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Gebrauchsanweisung für die Türkei

Gebrauchsanweisung für die Türkei - eBook-Ausgabe

Iris Alanyali
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„Hilfreicher Leitfaden und persönlich gefärbte Anekdotensammlung zugleich, findet das Buch die richtigen Worte für eine Verständigung zwischen Türke und Tourist.“ - Berliner Morgenpost

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Gebrauchsanweisung für die Türkei — Inhalt

Sie wollen in Izmir einen Teppich kaufen? Oder einen Döner? Sie kennen das Wunderwort „ayip“ nicht? Dann sollten Sie diese Gebrauchsanweisung lesen: Sie verrät Ihnen nicht nur die Feinheiten türkischer Umgangsformen, sondern auch einiges über die Schamgrenzen im Hamam oder weshalb Mustafa Kemal Atatürks Konterfei dem Besucher aus jeder Fischbude entgegenlächelt. Iris Alanyali weiß, was ihre Landsleute umtreibt – sie berichtet von türkischen Hochzeiten und wundersam wirkendem Honig, von verträumten Buchten an der Schwarzmeerküste und dem Sündenpfuhl von Antalya. Von Istanbul, der Schönen, und Izmir, der Hässlichen. Von dem langen Weg nach Europa und den Protesten im Gezi-Park. Und von Großmüttern, die am Bosporus nach wie vor das Sagen haben.

€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 13.04.2015
224 Seiten
EAN 978-3-492-96917-8
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Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung für die Türkei“

Darf ich vorstellen : meine türkische Oma

Eigentlich bin ich sehr untürkisch. In meiner Wohnung stehen nicht auf jedem freien Quadratzentimeter, auf Lautsprechern, Nachttischen und Kommoden, Familienfotos. Aber ein Schwarz-Weiß-Bild gibt es, das hängt über meinem Schreibtisch und ist mir heilig. Es ist über vierzig Jahre alt und hat diesen Braunstich, der die Gedanken in längst vergangene Zeiten schweifen lässt, eine Patina, die Geschichten erzählt, die von Hoffnung handeln, von Abenteuerlust und von Fernweh. Das Foto zeigt einen Balkon in Istanbul.

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Darf ich vorstellen : meine türkische Oma

Eigentlich bin ich sehr untürkisch. In meiner Wohnung stehen nicht auf jedem freien Quadratzentimeter, auf Lautsprechern, Nachttischen und Kommoden, Familienfotos. Aber ein Schwarz-Weiß-Bild gibt es, das hängt über meinem Schreibtisch und ist mir heilig. Es ist über vierzig Jahre alt und hat diesen Braunstich, der die Gedanken in längst vergangene Zeiten schweifen lässt, eine Patina, die Geschichten erzählt, die von Hoffnung handeln, von Abenteuerlust und von Fernweh. Das Foto zeigt einen Balkon in Istanbul.

Im Hintergrund nur die schweren Äste eines Baums, die ins Leere hängen. Gegenlicht blendet die Welt hinter dem Geländer aus. Vor dem schmiedeeisernen Gitter sitzen sich ein junger Mann und eine ältere Frau gegenüber. Auf dem Tisch zwischen ihnen benutzte Teller. Eine Karaffe, noch halb voll mit Wasser. Ein Stück Brot, ein tulpenförmiges Glas Tee. Der junge Mann lehnt sich leicht nach vorn, sein Arm ruht lässig auf der Tischkante. Das Sakko wirft lockere Falten, die Krawatte sitzt perfekt. Gute Kleidung, sagt der Mann noch heute, ist der halbe Weg zum Erfolg.

Das hat er von seiner Mutter. Kerzengerade sitzt sie ihm gegenüber. Den Teller hat sie beiseitegeschoben, die Unterarme ruhen auf dem Tisch, die Finger sind ineinander verschränkt. Es ist kühl in Istanbul in diesen Tagen, eine leichte Wolljacke liegt über ihren Schultern. Aufmerksam hört sie ihrem Sohn zu. Er ist jetzt zweiundzwanzig, er will seinen Weg machen. Er will nach Europa. Geh, sagt seine Mutter. Gott sei mit dir.

Mein Vater ging nach Deutschland. Dort bin ich geboren und aufgewachsen. Aber wann immer ich kann, besuche ich den Balkon von Istanbul.

Er hat sich verändert. Ein modernes Stahlgeländer hat die gusseisernen Stäbe ersetzt, auch der Baum ist weg. Der Tisch und die Stühle sind inzwischen aus Plastik. Die Aussicht besteht aus einem Park vor und einem Parkplatz unter uns. Es ist wahrscheinlich der hässlichste Balkon Istanbuls, für mich aber der schönste Platz auf der Welt. Auf ihm treffen sich vier Generationen und erzählen die Geschichte meiner Familie.

Und um eines gleich klarzustellen : Außer dem weißen Tuch aus dünnem Tüll, das sich meine Oma zum Beten überwirft, gibt es in dieser Familie kein einziges Kopftuch. Auch habe ich weder acht Geschwister, noch wurde ich bei meiner Geburt zwangsverheiratet. Es handelt sich um eine ziemlich durchschnittliche türkische Mittelstandsfamilie, obwohl meine Oma wahrscheinlich sagen würde : „ Wir stammen aus einer der angesehensten Familien von Izmir, der kultiviertesten Stadt der Türkei. “ Mit der Geburt meiner jüngeren Schwester zog meine Oma mit ihrer Schwester allerdings nach Deutschland. Türkische Omas und Großtanten sehen ihre Hauptaufgabe nämlich darin, ihren einzigen Sohn und ihre liebreizenden Enkelinnen zu verwöhnen. Wogegen weder der einzige Sohn noch die liebreizenden Enkelinnen etwas einzuwenden haben. Die deutsche Schwiegertochter dagegen kann das manchmal in den Wahnsinn treiben.

Meistens bin ich im Sommer in Istanbul, bei meiner Tante. Kaum sitze ich mit einem Buch auf dem Balkon, kommt meine Oma, die mit meiner Großtante gern den ganzen Sommer in der Türkei verbringt, hinterhergeschlurft und reicht mir ein Kissen : „ Al, kızım, nimm, mein Mädchen “, sagt sie, „ erkälte dich nicht. “ Nichts ist für türkische Omas so wichtig wie ein Kissen. Türkischen Omas zufolge kommt das Übel in Gestalt einer Erkältung über die Welt und hat leichtes Spiel mit ungeschützten Blasen. Das Osmanische Reich dürfte wegen schlecht gepolsterter Sättel untergegangen sein, und ich bin mir sicher, meine Oma hätte auch eine einfache Erklärung für den kläglichen Zustand so mancher türkischer Staatspräsidenten.

„ Was ist nur aus der Türkei geworden “, sagt meine Großtante, die mit der Hürriyet in der Hand als Nächste den Balkon betritt. Am meisten interessieren sie in dem Boulevardblatt die Affären türkischer Filmstars, aber wegen ihrer Vergangenheit als Sekretärin in Atatürks Volkspartei fühlt sie sich zu politischen Kommentaren verpflichtet, besonders wenn wieder einmal von kopftuchtragenden Studentinnen berichtet wird. „ Der Schnitt meiner Kostüme damals kam direkt aus Paris … “, hebt sie an. „ Jetzt kommt Bette Davis “, murmelt meine Oma und rollt mit den Augen. „ … wie die junge Bette Davis sah ich aus ! “, fährt meine Großtante fort. „ Du glaubst gar nicht, wie viele Ärzte und Offiziere um meine Hand angehalten haben ! “

Türkischen Großtanten geht nichts über einen doktor oder subay. Eine Uniform ist fast noch besser als ein Kissen. Aber meine Großtante hat nie geheiratet. Das Schicksal ihrer älteren Schwester habe sie davon abgehalten, sagt sie. Denn meine Oma ist eine Geschiedene. Sie muss eine ungewöhnliche Frau gewesen sein. Denn sie wollte nie heiraten, sie wollte studieren. Irgendetwas mit Sprachen. Ihre älteren Brüder haben es nicht erlaubt. Sie wollte auch schwimmen lernen. Im Stadtbad gucken die Männer durch die Löcher im Zaun, haben die Brüder gesagt. Die mussten es ja wissen. Die Eltern haben dann einen Schwiegersohn ausgesucht. Aus guter Familie. Er war bereits einmal verheiratet und brachte zwei Kinder mit in die Ehe. Meine Oma hat es nicht lange mit ihm ausgehalten. Sie nahm ihren Sohn zurück in ihr Elternhaus, und mein Vater wuchs mit seiner Großmutter, Großtante, Mutter, Tante und ihren 17 Katzen auf. „ Ein Wunder, dass ich nicht schwul geworden bin “, sagt er heute. Dann kichert meine Oma und schüttelt den Kopf. „ Allah korusun ! “, ruft sie, „ Gott behüte ! “

Denn ein Mann im Haus ist türkischen Frauen wichtig. Sozusagen als Exekutive. Die heimliche Legislative bilden jene, die die Erziehung in der Hand halten. Das war schon unter den Oghusen so, wie anatolische Mythen erzählen, das bestätigen im 15. Jahrhundert arabische Reisende, die in ihren Briefen die stolzen Nomadinnen Anatoliens entsetzt mit ihren braven Frauen zu Hause verglichen, und das fand seinen berühmtesten Ausdruck im Osmanischen Reich, das über Jahrzehnte von der jeweiligen Sultansmutter aus dem Harem des Topkapı-Palastes heraus regiert wurde. Was ist das vordergründige Familienoberhaupt auch anderes als der Sohn seiner Mutter ?

Und die höchste moralische Instanz ist die Oma. Denn nichts wird in der Türkei so respektiert wie das Alter. Wer älter ist als man selbst, hat potenziell mehr erlebt, gesehen und gefühlt. Dafür verdient er prinzipiell mehr Achtung. Das fängt schon bei kleinen Geschwistern an, die niemals gleichberechtigt erzogen werden. Der oder die Ältere hat immer mehr Rechte, muss aber auch entsprechend mehr Verantwortung tragen. Ein wohlaustariertes Autoritätsgefüge macht die türkische Familie zu einem der stabilsten sozialen Netze, das man sich vorstellen kann. Ein Türke kann noch so modern und längst ausgezogen sein und die Freuden des Individualismus in vollen Zügen genießen – letztlich bleiben persönliche Angelegenheiten zeit seines Lebens ein Fall für den Familienrat, und gegen dessen Ansichten wird, wenn überhaupt, nur mit Gewissensbissen verstoßen. Und dann muss er damit leben, dass Eltern oder Großeltern oder beide bis in alle Ewigkeit keine Gelegenheit auslassen werden, die eigenmächtige Entscheidung mit einem vorwurfsvollen „ Alllahallahallah ! “ ( „ Achgottachgottachgott “ ) zu kommentieren.

Wie wichtig die verwandtschaftlichen Beziehungen sind, zeigt schon die Tatsache, dass es für türkische Familienmitglieder ganz genaue Bezeichnungen gibt – ganz so, wie Eskimos die verschiedenen Schneesorten durch Dutzende Worte auseinanderzuhalten wissen. Meine Oma zum Beispiel ist meine babaanne, weil es sich um die Mutter meines Vaters handelt : Baba heißt Vater, anne ist die Mutter. Babaanne also bedeutet „ Vatermutter “. Wäre sie meine Großmutter mütterlicherseits, hieße sie anneanne. Der Großvater hingegen ist einfach der dede. Wahrscheinlich ist er einfach zu unbedeutend für genauere Spezifikationen, steht der Mann doch spätestens ab dem Moment, da er nicht mehr für das Familieneinkommen sorgt, vollkommen unter der Fuchtel seiner Frau.

Mangels Opa bekleidet in unserer Familie der Mann meiner Tante diese Rolle. Mit einem Zigarillo im Mundwinkel und zwei Kissen unterm Arm ist er uns auf den Balkon gefolgt. „ Al, kızım, nimm, mein Mädchen “, sagt er und gibt mir eines davon. Meine Oma wedelt mit den Armen den Rauch von sich und sagt : „ öfföfföff “, was so viel heißt wie „ igittigitt “.

Mein Onkel rückt näher ans Geländer und sieht in den Park. Früher spielten auf dem Brachland kurdische Jungs Fußball, heute joggen moderne Türkinnen paarweise durch eine gepflegte Grünanlage. Mein Onkel hat sich noch nicht an die Joggerinnen gewöhnt. Er ist fast achtzig, meine Tante wurde mit einem zwanzig Jahre älteren Mann verheiratet. Vor vielen Jahren habe ich ihn dabei erwischt, wie er sich heimlich das Spätprogramm im türkischen Fernsehen ansah : leicht bekleidete Damen zu flotter Musik hüpfend – es war eine deutsche Aerobic-Sendung, wie sie in den Achtzigern bei uns zur Frühgymnastik lief. Inzwischen bringen Satelliten auch nackte Busen in die Türkei. Nackte Busen findet meine Oma ungefähr genauso schlimm wie Kopftücher. Gläubig ist man im Herzen, sagt sie : „ Dieses Landvolk ruiniert unseren Ruf. “ Meine Großtante erwähnt ihr Kostüm aus Paris. Keinen deutschen Stammtisch habe ich jemals hochnäsiger über die armen einfachen Anatolier urteilen hören als meine Oma und Großtante.

Die kurdischen Jungs aus dem Park sind älter geworden. Jetzt verkaufen sie Obst und Gemüse auf dem Markt, der zweimal pro Woche die Autos vom Parkplatz unter uns verdrängt. Alle Türkinnen im Viertel kaufen am liebsten bei den Kurden, die haben die beste Ware. „ Komm, abla, solche Pfirsiche hast du noch nie gesehen ! “, ruft ein Bauer einer Hausfrau zu. „ Aber nur, wenn die abla Pfirsiche auf den Augen hat “, sagt meine Großtante und lugt mit kritischem Blick durchs Geländer. Abla ist eigentlich die Bezeichnung für „ ältere Schwester “, aber auch die respektvoll-freundliche Anrede für eine ältere Freundin und alle Türkinnen, denen man etwas verkaufen will. Die männliche Entsprechung ist abi, „ älterer Bruder “. Haben die Angesprochenen ein gewisses Alter überschritten, verwendet man teyze und amca, Tante und Onkel, um Kunden zu zeigen, dass man sie so gern hat, dass man sie am liebsten in die Familie aufnehmen würde. Lassen sich Geschäfte doch unter Verwandten gleich viel entspannter regeln.

Meine Großtante aber ist eine besonders schwierige teyze, gefürchtet bei allen Händlern. Stunden können vergehen, bis aus einwandfreien Pfirsichen perfekte Pfirsiche ausgewählt worden sind. Das Reich meiner Großtante, die klein und inzwischen anders als Bette Davis fast so breit ist wie hoch, ist die Küche. Ihre Kochkünste wusste schon halb Izmir zu schätzen, aber ihre Reinlichkeitsneurose bringt die ganze Familie auf die Palme. Denn meine Großtante isst nichts, was nicht ordentlich durchgekocht oder von ihren eigenen Händen geputzt wurde. Die Hände sind rissig vom vielen Waschen, und für die Zähne benutzt sie zusätzlich Seife, weil sie Zahnpasta allein nicht traut.

Da kommt meine älteste Cousine mit dem Tee auf den Balkon. Sie ist eigentlich gar nicht meine richtige Cousine. Meine Tante hat sie zu sich genommen, als sie noch das kleine Mädchen einer ärmeren Großfamilie war. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts war das üblich, eine Art inoffizieller Adoption, die beiden Seiten half : Wohlhabendere Stadttürken übernahmen den Unterhalt und die Ausbildung eines Kindes und bekamen dafür eine langjährige Haushaltshilfe, und die leibliche Familie auf dem Land hatte ein Maul weniger zu stopfen. Meine Adoptivcousine allerdings ist irgendwie bei meiner Tante hängen geblieben, es gab da wohl ein paar unglückliche Liebesgeschichten, nach denen sie immer wieder in den tröstenden Schoß ihrer Wahlfamilie zurückkehrte.

Jetzt macht sie mit zwei Kannen die Runde. In der größeren ist das heiße Wasser, die kleinere enthält schwarzen Teesud. Das Geheimnis liegt im individuellen Mischverhältnis, mit dem der Tee in den Gläsern landet, und jeder möchte seinen unterschiedlich „ hell “ oder „ dunkel “. Chinas Zeremonien sind nichts gegen die komplizierte Logistik, die der Nachmittagstee einer türkischen Familie erfordert.

Ich bekomme meinen Tee als Letzte. Wahrscheinlich kann ich froh sein, dass ich überhaupt welchen bekomme. Meine jüngere Schwester hat sich nämlich inzwischen zu uns gesetzt. Und sie hat vor Kurzem geheiratet. Seitdem bin ich keineswegs mehr die ehrwürdige ältere abla. Seitdem bin ich ein Nichts. Meine jüngere Schwester bekommt am Tisch plötzlich als Erste serviert – noch vor meinem Vater, dem Abenteurer, dem Augenstern, dem weit gereisten Helden der gesamten Verwandtschaft ! Meine Schwester bekommt mindestens fünf Kissen, meine Schwester bekommt hier ein Geschenk und da einen Talisman – und ich muss mir dumme Fragen anhören : „ Naaaa, können wir bei dir auch noch hoffen ? “

Nach türkischer Ansicht ist das oberste Ziel jeder Frau nämlich die Heirat. Moderne Türkinnen studieren, sie suchen sich eine Arbeit und stehen auf eigenen Beinen. Sie sind sehr schick und sehr gepflegt und sehr schlank. Aber Türkinnen tun das alles keineswegs „ für sich selbst “. Selbst wenn mittlerweile auch türkische Frauenmagazine diese Parole ausgeben : Über solch fundamentalfeministische Albernheiten pflegt die selbstbewusste Türkin nur den Kopf zu schütteln. Sämtliche attraktivitätssteigernde Maßnahmen, die sie ergreift, haben nur einen Zweck : einen Ehemann anzulocken. Erst mit dem Ja-Wort nämlich kann sich der weibliche Körper entspannen.

Wenn der Mann es sich leisten kann, verzichten türkische Frauen nach der Heirat auch ganz selbstverständlich aufs Arbeiten. Das hat dann weniger mit dem männlichen Ehrenkodex zu tun, dem zufolge man seine Frau nicht arbeiten gehen lässt, weil das nur hieße, dass man nicht alleine für die Familie sorgen kann. Das hat vielmehr den Grund, dass die Ehefrau dann umso mehr Zeit fürs Shoppen, den Kaffeeklatsch mit den Freundinnen und das schicke neue Fitnesscenter hat ( das spätestens nach dem dritten Besuch auf den Wellnessfaktor reduziert wird ). Und in dem Moment, wo sie mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft vom Arzt kommt, setzt sie sich ganz vorsichtig aufs Sofa und ist fortan eine besonders zarte und zerbrechliche Orchidee, die mit äußerster Hingabe umsorgt werden will. Ganz besonders vom Ehemann.

So in etwa sieht die Zukunft meiner Schwester aus, die sämtliche Tanten und Cousinen gerade vor ihrem erfahrenen Auge abspulen lassen. Zumal meine Schwester auch noch einen deutschen und damit verweichlichten Mann hat, was die Machtübernahme bedeutend einfacher macht.

Ich hingegen bin auf dem besten Weg, zum Schreckensgespenst einer unverheirateten baldız zu werden. Was in Deutschland die Schwiegermutter, ist in der Türkei nämlich die unverheiratete Schwägerin. Insbesondere auf dem Land, wo ein junges Ehepaar nicht unbedingt seinen eigenen Haushalt gründet, lässt sie ihren ganzen Frust an den frisch vermählten Mitbewohnern aus. Baldız çuvaldız heißt es dort, und görümce örünce : Görümce ist die Schwester des Ehemannes, baldız die der Ehefrau. Die baldız stichelt wie eine grobe Nadel, die görümce spinnt ihre intriganten Netze wie eine Spinne.

Zum Glück habe ich einen Trumpf im Ärmel : Ich bin nämlich nicht nur liiert. Ich bin mit einem Amerikaner liiert. Und schon glimmt ein Leuchten auf in sämtlichen Augen auf dem Balkon : Unser eigener Amerikaner ! Ein potenzielles Familienmitglied im Gelobten Land ! Scharen meiner jetzigen und künftigen Großcousins und Großcousinen werden in Gedanken bereits über den Großen Teich geschickt. Denn jeder westlich orientierte Türke, der es sich finanziell leisten kann, sorgt dafür, dass eine Ausbildung im Ausland dem Nachwuchs den Weg in eine glorreiche Zukunft ebnet. Und die liegt bei aller Heimatliebe prinzipiell im Westen. Weshalb man übrigens in türkischen Großstädten oder an der Küste keine Angst vor einem eventuellen Arztbesuch haben muss : Viele habe ihre Ausbildung in den USA absolviert und sind mit den immer neuesten Geräten besser ausgestattet als so mancher Hausarzt im Heimatland.

Meine hala, die Schwester meines Vaters, betritt den Balkon. Sie ist wie immer auf 180 wegen des Verkehrs, der sie fast zwei Stunden auf der Bosporus-Brücke festgehalten hat, und fängt als mittlerweile echte Istanbulerin sofort an, über die Stadt zu schimpfen. Der Verkehr, der Dreck, die Menschenmassen. Als sie sieht, dass wir Tee trinken, eilt sie in die Küche, um sich eine „ richtige Tasse “ zu holen. Der Rest trinkt wie ich aus den tulpenförmigen Gläschen. Anerkennend wird bemerkt, dass ich meinen Tee dunkler trinke als im letzten Sommer : „ Aus dir machen wir noch eine richtige Türkin ! “ Dabei habe ich nur endlich begriffen, dass der starke Tee nichts als ein Vorwand für möglichst viel Zucker ist.

Meine Großtante hat poaça gebacken, mit Schafskäse gefüllte Halbmonde aus Hefeteig, die auf den Steinfußboden krümeln. Während winzige silberne Löffel in unseren Gläsern klirren, lassen wir unsere Blicke schweifen. Am Balkongeländer der Nachbarin vom Nebenhaus hängen seit Wochen rote Paprika und dunkle Auberginen, aufgefädelt an einem Bindfaden. Herrlich sieht das aus, und mir wird ganz türkisch zumute. „ Nimmt die Gute ihr vertrocknetes Gemüse wohl irgendwann auch wieder rein ? “, fragt meine Tante. „ Wir sind hier doch nicht in einem Gemüseladen in Kreuzberg “, ergänzt mein Onkel weltläufig und blinzelt mir stolz zu. Jetzt kommt die Geschichte, wie er seinen Studienfreund besucht hat, als die Mauer noch stand. Wegen der altmodischen Kamine habe es bei seiner Rundfahrt durch Ostberlin gerochen wie in Istanbul, da habe er sich fast wie zu Hause gefühlt. „ Öfföfföff “, sagt meine Oma. Nur der Kommunismus ist für türkische Omas noch schlimmer als ungepolsterte Stühle.

Da fängt es in der Luft an zu knacken. Die Lautsprecher Dutzender Moscheen rufen zum Gebet. Meine Oma murmelt eine kurze Formel. Sie ist längst zu alt, um niederzuknien. Aber ich erinnere mich gut an ihren Gebetsteppich aus gesteppter grüner Seide. Fünfmal täglich holte sie ihn hervor und neigte sich im Wohnzimmer gen Mekka. Das graue Haar, zum Knoten gebunden, schimmerte als dunkler Schatten unter einem weißen Tuch hervor. Ihre Augen blickten ins Irgendwo, und ihre Arme hatte sie leicht ausgebreitet, mit den geöffneten Handflächen nach oben, als seien unsichtbare Reichtümer von dort zu erwarten und bräuchten nur aufgefangen zu werden wie Sterntaler. Ihre Lippen bewegten sich kaum, aber ein leises Murmeln war zu hören. Manchmal nickte sie ganz leicht mit dem Kopf oder drehte ihn nach rechts und nach links und nach rechts und nach links. Das muss mit den fliegenden Teppichen aus den Märchen aus 1001 Nacht gemeint sein, dachte ich als Kind immer : Dieser hier schien meine Oma weit, weit fortzutragen, und wenn sie zurückkam, sah sie glücklich und zufrieden aus und irgendwie weiser.

Später, als sie zu alt zum Niederknien war, setzte sie sich zum Beten auf ein sauberes Tuch auf die Sofakante, was entschieden weniger geheimnisvoll aussah. Weshalb meine Schwester und ich um sie herumhüpften und Grimassen zogen, um sie abzulenken wie die Wachsoldaten vor dem Dolmabahçe-Palast in Istanbul. Dann versuchte sie, ernst zu bleiben und böse zu gucken, und rief „ günah ! “, „ das ist eine Sünde ! “, aber meistens musste sie lachen und schüttelte nur den Kopf und fügte ein paar Extragebete hinzu, um bei Gott wieder ein gutes Wort für uns einzulegen.

Zwischen türkischen Omas und Gott besteht traditionell eine enge Beziehung. Schon allein deshalb wären die meisten Türken ohne ihre Oma aufgeschmissen. Und so herrscht auch jetzt eine respektvolle Stille, selbst wenn außer ihr niemand in der Familie mehr regelmäßig betet. Gläubig ist man im Herzen, sagen auch die viel beschäftigten Türken heute. Und die faulen. Meine Großtante überfällt pünktlich fünfmal am Tag ein unerklärliches Ziehen im Rücken. „ Gott hat Verständnis für die Kranken “, seufzt sie dann, legt sich stöhnend aufs Sofa und bittet ihre Schwester, doch für ihre Genesung zu beten.

Auf dem Balkon ist es Abend geworden. „ Wie kühl es mitten im Sommer schon wieder wird “, kommentiert meine Großmutter die 25 Grad. Einer nach dem anderen steht auf. Mein Onkel sieht sich im Fernsehen die Nachrichten an, meine Großtante scheppert in der Küche schon mit den Pfannen. Die Cousine sammelt die Kissen ein. Meine Oma kommt noch einmal heraus und bringt mir eine Strickjacke. „ Al, kızım “, sagt sie, „ nimm, mein Mädchen. Erkälte dich nicht. “

Dann bin ich allein auf dem Balkon. Jetzt wäre Zeit für das Buch. Zwischen den Seiten liegt mein Lesezeichen : Das Foto hat diesen Braunstich, der die Gedanken in längst vergangene Zeiten schweifen lässt, eine Patina, die Geschichten erzählt, die von einer Hoffnung handeln, von Abenteuerlust und von Fernweh. Das Foto zeigt einen Balkon in Istanbul.


Istanbul – der Traum von einer Stadt

Jede Reise durch die Türkei muss in Istanbul beginnen. Denn Istanbul ist die Seele und das Herz dieses Landes. „ Dersaadet “ wurde die Stadt vor hundert Jahren noch genannt, „ Pforte der Glückseligkeit “. Istanbul ist ein imaginärer Ort, geformt aus den Hoffnungen, Ängsten und Sehnsüchten aller fünfundsiebzig Millionen Türken. Minarette zu Allahs Ehren schmücken diesen Traum, ein Himmel voller Seligkeit wölbt sich schützend über seine Kuppeln und Dächer, und der Bosporus fließt als Glück und Macht verheißender Strom durch ihn hindurch. Die Straßen dieses farbenprächtigen Istanbul sind aus Gold, seine Bäume tragen Blätter aus Onyx, und hinter den roten Schleiern seiner Fenster warten die große Freiheit und die große Lust.

Istanbul ist aber auch eine sehr reale Stadt. Vierzehn Millionen Einwohner sind es offiziell. Menschen leben hier, deren Vorfahren als Nomaden durch die Steppen Anatoliens zogen und die ihr Schritttempo verzweifelt der neuen Zeit anzupassen versuchen. Millionen rastlose Istanbuler, die immer unterwegs sind, unglaublich viel Lärm machen und unglaublich viel Dreck. Vorwärts, vorwärts, vorwärts pocht der Herzschlag dieser Stadt, lass mich durch, lass mich durch, lass mich durch, zischen ihre Bewohner. Sogar die Wolken scheinen es hier immer eilig zu haben, und wenn der Wind sie über die Häuser jagt, versetzt das schnelle Wechselspiel von Licht und Schatten auch ehrwürdige Moscheen und Paläste in Unruhe. Die Wellen des Bosporus funkeln und klatschen aufgeregt gegen die Fähren, und die stinkenden Schiffe antworten mit herrischem Tuten. Zwischen Europa und Asien ziehen sie ihre Bahnen und scheren sich einen Dreck um das Klischee von den zwei Welten, die sie angeblich verbinden. Als sei die Sache so einfach : Herzlich willkommen an Bord, rechter Hand sehen Sie den Orient, links den Okzident.

Vom Wasser aus ist Istanbul tatsächlich am schönsten. Aber der Willkommensgruß an Bord müsste lauten : Lehnen Sie sich zurück, solange Sie es können. Nutzen Sie die seltene Möglichkeit, die Einheimischen beim ruhigen Sitzen, Dösen und Lesen zu betrachten. Genießen Sie den Tee, den der arbeitslose Fischer mit dem grauen Stoppelbart Ihnen für ein paar Cent anbietet. Bewundern Sie die berühmte Silhouette der aufregendsten Stadt der Welt. Denn in dem Moment, in dem Sie die Fähre verlassen, tauchen Sie ein in ein gewaltiges Energiefeld, das an Ihnen genauso zerren wird wie an jedem Istanbuler. An jeder Straßenecke ringen hier Tradition und Moderne miteinander. Manager suchen ihren Weg zwischen verschiedenen Werten und Welten ebenso wie Handwerker, Mütter genauso wie Lehrerinnen. Köche und Künstler probieren eine Fusion, Vorbeter und Volksvertreter forcieren die Spaltung. Das brodelnde Istanbul ist die Oberfläche eines heftigen Kampfes, den sich Orient und Okzident in diesem Land liefern.

Es ist ein Kampf, der die Faszination Istanbuls ausmacht, der aber auch an der Stadt zehrt. Ihre tausendjährige Geschichte kämpft verzweifelt gegen die Menschenmassen, und während die Geschichte mit jedem Jahr älter und blasser wird, werden die Menschen immer mehr und immer aggressiver. Sie stecken nachts die osmanischen Holzhäuser in Brand, damit sie am nächsten Tag moderne Villen bauen können. Sie hauen Betonschneisen durch die alten Viertel, und sie ziehen Betontürme in die Höhe. 1914 hatte die Stadt 900 000 Einwohner, 1950 waren es eine Million. 1980 lautete die offizielle Zahl knapp fünf, im Jahr 2000 schon knapp neun Millionen.

Auch wenn es nicht so aussieht : Die meisten davon bekommt der Istanbul-Besucher nicht zu Gesicht. Es sei denn, er hat in Sultanahmet, irgendwo zwischen Großem Basar, Hagia Sophia und Blauer Moschee ein dolmuş bestiegen, ein Sammeltaxi, und vergessen, rechtzeitig auszusteigen. Dann landet er auf dem Dorf. Vielleicht in einem vergleichsweise beschaulichen Viertel hinter der alten Stadtmauer, mit einstöckigen Häusern, einem Krämerladen neben dem anderen und fliegenden Händlern dazwischen. Vielleicht fährt er aber noch weiter und fährt in ein Istanbul, das längst nicht mehr auf seinem Stadtplan liegt. Slums würde man in anderen Ländern dazu sagen, gecekondus heißen sie hier, „ über Nacht Eingenistete “. Weil man nach altem islamischen Recht niemandem „ das Dach über dem Kopf “ wegnehmen darf und die Behörden es nicht wagen, dieser Tradition die modernen Baugesetze entgegenzuhalten, werden die mithilfe von Familie und Nachbarn unauffällig vorbereiteten und dann blitzschnell über Nacht errichteten Häuser nicht abgerissen.

Kann es daheim am Schwarzen Meer oder in Mittel­anatolien so furchtbar gewesen sein, dass die Familie sich eines Tages mitsamt dem kostbaren Schaf oder einzigen Esel auf den Weg machte, um jetzt hier zwischen Holzverschlägen, Wellblechhütten und Zelten aus Zeitungspapier zu leben ? Bis wieder einmal Wahlen anstehen und irgendeine Partei Strom- und Wasserleitungen legen lässt ? Oder war einfach die Hoffnung so übermächtig, irgendwann hineinschlüpfen zu können, wenn man nur dicht genug dran ist an Istanbul, war der Glaube so stark, sich mit tausend anderen durchquetschen zu können, wenn sich die Pforte der Glückseligkeit einen Spaltbreit öffnet ?

Dabei wird sie so gut bewacht. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist gewaltig, und wie in jeder Metropole gibt es auch in Istanbul das andere Extrem, das der durchschnittliche Besucher ebenfalls nicht zu Gesicht bekommen wird. Weil er sich zum Beispiel die Nachtclubs am Bosporus mit Hubschrauberlandeplatz und Jachtanlegestelle für türkische Banker, russische Millionäre und amerikanische Filmstars gar nicht leisten kann. Auch die wohlhabenden Nachbarn solcher Etablissements besuchen sie selten. Aber gerne laden sie sich Freunde und Verwandte auf die Terrasse ein, wenn nebenan wieder einmal ein türkischer Superstar in privater Atmosphäre ein Open-Air-Galakonzert gibt und bis ein Uhr nachts das ganze Viertel beschallt. Da sitzen dann die Reichen und Schönen des Wohnviertels bei einem Glas Whiskey oder Campari auf den Balkonen und summen verzückt mit. Auf die Idee, sich zu beschweren, kommt hier ebenso wenig jemand, wie sich in ärmeren Vierteln Nachbarn über eine türkische Hochzeit aufregen würden. Vor zwölf gehen sowieso die wenigsten ins Bett, und so bekommt man mal eine andere Abendunterhaltung als das gewohnte Fernsehprogramm.

Iris Alanyali

Über Iris Alanyali

Biografie

Iris Alanyali, in Sindelfingen geboren, bereist die Türkei, seit sie ein halbes Jahr alt ist und ihr Vater sie den nassen Küssen der Verwandtschaft aussetzte. Sie arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin und pendelt zwischen Berlin und Pennsylvania, wo sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen...

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