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Gaby Hauptmann
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Roman

„Dreist, offenherzig, amüsant – Gaby Hauptmann dreht in ihrem neuen Roman den Spieß um und jagt die Männer!“ - Lübecker Stadtzeitung

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Hängepartie — Inhalt

Von Romantik hat Carmen die Nase voll. Er will nur reden – wo ist nur seine Lust auf Sex hin? Carmen versteht David nicht. Oder liegt es an ihr? Die Reise nach New York mit dem Liebhaber ihrer Freundin kommt ihr gerade recht … Dreist, offenherzig, amüsant – Gaby Hauptmann dreht in ihrem neuen Roman den Spieß um und jagt die Männer!

€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 01.05.2011
320 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-27179-0
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 14.04.2011
320 Seiten
EAN 978-3-492-95192-0
Download Cover

Leseprobe zu „Hängepartie“

Für alle Davids dieser Welt …


DER FRÜHE WINDSTOSS FÄHRT IN den leichten Stoff und bauscht den Vorhang vor dem offenen Fenster auf. Der Stoff tanzt hin und her und entlässt den Störenfried schließlich mit einem leisen Rascheln ins Zimmer. Mit ihm zieht der Duft nach feuchter Erde und herben Kräutern herein.
Carmen zieht ihre leichte Sommerdecke etwas höher. Sie möchte noch nicht aufwachen, sich dem Tag noch nicht stellen. Sie möchte weiterträumen. Träumen ist so schön, so weit weg von allem, was im Büro auf sie wartet. Sie vergräbt den Kopf im Kopfkissen, [...]

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Für alle Davids dieser Welt …


DER FRÜHE WINDSTOSS FÄHRT IN den leichten Stoff und bauscht den Vorhang vor dem offenen Fenster auf. Der Stoff tanzt hin und her und entlässt den Störenfried schließlich mit einem leisen Rascheln ins Zimmer. Mit ihm zieht der Duft nach feuchter Erde und herben Kräutern herein.
Carmen zieht ihre leichte Sommerdecke etwas höher. Sie möchte noch nicht aufwachen, sich dem Tag noch nicht stellen. Sie möchte weiterträumen. Träumen ist so schön, so weit weg von allem, was im Büro auf sie wartet. Sie vergräbt den Kopf im Kopfkissen, doch dann dringt der werbende Ruf des Amselmännchens an ihr Ohr, und während sie seinem Gesang lauscht, fängt ihr Gehirn an zu arbeiten und stellt fest, dass Sonntag ist.
Carmen hält die Augen geschlossen, aber sie sieht den Morgentau auf dem Gras vor sich, den blauen Lack ihrer Gartenbank und das Amselnest im alten Apfelbaum. Und sie freut sich für die Amselmama, dass ihr Mann so nett um sie wirbt.
Es muss früh sein, sagt sie sich. Für einen freien Tag sehr früh. Zu früh.
Noch immer hält Carmen ihre Augen geschlossen. Wenn sie sie erst einmal geöffnet hat, wird sie nicht mehr einschlafen können. Vielleicht kann sie die schönen Bilder, die sie in ihrem Kopf hat, in den nächsten Traum einweben. Manchmal kann sie das.
Carmen versucht, dem Geruch, den Bildern und dem Vogelgesang eine Geschichte zu geben, irgendetwas, das sie zurück in einen Traum ziehen kann, aber gleichzeitig spürt sie, wie ihre Sinne erwachen und gegen den Schlaf ankämpfen. Sie fühlt ein Kribbeln die weiche Innenseite ihrer Beine heraufziehen und sich mit forderndem Pochen und Ziehen in ihrem Schoß vereinigen. Die pure Lust. Carmen genießt das Gefühl und überlegt, ob sie so früh am Morgen schon hinüberlangen kann, hinüber zu David, dem dieses Pochen und Ziehen gilt. Ihre Hand stiehlt sich auf die andere Seite des Betts, langsam und tastend. Noch immer hält sie die Augen geschlossen. Sie möchte ihn erfühlen, seine bettwarme Nähe, seinen vertrauten Körper.
Doch da ist nichts. Da, wo David normalerweise liegt, ertastet ihre Hand nur kaltes Leinen, die Decke sorgfältig zurückgeschlagen. Carmens Augendeckel klappen automatisch hoch, und als sie sich jetzt ruckartig aufsetzt, spürt sie einen Adrenalinstoß, der mit ihrer Lust von eben nichts mehr zu tun hat.
So früh, denkt sie. So früh! Wo ist er hin? Was tut er?
Ihr Blick wandert zur Uhr. Sieben, sagt ihr Wecker, der sie heute mit seinem kreischenden Hahnenschrei verschont hat. Der Schrei wäre auch nicht nötig gewesen, sie ist auch so hellwach.
Und sie fröstelt. Das muss von innen kommen, denkt sie, denn draußen kündigt sich ein traumhafter Sommertag an.
Wo ist David?
Sie stellt ihre Füße nebeneinander auf die dunkelbraunen Holzdielen, dann steht sie auf. Nackt geht sie um das Bett herum, schaut kurz ins Bad und läuft dann die Treppe hinunter ins Erdgeschoss in die große Wohnhalle, deren offen stehende Terrassentüren direkt in den Garten hinausführen.
Sie sieht ihn, aber er hört sie nicht kommen.
Schon wieder, denkt sie und spürt, wie ein Gefühl der Verlassenheit in ihr aufsteigt, während sie ihren Schritt verlangsamt und dann betont munter auf ihn zugeht.
„Na“, sagt sie, „wächst alles?“
David schaut vom Monitor hoch. Im blauen Morgenmantel, den sie ihm vor drei Jahren geschenkt hat, lächelt er sie an und drückt nebenbei seine Zigarette aus. Carmen kann nicht anders, sie zählt vier Kippen. Also sitzt er schon seit gut einer Stunde hier.
„Die Farm wächst und gedeiht“, berichtet er. „Dirk hat mir fünf Katzenbabys geschenkt, die haben jetzt auch eine Heimat.“
Ihm, der Katzen im wahren Leben überhaupt nicht ausstehen kann.
„Schön“, sagt sie. „Kommst du jetzt wieder ins Bett?“
David nickt. „Gleich“, sagt er und greift nach seiner Kaffeetasse. „Das eine Feld muss ich noch abernten und die Hühner noch füttern – alles andere habe ich schon erledigt. Dann bringe ich dir einen Kaffee mit.“
Eigentlich wollte sie keinen Kaffee. Eigentlich wollte sie ihn.
„Ich dachte an ein bisschen Sex“, sagt sie und wirft ihre langen roten Locken nach hinten. Er schaut sie an, und Carmen hat nicht das Gefühl, dass er eine nackte Frau sieht. Was sieht er überhaupt, wenn er sie sieht?
„Sex?“ Er lacht. „Auch gut. Junge Ferkelchen habe ich auch gekriegt. Von meinem Bruder. Langsam wird die Farm zu voll, ich muss wohl anbauen …“
Carmen schaut ihm zu, wie er seine virtuellen Tiere liebevoll begutachtet, und sieht auf dem Bildschirm die ganze Farm mit den hübschen Farmhäusern und gemütlichen Ecken, die er gebaut und eingerichtet hat. Es gibt Ziehbrunnen und Feuerstellen, Hollywoodschaukeln und Saunahäuschen.
Und im wirklichen Leben gibt es sie, Carmen.
„Kommst du?“
„Ein paar Minuten“, sagt er, und sie schleicht zurück ins Schlafzimmer. Das Ziehen im Bauch wird stärker. Zehn Jahre, denkt sie. Was war das für ein Aufflammen, für ein Begehren, für eine Liebe Tag und Nacht. Wo waren sie nicht überall übereinander hergefallen, konnten die Finger nicht voneinander lassen, waren unmögliche Gäste, weil sie immerzu nur mit sich selbst beschäftigt waren.
Was war nur passiert seitdem?
Im Bett zieht Carmen die Decke über beide Ohren. Sie möchte nicht darüber nachdenken. Sie möchte diesen frühen Sommertag genießen, noch einmal zurücksinken in das Gefühl des anbrechenden Morgens, der stürmischen Liebe zwischen Tau und erstem Sonnenstrahl.
Seufzend tastet sie unter der Decke nach unten.


Als David mit zwei Tassen Kaffee kommt, verbreitet er mit seiner dicken Zeitung unter dem Arm genau die Stimmung, die Carmen früher so an ihm geliebt hat. Gemütliches Aufwachen im Bett, Kaffee trinken, Croissants essen, Zeitungen aufschlagen, sich gegenseitig etwas vorlesen, diskutieren, lachen, lieben.
Aber in letzter Zeit hat sich das Morgenritual verändert. David reicht Carmen die Kaffeetasse, sodass der lockere Milchschaum fast überschwappt, zieht seinen Bademantel aus und legt sich mit der Zeitung auf seine Seite, den Rücken ans Kopfende gelehnt. Carmen überlegt kurz, stellt die Tasse ab, dann kuschelt sie sich an ihn heran.
„Schon wieder wurde ein Bauprojekt abgelehnt“, sagt er und tippt mit dem Finger auf eine Stelle im Lokalteil.
„Ach ja?“ Carmen schaut ihn an. Er ist noch immer der Mann, den sie haben will, den sie liebt. Seine türkisfarbenen Augen haben sie damals in ihren Bann gezogen und tun es noch heute. Nur heute lesen sie voller Hingabe einen Artikel über das städtische Bauamt und haben keinen Blick für sie. Und Carmen denkt zum ersten Mal darüber nach, ob er sie plötzlich unattraktiv finden könnte.
Gut, sie ist zehn Jahre älter geworden, er aber schließlich auch.
Und ihr Spiegelbild stellt sie noch immer zufrieden, obwohl sie mit fünfundvierzig Jahren den einen oder anderen Abstrich machen muss. Dafür hat sie an Lebensqualität, an innerer Sicherheit und an Esprit gewonnen. Und eigentlich, so hat sie bis vor Kurzem noch gedacht, lebt sie ein rundherum erfülltes Leben.
Bis David damit anfing, immer später ins Bett zu kommen und immer früher aufzustehen.
Wo schläft er überhaupt?
In seinem Büro?
Gut, Architektur ist ein schwieriges Handwerk geworden. Es gibt zu viele Architekten und zu wenige lukrative Aufträge. Zudem vergällen einem Bauherren, die von Anfang an auf abzugsfähige Fehler sinnen, die Freude am Beruf. David ist Mitte vierzig und spürt, dass er nicht der Macher ist, der die Architekturwelt erobern wird. Er ist keiner, der auf andere zugeht. Er hat das Kämpfen nicht gelernt. Immer sind da andere gewesen, die ihm den Weg geebnet haben. Und sie haben ihn darin bestätigt, dass er nur warten muss, bis alles von allein passiert. Aber jetzt passiert nichts, und es kommt kein Auftrag.
Carmen hört ihm zu, wie er mit verächtlicher Stimme eine kurze Passage vorliest, und gibt es auf, an Sex zu denken. Vielleicht ist es eine Art Midlife-Crisis, überlegt sie. Vielleicht hat es gar nichts mit ihr zu tun, sondern umgibt ihn wie eine Mauer, über die er nicht mehr hinwegkann. Oder will.
Kann sie ihm helfen? Soll sie ihn darauf ansprechen?
Sie sieht im Reiseteil einen Artikel über japanische Liebeshotels.
„Würde dich das anmachen?“, fragt sie. „Ein Hotelzimmer, das eine reine Sexspielwiese ist?“
Er schaut kurz darauf und schüttelt dann den Kopf. „Nein“, sagt er. „Wieso? Braucht man das?“
„Vielleicht mal zur Abwechslung“, meint sie und fragt sich, welche Abwechslung eigentlich?
Aber er ist mit seinen Gedanken schon wieder woanders.


Den ganzen Sonntag über beschäftigt sie diese Frage. Es ist wie verhext. Selbst als er sie am Nachmittag fragt, ob sie mit ihm am See entlangjoggen will, denkt sie sofort an Glückshormone und dass eine entsprechende Endorphinausschüttung Wunder wirken könnte. Sie sieht sich schon im Wald mit ihm, leidenschaftlich an einen Baum gelehnt oder am Seeufer gebückt hinter dichtem Schilf. Ihre Phantasie kennt keine Grenzen, und je mehr sie träumt, umso aufgeregter pulsiert es zwischen ihren Beinen.
Der Waldweg ist wunderschön, besonders jetzt im Sommer, wenn sich Licht und Schatten abwechseln und der kleine See voller Leben ist. Und er ist noch immer ein Geheimtipp, sodass nur wenige Spaziergänger und Jogger unterwegs sind.
Carmen atmet tief durch. „Das ist eine gute Idee“, sagt sie und spürt, wie sich ihre Nerven beruhigen und sie sich auf die körperliche Anstrengung freut. Die spätere Ausgeglichenheit ist der Lohn, denkt sie, das gute Gefühl, etwas getan zu haben.
„Und nachher ein Pils“, lacht David.
Auch sie muss lächeln. Seine jungenhafte Art fasziniert sie immer wieder aufs Neue. „Und einen Wurstsalat“, fügt sie an, und dann laufen sie gemeinsam los.
Erst langsames Einlaufen, dann schneller, normalerweise laufen sie im gleichen Tempo. Aber heute läuft David, als wäre der Teufel hinter ihm her. Carmen, die regelmäßig trainiert und eine gute Ausdauer hat, verliert ihren Rhythmus. Nach zwanzig Minuten bekommt sie heftiges Seitenstechen und bleibt gekrümmt stehen.
David bemerkt es erst nach ein paar Metern und kommt mit fragendem Gesichtsausdruck zurückgetrabt. „Was ist?“
„Du bist heute schneller als sonst.“ Carmen versucht ihre Atmung zu regulieren. „Ich habe Seitenstechen!“
„Hm.“ David betrachtet sie. „Schlecht!“
Carmen nickt.
„Das ist mir gar nicht aufgefallen“, sagt er. „Tut mir leid!“
Carmen nickt erneut.
„Geht’s besser?“
Carmen wiegt sich prüfend in der Hüfte und schüttelt dann den Kopf. „Lass uns einfach ein paar Meter gehen.“
David nickt, rührt sich aber nicht von der Stelle.
„Philipp hat den Auftrag an Holzer & Partner gegeben“, sagt er unvermittelt und kickt mit der Fußspitze einen Ast weg.
Das muss wehtun. Mit Philipp ist er seit seiner Kindheit befreundet. Dass ihm dieser alte Freund seinen Umbau nicht zutraut, wird David sicherlich getroffen haben.
„Oh!“ Carmen greift spontan nach seiner Hand. „Und warum nicht?“
„Ich habe ihn nicht gefragt.“
„Du hast ihn nicht gefragt?“
„Wenn er es mir hätte sagen wollen, hätte er es mir gesagt.“
„Und du willst ihn auch nicht fragen?“
„Wenn er es mir nicht sagen will, brauch ich ihn auch nicht zu fragen.“
Carmen überlegt. „Aber vielleicht ist es nur ein Missverständnis? Vielleicht bist du zu teuer? Vielleicht könnt ihr euch doch einigen?“
David schüttelt langsam den Kopf, entzieht Carmen seine Hand und geht voran. Carmen, die Hand in ihre Hüfte gestützt, folgt ihm.
„Da gibt es nichts zu einigen“, sagt David und wirft ihr einen Blick zu. „Geht’s wieder?“
Carmen ist wie vor den Kopf geschlagen. Warum ruft er Philipp nicht an und klärt das Ganze? Vierzig Jahre kennen sie sich, da wird man doch einmal eine Frage stellen können, ohne dass eine Freundschaft daran zerbricht. Was wäre so eine alte Freundschaft sonst wert?
„Meinst du nicht …“, beginnt sie wieder, aber David trabt schon wieder locker an.
„Das verstehst du nicht“, sagt er über die Schulter.
Nein, denkt Carmen und läuft ebenfalls wieder los, das verstehe ich wirklich nicht.


Ihr Versicherungsbüro in der Altstadt hat Carmen in den vergangenen zehn Jahren gut ausgebaut, und ihr Fels in der Brandung, Britta Berger, hat sich in dieser Zeit zu einer wichtigen und loyalen Mitarbeiterin entwickelt, die jeden Kunden und jeden Aktenordner kennt. Und nicht zuletzt auch die Stimmungen ihrer Chefin.
Als Carmen am Montagmorgen hereinkommt, fragt Britta sie gleich, ob sie einen Cappuccino möchte.
Carmen setzt sich hin. „Sieht man mir das an?“
„Mann nicht, aber ich schon.“ Britta zeigt ein leichtes Lächeln, und Carmen ist fast versucht, sie zu fragen, ob in ihrer Partnerschaft noch alles stimmt. Aber sie will jetzt nicht irgendwelche ùemen aufbringen, zu denen sie sich selbst nicht äußern möchte.
Britta geht in den kleinen Nebenraum, und Carmen hört, wie sie einen Kaffeepad auswechselt. Dann faucht die Kaffeemaschine. Warum hat ein Kaffee immer etwas so Tröstliches, vor allem, wenn man ihn serviert bekommt?
Carmen lehnt sich zurück.
„So.“ Britta kommt mit der Tasse herein und legt sogar einen kleinen Keks dazu. „Guten Morgen. Fröhlichen Montag.“
Carmen verzieht leicht grinsend das Gesicht. „Danke, sehr lieb.“
Britta trägt ein rostrotes Kostüm. Warum macht sie sich eigentlich immer älter, als sie eigentlich ist? Und diese biedere Frisur, dabei ist sie erst Mitte dreißig.
„Sie sehen heute Morgen wieder toll aus.“ Britta wirft ihr einen bewundernden Blick zu. „Haben Sie ein schönes Wochenende gehabt?“
Carmen ist irritiert. Das hat Britta noch nie gefragt. In zehn Jahren nicht. Warum gerade heute? Und – hat sie ein schönes Wochenende gehabt? Eher nicht. Oder noch besser – sie hat keine wirkliche Meinung dazu.
„Ja, geht so“, antwortet sie ausweichend und taucht ihre Lippen in den weichen Milchschaum. „Und Sie?“ Eigentlich will sie es gar nicht wissen.
„Wir hatten unser Fünfjähriges.“ Britta strahlt.
Ach ja, denkt Carmen. Was sind schon fünf Jahre. „Schön“, sagt sie.
„Und beim Abendessen haben wir über unsere Familienplanung nachgedacht.“
Das darf jetzt aber nicht wahr sein, denkt Carmen.
„Und wir haben beschlossen, Eltern zu werden.“
„Kann man das denn so einfach beschließen?“, fragt Carmen und sieht mit Verwunderung, wie Britta rot wird.
„Jedenfalls wollen wir es probieren.“
„Probieren“, echot Carmen und spürt, wie sie Britta anstarrt. Sie kann sich ihre Mitarbeiterin beim besten Willen nicht beim Sex vorstellen. Mit diesem Mann, der so teigig und leblos wirkt.
„Aber dann würde ich in die Elternzeit gehen, das wollte ich nur frühzeitig ankündigen.“
Carmen nickt. Elternzeit. Bevor überhaupt etwas angesetzt ist. „Hat das vielleicht … gestern Nacht schon geklappt?“, fragt sie, ohne weiter zu überlegen, und hätte es auch sofort danach gern wieder zurückgenommen, aber Britta schenkt ihr ein glückliches Lächeln.
„Vielleicht“, sagt sie. „Vielleicht auch schon früher. Schön wär’s.“
Carmen nickt ihr freundlich zu. „Ich hoffe es für Sie.“ Das kann doch nicht wahr sein, denkt sie und hält sich die Kaffeetasse vors Gesicht.
Britta Berger hat Sex.
Und was hat sie?
Am späten Nachmittag trifft sie sich mit Laura, ihrer besten Freundin. Das muss jetzt einfach sein. Den ganzen Tag lang hatten sie nur Unsinn auf dem Tisch, ständig seltsame Fälle, die viel Recherchearbeit erfordern und wenig Geld bringen. Zudem hatte sie in der Toilette eine Weile vor dem Spiegel gestanden und sich wie ein fremdes Wesen betrachtet.
Groß und schlank in ihrer schwarzen Jeans, der weißen Bluse und dem gut sitzenden Jackett, die vollen Haare fallen in Naturlocken rötlich über ihre Schultern, und ihr Gesicht ist trotz der kleinen Fältchen unter den Augen noch sehr attraktiv, schmal und ausdrucksstark mit den großen blauen Augen. Wie fünfundvierzig sieht sie nicht aus, findet sie.
Oder doch?
Sie zieht ein bisschen an ihrem Gesicht herum, strafft nach oben, strafft nach unten. Aber schöner wird sie dadurch nicht.
Trotzdem, denkt sie sich, irgendwas läuft schief. Früher habe ich die Kerle doch um den Finger wickeln können. Wie hat Britta Berger mal gesagt? Ich könne keinen mehr wirklich schätzen, weil ich zu viele haben könnte.
Das war nicht einmal falsch gewesen.
Bis David gekommen war. Ihn wollte sie haben. Wirklich haben.
Carmen zupft sich ihre Bluse zurecht. Tailliert und von einer Designerin aus Berlin. Ein Hingucker. Aber jetzt betreibt Britta in ihrem rostroten Kostüm Familienplanung, und David sitzt am PC und bewässert eine virtuelle Farm.
Laura hat nicht viel Zeit. Ihre neunjährige Tochter ist beim Reiten, und sie selbst muss vor den Schulferien noch die Zeugnisse für ihre Klasse fertig schreiben.
„Kann es sein, dass du am Telefon irgendwie komisch geklungen hast?“ Zur Begrüßung nimmt sie Carmen in die Arme und deutet dann mit dem Kopf auf den Bistrotisch. „Ich habe uns zwei Campari-Orange bestellt, ich nehme mal an, du bist nicht schwanger.“ Sie lacht.
„So ist es“, erwidert Carmen und verzieht das Gesicht.
„Was?“ Lauras Gesichtszüge verändern sich sofort, und sie bleibt abwartend stehen.
„Du hast das Problem erkannt, aber es ist anders gelagert“, erklärt Carmen und setzt sich an das Bistrotischchen. Es ist ihr Lieblingscafé am Marktplatz, eine Mischung aus hochmodernen Accessoires und Erinnerungsstücken an die gute alte Zeit. Und immer liegt ein Duft nach Zimt und Bratäpfeln in der Luft, selbst jetzt im Sommer.
„Nun geht’s mir schon besser“, sagt Carmen und streckt die Füße aus. „Das muss an dir liegen. Oder am dem Ort hier. Vielleicht gibt es irgendwelche Schwingungen, die mir guttun.“
„Klar!“ Laura hebt das Glas, und ihre braunen Augen glitzern. „Schwingungen. Die spüre ich auch. Von morgens bis abends.“
Carmen muss lachen. „Also gut.“ Sie stößt mit Laura an. „Wenn du nicht viel Zeit hast, mag ich dich mit so einem Kram eigentlich gar nicht belästigen – und überhaupt erscheint mir das alles jetzt nicht mehr so wichtig.“
„Aber wichtig genug, um mich vom Schreibtisch wegzureißen, doch allemal, oder?“
Carmen nimmt einen tiefen Schluck, dann stellt sie ihr Glas ab.
„Laura“, sagt sie und beugt sich etwas vor, damit sie ihrer Freundin direkt in die Augen sehen kann. „Schau mich an.“ Sie macht eine kleine Pause. „Was siehst du?“
Laura runzelt die Stirn. Dabei stößt der lange Pony ihres dunkelbraunen Haares auf ihre Augenbrauen und teilt sich in einzelne Haarsträhnen.
„Ich sehe eine attraktive Frau, die voll im Leben steht. Eine Frau, die weiß, was sie will und mit Volldampf vorausgeht. Eine, die ihr Leben bisher sehr gut gemeistert hat.“ Laura schaut sie aufmerksam an, während sie das sagt.
Carmen nickt. „Bisher gab es ja auch nicht viel zu meistern“, sagt sie und hält sich an ihrem Campariglas fest.
„Ist was passiert?“
„Ich habe keinen Sex mehr“, sagt Carmen leise. „Das kann doch nicht sein! Seit Wochen denke ich, es ist unwichtig, zwischendurch habe ich es fast vergessen, aber gestern Morgen kam die Erkenntnis mit voller Macht. David kommt spät ins Bett und stiehlt sich früh hinaus. Er weicht mir aus. Sein Körper weicht meinem aus. Und ich weiß nicht, warum.“
Es ist still. Beide Frauen schauen einander an. Nur die Geräusche um sie herum sind noch da. Schließlich fasst Laura über den kleinen runden Tisch nach Carmens Hand.
„Denkst du …?“ Sie zögert. „Denkst du, er hat eine andere?“
Es trifft Carmen wie ein Glockenschlag – sie zuckt zusammen. „Du meinst …“ Sie starrt Laura an. „Daran hab ich überhaupt noch nicht gedacht!“ Ihr Blick löst sich von Laura und wandert durch den Raum. Eine andere, denkt sie. Dass er fremdgeht? „David?“, fragt sie eher sich selbst als Laura.
„Warum nicht David?“ Laura zuckt die Schulter. „Millionen von Menschen gehen fremd.“
„Aber David?“
Laura hebt beide Hände. „Entschuldige“, sagt sie. „Er weicht dir aus, vermeidet Berührungen, was soll das denn sonst sein?“
„Ich brech zusammen!“ Carmen schüttelt den Kopf. „Das kann ich mir einfach nicht vorstellen!“
Laura nimmt einen Schluck. „Klar, eure Geschichte war ja auch einmalig. Du, die du von diesen überpotenten Männern die Nase voll hattest und per Annonce einen impotenten Mann gesucht hast, und David, der dir vorgespielt hat, was er nicht war, nur damit er dich nicht verliert.“
„Ja“, sagt Carmen, „und jetzt braucht er es nicht mal mehr zu spielen!“
„Er ist doch nicht impotent!“
„Nein!“ Carmen holt Luft. „Aber für mich ist es doch genau das Gleiche! Was soll ich tun?“
„Red mit ihm!“ Laura schnippt mit dem Finger. „Oder versuch ihn zu verführen.“
„Mit Spargelmenü, Zimteis, gespickt mit Ingwer und Galgantwurzel, und Mannstreu unter dem Kopfkissen?“
Laura muss lachen. „So wie damals? Warum nicht, hat doch fast geklappt.“
„Klar, bis er aufs Klo rannte …“
„Vielleicht dosierst du diesmal die Zutaten besser.“
Bei der Erinnerung muss Carmen ebenfalls lachen. „Ich glaube, ich würde die Zutaten gar nicht mehr zusammenkriegen.“
„Das stand doch alles in diesem mittelalterlichen Buch …“, erinnert sich Laura.
Aber Carmen winkt ab. „Alles gut und schön, aber wenn er eine andere hat, nützt auch die größte Galgantwurzel nichts.“
Wieder schauen sie einander an.
„Versuch’s auf irgendeine Art“, rät Laura. „Inszenier die große Verführung. Und wenn dann nichts läuft, dann frag ihn, oder schau dir mal sein Handy an.“
„Das würde ich nie tun. Totaler Vertrauensbruch. Nie im Leben!“
„Fremdgehen ist auch Vertrauensbruch. Was ist dagegen schon ein Handy!“

Gaby Hauptmann

Über Gaby Hauptmann

Biografie

Gaby Hauptmann, 1957 in Trossingen geboren, lebt seit vielen Jahren in Allensbach am Bodensee, den sie in ihren zwei neuen Bestsellern endlich auch ihren Lesern vorstellt: „Hoffnung auf eine glückliche Zukunft“ und „Traum von einem besseren Leben“ erzählen die Familien-Saga um die Frauen des...

Medien zu „Hängepartie“


Pressestimmen
Für Sie

„Bissig unterhaltsam (…) Die Sätze sind zackig, die Story hat Tempo. Und dem Ernst des Lebens begegnet die Autorin am liebsten mit Humor (…).“

Joy

„Amüsant mit einem Hauch Wehmut.“

Lübecker Stadtzeitung

„Dreist, offenherzig, amüsant – Gaby Hauptmann dreht in ihrem neuen Roman den Spieß um und jagt die Männer!“

Aachener Nachrichten

„Neben dem lebendigen Stil sorgen vor allem die überraschenden Wendungen der Geschichte für viel Kurzweil; ganz zu schweigen von der sanften Bosheit, die sie auf beide Geschlechter gerecht verteilt. (…) Hauptmanns größte Qualität aber ist eine andere: Das Personal auch dieses Romans ist einem im Nu vertraut.“

Ruhr Nachrichten

„Die 53-jährige Bestsellerautorin (…) erzählt vom Alltagsleben, in dem das erotische Feuer erloschen ist, leicht konsumierbar, mit Abenteuerlust und Witz.“

Tina

„Gaby Hauptmanns Bücher helfen in allen Lebenslangen. Sie sind lustig, unbeschwert und irgendwie so wahr (...).“

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