Ich möchte lieber nicht Ich möchte lieber nicht - eBook-Ausgabe
Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven
— Eine Befreiung aus dem Zwang zum Glücklichsein und des positiven Denkens„Dieses großartige Buch fragt, was eigentlich mit einer Gesellschaft passiert, in der jeder denkt, er müsse am Markt des Glücks bestehen.“ - Spiegel online „Mehr lesen mit Elke Heidenreich“
Ich möchte lieber nicht — Inhalt
Eine Befreiung aus dem Zwang zum Glücklichsein
Warum positives Denken uns nicht weiterbringt, Schimpfen aber schon
Dieses Buch ist ein Aufruf zum Widerstand gegen die Ideologie unserer Zeit: den Zwang des Glücks.
Ratgeber und Duschbäder fordern uns auf, positiv zu sein. Wir sollen Scheitern als Chance begreifen und ständig unser Selbst entfalten. Doch der Terror des Positiven nervt, belastet jeden von uns und schwächt den Zusammenhalt: Wir betrachten Glück als Prestige und verstehen politische Probleme als persönliches Versagen. Das zeigt nicht nur die psychologische Forschung, sondern auch die Geschichte.
Dagegen hilft nur Rebellion: Schimpfen ist Ausdruck gelebter Freiheit, ohne Schmerz gibt es keine Kunst, und Wut ist der Motor des Fortschritts. Denn die Welt wurde nicht von den Glücklichen verändert, sondern von den Unzufriedenen.
„Die Wahrheit tut weh, darum wird Schreibers Buch Sie nicht glücklich machen. Aber es wird Sie zum Denken bringen, und das ist das Einzige, was heute zählt.“Slavoj Žižek
„Beschissen drauf sein endlich wieder salonfähig machen! Das Wort ›negativ‹ endlich wieder positiv besetzen!“Shahak Shapira
Leseprobe zu „Ich möchte lieber nicht“
Erster Teil
Karikatur
Ein Mann steht vor dem Rest seiner eingetrockneten Zimmerpflanze. Er schimpft. Hätte sie eben mal positiv gedacht! Die Pflanze schweigt. Einfach eingeschrumpelt ist sie. Selbst schuld, was steht sie hier auch so blasiert herum, hätte sich ja auch mal anstrengen können. Die Zimmerpflanze hat sich vor ihrem Ableben durchaus zahlreiche Vorwürfe gemacht, aber es half nichts, sie starb trotzdem.
In dieser Karikatur zeigt sich ein ganz grundlegendes Ärgernis unserer Zeit, nämlich der Irrsinn des positiven Denkens. Man könnte auch sagen: [...]
Erster Teil
Karikatur
Ein Mann steht vor dem Rest seiner eingetrockneten Zimmerpflanze. Er schimpft. Hätte sie eben mal positiv gedacht! Die Pflanze schweigt. Einfach eingeschrumpelt ist sie. Selbst schuld, was steht sie hier auch so blasiert herum, hätte sich ja auch mal anstrengen können. Die Zimmerpflanze hat sich vor ihrem Ableben durchaus zahlreiche Vorwürfe gemacht, aber es half nichts, sie starb trotzdem.
In dieser Karikatur zeigt sich ein ganz grundlegendes Ärgernis unserer Zeit, nämlich der Irrsinn des positiven Denkens. Man könnte auch sagen: der Terror des Positiven. Positives Denken gilt als Allheilmittel für das Leid der Welt. Überall heißt es: „Sei glücklich!“ oder: „Du kannst alles schaffen, wenn du nur wirklich an dich glaubst!“. Und es gibt kein Entkommen. Ich bin mir sicher: Immer, wenn jemand zu einem völlig unpassenden Zeitpunkt darauf hingewiesen wird, er solle doch nur „nicht so negativ sein“, es werde schon „alles gut“, stirbt irgendwo auf der Welt ein Gewächs ab.
Der gesellschaftliche Druck, unter allen Umständen positiv zu sein, ist so hoch wie noch nie. Glück ist zum Fetisch geworden. Unternehmen, Denkfabriken, Coaches, Nachbarn und vor allem die Werbung terrorisieren uns damit, positiv zu sein. Und mehr noch, sie stigmatisieren diejenigen, die es nicht sind.
Dieser Glücksterror hat Rückenwind von einer neuen Psychologieströmung bekommen, der Positiven Psychologie, die sich seit ihrer Entstehung Ende der Neunzigerjahre in der westlichen Welt ausgebreitet und – wenig überraschend – eine umsatzstarke Industrie im Rücken hat. Ihrer Grundidee nach gelingt ein glückliches Leben vor allem dann, wenn man negative Gedanken und Emotionen konsequent vermeidet und sich auf das Positive fokussiert, selbst, wenn das „vielleicht auf Kosten“ des „Realismus“ geht.[i] Das Glück hänge stark von individuellen psychischen Faktoren ab, sagen Positive Psychologen. Also: Wählen Sie das Glück! Es reicht nicht mehr, bloß durchschnittlich gelaunt zu sein. Sie müssen vor Glück geradezu triefen. Traurigkeit oder Zweifel zu zeigen gilt als Schwäche, und erst recht muss man aus jedem noch so existenziell einschneidenden Rückschlag etwas lernen. Denn, oh ja, Sie haben immer die Wahl, alles ist eine Frage der Sichtweise, Sie müssen sich nur zu Ihrem Glück entscheiden!
Wie, Sie wachen morgens nicht unter Freudentränen auf? Was ist denn mit Ihnen los! Sie sind krank? Tja, hätten Sie eben mehr Detox und Stretching gemacht! Sie sind schwer krank? Das kommt von Ihrer negativen Einstellung! Sie haben Ihren Job verloren? Waren Sie wohl nicht optimistisch genug, was? Na ja, sehen Sie es positiv, jetzt können Sie endlich Ihre Fotoalben einkleben, auch schön.
Egal, was Ihnen passiert, der Ball liegt immer in Ihrem Feld. Es liegt an Ihnen, wie Sie sich fühlen. Auch Scheitern ist eine Chance! Das hat man während der Corona-Pandemie ganz eindrücklich gesehen: Wer den Lockdown nicht sinnvoll genutzt hat, um Portugiesisch zu lernen und das Gesamtwerk von Dostojewski zu lesen, war einfach selbst schuld und hatte eben nicht das „Mindset“ eines echten Gewinners, sorry!
Wenn ich so etwas höre, denke ich jedes Mal: Ich möchte lieber nicht.
Die einzige sinnvolle Antwort auf einen Zeitgeist, der dem Terror des Positiven unterworfen ist, lautet Verweigerung. In einer Welt, in der man aus jedem Problem und jeder Krankheit etwas lernen muss, in der die exzessive Nabelschau alle in den Wahnsinn treibt, kann es nur eine richtige Haltung geben: die Haltung des Nein.
Nein, wir können nicht alles sein, wenn wir nur fest genug daran glauben. Und nein, nicht jeder ist seines Glückes Schmied. Es gibt viele Ungerechtigkeiten und Tragödien, für die der Einzelne nicht verantwortlich ist. Nur wer das erkennt, kann überhaupt die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern.
Wenn wir aber aufhören, uns selbst zu täuschen, merken wir: Positives Denken setzt uns gleich dreifach unter Druck. Wir sind unglücklich, wenn wir uns nicht gut fühlen. Wir machen uns außerdem einen Vorwurf, dass wir unser Leid nicht als Chance begreifen. Und wir halten anderen gegenüber ständig unsere Glücksfassade aufrecht: „Ja, es läuft gerade alles richtig super, klar, und bei dir?!“ Und als wäre das noch nicht genug, wirken soziale Medien als Brandbeschleuniger für diesen demonstrativen Glückskonsum, den wir als Statusinvestition begreifen. Das ständige Kreisen um uns selbst macht alles nur noch schlimmer, denn auf der Suche nach Perfektion wühlen wir so lange im Abgrund unserer Seele herum, bis der Abgrund irgendwann wirklich zu uns zurückblickt.
Doch positives Denken geht nicht nur allen auf den Wecker, es führt auch dazu, dass wir egoistisch werden und glauben, jeder habe sein Schicksal selbst verdient. „Eigenverantwortung“ ist ein Kampfbegriff, um die wachsende soziale Ungleichheit den Einzelnen in die Schuhe zu schieben. Der Terror des Positiven ist somit auch politisch, denn er stabilisiert den Status quo.
Außerdem ist Optimismus nur ein Mangel an Information, und Glück lässt sich medizinisch auch als psychische Störung betrachten. Optimisten leben gar nicht länger, es gibt kein wahres Selbst, und die Coachifizierung des Innenlebens macht uns zu seelischen Hypochondern.
Um all diese Themen geht es im ersten Teil des Buches: um das Negative am Positiven, die negativen Folgen des Glücksterrors.
Im zweiten Teil des Buches geht es genau um das Gegenteil: das Positive am Negativen. Negatives Denken hat nämlich viele Vorteile. Es macht uns engagierter, kritischer, vorsichtiger; es erhöht unsere Lebenserwartung und schützt uns vor Manipulation. Schmerzen retten unser Leben, Schimpfen befreit uns und wirkt wie ein natürliches Heilmittel. Selbst Wut und Neid sind oft berechtigt und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Das gilt auch für den großen Maßstab: Negatives ist der Motor der Geschichte. Die Welt wurde nicht von den Glückseligen verbessert, sondern von den Unzufriedenen. In einer hedonistischen Zeit von Überangebot und Ablenkung ist ein Leben in Selbstbestimmung überhaupt nur möglich, wenn man sagt: Ich möchte lieber nicht. Kurz: Nein.
Wenn Sie sich auch schon mal entnervt gedacht haben, ach, haut doch alle ab mit eurer blöden Happy-Hippo-Heuchelei, dann: Herzlich willkommen in diesem Buch.
Es ist umständlich geschrieben, macht nicht glücklich, aber dafür wurde es mit dem Mittelfinger getippt.
Der Terror des Positiven
„Herr Professor, gestern schien die Welt noch in Ordnung.“
Adorno: „Mir nicht.“[ii]
Mein Duschbad belehrt mich. Zu dieser Feststellung gelangte ich neulich in der Drogerie. Erinnern Sie sich noch an das letzte Jahrhundert, als Badezusätze ganz simpel „Frischekick“ oder „Blütentraum“ hießen? Nun weiß ich nicht mehr, ob ich bei Rossmann oder beim Therapeuten bin, denn die neuen Tuben schreien mich an: „Sei frei, verrückt und glücklich!“ (Es heißt wirklich so.) Das Duschbad des Grauens wird so angepriesen: „Der sonnige Duft nach Orange sprüht vor Glück und schenkt so ein Gefühl der Leichtigkeit.“ Ich möchte bitte nicht, dass da was sprüht. Dabei hat die allerneueste Produktversion nicht mehr nur „sonnigen Glücksduft nach Orange“. Nun soll auch noch, na klar, „Glücksklee“ enthalten sein. Unter den Inhaltsstoffen befindet sich eine Pflanze, die zwar wie ein riesiger Glücksklee aussieht, aber die Wirkung von ganz normalem Rasen hat.
Eine Etage tiefer steht ein anderes Duschbad in peppigem Lila: „Sei frech, wild und wunderbar!“ Bitte nicht. Doch die Tube trägt das Versprechen: „Der spritzig-freche Duft nach Brombeere sprüht vor Heiterkeit und schenkt so ein Gefühl der Ausgelassenheit!“ Puh. Ich platze auch gleich vor lauter Heiterkeit – und erwerbe ein schönes Stück Kernseife.
Noch vor wenigen Jahren wurden Produkte anhand ihrer Inhaltsstoffe oder ihrer Wirkung verkauft: Die Seife macht sauber und duftet ein bisschen. Heute sind die Inhaltsstoffe Stellvertreter für einen ganzen Lebensstil. Die Orange im Duschbad soll nicht nur gut riechen, nein, ich soll auch so werden wie sie, spritzig und frech! Die Produkte sagen nicht mehr nur, was sie enthalten, sondern was der Käufer mit seinem Leben anstellen kann, wenn er sie erwirbt. Das verdeutlicht einen großen Wandel in der Konsumkultur. Es kommt immer mehr auf Selbstverwirklichung an, den Ausdruck der eigenen Hyperindividualität. Und das auch beim Kauf eines seifenhaltigen Körperpflegeprodukts. Duschen wird dann zum gigantisch-spritzigen Wassererlebnis und Kaffeetrinken zur hochexotischen Reise der Sinne in den guatemaltekischen Regenwald. Warum wollen wir so was?
Den Hang zur Singularisierung hat der Soziologe Andreas Reckwitz beschrieben.[iii] So streben Menschen, sobald ihr materieller Besitz gesichert ist, nach dem Besonderen und Einzigartigen. Das können Kunstwerke sein, seltene Türklinken oder handgemeißelte Marmorplatten für die Kücheninsel. Noch besser sind aber Erlebnisse, die schon ihrer Natur nach einzigartig sind, weil sie sich nicht wiederholen lassen: Dschungelexpeditionen in Sumatra oder Wingsuit-Fliegen in den Dolomiten.
Warum so speziell, fragt man sich. Man könnte Reckwitz hier existenzialistisch interpretieren: Wir wollen unser eintöniges Alltagsleben aufwerten. Es soll so besonders wie möglich und damit auch so glücklich wie möglich sein. Denn das Leben ist oft grau und beschwerlich, und das Besondere verspricht eine kurze Ausflucht. Gerade hier wird die Produktwerbung so absurd: Während eine Weltreise wirklich einzigartig ist und aus dem tristen Trott heraussticht, ist das Versprechen magnetischer Männlichkeit mittels massenhaft produzierter Deoroller das Gegenteil von Einzigartigkeit. Theodor Adorno sah den Gegenentwurf zur Konsumkultur in der Kunst, nämlich in einem Versprechen, dessen Einlösung immer gebrochen ist.[iv] Die heutige Produktsprache dagegen ist ein Versprechen, das man niemals einlösen kann.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Nahrungsmitteln. Mit dem ehrgeizigen Vorhaben, mir einen schnöden schwarzen Tee zu kaufen, gehe ich in den Supermarkt. Im Regal natürlich ein Überangebot an pastelligen Schachteln in den Farben eines impressionistischen Sonnenaufgangs. Ich brauche fünfundzwanzig Minuten, um annähernd eine Orientierung zu finden, und habe hinterher meinen Namen vergessen. Und den Grund, warum ich überhaupt hier bin. Tee in der Geschmacksrichtung Sahne-Buttercreme, Blaubeermuffin, Osterspaziergang, Meeresfrüchte, Heringsfilet … Nee, zu weit gelaufen, das ist schon das nächste Regal. Die Unmengen an Fitness- und Abnehmtees sind noch harmlos gegen die abgedrehten rosafarbenen „Frauentees“ mit der Beschreibung „geheimnisvoll, leicht und lieblich“, „für mehr Einfühlungsvermögen“ (ja, auch das ist ein Originalzitat). Natürlich, daneben steht passend dazu der „Männertee“, der auch völlig ironiefrei „stark, herb und würzig“ ist. Spätkapitalismus am Limit. Sind denn alle bescheuert geworden? Es ist nicht mehr weit bis zum schwarzen „Männerpfeffer“: roh, scharf und kernig. Oder zur roséfarbenen „Frauenbutter“, cremig, streichelzart und formbar.
Was einem aber am allermeisten auf den Zeiger geht: Kaum eines dieser Produkte kommt noch ohne Imperativ aus: „Sei schön Tee!“, „Schlaf gut Tee!“, „Träum süß Tee!“, „Arbeite produktiv Tee!“, „Fuck you Tee!“. Dann endlich, in diesem Regal aus der Hölle, finde ich einen Kräutertee. Aber, ach schade, es handelt sich um einen „zitronigen Wirbelwind mit frischem Finale“. Dazu passen dann nur noch der „schwedische Frischekick“ auf dem Streichfett und die „Power-Berry-Exotik“ auf der Trockenobstmischung. Bitte nicht. Ich will überhaupt kein Finale. Wie bin ich eigentlich in diese aufbrühbare Selbsthilfegruppe geraten? Ich gehe wieder nach Hause und trinke seitdem nur noch eisenhaltiges Leitungswasser.
Der dominante Imperativ auf der Teepackung ist kein Zufall. Er versinnbildlicht, was der Soziologe Zygmunt Bauman mit einer neuen „Command Culture“ beschreibt.[v] Fußte unsere Moral früher noch auf Verboten, die besagten: „Tu dies oder jenes nicht“, basiert sie heute auf Kommandos: „Sei produktiv, reich und dünn!“ Die Normen haben sich gewandelt von einem „Du darfst nicht“ zu einem „Du musst“. Das führt natürlich unweigerlich zur Erschöpfung – und erschöpft sind wir alle. Du sollst dich überall mit Leidenschaft einbringen, dich verwirklichen, und du sollst dabei auch noch sehr glücklich sein! Bauman beschreibt, dass die Menschen früher beim Therapeuten waren, weil sie unter ihrem Sexualtrieb litten und ihre Wünsche nicht ausleben konnten. Heute ist es umgekehrt: Weil wir ständig etwas wollen sollen, haben wir weder Lust noch Kraft.
Und das gilt für fast alles im Leben. Man soll tun, was man liebt, es soll Spaß machen, aber auch sinnvoll sein: Make a difference! Die Soziologin Eva Illouz sieht darin die Vermengung von Gefühlen und Ökonomie, was sie in ihrem Buch Der Konsum der Romantik als „emotionalen Kapitalismus“ beschreibt.[vi] Während die Wirtschaft immer mehr unsere intimen Emotionen anspricht, richten wir umgekehrt unser Gefühlsleben auch immer mehr an marktkonformer Wirtschaftlichkeit aus.[vii] Beispiele dafür findet man überall: Unsere individuelle Vorstellung von Liebe und Romantik ist von Klischees wie der Ristorante-Tiefkühlpizza-Werbung geprägt. Wir können diese „romantische Utopie“ also für 3,99 € erwerben. Gleichzeitig wird der Baumarkt, in dem man graue Spreizdübel kauft, zum emotionalen Abenteuer der privaten Selbstverwirklichung. So wie Gesichtscreme sagt: „Weil ich es mir wert bin“, sagt die Fliesenfachabteilung: „Du kannst alles erschaffen!“ Das meint Illouz, wenn sie behauptet, Ökonomisches wird emotionalisiert und Emotionen werden ökonomisiert: Die Waren werden gefühlig aufgeladen, während echte, private Gefühle auf die Kosten-Nutzen-Bilanz überprüft werden. Und irgendwann bekommen sogar private Beziehungen einen Tauschcharakter; Menschen werden dann auf ihren Nutzen hin abgeklopft, mit der Frage im Hinterkopf: „Was bringt mir der Kontakt?“
Manche Leute gehen sogar so weit, dass sie für sich selbst einen eigenen Markenkern erschaffen, also ganz buchstäblich ihre Haut zu Markte tragen und ihre „Unique Selling Points“ erarbeiten. Das nennt man dann „Personal Branding“. Jeder kennt jemanden, der von sich selbst sagt: „Das kommt davon, dass ich so crazy bin“, oder, mein Favorit: Leute, die über sich selbst in der dritten Person sprechen, als wären sie ein Markenprodukt. Wenn ein Michi sagt: „Das ist so typisch Michi, haha!“ Oder: „Einfach classic Michi wieder.“ Klassiker.
So werden wir nicht nur von außen aufgefordert, sondern wir haben die Kommandos inzwischen verinnerlicht: nie stehen bleiben und dauerhaft konsumieren, um dabei uns und unser Leben zu verbessern. Und wie kann man sich das selbst besser beweisen als durch ständigen Konsum? Die neue Kommandokultur dominiert so alle Lebensbereiche: Ernährung, Gesundheit, Medien, Politik und Bildung. Dem Glücksterror kann niemand entrinnen.
Es folgt der endgültige Beweis: die Hölle aus Tüll
Es war ein kalter Winter im Jahr 1984, als meine Eltern geheiratet haben. Meine Mutter trug ein schwarzes Kostüm, mein Vater einen dunkelgrauen Anzug, der Standesbeamte sagte ein paar Worte, sie tauschten die Ringe, dann gingen sie mittagessen, alle waren froh.
Heute sind die meisten Hochzeiten irrsinnige Spektakel. In Zeiten relativen Wohlstands bringt die Kombination aus Konkurrenzdruck und emotionalem Exhibitionismus überdimensionierte Plüschgelage hervor. Mit riesigen Torten voller Buttercreme und Marzipanrosen, Teigfladen – Zuckercreme – Teigfladen, darüber noch mehr Creme, eine unendliche Stapelei. Obendrauf noch Gedöns, das keinem schmeckt, aber pompös aussieht, denn viel Liebe muss heißen: viel Tüll, viel Spitze, viel Sahne. Wer hat sich das ausgedacht?
Solch ein kurzes Fest der Sinne kostet dann ungefähr so viel wie ein Ferienhaus an der Côte d’Azur. Und sogar diejenigen, die an so etwas nicht mal denken können, verschulden sich, kratzen alles zusammen, denn dieser Tag muss, no pressure, der „schönste und wichtigste Tag des Lebens“ sein. Dieses Damoklesschwert hängt über dem Fest wie die kreisenden Geier über der verendenden Antilope. Hochzeiten sind darum der Gipfel des Glücksterrors. Man muss ja ohnehin andauernd glücklich sein, aber dieser eine Tag soll eben der allerallerglücklichste werden! Dass so etwas in völlig überflüssigem Stress endet, überrascht niemanden.
Das Brautkleid muss zuvor in einer ausgiebigen Tempelbegehung erworben werden. Es heißt schließlich: Say yes to the dress! Damit meint man auch, dass man es „einfach fühlt“, wenn es „das richtige“ ist. Dieses Kleid, das maximal 6 Stunden und 38 Minuten im Leben getragen wird, muss einfach zur Seele der Frau passen! In Deutschland gibt eine Braut durchschnittlich 1200 (!) Euro für ein Kleid aus, das sie niemals wieder in ihrem Leben anziehen wird.[viii]
Im schlimmsten Fall werden alle Freundinnen und zwanzig Cousinen zur Anprobe mitgeschleppt, Taschentücher stehen überall bereit, man trinkt Sektchen. Am Ende sind alle besoffen und heulen. Sie sind so überwältigt von dieser Person, die da plötzlich so ganz anders, so verwandelt vor ihnen thront in ihrem cremefarbenen Zelt aus Satin.
Haben Sie sich mal gefragt, warum Aliens noch keinen Kontakt zu uns aufgenommen haben? Über 1500 Jahre saßen sie in ihrem Raumschiff auf dem Weg zur Erde. Dummerweise war das Erste, was sie dann von unserer Zivilisation gesehen haben, eine Hochzeitskleidanprobe.
[i] Vgl. Seligman, Martin (2003): Glücksfaktor: Warum Optimisten länger leben, Köln, S. 214. Seligman betont zwar immer wieder, seine Forschung sei nur deskriptiv und nicht präskriptiv, also beschreibend statt vorschreibend, allerdings wird sehr deutlich, was seine Handlungsempfehlung ist.
[ii] Adorno, Theodor W. im Interview: „Keine Angst vorm Elfenbeinturm“ (Der Spiegel 19/1969)
[iii] Reckwitz, Andreas (2017): Die Gesellschaft der Singularitäten, Frankfurt am Main
[iv] Adorno, Theodor W. (1979): Gesammelte Schriften 2, Frankfurt am Main, S. 10
[v] Vgl. Bauman, Zygmunt (2007): Flüchtige Zeiten, Hamburg
[vi] Illouz, Eva (1997): Consuming the Romantic Utopia Love and the Cultural Contradictions of Capitalism, Berkeley
[vii] Vgl. ebd.
[viii] Das typisch deutsche Hochzeitskleid: www.hochzeit.com/das-typisch-deutsche-brautkleid-form-farbe-und-preis/
„Das ist ein Buch nach meinem Herzen! Schnell, frech, wütend!“
„Ein gesellschaftskritisches Buch, das genau ins Auge trifft. Amüsant geschrieben in einer sehr klaren Sprache.“
„Das ist eine amüsante und durchaus befreiende Lektüre.“
„Das Buch ›Ich möchte lieber nicht‹ kann man gerne lesen wenn man selber das Gefühl hat, sie setzt mich manchmal auch unter Druck, diese wahnsinnig glückliche Welt.“
„Ein Buch, das klar Stellung bezieht.“
„Eine kluge und unterhaltsame Handreichung, wie man sich dem Glücksrausch und allgemeinen Optimismus entziehen kann.“
„Dies ist ein erfrischend zu lesendes Sachbuch, eine energiegeladene Polemik gegen den Wahn, unentwegt glücklich und positiv sein zu müssen und alles schaffen zu können.“
„Ein sehr schön und sehr leicht geschriebenes Buch.“
„Dieses großartige Buch fragt, was eigentlich mit einer Gesellschaft passiert, in der jeder denkt, er müsse am Markt des Glücks bestehen.“
„LEST DAS BUCH! Ich bin der Meinung, dass es sehr viele Augen öffnen kann, dass es sehr gut zum Denken anregt und wer weiß, vielleicht gibt es dir genau die Kraft, die du gerade brauchst.“
„Selbst wenn der Trend zur Negativgesellschaft bereits umgeschlagen ist, lohnt es, sich von Schreibers unterhaltsam-informativer Wut die Gefahren des Zwangsoptimismus noch einmal vor Augen führen zu lassen.“
„Schreibers Buch ist wirklich gut recherchierte Sachliteratur, die dazu noch extrem unterhaltend geschrieben ist. Ich habe nicht nur viel gelernt, ich habe mich außerdem total verstanden gefühlt.“
„Die Themen sind vielfältig, aber gut strukturiert, auch Schreibers unterhaltsamer, teils echt lustiger Stil gefiel mir sehr. Sie schafft es nämlich trotz des Witzes, ihre Punkte mit zahlreichen Quellen und Beispielen glaubhaft und nachvollziehbar zu machen.“
„Ihr Buch ist ein Realitätscheck, der dringend notwendig war und eine erfrischende Abwechslung für alle, die eine Pause davon brauchen, die Dinge ›einfach mal positiv zu sehen‹.“
„Zum Schluss sag ich euch dennoch: LEST DAS BUCH! Ich bin der Meinung, dass es sehr viele Augen öffnen kann, dass es sehr gut zum Denken anregt und wer weiß, vielleicht gibt es dir genau die Kraft, die du gerade brauchst.“
„Wer auch mal gegen den Strom schwimmen, nicht immer großartig sein und ›Nein‹ sagen möchte, sollte dieses Buch nicht verpassen.“
„Eine höchst unterhaltsame und anregende Streitschrift.“
„Ein super ehrliches Buch welches einen echt guten Mittelweg zur Thematik gefunden hat und in einem sehr umgangssprachlichen ›Ton‹ geschrieben wurde.“
„›Ich möchte lieber nicht‹ hebt die Notwendigkeit des negativen Denkens hervor, erklärt, warum es wichtig ist, auch die weniger guten Gefühle zuzulassen. Und dass eben nicht alles in unserer Hand liegt – egal, wie positiv wir denken. Weil es widrige Umstände gibt, weil nicht jede*r dieselben Chancen hat und vor allem: Weil positives Denken auch nicht immer das Gelbe vom Ei ist. Mit einem Großteil ihrer Worte hat die Autorin bei mir etwas zum Klingen gebracht, mich nickend zustimmen lassen. Dieses allgegenwärtige Thema gepaart mit dem flüssigen, teilweise sarkastischen Schreibstil hat ›Ich möchte lieber nicht‹ für mich zu einem Buch gemacht, das zum Nachdenken anregt und unterhält.“
„Das ist ein sehr gescheites Buch, lebensnah, lebenswichtig, sehr erfrischend im ganzen Glücksquark der Epoche.“
„Äußerst anregende, gut beobachtete (und sehr komische) Streitschrift.“
„Als Hörbuch begonnen, dann doch als Buch gelesen, weil ich SO VIEL UNTERSTREICHEN wollte. Ich bin selbst ein positiver Mensch, weshalb ich hier und da ein paar Einwände zu den Thesen der Autorin habe, aber genau das hat das Buch für mich so bereichernd gemacht.“
„Ein anregendes, flott geschriebenes und emotionales Buch.“
„Schreibers Stärken liegen in der spannungsvollen Wiedergabe von Studienergebnissen und den wichtigsten Thesen großer Denker und Soziologinnen.“
„Schreibers Buch ist eine fundierte und unterhaltsam geschriebene Kritik an unserer Selbstoptimierungsgesellschaft, die an einem Punkt ansetzt, der jeden betrifft: am Wunsch nach einem guten Leben.“
„Ein flotter, frecher, oft witziger (…) Stil.“
„Dem Buch ›Ich möchte lieber nicht‹ können sich die Leser*innen kaum entziehen.“
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