Ahnungslosen zu tun habt, umso besser. Und noch ein paar Worte zur Schuluniform. Sicherlich könnt ihr es gar nicht erwarten, hineinzuschlüpfen. Es gibt gestreifte Einbrecher-Hoodies und sogar eine schwarze Maske für besonders förmliche Anlässe! Ja, ihr werdet zum ersten Mal in eurem Leben wie wahre Verbrecher aussehen. Also, wer brennt darauf, die Uniform anzuziehen?“
Ein Dutzend eifriger Hände schoss in die Höhe. Miss Martinet nickte. „Wunderbar! Ich bin mir sicher, ihr werdet großartig darin aussehen. ABER! Ihr dürft eure Uniform niemals, ich wiederhole, niemals außerhalb des Schulgeländes tragen. Der Grund sollte auf der Hand liegen: Die Ahnungslosen. Habe ich mich ab-so-lut klar ausgedrückt?“ Von einem Lächeln war jetzt keine Spur mehr zu sehen. Ihre Augen waren schmal geworden und glitzerten wie Eiszapfen im Wintersonnenschein.
Milly und Charlie traten unwillkürlich einen Schritt zurück. Miss Martinet öffnete den Mund, um weiterzusprechen, doch im gleichen Moment kam eine Frau aus dem Wald geeilt. Sie blieb mit dem Fuß an einer Baumwurzel hängen und stolperte. Ihr Gesicht lief rot an. Sie war ein gutes Stück jünger als Miss Martinet und trug ein helles Kleid. Ihr Haar war so straff zu einem Knoten gebunden, dass es aussah, als würden ihr dadurch die Augen aus den Höhlen springen.
„Frau Direktorin, ich würde mich für diese Störung entschuldigen, wenn genug Zeit dafür wäre. Da dies nicht der Fall ist, sage ich schlicht, dass Ihre Anwesenheit unverzüglich erforderlich ist.“
„Was gibt es denn, Miss Vipond?“
Die Frau sah die erwartungsvollen Blicke aller und fuhr dann fort: „Eine Gruppe Neuntklässler hat Mr Molesworthy gefangen genommen. Sie haben ihn in den Safe gesperrt, der für das Bankraub-Training benutzt wird, und wollen ihn erst freilassen, wenn er ihnen die Kombination für den Schrank mit den Verbotenen Werkzeugen verrät.“
„Das wird er niemals tun, wenn ihm das Leben lieb ist. Aber was ist das Problem?“
„Nun, äh, in dem Safe gibt es nicht besonders viel Sauerstoff.“
Miss Martinet seufzte. „Na gut, Miss Vipond. Schüler, wartet hier. Ich bin so schnell wie möglich zurück. Bleibt wachsam und denkt an das aktuelle Infoblatt, das dem Leitfaden beiliegt …“ Sie eilte davon, und die jüngere Lehrerin hastete hinter ihr her.
Die neuen Schüler rückten näher zusammen und spähten durch die düsteren Bäume. „Was nützt ein Infoblatt in einem Leitfaden, der zu Hause liegt?“, seufzte Charlie.
Milly blätterte durch die Seiten ihres Exemplars. Ein kleiner Zettel flatterte zu Boden. Sie hob ihn auf, kniff die Augen zusammen und las laut vor.
Seid auf der Hut! In Blaggard’s ist es Tradition, dass die Achtklässler die neuen Siebtklässler in einen Hinterhalt locken, um sie zu bestehlen. Meist geschieht dies binnen der ersten Stunde nach Eintreffen der Neuen. Neuen Schülern wird daher geraten, ihre Wertsachen wie Laptops, Handys etc. vorab an die Schule zu schicken und nicht bei sich zu tragen.
Charlie sah auf seine Laptoptasche, während sie sprach. Und Millys letzte Worte gingen in einem ohrenbetäubenden Lärm unter. Johlend und brüllend stürzte eine Horde Wilder mit schwarzen Masken und gestreiften Hoodies hinter den Bäumen hervor. „Großartig“, stöhnte Charlie. „Fünf Minuten in Blaggard’s und schon sind wir erledigt.“
Kapitel 2
Die triumphierenden Achtklässler stießen ihre Gefangenen auf einem gewundenen Pfad durch den Wald. Dann stellten sie sie an einer alten weißen Mauer auf. „Das muss die Rückseite des Hauptgebäudes sein“, flüsterte Milly Charlie zu.
Als hätten sie es von langer Hand geplant, teilten die Achtklässler sich in zwei Gruppen. Der größere Teil der Bande bewachte die Gefangenen und knurrte sie immer wieder an, um sie einzuschüchtern. Der Rest machte sich daran, den Neuen alles abzunehmen, was teuer war oder so aussah. Milly stand am Ende der Reihe. Sie zog die Augenbrauen hoch, als Charlie so unauffällig wie möglich das Handy in seine linke Socke schob und sich dann an seine Laptoptasche klammerte, als gehe es um sein Leben. Schon waren zwei Maskierte heran, um sie ihm zu entreißen.
Ein kleiner stämmiger Junge mit Sommersprossen versuchte, mit den Räubern zu verhandeln. „Leute, denkt doch mal darüber nach, was ihr hier tut. Ist euch klar, dass diese Sache für euch böse enden könnte? Wenn wir zusammenarbeiten würden, wäre es vielleicht …“
Milly sparte sich den Atem und scannte die Umgebung. Dann hatte sie eine Idee.
„Alle mir nach!“, rief sie plötzlich und stieß die beiden nächsten Achtklässler zurück. Ihre Tasche fest an sich gedrückt, rannte Milly los.
Die anderen Siebtklässler zögerten kurz, dann folgten ihr die meisten, vielleicht dreißig Jungen und Mädchen. Milly blickte über die Schulter und sah, dass Charlie ihr stirnrunzelnd hinterherblickte. Dann gab auch er sich einen Ruck und flüchtete. Die Räuber sahen einander überrascht an, bevor sie die Verfolgung aufnahmen. Ein paar von ihnen blieben bei den Nachzüglern zurück, um sie zu bewachen.
Die Siebtklässler hasteten um eine Ecke und fanden sich vor einer langen Mauer wieder. Milly überlegte. In die Mauer waren fünf gleiche Türen eingelassen. Jede endete oben in einem altmodischen Bogen und hatte rostige Angeln und schwere Knäufe. Milly rechnete schnell nach und riskierte einen weiteren Blick zurück. Bislang hatten die Verfolger sie noch nicht eingeholt. Sie lief bis zur Tür auf der äußeren linken Seite und stieß fest dagegen. Die Tür gab ein trotziges Knarren von sich, rührte sich aber nicht.
„Und was jetzt?“, fragte ein Mädchen verzweifelt.
„Charlie! Ich brauche dich“, rief Milly nach hinten. Im Nu war er neben ihr. Gemeinsam warfen sie sich gegen die Tür. Diese gab mit einem langen S-t-ö-h-n-e-n nach. Die beiden flitzten hindurch und blieben dann stehen, vorübergehend blind in der unerwarteten Finsternis.
Sie waren in einem düsteren Gang, an dessen Ende sich eine geriffelte Glastür befand. Milly spähte hindurch. Hinter der Tür lag ein Raum. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte sie – durch das Glas verzerrt – lange dunkle Tische und regalgesäumte Wände. Der Geruch von Chemikalien drang in ihre Nasen.
„Toll! Kommt mit“, rief Milly. Sie stieß die Tür auf und schickte die Siebtklässler hinein. Am anderen Ende des Ganges flog die Außentür mit einem Knall wieder auf. Achtklässler strömten hindurch. Doch auch sie mussten kurz innehalten, während ihre Augen sich an die Dunkelheit anpassten.
Milly sah sich in dem hinteren Raum um. An einer Seite waren Skelette aufgereiht, der Größe nach, angefangen von einer zierlichen Fledermaus bis hin zu einem kräftigen Rhinozeros.
Entlang der Rückwand standen Chemikaliengläser. Die meisten davon waren grün oder blau oder braun, aber auf dem obersten Regal drängten sich schwarze Flaschen mit roten, grinsenden Totenschädeln, die in das Glas geprägt waren. Millys Blick glitt über sie hinweg bis zu einem Poster. Kennt ihr das? „Schlafenszeit“, „Ab ins Bett“? – Schluss damit! Betäubt Eure Eltern!
Sie zog eine Augenbraue hoch.
Neben dem Plakat hingen gelbe Schutzanzüge an den Haken wie eine Armee schlafender Außerirdischer. Wieder wanderte Millys Blick weiter. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte – auf einem hohen Regal, in einer Ecke dichtgedrängt, lagerte eine Handvoll Sprühdosen. Sie lief hinüber und stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Etiketten zu lesen. „Charlie, komm her! Ich bin zu klein. Lies vor, was da draufsteht.“
Charlie hörte, dass ihre Verfolger durch die Labortür stürmten, räusperte sich und fragte lächelnd: „Und woran ist Ihr letzter Sklave gestorben, Miss Dillane?“
Dann griff er nach der ersten Dose. „Diese hier enthält Blitzeis-Spray. Nur für die Verwendung im Freien geeignet“, las er vor. „Wir könnten wegrennen und alles hinter uns in eine Rutschbahn verwandeln.“
Milly schüttelte den Kopf. „Zu gefährlich. Es könnten auch welche von uns ausrutschen. Gibt’s noch was anderes? Schnell!“
Er ließ die Dose fallen und griff nach der nächsten. „Kunstblut. Sprühen Sie es auf verletzungsfreie Stellen und stöhnen Sie laut.“ Er warf sie beiseite und schnappte sich eine andere. „Kurzzeit-Lähmungsgas. Nur bei Ahnungslosen anwenden und ausschließlich während krimineller Unternehmungen. Nach dem Sprühen nicht vergessen, dreißig Sekunden die Luft anzuhalten.“
Milly riss die Faust hoch. „Das ist es! Gib her.“ Sie schüttelte die Sprühdose. „So ein Mist! Sie ist halb leer. Sind da noch mehr?“
„Eine ist noch da, die genauso aussieht.“
„Super, gib her!“
„Aber das Etikett ist ab“, gab Charlie zu bedenken. „Das könnte alles Mögliche sein.“
„Ach Quatsch, das wird schon richtig sein. Alle mal herhören, haltet die Luft an. Bleibt zusammen. Ihr atmet erst wieder, wenn wir draußen sind, o.?k.?“
Milly zielte mit der etikettlosen Sprühdose auf die heranstürmenden Achtklässler. Sie trat einen Schritt zurück und drückte auf die Düse. Eine zischende violette Wolke hüllte die Angreifer ein. Für einen Moment herrschte Stille. Dann, erkannten Milly und Charlie mit Schrecken, fing die Räuberbande an zu lachen. Die Achtklässler wieherten und johlten. Sie konnten nicht mehr. Sie klammerten sich an Tische oder aneinander, um nicht zusammenzubrechen.
„Lachgas! Das wird sie nicht lange aufhalten.“ Milly warf die Dose beiseite, schnappte sich die andere, schüttelte sie kurz und sprühte die gackernden Achtklässler auch noch mit gelbem Dampf ein. Sofort erstarrten die Verfolger mitten in ihrem Gelächter, die Gesichter zu komischen Grimassen verzerrt. Es war ein verrückter Anblick – als seien sie in einen Dornröschenschlaf gefallen.
„Ich wünschte, wir hätten Zeit, ein paar Fotos zu machen, um sie auf Gangstagram zu posten“, keuchte Milly, als sie sich wieder traute, zu atmen, „aber wir brauchen frische Luft.“ Sie trieb die hustenden Siebtklässler, denen die Tränen in den Augen standen, hinaus in den Sonnenschein.
„Das war toll, Milly.“ Charlie stand vornübergebeugt, die Hände auf den Knien, und sog hastig die Luft ein. „Aber woher hast du gewusst, wo das wissenschaftliche Labor ist? Du bist doch genau so neu hier wie wir alle.“
Milly zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich habe ich mir als Einzige heute Morgen im Leitfaden die Karte der Schule angesehen. Das hier ist Blaggard’s. Hier passieren komische Dinge. Ich dachte mir, darauf muss man vorbereitet sein.“ Sie sah ihn lächelnd an.
In diesem Moment kehrte Miss Martinet zurück. Charlie hätte erwartet, dass sie schockiert darüber war, wie zerzaust und erschöpft die neuen Blaggardianer auf einmal aussahen. Aber sie warf ihnen nur einen wissenden Blick zu.
„Soso. Ihr habt also die Achtklässler getroffen. Und offenbar habt ihr sie abgewehrt. Gut gemacht. Eure weniger erfolgreichen Klassenkameraden dürften inzwischen freigelassen worden sein. Sie werden am Haupteingang auf uns warten.“ Sie schob die Schüler weiter vor sich her.
„Ach übrigens. Kommt bitte nicht auf die Idee, euch zu rächen“, warnte sie. „In Blaggard’s herrscht ein strenger Ehrenkodex. Wir tolerieren den Streich der Achtklässler, weil er eine jahrhundertealte Tradition ist, aber das ist auch schon alles. Es sind ab-so-lut keine anderen kriminellen Aktivitäten gegen Mitschüler gestattet.“ Sie funkelte die Siebtklässler mit ihrem stählernen Blick an. „Verstanden?“
Alle nickten eifrig, jedenfalls die, die bereits wieder die Kraft dazu hatten.
„Gut. Und jetzt folgt mir“, schnurrte sie katzenhaft.
„In Kate Wisemans ungewöhnlicher Geschichte lauten die Regeln anders. Milly und Charlie geraten von einer merkwürdigen Situation in die nächste, was die Erzählung schön vorantreibt. Wisemans Metaphern sind anschaulich und treffend, ihre Ausdrucksweise präzise und flink.“
„Kate Wiseman hat eine ungewöhnliche Geschichte kreiert und eine eigene Welt erschaffen, in der die Regeln anders lauten.“
„Eine tolle, spritzige, unterhaltsame Geschichte!“
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