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Gebrauchsanweisung für Thailand Gebrauchsanweisung für Thailand Gebrauchsanweisung für Thailand - eBook-Ausgabe

Martin Schacht
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— Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2024 – Insider-Wissen über das ideale Reiseziel für Asienkenner und -einsteiger
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Gebrauchsanweisung für Thailand — Inhalt

Goldene Paläste, Traumstrände, exotische Gerichte

Hätten Sie gewusst, wieso Thais niemals allein essen? Weshalb auf den Märkten die hohe Kunst der Schauspielerei gefragt ist? Wo es noch echte Inselparadiese zu entdecken gibt? Und womit Sie etwas für Ihr Karma tun?

Erkunden Sie mit dem Autor die Zwölf-Millionen-Metropole Bangkok, die laut, dreckig, heiß – und zugleich exotisch, überraschend und romantisch ist. Erfahren Sie, von wo aus in Thailands Norden man am besten zum Trekkingabenteuer startet. Warum Phuket neue Popularität erfährt. Wo die besten Yoga-Retreats zu finden sind und wo Garküchen sogar Michelin-Sterne verliehen werden.

Aktualisierte und überarbeitete Neuausgabe.

„Viel Schmunzeln muss man bei Martin Schachts Tipps zu Natur, Kultur, Essen und Mentalität am Golf von Siam. (…) ideale Ergänzung zum Reiseführer.“ Berliner Morgenpost

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 24.10.2024
240 Seiten, Flexocover mit Klappen
EAN 978-3-492-27786-0
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€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 09.03.2015
240 Seiten, Flexocover mit Klappen
EAN 978-3-492-27653-5
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 24.10.2024
240 Seiten
EAN 978-3-492-60818-3
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Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung für Thailand“

Warum ausgerechnet Thailand?
Sie wollen nach Thailand. Und damit haben Sie recht. Welches andere Land hat schon so angenehme Temperaturen, hervorragendes Essen, kulturelle Highlights und freundliche Einheimische zu bieten? Für Deutsche ist Thailand das exotische Traumziel schlechthin. Etwa 600 000 von ihnen begeben sich alljährlich auf die Suche nach Traumstränden, spiritueller Erleuchtung oder auch käuflichem Sex. Aber wissen Sie wirklich, was da auf Sie zukommt? Was erwarten Sie? Was wollen Sie? Thailand präsentiert sich gern als exotisches Paradies [...]

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Warum ausgerechnet Thailand?
Sie wollen nach Thailand. Und damit haben Sie recht. Welches andere Land hat schon so angenehme Temperaturen, hervorragendes Essen, kulturelle Highlights und freundliche Einheimische zu bieten? Für Deutsche ist Thailand das exotische Traumziel schlechthin. Etwa 600 000 von ihnen begeben sich alljährlich auf die Suche nach Traumstränden, spiritueller Erleuchtung oder auch käuflichem Sex. Aber wissen Sie wirklich, was da auf Sie zukommt? Was erwarten Sie? Was wollen Sie? Thailand präsentiert sich gern als exotisches Paradies mit ewig lächelnden Menschen. Aber ist tatsächlich alles so unkompliziert?
Auf den ersten Blick ja. Und auch auf den zweiten. Dann wird es schwieriger. Natürlich kann man sich darauf beschränken, am Strand zu liegen und die Einheimischen nur als freundliches Personal wahrzunehmen, hinter der bunten Fassade jedoch ist Thailand ein Land mit unübersichtlichen politischen Verhältnissen und einer Bevölkerung, hin- und hergerissen zwischen der traditionellen Dorfgemeinschaft und der Megacity Bangkok, die in vieler Hinsicht moderner und serviceorientierter ist als Großstädte im Westen. Was man den Touristen anbietet, ist nur die oberste Schicht einer Gesellschaft, die von Familie, Hierarchie, Religion und Nation geprägt ist. Selbst wenn man lange in Thailand lebt, stößt man immer wieder an Grenzen und hat das Gefühl, plötzlich nichts mehr zu verstehen.
Über das Wesen der Thais, wenn man das überhaupt verallgemeinern kann, gibt es unterschiedliche Meinungen. Thais sind freundlich und hilfsbereit – das ist der erste Eindruck. Manche Leute glauben aber auch, dass Thais hinter ihrem Lächeln eine gewisse Ausländerfeindlichkeit und Arroganz verbergen. Schließlich war Thailand im Gegensatz zu den anderen Ländern Südostasiens nie eine Kolonie des Westens und oszillierte politisch schon immer zwischen dem Wunsch nach Fortschritt und der Abschottung nach außen. Mit Distanz sind die Thais stets gut gefahren. Deshalb gilt: Auch wenn man Sie anlächelt, bleiben Sie ein Ausländer.
Im alltäglichen Umgang kann ein Lächeln alles Mögliche bedeuten: von „Ich bin glücklich“ über „Ich kann dich nicht ausstehen“ bis „Ich finde das komisch“. Wenn man sich bedankt, lächelt man, wenn man um etwas bittet, ebenfalls, und auch in Situationen, die jemanden in Verlegenheit bringen könnten. Wenn man sich nicht festlegen will, lächelt man vorsichtshalber. Ausländer missverstehen das gern als Zustimmung, aber Lächeln ist eben die effektivste Art der Konfliktvermeidung.
Thais hassen Auseinandersetzungen. Laut zu werden widerspricht dem Gebot, ein „kühles Herz“, das yai yen, zu bewahren – bei uns würde man „kühlen Kopf“ sagen, was eigentlich schon wieder etwas über das Wesen der Thais aussagt. Gelassenheit an den Tag zu legen und einen gesunden Abstand zu wahren gilt in der thailändischen Gesellschaft in jeder Hinsicht als wünschenswert. Grundlage dieses Verhaltens ist das buddhistische Gebot: „Nichts Böses denken. Nichts Böses sagen. Nichts Böses tun.“ Diese Vermeidungsstrategie haben Thais verinnerlicht, und wer nichts Böses denkt, sagt oder tut – der lächelt eben. Ein weiterer Grund, sich selbst und seine Gefühle zu kontrollieren, ist die Angst, womöglich in der Öffentlichkeit das Gesicht zu verlieren. Das „Gesicht“ umfasst dabei alles, was mit dem Selbstbild einer Person zu tun hat und wie andere Menschen sie sehen könnten. Man könnte es mit dem Gefühl vergleichen, sich zu blamieren, nur dass ein Gesichtsverlust viel existenzieller ist. Deshalb sollte man auf gar keinen Fall herumschreien, wenn man ein Problem mit einem Thai hat. Wer wütend wird, verliert dabei sein Gesicht ebenso wie der Beschimpfte. Kritik sollte man eher unter vier Augen und vor allem höflich anbringen. Wann immer es geht, entschärfen Sie die Situation mit einem Lächeln und einem mai pen rai. „Macht nichts.“ Für das, was wirklich hinter einem Lächeln steckt, bekommen Sie ganz schnell ein Gefühl.
Mai pen rai ist neben den Begriffen sabai, sanuk und suay der Schlüssel zum „Thai Way of Life“. Der Begriff sabai steht für „angenehm“ oder „bequem“, und so sollte möglichst das ganze Leben sein. Sanuk bedeutet „Spaß haben“. Jede mögliche Aktivität wird danach beurteilt, ob sie Spaß bringen könnte. Was nicht sanuk ist, unterlässt man wenn möglich. Suay bedeutet „schön“ oder „ansprechend“. Thais achten sehr auf Äußerlichkeiten. Beim Kauf eines Gegenstandes ist suay oft genauso wichtig wie der funktionale Nutzen, und auch die Erscheinung eines Menschen sollte möglichst ansprechend sein.
Für Ausländer ist die thailändische Gesellschaft wie eine große Familie, in die aufgenommen zu werden beinahe unmöglich ist. Zum Thai-Sein muss man geboren werden. Was sich genau dahinter verbirgt, kann keiner so genau erklären – und als Ausländer begreift man es erst recht nicht.
Allerdings kann es auch passieren, dass man ganz unverhofft als Thai vereinnahmt wird, zumindest wenn es dem Ansehen des Landes dient. Manchmal wird dann sogar die regulär kaum zu erlangende Staatsbürgerschaft verliehen. Man denke an die 2018 unter spektakulären Umständen aus einer überschwemmten Höhle in Nordthailand geretteten Teenager einer Fußballmannschaft. Über Wochen verfolgte die Weltöffentlichkeit gebannt ihr Schicksal. Dass viele der Kinder staatenlose Flüchtlinge waren, die von Bergstämmen aus dem Grenzgebiet zu Myanmar abstammten, tat hinterher nichts mehr zur Sache, und für die Kinder hat sich die Rettung gleich dreifach gelohnt. Sie waren nicht nur mit dem Leben davongekommen, sondern wurden auch mit dem begehrten Thai-Reisepass und einer Reise nach Hollywood belohnt, deren Höhepunkt der Verkauf der Filmrechte an ihrer Geschichte darstellte. Auch eine Netflixserie und diverse Dokumentationen entstanden auf Grundlage der Ereignisse. Die mehrere Kilometer lange Höhle kann heute in der Trockenzeit wieder besucht werden.
Was man daraus lernen kann? Manchmal sind Thais sehr überraschend, und wie sie einem gegenübertreten, kann sich schnell ändern und hängt von den Umständen ab. Ich selbst verbringe seit über zwanzig Jahren den Winter in Thailand und werde für die Einheimischen wohl nie mehr sein als ein netter Nachbar. Als ich das erste Mal nach Thailand kam, gab es noch nicht an jeder Ecke ein Thai-Restaurant, und ich hatte keine Idee, worauf ich mich einließ. Eigentlich wollte ich es nur sonnig und günstig haben und war überwältigt von dem, was ich fand. Inzwischen habe ich in Thailand eine tolle Zeit gehabt, SARS, die Vogelgrippe, den Tsunami und drei Militärputsche erlebt, und immer, wenn es in Deutschland ungemütlich wird, packt mich der unbezähmbare Wunsch, in den Flieger nach Bangkok zu steigen. Thailand gibt mir etwas, das ich in Europa nicht finde, ein Versprechen auf etwas Spannendes, Neues, Anderes.
Deshalb: Was immer Sie von Thailand erwarten – es wird anders sein als in Ihrer Vorstellung. Thailand wird Sie überraschen.


Unterwegs
Generell ist das Reisen in Thailand kinderleicht und bestens organisiert. Es gibt Flüge, Busse, Sammeltaxis, Taxis und Mopeds, Boote, Flöße, Kutschen und sogar Sänften, die einen in die entlegensten Winkel des Landes transportieren. Selbst wenn man von einem Pick-up mitten auf einer Dschungellichtung abgesetzt wird, kann man sicher sein, dass man zur vereinbarten Zeit von irgendeinem Gefährt abgeholt wird. Und nichts bringt einem so viele Bekanntschaften ein wie ein Zugticket zweiter Klasse ohne Aircondition. Nur die Tuktuks in Bangkok sind etwas für naive Neuankömmlinge, die bedenkenlos jeden Preis akzeptieren, oder Fortgeschrittene, die ihn kennen.
Übrigens ist das Reisen auch für allein reisende Frauen angenehm unkompliziert. Ein Ehering oder eine Ehering-Attrappe macht eine Frau für einen thailändischen Mann unantastbar. Da Europäerinnen und Amerikanerinnen gern mit der Idee von freiem Sex verbunden werden, kann ein sittsames Auftreten dennoch nicht schaden, obwohl viele thailändische Männer gegenüber Europäerinnen ohnehin eher schüchtern agieren. In der thailändischen Gesellschaft wird die Rolle, welche die Frau zu spielen hat, durch ein Sprichwort verdeutlicht: „Stehe vorher auf, gehe später zu Bett.“
Mit anderen Worten: Frauen erledigen einen Großteil der Arbeit, was ihnen ein gesundes Selbstbewusstsein verleiht. Auch wenn Frauen in den Großstädten und vor dem Gesetz heute gleichberechtigt agieren, ist die Gesellschaft patriarchalisch geprägt. Die Faulheit der Männer, auf die sie einen natürlichen Anspruch zu haben glauben, geht manchmal bis zur Unsichtbarkeit, dafür haben die Frauen häufig zu Hause die Hosen an. Im Umgang mit Fremden sind sie oft flexibler als Männer. Wenn ich mir aussuchen darf, ob ich etwas von einem Mann oder einer Frau erledigen lasse, ziehe ich die Frau vor. Thailändische Frauen sind meist sorgfältiger und motivierter, da sie sich nicht einfach auf ihre Stellung als Mann verlassen.
Wer das erste Mal nach Thailand kommt, hat meist einen zehn- bis zwölfstündigen Flug in unbequemer Haltung hinter sich, leidet unter der Zeitverschiebung und sehnt sich nach einer Dusche. Ein Schwall feuchtwarmer Luft trifft ihn bei Verlassen des Flugzeugs, ein kurzer Vorgeschmack auf einen Urlaub in den Tropen, dann ist es wieder kalt, sehr kalt sogar. Wie alle öffentlichen Gebäude ist auch der Flughafen auf Pullitemperatur heruntergekühlt. Leicht benommen möchte man sich fallen lassen in eine Welt aus Traumstränden, Spas und goldenen Buddhas, doch zwischen dem Abstempeln der Einreisekarte und dem Hotelzimmer liegt eine weitere, mehr oder weniger beschwerliche Reise ins Zentrum von Bangkok. Bereits bei den ersten Schritten ins Land kann man jede Menge falsch machen – dabei ist doch eigentlich alles ganz einfach.
Wer nicht zu den privilegierten Gästen jener Luxushotels gehört, die ihre Gäste mit hauseigenen Limousinen und livrierten Fahrern abholen lassen, die sich um das Gepäck kümmern und den Check-in bereits auf der Fahrt in die Stadt abwickeln, sieht sich nach dem Zoll von einem Heer von Limousinenvermietern umringt. Der erste Impuls des gestressten Reisenden ist, einem von ihnen die Taschen in die Hand zu drücken und sich zu entspannen, doch dieser Impuls ist falsch und kann teuer werden.
Vor meinem ersten Besuch in Thailand hatten mich landeskundige Freunde mit ihren Warnungen vor kriminellen Taxifahrern so weit verunsichert, dass ich mich stattdessen für die billigste aller Varianten entschied, den öffentlichen Bus, damals noch ohne Aircondition. Zweifellos ist auch das eine Möglichkeit, nach Bangkok zu kommen, aber vermutlich die nervenaufreibendste. Deshalb wird sie fast ausschließlich von Locals genutzt oder von Touristen, die entweder krankhaft geizig sind oder es mit dem Wunsch, es der heimischen Bevölkerung gleichzutun, etwas zu genau nehmen. Dieser Wunsch nach vermeintlicher Authentizität, dieses „Wenn die Einheimischen das machen, ist es auch gut für mich“ ist ohnehin eine Sackgasse, die das Reisen nicht nur beschwerlich machen kann, sondern einen auch in den Augen dieser Einheimischen etwas verrückt wirken lässt. Schließlich haben die Touristen ja sonst für alles Geld. Warum nehmen sie dann freiwillig etwas in Kauf, worauf die Einheimischen gern verzichten würden? Gewiss haben Busse, die ohne jeden Stoßdämpfer auszukommen scheinen, einen altmodischen Charme, und es kann Spaß machen, damit durch die Stadt zu fahren, diesen Reiz zu entdecken empfehle ich jedoch nur fortgeschrittenen Thailandreisenden.
Ich hievte also meine Tasche in einen solchen Bus und ergatterte einen Stehplatz zwischen palavernden Hausfrauen, die scheinbar einen kompletten Umzug mithilfe jener karierten Gewebeplastiktüten organisierten, ohne die in Asien gar nichts geht, und einem Mann, der mehrere Putzeimer in Neonfarben nebst Schrubbern mit sich führte. Der Bus war voll, und in jeder Kurve fürchtete ich, einen Schrubberstiel ins Auge zu bekommen. Alle Fahrgäste starrten mich an, da ich der einzige Ausländer war, und ich starrte hilflos in das Gesicht der Schaffnerin, die auf mich einredete und hektisch mit einer Blechdose klapperte, in der sie die Rolle mit den Fahrscheinen aufbewahrte. Ich vermutete, dass sie mein Fahrtziel wissen wollte, und murmelte irgendwas von Bangkok City Center, was sie offenbar nicht verstand. Ich beendete die für uns beide peinliche Situation damit, dass ich ihr einen 100-Baht-Schein in die Hand drückte und dafür ein Ticket erhielt. Akribisch zählte ich das Wechselgeld nach und rechnete. Mit zwölf Baht, umgerechnet also 25 Cent, konnte ich, zumindest finanziell gesehen, nicht viel falsch machen.
Zwar gibt es immer noch die nach Himmelsrichtungen geordneten Busbahnhöfe, doch immer mehr Linien werden in die Nähe des neuen Bahnhofs Bang Sue an den Busbahnhof Mo Chit verlegt. Busse in Richtung Osten fahren heute meist noch vom Busbahnhof in unmittelbarer Nähe der Skytrain-Station Ekkamai, nach Süden meist von Sai Tai Mai. Viele Überlandbusse verkehren hier im Stundentakt, die Minibusse für bis zu neun Passagiere sind etwas schneller und teurer.
Das wusste ich damals jedoch noch nicht, und der Tuktuk-Fahrer, der plötzlich auftauchte, erschien mir wie ein rettender Engel. Ebenso wenig ahnte ich, dass ich die kommenden Stunden in den Shops irgendwelcher Cousins und Schwäger des freundlichen Tuktuk-Fahrers verbringen würde, die rein zufällig und gerade heute wahnsinnig günstige Edelsteine und Seidenstoffe anzubieten hatten. Tuktuks, diese dreirädrigen Gefährte, die man aus allen Bangkok-Reportagen kennt, sind ein Thema für sich. Sie sehen zwar lustig aus, sind es aber nicht. Schon die Sitzhöhe und das Dach sind so ungünstig, dass man als normal großer Europäer eigentlich nur den Straßenbelag sieht. Natürlich muss man einmal damit fahren, so wie man sich, wenn man in Paris ist, den Louvre oder in Berlin die Mauerreste ansehen muss. Tuktuks sind laut, sie stinken, und man ist den Abgasen ungeschützt ausgesetzt. Eine Viertelstunde im Tuktuk bringt einen an den Rand einer Kohlenmonoxidvergiftung, da sie im Stau (und Stau ist eigentlich immer) meist genau ein paar Zentimeter hinter dem Auspuff eines Lkw zum Stehen kommen. Zudem verhandelt man so lange um den Fahrpreis, bis man entnervt aufgibt und meist genauso viel bezahlt wie für das klimatisierte Taxi.
Aber es geht auch anders! Gehen wir zurück auf Anfang, zurück in die Halle des zumindest unter designerischem Aspekt (Einheimische verfluchen die endlosen Wege) sehr gelungenen neuen Flughafens Suvarnabhumi, zurück zur Situation direkt nach dem Zoll: Folgen Sie hier, ohne sich von Limousinen-Services und privaten Taxifahrern ablenken zu lassen, einfach dem Wegweiser „Public Taxi“. Ich weiß, das fällt schwer nach dem langen Flug und bei all den ungewollten Helfern, aber schon nach wenigen Minuten steht man vor einem Schalter, an dem des Englischen kundige Mitarbeiter das Fahrtziel auf Thai notieren und einen in die Obhut eines zuverlässigen Taxifahrers übergeben, der einen genau dahin bringt, wo man auch hinwill. Dieser Service kostet umgerechnet etwa einen Euro. Den sogenannten Insidertipp, dass man die Taxis lieber auf der Abflugsebene nehmen solle, weil sie da viel billiger seien, kann man getrost vergessen. Meistens bringt das nichts als Ärger und unnötige Diskussionen über den Fahrpreis. Außerdem fährt vom Flughafen aus ein bequemer Skytrain – durchaus eine Alternative zum Taxi, wenn man wenig Gepäck hat. Allerdings ist zu bedenken, dass man in der Innenstadt sowieso ins Auto umsteigen muss, und das Taxi, das einen direkt zum Hotel bringt, kostet selten mehr als umgerechnet zehn Euro.
Das Einzige, worauf man im Taxi achten muss, ist, dass der Fahrer tatsächlich das gern von Amuletten und Blumengirlanden verhängte Taxameter einschaltet und den Highway in die Stadt nimmt. Zumindest theoretisch gibt es auch die Möglichkeit, eine gebührenfreie Straße zu nehmen. Ist es nicht gerade mitten in der Nacht, ist der billigere Weg jedoch immer der falsche, sprich, man quält sich unberechenbar und stundenlang durch den Verkehr. Mit dem Highway hingegen kann man die Fahrtzeit vom Flughafen in die Innenstadt ziemlich genau auf eine halbe Stunde kalkulieren. Jetzt kann man sich in die Polster sinken lassen und die Fahrt in die Stadt genießen.
Mich erfüllt diese Fahrt jedes Mal aufs Neue mit Vorfreude. Langsam verdichtet sich das ländliche Gebiet, bis dann am Horizont die ersten Hochhäuser auftauchen. Dazwischen springen einem goldene Spitzgiebel ins Auge und riesige LED-Werbetafeln, auf denen hippe und extrem weißhäutige junge Thais coole, fremdartige Produkte anpreisen. Außer einem Häusermeer erkennt man erst einmal gar nichts, und auf den ersten Blick sieht alles gleich aus. Später lernt man dann, Landmarks wie den Mahanakhon Tower, die Hochhäuser am All Seasons Place, den Siam Square oder den State Tower auf dem Stadtplan zu verorten. Wenn man einmal so weit ist, kennt man sich beinahe schon aus in Bangkok, aber die Stadt erfüllte mich schon beim ersten Besuch mit Respekt: So gigantisch und überwältigend hatte ich mir das alles nicht ausgemalt, und meine Vorstellung, was nun Erste, Zweite oder Dritte Welt sei, war ins Wanken gekommen. Baustellen, wie sie beispielsweise in Berlin beim Stadtschloss oder am Potsdamer Platz über Jahre als touristische Attraktion herhalten müssen, sieht man hier an jeder Ecke. Nur wie ich mich in dieser Stadt zurechtfinden sollte, wusste ich nicht.
Viele Touristen nehmen diese Herausforderung nicht an und reisen möglichst schnell in ein Resort weiter, wo sie sich nur zwischen Strand und Restaurant orientieren müssen. Für mich jedoch war klar: Wenn ich es hier bis ins Hotel geschafft hatte, würde ich mich auch im Gewirr der Straßen und Sois (Querstraßen) zurechtfinden. Heute kann ich jedem nur raten: Lassen Sie sich auf diese 12-Millionen-Metropole ein. Es lohnt sich, auch wenn sie einem die ersten Tage vielleicht anstrengend und laut und unübersichtlich vorkommt. Das ist sie auch, aber im Hotel bleiben gilt nicht!
Was viele Besucher missverstehen, ist die Art, wie Bangkok funktioniert. Bangkok ist laut, dreckig, stinkend und heiß, aber auch exotisch, überraschend, wunderschön und romantisch. Um Bangkok zu mögen, muss man begreifen, dass es all das gleichzeitig ist. Und vor allem ist Bangkok keine Stadt zum Flanieren. Es gibt hier keine Boulevards, an denen man gemütlich im Café sitzt und die Leute beobachtet, sondern man sieht zu, wie man von A nach B kommt. An Ort A ist es toll und an Ort B auch, dazwischen ist es hässlich und laut, und was auf dem Stadtplan nach ein paar Querstraßen aussieht, entpuppt sich rasch als schweißtreibender Gewaltmarsch. Am besten fährt man direkt von A nach B und freut sich, dass man nicht durch die Hitze laufen muss. Umso größer ist dann die Entdeckerfreude, wenn man das neue, schicke Restaurant, von dem noch nicht mal der Taxifahrer gehört hat, im 35. Stock eines ansonsten unauffälligen Büroturms tatsächlich findet. Die einzigen Orte in Bangkok, an denen man spazieren gehen und einen Caffè Latte trinken kann, sind die teuren Shoppingmalls, in denen sich eine alternative Indoor-Kaffeehauskultur entwickelt hat. In oder zwischen zwei Shoppingmalls ist die einzige Gelegenheit, zu der man in Bangkok zu Fuß geht, möglichst überdacht. Wenn man sich bewegen will, fährt man ins Gym.
Manchmal und speziell zur Rushhour empfehlen sich auch andere Verkehrsmittel. Alles, was sich in Flussnähe befindet, erkundet man am besten mit dem Boot. Die Boote verkehren von morgens früh bis Sonnenuntergang und verbinden nicht nur die meisten Sehenswürdigkeiten, sondern sind zudem schnell und praktisch. Nirgends sonst hat man einen so unverstellten Blick auf Bangkok wie vom Wasser, und es gibt kaum etwas Schöneres, als kurz vor Sonnenuntergang den Chao-Praya-Fluss hinunterzufahren, vorbei an den großen Hotels, den Chedis des Wat Arun, am Palast, dessen goldene Dächer in der Abendsonne glänzen, und irgendwo, wo es einem gefällt, von Bord zu springen und mit Blick auf den Fluss in einem Restaurant zu dinieren.
Auch der Skytrain und die U-Bahn (MRT) sind eine gute Alternative, viele Bangkoker haben ihretwegen den Privatwagen abgeschafft. Sie sind sauber und kühl und von allen Verkehrsmitteln die schnellsten. Außerdem sind sie nur zur Rushhour voll und bringen einen meist in die Nähe des Ziels. Für die Kurzstrecken zum Skytrain bieten sich Mopedtaxis an, die in der Regel am Eingang längerer Sois warten. Zwar herrscht in Thailand offiziell Helmpflicht, doch die wird meist so ausgelegt, dass es reicht, wenn nur der Fahrer einen Helm trägt. Besonders vorsichtige Fahrgäste haben einen eigenen Helm dabei, aber wer will den schon mit sich herumschleppen? Solange die Fahrer nur Seitenstraßen benutzen, ist das Risiko ohnehin überschaubar.
Man erkennt sie übrigens an ihren meist orangefarbenen und grünen Westen. Meistens stehen sie an belebten Ecken, und häufig bieten sie ihre Dienste selbst an. Das geraunte „Want motobiiike?“, das man nicht unbedingt versteht, wenn man nicht weiß, worum es geht, ist also nichts Ungesetzliches oder Unanständiges, wie man angesichts des verschwörerischen Tonfalls (es ist der gleiche wie bei „Want massage-sex?“ oder „Have Dior-copy-bag!“) denken könnte. Hat man es wirklich eilig, gibt es kaum eine Alternative. Dann heißt es: Reisetasche vorn zwischen die Beine des Fahrers stellen, Helm aufsetzen und ab auf den Rücksitz. Die Mopeds schlängeln sich so schnell durch den Verkehr, dass ich noch manchen schon verpasst geglaubten Zug erreicht habe.
Echte Gamechanger sind die beiden Apps Grab und 12Go Asia. Grab ist ein Fahrtdienstleister wie in Deutschland Uber, der auch Essen liefert und neben Autos Mopeds und Tuktuks vermittelt. Zwar sind die häufig teurer, als wenn man auf der Straße ein Taxi anhält, aber sie geben einen Anhaltspunkt zum angemessenen Preis, wenn Taxifahrer wie so oft bizarre Summen verlangen. Außerdem verfügen alle Fahrer über GPS. Es lohnt sich also, vorher bei Grab nachzusehen, was eine Fahrt dort kosten würde. Schon die Drohung, ein Grab-Auto zu bestellen, bringt Taxifahrer meist schnell zur Vernunft. 12Go Asia vermittelt einfach alles, vom Minibus bis zum Speedboot. Und natürlich auch Bahntickets, für die man sonst lange anstehen oder viel Zeit und Nerven bei der Suche auf der komplizierten Website einrechnen muss.
Ohnehin ist die Bahn in einer Zeit, wo günstige Airlines wie Air Asia oder Nok Air alle größeren Städte anfliegen, nicht die schnellste Verbindung, aber eine, die man ausprobieren sollte. Im Zug bekommt man ein Gefühl für die Distanzen und die Menschen. Wer Thailand wirklich kennenlernen will, sollte zumindest einmal mit dem Zug fahren. Genau hier lernt man einen Querschnitt der thailändischen Gesellschaft kennen, wie man ihm als Tourist sonst nirgends begegnet. Denn ob man will oder nicht: Die meisten Leute, die man trifft, sind auf die eine oder andere Art an einem als Kunde interessiert. Sei es, weil man ihnen Tickets oder Souvenirs abkauft oder in ihrem Restaurant zu Mittag isst. Im Zug ist man Gleicher unter Gleichen. Auch die anderen Fahrgäste wollen erst mal von A nach B.
Ich war lange nicht mehr mit dem Zug gefahren und hatte mich für den Schlafwagen nach Hat Yai nahe der malaysischen Grenze deshalb entschieden, weil über Weihnachten und Silvester alle Flüge ausgebucht waren und ich mich mit Freunden verabredet hatte. Hat Yai mit seinem großen Busbahnhof ist neben Trang der beste Ausgangspunkt für die Inseln im Süden, aber manchmal ist es gar nicht so einfach, dort hinzukommen. Tatsächlich ist um die Weihnachtsfeiertage, den Jahreswechsel, das chinesische Neujahrsfest und das Songkran-Fest im April oft tagelang alles ausgebucht. Vom Flugzeug bis zum Bus – nichts geht mehr, wenn man nicht rechtzeitig ein Ticket bucht. Manchmal hilft dann wirklich nur noch das Taxi, das bei vorher ausgehandeltem Preis auch über Langstrecken erstaunlich günstig ist. Will man zum Beispiel vom Flughafen Suvarnabhumi in Bangkok direkt in Richtung Koh Chang weiterreisen, ist das Taxi schon zu zweit günstiger und genauso schnell, als wenn man in einen anderen Flieger umsteigt.
In jenem Jahr kam hinzu, dass die Besetzung des Flughafens durch Demonstranten gerade mal ein paar Wochen her war und niemand so recht wusste, wie die politische Situation sich weiterentwickeln würde. Die Lage war 2008 angespannt, und die Urlauber waren verunsichert. Zum ersten Mal hatten die schwelenden politischen Unruhen direkt in ihre Belange eingegriffen, was alle beteiligten Parteien sonst tunlichst vermeiden. Selbst von einem Militärputsch bekommt man in Thailand als Tourist normalerweise kaum etwas mit. Jetzt wurden Flüge abgesagt, saßen Gäste in ihren Resorts fest und stellten sich plötzlich Fragen: Würde der Flughafen geöffnet bleiben? Sollte man schnell abreisen? Würde das Militär eingreifen? Gar der König sich äußern? Und war Thailand überhaupt das paradiesische, sichere Urlaubsland, als das es die Reiseveranstalter gern darstellten?
In dieser Situation war ich froh, dass ich überhaupt ein Ticket bekam. Zugfahren in Thailand schlägt im Vergleich die allgegenwärtigen Minibusse um Längen. Busse sind vielleicht pünktlicher als die Bahn, aber auch um vieles langweiliger. Schon wenn die weiße Kuppel des Bahnhofs Hua Lamphong aus den engen Straßen von Chinatown auftaucht, bekommt man eine Idee, wie das Reisen früher einmal gewesen sein mag: ein Abenteuer auf Schienen.
Nach sechs Jahren Bauarbeiten wurde der Bahnhof im Juni 1916 eröffnet, eine Konstruktion mit Stahlskelett im Stil der italienischen Neorenaissance, verziert mit hölzernen Dächern und Bleiglasfenstern, entworfen von dem Turiner Architekten Mario Tamago, der mit seinem Landsmann Annibale Rigotti Bangkoks öffentliche Gebäude mit seinem italienischen Stil geprägt hat. Auch wenn die historisierende Pracht inzwischen etwas gelitten hat: Der Wirkung dieser riesigen Halle kann man sich nicht entziehen. Nicht umsonst ist Hua Lamphong heute Ausgangspunkt des Eastern Oriental Express, jenes Luxuszuges, der zwischen Bangkok und Singapur und auf einer zweiten Strecke in den Norden zwischen Bangkok und Laos verkehrt. Leider ist diese exklusive Reise im Privatabteil etwas, das sich nur die nearly dead and newly wed leisten, reiche Pensionäre und Flitterwöchner.
Bedauerlicherweise sind die Tage von Hua Lamphong schon seit einigen Jahren gezählt – zumindest in seiner Funktion als Bahnhof. Der neue silbrig glänzende Riesenbahnhof Bang Sue befindet sich nördlich des Stadtzentrums und ist nur mit dem Taxi oder einer halbstündigen U-Bahn-Fahrt zu erreichen. Glücklicherweise hat man bei der Eröffnung nicht daran gedacht, dass es in Thailand nicht genug elektrische Loks gibt, die dort halten könnten. Die Dieselloks würden die Abfahrthalle sofort mit dickem schwarzem Rauch füllen, und deshalb hat Hua Lamphong noch eine Gnadenfrist erhalten.
Die Holzklasse in den alten Zügen hat einen besonderen Reiz. Man muss sich entscheiden: Bett „upper“ oder Bett „lower“, Aircondition oder nicht. Ich persönlich rate von Aircondition ab und zur zweiten Klasse ohne. Entweder kommt man dank AC am Reiseziel mit einer Erkältung an oder mit einem steifen Nacken. Außerdem ist es in den teureren Aircon-Abteilen einfach langweilig. Man trifft dort fast nur Touristen und Leute, die sich für etwas Besseres halten. Nachts werden die Waggons abgeschlossen, nur Security patrouilliert dann durch die eisigen Gänge. Zweite Klasse hingegen ist ein Erlebnis. Ob man oben schläft oder unten, ist Geschmackssache und eine Größenfrage. Unten hat man mehr Platz und die Fenster, allerdings besteht das Bett aus zwei zusammengeschobenen Sitzen, die in der Mitte durch einen metallenen Rahmen geteilt werden, der sich (bei mir) auf Höhe des Hüftknochens befindet. Das kann schmerzhaft werden. Ich bevorzuge daher „upper“.
Die Fahrt von Bangkok nach Hat Yai sollte sechzehn Stunden dauern, ein ziemlicher Unterschied zu den eineinhalb Stunden mit dem Flugzeug, doch ich rechnete mir die Reise schön. Mit der Fahrt zum Flughafen, Check-in und Taxi würde ein Flug auch viereinhalb Stunden dauern, trotzdem: immer noch ein Unterschied von elfeinhalb Stunden. Die konnten lang werden. Zur Abfahrt am nächsten Nachmittag hatte ich mich deshalb mit Büchern eingedeckt und diverse Filme heruntergeladen. Am Gleis kaufte ich noch ein bisschen Verpflegung: gebratene Hühnerschenkel, ein Tütchen Klebreis und ein paar Mangos. Mein Abteil befand sich am hinteren Ende des Zuges, der wirkte wie aus den Sechzigerjahren und seitdem nur unregelmäßig gewartet: verschlissene graue Kunstledersitze, Ventilatoren, die hektisch unter der Decke kreisten, und Tische aus einem Material, das bei uns seinerzeit Resopal hieß. Eine Besonderheit war, dass immer zwei Fahrgäste einander gegenübersaßen. In meiner Nähe saßen ein älteres Ehepaar mit mutmaßlichem Enkelkind, zwei Frauen in den Zwanzigern und ein junger Mann in Uniform, anscheinend ein Soldat auf Heimaturlaub. Ihm gegenüber nahm ein ernst wirkender Mann mit Schnauzer und rotem Hemd Platz, ein älterer Herr hängte sorgfältig sein rosafarbenes Sakko auf einen mitgebrachten Bügel. Die Vorliebe älterer Herren für rosa Sakkos lässt sich übrigens ganz einfach erklären: Der verstorbene König Bhumibol trug gern Rosa.
Obwohl der Zug fast ausgebucht war, blieb der Platz mir gegenüber leer. Langsam und quietschend setzte der Zug sich in Bewegung. Als er mit nur leichter Anfangsverspätung von zwanzig Minuten aus dem Bahnhof rumpelte, legte ich die Füße hoch und stellte meine Taschen auf den anderen Sitz. Anscheinend hatte ich Glück und zwei Plätze für mich. Der Zug fuhr kaum mehr als Schritttempo, denn nach der Brücke über den Fluss durchquerten wir einen Slum, der so dicht an die Gleise heranreichte, dass man die Wäsche von der Leine hätte pflücken können. Was mich dabei am meisten überraschte, war, dass alle Leute, die hier lebten, ordentlich gebügelte Sachen und weiße Hemden trugen. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass diese adretten Menschen in einem Slum lebten. Schließlich kam der Zug an einem Vorortbahnhof wieder zum Stehen. Und dann kam mein Gegenüber: „Hello“, flötete sie. „My seat …“
Schnell nahm ich meine Füße herunter, räumte meine Tasche beiseite und setzte meine Sonnenbrille auf. Es erschien mir weniger unhöflich, sie hinter den dunklen Gläsern zu beobachten als ohne. Die Person mir gegenüber war über eins achtzig groß, für Thais eine exorbitante Körpergröße, was die Vermutung nahelegte, dass es sich um eine Transfrau handelte. Sie war sicher hundert Kilo schwer und trug bei dreißig Grad ein volles Bühnen-Make-up mit falschen Wimpern und grellroten Fingernägeln, die wie Stichwaffen aus ihren Patschhänden ragten, dazu ein Rüschenkleid mit Puffärmeln, ebenfalls in Rot. Das Ganze sah aus, als hätte man eine Puppe auf groteske Art aufgeblasen. 
„I’m Nong“, piepste die unheimliche Riesenpuppe und schenkte mir einen kleinmädchenhaften Augenaufschlag. Dann riss sie eine Plastikpackung auf, die sie aus einer Hello-Kitty-Tasche zog, und bot mir einen grellrosa Puffreiskeks an, der mit Zuckerguss überzogen war. Er war unglaublich süß und schmeckte nach künstlichem Vanillearoma. Nong spülte ihren mit roter Fanta herunter, für die sie einen Strohhalm benutzte, vermutlich um den Lippenstift nicht zu beschädigen. Zögernd schob ich die Sonnenbrille hoch und lächelte. Mir war klar, dass das eine offizielle Kontaktaufnahme war. Wenn ich Pech hatte, würde ich Nong die ganze Fahrt über nicht mehr loswerden und wäre spätestens in Hat Yai verlobt mit ihr. Schon weil ich Angst hätte, ihr etwas abzuschlagen. Sie war mit Sicherheit viel stärker als ich.
Tatsächlich erwiesen sich meine Befürchtungen als völlig unbegründet, und ich schien der Einzige zu sein, der Nong merkwürdig fand. Angelockt durch einen weiteren Puffreiskeks, war ein kleiner Junge der Erste von den Thais, der mit ihr zu reden begann. Eine gute Stunde später standen alle auf dem Gang und umringten sie. Eine winzige alte Frau tätschelte mütterlich Nongs dicken Unterarm, und alle schienen sich prächtig zu amüsieren. An den Bahnhöfen stiegen immer wieder Verkäufer zu, und die Gefahr, dass Nong irgendwann vom Fleisch fallen würde, schien schon deshalb ausgeschlossen, weil alle ihr ständig etwas zu essen zusteckten. Hühnerbeine, Fried Rice, Mangostückchen, Süßigkeiten und Wasabi-Nüsse – alles verschwand in Nongs zierlich gespitztem Mund.
Was mir dabei auffiel, war, dass sie die ganze Zeit in der Rolle des schüchternen kleinen Mädchens blieb, als das sie sich bei mir vorgestellt hatte. Und genau so wurde sie von allen anderen behandelt: wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal allein mit dem Zug unterwegs ist. Man stelle sich vor, welche Reaktion eine ähnlich flamboyante Erscheinung in einem deutschen Bummelzug hervorrufen würde: bestimmt keine so nette. Tatsächlich sind die meisten Thais erst einmal neugierig. Wenn etwas anders ist als sie selbst, fühlen sie sich durch das Anderssein nicht angegriffen oder bedroht. Vermutlich ist das der Grund dafür, dass man Transsexuelle nicht nur in Bangkok sieht, sondern ganz selbstverständlich auch irgendwo auf dem Land als Verkäuferin in einer Garküche.
Vor den Fenstern zogen Reisfelder, Palmen und Dörfer vorbei, Büffel suhlten sich in Teichen, in den Tümpeln vor den Stelzenhäusern blühten Lotusblumen. Irgendwann nach Hua Hin ging die Sonne unter. Mit vierzig wildfremden Leuten in einem Wagen zu übernachten hat etwas von Klassenfahrt, und schon nach kurzer Zeit entwickelt man ein Verhältnis zueinander. Ich bot der alten Dame meinen Sitz an, während der Schaffner begann umzubauen. Das obere Bett wurde heruntergeklappt, das untere aus den Sitzen zusammengeschoben. Vor die so entstandenen Kojen wurde ein Vorhang gehängt. Es sah aus wie der Schlafwagen in „Manche mögen’s heiß“. Während des Umbaus hatte ich mit Nong noch ein paar Kekse verdrückt und erfahren, dass sie bei einem Zahnarzt arbeitete. Ich fragte mich, ob Nong den Film wohl kannte, als sie mit einem koketten Lächeln den Vorhang vor ihrer Koje zuzog. Marilyn Monroe hätte es nicht besser machen können.
Gegen halb neun war das Abteil leer, die meisten Leute hatten sich hingelegt, aus manchen Kojen hörte man halblaute Stimmen oder auch ein Schnarchen. Immer noch lagen fast zwölf Stunden Fahrt vor uns. Am Ende des Wagens stand die Tür offen, festgebunden mit einer Schnur. Auf den Stufen saßen der Schaffner und ein Fahrgast und tranken Mekong-Whisky, neben sich einen Blecheimer mit Eiswürfeln, den der Schaffner am letzten Bahnhof besorgt hatte, wie der Mann mir erzählte. Er trug ein Tanktop und sah auffallend gut aus, muskulös, mit sanften braunen Augen. Ich tippte auf Italiener. Er bot mir eine Zigarette an, und nachdem der Schaffner mir ein Glas besorgt hatte, setzte ich mich zu den beiden.
Wie sich herausstellte, war er Israeli und gehörte zu einer Spezialeinheit, die auf das Aufspüren von Selbstmordattentätern trainiert war. Nach ein paar Gläsern kam er ins Fachsimpeln. Das Problem bei seiner Arbeit sei nicht nur, die Selbstmordattentäter zu erkennen, sondern sie daran zu hindern, die Bomben zu zünden, denn den Tod hätten sie ja ohnehin vor Augen. Die Lösung sei ein blitzschneller Griff, mit dem man ihnen den Hals umdrehen müsse. Diesen, verriet er bereitwillig, beherrsche er. Seine Augen blitzten amüsiert. Draußen vor der offenen Tür sah man das Gleisbett und schemenhafte Umrisse von Sträuchern vorüberfliegen. Ich war inzwischen ziemlich angetrunken und traute mich nicht zu fragen, wie vielen Leuten der freundliche Israeli schon den Hals umgedreht hatte. Ich war jetzt allein mit dem Mann mit dem Todesgriff. Wo war eigentlich der Schaffner abgeblieben? Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ich von der Toilette zurückgekommen war. Wenn der Mann verrückt war und meine Leiche aus dem fahrenden Zug warf, würde mich niemand vermissen. Er brauchte nur meine Tasche an sich zu nehmen … Ich rückte unauffällig von ihm ab und verabschiedete mich. Dann trat ich den Rückzug in mein „Upper“-Bett an. Später nachts, als ich kurz aufwachte, sah ich ihn noch einmal mit einer unangezündeten Zigarette im Mundwinkel durch den Gang geistern, von dem Schaffner immer noch keine Spur. Das gleichförmige Rumpeln des Zuges wiegte mich wieder in den Schlaf.
Am Morgen weckten mich zugestiegene Essensverkäufer, die sich lautstark bemerkbar machten. Langsam krochen die Passagiere aus ihren Kojen, und der wieder aufgetauchte Schaffner klappte die Betten hoch. Ich kaufte mir einen Fried Rice mit Spiegelei und einen Kaffee und wartete gespannt auf Nong. Der Vorhang zu ihrer Koje war immer noch geschlossen, doch ihre Flip-Flops mit dem roten Tüllbommel standen am Fuß der Leiter. Ich war gespannt, wie sie morgens aussehen würde.
Erst als der Schaffner mit allen anderen Betten fertig war, zupfte er an Nongs Vorhang, und Miss Nong war bereit für ihren großen Auftritt. So graziös, wie ihre Körperfülle es zuließ, kletterte sie die Leiter herunter. Sie trug dasselbe Outfit wie am Vorabend, nur diesmal in unschuldigem Weiß, frisch gebügelt, jede Rüsche wie gestärkt. Als sie sich umdrehte, zwinkerte sie mir zu. Ihr Make-up war perfekt, von den falschen Wimpern bis zum passend rosafarbenen Lippenstift. Sie bückte sich, ersetzte den roten Tüllbommel an ihren Flip-Flops durch einen weißen und verließ den Zug in einem Kaff, das nur durch ein Häuschen an den Schienen markiert wurde.
„See you“, flötete sie, winkte mir mit ihrer Tasche zu und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen, zwischen Palmen und bunten Hibiskussträuchern. Es war, als hätte das Fotografenpaar Pierre et Gilles eine kitschige Tropenszene inszeniert.
Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass der Zug zwei Stunden Verspätung hatte. Aktuell jedenfalls, später würden es vielleicht auch drei sein, meinte der Mann mit dem roten Hemd, der sich zu mir gesetzt hatte, als der Schaffner sein Bett machte. Er sollte recht behalten.
Überall, wo die Bahn nicht verkehrt, fährt der Minibus. Wo vor ein paar Jahren allenfalls Pick-ups mit Holzpritschen fuhren, die Songtaews, die heute fast nur noch auf Kurzstrecken eingesetzt werden, ist der Minibus japanischer Bauart im Einsatz, der je nach Baujahr mehr oder weniger bequem ist und um die zehn Leute transportiert. Manchmal warten die Fahrer, bis der Bus voll ist, manchmal fahren sie auch einzelne Passagiere, manchmal kosten sie genauso viel, wenn man allein fährt, wie zu zehnt, mal wird nach Personen berechnet. Gern wird man scheinbar willkürlich auf Parkplätzen oder Staubstraßen in andere Minibusse oder Pick-ups verladen. Selbst wenn man das gleiche Ziel hat und im gleichen Bus sitzt, scheinen die unterschiedlichsten Verkehrsmittel dort hinzuführen. Warum das so ist? Besser nicht danach fragen, man würde sowieso nur ein Achselzucken ernten. Das thailändische Minibus-System birgt Geheimnisse, die man wohl nie wirklich lösen wird, aber das Netz ist gut ausgebaut, und erstaunlicherweise funktioniert es. Tickets werden von den Reiseagenturen oder direkt am Busbahnhof oft in Kombination mit Bootstickets verkauft. Ein Ticket Lanta–Samui umfasst zum Beispiel zwei verschiedene Boote, Minibus und Fähre.
Ohnehin kommt irgendwann der Moment, an dem es auf Rädern nicht mehr weitergeht. Dann, wenn man an einem Pier steht, in einem Hafen oder an einem Strand. Schließlich ist der Mythos der unberührten Insel zum Allgemeingut der Traveller geworden: langer weißer Strand, Kokospalmen, klares, türkisfarbenes Wasser und kein Mensch, allenfalls ein attraktiver zum Knutschen. Verfilmt worden ist diese kollektive Sehnsucht Reisender in Südostasien auch schon, und so spucken Speedboote und Fähren jeden Tag Tausende von Touristen auf Phuket, Koh Samui oder Phi Phi Island aus. Meistens kann man dort vor allem paragliden, sich auf aufblasbaren Riesenbananen durch die Wellen ziehen lassen und billiges Pad Thai essen.
Den perfekten Strand, sozusagen die blaue Blume der Individualtouristen, wird man dort nicht finden, auch wenn das Meer türkisfarben ist und der Sand weiß. Eher Biergärten, leichte Mädchen und Ernst’s Original Deutsche Bakery, aber viele Touristen suchen wohl einfach nur ein kaltes Bier und angenehmes Klima. Am besten verstehen es heute Luxusresorts, die Illusion vom Tropenparadies darzustellen. Speziell Rucksacktouristen, die mit ihrem Wunsch, alles möglichst billig haben zu wollen, vielerorts eine Infrastruktur aus schäbigen Hütten, Reggae-Bars und Kifferhöhlen hinterlassen, mokieren sich gern darüber. Aber sehen wir es mal so: Auf gut gepflegten Privatinseln beweist man meistens mehr Geschmack als in schmuddeligen Travellerquartieren, und mehr Geld wird dort auch umgesetzt.
Wer Einsamkeit und Idylle sucht, muss heute entweder Geld ausgeben oder weit wegfahren, zumindest weiter als die anderen. Doch auch wenn man kaum einen Platz finden wird, an dem nicht schon Touristen waren, braucht es nur ein bisschen Eigeninitiative, um abseits der Trampelpfade etwas zu entdecken, das einen vor Schönheit sprachlos macht. Es gibt das türkisfarbene Meer, die Korallengärten und den Strand. Um ihn zu suchen, lohnt es sich, mit dem privaten Longtailboot auf Erkundungstour zu gehen. Diese vier bis sechs Meter langen Holzboote mit Außenbordmotor sind die gleichen wie in den legendären Siebzigern, als angeblich ständig neue Tropenparadiese entdeckt wurden, und ein Longtailboot-Trip macht heute noch genauso viel Spaß wie damals. Die Motoren knattern (möglichst laut, weil das angeblich die bösen Geister des Wassers vertreiben soll), es riecht nach Diesel und Meer und großer Freiheit. Kann man besser an eine Schnorchelstelle kommen, die vom Strand aus nicht erreichbar ist? Kann man romantischer auf dem Meer unterwegs sein? Am Bug zu sitzen und an irgendeinem unbewohnten Felsen zu rasten kommt dem Ideal von Thailand immer noch ziemlich nahe.
Manchmal allerdings auch gefährlich nahe. Ich hatte einmal mit Freunden ein Boot gemietet, das uns auf eine Insel bringen sollte, an deren Ende angeblich wieder einmal der perfekte Strand lag. Plötzlich schepperte es, und das Knattern des Außenbordmotors ging in eine Art Heulen über. Wie der Kapitän herausfand, war eine Kurbelwelle gebrochen, ohne die wir nicht weiterfahren konnten. Erschwerend kam hinzu, dass das Handy des Bootsmanns keinen Empfang hatte. Ruder gab es an Bord ebenso wenig wie Schwimmwesten. Das einzige Land, das wir am Horizont entdecken konnten, war ein spitzer Felsen, und die Strömung trieb uns langsam, aber sicher aufs offene Meer hinaus. Glücklicherweise wurden wir nach einer Stunde oder zweien von einem anderen Boot entdeckt und abgeschleppt. Seitdem beschwere ich mich nicht mehr über die Handyempfangstürme und Satellitenantennen, die neuerdings selbst auf den kleinsten Inseln zu sehen sind – übrigens auch, um die Bewohner vor möglichen Tsunamis warnen zu können.
Generell sollte man darauf achten, dass die Boote seetüchtig sind. Wenn eine Tour schon damit anfängt, dass Wasser in den Bilgen steht und die Fahrgäste schöpfen müssen, ist Vorsicht geboten. Man kann Boote stundenweise mieten oder auch für Tage. Proviant und Tauch-Equipment gibt es auf Wunsch gleich dazu, und meistens kümmert der Kapitän sich auch um Lagerfeuer und Essen. Am besten ist es, gerade bei längeren Touren, wenn man selbst vorher mit dem Bootseigner spricht. Schließlich soll man ein paar Tage mit diesem Mann verbringen, und wenn er überhaupt kein Englisch versteht, kann das mühsam werden. Aber ich habe auch schon einen Bootsmann getroffen, der hervorragend Bayrisch sprach. Er lebte seit mehreren Jahren bei seiner deutschen Frau am Ammersee und verbrachte die Wintersaison bei seiner Familie in Thailand.
Speziell in der Andamanensee, in den Nationalparks südlich von Koh Lanta, kann man dem durchorganisierten Tourismus mit dem Longtailboot wunderbar ausweichen. Hier gibt es zahllose kleine Inseln, oft nicht mehr als ein paar malerische Kalksteinfelsen mit ein paar Metern Strand oder einer Höhle, die ein, zwei Stunden Fahrtzeit auseinanderliegen, die größeren vielleicht mit einem Dorf und einer Kokosplantage. Eine Bungalowanlage und ein Restaurant haben die meisten, und wenn einem danach nicht der Sinn steht, kann man dort ebenfalls wunderbar zelten.
Das vielleicht größte Geschenk am Reiseland Thailand ist, dass man alles haben kann und dass es nicht unbedingt mit dem Preis zu tun hat, ob etwas gut ist. Ein schlichter Bungalow aus Bambusmatten kann genauso schön sein wie ein Fünfsterneresort, ein Som Tam in der Garküche am Straßenrand sogar besser schmecken als im Restaurant, weil es authentischer ist. Und das gilt natürlich auch für die Art des Reisens. Unterwegs zu sein in einem Land ist manchmal eine Geld-, aber auch eine Geschmacksfrage. Was will man sehen? Wie viel Zeit hat man zur Verfügung? Wie sieht man sich selbst als Reisender? Schließlich ist das Reisen selbst ein Teil des Urlaubs, bei dem man etwas über das Land erfahren will, in dem man unterwegs ist. Und über sich selbst.

Martin Schacht

Über Martin Schacht

Biografie

1965 in Rendsburg geboren, arbeitet als Autor von Büchern und Fernsehreportagen für „ARTE“ und andere Sender sowie als Drehbuchautor und Reisejournalist. Seine Romane erschienen bei Rowohlt („Mittendrin“, „Straßen der Sehnsucht“, zuletzt „Mandalay Moon“), bei Argon sein Sachbuch »Die ewige...

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