Gestatten: Elite — Inhalt
„Ein Schmöker für Menschen, die weniger als siebzig Stunden in der Woche arbeiten und deswegen von Workaholics als ›Minderleister‹ beschimpft werden – klug und pointiert formuliert.“ Der Spiegel
Julia Friedrichs ist fünfundzwanzig, als McKinsey ihr ein lukratives Job-Angebot unterbreitet: Sie soll künftig zur Elite des Landes gehören. Was man sich darunter vorstellt, erlebt sie bei einem Edel-Assessment-Center – und ist geschockt. Doch das Wort ›Elite‹ lässt sie nicht mehr los. Sie schlägt den Job aus und recherchiert ein Jahr lang an Elite-Universitäten, Elite-Akademien, Elite-Internaten. Sie taucht ein in eine Welt, in der ›Minderleister‹ das größte Schimpfwort ist, in der zwanzigjährige Eliteanwärter Talkshow-Auftritte trainieren und Teenager Karriereberatungen buchen ...
„Friedrichs analysiert präzise, nah an den Menschen dran, frei von Polemik oder Sozialkitsch.“ 3sat „Kulturzeit“
Leseprobe zu „Gestatten: Elite“
VORWORT
Zehn Jahre ist es her, dass ich mich auf die Suche nach denen
machte, die von sich behaupten, Elite zu sein. Damals
war Elite ein neu entdecktes Buzzword, irgendwie „in.“
Heute ist Elite oft Präfix des Wortes Versagen. Diverse
Großkrisen haben uns und das Vertrauen in die, die Elitepositionen
besetzen, erschüttert.
Ich wollte wissen: Haben diese zehn Jahre die jungen
Menschen, die damals nach oben strebten, und die Schulen
und Unis, die sich ausbildeten, geändert? Was ist aus
ihnen geworden? Tatsächlich Elite?
Ich habe mich noch einmal auf ihre Spuren [...]
VORWORT
Zehn Jahre ist es her, dass ich mich auf die Suche nach denen
machte, die von sich behaupten, Elite zu sein. Damals
war Elite ein neu entdecktes Buzzword, irgendwie „in.“
Heute ist Elite oft Präfix des Wortes Versagen. Diverse
Großkrisen haben uns und das Vertrauen in die, die Elitepositionen
besetzen, erschüttert.
Ich wollte wissen: Haben diese zehn Jahre die jungen
Menschen, die damals nach oben strebten, und die Schulen
und Unis, die sich ausbildeten, geändert? Was ist aus
ihnen geworden? Tatsächlich Elite?
Ich habe mich noch einmal auf ihre Spuren begeben und
dabei herausgefunden, dass ihre Welt von den Turbulenzen
dieses Jahrzehnts erstaunlich unberührt geblieben ist.
ICH LERNE DIE ELITE KENNEN
Die Elite trat in einem griechischen Luxushotel in mein
Leben. Sie hieß Mario und war knapp dreißig, also nur
wenig älter als ich. Außer demselben Geburtsjahrzehnt
hatten wir nicht viel gemeinsam. Mario kannte solche
Abende. Er trank, redete, lachte – gleichzeitig. Ohne innezuhalten.
Er war makellos, ohne Selbstzweifel, siegessicher.
Ich saß in einem Karo-Rock, der ständig verrutschte,
neben ihm. An den Füßen Stiefel, die ich mir geliehen
hatte. Während unseres Gesprächs drehte ich eine Haarsträhne
um den Zeigefinger. Wie immer, wenn ich nervös
bin. Im Gegensatz zu ihm gehörte ich nicht hierher.
Nicht in diese Fünf-Sterne-Idylle. Unterhalb unseres
Tisches brannten Fackeln, junge Menschen saßen am
Hotelpool, dahinter leuchtete der angestrahlte Poseidon-
Tempel. Direkt darunter lag das Meer. Dieser Ort war
einer der schönsten, die ich seit Langem gesehen hatte,
und dennoch fühlte ich mich unwohl wie selten.
Ich war in Griechenland, weil ich mich bei McKinsey,
der weltgrößten Unternehmensberatung, beworben hatte.
McKinsey gehört zu den Mächtigen der neuen Wirtschaftswelt.
Die Firma hatte im Dezember 2006 vierzehntausend
Mitarbeiter weltweit, machte 600 Millionen Euro Umsatz
allein in Deutschland. McKinsey baut Unternehmen um.
Behörden. Staaten. Zehntausend junge Deutsche wollen jedes
Jahr dazugehören und schicken ihre Bewerbung. Ein
bis zwei Prozent davon bekommen einen Job. Das McKinsey-
Auswahlverfahren gilt als das härteste der Welt.
Und an diesem Auswahlverfahren nahm auch ich teil.
Nicht weil ich bei McKinsey anfangen wollte, sondern zur
Recherche. Ich arbeitete als freie Journalistin und war kurz
davor, mein Studium zu beenden. Ich war fünfundzwanzig,
also genau in dem Alter, das für McKinsey interessant
ist. Die Berater der Firma sind nicht nur mächtig, sondern
auch diskret. Sie wickeln ihre Aufträge im Stillen ab, selbst
wenn es darum geht, Arbeitsämter, Krankenhäuser und
Universitäten umzubauen. Auf kritische Fragen antworten
sie ungern. Deshalb wollte ich mir das Unternehmen von
innen ansehen. Ich wollte wissen, wer diese Menschen sind,
wie sie ausgewählt werden. Deshalb hatte ich mich beworben.
Ich hatte nie gedacht, dass ich genommen würde.
Und dann saß ich in diesem Hochglanzhotel am Meer.
McKinsey hatte mich und hundertzwanzig andere Studenten
aus Europa zu einer Segeltour eingeladen. Das Ganze
war ein Edel-Assessment-Center. Unsere große Chance
zum Einstieg in die Welt der Berater, sagten die meisten.
McKinsey zeigte uns in Griechenland das schöne Leben. Jeder
wohnte in einem eigenen Bungalow mit Blick aufs
Meer. Wir segelten zu siebt auf kleinen Jachten in der Ägais.
Wir feierten eine rauschende Party. McKinsey buchte einen
DJ aus Athen und Barmänner, die mit Cocktailshakern
jonglierten. Vier Tage lang lief vor unseren Augen ein Werbefilm
für das schöne und coole Leben der Berater ab.
Außerdem wurde uns in diesen vier Tagen in kleinen
Dosen die McKinsey-Philosophie verabreicht. Uns wurde
das Potenzial hätten, Europas neue Führungsgeneration
zu werden. Wer es schaffe, zu ihnen zu gehören, sagte
McKinsey, sei ein Gewinner. Elite.
Mario war einer von vierzig Beratern, die mit uns im
Hotel wohnten. Immer wieder setzten sie sich zu uns, um
uns von der Welt der Mächtigen und Erfolgreichen zu berichten,
die auf uns wartete. Mario war kein Date. McKinsey
bezahlte ihn dafür, dass er mit mir Wein trank, dass er
mir Heldengeschichten erzählte, wie ich sie noch nie zuvor
gehört hatte. Er erklärte mir das Leben der Elite.
Er habe gerade eine große europäische Fluglinie saniert,
sagte er. Kosten reduziert, Leute entlassen. Die hätten
sich ganz schön gesperrt. Aber er hätte alle Widerstände
gebrochen. Jetzt sei der Laden wieder fit. Und wieder trank
er, lachte und gestikulierte. Er war so beschäftigt mit sich
selbst, dass er erst sehr spät merkte, dass ich seine Geschichte
nicht mochte. Dann verstand er und schaute mich
an, als hätte er erkannt, dass ihm kein „High Potential“ gegenübersaß.
„Es gibt Menschen“, sagte er, „die sind oben – das sind
Gewinner. Und Menschen, die sind unten – die Verlierer.
Pass auf“, riet er mir, „dass du im Leben zu den Gewinnern
gehörst.“
Ich hätte eine von ihnen werden können. Zurück aus
Griechenland, lud mich McKinsey zu einem Auswahltag
am Berliner Kurfürstendamm ein. Ich rechnete mich
durch Tests und löste Case Studies, wie die Berater ihre
Beispielfälle nennen. Ich musste mir sagen lassen, dass ich
gern bluffe und manchmal etwas aggressiv sei. Obwohl es
ja nur eine Recherche war, entwickelte ich plötzlich den
gesagt, wir seien brillant. Wir seien die Besten. Die, die
das Potenzial hätten, Europas neue Führungsgeneration
zu werden. Wer es schaffe, zu ihnen zu gehören, sagte
McKinsey, sei ein Gewinner. Elite.
Mario war einer von vierzig Beratern, die mit uns im
Hotel wohnten. Immer wieder setzten sie sich zu uns, um
uns von der Welt der Mächtigen und Erfolgreichen zu berichten,
die auf uns wartete. Mario war kein Date. McKinsey
bezahlte ihn dafür, dass er mit mir Wein trank, dass er
mir Heldengeschichten erzählte, wie ich sie noch nie zuvor
gehört hatte. Er erklärte mir das Leben der Elite.
Er habe gerade eine große europäische Fluglinie saniert,
sagte er. Kosten reduziert, Leute entlassen. Die hätten
sich ganz schön gesperrt. Aber er hätte alle Widerstände
gebrochen. Jetzt sei der Laden wieder fit. Und wieder trank
er, lachte und gestikulierte. Er war so beschäftigt mit sich
selbst, dass er erst sehr spät merkte, dass ich seine Geschichte
nicht mochte. Dann verstand er und schaute mich
an, als hätte er erkannt, dass ihm kein „High Potential“ gegenübersaß.
„Es gibt Menschen“, sagte er, „die sind oben – das sind
Gewinner. Und Menschen, die sind unten – die Verlierer.
Pass auf“, riet er mir, „dass du im Leben zu den Gewinnern
gehörst.“
Ich hätte eine von ihnen werden können. Zurück aus
Griechenland, lud mich McKinsey zu einem Auswahltag
am Berliner Kurfürstendamm ein. Ich rechnete mich
durch Tests und löste Case Studies, wie die Berater ihre
Beispielfälle nennen. Ich musste mir sagen lassen, dass ich
gern bluffe und manchmal etwas aggressiv sei. Obwohl es
ja nur eine Recherche war, entwickelte ich plötzlich den
Ehrgeiz, diesen Auswahltest um jeden Preis zu schaffen.
Am Ende hielt ich einen Vertrag in der Hand. McKinsey
bot mir 67000 Euro Einstiegsgehalt und einen Dienstwagen
– meine Eintrittskarte in die Welt der Elite. Als ich das
schicke Büro verließ, das Papier, das so viel Geld bedeuten
könnte, in der Hand, war ich drauf und dran zuzusagen,
mich vom Journalismus zu verabschieden und das zu
werden, was McKinsey unter Elite versteht. Ich zögerte
und zauderte, aber ich sagte Nein.
Ich verließ McKinsey, ohne eine von ihnen geworden
zu sein. „Gerade noch rechtzeitig“, sagten meine Freunde.
Aber zu spät, um Mario vergessen zu können.
Aus dem griechischen Luxushotel kehrte ich in meine
Wohngemeinschaft nach Berlin zurück. Hier hatte sich
nichts verändert. Links der Plattenladen, rechts der Wohnwagen,
in dem man Hamburger kaufen kann, dazwischen,
im Hinterhof, in einem roten Backsteinbau, in
dem vor einem Jahrhundert Tortenböden hergestellt wurden,
unsere WG. Seit drei Jahren lebe ich hier. Zusammen
mit den vier anderen. Theo hat die Wohnung vor fast
zehn Jahren entdeckt. Er hat sich Ende der Achtziger in
der Kommunikationsbranche selbstständig gemacht. Gesundheitliche
Probleme warfen ihn dann aus der Bahn.
Seit einiger Zeit versucht er, wieder Fuß zu fassen. Vorne
links, direkt neben der Eingangstür, lebt Jan. Vielleicht ist
er Mitte zwanzig, vielleicht schon dreißig. So genau weiß
das niemand. Jan feiert seinen Geburtstag nicht. Er sagt,
es sei kein Festtag. Die Erde sei auch ohne ihn schon zu
voll. Jan hat Mathematik studiert, sogar in Singapur. Jetzt
ist er Tierrechtler und politischer Aktivist. Mal organisiert
er eine Kampagne gegen die Privatisierung der Bahn,
mal plant er eine Aktion gegen den Klimawandel oder
Genmais.
Gegenüber von Theos Tür wohnt Hanna. Sie ist blond,
klug und ziemlich ehrgeizig. Hanna will Juristin werden.
Spezialistin für Völkerrecht. Sie träumt davon, eines Tages
als Delegierte des Roten Kreuzes im Kongo für die
Menschenrechte einzutreten. Dafür braucht sie – die Welt
der Juristen ist eine eigentümliche – unbedingt neun
Punkte im Examen. Weil das im ersten Anlauf nicht geklappt
hat, lernt sie jetzt alles noch einmal. Seit einem
Jahr. Und hinten links wohnt Tom. Mein Freund. Auch er
hat mal Jura studiert. Bis ihm nach vier Jahren einfiel,
dass das die falsche Wahl war, und er sich für ein Journalistikstudium
entschied. Er arbeitete im Bundestag, dann
beim Radio. Jetzt ist er an der Uni, allerdings in Hamburg.
Drei Tage pro Woche verlässt er uns und wohnt in einer
anderen WG. Mit zwei Mädels in St. Georg, direkt hinterm
Hauptbahnhof.
Als ich von meiner Absage erzählte, atmeten die anderen
auf. Für sie wäre eine Unterschrift so etwas wie mein
Einverständnis zu einer feindlichen Übernahme gewesen.
Tom wollte sogar schon besorgniserregende Charakterveränderungen
an mir festgestellt haben. Ich sei so betont
cool geworden, sagte er. Würde mich sogar bemühen, tiefer
zu sprechen.
Als diese Gefahr gebannt war, wendete sich die WG
wieder ernsteren Problemen zu. Wir hatten Mäuse, seit
Wochen schon. Wieder einmal diskutierten wir über
mögliche Lösungen: Genickschlag oder Lebendfalle? Wieder
einmal konnten sich Pragmatiker und Tierfreunde
nicht einigen. Wir berieten über Alternativmöglichkeiten
der Mäusebekämpfung, wir recherchierten im Internet,
wir vertagten das Problem. Und ich merkte, dass der Flirt
mit McKinsey doch seine Spuren hinterlassen hatte. In
meinem Kopf marschierten Kompanien von Fünfundzwanzigjährigen
auf, angeführt von General Mario. Ihre
Mission: Gewinner zu finden, zu Eliten zu küren; Verlierer
zu entlarven, zu isolieren. Gemessen werden der
Leistungswille, die Einsatzbereitschaft und die Effizienz.
Unter „WG Kreuzberg“ müssten sie notieren: „Drei Meetings
zur Klärung des Mäuseproblems. Kein Ergebnis.“
Auf einmal sah ich meine Welt bedroht. »Denn Mario
hatte mir in der Nacht noch viel mehr erklärt: „Verlierer“,
hatte er gesagt, „sind meist unbeweglich.“ Zum Wohle der
Allgemeinheit sei es die Aufgabe der Gewinner, die Verlierer
anzutreiben, zur Not auch auszusortieren.
WOLLEN WIR WIEDER ELITE?
„Elite“ – das Wort ließ mich nicht los. War es nicht mit
„Führer“ und „Rasse“ untergegangen? Hieß es nicht einmal,
es passe nicht in einen demokratischen Wortschatz?
Gewinner und Verlierer, Auserwählte und Masse, oben
und unten. Waren das nur für Mario Begriffspaare, mit
denen man eine Gesellschaft strukturieren kann?
Ich sitze in meinem Zimmer, den Blick auf die Frau im roten
Jogginganzug gerichtet, die aus dem Vorderhaus ständig
in unsere Richtung schaut. „Faul, unbeweglich“, würde
Mario wohl sagen. Die Elite ist inzwischen überall.
Vor mir auf dem Boden liegt ein Stapel aus Zeitschriften,
Artikeln und Büchern, der gerade von einem kleinen
Hocker gestürzt ist. Darin verbergen sich Hunderte Elite
Zitate, die ich abgeschrieben oder ausgerissen habe. Meine
Sammlung ist beachtlich. Sie umfasst das Etikett eines
Beutels, der einmal ein Kilo „Elite-Tomaten“ aus dem Kaiser’s-
Supermarkt enthielt, genauso wie ein Erinnerungsfoto
an Elite-Toiletten auf dem Feld vor dem Berliner
Olympiastadion.
Ich habe Bücher über die „Neue Elite“, „Eliten in einer
egalitären Welt“, ein „Plädoyer für eine Elite der Exzellenz“
gelesen. Ich kann ganze Elite-Bildungswege durchdeklinieren:
Elite-Kindergarten, Elite-Schule, Elite-Uni. Dazwischen
immer wieder Politikerzitate. Ex-Kanzler Gerhard
Schröder forderte in seiner ersten Regierungserklärung:
„Auch unsere demokratische Gesellschaft braucht Eliten.“
Die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn
(SPD) verlangte nach „Leistungseliten“. Und die
heutige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte
stolz: „Ich habe schon von Elite gesprochen, als das andere
noch ganz schlimm fanden.“ Da kann man nur gratulieren.
Auch ich bestehe stets darauf, schon Gola-Sneaker getragen
zu haben, als andere die Marke noch nicht kannten.
Annette Schavan und ich hatten, jede auf ihrem Gebiet,
den richtigen Riecher. Fast jeder hat inzwischen ein Paar
Gola-Sneaker im Schrank, und mein Stapel beweist, dass
auch der Elite in den vergangenen fünf Jahren ein Siegeszug
gelungen ist.
Als ich Mario traf, dachte ich, er sei nichts weiter als ein
selbstverliebter Karrierist. Einer, der alle mit „Leistungmuss-
sich-wieder-lohnen“-Phrasen langweilt. Aber was
ist, wenn das nicht stimmt? Wenn er, ganz im Gegenteil,
zur Avantgarde eines neuen Denkens gehört? Eines, das
Leistung lobt, Ehrgeiz und Selektion. Eines, das nach Elite
verlangt. Als Wunderwaffe gegen die deutsche Ratlosigkeit
und Resignation. Vielleicht ist er einfach angekommen in
einer neuen Zeit, und wir sitzen in unserer WG-Küche,
träumen von Selbstverwirklichung und Gerechtigkeit
und haben nichts begriffen. Kämpft ein Teil meiner Generation
schon längst für eine Renaissance der Eliten?
Wer soll dazugehören? Und wie will diese junge Elite
das Land verändern? Will sie, wie Mario, die Menschen
aufteilen: die Gewinner ins Töpfchen, die Verlierer ins
Kröpfchen?
Ich überlasse meine Sammlung zum Elitebegriff den
steten Blicken der Frau im Jogginganzug. Ich habe den
Eindruck, dass mich die bloße Lektüre nicht weiterbringt.
Ich will raus, will selbst sehen und hören, ob eine neue
Elitegeneration heranwächst. Ich will herausfinden, was
das schillernde Wort tatsächlich bedeutet. Für die Elite.
Und damit natürlich auch für uns. Ich recherchiere die
Standorte von Elite-Unis, Elite-Akademien, Elite-Stiftungen
und baue mir eine Reiseroute zusammen. Die Suche
kann beginnen.
DIE „TOP-ADRESSE FÜR DIE
FÜHRUNGSELITE VON MORGEN“
Gleich die erste Etappe führt mich in die Provinz. Ich sitze
im Zug Richtung Wiesbaden, von dort soll mich ein
Shuttle in die Weinberge des Rheingaus fahren. Oestrich-
Winkel, das sich stolz die „Perle im Rheingau“ nennt,
ist nämlich so etwas wie Deutschlands heimliche Elite-
Hauptstadt. Zwölftausend Menschen leben hier, davon
achthundertfünfzig mit Eliteambitionen. Es sind die
Studenten der European Business School. Die private
Hochschule gibt sich selbst das Label „unternehmerische
Elitehochschule“ und wirbt: Sie sei die „Top-Adresse für
die Führungselite von morgen“. Auch in Rankings oder
der Zeitschrift Karriere, dem Leitmedium der zukünftigen
Wirtschaftslenker, schneidet die „EBS“ immer hervorragend
ab. Zwar klingt die Aufzählung Harvard, Oxford,
Oestrich-Winkel noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber
im Gegensatz zu den USA oder England hat Deutschland
ja mit der Elitepflege gerade erst begonnen. Die Absolventen
der EBS machen in der Welt, der ich gerade den Rücken
gekehrt habe, Karriere. Ein Drittel von ihnen geht in
die Beratung, ein Drittel in die Finanzbranche, davon viele
ins Investmentbanking. Glaubt man den Wirtschaftszeitungen,
sind das die neuen Schaltstellen der Macht.
Bernd hatte mich ins Rheingau eingeladen. Er ist Studentensprecher
der EBS und immer beschäftigt. Als ich ihn
zum ersten Mal anrief, machte er gerade ein Praktikum bei
einer großen Investmentbank. Er meldete sich, und ich
war sicher, mich verwählt zu haben. Bernd klang, als wäre
er Mitte dreißig. Er sprach überlegt und kontrolliert, mit
tiefer Stimme, die früh gealtert zu sein schien. Vielleicht
geht sein Körper das hohe Tempo einfach mit, denn Bernd
lebt schneller als andere, „intensiver“ nannte er das. Zwölf
bis vierzehn Stunden dauern seine Arbeitstage. Auch an
der Uni. „Es gibt während der Woche selten Phasen, in denen
ich nichts mache“, sagte Bernd, und ich schämte mich,
mit ihm nur ein wenig plaudern zu wollen. Über Elite.
Bernd hatte ein recht klares Bild von der Elite. Elite,
sagte er in unserem Gespräch, das seien Menschen, die
vordenken, die Entscheidungen treffen, die alles ein biss
chen besser machen. Nicht für sich, sondern für die Allgemeinheit,
schob er nach. „Elite tut jedem Land gut.“
Bernd plante, Karriere in einer Investmentbank oder
einer Unternehmensberatung zu machen.
Wie genau wollte er damit der Gesellschaft nützen?
Bernd sprach lange von den Besten, die die anderen
mitziehen könnten, von Leistung, die anspornt, von
Gleichmacherei, die das lange verhindert habe. „Wenn
wir in Deutschland vorankommen wollen, dann geht das
nur, wenn wir eine starke Spitze haben.“ Deshalb müsse
man die Starken auch fördern. „Denn nur, wenn man die
Starken noch stärker macht, kommen irgendwann Ideen
raus, die vielleicht eine ganze Gesellschaft weiterbringen,
was wir dringend nötig haben.“ Dann sagte er: „Einmal
mit Schinken, Paprika und Peperoni.“ Ich lachte – viel zu
laut, weil mir dieser Satz so viel besser gefiel als die zuvor.
„Wer länger als bis acht Uhr bleibt, darf sich Essen auf
Kosten der Bank bestellen“, erklärte mir Bernd. „Ich bin
fast immer dabei.“
Kurz vor diesem Telefonat war Bernd einundzwanzig
geworden. Seit zwei Jahren arbeitete er akribisch, ehrgeizig,
diszipliniert an seinem Weg nach oben. „Ich war
schon immer ein Mensch, der sich sehr gern dem Druck
gestellt und immer mehr Druck auf sich genommen hat,
als er müsste“, sagte er. „Und die Schlagzahl, die ich jetzt
fahre, fahre ich, weil sie mir Spaß macht und für mich gesund
ist.“ Bernd leistete sich nichts von dem, was für
mich selbstverständlich war: keine Selbstfindung, kein
Zaudern, kein Luftholen. Brauchte er nie Pausen? Zeit
zum Nachdenken? Um Fehler zu korrigieren? Um seine
Pizza mit Freunden zu essen oder mit der Süßen aus der
BWL-Einführung?
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