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„Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.“ Briefe aus dem Himalaja „Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.“ Briefe aus dem Himalaja - eBook-Ausgabe

Reinhold Messner
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— Die persönlichsten Zeugnisse des Alpinismus erzählen vom Höhenbergsteigen und der Himalaja-Sehnsucht der letzten 50 Jahre
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„Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.“ Briefe aus dem Himalaja — Inhalt

Die persönlichsten Zeugnisse des Himalaja-Alpinismus

An den höchsten Bergen der Welt konzentrieren sich viele Erfolgs- und Leidensgeschichten. Mit eigenen Briefen aus 50 Jahren und ausgewählten Dokumenten berühmter Bergsteiger wie Mummery, Weltzenbach, Hillary oder Buhl beleuchtet Reinhold Messner Haltung und Antrieb großer Alpinisten. Briefe über Glücksmomente und Triumphe; Nachrichten, die postum zu Abschiedsbriefen wurden: Sie alle gewähren bewegende Einblicke. Sie zeugen vom Mut der frühen Grenzgänger und einfachst ausgerüsteten Expeditionen bis hin zum Hightech-Bergtourismus unserer Zeit. Sie erzählen von Abenteuerlust, Ehrgeiz und Romantik, aber auch von Verlusten, Frust und Enttäuschung; zeigen Schlüsselmomente in der Geschichte des Himalaja-Bergsteigens in berührender Ehrlichkeit und gewähren sehr persönliche Einblicke in Messners Biografie, in Schlüsselmomente seiner Laufbahn und in seine Haltung als Bergsteiger.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 29.09.2022
288 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40662-8
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 31.08.2020
304 Seiten
EAN 978-3-492-99758-4
Download Cover

Leseprobe zu »„Gehe ich nicht, gehe ich kaputt.“ Briefe aus dem Himalaja«

Geteilte Sehnsucht
Bei den Briefen aus dem Himalaja geht es um Sehnsüchte: die Sehnsucht, die uns beseelt, Monate, oft Jahre vor dem Aufbruch; die Sehnsucht in fernen Ländern nach daheim, der Familie, der Liebsten. Es sind romantische Empfindungen, die mich anfangs in den Himalaja entführten. Sie ließen immer neue, kühnere Herausforderungen in mir wachsen, bis ich, die Sorgen der Eltern, Geschwister und meiner Frauen verdrängend, wieder aufbrechen musste.
Häufig dauerte es Monate, bis Briefe aus einem Hochlager am Makalu ins Basislager und weiter von [...]

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Geteilte Sehnsucht
Bei den Briefen aus dem Himalaja geht es um Sehnsüchte: die Sehnsucht, die uns beseelt, Monate, oft Jahre vor dem Aufbruch; die Sehnsucht in fernen Ländern nach daheim, der Familie, der Liebsten. Es sind romantische Empfindungen, die mich anfangs in den Himalaja entführten. Sie ließen immer neue, kühnere Herausforderungen in mir wachsen, bis ich, die Sorgen der Eltern, Geschwister und meiner Frauen verdrängend, wieder aufbrechen musste.
Häufig dauerte es Monate, bis Briefe aus einem Hochlager am Makalu ins Basislager und weiter von Postläufern nach Tumlingtar gebracht wurden, mit einer Twin Otter nach Kathmandu und mit der Linienmaschine über mehrere Flughäfen und zuletzt mit der Post ihre Empfänger erreichten. Umgekehrt dauerte es oft ebenso lang.
Nicht selten kamen meine Briefe daheim erst an, als ich schon wieder zurück war. All die Aufregung, mit der sie erwartet worden waren, war dann verflogen.
Mit den Briefen aus dem Himalaja verfolge ich zwei Ziele: Sie erzählen das Höhenbergsteigen meiner Zeit – mit meinen Briefen aus den letzten fünfzig Jahren –, und sie sind, ergänzt um Schlüsselbriefe aus erster Hand aus 200 Jahren Himalaja-Sehnsucht, wohl die authentischste Form der Berichterstattung aus dem Schneeland.
Ich habe mich ein Leben lang in meine Vorläufer, die großen Pioniere, zurückversetzt, um ihren Alpinismus nachempfinden zu können. Dazu hatte ich das Glück, mehr als 50 Expeditionen in den Himalaja zu überleben. Dabei ist mein Blick auf die Veränderungsprozesse beim Höhenbergsteigen immer schärfer geworden. Mit diesen Briefen nun gebe ich diese Geschichte weiter, sie gehört damit nicht mehr nur den Lieben zu Hause.
Das Glück der frühen Geburt

Mein Bergsteigen ist mehr kultureller Natur als sportliche Lebensäußerung. Ob ich dabei in den Tälern tief drinnen im Gebirge oder auf den beweideten Almflächen, wo im Laufe von Jahrtausenden eine eigenständige Bergkultur entstanden ist, unterwegs bin oder über Kare, Gletscher und Fels auf Gipfel steige, meine Auseinandersetzung mit dem Berg ist mit Zahlen – Zeitmaß, Schwierigkeit, Höhenmetern – allein nicht messbar. Es ist nichts weiter als die Kunst, in eisigen Höhen am Leben zu bleiben. Die Wirklichkeiten, das Glück auch, die mir dabei zuwachsen – eine Vielfalt von Verhaltensweisen, Erfahrungen, Erkenntnissen –, machen das aus, was ich als traditionellen Alpinismus verstehe: Bergsteigen als Spaziergang durch die Erdgeschichte sowie Vertiefung in die Natur des Menschen. Die ständige Begegnung mit den Naturgesetzen im Himalaja und Karakorum und mit allem, was unserer Welt dort oben Sinn verleiht, hielt ich fünfzig Jahre lang in Briefen nach Hause fest. So hielten es auch alle anderen, die jene Leidenschaft mit mir teilten und teilen, die uns antreibt, in die höchsten Höhen unserer Erde vorzustoßen. Diese „Briefe aus dem Himalaja“ – ob von Bedeutung oder nicht – sind jedenfalls zeitlose Dokumente eines Lebensgefühls, das unmittelbar geteilt werden wollte. Dabei geht es um erlebte Wirklichkeit und darum, andere Menschen von der Wahrheit dieser Wirklichkeit zu überzeugen.
Die Auswahl der Briefe ist nicht gerecht, so wenig, wie Geschichte gerecht ist, sie spiegeln aber das Lebensgefühl der jeweiligen Zeit lebensnah wider. Ob nun die Hierarchie zwischen möglich und unmöglich oder die Überheblichkeit der Sahibs – „wir weißen Herrn“ – als „biologische Tatsache“.
Im Himalaja wurden Vorstellung und Recht einst von den Göttern diktiert. Diese Wirklichkeit aber schwand und verschwand zuletzt mit unseren Geschichten von der Eroberung der Gipfel. Westen und Osten, Stadt- und Bergkultur mischen sich weiter, auch weil Kulturen dauernd im Fluss bleiben. Mit jedem Jahrhundert schrumpft die Vielfalt an Kulturen, die verbliebenen gleichen sich an, sie werden umfangreicher, komplexer und oberflächlicher. Die Abenteuer einst und heute finden in völlig verschiedenen Welten statt: Die Gesetze der Natur – dazu Schwierigkeiten, Gefahren, Exposition –, einst Voraussetzung für Abenteuer, werden mit touristischen Infrastrukturen ausgehebelt und ersetzt durch Wunschvorstellungen. Diesen erfundenen Geschichten stelle ich nun meine Auswahl der „Briefe aus dem Himalaja“ gegenüber: In ihrer Unmittelbarkeit erzählen sie von der Verschmelzung von Natur und Kultur, vom Glück auch, frühzeitig da gewesen zu sein.
Die Menschen in Bhutan gelten heute als die glücklichsten auf dieser Erde. Als ob man subjektives Glücksempfinden mithilfe von Fragebögen ermitteln könnte. Das Glück hängt immer noch von der Gabe ab, es im Hier und Jetzt herauszufordern. Und zuletzt will es geteilt werden, auch mit jenen, die daheim auf eine Nachricht aus den letzten wilden Winkeln im Himalaja warten.
Marco Polo bringt schon im 13. Jahrhundert Kunde von den höchsten Höhen der Welt nach Europa:

Und nachdem du Berge und wieder Berge erstiegen hast, so kommst du endlich zu einem Punkt des Weges, wo du glauben kannst, daß die Berge ringsum das höchste Land der Welt sind … Zwölf Tage lang geht der Weg entlang dieser Höhen, welche den Namen Pamer haben. Und während dieser Zeit trifft man keine Bewohner, und deshalb ist es notwendig, sich vorher zu versorgen. So groß ist die Höhe der Berge, daß man keine Vögel mehr in der Höhe ihrer Gipfel sieht. Und so ungewöhnlich es auch klingen mag, konnte doch festgestellt werden, daß durch die Schärfe der Luft die Feuer, die man angezündet hatte, nicht dieselbe Hitze gaben wie in niederen Lagen und auch nicht die gleiche Wirkung auf Lebensmittel, die man kochen wollte.


I Pionierzeit
1850–1924
„Ich werde mein Bestes dransetzen, Dir den Gipfel des Nanga zu Füßen zu legen.“
Albert Frederick Mummery


Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Darjeeling,
24.4.1855
Hochverehrteste Excellenz!
Nachdem wir unsere Reise durch Centralindien vollendet, ist es unsere angenehmste Pflicht, Ihnen einige Mittheilungen über dieselbe zu machen; wir müßen dabei vor allem mit dem besten Danke erwähnen, wie wichtig und werthvoll Ihre Briefe uns waren. Überall wurden wir in Folge Ihrer warmen Theilnahme an unseren Bestrebungen mit der größten Zuvorkommenheit aufgenommen und fanden stets alle Hülfe der Behörden, die wir zur Förderung unserer Beobachtungen wünschen konnten. Ihr Name ist hier so verehrt und bekannt wie überall; selbst viele der unterrichteteren Natives in den Städten überraschten uns sehr häufig mit den speciellsten Erkundigungen nach Ihnen, nachdem sie gehört hatten, daß wir aus Deutschland kämen.
Wir haben uns erlaubt, an den König nicht nur einen Bericht über die Reise (vielleicht mit Ausnahme des ersten und letzten Satzes für die geogr. Gesellschaft paßend), sondern auch den officiellen Rapport an die indische Regierung zu übersenden. Aus diesem würden wir Sie bitten, der Academie aus III A. jenen Theil, der sich auf die Abend und Morgenröthe bezieht, und aus Theil IV. vielleicht ebenfalls einiges mitzutheilen. Dr. Rath oder Ewald sind wohl so gütig, die Sachen zu übersetzen; es war uns bei der großen Mannigfaltigkeit der intereßantesten Gegenstände, die uns jeden Tag umgeben, nicht möglich, selbst die Übersetzung zu machen.
In Theil III A. finden Sie, wenn auch mit der Unvollständigkeit, die auf Reisen fast unmöglich zu vermeiden ist, verschiedene Beobachtungen über die Abendröthe, die zunächst durch Ihre Anregung uns aufgefallen sind. (Auch das Alpenglühen, die seconde coloration, ist hier ganz ebenso zu und das lang andauernde nächtliche Leuchten des Schnees ist hier ebenso zu Darjeeling-Kichinjinga ebenso zu sehen, wie wir es in den Alpen gefunden; ich werde nächstens wieder einige Zeilen, speciell über diesen Gegenstand Ihnen senden.)
Nachdem diese kleinen Mittheilungen der Academie vorgelegt, würden wir sehr bitten, verzeihen Sie diese rasche Folge fast zu unbescheidener Wünsche, das erstere Prof. Poggendorff für die Annalen, das 2te der geologischen Gesellschaft mitzutheilen.
Wir waren auf das freudigste von dem Beitrage überrascht, den S.M. der König uns zusenden ließ. Wir bitten dem Könige wiederholt unseren tiefgefühlten Dank auszusprechen. Diese Sendung war uns gerade jetzt sehr werthvoll, indem vielleicht von ihr die Möglichkeit, nach Sikkim und dem Kinchinjinga zu kommen, wesentlich abhängt.
Unsere Pläne sind nemlich folgende: Meine beiden Brüder haben vor, während des Sommers zunächst Kamaon und Gurwal zu besuchen und gegen Ende des Sommers wo möglich über die Päße an der Westgrenze Nepals nach Katmandu zu gehen. Der letztere Theil ihrer Reise ist nicht ganz bestimmt festgestellt, doch sind vom indischen Gouvernement bereits sehr specielle Vorschläge an die nepaulesische Regierung gemacht worden.
Ich selbst bin bereits am 5ten April nach Darjeeling abgereist und werde versuchen, von da nach Sikkim zu gehen. Der Raja hat die erste Anfrage der Regierung, wie ich erst hier in Darjeeling erfuhr, entschieden mit Nein beantwortet. Ich schlug jedoch jetzt vor, zunächst durch Dr Campbell, den Residenten in Sikkim Darjeeling, nur direct an den Fuß des Kinchinjunga zu gehen.

Zugleich wird es ganz unvermeidlich sein, wie mir bereits angedeutet wurde, den Beamten des Raja oder vielmehr indirect ihm selbst bedeutende Geschenke bis zum {Ich bitte dieses nicht weiter mitzutheilen, bis es glücklichen Erfolg gehabt hat.} Betrage von etwa 2000 Rupien a 20 Sgr. zu machen, um unterwegs nicht aufgehalten zu werden. Dieß wird zunächst von dem vom Könige zu erhaltenden Beitrage zu bezahlen sein. Leider wird uns dieß auch nöthigen, uns in nicht zu ferner Zeit wiederholt um eine Geldsendung nach Berlin zu wenden. Dürften wir hoffen, daß Ihre gütige Vermittlung auch dieses mal uns unterstützen wird.
Unsere Sammlungen war bestehen vorzugsweise in geologischen Hand Gegenstän Felsarten und Versteinerungen und in einer ziemlich vollständigen Reihe aller charakteristischen Fluß- und Quellwaßer, die wir auf unserer Reise durch Indien fanden. Sie sind in Glasflaschen mit eingeriebenen Stöpseln und gut versiegelt, ein recht intereßantes Mat, wie wir glauben, für spätere Analyse ausreichend gesichert. Unter den ethnographischen Gegenständen dürften vielleicht besonders die Photographien und Abgüsse der Gesichter in Gips zu erwähnen sein. Alles bis jetzt gesammelte Material liegt im Surveyar Generals Office (an das wir auch in Calcutta und wird später mit jenem aus dem Himalaya zusammen nach Europa geschickt).
Dürften wir hoffen, daß Sie uns auch [auf] die Ferne das Wohlwollen und die Theilnahme bewahren, die seit dem Beginn er unseren ersten wissenschaftlichen Versuchen unsere wesentliche Stütze war und die uns stets die schönste Erinnerung unseres Lebens bleiben wird. Ich wage kaum hinzuzufügen, wie wer sehr wir durch einige wenn auch noch so kleine Mittheilung von Ihrer Hand erfreut wären.
(Adresse Surveyar Generals office Calcutta).

Mit dem Ausdrucke unbegrenzter Verehrung und Hochachtung
Euer Excellenz
ganz dankbarst ergebener H. Schlagintweit

Sr Excellenz
Herrn Baron Humboldt
Berlin


Robert von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Leh in Ladakh,
26.9.1856
Hochverehrte Exzellenz!
Es gelang uns jüngst, Hermann und mir selbst, unsere Beobachtungen auf einem für uns besonders interessanten Wege quer durch den Kuenluen bis in die Höhe von Elshi, der Hauptstadt von Khotan, fortzusetzen.
Der Umstand, daß, so viel wir wissen, es niemals noch ein Europäer versucht hatte, die Grenze von Ladak und Turkistan zu überschreiten, mag wohl sehr wesentlich vielleicht mehr als unsere eigenen, sehr geheimen Vorbereitungen in Leh dazu beigetragen haben, uns diese Reise möglich zu machen.
Dem Berichte, den wir uns erlaubten S.M. d. Könige vorzulegen, fügten wir auch eine Zusammenstellung einiger Resultate bei; vielleicht dürfte diese Zusammenstellung wenigstens ihrer Form nach nicht ganz unpassend sein, vielleicht durch Ihre gütige Vermittlung den Academieen zu Berlin und Paris mitgetheilt zu werden (der Royal Society werden immer unsere Berichte von Colonel Sykes vorgelegt).
Wir fühlen lebhaft, wie unvollständig dieser Bericht erscheinen muß und wie sehr es für uns nöthig ist, nachsichtige Beurtheilung zu beanspruchen besonders von Eurer Excellenz.
Wir hatten so oft das Glück, Ihrer unschätzbaren Belehrung uns zu erfreuen, daß die Erinnerung daran uns nur um so ängstlicher macht, so allgemein gehaltene und gedrängte Mittheilungen, von der Zeit hart bedrängt, senden zu müssen.

Mit den verbindlichsten Empfehlungen von Herman[n] verbleibe ich mit ausgezeichnetster Verehrung und unbegrenzter Hochachtung
Euer Excellenz dankbarst ergebener
Robert Schlagintweit.
Leh, in Ladak, 26. Sept. 1856.

Sr. Excellenz
Hr. Baron von Humboldt etc. etc. etc. etc.

P.S. Empfangen Sie [meinen] ganz verbindlichsten Dank [fü]r die ermuthigende Aufnahme, d[ie] unser Bruder Emil bei Ihnen gefunden hat; alles, was er uns darüber schreibt, ist uns um so erfreulicher, da es uns auf das lebhafteste an die für uns so wichtige Zeit erinnert, in der wir das Glück hatten, mit E. Excellenz bekannt zu werden.


Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Rawalpindi iM Punjab,
11.12.1856
Hochverehrteste Excellenz!
Es war uns eine grosse Freude, in einem jüngst von unserem Bruder Emil erhaltenen Briefe zu lesen, dass Sie die Berichte, die wir von Zeit zu Zeit über unsere wissenschaftlichen Arbeiten in Indien geben, noch stets wie früher mit reger Theilnahme aufnehmen.
Die Erinnerung an die Belehrungen und die vielfachen Anregungen, die wir Ihnen verdanken, ist uns stets auf das lebhafteste gegenwärtig, und es ist unser eifrigstes Bestreben, Resultate zu erhalten, die vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit nicht ganz unwerth sein möchten[.] Robert und ich haben über unsere Beobachtungen in Kuenluen einen kleinen Bericht von Leh Ende September abgesandt, der jetzt wohl Berlin erreicht hat. Gleichzeitig mit diesem Briefe geht ein Bericht von Adolph ab, der die etwas westlicher gelegenen Theile des Kuenluen untersucht hatte.
Unsere Pläne für diese kalte Jahreszeit sind, dass Adolph nach Peshawur und dann dem Indus folgend nach Kurachee und Bombay, Robert auf einer etwas südlicheren Route über Multan und durch Scind und Guserat nach Bombay reisen. Ich selbst werde nach Lahore und Patna gehen und von dort, was endlich definitiv arangiert zu sein scheint, Katmandu besuchen. Nach kurzem Aufenthalte in Nepal komme ich nach Calcutta.
Wir glauben dann, durch glückliche Umstände begünstigt, die es uns möglich machten, fast immer getrennten Routen zu folgen, unsere Beobachtungen in Indien so weit vervollständigt zu haben, dass wir gegen Anfang der heissen Jahreszeit aus Indien abzureisen beabsichtigen.
Auch unsere Sammlungen, sowohl in Beziehung auf Geologie, geographische Botanik und Zoologie als auch auf Ethnographie sind, glaube ich, ziemlich vollständig. Wir haben während der Monate Merz und April 1856 210 grosse Kisten an das India House abgesandt, jüngst 109, die Sammlungen dieses Jahres enthaltend. Von allem sind stets Douppletten vorhanden, und ich hoffe, dass es uns wohl gelingen wird, vom Court of Directors einen grossen Theil auch für Preussen zu erhalten.
Das einzige, was unsere Abreise etwas verzögern wird, sind die Geschäfte des Rechnungsabschlusses mit dem Gouvernement.
Wir hatten es möglich gemacht durch Privatarrangements mit unseren Agenten in Bombay und Calcutta, dann durch officielle Vorschüsse vom Gouvernement gegen spätere Abrechnung, ohne Zeitverlust alle Theile Indiens bereisen zu können und auch die für Sammlungen nöthigen Ausgaben vorläufig zu decken. Überdiess ist der grösste Theil des Inlandtransportes noch nicht an unseren Agenten in Calcutta bezahlt. Ein sehr bedeutdender Theil unserer Ausgaben sind persönlich für Zelte, Bediente, Pferde und besonders für Träger (Coolies), Ausgaben, die in Indien stets recht gross sind und besonders bei beständigem Reisen sich rasch anhäufen. Auch unsere Expeditionen in die an das indische Reich angrenzenden Theile Tibets und Turkestans waren mit grossen Ausgaben verbunden, die wir dem indischen Gouvernement kaum vorlegen können.
Wir fanden in den Briefen unseres Bruders Emil oft erwähnt, dass Sie unser auch in dieser Beziehung oft gedacht haben und in gewohnter Güte Ihre Bereitwilligkeit, unsere Arbeiten in Indien zu fördern, aussprachen. Wir glaubten nicht, momentan mit den nöthigen Mitteln versehen, dass unsere Gesamtausgaben so sehr bedeutend sich anhäufen würden. Da Sie selbst es gestatten, können wir nicht vermeiden, den Wunsch auszusprechen, dass diess durch Ihre gütige Vermittlung S.M. mitgetheilt würde.
Wir erhielten von S.M., so lange wir in Indien sind, ausser den 80₤ für den Theodolithen noch einmal 100₤, Ende 1854 in Madras, obwohl wir uns durch Sie mitgetheilt wurde, dass der König 3000 Thaler jährlich schon am Anfange unserer Reise bestimmt hatte.
Wir wissen wohl, dass unser stetes Reisen nachsenden von Geld recht erschwert, allein wir würden jetzt sehr glücklich sein, wenn wir jetzt vor unserer Abreise aus Indien Geld in Calcutta bekommen könnten.
Das beste wäre vielleicht, einen Creditbrief an den preussischen Consul zu erhalten, der ihn berechtigt, uns bis zu einem gewissen Betrage unsere Ausgaben in Indien gegen vorgelegte Abrechnung zu bezahlen.
Der preussische Consul in Calcutta. Mr. Kilbourn hat seit unserer Ankunft in Indien den lebhaftesten Antheil an unseren Reisen genommen und gethan, was er konnte, um unsere Arbeiten durch Nachsenden von Paketen und Correspondenz etc. zu fördern. Er würde gewiss unsere Angelegenheiten, für die er auch die officielle Behörde ist, bestens besorgen. Unser Vorschlag, den wir Sie bitten S.M. vorzulegen, wäre demnach folgender:
Durch einen Brief des Handelsministeriums oder des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten möchte Herr Kilbourn, k. preussischer Consul in Calcutta, authorisiert werden, bis zu einem Betrage von 18 000 bis 20 000 Thalern (was natürlich die jährlich von S.M. bereits bewilligten 3000 Thaler einschliesst) uns die Ausgaben für unsere Reisen in Indien zu bezahlen. Wir wünschen sehr, dass diese Mittheilung an den preussischen Consul direct von Berlin nach Calcutta und nicht durch den Generalconsul in London und das India house geht. Das indische Gouvernement scheint in diesem Punkte sehr empfindlich, wie wir selbst bei der Übersendung der für Instrumente erhaltenen 80₤ sahen, die durch Herrn Hebelers Vermittlung übersandt wurden. Überdiess ist es schon oft in den Zeitungen stark betont worden, dass wir keine Engländer seien. Erst jüngst war viel Unsinn in diesem Style in allen Zeitungen, über „unsere etwaigen Zusammenkünfte mit russischen Agenten in Turkestan“. Geldsendungen von Preussen durch das indische Gouvernement würden uns besonders jetzt entschiedene Schwierigkeiten machen.
Es bedarf sehr der Entschuldigung, dass die Summe, die wir zu nennen wagten, so gross ist. Aber die Ausgaben waren fast fast [sic] immer über 3 verschiedenen Routen während nahe 3 Jahren vertheilt, und es war uns nur durch Bemühung aller uns zugänglichen Transport- und Communicationsmittel möglich, in der verhältnissmässig nicht langen Zeit die für indische Verhältnisse bedeutenden Distancen zurückzulegen. Wir berechneten dieselben jüngst und fanden, dass die Summe unserer Routen in Indien und im Himalaya, von Bombay nach Madras und Calcutta, von Sudiya an der Umbiegungsstelle des Dihong in Assam bis Trichinopoli in Südindien und von Bengalen bis zu dem nordwestlichsten Punkte in Tibet und Turkestan reichlich über 15 000 engl. Meilen beträgt.
Ein Umstand, der vielleicht ebenfalls angeführt werden dürfte, um die von uns genannte Summe zu entschuldigen, ist der, dass es uns ungleich leichter sein wird, von unseren Sammlungen einen grossen Theil nach Berlin zu bekommen, wenn nicht alle Ausgaben dafür dem Gouvernment in Indien vorgelegt werden müssen. Briefe von Berlin nach Calcutta brauchen jetzt gewöhnlich 1½ Monate. Es wäre daher sehr wohl möglich, dass die Autorisation an den preussischen Consul in Calcutta noch ganz früh genug käme, wenn durch Ihre gütige Vermittlung der Brief von dem betreffenden Ministerium so bald als möglich abgesandt werden könnte. Wir schreiben erst jetzt, weil wir erst jetzt im Stande waren, eine allgemeine Zusammenstellung unserer Ausgaben zu machen, ehe wir uns (für Indien) definitiv [unleserliche Stelle]; sie haben bis jetzt für jeden von uns im Durchschnitte 1000 Rup (1 Rup = 2/3 Thaler) im Monate, im Ganzen von October 1854 bis Anfang 1857 für alle 3 etwas über 70 000 Rup betragen.
Es dürfte schwer sein, für die Weitläufigkeit und Offenheit dieser Mittheilungen Entschuldigungen zu finden.
Wir können als die einzige nur die lebhafte Theilnahme nennen, die Sie stets unseren Untersuchungen und Reisen in Indien schenkten.
Meine beiden Brüder werden, ebenso wie ich selbst, Rawul Pindee in wenigen Tagen verlassen.
Unsere Adresse ist am besten Calcutta, care of the Prussian Consul A Kilbourne Esq.

Mit wiederholtem Ausdrucke unserer aufrichtigsten Verehrung und Hochachtung
Euer Excellenz
dankbarst ergebener
Hermann Schlagintweit


Hermann von Schlagintweit an Alexander von Humboldt, Kathmandu in Nepal,
7.3.1857
Hochverehrteste Excellenz
Nach ängstlichem Zweifeln, ob meine Reise nach Nepal, die ich fast mit zu grosser Zuversicht in meinem letzten Briefe erwähnte, wirklich zur Ausführung kommen werde, erreichte ich über Lahore Jhelum, Loodiana, Dehli und Agra die Station Patna, wo ich einen Brief vom nepalesischen Gouvernement fand, durch den sowohl mir als meinem Establishment von Beobachtern und Sammlern die Reise nach Nepal gestattet wurde.
Ich habe in einem Briefe a[n] S.M. über einige meiner Beobachtungen berichtet und auch erwähnt, dass es mir gestattet war, sowohl weit mehr in Centralnepal zu reisen und mit Instrumenten zu beobachten, als ich hoffen konnte. Ich werde, da ich gegen Anfang May Indien verlassen werde, in nicht zu ferner Zeit das Glück haben, Ihnen persönlich unsere Beobachtungen vorzulegen.
Ich erhielt in Patna eben vor meiner Abreise nach Nepal den Brief des k. preussischen Consuls mit dem von S.M. bewilligten 3000 Thalern, für welche wir S.M. unseren tiefgefühlten Dank auszusprechen bitten.
Bei Ihrer stets so liebevollen Theilnahme an unseren Arbeiten wage ich kaum zu wiederholen, was ich in meinem letzten Briefe über die Summe schrieb, die uns zur Regelung unserer Ausgaben in Indien nöthig scheint. Adolph, der noch einige Monate länger in Indien bleiben wird, zunächst um jenen Theil des Himalayas zwischen Kangra und Kashmir zu untersuchen, den keiner von uns bereist hatte, wird dann unsere Geldangelegenheiten in Indien, auch nach Roberts und meiner Abreise, arrangieren können.

Mit wiederholtem besten Danke und mit dem Ausdrucke aufrichtigster Verehrung und Hochachtung
Ihr
H. Schlagintweit

Adresse für Adolph A Kilbourn Esq. Prussian Consul Calcutta


Albert Frederick Mummery, Woola-Lake,
am 10. Juli 1895
Die Reise von Rawalpindi nach Baramula war eine selten schöne Zeit. Wir fuhren auf Tongas, merkwürdigen, kleinen und niedrigen zweiräderigen Wägelchen, die glänzend gefedert sind. Auf der ersten Fünfzig-Meilenstrecke werden alle drei oder vier Meilen die Pferde gewechselt, und man kommt auf diese Weise mit fabelhafter Geschwindigkeit voran. Da legten wir einmal eine oder zwei Meilen auf der Fahrt von Murree ins Jhelum-Tal in drei Minuten zurück, da die Pferde wie wild liefen.
Eine bedeutende Verzögerung gabs dadurch, daß der Monsun gerade losbrach, als wir Murree erreichten. Der Regen floß in Strömen, die Straße war von Erdreich und Schlamm überspült, und die Brücke war weggerissen. Aber mithilfe einer großen Zahl von Kulis wurden unsere Tongas heil ans andere Ufer geschleppt. Unser Tempo aber war natürlich unterbrochen.
Wir begegneten Scharen von Engländern. Ich habe tatsächlich auf keiner Alpenstraße derartig viele Reisende gesehen.
In Murree sprach ich beim General vor, der mich sehr freundlich aufnahm. Er wird uns zwei Ghurkas mitgeben und den kommandierenden Offizier in Abottabad und Chilas instruieren, daß er uns voll und ganz zur Verfügung stehen soll. Der Vicekönig hatte, wie wir hörten, den Residenten von unserem Eintreffen in Kenntnis gesetzt. Unsere Weiterreise wird die eines Königs sein!
In der Nähe von Baramula trafen wir mit Major Bruce zusammen. Er hatte den Weg in der Nähe von Abottabad (240 Meilen hin und zurück!) nach Baramula gemacht, um uns Pferde, Diener, Köche und das sonst Benötigte zu verschaffen. Ihm verdanken wir 12 Ponies, einen Koch, einen Aufseher über die Kulis und die nötigen Vorräte an Reis, Mehl u.s.f. Schade, daß er vor unserem Aufbruch zurückreisen mußte, weil er zu seinem Regiment zurückgerufen wurde.
Eben setzen wir in einer Art von Gondel über einen ganz herrlichen See. Die ganze Wasserfläche ist von Seerosen bedeckt und sieht wie eine große, gelb schimmernde Wiese aus. Wundervoll sind die Fernsichten: Über Baumreihen und schön geformten Vorbergen in ganz, ganz weiter Ferne die Schneegipfel. Schwäne und Schwalben fliegen in Scharen unermüdlich auf und nieder. Wir müßten einmal nur hierher reisen und zusammen auf diesem See spazierengondeln. Wenn ich es skizzieren wollte: es übertrifft alles, was ich je gesehen. Ungeheure Entfernungen, blaue Berge, schwarze Massen von Wäldern, und über all dem dieses Meer von Seerosen.
Wir sind aufs bestmögliche ausgerüstet, und wir werden es wirklich schön und gut haben. Wenn man übrigens ein Pferd für 6 Penns pro Tag und einen Mann für 20 Schilling pro Monat mieten kann, so wüßte ich nicht, warum es einem schlecht gehen sollte.
Wir hatten zwei Händler an Bord, die sich in gegenseitiger Rivalität den Rang abliefen, und jetzt können wir bekommen, was wir nur wünschen: Vom Fass Bier an bis zu Huntley und Palmer-Zwieback, vom Büchsenfleisch bis zum feinsten englischen Mehl und das alles geliefert, wie und wo wir es zu haben wünschen.
Einer dieser Händler bestand darauf, mir eine Empfehlung an einen Mann in Astor und eine andere an jemand in Skardu mitzugeben, die mich mit Rupien, soviel ich nur brauchen könnte, mit frischem Gemüse und Obst, kurz mit allem, was mir einfällt, versehen sollten – zahlbar bei Rückkehr.
Jeder schien hier bemüht, uns zu helfen und uns gefällig zu sein. Was die alpintechnischen Schwierigkeiten betrifft, so werden wir wohl kaum auf etliche stoßen. Wohl wird die dünne Luft uns zu schaffen machen, aber schaden kann sie uns auch nicht.


Albert Frederick Mummery,
Brief 2
Ich glaube, wir werden etwa 3 Wochen unterwegs sein und die Gegend auskundschaften, ehe wir nach Astor gehen, zumal wir im August zuverlässigeres Wetter zu haben hoffen. Zwar ist es derzeit entschieden besser als das gewöhnliche Schweizer Wetter, aber doch nicht so gut, als ich es mir für den Nanga wünsche.


Albert Frederick Mummery, Tashing,
am 17. Juli 1895
Wir stehen am Fuß unseres Berges! Die Reise war lang, aber schwelgerisch bequem. Unsere Zelte und unser ganzes Gepäck ist bis hier heraufgetragen worden. Mit Trägern zu 4 Penns pro Tag braucht man die Bagage nicht zu beschränken! Unser Koch ist eine großartige Nummer, er füttert uns ganz fabelhaft. Die übrigen Leute sind heute damit beschäftigt, unser Zeug zu waschen, aber ich zweifle sehr, ob die Resultate so sein werden, wie man es sich wünscht. Wir trafen den Mann, der die zwei Geschütze über den Skandurpass (Entsatz von Chiteal) schaffen soll. Er bot uns Erfrischungen und Quartier in seinem Lager an und ließ uns zu Ehren die Bergbatterie parademäßig auffahren. Ich denke, er wird in diesen Tagen nach uns ausschauen.
Unsere erste Aufgabe wird es sein, die richtige körperliche Disposition zu bekommen! Wir werden voraussichtlich morgen einen 18–19 000 Fuß hohen Berg angehen. Es gibt davon eine ganze Menge hier herum, aber meist sind es Schneeschinder. Jedenfalls wird’s gut für die Lunge sein.
Ich glaube kaum, daß uns der Nanga mit ernsthaften bergsteigerischen Schwierigkeiten kommen wird. Der Berg zeigt wider Erwarten wenig Hängegletscher. Die Tour wird hauptsächlich eine Frage der Ausdauer sein.
Wir sind in glänzender gesundheitlicher Verfassung, nur die Beine wollten nicht immer so, wie wir wollen, und so werden wohl die Wochen mit Training vergehen. Du kannst daher erst etwa in einem Monat (17. August) oder ein paar Tage später Drahtnachricht erwarten.
Unsere Expedition ist allen lokalen Autoritäten angezeigt, und nach den ergangenen Weisungen unterstützt man uns, wo und wie wir nur immer wollen. Du kannst Dir daher ausmalen, wie fein versorgt und aufgehoben wir sind.
Die englische Bevölkerung ist weit zahlreicher, als ich mir in Astor vorstellte, wo der Stellvertreter des Residenten von Gilgit (Colonel Steward), zwei Postbeamte u.s.w. hausen. Damen reisen unbehelligt hin und her und, wie Du Dir denken kannst, führen sie Karawanengefolge mit sich. Unser Hauptlager haben wir unter Weidenbäumen aufgeschlagen. Nicht weit davon fließt ein kleiner Fluß vorbei; eine ganz flache Wiesenebene zieht sich drei bis vier Meilen lang an den Bachufern dahin. Könntest Du nur hier sein, ohne die Mühseligkeiten der Reise auf Dich nehmen zu müssen. Du wärst immer wieder aufs Neue entzückt.
Ängstige Dich nicht um uns! Wir werden in keine schwierige Lage kommen. Gestern gabs großen Spaß, als wir eine Brücke über den Rupalbach bauten. Unsere braven Kerle in ihrer sonderbaren Kleidung und mit ihren vergnügten Gesichtern boten einen köstlichen Anblick. Einer von ihnen schleppte meinen schweren Koffer immer weiter, die scheußliche Moräne hinauf und quer über das Gletscherende hinüber und schien sich nicht das Geringste dabei zu denken.
Der Kuckuck und die Lerche zeigen sich sogar hier heroben, und das klingt sehr heimatlich.


Albert Frederick Mummery,
am 28. Juli 1895
Das Lagerleben hier oben macht wirklich Freude. Man hat jede Bequemlichkeit, und die Leute gehen und kommen und bringen und holen alles, wie und was man will. Bisher haben wir lediglich einen kleinen Felsgipfel bestiegen. Wir überschritten den Mazeno-Pass (einen Übergang der Einheimischen) und stiegen ins Diamir-Tal hinüber – unbewohnt, aber ganz außerordentlich schön: herrliche Bäume (meist Birken und Tannen), dichte Hecken wilder Rosen und eine Unmenge von blühendem Buschwerk.
Nach einem Rasttag kehrten wir über einen sehr langen Pass wieder zurück, der an ein oder zwei Stellen interessante Felskletterei bot. Leider kamen wir auf diese Weise auf die andere Seite unserer Bergkette und mußten schließlich über den Mazeno zurück, weil uns der Proviant ausging.
Wir bewegten uns den ganzen Tag in einer Höhe von 15–18 000 Fuß und blieben so frisch wie Blumen. Ich fürchte nicht, daß uns die dünne Luft allzu sehr zusetzen wird.


Albert Frederick Mummery, Brief an seine Frau, Basislager, Nanga Parbat,
4./9. August 1895
Die Berge sind schon zu mächtig und zu hoch für ausgesprochene Kletterarbeit. Mit der Luft hat es allerdings den Teufel. Sehr wahrscheinlich müssen wir noch einen Monat lang trainieren. Wir haben noch nicht hoch genug kampiert.
Ich bin sicher, daß der Gipfel uns gehören wird, da es nur eine Angelegenheit zielbewußten Trainings und richtiger Atemtechnik ist. Wir genießen wundervolle Zeiten, und sollten wir den Nanga Parbat nicht erreichen, dann werde ich nie bedauern, diese gigantischen Berge erblickt und Ausschau nach dem großen Gebirge hinter Hunza, nahe der russischen Grenze, gehalten zu haben.
(Fünf Tage später) Collie und ich sind tadellos auf dem Damm. Hastings laboriert immer noch an seinem verknaxten Knöchel. Ich hoffe aber, auch er wird in ein paar Tagen wieder in der Reihe sein. Alles in allem ist es wirklich nicht übel hier, aber mit dem Bergsteigen, wie wir es von den Alpen her kennen, damit ist es nichts, oder nicht viel. In dieser Luft kann man pro Tag nicht mehr als 3000 oder 4000 Fuß (also rund 1000 Meter) schaffen, und das nur dort, wo man mit den Trägern durchkommt. Wir hatten einen Teil des Gepäcks zum Nanga bis 16 000 Fuß (4876 Meter) hinaufgeschafft, aber es ist ein schreckliches Stück Arbeit, es nun höher zu transportieren, weil die Träger nicht über die Höhe von 14 500 Fuß (4419 Meter), wo der obere Gletscher anfängt, zu bringen sind.
Aber ich hoffe doch, wir werden es schaffen, da wir bisher alles gut angepackt haben und immer besser in Training kommen. Ich werde mein Bestes dransetzen, Dir den Gipfel des Nanga zu Füßen zu legen, obwohl ich anfange, einige Zweifel über den Enderfolg zu haben. Die Luft ist derart verheerend und die Sonne so schlimm, daß man nach 10 Uhr morgens vollständig erledigt ist. Collie und ich trugen gestern zwölf Pfund Schokolade, sechs Büchsen mit je zwei Pfund Huntley und Palmer-Biskuit, Brand’ Suppen usw. bis zu einer Höhe von 17 000 Fuß (5181,6 Meter) auf den Nanga Parbat hinauf und deponierten alles in wasserdichten Säcken. Wir werden nächste Woche noch einen zweiten Vorstoß machen, um diese Schätze bis zur Höhe eines gleich gangbaren Felsgrates, etwa 20 000 Fuß (6096 Meter), hoch hinaufzubefördern. Dann werden wir auf einer dritten Expedition die Vorräte bis zu dem Ansatz des Hauptgipfels in einer Höhe von 23 000 Fuß (7010,4 Meter) zu bringen trachten. Jedenfalls kennen wir jetzt den Weg. Ach, nur zu gut!


Albert Frederick Mummery,
Brief 6
Unsere Chancen, den Berg zu nehmen, stehen schlecht. Collie ist nicht sehr scharf auf ihn, und der alte Hastings hat es fertiggebracht, sich zu erklären, so daß ich nur auf die Ghurkas rechnen kann. Das sind allerdings ausgezeichnete Kletterer und tüchtige Leute, aber sie sind für einen echten Alpen-Clubisten doch nicht die richtige Unterstützung. Na, ich werde wohl bald auf dem Heimweg sein. Du darfst nicht enttäuscht sein über den Nanga. Ich habe jedenfalls ein paar hochfeine Bergfahrten hinter mir und habe Felsgebilde und Eisséracs gesehen, an die die Alpen und der Kaukasus nicht tippen können.
Der Nanga zeigt auf dieser Seite eine Fels- und Eisflanke von 12 000 Fuß Höhe, die so steil und schwer ist wie eine ganze Serie Matterhörner und Mont Blancs, die man aufeinandergetürmt hat. Ich wäre sicherlich hinaufgekommen, wenn nicht Ragobir (einer der Ghurkas) im entscheidenden Moment krank geworden wäre. Ich mußte schauen, wie ich ihn hinunterbrachte. Darüber ist kein Zweifel, daß uns die Luft sehr zu schaffen machen wird, wenn wir die 18 000-Fuß-Linie überschreiten werden.
Morgen will ich mit den Ghurkas über einen Hochpass nach dem Baldasakiote Nullah hinüber. Hastings und Collie gehen mit den Kulis und den Vorräten unten herum. Sollte die Nordwestseite des Nanga leichter sein, dann machen wir ihn vielleicht doch. Du wirst ja eine Depesche haben, bevor Dich der Brief erreicht!
Dieser letzte Brief ist ohne Datum. Er muss am 23. August geschrieben worden sein. Am 24. August 1895 hat man Mummery und die beiden Ghurkas zum letzten Mal gesehen.


Aleister Crowley, K2,
1902
Eckenstein wollte, daß ich meine Bücherei zurückließ. Seiner Theorie des Reisens in ferne Länder zufolge sollte man dabei vorübergehend zum absoluten Wilden werden; aber die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß man nicht von Brot allein leben kann. Die bei fast jeder Entdeckungsfahrt anzutreffende geistige und moralische Instabilität der Europäer führte ich deshalb auch eher auf den Mangel an intellektueller Entspannung zurück als auf die mit den physischen Bedingungen verbundenen Qualen und Nöte. Schon wegen eines Stückchen Zuckers hätten sich die besten Freunde gegenseitig die Schädel einschlagen können. Nun will ich nicht gerade behaupten, daß ich ohne Milton und die andern den Baltoro-Gletscher nicht ertragen hätte, aber andererseits steht es fest, daß Pfannl verrückt und Wesseley derart freßsüchtig wurde, daß er knapp vor dem Diebstahl stand.


Aleister Crowley, Kangchendzönga,
1905
Im Falle meines Todes wird George Cecil Jones folgendes ausführen: Den Körper einbalsamieren. Ihn mit der weißen Robe des TAU und der Tunika des Abra-Melin in Rot und Gold sowie seiner Schärpe bekleiden und Krone und Zauberstab beifügen. Auch das große rote Schwert. Er wird alle meine magischen Juwelen mit mir begraben. Das Gewölbe bereiten für den Sarg in der vorgeschriebenen Art, aber ohne Schmuckfiguren. Weißen Stein verwenden. Immer nur das Wort Perdurabo verwenden. Das Gewölbe zumauern lassen und vor den Blicken der Sterblichen verbergen. Jede Spur verwischen, die zur Grabstätte führt. Im Gewölbe Pergamentausgaben aller meiner Werke unter hermetischem Verschluß bewahren. Der Ort soll einzig und allein von George Cecil Jones versiegelt werden und nur ihm bekannt sein. Auf Erde, die geweiht.


Aleister Crowley, Kangchendzönga,
1905
Der Gipfel des Kangchenjunga war nur noch zwei Meilen entfernt, und ich konnte die bis dahin verborgen gebliebenen Gebiete einsehen. Nachdem ich um noch ein paar Meter höher gestiegen war, schwanden auch die letzten Zweifel.


Jules Jacot-Guillarmod, Kangchendzönga,
1905
Vor uns lagen unaufhörlich von Lawinen bombardierte Abgründe, die jede Hoffnung nahmen, den direkten Zugang über diesen Grat zu suchen, der bei weitem nicht so entmutigend aussah wie die Wege, die zu ihm hinführten. Nicht ein Schneefeld war auch nur im Entferntesten waagerecht; es gab keine Stelle, keinen einzigen Quadratmeter, auf dem man auch nur das kleinste unserer Zelte hätte aufschlagen können. Und auch die Felsen selbst (wenn man davon ausgeht, daß Menschenkräfte ausgereicht hätten, die erforderlichen akrobatischen Glanzleistungen in dieser Höhe noch zu vollbringen) boten keinen brauchbaren Angriffspunkt.


König von Nepal, an General Bruce, anlässlich des Lawinentods von sieben Sherpas am Mount Everest
1922
Persönlich und als Mitglied der Königlichen Geographischen Gesellschaft teile ich Ihren Kummer über die Zerstörung Ihrer schönsten Hoffnungen. Seien Sie und die Hinterbliebenen der sieben Verunglückten meiner innigsten Teilnahme versichert. Dieser traurige Fall erinnert mich an den bei unserem Volk herrschenden Glauben … der besagt, daß die Bergeshöhen die Wohnung des Gottes Shiwa und der Göttin Parvati sind. Jeder Versuch, diesen Hausfrieden zu stören, sei mit fürchterlichen Folgen für das hinduistische Land verbunden. Dieser Glaube ist so stark, daß man Ihr großes Unglück dem göttlichen Zorn zuschreibt, den keiner unserer Leute jemals zu wecken wagen würde …


George L. Mallory, Im Anmarsch zum Mount Everest
1924
Heute abend haben vier von uns das Sauerstoffgerät geprüft. Irvine hat rund 2 kg Gewicht abgezwackt und die Vorrichtung zugleich zuverlässiger gemacht. Sogar ohne das Gas anzudrehen, vermochte ich die Last bergauf zu tragen; besser noch, als ich einatmete. An Steilhängen ist das Sauerstoffgepäck sehr unbequem; in dieser Höhenlage ist die künstliche Hilfe auch ganz überflüssig. Das Gesamtgewicht beträgt etwas unter 14 kg. Vorn hat man keine hinderlichen Gestänge; ich habe den Eindruck einer verhältnismäßig bequemen Last. Ich beabsichtige, so wenig wie möglich zu tragen, schnell zu gehen und den Gipfel zu überrumpeln. Finch und Bruce hatten sich damals zu viele Stahlflaschen aufgebürdet.
Fühle mich immer noch wohl und zufrieden. Das Wetter ist außergewöhnlich, viel wärmer als 1922; die Reise war bisher angenehmer als früher. Ich freue mich, mein eigenes Pferdchen zu haben. Ein gutes Tier, aber in schlechtem Zustande; heute litt es an Kolik. Aber bald ist ihm eine lange Ruhezeit beschieden, in der es sich hoffentlich mästen wird, damit es hübsch rund nach Dardschiling komme, wo ich es verkaufen will.
Von morgen ab nur noch vier Tagesmärsche zum Rongbukkloster. Allmählich kommt man hin. Am 3. Mai sollen unser vier vom Standlager aufbrechen und den Weg bahnen. Um den 17. Mai herum hoffen wir auf dem Gipfel zu stehen. Ich brenne vor Kampfbegier.
Nun sage ich Dir gute Nacht und krieche in den gemütlichen Schlafsack, der heute ein reines Nasentuch kriegt, eines von den beiden, die Du gemacht hast, mit den Druckknöpfen zum Festmachen. Wegen der vielen Fettigkeiten, derer mein Gesicht bedarf, hat sich diese Einrichtung glänzend bewährt. Wenn wir siegen, wird das Telegramm noch vor diesem Briefe eintreffen. Es wird keine Namen enthalten. Ich kann mir ja denken, daß Du den Daumen hältst. Nun, ich hoffe, Dich nicht zu enttäuschen.


George L. Mallory, Rongbuk-Standlager,
30. April 1924
Die plötzliche Ankündigung einer morgen ausgehenden Post trifft mich unvorbereitet. Wir sind erst gestern angelangt und haben seitdem viel zu tun gehabt. Da die 150 tibetischen Träger schon bereitstanden, mußten wir uns mit dem Abfertigen der Lasten sputen, und es herrschte großer Trubel. Die Träger sind heute zum Lager II aufgebrochen. Ich mußte mich um die Ausrüstung für die Hochlager kümmern. Als die Tiere gestern früh eintrafen, stürzte ich mich auf die Kisten, die ich brauche und die ich fast alle auf den ersten Blick erkenne. Ich zerrte sie unter den Füßen der Esel und Jaks hervor und ließ sie auf einen Haufen schleppen. So gelang es mir, dreißig Lasten zusammenzustellen, ohne die Nahrungsmittelvorräte zu rechnen. Später lange Unterredung mit Norton wegen der Trägereinteilung. Die Lastenbeförderung in die Hochlager ist eine sehr verwickelte Geschichte. Man muß berücksichtigen, was die Träger während der vorhergehenden Tage geleistet haben und wie es mit ihrer Anpassung an die Höhe steht.
Ferner muß man die Einrichtung des Lagers III im Auge behalten, von dem aus IV versorgt wird, sodann ist da das Begleiten der Träger von III ab. Ich habe einen Trägerplan entworfen, der sich dem für die Bergsteiger einfügt. Diese Voranschläge sind natürlich sehr verzwickt, lassen aber genügenden Spielraum, so daß zwei Schlechtwettertage keinen Strich durch die Rechnung machen. Irvine, Beetham, Hazard und ich brechen am 3. Mai von hier auf. Nachdem Beetham und Hazard sich einen Tag im Lager III ausgeruht haben, werden sie das Lager auf dem Nordsattel vorbereiten. Inzwischen wollen Irvine und ich einen Sprung auf den Ostgrat des Nordgipfels tun, teilweise der Übung wegen, teilweise um Irvines Fähigkeiten zu beurteilen. Zugleich wird sich dabei Gelegenheit bieten, den Mount Everest nach den besten Lagerplätzen abzusuchen. Zwei Tage später begleiten Beetham und Hazard die erste Lastenkarawane nach IV. Odell und Geoffrey Bruce folgen mit der zweiten und errichten tags darauf das Lager V. Den Beschluß machen Norton und Somervell. Irvine und ich, die wir ganz zuletzt an die Reihe kommen, ruhen uns inzwischen zwei bis drei Tage im Lager I aus.
Das Rongbuktal begrüßte uns mit üblem Wetter. Vorgestern und in der folgenden Nacht blies ein bitterkalter Wind unter bedecktem Himmel; am nächsten Morgen wachten wir bei Schneesturm auf. Gestern fiel den ganzen Tag Schnee. Heute scheint die Sonne. Die Verhältnisse haben sich sogar so gebessert, daß wir heute abend sagten, es wäre ein ganz schöner Nachmittag für den Everest gewesen. Obgleich der Berg unten ziemlich weiß ist, merkt man an den oberen Teilen kaum etwas von einem Schneefall. Diese Erscheinung haben wir 1922 oft genug beobachtet, zumal am Tage des ersten Versuches.
Während der nächsten zwei Tage werde ich mich sehr viel mit der eigenen Ausrüstung zu beschäftigen haben. Hoffentlich kommt ein Brief von Dir, und hoffentlich bleibt mir Zeit, zu schreiben und an euch zu denken. Wann die nächste Post geht, das weiß der liebe Himmel.
Wir vertragen uns weiterhin vortrefflich. Beetham hat sich erstaunlich gut erholt, jedoch kann ich mir nicht denken, daß er schon zu schwerer Arbeit fähig ist, trotzdem er nach außen hin Tatenlust und Frohsinn zeigt. An den ersten Vorstößen wird er sich wohl kaum beteiligen können.
Es tut mir leid, daß ich Dich mit einem so schlechten und hastigen Brief abspeisen muß. Ich bin vollständig auf der Höhe, wenn vielleicht auch nicht auf derselben Höhe der Leistungsfähigkeit wie 1921. Aber ich stelle sicherlich meinen Mann und sehe keinen, der noch besser zu Fuß ist als ich. Norton stimmt mir bei, daß die Teilnehmer viel gleichmäßiger sind als 1922, ein wirklich starkes Aufgebot. Heute vermag man von keinem zu sagen, ob er der Schwächste oder Stärkste von uns ist. Ich freue mich, daß ich den ersten Wurf tun darf. Mit solchen Rückenverbindungen, wie wir sie diesmal haben, wird uns so leicht nichts zurückschlagen.


George L. Mallory, Mount Everest,
11. Mai 1924
Nun laß mich erzählen, was seit dem Verlassen des Standlagers geschah. Wir haben eine schwere Zeit hinter uns, denn wir mußten gegen widrige Umstände ohne Zahl ankämpfen. Die Träger scheinen noch nicht genügend an die Höhe gewöhnt zu sein und hatten viel auszuhalten.
3. Mai. Irvine, Odell, Hazard und ich nach Lager I. Die Hälfte blieb weit zurück. Sie trugen schwer, weil sie außer der zugewiesenen Last so viel von ihren eigenen Sachen mitschleppten.
4. Mai. Ich beschloß, fünf weniger dringliche Lasten im Lager I zu lassen. Dafür sollen fünf Mann die Decken der andern übernehmen. Das war gut so, denn die Leute gingen nun besser. Irvine und ich eilten voraus und erreichten das Lager II gegen 12 ½. Wir waren kaum mit dem Essen fertig, als die ersten Träger eintrafen.
Das Lager II sah wenig einladend aus, obgleich hier schon ein Unteroffizier mit zwei Mann wohnte als Wache über die 150 Lasten, die von den Tibetern heraufgebracht worden sind. Eine niedrige, unregelmäßige Mauer umgab den Platz, der für die Herrenzelte bestimmt war. In einer andern Steinhürde mit Segeltuchdach hauste der Unteroffizier. Der Hof für die Herren war bald in Ordnung; für uns vier wurden zwei Zelte aufgeschlagen.
Für Noel stand sein herrliches braunes Zelt bereit. Die Träger müssen hier noch ohne Zelte vorliebnehmen. Man wollte sie in Steinhütten mit Zeltdächern unterbringen, die aber noch nicht fertig waren. Es ist nicht leicht, Unterkunft für dreiundzwanzig Mann zu besorgen. Es ergab sich indessen, daß wir Platz genug hatten und von unserer Mauer ein Stück abtreten konnten. Daher machte ich mich mit Irvine und vier Mann an die Arbeit. Wir bauten einen langen Sangar, der nur etwas über zwei Meter breit war. Andre Träger halfen, nachdem sie sich ausgeruht hatten.
Es ist merkwürdig, wie wenig oft dazu gehört, Menschen aus dem Zustande der Ermattung aufzurütteln. Das Wälzen eines Riesenblockes reizte die Leute an. Bald sangen sie alle. Auf diese Weise gelangten diese müden Kinder dazu, etwas zu ihrem eignen Wohle zu unternehmen. Sonst hätten sie keine Hand gerührt, um sich das Leben angenehmer zu gestalten. Da Irvine sich bei den gewaltigen Baukünsten etwas zu sehr angestrengt hatte, gingen Odell und ich um 3 Uhr fort, um den Weg gletscheraufwärts zu erkunden. Zunächst folgten wir den Steinen des linken Ufers, wie 1922; aber das Gelände war sehr holperig, schlimmer als früher.
Links von uns erblickten wir das Gestein einer Moräne zwischen den Eiszacken. Zu ihr arbeiteten wir uns durch und genossen unterhaltsame Eiskletterei. Dann ein Stückchen auf dieser Moräne zurück in der Richtung aufs Lager II. Drüben erstiegen wir einen Höcker, von dem aus man den südwärts ansteigenden Gletscher überblickt. Ganz in unserer Nähe begann eine Anstiegslinie ohne irgendwelche Schwierigkeiten. Blieb nur die Verbindung mit dem Lager II. Wir gingen auf der Moräne weiter talwärts. Sie liegt als steiniger Trog zwischen hohen abenteuerlichen Eisgestalten.
Nicht weit vom Lager fanden wir einen bequemen Durchschlupf durch die zackige Eiswelt. Innerhalb von anderthalb Stunden war es uns gelungen, den verwickelteren Teil des Zuganges zum Lager III zu klären.
4. bis 5. Mai. Fürchterliche Nacht; sehr kalt, starker Schneefall, böser Wind.
5. Mai. Ergebnis: späte Lebenszeichen im Lager. Das erste hörbare Zeichen in den Lagern bis II ist das Ingangsetzen des Jakmistfeuers mit dem tibetischen Blasebalg.
Die Leute brauchten sehr lange, bis das Frühstück fertig wurde. Der Unteroffizier konnte sie kaum auf die Beine kriegen; morgenländische Tatenlosigkeit hing in der Luft. Nur schwer bekam man die Leute aus den Zelten; und dann gab es allerlei Umstände mit den Lasten. Einer, der richtige altgediente Soldat, suchte sich hübsch leichtes Gepäck heraus und weigerte sich, ein schwereres Stück zu nehmen, das ich ihm aufladen wollte. Ich mußte ihm erst die Faust unter die Nase halten, ehe er gehorchte. Dann noch lange Geschichten wegen der Sachen, die man mitnehmen oder dalassen sollte, wegen der Trägerrationen, Decken, Kochtöpfe. Einige meldeten sich krank. Erst um 11 Uhr gingen wir los.
Das Festlegen und Bahnen eines Weges ist immer eine langwierige Sache im Vergleich mit dem Begehen eines alten Weges. Zudem war Schnee gefallen. Der gestern noch so unschuldige Gletscher zeigte sich jetzt durchaus nicht von der harmlosen Seite. Der Wind hatte die Erhabenheiten blank gefegt. Die vorhergehenden Tage sind vermutlich nicht warm genug gewesen, um das Eis rauh zu machen. Die höheren Rücken bestanden aus hartem, rundem, glattem Eise, das so spröde wie Glas war und nirgends aufgerauhte Flächen bot. Zwischen den Wölbungen lag Pulverschnee. Im Schnee mußten wir Stufen treten, im Eise Stufen schlagen, was viel Arbeit machte. Dann erreichten wir die unter dem Namen des „Troges“ bekannte Strecke. Das ist eine 15 m tief in den Gletscher versenkte Mulde, die etwa ein Drittel des Weges ausmacht. Hier sahen wir schon, daß wir das Lager III nur mit knapper Not erreichen würden.
Im Troge war es ganz schön warm; aber als wir wieder auf die freie Gletscherfläche hinaustraten, schlug ein heimtückischer Wind uns den Schnee um die Ohren. Glücklicherweise hatten wir den Wind im Rücken, bis wir um die Ecke beim Nordgipfel herumkamen; dann warf er sich gradeswegs vom Nordsattel herab auf uns. Da die Träger inzwischen stark erschöpft waren und die dünne Luft spürten, wurde der Aufstieg zu einem wahren Leidenswege. Ich ging allein voraus, um den besten Weg zu suchen, und traf daher auch als erster auf dem Lagerplatze ein. Es überkam einen ein merkwürdiges Gefühl: Erinnerungen tauchten auf. Da standen die verrosteten alten Sauerstofflaschen an den Steinmann gelehnt, den wir dem Andenken der verunglückten Träger errichtet hatten. Es war fast alles unverändert, was sehr sonderbar ist, wenn man bedenkt, daß dieses Geröll auf dem lebendigen Gletscher liegt. Meine Stiefel waren hart gefroren; die Aussichten auf ein gemütliches Lager waren trostlos. Ich wies den Trägern ihre Zeltplätze an (6 Uhr 30 abends) und ergriff den Rucksack mit den vier Unnakochern. Ich gab den Trägern drei Kocher nebst Meta; den letzten bekam unser Koch. Dann schlugen wir unsere zwei Meadezelte auf. Der besseren Geselligkeit wegen ließen wir nur einen Meter Zwischenraum zwischen den gegenüberliegenden Türen.
Meine Trägerabteilung A schien ziemlich erledigt zu sein. Es war erst sechs Uhr und schon rasend kalt; meine Stimmung sank erheblich. Mir selber wurde ja bald genug warm. Unser unübertrefflicher Kami brachte ein heißes Gericht zustande, und ich lag recht behaglich im Schlafsack. Ich sah ein, daß wir schon hier unbedingt die Daunenschlafsäcke für die Träger brauchten, die eigentlich nur für IV und weiter oben bestimmt waren. Sie lagen in II, und ich hatte angeordnet, daß sie morgen noch nicht heraufgeschafft werden sollten. Da noch die Trägergruppe B von zwanzig Mann mit einem Tag Abstand hinter uns kam, hielt ich es fürs beste, morgen früh aufzubrechen, um die zweite Abteilung noch im Lager II abzufassen. Zu diesem Entschlusse kam ich um Mitternacht. Sofort steckte ich die mittlerweile hart gefrorenen Stiefel in die Außenhülle meines Flohsackes möglichst dicht an den Leib. Sie blieben aber hart, und es kostete in der Frühe einen großen Kampf, ehe ich sie an den Füßen hatte. Glücklicherweise scheint die Sonne hier sehr früh auf die Zelte, so zwischen sechs und sieben. Es gelang mir, um 7 Uhr fortzukommen. Ich hinterließ Anweisungen, daß man uns die Hälfte der Leute ein Viertel des Weges entgegenschicke, um den aufsteigenden Trägern die wichtigsten Lasten abzunehmen.
Ich sagte mir, daß die zweite Trägergruppe nach der kalten Nacht kaum vor 9 Uhr aufbrechen werde. Da ich gern einen bessern Weg gefunden hätte, verlor ich etwas Zeit mit erfolglosen Erkundungen. Als ich um 8 ½ Uhr aus dem Troge heraustrat, kam mir die Abteilung B schon entgegen. Es war zu spät, sie zurückzuschicken. Einige hatten sich vorgenommen, heute nur bis III zu gehen (anstatt wieder zurück nach II) und oben zu übernachten. Sie waren daher mit Decken usw. beladen. Das paßte mir durchaus nicht, denn ich wollte nützliche Arbeit, ohne Gefährdung der Tatfreude. Bei der Abteilung A im Lager III bestand aber schon die Gefahr der moralischen Zerrüttung. Daher sandte ich Noel Nachricht und führte die Gruppe B langsam den Gletscher hinauf. An geeigneter Stelle ließ ich die Lasten ablegen und schickte die Leute nach II zurück. Ich eilte ins Lager III, wo ich am frühen Nachmittag anlangte. Ich ging schließlich sehr langsam, weil mich der Nahrungsmangel sehr mitgenommen hatte. Im Lager sah es betrüblich aus. Alle Träger behaupteten, bergkrank zu sein und nicht tragen zu können. Irvine und Odell erboten sich, vom niedergelegten Haufen verschiedene Sachen zu holen, die wir brauchten.
Das führten sie aus. Bevor sie zurück waren, hatte die Sonne das Lager verlassen. Heute ist fast nichts gebaut worden; nur eine kleine Mauer ums Zelt des Unteroffiziers. Sonst hat man nichts für die Bequemlichkeit getan. Kälte um 5 Nm (gestern war kein Thermometer da) minus 16,7 ° eine Stunde vor Sonnenuntergang. Unter solchen Verhältnissen kann man nur während der sonnigen und windstillen Stunden irgend etwas unternehmen. Heute gab es ein paar solcher Stunden, aber Herren wie Träger schienen an Höhenträgheit zu leiden.
7. Mai. Wir haben eine sehr kalte Nacht hinter uns, –30°. Ich schlief gut und warm, und doch war mir nicht wohl am Morgen. Auch Odell und Irvine zeigten keine glänzende Verfassung. Ich beschloß, Hazard mit einigen von unseren Leuten zur Niederlage zu schicken, um dort einen Teil der B-Leute abzuholen, denen ich gestern aufgetragen hatte heraufzukommen. Es ergab sich, daß niemand tragen konnte; einige waren so krank, daß ich sie nicht länger im III behalten durfte. Wir mußten sie fast mit Gewalt aus den Zelten herausziehen. Es dauerte anderthalb Stunden, ehe ihr Frühstück zubereitet und verzehrt war. Ohne Frühstück konnte ich sie ja nicht gehen lassen. Viel Zeit brauchte man auch, um die Kranken aus den Zelten auszugraben, wo sie sich verkrochen hatten. Einer war eine halbe Leiche mit geschwollenen Füßen, so daß wir ihm die Stiefel ohne Socken anziehen mußten. Kaum vermochte er zu gehen; wir mußten ihn stützen. Schließlich schickte ich sie in drei Partien angeseilt unter der Obhut des Unteroffiziers nach II. Von der Niederlage ab ließ ich sie allein gehen; dort traf ich Hazard.
Vier Mann von B waren schon nach III unterwegs, aber nicht, um dort zu bleiben. Nur drei, die wir jetzt anseilten, erboten sich dazubleiben. So verfloß ein zweiter Tag; der Zuwachs im Lager III betrug nur sieben Lasten; und noch war nichts geschehen, um das Lager wohnlicher zu machen, wenn man davon absieht, daß nun sechs Mann ihre Höhenschlafsäcke hatten. Mittlerweile war die Schneid der A-Gruppe flöten gegangen. Um den gesunkenen Mut zu heben, erschien es mir notwendig, sofort die B-Träger heranzuziehen und hier oben einen Rasttag einzulegen, an dem sie das Lager etwas herrichten konnten.
8. Mai. Wieder stand ich früh auf und begab mich nach II, wo ich um 9 Uhr Norton und Somervell antraf. Infolge einer Gedankenlücke hatte ich mir eingebildet, daß die beiden erst heute im Lager II einträfen, wohingegen sie schon am 7. Mai planmäßig aufgestiegen waren. Wir sprachen alles gründlich durch, während ich frühstückte, von der (verhältnismäßig) milden Sonne des Lagers II bestrahlt. Norton stimmte mir bei und schickte den Rest der B-Gruppe mit Somervell nach III. Unterwegs sollten sie die auf dem Gletscher aufgestapelten Sachen mitnehmen. Die gestern eingetroffenen A-Leute waren inzwischen heiß gefüttert worden und sahen schon besser aus, wie sie da in der Sonne lagen.
Wir fragten uns, ob es nicht richtiger sei, bei der alten Gepflogenheit zu bleiben, nämlich die Träger am selben Tage nach III und wieder zurück zu schicken. Ich widersetzte mich diesem Vorschlage, weil ich es für besser hielt, den Leuten etwas leichtere Aufgaben zuzumuten, die sie mit Sicherheit erfüllten, ohne den Mut zu verlieren. Sobald sich die A-Träger erholt hatten, konnte man sie an drei aufeinander folgenden Tagen drei Viertel des Wegs bis zur Niederlage schicken. Dann beförderte B, an zwei Tagen zweimal über das letzte Wegviertel gehend, die Sachen nach III, und es blieb der dritte Tag zu Lagerarbeiten übrig. Diesem Plane stimmte besonders Geoffrey Bruce bei, dem das Frachtwesen eigentlich unterstand und der mittlerweile vom Lager I eingetroffen war.
Nun, da die Verantwortung nicht mehr auf meinen Schultern allein ruhte, fühlte ich mich wesentlich erleichtert und genoß friedlichen Sonnenschlaf im Lager II.
9. Mai. Ich gedachte vorauszugehen, um zu erfahren, wie es im Lager III aussah, mit dem heute Wunderdinge geschehen sollten. Sieben Leute mit Sonderlasten, frische Helden vom Standlager, standen bereit, um nach III vorzudringen, während die A-Leute nur bis zur Zwischenablage gingen. Ich mußte schließlich die Ersatzgruppe nach II begleiten. Als wir aus dem Troge auftauchten, wurden wir sehr ungnädig empfangen. Unterm grauen Himmel pfiff ein Sturm, der den Schnee aufwirbelte. Manchmal war die Umgebung völlig ausgelöscht, und die schwarzen Gestalten der Begleiter verschwanden hinter weißen Vorhängen.
Ich mußte anfeuern, denn die Leute hatten nicht übel Lust, die Lasten schon vor dem Vorratshaufen abzuwerfen. Mit Norton und Geoffrey begleitete ich dann die drei letzten Träger nach III. Fortschritte in der Gemütlichkeit des Lagers waren an einem solchen Tage natürlich nicht zu erwarten. Immerhin freute man sich, vom Geheul der Petroleumbrenner begrüßt zu werden. Wir haben zwei Heulbrenner, einen mit senkrechter und einen mit waagrechter Flamme, sozusagen einen Überprimuskocher. Irvine und Odell haben anscheinend gut gearbeitet, denn es war keine Kleinigkeit, den 20 kg wiegenden Heuler heraufzuschaffen. Leider verschlang er mehr Brennstoff, als wir dachten; außerdem setzte er manchmal aus. Da der Koch sich vor dem Ding fürchtete und trotz langer Unterweisung noch nicht ordentlich mit ihm umzugehen verstand, mußte oft ein Sahib zu Hilfe gerufen werden. Die Hauptsache war doch, daß wir mit dieser Gulaschkanone eine warme Mahlzeit für die Mannschaft zustande brachten. Die verbesserte Stimmung war den Petroleumverbrauch schon wert.
Im übrigen war weiter nichts geschehen als die Errichtung eines Meadezeltes für zwei neue Herren (nur zwei, weil Hazard heute abstieg). Man darf niemandem einen Vorwurf machen, denn die Abteilung B befand sich jetzt auch im Zustande morgenländischer Schicksalsergebenheit. Vielleicht ist man nicht ganz gerecht, wenn man unsere Träger mit allen Orientalen in einen Topf wirft, denn sie halten recht lange aus. Aber nach großen Entbehrungen und Anstrengungen kommt auch bei ihnen der Augenblick, wo sie in sich zusammensinken. So lagen die Träger jetzt wie Winterschläfer erstarrt in den Zelten. Die Sahibs machten es nicht viel besser, denn draußen konnte man nichts anfangen.
Ich machte es mir bequem, weil Geoffrey Bruce jetzt hier weilte, dessen Amt es ist, die Zelte abzugehen, sich nach dem Befinden der Träger zu erkundigen und Befehle zu geben. Da Hazard weggegangen war, wohnte ich wieder mit Somervell zusammen. Ich zog Stiefel nebst Hosen aus und schlüpfte in die von meiner Frau gestrickten Wollstutzen, die das ganze Bein bedeckten. Darüber kamen graue Flanellhosen, zwei Paar Socken und Leinwandschuhe. Auch der Oberkörper wurde nicht vergessen. Zu guter Letzt steckt man die Beine in den Schlafsack. Somervell und ich spielten Pikett. Später besuchten uns Norton und Geoffrey, um die Lage zu besprechen. Nachdem sie sich wieder zurückgezogen hatten, öffneten wir die gegenüberliegenden Zeltvorhänge und befanden uns dergestalt in Nachbarzimmern. Wir unterhielten uns hoffnungsvoll über Kamis Talente und die Leistungsfähigkeit des Heulbrenners und ergingen uns in Vermutungen, ob wohl ein warmes Abendessen unterwegs sei. Dann holte ich den „Spirit of Man“ hervor und gab einige ausgewählte Stellen zum besten. Somervell erinnerte mich daran, daß wir vor zwei Jahren genau dasselbe taten, als wir beisammen im Zelte lagen. Das Gedicht vom Kubla Khan fand allgemeinen Beifall. Nur Irvine zeigte sich etwas poesiescheu, schien aber die Grabschrift in Grays Elegie zu würdigen. Odell war empfänglicher und lobte die Schlußzeilen des Entfesselten Prometheus. Somervell, der im englischen Schrifttum ziemlich bewandert ist, hatte noch kein Gedicht von Emily Bronte gelesen, was jetzt nachgeholt ward. Und plötzlich war die heiße Suppe da.
Die folgende Nacht war einfach scheußlich. Der Sturm überfiel uns mit heftigen Böen und blies trotz aller Gegenwehr den Schnee in die Zelte. Kaltes Eispulver lagerte sich aufs Gesicht, wenn man den Kopf nicht unter der Decke behielt. In der Frühe bedeckten mich 7 cm Neuschnee. Es war zunächst unmöglich zu beurteilen, wie viel Schnee draußen gefallen war; es stand nur fest, daß die Dinge nicht rosig aussahen. In stilleren Pausen erhaschte man einen Blick aufs verschneite Lager; im nächsten Augenblick war alles in weiße Wirbel gehüllt.
Bald erschienen Norton und Bruce zur Beratung. Geoffrey, der für die Träger verantwortlich ist, befürwortete den sofortigen Rückzug. Es stand fest, daß wir während der nächsten Tage nichts gegen den Nordsattel unternehmen konnten und daß es keinen Zweck hatte, die Träger den Unbilden des Lagers III auszusetzen. Indessen hielt ich es für wahrscheinlich, daß das Wetter sich endlich austobte und daß wir vielleicht schon heute Nachmittag einige Arbeiten in Angriff nehmen konnten. Ich war dafür, noch bis morgen auszuharren, worin Norton mir beipflichtete.
Einigermaßen beunruhigend war der Brennstoffverbrauch. Im Lager II hatte man eine Schachtel Meta und eine unbekannte (jedoch keineswegs große) Petroleummenge verbraucht. Hier oben mußte alles Wasser durch Schneeschmelzen gewonnen werden, was viel Meta und Petroleum erforderte. Inzwischen war der Heuler hinzugekommen, der ungeahnte Mengen verschlang. Das erste Erfordernis war demnach eine Verminderung der sechs Europäer. Da Somervell, Norton und Odell den Weg auf den Nordsattel bahnen sollten, mußten Irvine und ich abziehen. Während des Abstieges litten wir – Irvine stark, ich weniger – an der sogenannten Gletschermattigkeit. Dieses geheimnisvolle Leiden hängt wohl mit der Sonneneinstrahlung bei Neuschnee zusammen.
Im Lager II erfreuten wir uns der Ruhe in Gesellschaft von Beetham und Noel.
11. Mai. Wetter dunstig und zweifelhaft. Ich schickte fünfzehn Lasten zum Zwischenlager und veranlaßte den Abstieg zweier Kranker. Der eine, ein wenig widerstandsfähiger Leptscha, hatte erfrorene Füße; der andre Kellas’ alter Diener Sanglu, ein tüchtiger Mann, den man Noel zugeteilt hatte. Er litt an Bronchitis. Kaum waren die Leute eine halbe Stunde fort, als gerufen wurde. Ein Mann hatte auf dem Gletscher das Bein gebrochen. Wir brachen sogleich zur Rettung auf und begegneten einem Boten Nortons, der mitteilte, daß er das Lager III räume, was vorauszusehen war. Der Verwundete lag nicht weit und hatte glücklicherweise einen reinlichen Bruch in der Kniegegend.
Am nämlichen Abend waren Beetham, Noel, Irvine und ich wieder im Standlager; die andern folgten am nächsten Tage.
Das also war die Geschichte des Rückschlages. Norton hatte unbedingt recht, denn wir sind an die Grenze des Erlaubten gegangen. Alles hängt von den Trägern ab, so daß wir uns bemühen müssen, sie in bester Verfassung an den Ablauf (Lager III) zu bringen. Vielleicht haben wir 1922 mit weniger Spielraum gearbeitet, als wir ahnten. Jedenfalls habe ich mich damals immer sehr darüber gewundert, daß der Trägerbetrieb so tadellos klappte. Jetzt war das Lager III ja tatsächlich eine Hölle; so große und anhaltende Kälte mit Sturm haben wir dort noch nie erlebt. Wahrscheinlich werden sich die Träger zum Schluß doch ebenso gut bewähren wie ihre Vorgänger. Ich habe es an mir selber gespürt, wie schlimm es im Lager III zuging. Natürlich bedeutet der Rückzug einen riesigen Zeitverlust. Wir haben hier unten auf besseres Wetter gewartet; nun scheint es sich zu wenden, und wir sind wieder auf dem Sprunge. Der Gipfeltag ist vom 17. auf den 21. verschoben worden. Das große Fragezeichen ist der Monsun.

Reinhold Messner

Über Reinhold Messner

Biografie

Reinhold Messner, Grenzgänger, Autor und Bergbauer, wurde 1944 in Südtirol geboren und wuchs in einem Bauerndorf auf. Bereits 1949 ging er zum ersten Mal in Begleitung seines Vaters auf einen Dreitausender. Nach seinem Technik-Studium arbeitete er kurze Zeit als Mittelschullehrer, ehe er sich ganz...

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