Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha - eBook-Ausgabe
„Ein unterhaltsamer Blick in das Innenleben des ehemaligen Indochinas. Lesenswert.“ - Westfälische Nachrichten
Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha — Inhalt
Zarte Frauen mit Kegelhüten und Mönche in safranfarbenen Roben; am Straßenrand weiße Rinder und duftende Garküchen; bizarre Felsformationen und die berühmtesten Tempel der Welt: Südostasien bezaubert. Der Autor erzählt, wie er von Laoten ein ganz neues Zeitgefühl lernte; wie in Vietnam chinesisches und französisches Erbe, kommunistischer und wirtschaftlicher Ehrgeiz lässig harmonieren; vom Leben in Kambodscha mit Legenden, Bettlern und hungrigen Hausgeistern; vom Mekong als Lebensader, 40-stündigen Busfahrten über Serpentinen und dem täglichen Mopedirrsinn in Phnom Penh. Er geht in Saigon auf die Suche nach Graham Greene, verrät, warum die Regenzeit viel besser ist als ihr Ruf und was das Lächeln der Asiaten wirklich bedeutet.
Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung für Vietnam, Laos und Kambodscha“
Eine Reisewarnung
Falls Sie eine Reise nach Laos, Kambodscha und Vietnam planen – jene Region, die man einst unter dem viel spannender klingenden Namen Indochina zusammenfasste –, möchte ich an dieser Stelle eine Warnung aussprechen: Sie werden immer zu spät kommen. So geht es zumindest mir. Wo ich auch hinreise, um authentische Kulturen kennenzulernen, romantische Landschaften zu sehen, kurz: um ein Tim-und-Struppi-Abenteuer zu erleben – immer komme ich zu spät. Wenn ich ankomme, dann ist da eine zwielichtige Bar, und am Tresen sitzt ein raubeiniger [...]
Eine Reisewarnung
Falls Sie eine Reise nach Laos, Kambodscha und Vietnam planen – jene Region, die man einst unter dem viel spannender klingenden Namen Indochina zusammenfasste –, möchte ich an dieser Stelle eine Warnung aussprechen: Sie werden immer zu spät kommen. So geht es zumindest mir. Wo ich auch hinreise, um authentische Kulturen kennenzulernen, romantische Landschaften zu sehen, kurz: um ein Tim-und-Struppi-Abenteuer zu erleben – immer komme ich zu spät. Wenn ich ankomme, dann ist da eine zwielichtige Bar, und am Tresen sitzt ein raubeiniger Amerikaner oder Australier, der angeblich vor langer, langer Zeit, gerade als die Region „wieder offen“ geworden war, mit den ersten Hilfsorganisationen nach Indochina gekommen ist. Und der sagt dann: „Was? Authentische Kulturen? Romantische Landschaften? Ach ja, bis vor Kurzem war Indochina noch authentisch und romantisch – also, bis kurz bevor DU hier aufgeschlagen bist, du mit deinem lächerlichen Reiseführer in der Hand. Tja, und dann hat es sich plötzlich in diese chaotische Touristenhölle verwandelt, die du jetzt erlebst. Sorry, dude! Noch ein Beerlao?“ So geht es mir jedes Mal.
Ich will Ihnen davon erzählen, wie ich das letzte Mal zu spät gekommen bin. Es war ein Trip, den ich schon lange gemacht haben wollte: Mein Plan war, mit einem sogenannten Slowboat, einem der hölzernen Frachtkähne, die zu Passagierfähren umgebaut wurden, von Chiang Kong, einer kleinen thailändischen Stadt am Ufer des Mekong, nach Luang Prabang in Laos hinunterzufahren. Ich hatte viele begeisterte Reiseberichte über diese Tour gelesen und erwartete, durch eine „Geo“-Fotoreportage zu gleiten: Wasserbüffel am Flussufer, Morgennebel über dem Fluss …
Doch als ich dann tatsächlich im Boot saß, war meine Enttäuschung groß.
Offensichtlich war ich nicht der Einzige, der diese Idee gehabt hatte. Die Holzbänke waren voll besetzt mit Touristen. Ich musste die Flip-Flops einziehen. Durch die Reihen lief ein vielleicht 12-jähriger Junge mit einem rosa Plastikeiskühler voller Bier, Wodka- und Red-Bull-Flaschen. Er zeigte den Reisenden, wie sie sich Wodka-Red-Bull mixen konnten, indem sie zuerst den Energy-Drink halb leer tranken und die Dose dann mit Wodka auffüllten. Am Bug hatte sich eine Gruppe von Briten niedergelassen, die offensichtlich schon einiges von dem Bier getrunken hatte. Ein junger Mann mit blondem Pferdeschwanz zupfte an seiner Gitarre, ein zweiter mit Dreadlocks begleitete ihn auf einer Bongo. Dann war da noch Lars aus Holland, der das Gesprächsthema in seiner Reisegruppe war, weil er in der letzten Nacht ein thailändisches Mädchen mit aufs Zimmer genommen hatte und daher jetzt den Spitznamen „Boom-Boom“ trug. Am Heck saß eine Gruppe Israelis, die mir etwas zu häufig versicherten, dass sie auf ihrer Reise „viele coole und sehr nette Deutsche“ kennengelernt hätten. Dazwischen, wie Statisten, einige schüchterne Einheimische.
Ich hätte es mir denken können: Chiang Kong ist der Einfallspunkt für Touristen auf ihrer Reise durch Indochina. Die klassische Tour führt sie mit dem Boot nach Luang Prabang. Dort gucken sie sich Pagoden an und reisen, ausgerüstet mit weichen Slippern, die sie auf dem Nachtmarkt in Luang Prabang gekauft haben, nach Vang Vieng zum Tubing. Das ist eine kleine, lärmende Stadt inmitten eines von zerklüfteten Bergen umgebenen Tals, die ausschließlich aus Bars und Gästehäusern zu bestehen scheint. Die Hauptattraktion ist das besagte Tubing: Man lässt sich im aufgeblasenen Schlauch eines Autoreifens einen kleinen Fluss hinabtreiben, wobei man eine Reihe von Bretterbuden am Ufer passieren muss, in denen giggelnde einheimische Kinder mit rosa Plastikkühlern warten. Ein halber Liter Bier kostet umgerechnet 80 Cent, ein 1,5-Liter-Eimer Wodka-Red-Bull zwei Euro, ein halber Liter Cocktail 1,50 Euro, und lao lao, Reisschnaps, ist kostenlos. Dann in die Hauptstadt Vientane und danach zurück ins sichere Thailand.
Unter den Reisenden war auch ein Deutscher – wir erkannten uns mit der leichten Unbehaglichkeit, mit der sich deutsche Touristen auf Reisen begegnen. Schließlich ist dies das endgültige Ende der Illusion eines exotischen Abenteuers – die Anwesenheit eines anderen deutschen Touristen. Er sagte, er studiere Sensorik an der FH Karlsruhe, und blickte etwas säuerlich drein. In jenem thailändischen Gästehaus, in dem er das Ticket für die Bootsfahrt gekauft hatte, hätten sie ihm ein Foto von einem Schiff mit komfortablen Polstersesseln gezeigt, wie in einem Reisebus. Und da saßen wir, auf einem hölzernen Kahn mit groben Bänken.
Die Briten hatten die ersten Biere geleert und wurden laut. Zwei Kerle rauften sich im Spaß und rollten über die Holzbänke, T-Shirts rutschten hoch und zeigten verschwitzte weiße Bäuche und glühenden Sonnenbrand.
„Sind nicht alle Klischees wahr – zumindest ein bisschen?“, sagte ich mit Blick auf die Briten.
„Ja, furchtbar“, sagte der Deutsche. „Da gibt es nur eines, um das zu ertragen: mitsaufen! Soll ich dir was zu trinken mitbringen ? “
Am Ufer standen schwere Maschinen. In Chiang Kong wird mit dem Bau einer Brücke über den Mekong begonnen. Eines Tages sollen asphaltierte Schnellstraßen bis nach China führen. Mit Wehmut erinnerte ich mich daran, wie ich vor acht Jahren das erste Mal in Laos angekommen bin. Damals gab es keine Baumaschinen, keine Schnellstraßen, kaum Tourismus. Man konnte nur über lehmige Pisten durch den Dschungel reisen, in Pick-ups, die regelmäßig einer Gruppe Elefanten hinterherschleichen mussten, die gerade auf dem Weg zur Arbeit war. Ich tauschte Zigaretten mit einheimischen Jägern, die mit selbst gebastelten Musketen Vögel jagten, und rauchte in abgelegenen Dörfern Opium mit den Bauern. Schlief in den Pagoden und lauschte den einfachen Weisheiten der buddhistischen Mönche. Ich fand ein Land, in dem arme, aber glückliche Menschen lebten. Geschützt durch Buddhismus und eine fürsorgliche Diktatur vor den teuflischen Verlockungen der westlichen Welt. Ein Laos, das für immer verschwunden ist. Ach! Indochina ist nicht mehr Indochina.
Stopp !
Halt !
Schnitt !
Sie haben mir das eben nicht abgenommen, oder?
Und wenn Sie mir bis hierhin das nostalgische Geschwafel doch geglaubt haben, dann würde ich Ihnen jetzt gern einen günstigen Gebrauchtwagen verkaufen. Ich warne Sie: Wann immer ein Reisender in diese Region gekommen ist, stets hat er das Gefühl vermittelt bekommen, er habe das „wahre Indochina“ gerade verpasst. So war es immer: Als in den Sechzigerjahren die ersten amerikanischen Touristen kamen, beklagten sich die französischen Plantagenbesitzer, dass Indochina nicht mehr Indochina sei. Als die Kommunisten kamen, beklagten sich die Amerikaner, dass Indochina nun für immer verloren sei. Als die Backpacker kamen, beklagte sich so gut wie jeder, dass es mit Indochina den Bach runtergehe. Die Wahrheit ist: Es gab nie ein „wahres Indochina“. Es war nie das entrückte Paradies, zu dem es in unzähligen Reiseberichten stilisiert wurde. Indochina ist romantisch und authentisch – aber vielleicht nicht auf die Art, die Sie erwarten.
Während dieser Slowboat-Reise habe ich das wahre Indochina doch noch gefunden. Plötzlich sah ich am Ufer eine Herde Wasserbüffel. Das Dach einer Pagode funkelte. In der Ferne verschwanden die Berggipfel in den tiefhängenden Wolken. Da war sie, meine „Geo“-Fotoreportage. Sogar die Briten verstummten und genossen den Anblick. Indochina bleibt eben Indochina.
So. Könnte ich jetzt einen Wodka-Red-Bull haben?
Magic Bus
Im Folgenden werde ich Ihnen eine völlig richtungsfreie Geschichte über eine Reise in einem laotischen Bus erzählen. „Aha“, werden Sie vielleicht mit einer hochgezogenen Augenbraue sagen. „Und was ist die These? Die Aussage? Der Zweck? Warum soll ich fünfzehn Minuten meiner wertvollen Zeit für die Lektüre opfern?“
Einen Moment bitte. Jetzt mal gaaaaaaanz langsam. Mit dieser Einstellung werden Sie in Indochina nicht glücklich werden. Lehnen Sie sich zurück, und gießen Sie sich noch eine Tasse grünen Tee ein. Ich geben zu: Eigentlich hatte ich als Journalist gelernt, die Zeit des Lesers nicht zu verschwenden und so schnell wie möglich zum Wichtigsten zu kommen. Aber irgendwo in Laos ist mir jenes europäische Zeitgefühl abhandengekommen. Genauer gesagt auf einer Busfahrt. Und von der will ich berichten.
Schon als ich den Bus zum ersten Mal sah, hatte ich kein gutes Gefühl. Aber das war nicht weiter verwunderlich. Denn man hat nie ein gutes Gefühl, wenn man einen laotischen Bus sieht. Es war ein blau-weißes Fahrzeug, das aussah, wie man sich einen Schulbus auf dem Dorf vorstellt – abgesehen davon, dass Schulbusse nicht bis zur Höhe der Fenster mit rotem Schlamm verkrustet sind. Wir standen auf einem Sandplatz außerhalb der Stadt Huay Xai, und der eigentliche Zeitpunkt der Abfahrt war schon verstrichen. Der Gang zwischen den Sitzen war mit einem Motorroller, einigen Gasflaschen und unzähligen Reissäcken gefüllt. Neben mich setzte sich eine junge Frau mit einem schlafenden Baby auf dem Arm. Eine alte Frau, die offensichtlich einem der Bergvölker entstammte, aß mit großen Bissen ein Stück Wassermelone und lächelte mich mit schwarzen Zähnen und von Melonensaft rot gefärbten Lippen an. Ein Blick auf die Armbanduhr: Ich wartete jetzt seit etwa eineinhalb Stunden, dass der Bus losfahren würde. Mutlos sah ich der Aussicht entgegen, etwa acht Stunden auf diesem Plastiksitz verbringen zu müssen, über den Highway Nr. 3 schaukelnd, während mein Kopf im Takt der Schlaglöcher vor und zurück wippen würde.
Wie mutlos wäre ich gewesen, wenn ich die tatsächliche Dauer der Reise erahnt hätte?
Man nennt Laos das Land der Millionen Elefanten. Doch offen gesagt, ich bezweifele sehr, dass es tatsächlich so viele sind. Für mich ist Laos das Land der Millionen Buspannen. Und das ist keine Übertreibung.
Der Busfahrer hupte kurz als Zeichen für die Abfahrt. Ich streckte meine Füße auf einem Reissack aus. Über die Windschutzscheibe zog sich ein Sprung, der aussah wie der Finger einer Hand. Der Bus hatte sechs Gänge, aber nur drei davon schienen zu funktionieren, und das Stöhnen und Wimmern des Getriebes gehörte die Fahrt über zu den ständigen Hintergrundgeräuschen. Genau wie das Würgen der Fahrgäste. Südostasiatischen Frauen wird in Bussen grundsätzlich schlecht, während die Männer und westlichen Frauen davon völlig unbeeindruckt sind – ich bin nicht sexistisch, lediglich objektiv. Warum das so ist, weiß ich nicht, es ist eines der asiatischen Rätsel, die ich in diesem Leben nicht mehr lösen werde. Daher gehören viele kleine schwarze Plastiktüten zur Grundausstattung jedes Busses – genau wie die AK-47, die der Fahrer in unserem Fall neben sich unter einer gestrickten Decke versteckt hielt.
Die Bezeichnung Highway für die Straße Nummer 3 ist ein Euphemismus. Sie ist wenig mehr als ein schmales Band aus roter Erde, das sich in Schlangenlinien an den Hängen entlangwindet. Wir fuhren durch einige namenlose Orte, Häuser aus Bambus, die mit getrockneten Palmenblättern gedeckt waren, dazwischen Menschen, Ziegen, Kühe sowie Hühner und Vögel, die wie hungrige Truthähne aussahen. Die flache Landschaft wurde gebirgig. Die Luft roch nach Rauch, und ein großer Teil der Hänge links und rechts der Straße war versengt – wahrscheinlich gerodet und in Brand gesetzt, um Platz für neue Felder zu schaffen. Die rostbraune Erde, aufgewirbelt durch die Reifen des Busses, bedeckte meine Haut und drang in meine Nase und meinen Mund. Die meiste Zeit waren wir allein auf der Straße, hin und wieder kam uns ein mit Baumstämmen beladener Lastwagen entgegen. Der Wald reichte bis zum Horizont. Ich blickte ungeduldig aus dem Fenster, stets zur nächsten Biegung der Straße, und hoffte einen Ort oder eine Kreuzung zu sehen, anhand derer ich hätte erkennen können, wie weit wir waren. Aber stets war da nur Wald und hinter der nächsten Biegung noch mehr Wald.
Ein Blick auf die Uhr. Musste der Bus so langsam dahinkriechen? Ich hatte nicht ewig Zeit. Nach den Völkern der Bergdörfer im Norden wollte ich noch die Tempel von Luang Prabang sehen, die Pötte in der Plain of Jars, ich wollte zum Tubing in Vang Vien – Zeit und Geld musste optimal eingesetzt, durch sorgfältige Planung das Bestmögliche aus drei Wochen Urlaub herausgeholt werden. Wie entsetzlich ist die Panik des Touristen, wenn er nach der erste Reisewoche feststellt, dass er bereits ein Drittel seines bezahlten Urlaubs – jene raren Wochen im Jahr, in denen man noch einmal ganz verwegen ein Abenteuer erleben darf – vor allem in Flughäfen, Reisebüros, Bahnhöfen und Bussen verbracht hat und die Speicherkarte der Digitalkamera noch nicht einmal halb mit Bildern gefüllt ist. Wann fängt der eigentliche Urlaub an? Hinter der nächsten Biegung kamen nur noch mehr rostrote Straße und Wald.
Ich musste irgendwann eingeschlafen sein und wurde davon geweckt, dass jemand an meiner Schulter rüttelte. Der Bus stand. Ein Soldat in einem verwaschenen Khakihemd und mit einer Baseballmütze auf dem Kopf. Eine blank gewetzte Kalaschnikow baumelte an seiner Schulter. Ich blickte kurz um mich, draußen standen noch weitere Soldaten, sie trugen Ponchos aus zerknitterter Plastikfolie zum Schutz vor dem Regen, der mittlerweile eingesetzt hatte. Eine Straßenkontrolle. Der Soldat hielt die Hand auf und blickt mich an. Wollte er Geld? Ich suchte mit der Hand bereits nach meinem Geldbeutel, als ein junger Mann ein paar Reihen vor mir hektisch „No!“ rief. „No – Passport!“, sagte er lächelnd. Ich holte meinen Pass hervor, aber der Soldat warf noch nicht mal einen Blick hinein. Ich war offensichtlich nicht das, wonach sie suchten. Stattdessen griff der Soldat nach einem groben Leinensack auf dem Boden. Mir blieb fast das Herz stehen, als er dessen Inhalt hervorzog: ein totes Pelztier mit halb offen stehenden Augen. Ich hatte keine Ahnung, was für eine Kreatur das war. „Fuchs-Waschbär-Ratte“ beschreibt es am besten. Einer der Fahrgäste stand empört auf und fing einen Streit mit dem Soldaten an. Der Soldat wiederum gestikulierte mit dem Pelztier in der Hand, wobei dessen nach nassem Hund riechender Schweif mir ständig durchs Gesicht wischte. Der junge Mann lächelte mich an: „Das ist alles ganz normal“, sollte das wohl heißen. Nachdem der Soldat mit dem Tier verschwunden war, setzte sich der Bus wieder in Bewegung. Der Regen hatte die Straße aufgeweicht, wir fuhren nun deutlich langsamer. Ich blickte auf die Uhr: Sechs Stunden waren wir bereits unterwegs.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr blickte – eine halbe Stunde später – passierte es: Der Bus bewegte sich seitwärts und neigte sich ein Stück, ich musste mich mit den Händen abfangen, um nicht mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe zu knallen. Der Fahrer ging vom Gas und riss brutal am Schalthebel. Nachdem das Fahrzeug zum Stillstand gekommen war, ließ er die Kupplung kommen, aber der Bus schüttelte sich nur wie ein müdes Pferd. Ich blickte ratlos umher, um in den Gesichtern der anderen einen Hinweis darauf zu entdecken, was vor sich ging. Meine Mitreisenden sahen sich aber nur wissend an. Dann hörte ich durch das Rasseln des Motors hindurch das hohe Geheule durchdrehender Reifen – wir steckten fest. Die laotischen Fahrgäste verließen ohne Aufforderung des Fahrers den Bus, als würde es sich um ein einstudiertes Ritual handeln. Draußen bildete sich ein Halbkreis: Eines der Hinterräder war in einer schlammigen Rinne versackt, die Achse lag auf der Fahrbahn auf, das ganze Fahrzeug hatte sich beunruhigend zur Seite geneigt.
Der Fahrer verschwand unter dem Bus und legte Ketten um die Reifen, ähnlich den Schneeketten, die wir in Deutschland verwenden. Dann kletterte er wieder in den Bus und gab Gas: Der klebrige Schlamm haftete an den Ketten, und im Nu drehten die Räder wieder durch. Der Motor erstarb mit einem obszönen Geräusch. Ein Blick auf die Uhr: Es war drei Uhr nachmittags, seit acht Stunden waren wir jetzt unterwegs, und in drei bis vier Stunden würde es dunkel werden. Mir fiel auf, wie kühl es inzwischen war – Pullis und lange Hosen hatte ich in meinem Rucksack auf dem Dach des Busses gelassen. Meine Mitreisenden begannen sich auf der schlammigen Straße einzurichten. Sie brachen kleine, noch grüne Zweige von den Ästen der uns umgebenden Bäume, schichteten sie zu ärmlichen Häufchen auf und brachten diese zum Brennen, indem sie Plastikflaschen anzündeten und das brennende Plastik auf das Holz tropfen ließen. Dann hockten sie sich im Kreis um dieses Feuer, auf ihren Hacken sitzend, und rauchten Zigaretten und plauderten.
Ich lief mit verschränkten Armen auf und ab, in Ermangelung eines Gesprächspartners, mit dem ich über die Unfähigkeit des Busfahrers hätte lästern können. Schließlich war doch er der Schuldige! Das ist die Logik des Bahncardbesitzers: Schuldige suchen, lamentieren, reklamieren. Ich hoffte, dass meine demonstrativ zur Schau gestellte schlechte Laune den Fahrer antreiben würde. Aber er konnte mich ohnehin nicht sehen. Er hatte eine Klappe an der Seite des Busses geöffnet, in der er einige Werkzeuge, einen öligen Plastikeimer voller Schrauben und eine Sammlung aus Holzscheiten verstaut hielt, und er wog jetzt einige dieser Holzstücke in der Hand, wie ein Chirurg, der für einen komplizierten Schnitt ein passendes Skalpell sucht. Mit dem ausgewählten Scheit verschwand er dann unter dem Fahrzeug. Ich blickte auf die Uhr: In etwa einer Stunde würde es dunkel werden. Ich war nicht unbedingt erpicht darauf, die schlammigen Serpentinen in der Nacht entlangzufahren.
„Schnörkelloses Profil.“
„Eine clevere und äußerst lustige Lektüre für Indochina-Neulinge.“
„Ein unterhaltsamer Blick in das Innenleben des ehemaligen Indochinas. Lesenswert.“
„Sprachgewandt, stets entlang der fließenden Grenze zwischen Reportage und Literatur, spielt er gekonnt mit den gängigen Klischees. (…) Ein informatives Buch. Und ein garantiertes Lesevergnügen.“
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