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Gebrauchsanweisung für Franken Gebrauchsanweisung für Franken - eBook-Ausgabe

Ewald Arenz
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— Der fränkische Bestsellerautor über Seele und Charakter, Tradition und Gegenwart seiner Heimat
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Gebrauchsanweisung für Franken — Inhalt

Der fränkische Bestsellerautor über seine Heimat

Franken, die lässige Schönheit: Der Bestsellerautor Ewald Arenz ist in Nürnberg geboren, aufgewachsen in einem steingedeckten Jurahaus in Burgsalach und wohnt bei Fürth, das er als die „Stadt im Schatten“ besonders würdigt. In seiner Erkundungsreise, ausgehend von der Mitte in Nürnberg, schwärmt der Autor von „Alte Sorten“ und „Der große Sommer“ in alle Richtungen aus und zeichnet das stimmungsvolle und differenzierte Porträt seiner Heimat – zwischen pittoresken Städtchen, barocken Baudenkmälern, Kletterparadiesen und Seenlandschaft. Ewald Arenz beschäftigt sich mit dem spannungsreichen historischen Erbe, mit der kulinarischen Tradition, mit Wein- und Bierspezialitäten. Und mit den sprachlichen Feinheiten eines Dialekts, dessen Konsonanten weicher als anderswo sind. 

„Autor Ewald Arenz weiß zu verführen!“ Freundin

Wandernd oder mit dem Rad erlebt der Autor das Glück, durch Franken zu reisen, nimmt uns mit zu Kirchweihen und Festivals, geschichtlich bedeutsamen Stationen, übersehenen Kleinoden und persönlichen Lieblingsplätzen ... Wer Ewald Arenz’ Romane liebt, wird von seinen fränkischen Entdeckungen begeistert sein.

„Ewald Arenz macht ein bisschen süchtig.“ Angela Wittmann, Brigitte

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erscheint am 27.02.2025
240 Seiten, Flexocover mit Klappen
EAN 978-3-492-27773-0
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Erscheint am 27.02.2025
240 Seiten
EAN 978-3-492-60987-6
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Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung für Franken“

Reden wir über Franken
Zunächst mal muss ich ein Geständnis machen: In den ersten dreißig Jahren meines Lebens wäre ich – obwohl in Nürnberg geboren – niemals auf den Gedanken gekommen, Franken als meine Heimat zu bezeichnen. Meine Mutter kam aus Danzig. War als kleines Mädchen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter geflohen. Zunächst in Flensburg einquartiert, wo es immerhin noch etwas Ostsee gab, dann nach Bayern gezogen, wie so viele, die aus dem Osten kamen. Aber die Heimat hatten meine Urgroßmutter, meine Großmutter und meine Mutter mitgebracht. In [...]

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Reden wir über Franken
Zunächst mal muss ich ein Geständnis machen: In den ersten dreißig Jahren meines Lebens wäre ich – obwohl in Nürnberg geboren – niemals auf den Gedanken gekommen, Franken als meine Heimat zu bezeichnen. Meine Mutter kam aus Danzig. War als kleines Mädchen mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter geflohen. Zunächst in Flensburg einquartiert, wo es immerhin noch etwas Ostsee gab, dann nach Bayern gezogen, wie so viele, die aus dem Osten kamen. Aber die Heimat hatten meine Urgroßmutter, meine Großmutter und meine Mutter mitgebracht. In den für Franken so ungewohnten süß-salzigen Speisen wie Birnen-Bohnen-Eintopf, in den Märchenbüchern, die uns Kindern vorgelesen wurden, und schließlich mit der Sprache. In ihren Herzen und Köpfen war schon eine Heimat, und für eine zweite war kein Platz.
Ich bin in dem kleinen Dorf Burgsalach als protestantischer Pfarrerssohn in einem steingedeckten Jurahaus aufgewachsen. Fränkischer geht es vermutlich nicht, denn eigentlich ist das ein typischer Lebenslauf des 19. Jahrhunderts; viele bekannte Schriftsteller sind aus fränkischen Pfarrhäusern hervorgegangen. Das muss ein Muster sein. Und das steingedeckte Jurahaus ist ebenfalls typisch. Es gibt wenig Lehmgruben, aus denen man Ton für Ziegel gewinnen könnte; deshalb wird dort mit Stein gedeckt. Schwer und kalt, aber sehr pittoresk. Und dann ist dieses Dorf so repräsentativ für Franken – eben keine Weltstadt im Miniformat wie Nürnberg.
Zu Hause sollte ich dort aber nicht sein. Unsere Mutter achtete peinlich genau auf ein leicht nordisch geprägtes Hochdeutsch, und jede Dialektfärbung, die wir Kinder nach Hause brachten, verglühte sofort in dem nicht ausgesprochenen, aber immer spürbaren Hochmut: Wir sind nicht von hier. Wir gehören nach Preußen.
Meiner Sprache nach bin ich auch heute noch kein echter Franke. Als Kind hörte – und verstand ich – staunend Wörter wie „hinterschi“, „Ebbirn“, „Aftermahdi“ und „Sel“. Sprechen konnte ich sie nicht. Was diese Wörter bedeuten, erzähle ich Ihnen später.
Heute ist Franken tatsächlich mein Zuhause. Ganz unbemerkt habe ich es lieb gewonnen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich in den letzten Jahren so viel durch Deutschland gereist bin, dass ich mit jedem Heimkommen mehr gemerkt habe, wie schön dieser Landstrich tatsächlich ist. Und womöglich bin ich deshalb genau der Richtige für eine „Gebrauchsanweisung für Franken“. Weil ich mir meine Heimat erst aneignen musste. Begleiten Sie mich?

Franken ist, wie beinahe jede Region in Mitteleuropa, uraltes Siedlungsgebiet. Ein ordentlicher geschichtlicher Überblick würde deshalb etwa eine halbe Million Jahre vor unserer Zeitrechnung im Nürnberger Land beginnen. In der Nähe von Pommelsbrunn nämlich fanden sich die ältesten Überreste eines Homo erectus in ganz Nordbayern. Wenn man allerdings heute durch die Nürnberger Fußgängerzone geht, gibt es Augenblicke, in denen man nicht annehmen sollte, dass der aufrechte Gang der Franken schon vor fünfhunderttausend Jahren erfunden wurde. Was vielleicht damit zusammenhängt, dass Franken sich nicht nur geografisch und nach Dialekten teilt, sondern auch nach Wein, Bier und Schnaps.
Auf jeden Fall gibt es in Franken kaum einen Quadratmeter Erde, der nicht schon irgendwann einmal umgepflügt wurde. Die Kelten waren hier und wurden nach und nach von den Germanen verdrängt, die wiederum nach und nach von den Römern bedrängt wurden, die ihrerseits im Lauf der Zeit von den Alamannen und den Burgunden zurück nach Rom gedrängt wurden. Sie merken: Historiker lieben das Wortfeld „drängen“. Wer jedoch gar nicht so sehr nach Franken drängte, waren die Franken selbst. Die nahmen das Gebiet eher nebenbei mit, nachdem sie die Alamannen und die Thüringer besiegt hatten. Im gewaltigen Frankenreich war die Region nur ihr östlichstes Siedlungsgebiet.
Auch die Hunnen sind – typisch Hunnen! – mordend und erobernd durchs Land gezogen. Außer dass sie die keltischen Burgen endgültig zerstört haben, ist von ihnen allerdings nicht viel geblieben. Die Slawen haben sich im heutigen Oberfranken niedergelassen, weil dieses Gebiet anscheinend kein anderes frühmittelalterliches Volk haben wollte. Für die Zentralregierung in Bayern ist Oberfranken heute noch ein strukturschwaches Gebiet. Die Slawen haben sich dann – vielleicht aus Resignation wegen des rauen Klimas und der kargen Böden – weitgehend spurlos assimiliert und wurden auch Franken. Womit auch schon sehr viel über das heutige Verhältnis der Franken zu den Bayern gesagt ist.
Überhaupt: Bayern. Ob in Ober-, Mittel- oder Unterfranken: Mit Altbayern wird gefremdelt. München ist den Franken ferner als etwa Berlin. Da unten im Süden – da wohnen die Millionäre an einem der vielen aufdringlich idyllischen Seen, von denen Franken aus angeborener Bescheidenheit kaum welche hat. München ist immer ein bisschen zu schick, zu selbstbewusst, zu reich. In Franken hat es nämlich keinen Starnberger See oder Tegernsee, sondern eine Perlenkette kleiner und kleinster Karpfenteiche im zurückhaltend freundlichen Aischgrund. Die Aisch entspringt etwas westlich von Bad Windsheim und fließt dann durch das dortige Freilandmuseum. Das ist ein ganz großartiger Ort, an dem sich die gesamte dörfliche Architektur Frankens um den Flusslauf herum versammelt. Einer meiner Lieblingsorte.
Es gibt wegen dieser Kleinteiligkeit auch kaum eine Regelung aus der Hauptstadt, die in den drei fränkischen Regierungsbezirken nicht deutlich kritischer aufgenommen würde als in den altbayerischen. Von da unten, heißt es unisono, kann ja nichts Ordentliches kommen.
Zugegeben: In den stolzen Trotz der alten fränkischen Reichsstädte und Bistümer mischt sich immer ein leises Minderwertigkeitsgefühl. Wegen der größeren Seen und der höheren Berge und der tieferen Flüsse im Süden. Und so groß und tief der Hass zwischen den konkurrierenden fränkischen Fußballvereinen auch sein mag – wenn der FC Bayern München in Franken spielt, ist alle Rivalität für einen Tag vergessen, und man möchte ihm beim Verlieren zusehen. Passiert aber nicht oft.


Wie fang ich’s an?
Ich sehe mir die Karte Frankens an und denke: kein Problem. Franken ist kein Subkontinent wie Indien. Wobei man manchmal auch in Franken die Sprache nicht versteht, aber dafür ist es klein – auch wenn es Teile Bayerns, Thüringens, Baden-Württembergs und Hessens umfasst. Von Aschaffenburg im Westen bis Wunsiedel im Osten sind es eben mal zweihundertfünfzig Kilometer, von Meiningen im Norden bis Weißenburg im Süden zweihundert. Natürlich weiß ich, was Sie zu Recht sagen wollen: Meiningen liegt heute in Thüringen, aber historisch ist es eigentlich fränkisch, und so genau kann ich es in dieser Gebrauchsanweisung sowieso nicht nehmen, das erkläre ich Ihnen gleich noch.
Auf jeden Fall ist Franken das richtige Land für Sie, wenn Sie genauso begeistert Rad fahren wie ich. Anders als Indien ist es in ein paar Tagen zu durchqueren; es gibt moderate Anstiege und hie und da auch anspruchsvolle Bergtouren, aber dafür auch viele ebene Radwege am Main oder an der Pegnitz entlang. Pittoresk. Nicht zu groß. Alles „ä weng“ kleiner als andernorts. Und deshalb dachte ich zu Beginn der Arbeit an dieser Gebrauchsanweisung in sträflichem Leichtsinn: kein Problem. Das geht schnell.
Es geht nicht schnell. Während jeder sofort versteht, dass Indien auf knapp zweihundertfünfzig Seiten unmöglich zu erschließen ist, wird bei Franken erwartet, dass es sich in diesem Umfang problemlos erschöpfend beschreiben lässt. Aber das kann ich nicht. Franken ist klein, aber es ist so vielfältig, so voller Geschichte, so voller liebenswerter Dörfchen, Flecken, Städtchen und Städte, dass ich fast kapituliert hätte, bevor ich überhaupt anfing, dieses Buch zu schreiben. Weil ich nichts weiter beschreiben kann als mein Franken. Am Ende wird sehr viel fehlen. Mausgesees und Ochsenschenkel zum Beispiel, zwei sehr hübsche Dörfer ganz in meiner Nähe, werde ich nur der kuriosen Ortsnamen halber erwähnt haben; besuchen dürfen Sie die dann schon selbst, denn ich werde nichts von den Wirtshäusern dort erzählen. Am Ende wird also sehr viel fehlen, aber vielleicht haben Sie Lust bekommen, auch die weißen Flecken zu entdecken, die ich Ihnen in die Karte dieser Gebrauchsanweisung nicht zeichnen werde.

Als gebürtiger Mittelfranke beginne ich auch mit der Mitte. Und als Radfahrer dachte ich, dass doch eine umgekehrte Sternfahrt nicht schlecht wäre. Ausgehend von Nürnberg in der Mitte machen wir gemeinsame Ausflüge in alle Himmelsrichtungen, bis wir bei Wunsiedel und Amorbach und Aschaffenburg und Nördlingen und Weißenburg sind. Diese umgekehrte Sternfahrt bleibt zunächst literarisch. Wenn Sie aber danach Lust zum Radfahren bekommen haben, dann nur zu. Vielleicht sehen wir uns ja mal.
Und jetzt beginnen wir. In der Mitte.


Die Mitte


Nürnberg
Geografisch ist Nürnberg nicht ganz die Mitte Frankens. Das ist Ochsenschenkel. Ja, ich weiß. (Zu den seltsamen fränkischen Ortsnamen kommen wir erst später.) Ochsenschenkel also liegt ein paar Dutzend Kilometer nördlich von Nürnberg in der Erlanger Gegend und wusste selbst lange Zeit nicht, dass es der fränkische Nabel ist. Man darf es auch sofort wieder vergessen, denn der politische, historische, wirtschaftliche und – wie es heute so oft so unscharf heißt – gefühlte Mittelpunkt Frankens ist auf jeden Fall Nürnberg. In diesem Fall wollen wir das „gefühlt“ mal gelten lassen, denn bei der Heimat geht es ja immer auch um all das, was eben keine Fakten sind. Also behaupten wir völlig unscharf: Der Nürnberger Hauptmarkt ist die Mitte Frankens. Und zwar nicht wegen des Schönen Brunnens, sondern weil sich in ganz Franken schwerlich ein Ort finden lässt, der geschichtlich ähnlich spannungsvoll und widersprüchlich aufgeladen ist wie dieser ungefähr viereckige Platz, der heute von den Radlern meist gegen die Straßenverkehrsordnung schräg zwischen allen Ständen und Touristen hindurch gequert wird, weil das die kürzeste Verbindung durch die Altstadt darstellt.
Lange bevor der Hauptmarkt für kurze Zeit Adolf-Hitler-Platz hieß, war er auch schon ein Sumpf. Höchst ungesundes Überschwemmungsgebiet der Pegnitz, die heute nicht weit davon entfernt in ein enges Bett gesperrt gemächlich dahinfließt. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts war das heutige Zentrum der Stadt das Judenviertel. Eine der größten jüdischen Gemeinden im Reich.
In der freien Reichsstadt ging es ausgesprochen eng zu, nachdem man die beiden Nürnberger Siedlungen Lorenz und Sebald zusammengelegt hatte. Deswegen brauchte man Platz für einen neuen Markt in der neu entstandenen Großstadt.
Bis ins Detail lässt sich die Gemengelage der Ursachen für das Judenpogrom 1349 nicht mehr ergründen, aber so viel weiß man doch, dass die Nürnberger Patrizier die Nürnberger Juden in vermeintlicher Gottgefälligkeit aus ihren Hütten holten und sie außerhalb der Stadtmauern im heutigen Stadtpark totschlugen und verbrannten. Das jüdische Ghetto wurde komplett geräumt, fast alle Gebäude abgerissen – ein paar bekam der Nürnberger Patrizier Stromer – und der jüdische Friedhof aufgelassen und geplündert.
Karl IV., den die Touristen noch heute beim Männleinlaufen hoch auf der Frauenkirche jeden Mittag um zwölf Uhr fotografieren, hatte als Schutzherr der Juden im Reich seine Zustimmung zum Pogrom gegeben. Erstaunlich unverhohlen übrigens. In der sogenannten Markturkunde – ein geradezu schamlos harmloser Name – findet man die Genehmigung des Kaisers, das jüdische Ghetto abzureißen. Und die im Voraus ausgestellte Straflosigkeit für den Fall, dass dabei Juden zu Schaden kämen. Es kamen in der Tat fünfhundertsechzig Juden zu Schaden.
Dafür wurde zu Ehren Karls IV. die Frauenkirche an der Stelle der ehemaligen Synagoge errichtet. Die jüdischen Grabsteine nahm man – praktisch, dass sie schon vor Ort waren – als Treppenstufen im neuen Gotteshaus. Heute erinnert ein in den Boden eingelassener Davidstern vor dem Altar an diese Katastrophe des jüdischen Lebens in Franken.
Und es war nicht einmal die erste, muss man ehrlicherweise sagen.

Ach, eigentlich will man all das in einem Buch, das einem Franken näherbringt, gar nicht lesen. Aber es führt eben kein Weg daran vorbei. Wer in Nürnberg lebt oder es besucht, kann nicht über den vermeintlich unschuldigen Christkindlesmarkt bummeln, ohne mit dem Erbe des „Dritten Reiches“ konfrontiert zu werden.
Das „Schatzkästlein des Reiches“, das so wunderbar pittoresk aussehende Inbild einer verquasten Romantik und geschichtsvergessenen Schwärmerei fürs Mittelalter, war eine Hauptstadt der Bewegung, lange bevor die Nazis an die Macht kamen. „Stadt der Reichsparteitage“ nannte sie sich so stolz, wie sie sich heute „Stadt der Menschenrechte“ nennt.
Nürnberg ist die Stadt der „Nürnberger Gesetze“.
Nürnberg ist die Stadt, in der die Synagogen in der „Reichspogromnacht“ schon einen Tag vor allen anderen brannten.
Nürnberg war die „deutscheste aller deutschen Städte“, wie der NS-Bürgermeister Liebel jubelte, als er die Reichskrone und die Insignien des alten deutschen Reiches aus Wien zurück nach Nürnberg holte, wo sie im Mittelalter aufbewahrt worden waren.
Das heutige, ziemlich weltoffene und bunte Franken lässt sich nicht verstehen ohne diese Geschichte. Denn der Nationalsozialismus ist nicht nur mal eben als ungebetener Gast vorbeigekommen und hat alles kaputt geschlagen, bevor er ging. „Den“ Nationalsozialismus gab es ja auch gar nicht. Was es gab, waren nationalsozialistische Nürnberger und Fürther und Erlanger – Franken eben –, die diese nicht nur steinerne, sondern auch moralische Trümmerwüste zu verantworten hatten. Die Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Nürnberger und Fürther und Erlanger. Nicht alle, selbstverständlich. Nürnberg und Fürth waren mal rote Städte gewesen, Fürth in der bayerischen Revolution 1918/19 sogar kurzzeitig eine Räterepublik. Aber es war eben nicht Hitler, der den „jüdischen“ Neptunbrunnen aus der Jahrhundertwende vom Hauptmarkt, dem damaligen Adolf-Hitler-Platz, entfernte. Das waren die Nürnberger schon selbst. Die gute Nachricht ist: Besonders dieses dunkle Kapitel der Geschichte lässt Nürnberg heute freundlicher und heller leuchten. Der Umgang mit dem NS-Erbe ist der Stadt lange Zeit nicht leichtgefallen, und bis heute gibt es hitzige Diskussionen über das Gelände der Reichsparteitage. Denn die Zeppelintribüne, von der Hitler einst die Paraden abnahm, bröckelt schon seit den Siebzigerjahren. Soll sie restauriert werden, um als Mahnmal zugänglich zu bleiben? Soll sie dem Verfall preisgegeben werden, um deutlich zu machen, dass der Nationalsozialismus auf den Abfallhaufen der Geschichte gehört? Die Debatte flammte immer wieder auf; nun ist die Instandsetzung als Lern- und Erfahrungsort geplant (und dafür ein hoher zweistelliger Millionenbetrag veranschlagt).
Andere größenwahnsinnige Architekturversuche dagegen sind durch recht kühne Gegenarchitektur umgewandelt worden. Die gewaltige Kongresshalle zum Beispiel wird heute von einem gläsernen Pfeil durchbohrt, der den Eingang zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände darstellt. Neben dem Besuch des Christkindlesmarkts und der obligatorischen Lebkuchenbäckerei unterhalb der Burg ist das kein schlechter Ort für Touristen, die den Mittelpunkt Frankens besser kennenlernen wollen. Mal abgesehen davon, dass daneben gleich der Dutzendteich liegt, auf dessen flachem Wasser man mit dem Tretboot gondeln, die Kongresshalle von außen betrachten und danach im Schatten der Bäume ein Bier in der Wirtschaft „Wanner“ genießen kann. Einen Jachtclub gibt es dort übrigens auch. Der richtet auf den ganzen zweiunddreißig Hektar Wasserfläche echte Regatten aus. Es ist beruhigend, dass sich der Größenwahn in Franken mittlerweile auf den Sport beschränkt.

So wenig sich die Nürnberger auf ihre NS-Vergangenheit beschränken lassen wollen, so wenig wollen sie auf die berühmten Lebkuchen reduziert werden. Dabei sind die Lebkuchen ein Wirtschaftsfaktor, den kein Kämmerer der Stadt außen vor lassen kann. Es sind ja nicht nur die Gewerbesteuern, die ein gut florierendes Lebzeltengeschäft in die Kassen spült; nein, die Lebkuchen sind ein sogenannter Pull-Faktor der Tourismusbranche. Und Nürnberg lebt zu einem guten Teil vom Tourismus. Um die zwei Milliarden Euro fließen so jährlich in die Stadt hinein. Da aber ein nicht unbeträchtlicher Teil des Tourismus innerhalb von Franken stattfindet – die Franken finden Franken attraktiv, bloß nie dort, wo sie gerade wohnen –, fließt vermutlich ein großer Teil dieses Geldes nach Weihnachten dann wieder nach Würzburg oder Bamberg oder Bayreuth – dorthin eben, wo es in Franken auch schön ist. Wahrscheinlich handelt es sich also beim Wirtschaftsfaktor Tourismus eher um ein Geldkarussell, bei dem das Geld je nach Saison mal hier, mal dort ist. Hauptsache, es zirkuliert und belebt die Statistiken.
Zurück zu den Lebkuchen: Sie sind etwas Ähnliches wie kulinarisches Weltkulturerbe und dürfen deshalb nach Artikel 1 der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgütern – wie die Bamberger Altstadt oder das Opernhaus in Bayreuth – in einem zukünftigen Weltkrieg nicht zerstört werden. Gut zu wissen, so kann man im Falle eines kommenden Krieges rasch nach Bamberg ziehen, öfter in die Bayreuther Oper gehen oder sich mit einer ausreichenden Menge Lebkuchen versorgen.
Gegessen werden dürfen die Lebkuchen allerdings. Und im Allgemeinen lohnen sie sich auch, denn sie müssen seit Urzeiten aus den besten Zutaten gebacken werden. Eine beliebte und oft sehr hitzige Diskussion unter Nürnbergern, die den Christkindlesmarkt ebenfalls besuchen, ist die Frage, ob in den Teig Mehl genommen werden darf oder nicht. Es soll über diese Grundsatzfrage schon zu Schlägereien auf dem Hauptmarkt gekommen sein. Selbstverständlich kauft kein Nürnberger ausschließlich Lebkuchen aus einer der vielen traditionellen Bäckereien, sondern macht sie zumindest einmal im Jahr auch selbst. Auch ich backe Lebkuchen – wie übrigens alle meine Geschwister; eine unumstößliche Familientradition.
Erlaubt ist beides, aber tatsächlich darf der Mehlanteil nicht sehr hoch sein. Mandeln oder Haselnüsse, Honig und vor allem eine Reihe von Gewürzen wie Kardamom, Zimt, Nelken, Anis, Muskatblüte und natürlich auch Pfeffer machen den unvergleichlichen Duft der Elisenlebkuchen aus, der schon im Sommer durch die Straßen rund um die großen und kleinen Lebzeltnereien ziehen kann.
Und sich mit dem der ebenso berühmten Nürnberger Bratwürstchen mischt. Die fränkische Küche ist nicht für ihre Raffinesse berühmt. Im Großen und Ganzen handelt es sich bei den traditionellen Gerichten doch um eher Bodenständiges. Etwas Ordentliches halt, wie der Franke sagt, was auch sofort ausschließt, dass Vegetarisches oder gar Veganes ordentlich sein könnte. Wie auch? Es ist ja kein Fleisch dabei! Bis vor wenigen Jahren wurden jemandem, der sich in diesen Breiten als Vegetarier outete, in einer Mischung aus Mitleid und Unverständnis dann gerne „Draa im Weggla“ angeboten. Denn merke: In Franken ist Wurst kein Fleisch.
Schon gar nicht die Nürnberger Bratwürstchen, die ohnehin so klein sind, dass man davon mindestens drei auf die Hand und im Wirtshaus nicht weniger als „Sechs auf Kraut“ serviert bekommt. „Draa im Weggla“ sind drei Nürnberger (niemand nennt das Würstchen, denn es ist ja eh klar, was man will) in einem Brötchen. Meist handelt es sich um eine Kaisersemmel, die keinen Geschmack zu haben braucht, weil sie nur der Träger der kleinfingerdicken Würstchen ist, zu denen selbstverständlich ausschließlich ein mittelscharfer „Sempf“ gehört. Jede andere Soße wird zwar angeboten, ist aber in den Augen der Verkäuferin ein Sakrileg. Manche dieser Würstchenstände sind bereits seit Generationen in der Hand einer Familie, und es ist hier wie bei den Lebkuchen: Jede Nürnberger Familie hat ihren Geheimtipp, an welchem Stand die besten „Nämbercher“ verkauft werden. Und wenn man sich welche mit nach Hause nehmen will, dann begebe man sich zum Stand des Bratwürscht Madla. Bei der Melda bekommt man die kleinen Kostbarkeiten in Dosen. Als saure Zipfel oder gegrillt und auf jeden Fall fränkisch. Die ganz Mutigen kaufen das „Broadwoschdkeck“. Betonung auf der letzten Silbe, bitte. Auf Hochdeutsch ist das dann „Bratwurstgehäck“.
So richtig weiß übrigens keiner, warum die Nürnberger Bratwürstchen so klein sind. Zwischen sieben und neun Zentimetern sind sie lang – da lachen die Würzburger nur. In Unterfranken wird nämlich auf den Weinfesten gerne auch traditionell ein Meter Bratwurst verkauft. So hat jeder seins …
Die Legende will es, dass die Nürnberger so klein sind, damit sie auch noch durch ein Schlüsselloch gereicht werden können. 1559 wurde Hans Stromer, ein Patrizier aus einer der angesehensten Familien der Stadt, zu lebenslanger Haft im Schuldturm verurteilt. Ob er jetzt im Streit einen stadtfremden Edelmann umgebracht oder Stadtgeheimnisse verraten hatte, ist nicht mehr genau überliefert. Wohl aber, dass er sich wünschte, an jedem Tag seiner Haft zwei Bratwürste zu erhalten. Und die wurden ihm dann eben angeblich durchs Schlüsselloch seiner Zellentür zugereicht. Achtunddreißig Jahre lang jeden Tag zwei Bratwürstchen essen zu müssen, und seien sie auch noch so klein, würde heute vermutlich gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen. Vielleicht waren die Würstchen dann auch der Grund dafür, dass Stromer nach ebendiesen achtunddreißig Jahren aus dem Turmfenster in den Tod sprang. Es wäre interessant zu wissen, ob er sich aus dem Schuldturm oder aus dem Luginsland gestürzt hat. Eingesessen hat er in beiden; vermutlich der Abwechslung halber. Aber der Luginsland wäre auf jeden Fall effektiver gewesen, weil er mit nicht ganz fünfzig Metern der höchste Turm der Nürnberger Burg ist.
Obwohl die Grundzutaten der Würstchen natürlich vorgegeben sind, hat jede Nürnberger Metzgerei ihr eigenes Rezept. Vor allem in der Gewürzmischung liegt das Geheimnis. Da zahlt es sich aus, dass Nürnberg schon im Mittelalter ein wichtiger Handelsplatz auf der Route zwischen Orient, Venedig und Prag war. Der Gewürzhandel war es, der viele Nürnberger Patrizier erst so wohlhabend gemacht hat, dass man sie mit Fug und Recht „Pfeffersäcke“ nennen konnte. Die Familienwappen, die stolz den Reichtum zur Schau stellen, sind heute noch in den beiden Nürnberger Großkirchen zu sehen.
Dieser Stolz und dieser Wohlstand haben dann auch dazu geführt, dass die Nürnberger sich stark genug fühlten, um dem Burggrafen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Womit wir wieder beim Luginsland sind: Der höchste Turm Nürnbergs sieht zwar heute so aus, als gehörte er zur Burg, aber er war ein städtischer Turm, den die Patrizier dem Burggrafen neben die Burg gestellt hatten, um von dort aus sehen zu können, was in der Burg vor sich ging. Denn das Verhältnis zwischen Stadtoberen, dem Burggrafen und dem Kaiser war kompliziert.

Die Burg prägt nicht nur das Stadtbild Nürnbergs, sondern auch das Selbstverständnis der Menschen, die in der Stadt leben. Obwohl es wahrhaftig keinen vernünftigen Grund gibt, warum man sich achthundert Jahre später noch etwas darauf einbilden sollte, dass der Kaiser ab und zu vorbeikam und sich vom örtlichen Fleischer Geld leihen musste, um das Festmahl beim Reichstag bezahlen zu können. Die Nürnberger aber sind stolz auf ihre Burg, und sie spielt auch eine ziemlich wichtige Rolle bei vielen Großveranstaltungen wie der Blauen Nacht, einer jeden Mai stattfindenden Kulturnacht mit etlichen Performances und Installationen, oder beim jährlichen Bardentreffen. Vor allem aber ist sie ein Treffpunkt, weil sie – anders als in vielen anderen Orten – mitten in der Stadt liegt. An den Sommerabenden lagern junge Leute in zahllosen Gruppen auf dem noch warmen Burgsandstein, trinken, lachen, und zuweilen zieht auch der süßliche Geruch des einen oder anderen Joints an der Burgmauer hoch. In den ausgesprochen malerischen Burggärten sieht man manchmal bereits ab März lesende Menschen auf den vielen Bänken sitzen. Wenn sie vom Buch aufsehen, haben sie einen großartigen Blick über das Stadtviertel Johannis, das sich schon außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern befindet und wo auf einem der schönsten Friedhöfe Deutschlands unter anderem Albrecht Dürer seine letzte Ruhestätte fand. Nürnberg ist eine der wenigen Großstädte, die ihre Stadtmauer zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht geschleift haben, obwohl sie fast genauso rasant wuchs wie etwa München. Deswegen lässt es sich in den Gärten zwischen den zwei Stadtmauerringen ganz großartig um ein Viertel der Stadt spazieren.
Die Burg ist der erste Anlaufpunkt für viele Zehntausend Bustouristen, denn gleich unterhalb des Luginslands liegt eine der wenigen touristischen Haltestellen in der Stadt. Von dort aus schwärmen sie im Sommer über den Burgfried hinunter zu den Lochgefängnissen im Wolffschen Rathaus, von denen schon Edgar Allan Poe so fasziniert war, dass er eine kleine Horrorstory über die Eiserne Jungfrau geschrieben hat. Sie ist außerordentlich geeignet, um auch bei abgebrühten Youtubern noch einen leisen Schauer hervorzurufen. Im Prinzip sieht sie eher wie ein eiserner stehender Mantel aus, der innen mit Stacheln versehen ist. Beim Schließen würden diese Stacheln den Körper vielfach durchdringen und so einen elenden Tod … jaja, alles gelogen. Aber das sagt man natürlich weder den amerikanischen noch den japanischen Schauertouristen.
Wie so vieles andere in Nürnberg – angefangen bei fast allen Häusern der Altstadt, die 1945 im Wesentlichen aus den Trümmern anderer Häuser der zerstörten Altstadt wieder aufgebaut wurden – ist die Eiserne Jungfrau kein Original; das ist im Feuersturm der Bombennächte verbrannt. Was man heute in den Gefängniskellern besichtigen kann, ist eine fantasievoll angereicherte Kopie. Sie war auch nie ein Folterinstrument, jedenfalls nicht für direkte physische Folter, sondern ein Schandmantel für straffällige Frauen, in dem sie dann dem Spott der Stadt ausgesetzt wurden. Die innen liegenden Spitzen waren nicht aus Metall, sondern aus Eichenholz und ein ganzes Stück kürzer. Schmerzhaft, aber nicht tödlich. Allerdings liegt der wirkliche Schrecken der Stadt ganz woanders.
So richtig erklärt sich die Faszination der Touristen für Nürnberg nicht. Die alte DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ passt eigentlich eher für die fränkische Metropole. Die kleinteilige Fachwerkidylle, die Kirchen, Theater, Oper, Türme, sogar die Burg und die Brunnen – die gesamte Altstadt war im Frühjahr 1945 eine quadratkilometergroße Trümmerwüste, aus der gespenstisch die leeren Fassaden von St. Sebald und St. Lorenz aufragten. Der amerikanische Fotograf Ray D’Addario, der beauftragt war, den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zu dokumentieren, streifte im Sommer 1946 durch das verwüstete Nürnberg, fotografierte und fotografierte; fasziniert von der ungeheuren Zerstörung. Dreißig Jahre später, in den Siebzigern, kam er noch einmal und nahm an denselben Orten neue Bilder auf. Erst in diesem Vergleich sieht man dann aber auch, was für eine ungeheure Leistung die Trümmerfrauen erbracht haben. Die Menge an Schutt pro Einwohner war in Nürnberg größer als in Berlin.
Das Stadtbild ist heute eher eines der Fünfzigerjahre, was noch einigermaßen anginge, aber eben auch der architektonisch grauenvollen Epoche der ausgehenden Siebziger und Achtziger. Die Brunnen wurden wild hin und her geschoben, an die hastig errichteten Wohnhäuser aus den Fünfzigerjahren hat man hie und da einen originalen Erker vom Vorgängerbau angeklebt oder einfach nur eine der vielen Hundert Tafeln angebracht, auf denen steht: „Hier stand bis zum 2. Januar 1945 …“ Echt ist in der inneren Altstadt fast nichts. Vieles ist nur Fassade und sehr vieles nach alten Vorlagen nur wieder neu hergestellt. Immerhin, ein paar der alten, prächtigen Patrizierschlösschen stehen wieder oder, ganz selten, noch. In die Kirchen wurden die spätmittelalterlichen Fenster wieder eingesetzt, die den Krieg im Kunstbunker, tief in den Stollen des Burgbergs, überlebt hatten. Die Altäre und die Heiligenbilder, die vielen Statuen und Statuetten und die oben schon erwähnten Erker nähren – Pars pro Toto – geschickt die Illusion des Alten. So reisen die Touris also aus allen Ecken der Welt an und kaufen glücklich betrogen Lebkuchen, Zwetschgenmännlein und Bratwürstchen.


Ä weng
Bevor wir Nürnberg verlassen und weiter durch Franken reisen, müssen wir über das Fränkische sprechen. Es ist nicht der beliebteste deutsche Dialekt. Norddeutsche oder oberbayerische Färbungen sind im Film deutlich populärer, und die obligatorische Berliner Schnauze muss auch in jede dritte deutsche Fernsehproduktion. In der fränkischen Sprachfärbung ist alles ein wenig kleiner. Leider hat unser Alphabet keine vernünftigen Zeichen für die phonetischen Phänomene der Dialekte, deswegen müssen wir uns hier der Lesbarkeit wegen mit dem Umlaut ä behelfen, um dieses ganz und gar wesentliche Wörtchen darzustellen, das im Hochdeutschen „ein“ oder „eine“ heißt. Dieser mal breit gemütliche, dann wieder hastig geschnaubte Laut zwischen e, ä und a. Weder Zunge noch Lippen müssen dazu bewegt werden; die Stimmbänder reichen völlig, und selbst die müssen sich nicht sehr anstrengen. „Ä Fraa“. „Ä Moo“. „Ä weng“. „Ä wengala“.
Hier ist alles etwas kleiner. So schnell findet sich wahrscheinlich kein anderer Dialekt, in dem selbst „ein wenig“ noch einmal verkleinert wird. „Ä weng“ ist eben noch nicht wenig genug. „Ä wengala“ muss es sein. Im Hochdeutschen wäre das etwa „ein bisschenchen“. Bescheidener geht es nicht. Und so bescheiden bleibt es selbst kurz vor körperlichen Auseinandersetzungen. Wenn in Nürnberg oder Fürth oder Erlangen – na ja, in Erlangen eher nicht, da geht es unter all den Professorinnen, Studenten und Ärztinnen im Ganzen deutlich gesitteter zu –, wenn einem also in Nürnberg oder Fürth Ohrfeigen angetragen werden, dann heißt das liebevoll: „Brauxd ä weng ä Schelln?“ Oder, immer noch freundlich: „Brauxd ä weng ä Bredd?“ Beim angesprochenen Brett handelt es sich meistens auch um Ohrfeigen, allerdings um etwas stärkere als einfache, haushaltsübliche Schellen. Und in diesem schönen Angebot scheint auch schon die andere Eigenart des Fränkischen auf: die Weichheit seiner Konsonanten. Der Pokal, auf den gerade der 1. FC Nürnberg so stolz ist, heißt hier „Bogal“. Und der 1. FCN natürlich einfach „dea Glubb“.
Wie bei allen Dialekten in Deutschland könnte man so tief in die Eigenarten eintauchen, dass ein Buch gar nicht genügen würde, um alles zu erfassen. Da sind die Unterschiede zwischen den städtisch geprägten und den ländlichen, oft viel authentischeren Ausformungen, die dann auch manchmal viel herzlicher klingen als das mitunter doch recht derbe städtische Fränkisch. Da sind aber auch die feinen Nuancen innerhalb Nürnbergs, wo sich früher der Dialekt sogar von Stadtteil zu Stadtteil leicht unterschied und in der von Arbeitern geprägten Südstadt anders gesprochen wurde als im schicken Erlenstegen. Überhaupt ist das echte und reine Fränkisch in den Städten selten geworden. Englisch hört man in der Innenstadt viel häufiger.
Das ländliche Fränkisch ist da, wo es noch gesprochen wird, reich an ganz wundervollen Wörtern, die manchmal wirklich nur im Umkreis der nächsten drei Dörfer verstanden werden. In meinem Heimatdorf hießen die Kartoffeln „Ebbirn“. Das erklärt sich vielleicht noch aus einem uralten „Erdbirne“. Im Aischgrund wieder heißen sie „Erpfl“, also „Erdäpfel“, wie in Teilen Süddeutschlands oder auch in Österreich. Wenn jemand auf dem Feld aus dem Gleichgewicht kam und rückwärts hinfiel, dann hieß das „hinterschi“ umfallen. Aber über das „Aftermahdi“ habe ich als Kind ewig gerätselt, bis mein bester Freund mich irgendwann nebenbei aufklärte: Es handelt sich um den Dienstag, den Tag nach Montag: „after Mahdi“. Hundert Kilometer weiter nördlich heißen dafür die Erdbeeren „Ananas“, und es wäre interessant zu erfahren, wie man dort heute die echte Ananas nennt.
Zu meinen Schulzeiten war der Dialekt im Klassenzimmer noch verpönt. Unsere Grundschullehrerinnen – pädagogisch schon leicht angehaucht von der Achtundsechzigergeneration – glaubten, den Weg zur Einebnung der Klassenunterschiede durch ein gemeinsames Hochdeutsch bahnen zu können. Dieser pädagogische Furor hat dazu geführt, dass auf dem Land das echte Fränkisch immer weniger gesprochen wurde und ein großer Reichtum an Wörtern einfach verloren gegangen ist. Eine Sprache, die nicht gesprochen wird, verschwindet lautlos aus dem Alltag. In den letzten zwanzig, dreißig Jahren hat sich das ein wenig verändert. Es gibt wieder mehr Dichter und Dramatiker, die auch im Dialekt schreiben, und das nicht nur für die krachende Bauernkomödie, die schon deshalb so traurig verstaubt wirkt, weil es diesen Bauern ja längst nicht mehr gibt. Nürnberg zum Beispiel hat die wunderbare Gesellschaftskomödie „Schweig, Bub!“ von Fitzgerald Kusz, die seit vierzig Jahren immer mal wieder auch im Staatstheater gespielt wird und so erfolgreich war, dass sie in zahlreiche andere deutsche Dialekte übersetzt wurde. Ein immer noch scharf witziger Blick in die Tiefen der fränkischen Bürgerfamilie. Falls das Stück gerade auf dem Spielplan steht, sollten Sie nicht versäumen, es sich anzusehen. Noch immer verrät es über die fränkische Seele in zwei Stunden mehr, als man in einer Woche Urlaub im fränkischen Seenland erfahren kann.
Bei Dichtern wie Helmut Haberkamm erschöpfen sich die Gedichte nicht im Dialekt, sondern sie brauchen ihn tatsächlich, um genau das sagen zu können, was ihr Thema ist. Das ist auch alles sehr hübsch und sehr ehrenvoll, aber in Wahrheit bleibt es Folklore: Im Alltag und in Wirklichkeit ist das Fränkische eben meist nur noch eine Färbung und keine eigene, spannende Sprache mehr. Von einigen Dörfern wie Raitenbuch, Pfraunfeld oder Nennslingen einmal abgesehen, die nicht direkt im städtischen Umland liegen. Zumindest in den Städten und ihren Speckgürteln spielt der echte Dialekt kaum noch eine Rolle. Wer in Franken Eigenarten sucht, wird nichtsdestotrotz genügend andere finden.
Zum Beispiel in der Sebalduskirche. Von den zwei großen Nürnberger Stadtkirchen Lorenz und Sebald, die links und rechts der Pegnitz jeweils den Mittelpunkt der zwei Stadthälften darstellten, war schon die Rede. Wer über die Mitte Frankens hinaussehen will – nach Osten ins Nürnberger Land, nach Fürth im Westen, Erlangen im Norden oder in Richtung Schwabach im Süden –, der sollte auf einen der beiden Türme der Sebalduskirche steigen. Öffentlich zugänglich sind sie zwar nicht, aber Küster oder Pfarrer sind freundlich und oft nicht abgeneigt, einem die versteckten Schönheiten der Kirche zu zeigen.
Auf den Glockenturm führen Stiegen, die immer enger werden, je höher man steigt. An den Glocken vorbei muss man sich über eine sehr steile Hühnerleiter zwängen, und es empfiehlt sich nicht, erst auf diesen schmalen Stufen die eigene Höhenangst zu entdecken. Es empfiehlt sich übrigens auch nicht, diese schmalen Stufen genau um zwölf Uhr zu nehmen, denn das Geläut … na ja, wer es noch nicht erlebt hat, der halte sich fest. Neben einer läutenden Glocke auf einer sehr schmalen Leiter zu stehen ist eine existenzielle Erfahrung. Wenn aber Hühnerleiter und Glockenstuhl überwunden sind, schlupft man durch eine der vier sehr kleinen Türen hinaus auf den Umgang und hält den Atem an. Denn der Blick ist großartig. Es sind vielleicht sechzig, siebzig Zentimeter zwischen Mauer und Sandsteinbalustrade, und aneinander vorbeizugehen wird schwierig. Wenn man zu mehreren ist, einigt man sich besser auf eine Gangrichtung. Aber das Panorama belohnt alle Mühen. Auf diesem Turm der Sebalduskirche ist man ungefähr auf gleicher Höhe wie die etwa fünfhundert Meter entfernte Burg, und ein wenig beginnt man hier oben zu verstehen, wie stolz die Nürnberger Handelsherren gewesen sein müssen, dem Burggrafen da oben die Stirn zu bieten. Und zugleich wundert man sich auch, wie sehr die Stadt, in der man wohnt, auch das Selbstverständnis prägt. Bis heute wirkt die große Demütigung nach, dass die rund fünfhundertfünzigjährige Freiheit der Reichsstadt mit der Eingliederung Frankens ins Königreich Bayern 1806 zu Ende ging. Die Animosität gegen München speist sich eben nicht nur aus der aktuellen Politik, sondern reicht weit in die Geschichte zurück. Und so sind vor allem die Nürnberger immer sehr hin- und hergerissen zwischen fränkischem Stolz und fränkischem Minderwertigkeitsgefühl.
Da man sich nun aber gegen München nur sehr schwer zur Wehr setzen kann, kriegt den verletzten, übersteigerten Stolz vor allem die kleine Schwesterstadt zu spüren. Und damit sind wir in Fürth angekommen.

Ewald Arenz

Über Ewald Arenz

Biografie

Ewald Arenz, 1965 in Nürnberg geboren, studierte englische und amerikanische Literatur und Geschichte und arbeitet als Lehrer für Englisch und Geschichte an einem Gymnasium in Nürnberg. Er ist einer der produktivsten, erfolgreichsten und vielseitigsten Schriftsteller Deutschlands. Seine jüngsten...

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